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Else Lasker-Schüler in den Erinnerungen der Zeitgenossen

Ein Verzeichnis zur Memoirenliteratur und zu weiteren Schriften von Freunden und Bekannten Else Lasker-Schülers

Einen Überblick über die bis 1965 erschienene autobiographische Literatur gibt Ingrid Bode: Die Autobiographien zur deutschen Literatur, Kunst und Musik 1900–1965. Bibliographie und Nachweise der persönlichen Begegnungen und Charakteristiken. (Repertorien zur Deutschen Literaturgeschichte. Hg. von Paul Raabe. Bd. 2.) Stuttgart 1966.

Weitere Hinweise stehen in folgenden Schriften:

Jens Jessen [(Bd. 4:) und Reiner Voigt]: Bibliographie der Autobiographien. Bd. 1: Selbstzeugnisse, Erinnerungen, Tagebücher und Briefe deutscher Schriftsteller und Künstler; Bd. 2: Selbstzeugnisse, Erinnerungen, Tagebücher und Briefe deutscher Geisteswissenschaftler; Bd. 3: Selbstzeugnisse, Erinnerungen, Tagebücher und Briefe deutscher Mathematiker, Naturwissenschaftler und Techniker; Bd. 4: Selbstzeugnisse, Erinnerungen, Tagebücher und Briefe deutschsprachiger Ärzte. München [u. a.] 1987–1996.

Gudrun Wedel: Autobiographien von Frauen. Ein Lexikon. Köln, Weimar, Wien 2010.

Aktualisiert: 9. Dezember 2023

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Ball-Hennings, Emmy • (1885–1948). Lyrikerin und Erzählerin. – Quellen: Historisches Lexikon der Schweiz; Wikipedia.

Ruf und Echo. Mein Leben mit Hugo Ball. Einsiedeln, Zürich, Köln: Benziger Verlag, 1953. – Über eine Begegnung mit Else Lasker-Schüler in München während des Ersten Weltkriegs (S. 58 f.): »Die Dichterin selbst trug einen wunderschönen bunten seidenen Turban, der vortrefflich zu ihren schwarzen Haaren paßte, schön und interessant, wie ein Traum aus dem Orient, aber was sie sonst trug, paßte gar nicht zu ihr, nämlich eine breite Schärpe, das deutsche Fahnenband, wie eine Ehren- oder Schützenfestjungfrau über die Schulter geschlungen. Ich fragte: / ›Lieber Prinz von Theben, sind Sie denn so knallpatriotisch, daß Sie am hellichten Tage also fahnengeschmückt daherkommen müssen?‹ ›Aber ich werde doch sonst für eine Ausländerin gehalten, womöglich für eine Spionin. Darauf kann ich’s doch nicht ankommen lassen. Ich habe mir sogar bei Tietz noch eine bayrische Schärpe gekauft. Blauweiß. Sehn Sie. Will Sie Ihnen gleich zeigen. […] Wie finden Sie die Schärpe? Sie wirkt etwas diskreter, nicht wahr?‹ / ›Schick‹, sagte ich anerkennend, um ihr einen Gefallen zu tun, während sie schon Anstalten traf, sich auch mit der zweiten Schärpe zu dekorieren.«

Baumgarten-Tramer, Franziska • (1883–1970). Schweizer Arbeits- und Betriebspsychologin. – Quellen: Historisches Lexikon der Schweiz; Wikipedia.

Eine Erinnerung an Else Lasker-Schüler. In: Das Bücherblatt (Zürich). Jg. 9, Nr. 5 vom Mai 1945. S. 1 f. – »Ich lernte sie in Berlin nach einer Vorstellung von René Schickeles ›Hans im Schnakenloch‹ kennen, als sie in einer größeren Gesellschaft ein sehr hartes Urteil über das Stück fällte. Dies lenkte meine Aufmerksamkeit auf sie, von der ich vorher noch nichts gehört hatte, und ich erfuhr, daß sie die beste zeitgenössische Lyrikerin sei. Und merkwürdigerweise begegnete ich ihr selber oder ihrem Namen dann immer wieder bei den verschiedensten Gelegenheiten. So las sie öffentlich aus ihren eigenen Werken vor, wobei sie die ›Hebräischen Balladen‹ mit einem Summen begleitete, das merkwürdig zu dem Rhythmus der Gedichte paßte und die Wirkung des Wortes erhöhte. Man war von der Darbietung begeistert, sie selbst aber stand auf dem Podium steif und starr wie abwesend und abseits des ihr zujubelnden Publikums.«

Ben-Chorin, Schalom • (urspr. Fritz Rosenthal) (1913–1999). Schriftsteller und Journalist, Religionsphilosoph.

Der »schwarze Schwan Israels«. Else Lasker-Schüler zum Gedenken. In: Neuste Nachrichten. Jedioth Chadashoth (Tel Aviv). Jg. 7, Nr. 2369 vom 26. Januar 1945. – »[…] Ja, einsam und ›verscheucht‹ ging sie wie ein altes, verlorenes Kind durch die Strassen Jerusalems, der Stadt, die sie mit dem glühenden Herzen gesucht hatte – und in der sie keine Heimat mehr fand. / Wir alle haben an ihr gesündigt. Wir haben sie verehrt – und gemieden, denn es war schwer mit dieser ganz im Traum versponnenen Frau ein Gespräch zu führen, einen Nachmittag gemeinsam zu verbringen. Und doch war es gerade dies, was sie suchte: die Nähe lebendiger Menschen. Noch wenige Tage vor ihrem Tode entwickelte sie mir den Plan einen Club zu gründen, in welchem allabendlich von sechs bis halb zehn Uhr jemand bei ihr in ihrem geliebten Stammcafe sitzen sollte … um ihr die Gespenster der Einsamkeit zu vertreiben. / In all ihrer Einsamkeit war sie aber dennoch nicht allein, in der Bitternis des Alters ist sie in einem einzigen Bezirk ganz jung geblieben – in ihrem Gedicht! […]«

Prinz Jussuf in Jerusalem (1945). In: Else Lasker-Schüler: Dichtungen und Dokumente. Gedichte, Prosa, Schauspiele, Briefe, Zeugnis und Erinnerung. Ausgewählt und hg. von Ernst Ginsberg. München: Kösel-Verlag, 1951. S. 582–590. – Über Else Lasker-Schülers zweite Reise nach Jerusalem (1937): »[…] Eines Tages erhielt ich eine Karte von ihr, in der sie mich bat, sie noch am Abend im Hotel aufzusuchen, sie habe dringende politische Projekte mit mir zu besprechen. Da ich aber für den Abend schon verabredet war, kam ich am Spätnachmittag ins Hotel, um mich zu entschuldigen. Sie war tief unglücklich über meine Absage und beschwor mich, sie in der Nacht noch – wann auch immer – aufzusuchen, die Sache dulde keinen Aufschub, und das Wohl und Wehe Palästinas hinge davon ab. / Gegen elf Uhr kam ich wirklich nochmals ins Hotel, sie hatte auch auf mich gewartet, war aber vor Übermüdung auf einem Stuhl in der Halle eingeschlafen. Am nächsten Morgen trafen wir uns in einem Café. Nur zögernd konnte sich die Dichterin dazu entschließen, ihr Projekt preiszugeben. / ›Wir werden alle ausgesorgt haben, wenn die Sache wird‹, versicherte sie mir, ›sie werden Direktor, aber ich selbst muß immer noch entscheidende Stimme im Direktorium haben.‹ Ich war mächtig gespannt. Nachdem ich tiefste Diskretion zugesagt hatte, begann sie: / ›Wissen Sie, wie man das jüdisch-arabische Problem lösen kann? Es gibt nur einen Weg: Freude schaffen. Wir gründen einen Rummelplatz für Juden und Araber, den beide Völker besuchen werden und wo sie gemeinsam Reibepfannkuchen essen, Karussell fahren und Glückshafen spielen.‹ / Sie erging sich sodann in anschaulichen Schilderungen vor allem des Karussells und gabe mir – vertraulich – Rezepte für die Reibepfannekuchen. ›Über dem Eingangstor zum Rummelplatz aber muß stehen ‚Für Gott‘‹, schloß sie ihren mit unerhörtem Elan gehaltenen Vortrag. […]« – Im Einzelnen lassen sich folgende Begegnungen datieren:

16. Juni (erstes Treffen mit Ben-Chorin): »Gegen Abend kam ich ins Hotel ›Vienna‹, in dem die Dichterin abgestiegen war. Ich muß gestehen, daß der erste persönliche Eindruck der Frau, deren Verse ich tief verehre, ein erschütternder war. Ein müder Mensch, dessen Antlitz von zerstörter Schönheit zeugte und in dessen großen schwarzen Sulamith-Augen der Wahnsinn aufloderte, saß mir gegenüber. Es war eigentlich kein Sitzen, sondern mehr ein Kauern. Ich wurde stark an wahrsagende Zigeunerinnen erinnert, ja dieser Eindruck wurde durch die exzentrische Kleidung der Frau – Pelzmütze im drückend-heißen Sommer und übergroße korallrote Ohrringe – noch erhöht.«

27. Juni (Besuch bei Ben-Chorin): »Nachdem wir uns darüber verständigt hatten, daß ich dort wohnte, ›wo die wilden Juden in den schwarzen Zelten hausen‹ (sie meinte ein Beduinenlager), kam sie am 27. Juni zu uns zum Abendbrot. Ich hatte ihr schriftlich ihre Lieblingsspeise, Schokoladenpudding mit Himbeersauce, zugesagt, und es wurde ein Fest. Wie ein Schulmädchen konnte sie lachen und die tollsten Streiche erfinden. So beschlossen wir, an diesem Abend eine ›Räuberhöhle‹ in dem wohlhabenden Stadtteil Rechavia zu gründen und zwei Professoren der Universität, die einander spinnefeind waren, fingierte Einladungen zuzusenden, so als lüde einer den anderen zu sich zum Tee ein.«

17. August (Vortragsabend auf Einladung der Buchhandlung Universitas): »Zur Schande Jerusalems muß es gesagt werden, daß es nicht ganz leicht war, einen Vortrag der Dichterin in der Heiligen Stadt zu veranstalten. Die zentralen zionistischen und kulturellen Körperschaften der Stadt sahen ihre Aufgabe keineswegs darin, die größte lebende Dichterin des jüdischen Volkes in gebührender Weise zu ehren, ja, nur den Rahmen zu schaffen für einen würdigen Rezitationsabend. / So mußte von privater Seite dafür gesorgt werden, daß Else Lasker-Schüler vor den zahlreichen Verehrern ihrer großen Kunst ihre unverwelklichen Verse und ihre buntschillernden Geschichten lesen konnte. Rabbiner Dr. W. und ein Jerusalemer Buchhändler hatten einen hübschen Saal in Rechaviah gemietet, die Dichterin bestand darauf, selbstgeschriebene und mit dem Davidstern geschmückte Plakate in den Buchhandlungen der Stadt auszuhängen, und durch mündliche Propaganda waren alle Freunde der Dichtung benachrichtigt worden. / Die Vorlesung selbst war ein durchschlagender Erfolg. Alles Müde, Zerstreute, Gehetzte war von Else Lasker-Schüler gewichen. In einer husarenhaft verschnürten, schwarzen Samtjacke saß sie in königlicher Würde am Vortragspult (natürlich las sie bei Kerzenlicht) und sprach mit großer Feierlichkeit die Gedichte, welche ihren Weltruhm begründet hatten. Sie las nach einer Art Ritus, oft begleitet von Glöckchen und einer Kinderorgel. Mit dem unvergeßlichen Gedicht ›Mein Volk‹, das anhebt: // Der Fels wird morsch, dem ich entspringe / Und meine Gotteslieder singe // begann die Rezitation. Die dichtgedrängte Hörerschaft folgte gebannt den sprachgewaltigen Visionen dieser echten Enkelin der Psalmisten. Nach einer halben Stunde ließ die Vortragende eine kleine Pause eintreten, und nun ereignete sich etwas, was die Zuhörerschaft auf eine harte Probe stellte. Abermals wurde es dunkel, abermals setzte sich die Dichterin an das Vortragspult und abermals begann sie: // Der Fels wird morsch, dem ich entspringe … // Wir, die wir um ihre grenzenlose Zerstreutheit wußten, standen Höllenqualen aus. Sollte sie vergessen haben, daß sie dieses Gedicht vor einer halben Stunde rezitiert hatte, oder las sie gar noch einmal den ganzen ersten Teil des Programms? Zum Glück fiel es ihr aber doch noch rechtzeitig ein, daß sie mit der Wiederholung des soeben Vorgetragenen begonnen hatte, und so ging sie dazu über, ihre phantastische Schilderung Jerusalems aus dem ›Hebräerland‹ vorzulesen. Freilich wirkte dieses Traumbild der Stadt hier – mitten in ihrer Alltagsrealität – ein wenig skurril, aber der große Schwung und begeisterte Atem ihrer Dichtung half auch über diese Klippe hinweg.«

25. August (Abreise aus Jerusalem): »Nur ungern sahen wir sie scheiden, hatten wir doch gehofft, daß es möglich sein würde, ihr in Palästina ein dauerndes Heim zu schaffen. Verstimmt war sie auch darüber, daß die Ausstellung ihrer Aquarelle zum ›Hebräerland‹ nicht den erhofften und verdienten Erfolg gebracht hatte. Überhaupt setzte ein Zustand der Überreiztheit ein, und die wenigen Tage vor der Abreise waren getrübt von einer oft grundlosen Haßentfaltung gegen die wohlgesinntesten Personen, die oft an Verfolgungswahn grenzte. Am meisten litt die Dichterin selbst unter diesem Zustand, ja sie schien fast dem körperlichen Zusammenbruch nahe, doch half ihre unerhörte Energie ihr auch über diese gefahrvolle Krise hinweg …«

Ein ungehobener Schatz. In: Hakidmah (Tel Aviv). Jg. 4, Nr. 177 vom 21. März 1952. S. 7. – Über den Nachlass Else Lasker-Schülers in Jerusalem.

Prinz Jussuf in Jerusalem. Erinnerungen an Else Lasker-Schüler. In: Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums (Köln). Jg. 1 (1962), H. 3. S. 302–312. – Über Else Lasker-Schülers zweite Reise nach Jerusalem (1937).

Zwiesprache mit Martin Buber. Ein Erinnerungsbuch. München: List Verlag, 1966. – S. 75–81: »Else Lasker-Schüler«. Ben-Chorin berichtet unter anderem von einem Streitgespräch Else Lasker-Schülers mit Martin Buber: »In den Jahren des zweiten Weltkrieges hielt Martin Buber […] am Sonnabendvormittag in der Jerusalemer Synagoge deutscher Juden ›Emeth w’Emuna‹ ein ›offenes Forum‹ ab, das Zeit- und Streitfragen gewidmet war. / Die erste dieser Aussprachen stand unter einem unglücklichen Stern und gestaltete sich tragikomisch. / Buber begann in seiner vorsichtigen, zurückhaltenden, abwägenden, ja skeptischen Weise: ›Wenn mir heute jemand sagen würde: Ich habe Offenbarungen, oder: Ich weiß genau, was die Geschichte uns bringen wird – dann würde ich ihm zutiefst mißtrauen.‹ / Weiter sollte Buber nicht kommen, denn aus einer Ecke des kleinen Andachtsraumes meldete sich in unverkennbarer Mischung von Berliner Dialekt und Wuppertaler Platt die Stimme einer Frau: ›Aber Herr Professor, ich habe ständig Offenbarungen.‹ / Es war die Dichterin Else Lasker-Schüler, die mit ihrem Einwand, unmittelbare Offenbarungen des Himmels zu empfangen, Bubers Konzept einen heftigen Stoß versetzte. / Mit großer Ruhe und Geduld ging Buber auf den Einwand ein und fragte die Dichterin nach dem Wesen ihrer Offenbarungen, vorsichtig zu bedenken gebend, daß poetische Inspiration mit prophetischer Offenbarung nicht identisch sei. / Aber mit der Lasker-Schüler war da zu keinem Kompromiß zu gelangen. Sie beharrte auf ihren Offenbarungen, erklärte unumwunden, daß ihre Dichtungen inspiriert seien und daß kein geringerer als der König David persönlich sie im Hotel Koschel in Berlin aufgesucht habe, um ihr Geheimnisse der Geisterwelt und der Zukunft zu offenbaren. / Buber strich sich bedächtig den Bart und ließ den Blick sinnend auf der ekstatisch bebenden Dichterin ruhen, deren winzige Gestalt sich emporreckte, als sie Buber schließlich den Satz: ›Herr Professor, ich verehre Sie sehr!‹ wie einen Fehdehandschuh hinwarf – und die Synagoge verließ.«

Else Lasker-Schüler zum 100. Geburtstag am 11. Februar. In: Neuste Nachrichten. Jedioth Chadashoth (Tel Aviv). Nr. 9602 vom 7. Februar 1969. S. 6. – »[…] Else Lasker-Schüler aber flüchtete zunächst nach Zürich, wo sie in dem Verleger Dr. Oprecht und dem Dramaturgen des Schauspielhauses Ernst Ginsberg warmherzige Förderer fand. Aber sie wurde in der Schweiz nicht heimisch. Die bürgerliche Atmosphäre dieses von Krisen verschonten Landes war ihr konträr, der Dialekt war ihr fremd: ›Ich bekomme ganz dicke Ohren von dieser Sprache‹, klagte sie einmal. […] In der Gedenkrede auf die Dichterin sagte Rabbiner Wilhelm, der nun auch in der Erde Jerusalems ruht: ›An diese Frau wird man sich noch erinnern, wenn wir längst alle vergessen sein werden.‹«

Jussuf in Jerusalem. In: Lasker-Schüler. Ein Buch zum 100. Geburtstag der Dichterin. Hg. von Michael Schmid. Wuppertal: Peter Hammer, 1969. S. 55–69. – Über Else Lasker-Schülers zweite Reise nach Jerusalem (1937).

Else Lasker-Schüler zum 100. Geburtstag. In: Almanach 3 für Literatur und Theologie. Hg. von Dorothee Sölle, Wolfgang Fietkau, Arnim Juhre und Kurt Marti. Wuppertal: Peter Hammer, 1969. S. 178–192. – »[…] Einmal sagte sie mir: ›Der Engel Gabriel kam zu mir und sprach: ‚Wenn dich niemand einlädt, dann lade ich dich ein‘ – und unter einem Ahornbaum bewirtete er mich mit Pudding, und meine Mama und mein Sohn Paul und mein lustiger Papa waren mit mir.‹ […]«

Else Lasker-Schüler und Israel. In: Literatur und Kritik (Salzburg). Jg. 11 (1976). S. 291–297. – »[…] Als ich die Dichterin einmal zu einem Bibelkurs mitnahm, in welchem das sechste Kapitel aus dem Propheten Jesaja gelesen wurde, die Vision des Propheten im Tempel mit der Schau der schwebenden Seraphim, bemerkte Else Lasker-Schüler (zum verständnislosen Erstaunen der Anwesenden): ›Ja, so ist es.‹ Sie sprach aus einer metaphysischen Erfahrung. […]«

Rummelplatz Jerusalem – Vision und Wirklichkeit. In: MB. Wochenzeitung des Irgun Olej Merkas Europa (Tel Aviv). Jg. 48, Nr. 38 vom 7. November 1980. S. 7.

Der Schwanengesang des Schwarzen Schwans. In: MB. Wochenzeitung des Irgun Olej Merkas Europa (Tel Aviv). Jg. 49, Nr. 4 vom 30. Januar 1981. S. 6.

Else Lasker-Schüler und Israel. In: Nachrichten aus Israel. Deutschsprachige Literatur in Israel. Hg. von Margarita Pazi. Hildesheim und New York: Olms Presse, 1981. S. 111–117. – Der Beitrag war 1976 in »Literatur und Kritik« erschienen.

Ich lebe in Jerusalem. Ein Bekenntnis zu Geschichte und Gegenwart. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1988. [Zuerst 1972 erschienen.] – Über Else Lasker-Schüler schreibt Ben-Chorin unter anderem (S. 139 f.): »Die Lasker-Schüler war jedenfalls die größte Dichterin, der ich je begegnet bin, und zugleich ein überaus schwieriger Mensch. Ihre Größe war zugleich ihre Problematik. Dichtung und Leben waren bei ihr zu völliger Einheit verdichtet. Das gibt ihrer Dichtung die inspirierte Kraft, machte aber ihre Integration in die Wirklichkeit und Banalität des Tages fast unmöglich. / Wie ein verscheuchter Vogel hockte sie in ihrem Stammcafé Sichel an der Ben-Jehuda-Straße, erschrak, wenn man sie ansprach, war aber tödlich beleidigt, wenn man an ihrem Tisch grußlos vorüberging. / Sie war furchtbar allein, äußerlich und innerlich. Saß man abends mit ihr im Café am Tisch und verabschiedete sich mit der Bemerkung, daß man anderen Tages früh aufstehen müsse, so sagte sie: ›Dann bleiben Sie doch gleich bis morgen früh!‹ Sie selbst hatte kein Bett, ruhte in einer Art Liegestuhl inmitten eines chaotischen Wustes von Manuskripten und Zeichnungen, auch den Blättern ihres früh verstorbenen Sohnes Paul, der ein begabter Maler war. Sie selbst verfertigte phantastische Illustrationen zu ihren Büchern, malte zum Teil mit Kaffee und beklebte mit Buntpapier die seltsamen Gestalten aus Theben und Traum-Jerusalem. / […] / Verständnislosigkeit und Lieblosigkeit ihrer Umwelt verbitterten sie: ›Das ist nicht mehr Erez Israel‹, sagte sie, ›sondern Erez Miesrael.‹ Dann konnte sie in tiefer Resignation sagen: ›Wenn sich die Juden nicht anders benehmen, wird Gott ein anderes Volk erwählen.‹ / Aber diese Depressionen wichen auch wiederum, und wie eine entflammte Debora marschierte die Dichterin in einer Demonstration gegen das Britische Weißbuch, das weitere jüdische Einwanderung in Palästina verbot oder verbieten wollte, durch die Hauptstraßen Jerusalems. / Else Lasker-Schüler war eine tiefgläubige Jüdin, nicht im Sinne synagogaler Tradition, aber auf ihre eigene Weise. ›Wenn wir ganz tief graben, stoßen wir vielleicht auf Gott‹, konnte sie in einem Gespräch bemerken. Gott war für sie nicht mehr im Himmel, sondern tief unten, verschüttet vom Erdreich des Landes Israel, des Hebräerlandes, wie sie sagte.«

Die Königin der Lyrik, der schwarze Schwan Israels. Erinnerung an Else Lasker-Schüler. In: Der Literat (Frankfurt am Main). Jg. 31, Nr. 11 vom 15. November 1989. S. 339 f.

Begegnungen. Porträts bekannter und unbekannter Zeitgenossen. Hg. von Verena Lenzen. Gerlingen: Bleicher Verlag, 1991. – S. 108–111: »Else Lasker-Schüler«. Der Beitrag war 1969 in den »Neusten Nachrichten« erschienen.

Eine »hebräische Seele«. Persönliche Erinnerungen an Else Lasker-Schülers Jerusalemer Jahre. In: Allgemeine jüdische Wochenzeitung. Jg. 50, Nr. 1 vom 12. Januar 1995. S. 8.

Bendkower, Sigmund

Else Lasker-Schüler und der Schuster Friedel. Aus meinem Jerusalemer Notizbuch. In: Neue Zürcher Zeitung. Jg. 208, Nr. 85 vom 11./12. April 1987. S. 65 f. (»Literatur und Kunst«). – Über Else Lasker-Schülers Leben in Jerusalem: »Ich war ihr, ohne zu wissen, wer sie war, gelegentlich auf einer Jerusalemer Strasse begegnet, wenn sie seltsam und skurril, in phantastische Kleider gehüllt, offensichtlich geistesabwesend, wenn nicht gar gestört, irgendeinem oder keinem Ziel entgegenschlurfte. Nicht selten wurde sie von Kindern verfolgt, die ihr spöttisch ›Verrückte‹ nachriefen. Das schien den Nagel auf den Kopf zu treffen. Sie gehörte jener Galerie von bizarren Gestalten an, die, von der Zeitgeschichte materiell und psychisch aus der Bahn gerissen, damals die Strassen von Jerusalem bevölkerten. / Es war im Winter 1944/45, und ich war gerade, aus bestimmten Gründen frühzeitig, aus dem Kriege nach Jerusalem heimgekehrt. Die sonderbare Greisin war mir unbekannt. / Dann war ich ihr zum erstenmal beim Schuster Friedel begegnet, mit dem sie allen Anzeichen nach befreundet war. Noch ahnte ich nicht, mit wem ich es zu tun hatte. / […] / Sein Geschäft befand sich in der Nähe der Ben-Jehuda-Strasse, und man musste einige Stufen hinabsteigen, um sofort in die Werkstatt zu gelangen. Friedel sass inmitten eines Berges von Schuhen, ringsum von Stellagen umgeben, auf denen Haufen weiterer Schuhe auf die Reparatur warteten. Neben der Tür befand sich eine einfache Holzbank. Auf meinen damaligen Irrwegen in eine ungewisse Zukunft machte ich manchmal bei ihm, einem ehemaligen Nachbarn, eine kurze Rast. / Und dann erschien eines regnerischen Wintertages jene fremdländische, wie ein exotisches Wesen anmutende Greisin in der Tür, und es geschah etwas Seltsames: Bei ihrem Anblick trat bei Friedel eine geradezu unglaubliche Wandlung ein. Er legte seine Arbeit aus der Hand, in sein Gesicht trat ein Ausdruck grosser Ehrerbietung, und er erhob sich schwerfällig, doch mit ausgesuchter Zuvorkommenheit, trat über einen Berg von Schuhen und ging ihr mit ausgestreckten Händen entgegen. […] / […] Bei ihrem Eintritt hatte ich mich erhoben und starrte sie gebannt an. Zum erstenmal hatte ich Gelegenheit, sie eingehend aus der Nähe zu betrachten. Sie erschien mir wie eine phantastisch vermummte Gestalt aus einer seltsamen Geschichte. / Auf dem Kopf trug sie einen altmodischen breitrandigen Hut, den sie mit einem Schleier von fliederfarbener Tönung umwickelt hatte. Darunter hingen graue zottige Haarbüschel herab. Über die Schultern hatte sie ein altes, abgeschossenes Tuch gelegt, das den zerschlissenen schwarzen Seidenmantel teilweise verdeckte. Sie trug graue abgewetzte Männerhosen und schiefgetretene Schuhe. / Ihr Gesicht sah zerfurcht und verwüstet aus, mit eingefallenen Wangen und einer spitz hervorspringenden Nase. / […]«

Berger, Ludwig • (1892–1969). Regisseur und Filmproduzent. – Quellen: Wikipedia; Akademie der Künste, Berlin (Ludwig-Berger-Archiv).

Wir sind vom gleichen Stoff aus dem die Träume sind. Summe eines Lebens. Tübingen: Rainer Wunderlich Verlag Hermann Leins, 1953. – S. 140 f.: Über eine Begegnung mit Else Lasker-Schüler in Berlin (1920). Ludwig Berger berichtet von seinem Versuch, mit Else Lasker-Schüler ein Gespräch über Carl Zuckmayers Schauspiel »Kreuzweg« zu führen, das am 10. Dezember 1920 in Berlin uraufgeführt wurde: »Damals geisterte Else Lasker-Schüler auf immer schiefen Sohlen durch die Straßen der Großstadt. Sie nannte sich Prinz von Theben und trug ihre eigene, wundersame Welt im Auge, Heimaterinnerung an Ruhr und Wupper. Ihr drückte ich eines Nachmittags das Zuckmayer’sche Stück in die Hand, auf das ich fast so stolz war, als ob ich es selbst geschrieben hätte: ›Lesen Sie doch, ob das nicht Dichtung ist?‹ Sie stand an der langen Bücherwand meiner Bibliothek und sah ohne Neugier in das Buch. Ich hatte ihr eine Stelle aufgeschlagen, von der ich sicher glaubte, daß sie der Dichterin gefiele. Sie handelte von Tieren. Der im Krieg gefallene, von uns verehrte Franz Marc hatte als Soldat auf Feldpostkarten seine schönsten Tierzeichnungen an Else Lasker geschickt. Man konnte diese winzigen Kunstwerke im ehemaligen Kronprinzenpalais ausgestellt sehen, Wunder von Farbe und Form. […] Zürnend sah mir die plötzlich ältliche ›Wupper-Rose‹ ins Gesicht: ›Ein Dichter sagt nicht ‚azur‘, ein Dichter sagt ‚blau‘!‹« Die von Else Lasker-Schüler beanstandete Stelle lautet: »Dann wieder schreiten vor weidender Herde / Frühlichtumbrandet – die blauen Pferde – / Auf ihren breiten, glänzenden Flanken / Spiegeln die Himmel azurene Flut«.

Birkenfeld, Günther

Die Nacht hinter dem Alex. Berliner Schattenrisse II. In: Sie (Berlin). Jg. 4, Nr. 12 vom 20. März 1949. S. 7. – Erinnerungen an Else Lasker-Schüler in Berlin: »Eines Tages wurde Else Lasker-Schüler aus dem ›Café Größenwahn‹ verwiesen, weil sie nicht genug verzehrt hätte, und siedelte in das ›Romanische‹ über. Dergleichen war in den Zeiten vor dem ersten Weltkrieg ein solches Ereignis, daß sogar eine Chicagoer Zeitung ihre Verwunderung aussprach. Die Ausgewiesene selbst schrieb darüber an einen Freund: ›… ich war gerade im Begriff, meine zweite Bestellung zu entrichten, Schokolade mit Sieb (da ich die Haut nicht mag), als Herr Café-des-Westens aus einer Ecke auf mich Lesende losstürmte und rief: ‚Es geht nicht an, daß Sie hier sitzen bleiben, ohne etwas zu verzehren!‘ Neben mir saß mein Reichskanzler Bisam O. Er ist feig, aber seine rosa Haare standen Hügel, wurden brandrot und sprühten Feuer. Dann kamen hintereinander meine verehrten Freunde, die Häuptlinge, und die Schlacht begann.‹ / Den ›Reichskanzler Bisam O.‹ habe ich nicht mehr kennengelernt. Richard Dehmel hieß: der Waldfürst. Karl Kraus: der österreichische Kardinal. Gottfried Benn: der Lateiner. Der bewunderte Herzbruder und westfälische Landsmann Peter Hille war: Petron, der Fels. Ich selbst erinnerte die ständig nach Wesensbildern Trachtende an einen schwedischen Filmschauspieler – für ihr Leben gern ging sie in den ›Kientopp‹ – und war seitdem: der Schwede. […] Das mag die Spannweite andeuten dieser Dichterin mit dem ›verwanderten Gesicht‹, die so unbezähmbar verliebt war in alles Lebendige. / So unbezähmbar, daß sie ›lieber Menschenfresser werden als Nüchternheit wiederkäuen‹ wollte. Sie krankte am herkömmlich Alltäglichen und verabscheute es, irgend etwas als gewohnt hinzunehmen. ›Was ich tue, wird zur Eigenschaft und gähnt mich an.‹ In diesem Sinne erschien ihr, tiefer gedacht, das ›Abendland als eine kühle Formel‹, wachträumte sie sich in morgenländische Farbenglut, wollte sie auch in jede graue berlinische Stunde eine Szene aus dem Wunderteppich des Lebens beschwören. / Sie duldete nicht, daß die Menschen, die Erscheinungen und Begebnisse in der Zwangsjacke der Wirklichkeit, im abgetragenen Straßenanzug, im Mechanismus des Vollzuges gefangen blieben, sie befreite sie durch ihre verwandelnde Deutung. / Sooft ich ihr Vogelbauerzimmer betrat, rief sie mir, die persische Mütze unternehmungslustig schräg über das strähnige schwarze Haar stülpend, schon zur Tür hin entgegen: ›Schwede, wo weiden wir heut? Was tun wir gegen den toten Fisch in unseren Herzen?‹ Manchmal aber saß sie auch in tauber Melancholie am Fenster und deutete nur auf den winzigen Käfig aus mattblauen Holzstäbchen, in dem ein farbloser Glasvogel hockte mit einem rubinroten Herzen. Seit dem Tode ihres Sohnes Paul, der unter den Händen der Mutter in der Schweiz, kaum zwanzigjährig, an Lungentuberkulose dahingesiecht war, fand ich sie oft ganz verbittert von Traurigkeit. Man mußte dann sehr behutsam ihre Gedanken in eine Richtung lenken, in der die eingeborene Begierde nach Verwunderung und Entzückung wieder wachgelockt wurde. / Nur eines konnte die wahngesichtige Traurigkeit wie aber auch die Schaubegierde nach der Jahrmarktsbude des Lebens völlig vergessen machen: das Gespräch von Gott. Dann war sie still und voller Frieden. Mit ihrer verschleierten Stimme stellte sie bis tief in die Nacht hinein Fragen, auf die sie keine Antwort erwartete. / Gingen wir aus, so wußten wir beide, ohne daß jemals eine Verständigung erfolgte, daß wir die Insel der Fragen verließen und dem Ozean der Zeitlichkeit uns anvertrauten, zum Abenteuer der Augen und zu manchen ›Ulkiaden‹. […]«

Blumenthal-Weiss, Ilse

Begegnungen mit Else Lasker-Schüler, Nelly Sachs, Leo Baeck, Martin Buber. Privatdruck für die Freunde der Women’s Auxiliary des Leo Baeck Instituts New York, 1977. – Vortrag, gehalten in New York am 25. Oktober 1976.

Bondy, François • (1915–2003). Publizist. – Quellen: Historisches Lexikon der Schweiz; Wikipedia.

Mein dreiviertel Jahrhundert. Erinnerungen, Begegnungen, Portraits. Hg. von Iso Camartin. Zürich: Ammann Verlag, 1990. – S. 28: »Erst heute, wo ich über frühes Leben reminisziere, denke ich daran, wie viele Schriftsteller und Künstler im Umkreis von Lugano lebten, zwischen Porza und Montagnola – Ascona war kaum im Blickfeld. Hermann Hesse, Schmidtbonn – ist er noch bekannt? –, Bergengruen. Den Brief, mit dem eine Dichterin, deren Sohn nahebei im Sanatorium lag, ihren Besuch ankündigte, besitze ich noch. Er beginnt ›Ich bin leider Else Lasker-Schüler.‹« Der Brief dürfte an den Vater Fritz Bondy gerichtet sein.

Brecht, Bertolt

Eintrag Bertolt Brechts im Tagebuch:

München, »Montag, 21. – Samstag, 26.« Juni 1920: »Ende der Woche höre ich die Else Lasker-Schüler lesen, gute und schlechte Gedichte, übersteigert und ungesund, aber im einzelnen wunderschön. Die Frau ist alt und abgelebt, schlaff und unsympathisch.« (Bertolt Brecht: Journale 1. 1913–1941. Bearbeitet von Marianne Conrad und Werner Hecht unter Mitarbeit von Herta Ramthun [Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Hg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei, Klaus-Detlef Müller. Bd. 26]. Berlin und Weimar: Aufbau-Verlag, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1994. S. 122.) – Zu einer Lesung im Steinickesaal.

Castonier, Elisabeth • (1894–1975). Schriftstellerin. – Quelle: Wikipedia.

Stürmisch bis heiter. Memoiren einer Außenseiterin. München: Nymphenburger Verlagshandlung, 1964. – Über Else Lasker-Schüler 1933 in Berlin, kurz vor ihrer Flucht in die Schweiz (S. 223): »Wenige Tage später erzählte mir mein Freund, der Schalterbeamte Nitsche, in seinem kleinen Postamt, daß Else Lasker-Schüler dort erschienen wäre. Sie hätte einen Revolver gezogen, um sich zu erschießen, aber er war über den Schaltertisch gesprungen, hatte ihn ihr entrissen und gut zugeredet. ›Denn so ne wunderbare Dichterin muß am Leben bleiben‹, erklärte er.«

Cohn, Charlotte (Lotte) Recha

In ihren Erinnerungen (Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum Archiv, Nachlass Lotte Cohn) berichtet Lotte Cohn über einen Besuch Else Lasker-Schülers in Tel Aviv: »Wer sagt ›nein‹, wenn man Else Lasker-Schüler beherbergen darf?! Diese Nacht überstieg allerdings meine Kräfte – um 3 Uhr nachts hatte ich den Mut, ihr zu sagen, ich müsse jetzt schlafen gehen. Bis dahin hat sie mir erzählt, wie ihr ein Engel begegnet sei – sie fragte, ob mir das auch einmal passiert sei + als ich verneinte, fing sie an zu erzählen. Leider gab es damals noch keinen taperecorder, es war natürlich ein ganz wundervolles Märchen oder Gedicht, durch mehrere Stunden. Aber leider habe ich nichts davon behalten. Im Grunde hatte ich das Gefühl, mit einer Geisteskranken zusammen zu sein + bin auch heute noch überzeugt, daß sie eine war. Was nicht hindert, daß sie eine große Dichterin war. Helga Caro bestätigte mir dies, sie kannte sie natürlich viel besser + war jahrelang an diese Freundschaft gewöhnt.« (Zitiert nach Ines Sonder: Lotte Cohn. Baumeisterin des Landes Israel. Eine Biographie. Berlin 2010. S. 108.)

Cohn, Emil Moses • (Pseudonym: Emil Bernhard[-Cohn]) (1881–1948). Rabbiner und Schriftsteller.

Geschichten um Else Lasker-Schüler. In: Aufbau (New York). Jg. 11, Nr. 6 vom 9. Februar 1945. S. 8.

Cymbalist, Nehemia • (später: Nehemia Zori [Tsori]) (1902–1991). Archäologe.

Else Lasker-Schülers Zimmer. In: Jüdischer Almanach 2001/5761 des Leo Baeck Instituts. Hg. von Anne Birkenhauer. Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2000. S. 151 f. – Hebräisches Manuskript vom 24. Februar 1942, übersetzt von Itta Shedletzky. Zuerst veröffentlicht in: Else Lasker-Schülers Jerusalem. Eine Chronik aus ihrem Nachlaß. Ausstellung. Anläßlich des 50. Todestages der Dichterin. [Bearbeitet von] Itta Shedletzky. Jerusalem: Hebräische Universität Jerusalem, 1995. S. 121 f. (auf S. 76 Faksimile der Vorderseite des Blattes).

Döblin, Alfred

Am 8. Januar 1948 schreibt Alfred Döblin aus Baden-Baden an Kete Parsenow: »Ich erinnere mich noch sehr genau Ihrer aus jener längst vergangenen Zeit, aus der Gesellschaft mit K. Kraus und Else Lasker Schüler in Berlin. Es waren schöne und fruchtbare Zeiten. Ich glaube, es war so um 1910 oder etwas früher. Was die Lasker Schüler anlangt, so sprach ich sie selbst 1933 in Zürich. Sie war völlig die Alte. Dann verlor ich sie aus den Augen, und was ich weiss, stammt nur aus den Zeitungen. Es war logisch und darüber hinaus schön, dass sie sich dann nach Palästina zurückzog, und es gehört zu ihr, dass sie in dieser Erde ruht. Ich habe mich für die Zeitschrift ›Das Goldene Tor‹, die ich hier herausgebe, bisher vergeblich bemüht, Gedichte oder sonstiges Material von ihr zu erhalten, um ihrer in der Zeitschrift gedenken zu können, und den Leuten, die nichts von ihr wissen, etwas zu geben.« (Zitiert nach »Du bist dunkel vor Gold«. Kete Parsenow und Karl Kraus. Briefe und Dokumente. Hg. von Friedrich Pfäfflin [Bibliothek Janowitz. Hg. von Friedrich Pfäfflin (Bd. 19)]. Göttingen: Wallstein Verlag, 2011. S. 213 f.) Von Mischka Kruse-Aust (d. i. Michaela Schnarrenberger) erschien in »Das goldene Tor« der Beitrag »Die Dichterin Else Lasker-Schüler« (Jg. 4 [1949], H. 2. S. 107–116).

Autobiographische Schriften und letzte Aufzeichnungen. Hg. von Edgar Pässler (Ausgewählte Werke in Einzelbänden. Begründet von Walter Muschg †. In Verbindung mit den Söhnen des Dichters hg. von Anthony W. Riley). Olten und Freiburg im Breisgau: Walter-Verlag, 1980. – S. 466: »Früh lernte er [Herwarth Walden], der sich in vielen Kreisen bewegte, auch in literarischen, die bildschöne junge Frau des Arztes Lasker kennen. Sie führte eine unglückliche Ehe, Walden befreite sie daraus und heiratete sie, und ihr kleiner Sohn, Paulchen, ging mit ihr. Sie wohnten in der Joachimsthalerstraße, das Ehepaar Walden. Walden, mit seinem Spürtalent, hatte die große Begabung der jungen Frau erkannt, aber ihr Temperament, wie mir scheint, nicht mit derselben Sicherheit. Ich wohnte heftigen Szenen zwischen den beiden bei. Sie war leidenschaftlich und unbändig. Es hat lange gedauert, bis sie sich trennten, und das kam so: einmal fuhren die beiden, Kurtchen und Walden, nach Schweden, wo Waldens Schwester verheiratet war, und sie lernten dort eine schöne junge Dame kennen, von der sie beide nach der Rückkehr viel sprachen. Und eines Tages zeigte sich diese junge Dame, die Schwedin, in Berlin vor dem Café des Westens und wartete, wie man sagte, auf das schöne Kurtchen. Er war wirklich um diese Zeit ein sehr ansehnlicher, schlanker junger Mann mit einem gut geschnittenen dunklen Backenbart. Kurtchen bewegte sich zwischen vielen und wechselnden Liebesaffären, und um diese Zeit war er besonders stark beschlagnahmt und kam wenig ins Café. Aber Herwarth Walden zeigte sich wie gewöhnlich, und so lernte sie ihn näher kennen, er hängte sich an sie, und sie an ihn, und sie haben geheiratet, nach furchtbaren Auseinandersetzungen zwischen Walden und der Lasker-Schüler. Das Hauptquartier der jungen künstlerischen Bewegung, die sich um Walden gebildet hatte, wurde nun nach der Potsdamerstraße verlegt. Hier arrangierte er auch seine Bilderausstellungen und die Redaktion der Zeitschrift ›Der Sturm‹.« S. 472: »Die Lasker-Schüler sah ich noch einmal auf der Flucht 1933 in Zürich. Sie landete glücklich dort, wohin sie wollte, in Palästina, und sie starb, nachdem schon vorher in Europa ihr einziger Sohn, Paulchen, dahingegangen war. Ich sah ein Photo ihrer Totenmaske. Erst schienen es mir Züge einer Hexe zu sein, dann erkannte ich in dem armseligen eingeschrumpften Gesicht den Ausdruck der Verzückung.«

Durieux, Tilla

Eine Tür steht offen. Erinnerungen. Berlin: Herbig, 1954. – S. 122–124: Porträt Else Lasker-Schülers: »[…] Eines Tages äußerte Else den Wunsch, das elegante Nachtleben Berlins kennenzulernen. Sie war zu dieser Zeit schon von ihrem Mann getrennt und recht unternehmungslustig geworden. Sie wollte nun durch die ›schicken‹ Vergnügungslokale des nächtlichen Berlins streifen, um Eindrücke zu sammeln. Da sie immer wieder betonte, es müsse elegant bei diesem Ausflug zugehen, zogen wir uns Abendkleidung an und erschraken nicht wenig, als sie uns am verabredeten Treffpunkt mit einer roten langen Russenbluse entgegentrat. Auf dem Kopf trug sie einen türkischen Fez, um die Schultern geworfen ein Reiseplaid und in der Hand eine kleine Reisetasche. Ich wollte sofort umkehren, aber sie erklärte uns, sie wolle als ›exotische Reisende‹ auftreten und würde nicht deutsch sprechen, obwohl sie keine andere Sprache beherrschte. P. C., [d. i. Paul Cassirer] zuerst etwas verdutzt, setzte eine belustigte Miene auf, und so zogen wir mit unserer ›Reisenden‹ los, die nur im Geheimen mit uns sprach und sich sonst durch Worte wie: ›Gurri-murri, schnarri-darri‹ mit uns verständigte. So ging es zur Erheiterung der Gäste und Kellner durch alle bekannten Nachtlokale, und Else war hochbeglückt und fest überzeugt, als ›Fremde von Distinktion‹ gewirkt zu haben … […]« – Neuausgabe: Meine ersten neunzig Jahre. Erinnerungen. Berlin: Henschelverlag, 1980. S. 150–152.

Edschmid, Kasimir

Lebendiger Expressionismus. Auseinandersetzungen, Gestalten, Erinnerungen. Mit 31 Dichterporträts von Künstlern der Zeit. Wien, München, Basel: Kurt Desch, 1961. – S. 252: »Däubler las in vielen Städten aus seinen Gedichten vor. Rhythmisch wohl, aber monoton. Dadurch aber die Sensibilität für die Aufnahme der Gedichte aufs höchste anspannend. Wie hinter einem geheimnisvollen Vorhang. Sichtbar und doch verhüllt. Körperlich wie ein in sich zusammengesunkener Berg. Halslos. Nur Kopf. Wie ein Ätna mit eingestürztem Krater, über dessen Rand die silbernen Lavaströme fließen. Ich weiß nicht, ob die Zuhörer der naiven Kategorie von den schwer eingehenden langen Strophen gelangweilt oder hingerissen waren. Er war im Vorlesen das Gegenteil der Lasker-Schüler, Hasenclevers und Werfels, die, sich exponierend, schrien und sich zerwühlten. Er war versunken in sich, die Augen geschlossen, in schwerem Tagtraum.«

Faesi, Robert • (1883–1972). Schriftsteller und Germanist. – Quellen: Historisches Lexikon der Schweiz; Wikipedia.

Erlebnisse – Ergebnisse. Erinnerungen. Zürich: Atlantis Verlag, 1963. – Über eine Begegnung mit Else Lasker-Schüler 1919 in Zürich (S. 224): »Unter den fremdartigen Vögeln ist etwa der Prinz von Theben zu nennen, zu welcher Würde sich Else Lasker-Schüler aus dichterischer Machtvollkommenheit selber ernannt hatte. Sie nistete in einem dreieckigen Zimmerchen des Elite-Hotels, bescheidene Unterkunft für Ihre Hoheit! Eine echte Dichterin, nicht zu bestreiten. Aber neben ihrer altorientalisch sprühenden und glühenden Poetenseele hatte in dem kleinen Persönchen doch auch eine moderne Großstadtliteratin Platz, und Naivität und Schauspielerei war schwer auseinanderzuhalten, wenn sie einen in der ersten Viertelstunde schon um Rat für ihre Liebes- und Lebensnöte anging.«

Feuchtwanger, Marta • (geb. Löffler) (1891–1987). Die Frau des Schriftstellers Lion Feuchtwanger (1884–1958).

Nur eine Frau. Jahre – Tage – Stunden. München und Wien: Langen Müller, 1983. – Über eine Begegnung mit Else Lasker-Schüler zu Beginn des Ersten Weltkriegs (S. 96): »Eines Nachmittags – wir wollten uns gerade auf dem Spirituskocher Tee zubereiten – klopfte es ungestüm an die Türe, und noch ehe wir etwas sagen konnten, stürzte eine Frau in mittleren Jahren herein, mit brennenden Augen und zerzausten Haaren: ›Ich bin Else Lasker-Schüler. Sie müssen mir helfen.‹ Lion, verwirrt und verlegen, bat sie, mit uns Tee zu trinken, doch sie antwortete heftig: ›Ich sehe schon, Sie suchen nach Ausflüchten‹, und stürzte wieder hinaus. Das war unsere einzige Begegnung mit der wunderbaren Dichterin. Lion hätte ihr gern geholfen, doch war er zu ungeschickt und schüchtern. Er sagte: ›Auch zum Helfen braucht man Courage.‹«

Ficker, Ludwig von • (1880–1967). Schriftsteller. – Quelle: Forschungsinstitut Brenner-Archiv (Nachlass Ludwig von Ficker).

Die religiöse Bedeutung der Dichterin Else Lasker-Schüler (1950). In: Else Lasker-Schüler: Dichtungen und Dokumente. Gedichte, Prosa, Schauspiele, Briefe, Zeugnis und Erinnerung. Ausgewählt und hg. von Ernst Ginsberg. München: Kösel, 1951. S. 606–609.

Frühlicht über den Gräbern. (Zur Geschichte des »Brenner«.) In: Der Brenner. 18. Folge (1954). S. 225–269. – S. 259–261: Charakterisierung Else Lasker-Schülers. Ludwig von Ficker schreibt: »Wer aber aus den Erfahrungen der letzten Zeit nicht blind – oder noch blinder, als er schon vorher gewesen sein mochte – hervorgegangen ist, der kann, was sich im Kleinen wie im Großen, im Guten wie im Bösen auf dem Schicksalsboden abendländischer Entscheidungen begibt und begab, nicht einfach als fatale Zwangsläufigkeiten ansehen und als zwei- oder mehrdeutig bagatellisierbare Verhängnisse schließlich auf sich beruhen lassen. Und so werden sich vielleicht doch da und dort noch einige Erleuchtete zusammenfinden, denen es zu denken gibt, daß diese Dichterin, die immerfort von einem seltsamen Geist der Hellsicht und Voraussicht, einem wahren Quälgeist aufflammender Trostbedürfnisse im alten Unruhherzen ihrer jüdischen Heilserwartung ergriffen war, dem Klangkörper der deutschen Sprache, ihrer Heimatsprache, im Aufquellen und Verströmen ihrer Liebeslyrik noch ein wahre Wunderweise eigen hinsinnender Hoher Lied-Erinnerung anvertrauen durfte, ehe sie, in ihre und in unser aller Urheimat entrückt, am Ölberg ihre letzte Ruhestätte fand.«

Denkzettel und Danksagungen. Aufsätze, Reden. Hg. von Franz Seyr. München: Kösel, 1967. – S. 166–169: »Zur religiösen Bedeutung der Dichterin Else Lasker-Schüler«. Der Beitrag war 1951 in »Dichtungen und Dokumente« erschienen.

Fischer, Grete • (1893–1977). Schriftstellerin und Verlagslektorin.

Dienstboten, Brecht und andere. Zeitgenossen in Prag, Berlin, London. Olten und Freiburg im Breisgau: Walter-Verlag, 1966. – S. 133–140: Porträt Else Lasker-Schülers. Grete Fischer schreibt unter anderem: »Ich weiß nicht, ob ich ihre Gedichte gelesen hatte, als Kestenberg sie mit einer gewissen Reverenz in mein Zimmer brachte. Sie muß damals etwa dreiundvierzig Jahre alt gewesen sein, wirkte ›älter‹, weil ich vierundzwanzig war – welkende Haut, leicht gebückt, etwas schlurfender Gang. Sie hatte allerdings auch Schuhe, die ihr nicht paßten. Sie trug eine Samtjacke, dazu starkfarbige Röcke und Blusen und eine Menge billigen Glasschmuck, der damals keineswegs Mode war. Halblanges, glattes, gescheiteltes Haar, tiefschwarz wie die herrlichen großen Augen, die das schmale Gesicht beherrschten. Sie hatte einen häßlichen, schlappen Mund mit dünnen Lippen, die sie zu oft ärgerlich oder schmollend vorschob. Ihr Blick – klar, kritisch, klug – war Leben. […] Als ich 1923 eine Vorlesung in Prag für sie arrangieren konnte und sie in meinem Elternhaus zu Gast war, entzückte sie meine kritische Mutter nicht nur durch die Liebenswürdigkeit, mit der sie meinen kleinen Bruder bezauberte, sondern auch durch ihre musterhafte gesellschaftliche Haltung. Ich hatte, um Schwierigkeiten vorzubeugen, allerhand Schnurren von ihr erzählt und um Nachsicht für etwaige Unregelmäßigkeiten gebeten, aber Lasker-Schüler strafte mich in allem Lügen. Als sie zur Vorlesung, wie immer in tadellosem schwarzen Frack, mit gebürstetem Scheitel, aufrecht und beinahe ehrfurchtgebietend auf dem Podium erschien, geriet die versammelte Familie sofort in ihren Bann, und nach der Vorlesung fiel man gemeinsam über mich her, weil ich die Dichterin verleumdet hatte. […]«

Frank, Rudolf • (1886–1979). Schriftsteller, Dramaturg, Regisseur und Theaterkritiker. – Quelle: Wikipedia.

Spielzeit meines Lebens. Heidelberg: Lambert Schneider, 1960. – S. 367 f.: Über eine Begegnung mit Else Lasker-Schüler 1938 in Zürich. Rudolf Frank schreibt: »Die erste Bekannte, der ich dort begegnete, war die orphische Dichterin Else Lasker-Schüler. Seit meiner Anfängerzeit in Berlin hatte ich sie nicht mehr gesehen, allein die Augen in ihrem altgewordenen Gesicht glühten noch ebenso heiß, noch immer fühlte sie sich als Tochter Zions, als Prinz von Theben und als Indianer.«

Fürnberg, Louis • (1909–1957). Schriftsteller und Kulturpolitiker.

Der Briefwechsel zwischen Louis Fürnberg und Arnold Zweig. Dokumente einer Freundschaft. Hg. im Auftrag der Akademie der Künste der Deutschen Demokratischen Republik von Rosemarie Poschmann und Gerhard Wolf. Berlin und Weimar: Aufbau-Verlag, 1978. – S. 225–231: »Kleines Blatt der Erinnerung. Zu Arnold Zweigs siebzigstem Geburtstag« (aus der Festschrift »Arnold Zweig zum 70. Geburtstag« [1957]). S. 228: »Zum Glück gab es den Jerusalem-Book-Club, eine freie Vereinigung von Antifaschisten, wo man jede Woche einmal zu Vorträgen und Diskussionen zusammenkam. Zweigs waren öfter unsere Gäste. Beate Zweig, die nicht nur eine gute Malerin, sondern auch eine gute Sprecherin ist, las aus den Manuskripten ihres Gatten, während er mit lauschend geneigtem Kopf neben ihr saß, sichtlich erfreut und mit sich zufrieden. Oder er hielt uns seine improvisierten klugen Reden, deren Thematik so unbegrenzt war wie der Flug seines Geistes. Einmal, nach Vollendung seines Romans ›Das Beil von Wandsbek‹, gab man zu seinen Ehren einen kleinen Empfang. Was dem ein wenig düsteren Hinterzimmer des schäbigen Gasthauses, wo er stattfand, an äußerem Glanz abging (und es war so ziemlich alles), ersetzte Wärme und verehrungsvolle Zuneigung. Die Frauen der Clubmitglieder hatten mit rührendem Fleiß und nach wunderbaren Versuchen, die schmalen Lebensmittelrationen ihrer Familien zu strecken, Küchlein gebacken und bescheiden belegte Sandwichs gestiftet. Reden wurden gehalten. Auch Martin Buber meldete sich, dem Zweigs Sympathien für die Kommunisten wenig behagten und der über die ›Verpflichtung dem Lande gegenüber‹ meditierte, worüber sich Zweig recht erheiterte. Else Lasker-Schüler, die meinte, Buber hilfreich beispringen zu müssen, rief plötzlich über alle Köpfe hinweg in schrillem Diskant: ›Herr Zweig! Glauben Sie an Gott?‹, worauf ihr Zweig zu aller Erbauung beruhigend erwiderte: ›Meine Gute, darüber reden wir ein andermal.‹«

Das Jahr des vierblättrigen Klees. Skizzen, Impressionen, Etüden. Aus dem Nachlaß hg. von Lotte Fürnberg, Kuba und Gerhard Wolf. Berlin und Weimar: Aufbau-Verlag, 1967. – S. 154–160: »Erinnerungen an Else Lasker-Schüler«: »[…] 1941 kamen wir nach Palästina. Wir hörten, die Lasker-Schüler sei da. Als ich das erstemal nach Jerusalem kam, schickte ich ihr Blumen. Durch eine gemeinsame Bekannte ließ sie mich zu sich rufen. Sie wohnte in einem unsagbar armen und trübsinnigen Hotelzimmer, düster und bar und schmutzig. Als ich bei ihr war, saß sie auf dem Bettrand, ich auf dem einzigen Sessel ihr gegenüber. Sie sprach, klar und verwirrt, beides. Immer in Bildern, immer abwesend. Sie spielte gar keine Komödie, sie war die Zauberin. Sie sah aus wie auf den tausend Selbstbildnissen, die sie von sich gemalt hatte. Der Prinz von Theben. Oft liebte sie es, sich so zu nennen. Sie sprach auch von ihrem Jungen. Oder von ihrer Einsamkeit. ›Ach Gott, wie einsam ich oft bin. Besonders am Sabbat-Abend. Dann irr ich in den Gassen, und keiner will mir aufmachen.‹ Sie sagte kluge Dinge und verwirrte, sie redete von Generälen und von Gespenstern, die sie nachts heimsuchten. Es war erschütternd, sie anzusehen, wie sie so in einer ewigen Trance vor einem saß und wie eine dunkle Quelle vor sich hin sprudelte. / Übrigens war ich ihr gar nicht geheuer. Als wir später in Jerusalem lebten, mochte sie mich gar nicht. Sie trat in einem Blumengeschäft auf mich zu und sagte: ›Gehen Sie sogleich hinaus. Sie haben böse Augen.‹ Einmal, als sie mich in ein Kaffeehaus geladen hatte und ich mit meinem kleinen Jungen ankam, spielte sie mit uns Tischrücken. Wir waren der Tisch, den sie rückte, wie es ihr gefiel. Es war ein sehr böses Spiel, und es empörte mich. Wie dumm ich war. / Eines Abends gingen wir in einen kleinen Privattempel, dort las sie aus ihren Gedichten und Geschichten. Wie wunderbar das war, wie wunderbar ihre dunkle Stimme von irgendwoher. Sie las eine ihrer ›Hebräischen Balladen‹ und hielt ein kleines Glöckchen in der Hand, mit dem sie ganz leise klingelte. Sie las auch aus den ›Wuppern‹. Wie merkwürdig das war in dem kleinen, weißgetünchten heiligen Saal. / Ich traf sie in der Buchhandlung eines Berliner Journalisten, den es nach Jerusalem verschlagen hatte. Er war übrigens ein verschlagener Mensch, also hatte es ihm nichts an. Er feilschte und machte trübe Geschäfte. Den Privatdruck des ›Blauen Klaviers‹, dieser letzten Gedichte Else Lasker-Schülers, hatte er geschäftsmäßig besorgt. Sie klagte sehr. Das Büchlein wolle niemand kaufen, aber sie müsse doch dem und diesem etwas schenken für das Geld, das es zu tragen habe, das Buch. […]«

Galliner, Paula Ali • (geb. Wiesenfelder) (1896–1971). Journalistin. Sie war mit dem Lehrer, Kunsthistoriker und Maler Arthur Galliner (1878–1961) verheiratet.

Poetess of the »Hebraic Melodies«. A Tribute to Else Lasker-Schüler. In: AJR Information (London). Jg. 10, Nr. 8 vom August 1955. S. 4.

Gidal, Sonia • (geb. Epstein) (geb. 1922). Fotoreporterin und Kinderbuchautorin. Sie reiste 1938 von Berlin über Triest nach Palästina und lebte von 1940 bis 1947 als Fotografin in Jerusalem, später in den USA und in der Schweiz. Sonia Gidal war von 1944 bis 1970 mit dem Fotojournalisten Tim N. Gidal (1909–1996) verheiratet. – Künste im Exil: Else Lasker-Schüler 1944 in Jerusalem, fotografiert von Sonia Gidal.

Aus dem Tagebuch von Sonia Gidal (abgerufen von »ticinARTE.ch« am 21. Dezember 2018, nicht mehr online): »Das Jahr 1942 – Jerusalem, Palästina. Ich bin 28 [!] Jahre alt. Es ist ein sehr heisser Sommer. Die grosse Dichterin sitzt allein an einem kleinen Tisch am Fenster in einem Jerusalemer Cafehaus. Sie sitzt dort oft. Sie hat eine weisse Matrosenmütze auf, den gelbweissen Schirm tief ins Gesicht gezogen. Sie bestellt eine Tasse Kaffee. ›Aber heiss‹, ruft sie. / Ich sitze einige Tische entfernt und trinke gekühlten frischen Orangensaft. Die Dunkelkammer, in der ich viele Photos ausarbeite, liegt im kalten Keller eines Hauses um die Ecke. Ich mache immer eine Pause, entfliehe der gelblichen Glühbirnen-Dunkelheit und tausche die Kellergruft gegen die glühende Hitze, den Wüstenwind und die grelle Sonne des späten Vormittags ein. Das Cafe ist meistens leer um diese Zeit. ›Wieder keinen Zucker‹, höre ich die Lasker-Schüler vor sich hinmurmeln, ›diesen schlechten Kaffee und dann noch keinen Zucker!‹ / Ich habe immer Stückenzucker seit der Rationierung in meiner Tasche. Ich bekomme ihn von einer mütterlichen Freundin, die gute Beziehung zum Britischen Einkaufszentrum des Militärs hat. Es ist ja schon über ein Jahr Krieg in der Welt! Die Kiste mit Stückenzucker steht unter Irenes Sofabett. Sie ist immer sehr freigebig allen ihren guten Freunden gegenüber. Sie greift unters Sofabett und gibt eine Handvoll! / ›Darf ich Ihnen zwei Stück Zucker geben? Ich habe noch mehr‹, sage ich und gehe an ihren Tisch heran. / Die Lasker-Schüler sieht mich forschend an – nach einer Weile sagt sie: ›Sie sind ein Engel‹, ihre dunklen Augen strahlen, ›setzen Sie sich doch zu mir!‹ Ich holte mir meinen Orangensaft und setzte mich zu ihr. / Die Lasker-Schüler fragte mich in knappen Sätzen, was ich mache und woher ich komme. Ich antwortete: ›Angehende Photoreporterin.‹ Die zweite Frage beantwortete ich zögernd: ›Berlin‹, und hoffte, sie würde nicht weiter fragen. Ich hatte ja meine Familie im Feindesland – ich erwähnte es fast nie hatte Angst vor den Reaktionen der Menschen in Jerusalem – das Trauma der blutsgemischten Familie – Juden und Christen! Sie aber, als sie ›Berlin‹ hörte – flüsterte ganz leise: ›Meine Liebe – meine ganz grosse heimliche Liebe, Kind! Höre – Liebe ist das Wichtigste im Leben!‹ Dann begleitete ich Else Lasker-Schüler noch bis an ihre Wohnungstür, einige Minuten entfernt. Jerusalemer Kinder, die gerade aus der Schule kamen, liefen ausgelassen und johlend hinter uns her, riefen ›komische Alte‹ oder ›Hexe‹ auf Hebräisch, das sie Gott sei Dank nicht verstand, und wollten ihr die Matrosenmütze vom Kopf reissen – sie schaute sie mit bösen Augen an. Ich jagte die Kinder weg, so gut ich konnte auf Hebräisch, und war traurig, dass Kinder, aber auch Erwachsene, so wenig anders Angezogene oder individuell komisch gekleidete Menschen akzeptierten – sie mussten sie verhöhnen! / Später besuchte ich Else Lasker-Schüler noch öfter in ihrem grossen weissgekalkten Zimmer an der King Georg Avenue, wo sie auf einem Bunsenbrenner, auf dem Fliesenboden hockend, mir Tee kochte. Nachts schlief sie in der Mitte des Zimmers auf einem mit vielen bunten Kissen und Decken beladenen Liegestuhl, statt Bett. / Ich fragte sie, da ich keine Familie in Jerusalem mit mir hatte, oft um Rat. Meistens bestärkte sie mich in meinen extravaganten Unternehmungen, wie das Modellstehen für die Kunstschule oder für einige Maler in ihren Ateliers. ›So dienst Du der Kunst und damit den Menschen!‹ sagte sie. Sie war eine grosse deutsche Dichterin – die ganz in ihrer eigenen versponnenen Welt lebte und die nie in ihrem so geliebten und bedichteten Jerusalem zu Hause war. Welche Tragik!«

Ginsberg, Ernst • (1904–1964). Schauspieler. – Quellen: Historisches Lexikon der Schweiz; Wikipedia.

Kleines Denkmal für Else Lasker-Schüler. In: Theater. Meinungen und Erfahrungen von Therese Giehse, Ernst Ginsberg, Wolfgang Heinz, Kurt Hirschfeld, Kurt Horwitz, Leopold Lindtberg, Teo Otto, Karl Paryla, Leonard Steckel, Oskar Wälterlin. Mitglieder des Zürcher Schauspielhauses. Nachwort von Hans Mayer, Zeichnungen von Teo Otto (Über die Grenzen. Schriftenreihe. 4). Affoltern a. A.: Aehren Verlag, 1945. S. 37–42. – »[…] Hier soll aber nun von etwas ganz anderem gesprochen werden, nämlich von einem äußerlich ganz unscheinbaren, ja erfolglosen Theaterabend, von der ›durchgefallenen‹ Uraufführung einer Dichtung, die nur zweimal wiederholt wurde und die doch für uns von besonderer Bedeutung und von unvergeßlichem Glanz war. Ich meine ›Arthur Aronymus und seine Väter‹ von Else Lasker-Schüler. / […] Mit welch genialer Sicherheit hat die jüdische Dichterin die Atmosphäre des katholischen Pfarrhauses eingefangen! Zu welcher zart bezwingenden, völlig unsentimentalen Gewalt erheben sich ihre Szenen! Und wie deutsch, wie in jenem edelsten, lautersten und, ach, so fernen Sinne heimatlich und deutsch ist diese westfälische Dichtung … / Und wie tief wurde sie verkannt! – Dabei stand die Aufführung unter einem besonders glücklichen Stern. Unser Bühnenmaler Teo Otto, wie Else Lasker-Schüler im Bergischen Land beheimatet und ihr wie ein Bruder zugetan, zauberte die vollkommene Verwirklichung des dichterischen Phantasiespiels auf die Bühne. Die Besetzung der Rollen unter der Regie von Leopold Lindtberg war denkbar glücklich […]. Und zudem stand Weihnachten vor der Tür. / Und trotz alledem fiel das Stück im Jahr 1936 durch. Die wenigsten waren, im Lärm der Zeit, hellhörig genug, im zarten Gleichnis die Gewalt der Prophetie zu vernehmen. Die wenigsten ahnten oder wollten zugeben, daß die Traumängste der Dichterin schon im Begriff waren, sich in blutige Wahrheit zu verwandeln; die wenigsten wollten ernsthaft glauben, daß ›der Teufel das ewig jung bleibende böse Element ist‹ und daß ›ein Hirte, und wären es etliche Wächter, nichts vermag gegen eine bissige Herde‹. […]«

Die goldenen Zwanzigerjahre. In: FORVM. Jg. 11, H. 129 vom September 1964. S. 448–451. – Erinnerungen an Else Lasker-Schüler. Vorabdruck aus »Abschied« (1965).

Abschied. Erinnerungen, Theateraufsätze, Gedichte. Hg. von Elisabeth Brock-Sulzer. Zürich: Arche, 1965. – S. 153–166: »Else Lasker-Schüler«. S. 153: »›Eine große Dichterin‹, sagte Brecht zu mir, als ich den Band ›Dichtungen und Dokumente‹ […] herausgab. Und ich denke mit Freude an diese Stellungnahme Brechts, weil sie seine Undogmatik aufs schönste beweist. Denn es kann keinen größern Gegensatz geben, als den zwischen dem atheistischen, dialektischen, marxistischen Brecht und der frommen, alle Logik verlachenden, nur ihrer Intuition hörigen Jüdin Else Lasker-Schüler.« S. 154 f.: »An einem frühen regnerischen Zürcher Morgen, den ich nie vergessen werde, läutete es etwa um 6 Uhr an unserer Tür. Als ich öffnete, stand draußen sichtlich erregt und verstört Else Lasker-Schüler, das nasse Haar ins Gesicht hängend. Sie entschuldigte sich für ihr frühes Kommen und bat, mir ein Gedicht vorlesen zu dürfen, das in dieser Nacht entstanden sei. Ich bat sie hereinzukommen. Sie setzte sich, durchnäßt wie sie war, mit Mantel und Tigerfellmützchen auf die Couch und las mir das Gedicht ›Die Verscheuchte‹ vor – damals noch unter dem Titel ›Das Lied der Emigrantin‹. Dann fragte sie mich abrupt: ›Wie finden Se dat?‹ Ich äußerte meine Erschütterung, aber sie unterbrach mich schnell: ›Nein, nein! Nich ob et Ihnen jefällt, sondern‹ – und sie zeigte auf einen bestimmten Vers – ›wat heißt denn dat hier? dat hier?‹ In der Annahme, die Dichterin wünsche nur eine Bestätigung für die Klarheit ihrer Worte, erklärte ich, was ich als Gehalt dieser Stelle verstand. Da sah sie mich mit ihren großen Augen an und meinte staunend, in dem singenden Tonfall ihres Elberfelder Dialektes: ›Ja, Jung, so kann dat jemeint jewesen sein!‹«

Goldberg, Lea • (1911–1970). Schriftstellerin, Literaturwissenschaftlerin und Übersetzerin. – Quelle: Wikipedia.

Hinter dieser Welt. Else Lasker-Schüler zum Gedenken. In: Jüdischer Almanach 2001/5761 des Leo Baeck Instituts. Hg. von Anne Birkenhauer. Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2000. S. 153–155. – Nachruf: לאה גולדברג: מעבר לעולם. לזכר אלזה לאסקר־שילר – erschienen in der Tageszeitung ״משמר״ (»Mischmar«) (Tel Aviv) vom 9. Februar 1945 (Jg. 3, Nr. 460. S. 4), übersetzt von Itta Shedletzky.

Gespräch mit Else Lasker-Schüler. In: Jüdischer Almanach 2001/5761 des Leo Baeck Instituts. Hg. von Anne Birkenhauer. Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2000. S. 156–159. – Auszug aus Lea Goldbergs Buch: פגישה עם משורר (על אברהם בן יצחק סונה) (»Begegnung mit einem Dichter [Über Avraham Ben Yitzhak Sonne]«) (S. 51–53) von 1952 (מרחביה: הוצאת הקיבוץ הארצי השומר הצעיר), übersetzt von Itta Shedletzky.

Begegnung mit einem Dichter. Aus dem Hebräischen von Markus Lemke. In: Naharaim. Bd. 7, Nr. 1/2 vom Dezember 2013. S. 1–50. – S. 39 f. über Else Lasker-Schüler.

Goldscheider, Paul • (1902–1982). Industriekaufmann in Wien, später Arzt in London.

»Wo ich bin, ist es grün«. In: Lasker-Schüler. Ein Buch zum 100. Geburtstag der Dichterin. Hg. von Michael Schmid. Wuppertal: Peter Hammer, 1969. S. 50–54. – Über eine Lesung Else Lasker-Schülers »im Ottakringer Arbeiterheim« in Wien am 5. Juni 1931: »Sie wollte kein Geld dafür nehmen. ›Sollen sie den Arbeiterkindern Schokolade kaufen für mein Honorar‹, sagte sie. / Der große Saal war bis zum letzten Plätzchen gefüllt. Sie las […] die Hebräischen Balladen. Sie begleitete ihr Lesen mit Tamburin und Schellengeläute. Sie las sehr schön, aber sehr leise. Ich glaube, daß nur die ersten beiden Reihen sie hören konnten; aber die Gewalt ihrer Persönlichkeit und das zeitweise Aufblitzen ihrer schwarzen Augen hielten die Audienz für zwei Stunden gebannt und mäuschenstill. Am Ende war der Beifall voll und jubelnd, Else Lasker-Schüler war sehr gerührt davon.«

Goldstein, Franz (Frango) • (1898–1982). Jurist und Journalist, Film- und Musikkritiker.

[Zuschrift an das »Mitteilungsblatt«.] In: Mitteilungsblatt. Irgun Olej Merkas Europa (Tel Aviv). Jg. 9, Nr. 4 vom 26. Januar 1945. S. 4. – »[…] Sie liebte bunte Glasperlen und Kinderspielzeug, die Derwischtrommel, mit der sie so oft den unvergleichlichen eigenen Vortrag ihrer Gedichte begleitete. Ihre Passion bildete das – Literatur-Caféhaus, bis zum letzten Tag: ›Heimlich halten wir alle das Café für den Teufel, aber ohne den Teufel ist doch nun mal nichts.‹ ›Prinz Yussuf‹ war eine passionierte Kino-Besucherin und behauptete stets, nur Künstler verständen in Wahrheit das Kino. […]«

Gottgetreu, Erich • (1903–1981). Schriftsteller und Publizist. – Quelle: Wikipedia.

Am Wegrand übermattet. Vor dem Grabstein Else Lasker-Schülers. In: MB. Wochenzeitung des Irgun Olej Merkas Europa (Tel Aviv). Jg. 35, Nr. 41 vom 20. Oktober 1967. S. 6. – »[…] Zwischen den Trümmern, den Steinsplittern, den Buchstaben, den spärlichen staubbedeckten Büschen tummeln sich hurtig-vergnügt ein paar arabische Buben; aus dem nahen Dorf Et-Tur sind sie herbeigeeilt, um ihre Dienste und ihr Mitleid gegen Bakshish anzubieten, den sie immer dringender fordern, dann wieder in einer Mischung von Englisch und Hebräisch, sich schlau erschleichen wollen: ›Misken, he died, hu met, he was so young … but if you give me money, I tell you where he is burried, because you are my friend …‹. Und während die Jungen, enttäuscht darüber, dass diesmal der Appell versagte, mit grossen Sätzen davonlaufen, wobei sie die den Friedhof durchfurchenden jordanischen Verteidigungsgräben gewandt überspringen, fällt mir ein, dass nicht nur für die Araberkinder von Et-Tur, sondern für die arabischen und jüdischen Kinder von ganz Jerusalem, ganz Palästina, Else Lasker-Schüler Geld sammeln wollte, damit ihnen gemeinsame Spielplätze, jeder mit einem Karussell in der Mitte, geschaffen werden können. Dies war ihr Friedensprogramm, das sie einige Wochen hindurch propagierte, als sie, der finstern kalten Nacht schon nahe, durch die Strassen Jerusalems wandelte, während sie sich immer einsamer unter uns fühlte. […]«

Erinnerungen an Else Lasker-Schüler in Jerusalem – Zum 100. Geburtstag der Dichterin am 11. Februar 1969. In: Das Neue Israel (Zürich). Jg. 21, H. 8 vom Februar 1969. S. 601–603.

Die letzten Jahre der Else Lasker-Schüler. Erinnerungen zu ihrem hundertsten Geburtstag. In: Die Zeit (Hamburg). Jg. 24, Nr. 6 vom 7. Februar 1969. S. 18.

Sie war unter uns und fern von uns … Zum 100. Geburtstag von Else Lasker-Schüler am 11. Februar. In: MB. Wochenzeitung des Irgun Olej Merkas Europa (Tel Aviv). Jg. 37, Nr. 7 vom 14. Februar 1969. S. 6 f. – »Einmal – Anfang der vierziger Jahre – traf ich sie auf dem Jerusalemer Hauptpostamt. / Else Lasker-Schüler sah totenbleich aus, ihre sonst so leuchtenden Augen waren matt, sie schien einer Ohnmacht nahe. / Obschon sie meistens, auch Freunden gegenüber, eine abweisende Haltung annahm, wenn man ihr Hilfe anbot, liess sie sich diesmal willig über die Strasse führen und in einer Gaststätte mit einer Tasse Kaffee stärken. / Als sie wieder einigermassen zu Kräften gekommen war, meinte sie, verlegen lächelnd, als ob sie sich für irgend etwas zu entschuldigen hätte: ›Der Körper ist schwach – aber das Herz ist jung.‹ / […] / Und doch sahen ihre durchdringenden schwarzen Augen weit über das Paradies hinaus, das sie in primitiven Formen und Farben malte und mit den Worten eines Kindes beschrieb. Wenn sie, wie verwirrt, in phantasievoller Kleidung, aber meist mit der gleichen schwarzen Pelzkappe durch die Strassen Jerusalems fegte, sich irgendwo niederliess, dankbar den Zuhörenden, so wurden, neben unbegreiflich-naiven Äusserungen, manchmal die herrlichsten Einfälle und visionären Bilder geboren. Und wenn dann, an irgend einem Caféhaustisch, seltener wohl in ihrem Zimmer, ein Gedicht wuchs – so war es bisweilen eines von denen, das, wie einige der früher in Deutschland und in der Schweiz entstandenen, um seines Ewigkeitsklanges willen wohl noch in hundert Jahren in deutschsprachigen Anthologien und Lesebüchern stehen wird – u. a. neben denen Heines. / […] / Von Zeit zu Zeit raffte sich Else Lasker-Schüler zu einer durchaus realistischen Beschäftigung auf, der ein gewissenhafter Beamter nicht besser hätte obliegen können. Das war, wenn sie Veranstaltungen des von ihr als Vortrags- und Diskussionstribüne gegründeten ›Kraal‹ vorbereitete und durchführte. Dann war sie wie verwandelt. Sie warb die Vortragenden an; sie hielt die erforderlichen Vorbesprechungen mit den Vermietern der jeweiligen Lokalitäten: Schulklassen zumeist, irgend ein Klubzimmer oder der Betraum einer Synagoge. Sie gewann wohl jeden, an den sie sich wandte, als Vortragenden, niemand wollte sie durch Ablehnung kränken. […]«

She was with us, yet far away … Else Lasker-Schüler Centenary. In: AJR Information (London). Jg. 24, Nr. 3 vom März 1969. S. 8.

Else Lasker-Schüler und »der Urböse«. Nachlese im Jahre des hundertsten Geburtstages der Dichterin. In: EMUNA. Jg. 4, Nr. 4 vom August 1969. S. 246–248.

»War da … Jussuf«. Neue Else Lasker-Schüler-Funde. Zum 25. Todestag der Dichterin am 22. Januar. In: MB. Wochenzeitung des Irgun Olej Merkas Europa (Tel Aviv). Jg. 38, Nr. 4 vom 23. Januar 1970. S. 3 f.

»War da, Jussuf«. Einige neue Else Lasker-Schüler-Funde in Jerusalem. Zum 25. Todestag der Dichterin am 22. Januar. In: Das Neue Israel (Zürich). Jg. 22, H. 8 vom Februar 1970. S. 637 und 639 und H. 9 vom März 1970. S. 711 und 713.

Else Lasker-Schüler und die Post. In: MB. Wochenzeitung des Irgun Olej Merkas Europa (Tel Aviv). Jg. 43, Nr. 4 vom 24. Januar 1975. S. 5 und 8. – »[…] wie viele Dichter und Schriftsteller hatte auch Else Lasker-Schüler, soweit ich dies aus den Begegnungen mit ihr während ihrer Jerusalemer Jahre (1937–1945) erinnere, zur Post eine durchaus feindliche Beziehung des grössten Misstrauens. Stets zweifelte sie, ob ein Brief, den sie abschickt, auch wirklich ankäme. Den rot bemalten Postbriefkästen, die, wie viele in Jerusalem, in Haus- und Mauerwände eingelassen waren, vetraute sie grundsätzlich keine Sendung an, eher schon alleinstehenden Briefkästen an prominenten Strassenecken, aber auch unter denen hatte sie von ihr misstrauisch beäugte Postschlucker und ausgesprochene Günstlinge. […]«

Else Lasker-Schüler und die Post. Zum 30. Todestag am 22. Januar. In: Das Neue Israel (Zürich). Jg. 27, H. 8 vom Februar 1975. S. 552 f.

Aus Else Lasker-Schülers Jerusalemer Zeit. Biographische Ergänzungen drei Jahrzehnte nach ihrem Tode. In: MB. Wochenzeitung des Irgun Olej Merkas Europa (Tel Aviv). Jg. 43, Nr. 31/32 vom 8. August 1975. S. 7. – Erich Gottgetreu berichtet über eine Radiosendung, in der unter anderem Meira Bein, die Tochter von Else Lasker-Schülers Zimmerwirtin Leokardia Weidenfeld, und Moritz (Moshe) Spitzer zu Wort kamen: »So hörte man das Zeugnis der Tochter der von ihr (vermutlich zu Unrecht) gefürchteten Zimmervermieterin; damals noch ein Kind, war sie die ›diplomatische‹ Vermittlerin zwischen der Wirtin und Else Lasker-Schüler gewesen. […] / In der Dämmerwelt ihrer Gedanken und Ängste war sie allein. Die nun erwachsene Tochter der Zimmerwirtin erinnerte sich, wie sie seinerzeit eine gewisse kindliche Scheu davon abgehalten hatte, das Zimmer der Dichterin jemals zu betreten, damit ihr von Else Lasker-Schüler vielleicht als entweihend empfundener Blick nicht auf das gehütete Allerheiligste falle – den Gedenkaltar des frühverstorbenen über alles geliebten Sohnes. Es scheint, dass die in ihrem Schmerz verkapselte Mutter – einmal in jedem Monat widmete sie seinem Gedenken eine besondere Zeremonie vor dem Hausaltar – die taktvolle Zurückhaltung des kleinen Mädchens wohl zu schätzen wusste. / […] Dr. Spitzer erzählte vom Spiel- und Verstellungstrieb Else Lasker-Schülers, der sie so gern das ›Vogelfest‹ inszenieren liess, bei dem sie sich zwitschernd unter das Fenster eines Bekannten stellte, aber sich versteckte, sobald dieser am Fenster erschien …«

Wer eher ging, zahlte 20 Piaster. Zur Uraufführung von »IchundIch«: Erinnerungen an Else Lasker-Schülers Jerusalemer Tage. In: Die Welt. Nr. 259 (Hamburg-Ausgabe) vom 5. November 1979. S. 25.

Else Lasker-Schüler und der Urböse. Zur Aufführung ihres Dramas »Ichundich«. In: MB. Wochenzeitung des Irgun Olej Merkas Europa (Tel Aviv). Jg. 47, Nr. 46 vom 14. Dezember 1979. S. 6 f. – »[…] Es war ihr ein Zwang gewesen, das Ende des vom Hakenkreuzwahn besessenen Peinigers der Völker – auch Peinigers des sich widersetzenden Teils seines eignen Volkes – wenigstens in der Phantasie zu erleben. Einmal war ihr die ›Eingebung‹ gekommen, dass sie selbst zu Hitlers Tod beitragen müsse. Ich weiss nicht, ob diese Episode aus der Mitte der Dreissigerjahre jemals veröffentlicht wurde. Ich erfuhr von ihr im Jahre 1969 durch eine Korrespondenz, die ich zum Thema Else Lasker-Schüler mit einer damals in Luzern lebenden alten Dame führte. In einem ihrer Briefe an mich hiess es: ›Wir kamen wieder einmal aus der Schweiz – und mein erster Weg war zu ihr. Die erste Frage (an mich): ‚Warum warst Du noch nicht in Berlin, diesen Urbösen umzubringen? Wenn Du es nicht tust, muss ich es tun.‘ – Meine Antwort war nur: ‚Wenn Du es tätest, so würde eine Stunde später in Deutschland kein Jude mehr leben.‘ Sie war totenblass: ‚Glaubst Du das wirklich?‘ – ‚Ich bin davon überzeugt.‘ Sie hat das Thema nie mehr berührt.‹ […]«

Else Lasker-Schüler und »der Ur-Böse«. In: Das Neue Israel (Zürich). Jg. 32, H. 8 vom Februar 1980. S. 396 f. und 399.

Grosshut, Friedrich Sally • (1906–1969). Jurist, Journalist und Schriftsteller.

Begegnung mit Else Lasker-Schüler. In: Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland (Düsseldorf). Jg. 4, Nr. 39 vom 6. Januar 1950. S. 7. – Über eine Lesung Else Lasker-Schülers in Haifa am 20. März 1943.

Else Lasker-Schüler in der Emigration (1950). In: Else Lasker-Schüler: Dichtungen und Dokumente. Gedichte, Prosa, Schauspiele, Briefe, Zeugnis und Erinnerung. Ausgewählt und hg. von Ernst Ginsberg. München: Kösel-Verlag, 1951. S. 590–593. – Über eine Lesung Else Lasker-Schülers in Haifa am 20. März 1943: »Wir hatten sie zu einem Vorlese-Abend nach Haifa eingeladen. Wir waren sehr gespannt. Sie kam. Saß uns in einem Café gegenüber, angestrengt von der Fahrt. Musterte uns kritisch, mißtrauisch. Bald kamen wir ins Gespräch. / Uns gegenüber saß ein Mensch, der nicht dieser Zeit anzugehören schien. Ein Geschöpf, zierlich, klein, in seltsamem Aufputz. Über schmale Schultern fiel ein dreiviertellanges schwarzes Samtcape, von einer silbernen Sicherheitsnadel zusammengehalten. Auf dem Kopf saß ein kleines Leopardenmützchen. Schwarze lange Locken in wunderlichem Gemisch quollen darunter hervor. In schwarzweiß karierte knielange Tafthosen war Else Lasker-Schüler gekleidet. Von den Ohren baumelten große korallenfarbene Glasohrringe, die später mit giftgrün schillernden vertauscht wurden. Ein übergroßer rechteckiger Glasring leuchtete vom Zeigefinger der edel geformten Hand. Auf schwarzen Schuhen waren kleine Silberglöckchen befestigt. / Wir blickten in ein Gesicht, dessen Alter unerratbar schien. Es war beherrscht von glühenden Augen aus Kohle, von unbeschreiblicher Schönheit. Die Augen waren in ständiger Bewegung, leuchteten verwirrend und überhellten das verwitterte Gesicht mit unfaßbarer Jugend. Wir waren sprachlos. Vor uns saß ein leibhaftiger Kobold, entstiegen einem Märchen. Ein Kobold von unbeschreiblicher Grazie. Ein Kobold, der beim Erzählen – und wie konnte er erzählen! – von einem zum andern sprang, kicherte, ausfallend wurde, begütigend einlenkte, aufstrahlte und erlosch. Verschwenderisch streute Else Lasker-Schüler aus, was ihr Phantasie und skurrile Assoziation eingab, glitt unvermittelt in Trauer und Schmerz, dessen Echtheit fast körperlich weh tat, um flugs bezaubernd in einer Manier zu schauspielern, die Augen zu heben und zu senken, daß eine Duse sie beneidet hätte. Alle Gegensätze waren vereint, bezwingender Zauber und geheimnisvolle Dämonie schlugen entgegen. ›Ich bin nämlich Else Lasker-Schüler‹, herrschte sie uns an und streckte uns gleich die versöhnende Hand entgegen. / Wir fuhren mit ihr nach Hause. Tief unten streckte sich die Stadt Haifa. Else Lasker-Schüler blieb stehen, nahm das Bild in sich auf: die aufgebaute Stadt, das weite Blau des Mittelmeers, die wehenden Büsche, den sich ihr zu Häupten breitenden Karmel, überflutet vom Licht. Sie streckte den Arm aus, wies auf die Landschaft, nickte. ›Heroisch‹, sagte sie kurz und zwingend. / […] / Dann kam der Abend. Der Saal war überfüllt, wurde verdunkelt, vor Else Lasker-Schüler brannten nur zwei Kerzen. Ihre Vorlesung war ein unvergeßliches Erlebnis. Draußen lag die Welt, wütete der Krieg. Hier aber, in einem kleinen Raum, vor einer ergriffenen Hörergemeinde, erhob sich der schöpferische Genius einer Weltliebenden, von Schmerz und Liebe zu singen im Wissen um Sehnsucht und Tragik des Menschengeschlechts, strömte und blutete das Herz einer Liebenden […].«

Grosshut, Sina • Friedrich Sally Grosshuts Frau.

Mosaik eines Lebens. London und Worms: The World of Books, 1987. – S. 53–56: Über Else Lasker-Schülers Besuche in Haifa.

Grosz, George

Ein kleines Ja und ein großes Nein. Sein Leben von ihm selbst erzählt. Mit siebzehn Tafel- und fünfundvierzig Textabbildungen. Hamburg: Rowohlt, 1955. – Über Else Lasker-Schüler und Theodor Däubler, der 1910 sein Versepos »Das Nordlicht« veröffentlicht hatte (S. 107): »Aus seinem Nordlichtepos, einem dreibändigen kosmologischen Kolossalwerk voll geheimer Symbolismen und Prophetien, die auszulegen nur Eingeweihten gegeben war, las er gerne vor. Sein Fehler dabei war, daß er sich an sich selbst berauschte (was den Dichtern ja leicht passiert) und nie aufhörte. War seine Freundin Else Lasker-Schüler anwesend, so hörte man sie oft gemütlich schnarchen, der dröhnenden Stimme des Nordlichtdichters zum Trotze friedlich entschlummert. Däubler pflegte sich nicht darum zu kümmern; er behauptete, es sei einfach unbewußte Eifersucht. (Denn die Lasker-Schüler war ja auch eine Dichterin – eine kindlich-verspielte, die jedem einen Namen gab; mich zum Beispiel nannte sie Lederstrumpf wegen meiner damaligen Amerikaschwärmerei.)«

Günther, Herbert • (1906–1978). Schriftsteller. – Quelle: Wikipedia.

Drehbühne der Zeit. Freundschaften Begegnungen Schicksale. Hamburg: Christian Wegner Verlag, 1957. – Über den vergeblichen Versuch, Else Lasker-Schüler für die Anthologie »Hier schreibt Berlin« (1929) zu gewinnen (S. 139 f.): »Else Lasker-Schüler hatte nicht lange zuvor ihre Anklage-Schrift gegen ihre Verleger veröffentlicht: ›Ich räume auf‹ und wollte offenbar in keiner Form mehr mit einem Verlage zu tun haben: obwohl sie über mangelnde Beachtung klagte, war sie die einzige außer Bert Brecht, die nicht antwortete und deshalb zu meinem Bedauern fehlen mußte.«

Haas, Willy • (1891–1973). Publizist, Drehbuchautor und Filmkritiker. – Quelle: Wikipedia.

Verwirrung am Meer. Erinnerungen an die Dichterin Else Lasker-Schüler. In: Die Welt. Jg. 7, Nr. 207 vom 6. September 1952. S. I. – »[…] Ich war ein Knabe, 16 oder 17 Jahre alt, als ich sie in Berlin vor 1910 kennenlernte – fast noch ein Kind, denn der Reifegrad eines Sechzehnjährigen von etwa 1908 entsprach dem eines Zehnjährigen von heute, nicht was die Lesebildung betrifft, wo ich immer meinen Mann stand, sondern was die ›facts of life‹ anging, wie es der Engländer so hübsch nennt. / […] / Ich war in Berlin mit meiner Mutter und Schwester auf der Durchreise nach dem Seebad Brunshaupten in Mecklenburg – ich hatte meine Familie mit viel Schlauheit überredet, gerade dorthin zu gehen, denn dort weilten mit ihren Eltern auch zwei überaus schöne tschechische Mädchen aus Prag, von denen ich eine, Milada, heiß liebte. Durch einen Zufall fuhr nun eine ganze Reisegesellschaft mit, der sich auch Else Lasker-Schüler anschloß. Sie hatte eine ganz große Maskengarderobe mitgebracht, arabische Burnusse, einen weißen Schwanenpelz, rote, grüne und gelbe Turbane, eine Unmenge bunte Glasketten, Goldmünzen, Armreifen, Stirnbänder, ziselierte Dolche, Gürtel und farbige Seidenbinden, mit denen kostümierte sie sich täglich mehrmals abwechselnd als Jusuff, Prinz von Theben, Tino von Bagdad, als dunkle Zigeunerin und als die exzentrische Dichterin Else Lasker-Schüler aus Berlin und ging mit mir vormittags und nachmittags zu den Kurkonzerten. Ich gab mir alle Mühe, sehr stolz zu sein, wenn die Kurgäste in dem kleinen Spießer-Seebad einfach Spalier standen und Augen und Mund weit aufrissen, sobald ich mit ihr erschien. Unangenehm war es aber doch für meine Provinzlerseele – zumal ich nicht wußte, wie Milada darüber dachte. / Milada wankte in der neuesten Pariser Humpelrockrobe, mit ihrem wunderbaren kupferfarbigen Haarschopf und ihren geschlitzten hellen Slawenaugen, leise stöhnend über die Kurpromenade, mit vielen ›Ahs‹ und ›Ohs‹ und ›O wehs‹, als ob ihre kleinen Füße in den hohen Stöckelsandalen die Last des schlanken Mädchenkörpers nicht tragen könnten, und schien sich nur durch ihren winzigen aufgespannten seidenen Sonnenschirm einigermaßen in Balance zu halten. Sie äußerte sich einfach nicht über die große Dichterin. Ich war sehr unruhig und sehr bezaubert. / […] / Die Situation wurde unhaltbar. Die Liebe zu der großen Dichterin, die doppelt so alt war wie ich, war eine Ganztagsbeschäftigung. Natürlich hielt ich nicht ganz zur Stange, und die Dichterin, die bei Tisch immer neben mir gesessen hatte, setzte sich plötzlich zu meinem Kummer in die andere Ecke des Speisesaales und blickte weg, wenn ich vorbeiging. Als ich einmal zu grüßen versuchte, zischte sie nur: ›Lassen Sie mich in Ruh’! Gehen Sie zu Ihren Tschechinnen!‹ In meiner Verzweiflung und um es allen recht zu machen, setzte ich mich neben ein kleines Mädchen von fünf Jahren und plauderte bei Tisch nur noch mit ihr. / Das mußte natürlich schlecht ausfallen. Milada, die etwa so alt war wie ich, verlobte sich mit einem sehr smarten, um zehn Jahre älteren jungen Mann. […] / Auch die Dichterin verließ Brunshaupten – ohne Abschied. Ich war bei ihr völlig in Ungnade gefallen. Den Titel ›König von Böhmen‹, den sie mir in ihren Briefen verliehen hatte, übertrug sie auf den jungen Franz Werfel. Einige Zeit später erschien ein neues Prosabuch von ihr, betitelt (ich glaube) ›Reise nach dem Norden‹. Darin las ich: ›Willy Haas war hier. Er hat nicht mehr das reine Knabenlachen wie voriges Jahr.‹ So sah ich meinen Namen zum erstenmal gedruckt. […]«

Die Literarische Welt. Erinnerungen. München: Paul List Verlag, 1957. – S. 115: »Berlin war ja nicht nur Berlin […], es war auch eine Nacht im Mansardenzimmer der Else Lasker-Schüler, zusammen mit Ernst Blaß: Und die große Dichterin erzählte uns die ganze Nacht hindurch Märchenabenteuer aus ihrer Kindheit in Wuppertal und von Peter Hille. Alles um uns wurde plötzlich zu einem seltsamen Märchen verwandelt, mit fliegenden Liebespaaren und einem grünen und blauen Himmel und schiefen Rauchfängen wie auf einem Gemälde des jungen Chagall.«

Affairen aus dem »Café Größenwahn«. Erinnerungen an Else Lasker-Schüler. In: Welt am Sonntag (Ausgabe West). Jg. 13, Nr. 7 vom 14. Februar 1960. S. 11.

Als Prinz Jussuf nach Mecklenburg fuhr. In: Die Welt. Nr. 1 vom 3. Januar 1966. S. 9.

Hatvani, Paul • (1892–1975). Aus Wien gebürtiger Schriftsteller und Chemiker. Er veröffentlichte in zahlreichen expressionistischen Zeitschriften, unter anderem in »Der Brenner«, »Der Sturm«, »Die Aktion« und »Saturn«. Ab 1939 lebte er in Australien.

Die Wunder der Tino von Bagdad. Zum hundertsten Geburtstag von Else Lasker-Schüler. In: Zeitschrift für die Geschichte der Juden (Tel Aviv). Jg. 6 (1969). S. 165–168.

Hennings, EmmyBall-Hennings, Emmy.

Hermanns, Franz

Erinnerungen an Else Lasker-Schüler. Sie gehörte zum Freundeskreis Peter Hilles. In: Die Warte (Paderborn). Jg. 23, H. 1 vom Januar 1962. S. 10 f. – Zum Aufenthalt Else Lasker-Schülers in Erwitzen 1929. Enthüllung einer Gedenktafel für Peter Hille: »[…] Am Abend vor dem Festtag traf Else Lasker-Schüler in Driburg ein. Ein Hotel zwischen Bad und Stadt sollte sie aufnehmen. Sie aber lehnte energisch ab, sie wolle innerhalb der Stadt wohnen und auf Dächer sehen, wie sie es von Berlin her gewohnt sei. So fand sie Unterkunft in einem einfachen Gasthause an der Pyrmonter Straße, dem heutigen Kolpinghaus. Alsbald besuchte sie mich in meiner Wohnung, wo sich noch andere Gäste und Literaturfreunde eingefunden hatten. Am anderen Tage war in Bad Driburg Maiprozession. Ich fragte sie nachher, ob sie die Prozession gesehen. Was sie mir antwortete, weiß ich nicht mehr, sie sagte mir aber, ihr Vater habe es jedesmal bedauert, wenn er eine Prozession nicht ganz gesehen habe. […] / Nachmittags fuhren wir zur Enthüllung der Hille-Tafel nach Erwitzen. Es war ein buntes Bild, das die Freunde des Dichters boten: die bescheidenen Dorfbewohner, der Landrat des Kreises, ein Verwandter der Droste, der als Kunsthistoriker bekannte ›Eggepater‹ Dr. Beda Kleinschmidt, der Vorstand des Eggegebirgsvereins, ein junger Dichter aus Berlin, der Else Lasker-Schüler hierhin begleitet hatte. Auch eine Verwandte Hilles aus Oldenburg mit ihrer kleinen Nichte war anwesend. / Nach der Festrede sprach auch Else Lasker-Schüler. Als wir in dem Schulhause die kleine Stube betraten, in der Peter Hille geboren wurde, sagte sie plötzlich, ihre großen dunklen Augen aufschlagend: ›Also hier ist Peter Hille geboren, hier möchte ich eine Nacht zubringen, ich glaube, ich bekäme eine Erscheinung!‹ […]«

Herzfelde, Wieland • (1896–1988). Zeitschriftenredakteur und Verleger. – Quellen: Wikipedia; Akademie der Künste, Berlin (Wieland-Herzfelde-Archiv).

Wie ein Verlag entstand. In: Das Wort. Literarische Monatsschrift (Moskau). Jg. 1, Nr. 2 vom August 1936. S. 97–102. – S. 100 f.: »Die ›tüchtige Zensur‹ ließ uns drei Hefte [der ›Neuen Jugend‹] herausbringen. Dann befand ich mich wieder in Kaisers Rock und wieder an der Westfront. Dank der Hilfe meines Bruders kam aber im Oktober noch ein Heft und im Februar-März 1917 noch eine Doppelnummer der Monatsschrift heraus. Dann aber wurde nicht mehr wie bisher jeweils eine Nummer verboten, sondern die Zeitschrift und der Verlag ›Neue Jugend‹ überhaupt. Was tun? Franz Jung hatte einen Einfall: Mein (volljähriger) Bruder machte ein Gesuch bei Herrn General von Kessel, dem Gouverneur in den Marken. Das Gesuch besagte: / Die ›Neue Jugend‹ ist verboten worden. Dort erschien in Fortsetzungen ein Roman ›Der Malik‹ von Else Lasker-Schüler. Diesen Roman sind wir verpflichtet, ganz zu veröffentlichen, er handelt von einem türkischen Prinzen, einem Verbündeten also. Wir ersuchen, nur zum Zweck der Veröffentlichung dieses Romans, um eine Verlagskonzession. Den Verlag würden wir nach dem zu druckenden Roman Malik-Verlag nennen. / Die Konzession wurde erteilt. Else Lasker-Schülers Roman – symbolisch-romantische Prosa, die mit der Türkei so wenig zu tun hatte wie mit irgend einem anderen realen Land – erschien Jahre später im Paul Cassirer-Verlag. Dagegen erschien bereits einige Wochen darauf im Malik-Verlag die ›Neue Jugend‹ wieder.«

Unterwegs. Blätter aus fünfzig Jahren. Berlin: Aufbau-Verlag, 1961. – S. 253–299: »Aus dem Tagebuch des Primaners W. H.« (1913/14); S. 271, 274 f. und 279 f. Belegstellen zur ersten Begegnung mit Else Lasker-Schüler.

Fremd und nah. Über meinen Briefwechsel und meine Begegnungen mit Else Lasker-Schüler. In: Marginalien. Blätter der Pirckheimer-Gesellschaft. H. 18 vom März 1965. S. 1–7. – Wieland Herzfelde besuchte Else Lasker-Schüler in Berlin zum erstenmal im April 1914. Über das Treffen notierte er im Tagebuch (S. 6): »Schon während der ersten Tage suchte ich Jussuf im Café des Westens auf und ging gleich mit ihr nach Hause. Sie wohnt in einem Mansardenzimmer, das wenig heimisch ist, da es zu hoch; doch ist es sehr schön geschmückt: Glasklingelspiele, bunte Federlaufrädchen, ein Tisch voll kleiner Soldaten und Elephanten und orientalischen Schmucksachen. An den Wänden einige Plakate, Zeichnungen Franz Marcs, von sich selber, von Kainer, von ihrem Sohn Paul Walden u. a. m. Auf einem zweiten Tisch ist eine Schreibmaschine. Das paßt aber recht gut zu dem willkürlichen Durcheinander an nützlichen und spielerischen Dingen, das mir den stärksten Eindruck hinterlassen hat.«

Wie der Malik-Verlag entstand. In: Sinn und Form. Jg. 18 (1966), H. 3. S. 1025–1041.

Der Malik-Verlag. 1916–1947. Ausstellungskatalog. Berlin: Deutsche Akademie der Künste, 1967. – S. 5–70: »Wieland Herzfelde über den Malik-Verlag«.

Else Lasker-Schüler. Begegnungen mit der Dichterin und ihrem Werk. In: Sinn und Form. Jg. 21 (1969), H. 6. S. 1294–1325. – Am 24. März 1914 las Else Lasker-Schüler zusammen mit Franz Werfel in der »Frankfurter Loge«. Den Verlauf des Abends hielt Wieland Herzfelde im Tagebuch fest. Er schreibt (S. 1307): »Plötzlich wurde es dunkel und Frau Lasker-Schüler trat vor die Bühne. Der erste Eindruck übertraf weitaus meine Erwartungen. Sie hatte ein blaues Seidengewand an. Weite Hosen, silberne Schuhe, eine Art weite Jacke, die Haare wie Seide, tiefschwarz, wild zuweilen, dann wieder sinnlich sanft. Das war’s vor allem, was mich so überraschte: Jussuf war so ganz Weib, sie war so schön, voller Sinnlichkeit, ich hätte das gar nicht gedacht, da sie schon 38 Jahre alt ist. […] Und noch mehr erstaunte mich ihr Vortrag. Ich dachte immer, sie spräche sanft, traurig, träumend. Hart, gläsern waren ihre Worte. Wie Metall glühten sie. Niemals bebten sie. Und ganz plötzlich brachen die Gedichte immer ab. Man erschrak jedesmal. Ich mußte mich erst gewöhnen. Das war kein Sprechen, das war Singen, ekstatisch, ewig tönend, wie das Zaubergebet eines orientalischen Propheten. Der Begriff ›Prophet‹ konnte mich nicht verlassen. Man hörte fast nur geschleuderte Vokale, keine Konsonanten. Ein Hiatus nach dem anderen. Wie grelle indische Sonne. Nur manchmal hörte man unendlich irdisch, traut ein ›r‹, wie das Kichern einer Quelle, ganz kurz, aber unvergeßlich.«

Kürzlich vor 60 Jahren. In: Sinn und Form. Jg. 27 (1975), H. 2. S. 371–384. – Nach einer Abschrift im Tagebuch veröffentlicht Wieland Herzfelde seinen ersten Brief, den er an Else Lasker-Schüler geschrieben hat. Der Brief stammt vom 30. November 1913, der Anfang lautet: »Liebe Else Lasker-Schüler, / zuerst will ich mich vorstellen. Ich bin siebzehneinhalb Jahre alt, Unterprimaner, Freund der Künste und der Kultur, hoffe, ein Dichter zu werden, wohne in Wiesbaden, Oranienstraße 43, II, in Pension. Ich bin 1,65 groß, habe dunkelbraune Haare, blaue, runde Augen mit großen schwarzen Pupillen, braune Haut und einen länglichen Kopf. Ich bin auf die Zeitschriften ›Sturm‹, ›Aktion‹, ›Anfang‹, ›Revolution‹ und auf die ›Weißen Blätter‹ abonniert. Mit mir bin ich zufrieden, ausgenommen meine Primanerwürde, deretwegen ich mich fast an keinem Morgen richtig ausschlafen kann. Ich glaube, dies genügt fürs erste, und wir können zur Sache übergehen: / Ich will Dir einen Brief schreiben. Ich habe mir selbst nicht gesagt, warum ich das will, und weiß, daß auch Du nicht danach fragst. Ich schreibe Dir vielleicht, weil ich glaube, daß ich noch ein Kind bin und Du mir wie eine große Schwester vorkommst, die mit mir spielt und mich anschaut und mich mütterlich neckt. Vielleicht ist es doch etwas anderes.« Auszüge aus zwei Briefen Wieland Herzfeldes an Else Lasker-Schüler, dem Brief vom 30. November 1913 und einem weiteren Brief vom 6. Dezember 1913, sind auch abgedruckt in: John Heartfield. Leben und Werk. Dargestellt von seinem Bruder Wieland Herzfelde. Dresden: VEB Verlag der Kunst, 1962. S. 305 f.

Zur Sache geschrieben und gesprochen zwischen 18 und 80. Berlin und Weimar: Aufbau-Verlag, 1976. – S. 7–25: »Kürzlich vor 60 Jahren«, zuerst 1975 in »Sinn und Form« veröffentlicht; S. 375–417: »Else Lasker-Schüler. Begegnungen mit der Dichterin und ihrem Werk«, zuerst 1969 in »Sinn und Form« veröffentlicht.

Hildenbrandt, Fred • (1892–1963). Schriftsteller und Journalist. Er leitete von 1921 bis 1932 das Feuilleton des »Berliner Tageblatts«. – Quellen: Deutsche Biographie; Wikipedia.

… ich soll dich grüßen von Berlin. 1922–1932. Berliner Erinnerungen ganz und gar unpolitisch. Post mortem hg. von zwei Freunden. München: Ehrenwirth Verlag, 1966. – S. 28: »Ein kleines, dreistrophiges Gedicht der Lasker-Schüler war zu honorieren. Ich war dieser rabenschwarzen, ganz und gar lebensuntüchtigen, gefühlvollen, lyrischen Zigeunerin von ganzem Herzen zugetan. Ich bezahlte sie für jeden Beitrag fürstlich. (Auch jenen, der aus irgendwelchen Gründen ungedruckt blieb.) Sie besuchte mich oft in der Redaktion und schob jedesmal schüchtern ein Poem über den Tisch. Ich habe ihr unbesehen jeden Beitrag abgenommen. Sie bekam das Geld sofort an Herrn Martins Schalter. Denn ich hatte auch durchgesetzt, daß der Autor sein Honorar bei Ablieferung bekam und nicht erst, wenn der Beitrag im Blatt erschien.«

Hiller, Kurt • (1885–1972). Schriftsteller und Journalist. – Quelle: Wikipedia.

Begegnungen mit »Expressionisten«. In: Der Monat. Jg. 13, H. 148 vom Januar 1961. S. 54–59. – Über Else Lasker-Schüler und das Café des Westens in Berlin schreibt Kurt Hiller: »Zu ihren Pagen am Marmortisch des Cafés, zwar nicht zu den ihr kostbaren, doch zu den geduldeten, gehörte in der Mitte des Ersten Weltkriegs der damals wohl 17- bis 18jährige Wieland Herzfelde […]. Mit dem hatte ich damals, also vor 43 bis 44 Jahren, an der Drehtür des berühmten Cafés einen teils auf Ideologie, teils auf Pagen-Erotik beruhenden Zusammenstoß. Und das war so gekommen: Ein paar Tage zuvor hatte ich an ›meinem‹ Tisch, von Freunden zu einer grundsätzlichen kunsttheoretischen Bewertung der Lyrik Else Lasker-Schülers herausgefordert und zu einer Differentialdiagnose zwischen ihr und den uns autoritativen Großmeistern der Lyrik, den toten und den lebenden, bei aller Hochachtung vor dieser Künstlerin gleichwohl doziert, daß die ganz große Lyrik (etwa Goethes, etwa Georges) immer drei Elemente enthalte: das sensuale, das sentimentale und das mentale, während bei unsrer verehrten Else das dritte: das mentale, doch eben fehle. Deshalb sei ihre Kunst nicht ganz groß, sondern nur groß; die Glorie der Synthesen ihres sensualen und ihres sentimentalen Elements sei offenkundig. – Diese Äußerung war dem Pagen Herzfelde hinterbracht worden, er hielt sie für lästerlich und infam, lauerte mir an der Drehtür auf, ›stellte‹ mich und hieb mir den Hut vom Kopf, wutzitternd mit Rowdyaugen.«

Leben gegen die Zeit. (Bd. 1.) Logos. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1969. – Über den Besuch eines Pazifistenkongresses 1925 in Paris (S. 186 f.): »Ich erinnere mich, wie ich zusammen mit einem jungen Gesinnungsgenossen vom Rhein, Heinz Kahn, Jurist, geboren in den ersten Jahren des Jahrhunderts, auf dem Vorplatz eines mittelfeinen Pariser Restaurants eine große Flasche Champagner trank, die, umgerechnet, jeden von uns neunzig Pfennig kostete; es war ein klarer, warmer EndeSeptemberTag, die Atmosphäre dieser überirdisch schönen Stadt war ohnehin champagnerig. Am nächsten Tage fuhren wir gemeinsam nach Hause, und Heinz Kahn lud mich ein, auf dem Wege nach Berlin für eine Nacht sein Gast in Elberfeld zu sein, wo er mit seinen Eltern wohnte. Mein Gespräch mit seiner Mutter führte, vonwegen Litteratur und Elberfeld, zur Elberfelderin Else Lasker-Schüler. Ich erzählte, daß ich sie kannte, damals seit mindestens fünfzehn Jahren, und merkte an, daß sie laut Anthologien und Handbüchern in ein paar Monaten ihren fünfzigsten Geburtstag feiern könne. Dem widersprach Frau Kahn heftig; sie wisse aus ihrer Jugend mit Sicherheit, die Dichterin müsse wenigstens sechs Jahre älter sein. Ein telephonischer Anruf beim greisen Großvater meines Kameraden erfolgte, und der Patriarch der Familie bestätigte den Spruch seiner Tochter aufs bestimmteste. Ich, ich bezweifelte die Auskunft noch immer, einer Prominenten des lebendigen Schrifttums die alberne Eitelkeit nicht zutrauend, die zur Not einer Diva anstünde. Nach Jahren hat sich durch Photokopien gewisser Standesamtseintragungen herausgestellt, daß Else Lasker-Schüler nicht sechs, sondern sogar sieben Jahre älter war, als sie sich ein halbes Leben lang machte.«

Hirsch, Karl Jakob • (1892–1952). Maler, Graphiker und Schriftsteller. – Quellen: Deutsche Biographie; Wikipedia.

Heimkehr zu Gott. Briefe an meinen Sohn. München: Verlag Kurt Desch, 1946. – Über Else Lasker-Schüler 1934 in Zürich (S. 93 f.): »Die Dichterin Else Lasker-Schüler geisterte damals in den Cafés umher und erschreckte uns alle mit ihrem bedrohlichen Wesen […].«

Hofmann, Martha • (1896–1975). Lehrerin, Publizistin und Schriftstellerin. – Quellen: Frauen in Bewegung: 1918–1938; Österreichische Nationalbibliothek – Literaturarchiv.

מרתה הופמן: לזכר אלזה לסקר־שילר (משוררת המזרח בארצות המערב). (Martha Hofmann: Else Lasker-Schüler zum Gedenken [Die Dichterin des Ostens in den Ländern des Westens].) In: דבר (Davar) (Tel Aviv). Nr. 5958 vom 16. Feburar 1945. S. 2.

Tot ist die Prinzessin von Theben! (In Memoriam Else Lasker-Schüler). In: Israelitisches Wochenblatt für die Schweiz (Zürich). Jg. 45, Nr. 10 vom 9. März 1945. S. 28. – Über Else Lasker-Schülers Leben in Jerusalem.

Else Lasker-Schüler. Die orientalische Dichterin des Westens. In: Israelitisches Wochenblatt für die Schweiz (Zürich). Jg. 45, Nr. 15 vom 13. April 1945. S. 3 f. und Nr. 17 vom 27. April 1945. S. 3 f. – Über Leben und Werk, am Schluß zum Aufenthalt in Jerusalem.

Konstellationen. Ausgewählte Essays (1945–1965). Wien: Bergland Verlag, 1966. – S. 125–130: »Tot ist Prinz Jussuf von Theben. In memoriam Else Lasker-Schüler«, zuerst 1945 im »Israelitischen Wochenblatt für die Schweiz« erschienen.

Hollaender, Friedrich • (1896–1976). Revue-, Kabarett- und Filmkomponist. – Quellen: Wikipedia; Akademie der Künste, Berlin (Friedrich-Hollaender-Archiv).

Von Kopf bis Fuß. Mein Leben mit Text und Musik. München: Kindler, 1965. – S. 40 f.: »Aber wie lernt man einen Dichter kennen? / Durch den Zufall allein. Durch den Zufall, der von oben kommt und keiner ist. In der gleichen Straßenbahn, Nummer 79, diesmal in umgekehrter Richtung aus Halensee kommend, saß sie, mußte es sein, als ich eines Morgens zur Schule fuhr. In einem dunklen Kattunkleid, aber mit Silbersandalen, saß sie in einer Ecke am Fenster, die unsichtbare Rose auf der Wange. Einen frischgedruckten Packen des ›Sturm‹ unter den Arm gepreßt. / Der ›Sturm‹ war die junge, aufrüttelnde Kunstzeitschrift des Tages. Herwarth Walden war ihr Herausgeber. Herwarth Walden war Else Lasker-Schülers Mann. / Ich reimte, und wußte. Bald würde ich erfahren, daß sie, wie jeden Morgen, die Zeitschrift ausgetragen, zum Verkauf an den Kiosken angeboten hatte. Mit magerem Resultat, wie jeden Morgen. / ›Darf ich Ihnen das Paket tragen?‹ / ›Aber –, sind Sie nicht auf dem Weg zur Schule?‹ / ›Ich möchte Ihnen das Paket abnehmen. An welcher Haltestelle kommt Ihr nächster Kiosk?‹ / ›Aber – – –‹ / Meine Seele, die die deine liebet, dachte ich. / Ecke Joachimsthaler verkauften wir gleich drei. Das sind drei mehr als sonst, sagte sie.« – Neuausgabe: Von Kopf bis Fuß. Mein Leben mit Text und Musik. Hg. und kommentiert von Volker Kühn. Bonn: Weidle Verlag, 1996. S. 33.

Humm, Rudolf Jakob • (1895–1977). Schriftsteller, Journalist und Übersetzer. – Quellen: Historisches Lexikon der Schweiz; Wikipedia.

Bei uns im Rabenhaus. Aus dem literarischen Zürich der Dreißigerjahre. Mit 30 Bildern. Zürich und Stuttgart: Fretz & Wasmuth Verlag, 1963. – S. 42 f.: »Else Lasker-Schüler, warum soll man das nicht sagen, war als Mensch ein kleines Greuel und alles andere als ein ›Prinz von Theben‹. Unzählige Anekdoten sind über sie festgehalten, die von der Bestürztheit der Menschen zeugen, wie denn diese kleine Stachelbeere so schöne Gedichte habe schreiben können! In einem unserer Salons sah sie eine ihr unbekannte Dame mit einem Hündchen an der Leine durch die Tür treten. Vorgestellt, maß sie sie von Kopf bis Fuß und sagte kalt: ›Das einzig Sympathische an Ihnen ist Ihr Hund!‹ Und es mag ja sein, daß die arme reiche Dame ihren Reichtum nicht zu tragen wußte, aber die Lasker-Schüler war auch mit den ärmsten Leuten so. […] Als Mensch ein böser Gnom – erst wenn man das festgestellt hat, darf man der Welt den Wert der Poesie dieses Wichtes auseinandersetzen.«

Jacques, Norbert • (1880–1954). Schriftsteller. – Quelle: Wikipedia.

Mit Lust gelebt. Roman meines Lebens. Hamburg: Hoffmann und Campe, 1950. – Über Else Lasker-Schüler 1915 in Zürich (S. 305): »Else Lasker-Schüler wieselte zwischen Odeon und Huguenin umher, brachte als ›Jüngling von Theben‹ dem schamhaften Korrodi Blumensträuße in die seriöse Redaktion der Neuen Züricher Zeitung und war bald für das Züricher Volk das Bild der Emigrantin geworden.«

Jung, Cläre M. • (1892–1981). Publizistin und Schriftstellerin. Sie war in zweiter Ehe mit Franz Jung verheiratet. – Quelle: Wikipedia.

Bilder meines Lebens [2]. In: Neue Deutsche Literatur. Jg. 20, H. 4 vom April 1972. S. 109–122. – S. 114–119: »Else Lasker-Schüler«. – Am 1. Juni 1910 fand in Berlin der erste Abend des Neopathetischen Cabarets statt. Else Lasker-Schüler las dort an zwei Abenden, am 9. Dezember 1910 und am 18. Januar 1911. Cläre Jung schreibt: »Ich erinnere mich noch des ersten Abends dieser neuen Lyriker, die sich Neopathetiker nannten, und zu dem ich mit meiner Freundin auf den Rat von Georg Heym, der dieser Gruppe angehörte, gegangen war. Der Abend war Else Lasker-Schüler gewidmet, die ich hier zum erstenmal sah. Sie ist wahrhaft eine Dichterin gewesen, sie kannte die Magie des Wortes und bannte eine bessere und schönere Welt in ihren Versen, die sie auch in einer besonderen, fast liedhaften Form vortrug. […] / Else Lasker-Schüler hat einmal den Sinn ihres Schaffens so ausgedrückt, als sie mich auf der Straße traf, traurig und verwirrt über einen Konflikt, den ich gerade hatte: ›Mein liebes Kind, Sie müssen ein schönes Gedicht schreiben. Ich tue das immer, wenn ich sehr unglücklich bin. Aus jedem Leid muß ein Gedicht blühen, das dazu da ist, eines anderen Leid zu mildern.‹ / Dann legte sie den Arm um meine Schulter und sagte: ›Kommen Sie mit mir, Sie sollen jetzt nicht allein sein.‹ In der Nähe des Bahnhofs Zoo hatte sie ein kleines Hotelzimmer, und lachend erklärte sie mir: ›Ich wohne am liebsten in einem Hotel. Dann habe ich immer das Gefühl, ich bin auf Reisen, in irgendeiner fremden Stadt.‹ / Die Dichterin war immer unterwegs. Ihr Zimmer aber hatte sie ganz nach ihrem Geschmack eingerichtet: auf einem Tisch befand sich ihre große Sammlung schöner kleiner Glastiere, von denen sie mir eines als Geschenk mitgab, als ich nach herzlichem Gespräch getröstet von ihr ging.«

Paradiesvögel. Erinnerungen. Hamburg: Nautilus / Nemo Press [1987]. – S. 8 f.: »Ich erinnere mich noch des ersten Abends dieser neuen Lyriker, die sich ›Neo-Pathetiker‹ nannten und zu dem wir auf den Rat von Georg Heym gingen. Der Abend war Else Lasker-Schüler gewidmet, die ich hier zum ersten Mal sah. Für sie hatte Bedeutung, was Thomas Mann einmal vom Dichter sagte: Er sei nicht der, der Dinge erfindet, sondern der andere, der sich ›etwas aus den Dingen mache‹. Sie selbst hat später einmal, als sie mich auf der Straße traf, traurig und verwirrt über einen Konflikt, den ich hatte, den Sinn ihres Schaffens so ausgedrückt: ›Mein liebes Kind, schreiben Sie ein schönes Gedicht. Aus jedem Leid muß ein Gedicht erblühn, das dazu da ist, eines anderen Leid zu mildern.‹ / In dieser Dichterin lebte etwas von der Welt des Morgenlandes, von dessen Farbenglanz so viele ihrer Verse und ihrer kleinen Bilder zeugten. Sie wollte die Welt mit dem Zauber ihrer Phantasie verschönern, sie licht und heiter machen. ›In sich muß man den Himmel suchen‹, schrieb sie in einem ihrer Bücher, das den bezeichnenden Titel ›Mein Herz‹ hatte. ›Er blüht am liebsten im Menschen. Und wer ihn gefunden hat, der sollte seine Blüte Himmel pflegen.‹«

Jung, Franz • (1888–1963). Schriftsteller. – Quellen: Deutsche Biographie; Wikipedia; Akademie der Künste, Berlin (Franz-Jung-Archiv und Sammlung).

Der Weg nach unten. Aufzeichnungen aus einer großen Zeit. Neuwied und Berlin: Luchterhand, 1961. – Über Begegnungen mit Else Lasker-Schüler während des Ersten Weltkriegs (S. 106): »In dieser Zeit erneuerte ich meine Bekanntschaft zu Else Lasker-Schüler, mit der ich schon früher auf den Aktionsabenden bekannt geworden war. Ich traf sie meist im Café des Westens. Sie saß dort viel allein, wie von allen verlassen. Sie war dankbar für jedes freundliche Wort. / Else Lasker-Schüler hatte jeden Kontakt zur Umwelt und den Vorgängen draußen in der Welt verloren. Der Krieg muß für sie etwas Unvorstellbares und auch völlig Unverständliches gewesen sein. Sie hat mich manchmal im Café aufgefordert, sie in ihre Wohnung zu begleiten. Ich erinnere mich an ein typisches Altberliner Zimmer, mit einem kleinen Podium am Fenster, wie das früher war in der guten alten Zeit, als die Bewohner dort ihre Blumentöpfe stehen hatten. Auf diesem Podium saß dann Else Lasker-Schüler auf einem einfachen Rohrstuhl und sah auf die Straße hinaus und in ihre Welt, die Kamelstraßen durch die fernen Wüsten, das seit Jahrtausenden angestammte Land des Prinzen von Theben. Sie sprach vor sich hin und überließ sich den bunten Träumen oder sie rezitierte Gedichte oder las aus Briefen vor, die sie durch Kuriere zu senden beschlossen hatte und die niemals abgeschickt worden sind. Der Besucher saß etwas abseits am Tisch in der Mitte des Zimmers und hörte zu, stundenlang und voller Ehrfurcht.«

Kaufmann, Julius • (später: Jizchak Kadmon) (1887–1955). Kaufmann und Zeitschriftenredakteur.

Vom Rheinland ins Heilige Land. Erinnerungen von Julius Kaufmann-Kadmon aus Eschweiler. 1887–1955. Eschweiler: Eschweiler Geschichtsverein, 2004. – Über die Herausgabe der Zeitschrift »Die Freistatt« (1913/14) schreibt Julius Kaufmann (S. 72): Fritz Kaufmann, der Bruder von Julius Kaufmann, »schlug […] den Namen ›Freistatt, alljüdische Revue‹ vor, um damit zum Ausdruck zu bringen, dass wir allen jüdischen Richtungen eine Tribüne geben wollten. […] Wir beschlossen, dass Fritz die redaktionelle Seite der Zeitschrift, ich die administrative übernehmen solle. Ludwig Strauß sollte den westjüdisch literarischen Teil leiten. […] / Während ich mich bemühte, Interessenten in der weiten Welt zu finden, wandte sich Fritz um Mitarbeit an die jüdischen Schriftsteller, und eine stattliche Anzahl leistete seinem Ruf Folge. […] Literarische Beiträge brachten wir u. a. von […] Else Lasker-Schüler […] und weiteren Schriftstellern.«

Kesten, Hermann • (1900–1996). Schriftsteller. – Quellen: Historisches Lexikon der Schweiz; Wikipedia.

Dichter im Café. Wien, München, Basel: Kurt Desch, 1959. – S. 418: »Ins Café des Westens kamen Ferdinand Hardekopf, der Übersetzer, und Wilhelm Meyer-Förster, der vergessene Autor des ‚unsterblichen‘ Alt-Heidelberg, und die Lyrikerin Else Lasker Schüler, die ‚postlagernd‘ wohnte, als ›Prinz von Theben‹, oder ›Schwan von Israel‹ signierte, aus Elberfeld war, und so lange im Café des Westens saß, bis ihr ein Kollege den Kaffee endlich bezahlte.«

Kestenberg, Leo • (1882–1962). Musikpädagoge, Pianist und Komponist. – Quellen: Deutsche Biographie; Wikipedia.

Bewegte Zeiten. Musisch-musikantische Lebenserinnerungen. Wolfenbüttel und Zürich: Möseler Verlag, 1961. – S. 36: »Else Lasker-Schüler trafen wir hier in Israel wieder. Die große Dichterin wohnte in Jerusalem, kam aber des öfteren zu uns nach Tel-Aviv zu Besuch. Sie liebte es sehr, wenn ich ihr vorspielte, was ich stets gern tat, da sie eine ungewöhnlich gute Zuhörerin war.«

Kober, August Heinrich • (1887–1954). Journalist und Schriftsteller.

Einst in Berlin. Rhapsodie 14. Nach dem Tode des Verfassers hg. und bearbeitet von Richard Kirn. Hamburg: Hoffmann und Campe, 1956. – Über Else Lasker-Schüler und das Café des Westens in Berlin (S. 104): »An ihren Stammtischen sitzen sie wie in Höhlen: die zierliche schmalhüftige Lasker-Schüler, leidenschaftliche Lyrikerin, der ›Prinz von Theben‹, wie sie sich selber nennt – […].«

Kokoschka, Oskar • (1886–1980). Maler, Graphiker und Schriftsteller. – Quellen: Historisches Lexikon der Schweiz; Wikipedia.

Mein Leben. Vorwort und dokumentarische Mitarbeit von Remigius Netzer. München: Bruckmann, 1971. – Über eine Reise mit Else Lasker-Schüler und Herwarth Walden im August 1910 ins Rheinland (S. 109 f.): »Immerhin habe ich mit ihr und Herwarth Walden einmal eine unvergeßliche Rheinfahrt unternommen. Diese Reise traten wir mit einem riesigen Packen von ›Sturm‹-Nummern an, um Propaganda für unsere Zeitschrift zu machen. Die einzelnen Nummern warfen wir in die Postkästen der Villen und Häuser in den Städten, die uns für unsere Werbung günstig erschienen. In unserem Aufzug müssen wir etwas sonderbar ausgesehen haben, wie eine Zirkusgruppe. Else Lasker-Schüler als Prinz von Theben in Pluderhosen, Turban und mit langem schwarzem Haar, mit einer Zigarette in langer Spitze; Walden nicht weniger Bohemien als seine Frau, scharfäugig durch dicke Brillengläser umherspähend, mit spitzem Vogelkopf, großer Hakennase und gelbem, langem Haar, in einem verschlissenen Gehrock, dem unvermeidlichen hohen Stehkragen und seinen gelben Schnabelschuhen. Ich glaube, ich war ebenso komisch-elegant noch vom kaiserlichen Schneider in Wien gekleidet. So sind wir durch die Straßen von Bonn gezogen und wurden natürlich von den zusammenlaufenden Passanten belacht, verhöhnt, von Kindern bejubelt und von verärgerten Studenten fast verhauen. / Weil wir wenig Geld hatten, sind wir nur bis zu der Vaterstadt von Else Lasker-Schüler, nach Elberfeld, gekommen, wo sie seit ihrer Mädchenzeit nicht gewesen war.«

Korrodi, Eduard • (1885–1955). Schweizer Journalist und Literaturkritiker. – Quellen: Deutsche Biographie; Wikipedia.

Else Lasker-Schüler. In: Neue Zürcher Zeitung. Jg. 173, Nr. 125 (Abendausgabe) vom 18. Januar 1952, Blatt 6. – Über eine Begegnung mit Else Lasker-Schüler während des Ersten Weltkriegs in Zürich: »Einer fragte sie, wie denn ihre herrlichen und doch den Freiheiten des deutschen Expressionismus verhafteten Gedichte aus Juda der deutschen Literatur gemäß seien. ›Das berührt mich nicht‹, erwiderte sie und nestelte aus ihrer Handtasche ein Brot, altes, von dem man sagen konnte, sie brach es. Es war ihr Mittagsmahl. Sie schaute sich um im Café und wurde zur Makkabäerin, die Harfe Davids verwandelte sich in die Schleuder. Ein Berliner schlug vor ihrem Tischchen die Hacken zusammen und begrüßte sie: ›Na, da haben Sie ja wieder eine Wiege. Im Café des Westens sind Sie geboren.‹ Sie fuhr funkelnd auf: ›Sie jedenfalls nicht im Binsenkörbchen Mosis‹ – dem gab sie kein Wort mehr. Dann gingen wir zum Hechtplatz, wo die Deutsche ein Kreuz schlug vor dem altberühmten Hotel ›Schwert‹, in dem einer ihrer verfeindeten und wohltätigen Verleger – Cassirer – wohnte. Und wieder zurück ins ›Terrasse‹. Sie liebte damals mehr Zürcher als diesen hochbegabten Leonhard Frank, der gerade auf den Marmortisch den Titel seines neuen Buches schrieb: ›Der Mensch ist gut.‹ Sie wählte die Frageform ›Der Mensch ist gut?‹ – Sie zog eine zerknitterte, frankierte Postkarte an Fritz von Unruh hervor, der nicht an ihre Vorlesung kommen könne, weil er ›schaffen müsse‹. Ihre Antwort: ›Wie? Sie müssen schaffen, bei mir blüht’s.‹«

Kraft, Werner • (1896–1991). Schriftsteller und Bibliothekar. – Quelle: Wikipedia.

[Zuschrift an das »Mitteilungsblatt«.] In: Mitteilungsblatt. Irgun Olej Merkas Europa (Tel Aviv). Jg. 9, Nr. 4 vom 26. Januar 1945. S. 4.

Else Lasker-Schüler. Zur fünften Wiederkehr ihres Todestages. In: Neue Schweizer Rundschau (Zürich). N. F. Jg. 18, H. 8 vom Dezember 1950. S. 485–492. – »Gedenkrede, gehalten in Jerusalem am 4. März 1945.«

Erinnerungen an Else Lasker-Schüler. In: Hochland. Jg. 43 (1950/51). S. 588–592. – Über die von Else Lasker-Schüler in Jerusalem gegründete Vortragsvereinigung »Der Kraal« schreibt Werner Kraft: »Hier las sie aus ihren Schriften vor. Sie tat es meisterhaft, in völligem Gegensatz zu ihrem ekstatischen Wesen mit einer Gehaltenheit und Durchdachtheit, die für jedes Wort die stärkste Wirkung suchte und auch fand, denn sie hatte starke schauspielerische Gaben. Sie verschmähte gelegentlich beim Vorlesen auch nicht theatralische Effekte. Sie sagte ihre herrliche Ballade ›Josef wird verkauft‹, indem sie beim Sprechen mit einer Büchse klapperte und den Worten ein seltsames Summen beimischte, um der Eintönigkeit einer Karawanenwanderung durch die Wüste Ausdruck zu geben. Niemand außer ihr hätte sich solche außersprachlichen Effekte erlauben dürfen; bei ihr wirkten sie stark und echt. Einmal habe ich sie in dem schönen Saal der Bibliothek Schocken in Jerusalem ein Prosastück vorlesen gehört, das ein Jugenderlebnis darstellte, und am Schluß fügte sie, ich glaube, es war eine Improvisation des Augenblicks, die bis zum Überdruß bekannte deutsche Strophe hinzu: ›Stell auf den Tisch die duftenden Reseden, / Die letzten gelben Astern bring herbei / Und laß uns wieder von der Liebe reden / Wie einst im Mai!‹ Sie sagte diese Verse mit halb gebrochener Stimme so erschütternd, daß man nicht nur den Eindruck eines großen Gedichts hatte, sondern daß in ihnen das ganze zerstörte Deutschland noch einmal heraufkam.« – Vgl. Felix Stössinger: [Diskussion mit Zeitschriften.] In: Neue Schweizer Rundschau (Zürich). N. F. Jg. 19, H. 7 vom November 1951. S. 463.

Else Lasker-Schüler. Zum zehnten Todestag (22. 1. 1954 [1945]). In: MB. Mitteilungsblatt. Irgun Olej Merkas Europa (Tel Aviv). Jg. 23, Nr. 3 vom 21. Januar 1955. S. 3.

Im Gedenken an Else Lasker-Schüler. In: Neue Zürcher Zeitung. Jg. 176, Nr. 262 (Sonntagausgabe) vom 30. Januar 1955, Blatt 4 (»Literatur und Kunst«).

Mein blaues Klavier. Zu Else Lasker-Schülers Gedichten. In: Deutsche Universitätszeitung (Göttingen). Jg. 11, Nr. 23/24 vom 23. September 1956. S. 20–24.

Die Dichterin. In: Jahresring 58/59. Beiträge zur deutschen Literatur und Kunst der Gegenwart. Hg. vom Kulturkreis im Bundesverband der deutschen Industrie und bearbeitet von Rudolf de le Roi, Ludwig Grote, Joachim Moras, Hermann Rinn. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1958. S. 62–66.

Wort und Gedanke. Kritische Betrachtungen zur Poesie. Bern und München: Francke, 1959. – S. 216–229: »Else Lasker-Schüler«.

Else Lasker-Schüler. In: Juden, Christen, Deutsche. Hg. von Hans Jürgen Schultz. Stuttgart: Kreuz-Verlag, Olten und Freiburg im Breisgau: Walter-Verlag, 1961. S. 380–388. – Radio-Essay, geschrieben für den Süddeutschen Rundfunk.

Nachwort. In: Else Lasker-Schüler: Verse und Prosa aus dem Nachlaß (Gesammelte Werke. Bd. 3. Hg. von Werner Kraft). München: Kösel, 1961. S. 149–165.

Else Lasker-Schüler und Karl Kraus. In: MB. Mitteilungsblatt. Irgun Olej Merkas Europa (Tel Aviv). Jg. 31, Nr. 1 vom 4. Januar 1963. S. 3. – Leserbrief.

Else Lasker-Schülers Nachruhm. Zum zwanzigsten Todestag der Dichterin (22. Januar). In: Neue Zürcher Zeitung. Jg. 186, Nr. 259 (Morgenausgabe) vom 22. Januar 1965, Blatt 5.

Else Lasker-Schülers Nachruhm. Zum zwanzigsten Todestag der Dichterin am 22. 1. 1965. In: MB. Wochenzeitung des Irgun Olej Merkas Europa (Tel Aviv). Jg. 33, Nr. 5 vom 29. Januar 1965. S. 4. – Einleitend schreibt Werner Kraft: »Als wir vor zwanzig Jahren Else Lasker-Schüler auf dem Ölberg zu Grabe trugen, hatte die Dichterin ihre mächtige Lebensenergie bis auf den letzten Rest verhaucht. Sie hat Hitlers endgültigen Zusammenbruch nicht mehr erlebt und ist ohne Hoffnung gestorben, sie, die doch so natürlich wie dämonisch immer die Welt um ihre dichterische Grösse geordnet hatte. In einem Gespräch, das ich kurz vor ihrem Tode in dem nun auch Vergangenheit gewordenen Café Sichel mit ihr führen durfte, sprach sie ihre völlige Verzweiflung fast gegen ihren Willen unverhüllt aus. Meinen Versuch, sie durch einen Hinweis auf ihre schönen Gedichte zu trösten, wies sie schroff ab. Als ich ihr aber humoristisch vorschlug, sie solle doch alles, was sie gegen die Welt auf dem Herzen habe, in einem grossen Gedicht ausdrücken, es könne auch gegen mich gerichtet sein, da sagte sie wider alles Erwarten innig und verschmitzt: ›Ja, und dann müsste es ‚Werner‘ heissen.‹ So hatte sie meinen gar nicht als Angriff gemeinten Worten liebevoll die Spitze abgebogen, Humor rief den Humor hervor, und sie lebte noch einmal auf.«

Gespräche mit Martin Buber. München: Kösel, 1966. – S. 37 f.: »26.12.1958 / Ich hatte Buber nach seinem Eindruck von ›Ich und Ich‹ gefragt. Er hatte das Stück im ›Kraal‹ von Else Lasker-Schüler vorlesen hören. Er sagt, er sei damals sehr betrübt gewesen, wie er überhaupt ihre Vertraulichkeit mit Gott nicht habe mitmachen können. Aber bei einem Nachlaß komme es auf das ›Charakteristische‹ an, nur das völlig Wertlose habe man das Recht auszuschließen. – Inzwischen hat Buber das Stück gelesen und ist – wie Ernst Ginsberg – gegen die Veröffentlichung. […] Er sagt dann von Else Lasker-Schüler, es dichtete immer in ihr, und sie habe nicht zwischen Gelungenem und Mißlungenem unterscheiden können, während sie es bei anderen sehr wohl vermocht hätte. Er glaubt auch nicht, daß sie irgend eine Kenntnis von der Kabbala hatte, aber sie hat Gedanken dieser Art, die sie in sich dichtete, bei anderen aufgegriffen. Buber hat trotz aller Einwände ein positives Verhältnis zu ihrer Dichtung, wie er ausdrücklich betonte. Er erzählte Folgendes. Sie hatte die ›Wupper‹ bei Reinhardt eingereicht, und dieser und Kahane waren gegen die Aufnahme. Efraim Frisch, Dramaturg bei Reinhardt, ein ›nobler Mensch‹, hatte sich erboten, diese Entscheidung der Dichterin schonend beizubringen. Buber wohnte damals in Zehlendorf und an einem Abend – da waren Frisch und Loerke – kam die Dichterin, und als sie Frisch sah, begrüßte sie ihn mit den Worten: ›Ah, Sie sind der Geldschrank!‹ Nun lag gerade auf Bubers Schreibtisch der Sonderdruck eines Gedichts von Mombert ›Die Brücke‹, das dieser ihm geschickt hatte. Buber sagte übrigens von Mombert zu mir, er möchte heute für das Ganze seines Werks nicht mehr einstehen, und doch sei bei ihm alles richtig, auch das Kosmische, während doch Else Lasker-Schüler etwas ›verrückt‹ gewesen sei, und durch eine neue Auswahl müsse das auch herauskommen. Aber Mombert habe auch manchmal falsche Töne. – Als Loerke – den Buber einen Sebastian Bachschen Menschen nennt, der einmal falsch gehandelt und dafür mit seinem Leben gebüßt habe – das Gedicht von Mombert auf dem Tisch liegen sah, fragte er ihn, ob es ein schönes Gedicht sei. Buber bejahte die Frage mit den notwendigen Einschränkungen. Darauf bat Loerke ihn, das Gedicht vorzulesen, und er tat es. Nach der Vorlesung platzte die Dichterin heraus: ›Das soll ein Gedicht sein, ‚Seelenaugen‘?! Das ist unmöglich!‹ Was Buber auch zugab. Später schrieb sie ihm einen Brief, der mit den Worten begann: ›Die Wölfe sind bei Ihnen eingebrochen.‹« S. 47 f.: »18.2.1959 / […] Während Buber bisher meinte, ich solle ›Ich und Ich‹ von Else Lasker-Schüler nicht in den Nachlaßband aufnehmen, er nannte das Drama ›unselig‹, sagte er heute im Laufe des Gesprächs, man könne es vielleicht aufnehmen, wenn man den Hauptakzent auf das Ende dieser so beschaffenen Person lege, auf das Dokumentarische an diesem Ende. Es wurde mir übrigens deutlich, daß er, obwohl er immer wieder das Gegenteil behauptet, ihre Gedichte nicht für so vollkommen hält, wie er vorgibt: will sagen die etwa zwanzig Gedichte, die es in dieser Art gibt. Ihn stößt das Pathologische ihres Sprachausdrucks mehr ab als ihn das Gesunde anzieht.«

Zeit aus den Fugen. Aufzeichnungen. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, 1968. – S. 202–209: »Die Dichterin«.

Else Lasker-Schüler. Zur Feier ihres 100. Geburtstages. Tel Aviv: Deutsche Bibliothek, 1969. – Als Manuskript gedruckt. Gedenkrede, gehalten in der Deutschen Bibliothek Tel Aviv am 11. Februar 1969.

Sprüche in Reimen von Goethe. In: Neue Zürcher Zeitung. Jg. 192, Nr. 13 (Sonntagausgabe [= Fernausgabe Nr. 8]) vom 10. Januar 1971. S. 52 (Literatur und Kunst). – Hinweis auf Else Lasker-Schüler: »Als ich Else Lasker-Schüler von Walter Benjamins Selbstmord erzählte, sagte sie, ich hätte ihm gesagt, er solle noch bis zum nächsten Morgen warten. Das könnte gemeint sein, wenn Goethe so stürmisch warnt, sich nicht ›fangen‹ zu lassen.«

Else Lasker-Schüler (1869–1945). In: Rheinische Lebensbilder. Bd. 5. Im Auftrag der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde hg. von Bernhard Poll. Bonn: Rheinland-Verlag, 1973. S. 227–242.

Das Ja des Neinsagers. Karl Kraus und seine geistige Welt. München: edition text + kritik, 1974. – S. 191–198: »Georg Trakl und Else Lasker-Schüler«.

»Diese Erscheinung brannte vor Neugier«. In: Meine Träume fallen in die Welt. Ein Else Lasker-Schüler-Almanach. Hg. von Sarah Kirsch, Jürgen Serke und Hajo Jahn. Redaktion: Monika Bistram und Stefan Koldehoff. Hg. mit der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft und dem Kulturamt der Stadt Wuppertal. Wuppertal: Peter Hammer Verlag, 1995. S. 193–196. – Werner Kraft im Gespräch mit Ernst-Andreas Ziegler im Januar 1991.

Spiegelung der Jugend. Mit einem Nachwort von Jörg Drews. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1996. [Zuerst 1973 erschienen.] – S. 106: Gespräch mit Rudolf Borchardt über Else Lasker-Schülers Gedicht »Ein alter Tibetteppich«, das Borchardt nicht in die Anthologie »Ewiger Vorrat deutscher Poesie« aufgenommen hatte. Kraft schreibt: »[…] dann nannte ich Else Lasker-Schüler. Großes Erstaunen. Ich fing sofort an: ›Deine Seele, die die meine liebet, / Ist verwirkt mit ihr im Teppichtibet.‹ Ich konnte nicht weitersprechen: alle lachten. Borchardt lachte nicht, aber er teilte die Ablehnung. Und sagte sogar: ›Und außerdem heißt es doch Tibét!‹ Als wenn das Land Tibét mit dem Traumtibet des Gedichts identisch wäre!«

Kreitner, Leopold B. • (1892–1969). Journalist.

Der junge Kafka. In: »Als Kafka mir entgegenkam …«. Erinnerungen an Franz Kafka. Hg. von Hans-Gerd Koch. Berlin: Klaus Wagenbach, 1995. S. 45–54. – S. 52 f.: »Ich glaube, daß es an einem Abend im Jahre 1913 war, daß die deutsche Dichterin Else Lasker-Schüler einmal der Ehrengast war. Sie hatte ein sehr affektiertes und übertriebenes Wesen. Gegen Mitternacht verließen wir alle (ich erinnere mich, daß Franz Werfel und Egon Erwin Kisch ebenfalls anwesend waren) die Veranstaltung, und unsere Besucherin – sie nannte sich ›Prinz von Theben‹ und versuchte angestrengt, auch so auszusehen – sank angesichts des wunderschönen Platzes, der mit seinen gotischen Türmen rechts und links in nahezu überirdisches Mondlicht getaucht war, auf ihre Knie nieder und begann, eine improvisierte Ode zu rezitieren. Ein Polizist griff ein und fragte sie, wer sie sei. Stolz erwiderte sie: ›Ich bin der Prinz von Theben‹, worauf Kafka korrigierte: ›Sie ist nicht der Prinz von Theben, sondern eine Kuh vom Kurfürstendamm.‹«

Krell, Max • (1887–1962). Schriftsteller und Verlagslektor. Er leitete in den zwanziger Jahren die Romanabteilung des Ullstein-Verlags in Berlin. – Quellen: Deutsche Biographie; Wikipedia.

Das alles gab es einmal. Frankfurt am Main: Heinrich Scheffler, 1961. – S. 210–213: »Der himmelblaue Luftballon« (über Else Lasker-Schülers Kontakte mit dem Ullstein-Verlag). Max Krell schreibt unter anderem: Else Lasker-Schüler »hatte vor Jahren, als Paul Wiegler noch an diesem Schreibtisch saß, ein Manuskript gebracht, kleine Prosastücke mit jenen zarten bunten Phantasiereflexen, die wie aus der Luft gegriffene Sonnenstrahlen waren. Zwanzig Seiten, nicht mehr, dazu das Versprechen, anderes zu bringen, sobald es sich in ihr gemeldet habe. / Sie bekam einen Vorschuß und vergaß das ›andere‹. Sie schrieb die kleinen Prosastücke neu und verstreute sie in Zeitungen und in die Bücher, die der Verlag Paul Cassirer herausbrachte. Niemand nahm es ihr übel. Denn sie steckte immer in Schwierigkeiten, die sie mit dem Beistand ihrer Bewunderer meisterte. Sie selber war großzügig. / Das Manuskript also, das in meinem Schrank lag, wuchs nicht weiter. Ich fragte einmal nach dem Fortgang. Seitdem kam sie öfters ›nur gerade mal vorbei‹. / ›Wann bringt ihr mein Buch?‹ / Ich sagte etwas von den zwanzig Seiten, aus denen der ingeniöseste Drucker noch kein Buch machen könne, höchstens ein Heftchen; das verlöre sich leicht unter den Türmen der Buchhandlungen, und das wäre doch schade. / ›Der Doktor Albert Einstein hat fünf oder sechs Buchstaben und Zahlen auf ein Blatt Papier geschrieben. Die ganze Welt spricht darüber, jeder druckt ihn, und er verdient Millionen. Meine Prosastücke sind Rubine, Smaragde, Saphire. Die verlieren sich nicht unter der Masse. Und selbst wenn ein paar Amethyste oder Rauchtopase darunter sind, so leuchten sie doch immer. Ich muß den Doktor Einstein fragen, wie er das mit den fünf, sechs Buchstaben gemacht hat. Glauben Sie, daß er es mir erklärt?‹«

Kunz, Ludwig • (1900–1976). Zeitschriftenredakteur und Journalist in Görlitz. Er schrieb für das »Berliner Tageblatt« und die »Vossische Zeitung«. Ab 1938 lebte er in Amsterdam.

Verse bei Kerzenlicht. In: Lasker-Schüler. Ein Buch zum 100. Geburtstag der Dichterin. Hg. von Michael Schmid. Wuppertal: Peter Hammer, 1969. S. 70–72. – Über eine Begegnung in Kolberg und eine Lesung in Görlitz am 14. Januar 1923: »Else Lasker-Schüler liebte das Ostseebad Kolberg mit dem weitgedehnten Strand und den – von ihr so genannten – ›Wiesenschaumkrautwiesen‹. Deutlich sehe ich die Dichterin noch vor mir: als ich sie kennenlernte – sie war damals einundfünfzig – verriet ihr vom Leben verwittertes Gesicht ganz unverkennbar die Züge einstiger fraulicher Schönheit. Unter tiefschwarzem Haar herrschten ihre dunklen brennenden Augen. Die Welt hatte sie immer wieder bitter enttäuscht. So blieb ihr nur die ständige Flucht aus einer für sie ausweglosen Realität in ihre Mythenwelt. In Kolberg wohnte sie dicht am Strande, in einem kleinen, grünumrankten Sommerhaus. Am Strande gab sie sich ihren mythischen Visionen hin und erzählte mir von ihren stillen Morgenträumen, aber auch einmal von einem feuerroten Stern, der über Theben erschienen sei. Oft schien sie mit sich selbst zu sprechen. Ihr Blick war auf das weite Meer gerichtet, in die fernste Ferne, ihre ›bunte Thebenstadt‹. / […] / Bei Kerzenlicht las sie ihre Verse. Sie sprach meisterlich. Sie las nicht nur ihre Strophen, sondern sie spielte sie geradezu mit den ausdrucksvollen Gesten einer bedeutenden Schauspielerin. Aus jedem einzelnen der Gedichte wußte sie auf großartige Weise eine dramatische Szene zu gestalten. Erstaunlich war auch die Konzentration ihrer Vortragsweise. Kein einziges Wort entging ihrer lebendigen Darstellung. Ich höre noch ihre dunkle melodische Stimme, die sich vom ekstatischen Schrei ganz plötzlich in den sanftesten Flüsterton verwandeln konnte […].«

Küster, Kat(h)inka • (später: Catherine Kuester-Ginsberg). Psychotherapeutin. In Palästina mit Wolfgang Yourgrau (1908–1979) liiert. Mitarbeiterin der Zeitschrift »Orient«. Sie lebte später in London.

Else Lasker-Schüler zum Gedächtnis. In: Blick in die Welt (Hamburg). [Jg. 3 (1948),] Nr. 18. S. 28. – »Es sind jetzt mehr als zwei Jahre her, dass Else Lasker-Schüler an einem Januartag auf der Strasse in Jerusalem zusammenbrach. Nicht zum erstenmal versagte das Herz der 76jährigen ihr den Dienst. Aber sie hatte frühere Warnungszeichen nicht beachten wollen und liess es sich nicht nehmen, bei jedem Wetter Freunde und Vorträge, das Kino und ihr geliebtes Café, ›die kleinen Schauplätze der Welt‹, zu besuchen. / ›Is ja noch schöner‹, protestierte sie auch jetzt noch, als man sie in das auf dem Ölberg gelegene Krankenhaus brachte. Bis zu ihren letzten, schon fast bewusstlosen Tagen wehrte sie sich mit aller Energie gegen ›dies ärmliche Kranksein-Sollen‹. Sie lag als Patientin dritter Klasse in einem Saal mit vielen leerstehenden Betten, in denen andere vor ihr die Reise angetreten hatten, gegen die sie sich noch sträubte. Über ihrem Bett hing, wie über dem aller anderen ›eingelieferten Fälle‹, ein Schild mit ihrem Namen, den man hier nur als den einer Kranken, nicht auch einer Dichterin kannte. / […] Völlig mittellos gelangte die jüdische Dichterin in die von ihr besungene und ersehnte Heimat, die ihr wiederum ein Hungerleben bereitete. Alt, gebrechlich, wunderlich wirkend, blieb sie auch dort eine Fremde. / Ein paar Freunden gelang es, der Dichterin eine bescheidene Monatsrente zu sichern. Sie bezog keine Wohnung. Sie hauste in einem Zimmer, bei einer Wirtin, die nicht wusste und niemals verstand, wen sie beherbergte. Sie machte der ›unbequemen Alten‹ schon ›auf Erden die Hölle‹, quälte und ängstigte sie und zwang sie, ihr Zimmer selbst zu reinigen. Das Geld reichte nicht, um die Wäsche waschen zu lassen. Die 76jährige Else Lasker-Schüler, der ›Prinz von Theben‹, wusch und kochte selber und schrieb dabei ihre letzten Gedichte. In diesem Zimmer, in dem die Spinnen die Gardinen webten, schrieb sie auch auf einem von qualmenden Petroleumkochern verengten Tisch und mit russigen Händen an ihrem noch unveröffentlichten Schauspiel ›Ich und Ich‹. Sie blieb in dem unseligen Zimmer, weil es ›mitten im Leben lag‹ und seine Bewohnerin von hier aus ›über Gräber auf die Berge Moabs‹ blicken konnte. / Bis zu ihren letzten Lebensjahren hielt sie an den unbürgerlichen Gewohnheiten ihrer Jugend fest und konnte oder wollte sich keiner ›geordneten‹ Lebensführung anbequemen. Im täglichen Umgang gab sie sich mit der Nachlässigkeit eines noch jugendlichen Bohèmiens und sprach mit dem behäbig-breiten, rheinischen Akzent ihrer Heimat. In Augenblicken dichterischer Steigerung aber verwandelte sie sich in ein anderes, strengeres und entrückteres Wesen. Dann unterwarf sie sich den Gesetzen ihrer Kunst und verbarg sich, um zu arbeiten, in ihrem Zimmer, sodass niemand sie sah, wenn sie, wie sie es nannte, ›ihre Gedichte pflückte‹. Sie schrieb in einer grossen, steilen Altershandschrift, und las sie das Geschriebene vor, unterbrach sie sich oft, um wie ein Anfänger zu fragen: ›Findste es wirklich schön?‹ / Da ihr unruhiger Geist rastlos tätig war, fiel es den treusten Freunden oft schwer, mit ihr umzugehen. Sie hasste alle ›Faulgewordenen‹. Als einer ihrer Freunde sich zu einem regelmässigen Mittagsschlaf entschloss, weckte sie ihn mit ihrem Schirm, dem immer treuen Begleiter: ›Raus aus der faulen Gewohnheit‹. Sie haderte mit allen Menschen, weil ›sie die Liebe sterben liessen‹, und sie haderte mit Gott, der es zuliess. / Nur im Gespräch schien sie Ruhe zu finden und jene Zuflucht, die ihr kein Land mehr geben konnte. ›Man muss immer denken, man muss sprechen‹, pflegte sie zu sagen. Und wenn der Gesprächspartner erschöpft nach Erfrischung verlangte, brauste sie auf: ›Lass das doch, is denn Tee so wichtig?‹ / […] Mit ihrem Tode entschwand den Blicken der Einwohner von Jerusalem kaum mehr als die schon zu Lebzeiten eingesunkene Gestalt einer wunderlich-auffälligen, alten Frau, die oft genug ungezogene Kinder und unfreundliche Erwachsene auf der Strasse zurechtwies. Ihren Freunden und Verehrer, die sie auf dem Totenbett sahen, erschien sie in seltsamer Schönheit, zarter, als sie im Leben war und einer feierlichen, ägyptischen Königsmumie gleichend.«

Lindtberg, Leopold • (1902–1984). Schauspieler und Regisseur. – Quellen: Historisches Lexikon der Schweiz; Deutsche Biographie; Wikipedia.

So glänzte der Traum des Arthur Aronymus. In: Lasker-Schüler. Ein Buch zum 100. Geburtstag der Dichterin. Hg. von Michael Schmid. Wuppertal: Peter Hammer, 1969. S. 73–86. – Lindtberg berichtet unter anderem von einer Begegnung mit Else Lasker-Schüler in Jerusalem: »Den großen Einschnitt ihrer reifen Jahre – sie war damals schon 57 – bedeutete die Reise nach Palästina im Frühjahr 1934. Ich hatte das Glück ihr dort zu begegnen und das große, kindliche und dankbare Staunen über das Land der Bibel, der Juden, der frühen Christen und der Muselmanen beobachten zu können. Kein Brief, kein Zettelchen, worauf sie nicht mit ihrer wunderbar begabten Hand die Zinnen von Jerusalem, die Kuppel der Omarmoschée oder das Antlitz eines Jemeniten oder Beduinen gezeichnet hätte. […] Einmal, eines Spätnachmittags, begleitete ich sie über die belebte Hauptstraße im alten Jerusalem, die Jaffaroad. Wir traten zu einer Menschengruppe, die mit Erstaunen auf das Pflaster starrte und sahen einen etwa zwei Spannen großen, in abenteuerlichen Farben leuchtenden Falter, der sich in die Stadt verirrt und mitten auf der Straße niedergelassen hatte. Else Lasker-Schüler geriet in ein unbeschreibliches Entzücken über das wunderschöne Tier, das fast unbeweglich auf dem Pflaster ruhte. Auf einmal löste sich ein großer, ganz weiß gekleideter Araber aus der Gruppe und versuchte, nach dem Schmetterling zu greifen. Da stürzte sich Else Lasker furiengleich dazwischen, überschüttete den Mann mit einer Flut von Schimpfworten in reinstem Elberfelder Platt und schwang so bedrohlich ihre große Handtasche, daß der Mann erschrak und mit riesigen Schritten das Weite suchte.«

Reden und Aufsätze. (Hg. und mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Christian Jauslin.) Zürich und Freiburg im Breisgau: Atlantis Verlag, 1972. – S. 104–114: »So glitzerte der Traum des Arthur Aronymus«, zuerst 1969 in »Lasker-Schüler. Ein Buch zum 100. Geburtstag der Dichterin« erschienen.

Mann, Klaus

Eintragungen Klaus Manns im Tagebuch (Münchner Stadtbibliothek – Monacensia, Nachlass Klaus Mann) zu Begegnungen mit Else Lasker-Schüler und ihrem Werk:

11. September 1933: »Anruf von der Lasker-Schüler, leider.«

12. September 1933: »Später ins Café Neumann, dort: Else Lasker-Schüler, zerstört und irre, aber mit rührenden und begabten Momenten. Gibt mir ein konfuses, stellenweis schönes Gedicht.«

15. September 1933: »Anrufe von […] der Lasker-Schüler.«

16. September 1933: »[…] die gedankenflüchtige Lasker-Schüler im Café Neumann […].«

21. September 1933: »[…] ins Café Neumann; dort Lasker-Schüler […].«

11. Dezember 1933: »Telephon: […] die Lasker-Schüler.«

12. Dezember 1933: »In dem Augustiner Hof zur Lasker-Schüler. Ihre echte Zerstörtheit; Spuren legitimen dichterischen Wahnsinns.«

28. Dezember 1933: »Anruf: Lasker-Schüler.«

25. März 1934: »Abends: mit F. [d. i. Fritz Landshoff] bei James Simon. […] Klavierspiel […] (Texte: Lasker-Schüler, Manfred Hausmann, Fontane u. s. w.)«. – James Simon (1880–1944) hatte Else Lasker-Schülers Gedicht »Die Liebe« (»Es rauscht durch unseren Schlaf«) vertont. Exemplar im Nachlass Else Lasker-Schülers in der National Library of Israel (Jerusalem), Arc. Ms. Var. 501 (Else Lasker-Schüler Archive), File 15:17: »Frau Lasker-Schüler / dankbar zugeeignet von / James Simon / Amsterdam, Bachstr. 22 (Lindemann).« Datiert 22.–25. März 1934. – Vertonungen der Gedichte »Die Liebe« und »Weltende« auch im Nachlass von James Simon: Leo Baeck Institute New York, James Simon Collection (AR 5930), Box 1, Folders 17 und 19.

3. August 1934: »Die Lasker-Schüler getroffen. Ihr zerstörtes Affengesichtchen mit den starken Augen.«

5. August 1934: »Nachmittags mit der Lasker-Schüler im ›Terrasse‹. Schwatzt gespenstisch, doch dazwischen immer genial über Palästina, den Rabbi von Alexandria, die arme Julie Wassermann und Geistererscheinungen (ein blutiger Arm mit Hand im Zimmer – –)«.

19. November 1934: »Lasker-Schülerin, spukhafte Begegnung.«

23. Dezember 1934: »Klagend närrischer Anruf der Lasker-Schüler.«

30. Dezember 1934: »Abends mit Theres [d. i. Therese Giehse] – E [d. i. Erika Mann] bei Katzensteins. Bakys dabei. Unterhaltung, z. B., lang über die Julie Wassermann, die Lasker-Schüler, Döblin u. s. w.«

13. März 1937: »Abends: mit Eltern – Medi [d. i. Elisabeth Mann] in die Stadt: Vortrag von Z., [Zauberer; d. i. Thomas Mann] im Konservatorium, für einen jüdischen Verein; beginnend mit ad hoc verfasster Rede. (Über den Antisemitismus; zivilisatorische Rolle des Judentums. Über den ›Joseph.‹) Anschliessend: Vorlesung des ›Damentees‹ (aus dem III. Band.) – Gut besucht. Bekannte: Kahler, Beidlers, Tennenbaum, Frau Katzenstein, Hündchen [d. i. Constance Hallgarten] (ihre ziemlich würdelose Freundlichkeit mir gegenüber .... bei allem, was gewesen ist …); die Lasker-Schüler (hell-lodernd wahnsinnig; aber ihre kohlschwarzen Augen .... haben Gesichte ....); Rechtsanwalt Löwenfeld (oder .. stein?) aus München u. s. w.«

19. März 1937: »Den Dr Stössinger im ›Hinteren Stern‹ getroffen. (Dort auch Emmy Oprecht, Schauspieler Gretler, Erna Hirsch.) Mit ihm, zum Vortragsabend der Else Lasker-Schüler. Gedichte, aus dem Palästina-Buch, drei kleine Geschichten. Wunderliche Frau! Diese unentwirrbare Mischung aus echtem dichterischen Wahnsinn und Koketterie … Giehse, den Bühnenmaler Otto u. s. w. gesprochen.« – Zur Lesung im Zürcher »Kramhofsaal«, Füsslistr. 4.

25. März 1937: »Die Lasker-Schüler im ›Select‹ getroffen. 1 ½ Stunden mit ihr. Ein pudelnärrisch Ding; dazwischen aber immer wieder die Blitze …«

1. Oktober 1937: »Else Lasker-Schüler: / ›Die Liebe zu dir ist das Bildnis, / Das man sich von Gott machen darf.‹« – Aus »Das Hebräerland«.

1. Mai 1938: »Else Lasker-Schüler getroffen. Ihre Geldnöte.«

* * *

Der Wendepunkt. Ein Lebensbericht. Frankfurt am Main: S. Fischer, 1952. – Neuausgabe: Der Wendepunkt. Ein Lebensbericht. Mit Textvarianten und Entwürfen im Anhang hg. und mit einem Nachwort von Fredric Kroll. Erweiterte Neuausgabe. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2006. – S. 431: »In Zürich gab es das Elternhaus und den elterlichen Freundeskreis, außerdem aber auch noch die zahlreichen Bekannten, mit denen man sich im Café Odéon, in der Oprechtschen Buchhandlung oder im Oprechtschen Heim, im Foyer oder in der Kantine des sehr lebendigen und fortschrittlichen Schauspielhauses am Pfauenplatz traf. […] Else Lasker-Schüler, genannt ›Prinz von Theben‹, tauchte huschend in unserer Mitte auf, etwas wunderlich schon, manchmal beängstigend, manchmal von irrer Komik, aber in jeder Gebärde, jedem scheu geflüsterten oder zornig geraunten Wort die genuine Dichterin, das personifizierte Talent, ein Talent von solcher Intensität und so durchaus eigener Art, daß es in der Tat fast den Namen des Genies verdient.«

Mann, Thomas

Eintragungen Thomas Manns im Tagebuch:

Basel, 4. Mai 1933 (über eingegangene Briefe): »Gestern einer von E. Lasker-Schüler, für die ich bei der Alliance Israelite intervenieren soll.« (Thomas Mann: Tagebücher 1933–1934. Hg. von Peter de Mendelssohn. Frankfurt am Main: S. Fischer, 1977. S. 72.) – Zum Brief Else Lasker-Schülers vom 30. April 1933 (Else Lasker-Schüler: Werke und Briefe. Kritische Ausgabe. Im Auftrag des Franz Rosenzweig-Zentrums der Hebräischen Universität Jerusalem, der Bergischen Universität Wuppertal und des Deutschen Literaturarchivs Marbach am Neckar hg. von Andreas B. Kilcher [ab Bd. 9], Norbert Oellers, Heinz Rölleke und Itta Shedletzky. Bd. 9: Briefe. 1933–1936. Bearbeitet von Karl Jürgen Skrodzki. Frankfurt am Main 2008, Nr. 6.)

Küsnacht, 19. Dezember 1936: »Abends mit K. [Katia Mann] u. Reisiger ins Schauspielhaus: ein langes, ungeordnetes, aber liebenswürdiges rheinisches Judenstück der Lasker-Schüler, das großen Erfolg hatte.« (Thomas Mann: Tagebücher 1935–1936. Hg. von Peter de Mendelssohn. Frankfurt am Main: S. Fischer, 1978. S. 410.) – Zur Uraufführung von »Arthur Aronymus und seine Väter«.

Küsnacht, 19. März 1937: »K. und Medi [Katia und Elisabeth Mann] nach dem Abendessen zur Vorlesung der Lasker-Schüler« (Thomas Mann: Tagebücher 1937–1939. Hg. von Peter de Mendelssohn. Frankfurt am Main: S. Fischer, 1980. S. 42). – Zur Lesung im Zürcher »Kramhofsaal«, Füsslistr. 4.

Matzig, Richard B. • (1904–1951). Schriftsteller und Literaturwissenschaftler.

Träume vom Magnolienbaum. Ein Tessiner Skizzenbuch. Mit Zeichnungen von Gunter Böhmer. Zürich: Origo-Verlag, 1954. – S. 11 f.: »In Ascona habe ich die Dichterin damals gut gekannt. Wie ein Irrlicht ging sie durch die Gassen, in der brennenden Sonne, im peitschenden Regen, der hier elementarer niederbraust als anderswo. In roter Jacke, grüne Glasperlen im Ohr, trug sie mit heißen Augen ihre Inbrunst, ihre Verlorenheit durch die Zeit. Sie schrieb überall, im Café oder auf einer Bank an der Piazza, ihre wundersamen Verse, sie schrieb sie auf Papiersäcke oder auf das umhüllende Papier des Butterbrotes – und dann verlor sie die meisten dieser Gedichtblätter. Wenn wir sie einluden, berührte sie die Speisen kaum. Sie brachte selber einen Apfel und drei Nüsse mit. Ihre Versöhnlichkeit war grenzenlos. Eines Morgens kam sie, die schwarzen Haare wirr in der Stirne und mit funkelnden Augen, aufgeregt in unsere kleine weiße Wohnung im Parco Rampazzi und rief: ›Nun wird alles gut! Ich habe geträumt, daß Hitler in die Synagoge zum Beten gegangen ist!‹«

Mayer, Bernhard • (1866–1946). Aus dem Hunsrück gebürtiger Pelzhändler, Anarchist, Mäzen und Kunstsammler. Er ging 1892 nach Brüssel, wo er eine Kürschnerlehre begann, später ein Pelzgeschäft eröffnete und Filialen in Paris, Berlin, Zürich und Amsterdam gründete. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs zog er zunächst nach Berlin, 1916 nach Zürich, von dort nach Ascona. – Quelle: Wikipedia.

Erinnerungen aus meinem Leben (Typoskript: Leo Baeck Institute New York, LBI Memoir Collection [ME 432]). – Über Begegnungen mit Else Lasker-Schüler in Zürich und Ascona (S. 171 f.): »Im persönlichen Verkehr war sie unausstehlich. Sie erzählte die phantasievollsten und irrealsten Geschichten, die man glauben musste, wehe sonst dem Zweifler! Sie erzählte von Visionen, in denen König David sie besuchte. Ebenso behauptete sie, dass Jesus ihr erscheine. Sie erklärte sogar, dass sie davon Stigmata bekam. Sie erzählte stundenlang in farbigen Bildern, sodass man es die ersten Male gern anhörte. Später stellte sich heraus, dass sie bösartig war und mit allen Menschen in Streit geriet. Sie vergass ebenso schnell und tat, als sei nichts vorgefallen. / Bei ihrem ersten Besuch in unserem Haus, als andere Freunde sie um elf Uhr abends darauf aufmerksam machten, dass es Zeit sei zum letzten Tram, erklärte sie, sie sei zu erschöpft um heimzugehen und wollte die Nacht im Sessel verbringen, und meine Frau solle ihr Gesellschaft leisten. Es gelang dieser, sie um halb drei Uhr nachts ins Bett zu bringen. Vorher erzählte sie ihr die sonderbarsten Geschichten, und meine Frau musste schwören, nichts weiterzuerzählen. Am anderen Morgen in aller Frühe war sie verschwunden. Die Geschichten, die sie meiner Frau so geheimnisvoll anvertraute, hatte sie übrigens, wie wir später hörten, auch anderen erzählt.«

Mehring, Walter

Die verlorene Bibliothek. Autobiographie einer Kultur. Hamburg: Rowohlt Verlag, 1952. – S. 118–120: »[…] Zeitungen jeder Richtung, Getränke jedes Geschmacks verteilend, vermittelte Richard, einer der großen Kellnerdiplomaten der Bohème, zwischen der kunstpolitisch radikalen ›Aktion‹ – geführt von Franz Pfemfert und dessen Gattin, einer sozialrevolutionären russischen Adligen, und der formal-extremen ›Sturm‹gemeinde, wo die bibelgewaltige, frenetische Psalmistin Else Lasker-Schüler präsidierte (›Tino von Bagdad‹, ›Prinz von Theben‹); die eifersüchtige Seelenfreundin des ›Tierschicksale‹-Malers Franz Marc; astral stets in Palästina, ›dem gedanklich fernsten Land der Erde‹; dort, im Exil, ist sie auch gestorben. // ›Es pocht eine Sehnsucht an die Welt, / An der wir sterben müssen …‹ // Im ›Größenwahn‹, ihr zur Seite, thronte ihr zweiter, zeitweiliger Prinzgemahl, Herwarth Walden, der Gesetzgeber des ›Sturm‹. / […] / Und schien die Else Lasker-Schüler die verschlampte Re-Incarnation der Sulamith – ›schwarz, doch graziös wie die Hütten Kedars – wie die Teppiche Salomonis bunt‹ – so war der Triestiner Epiker Theodor Däubler ein Silen im ausgefransten Sakko, der im Fressen, Trinken, Rauchen und Dichten heidnische Völlerei trieb. […]« – Erweiterte und revidierte Neuausgabe: Die verlorene Bibliothek. Autobiographie einer Kultur. Icking und München: Kreisselmeier Verlag, 1964.

Berlin Dada. Eine Chronik mit Photos und Dokumenten. Zeichnungen von George Grosz, Ludwig Meidner, Kurt Schwitters u. a. Zürich: Verlag der Arche, 1959. – S. 18 f.: »[…] Eines Mittags, kurz nach Alfred Lichtensteins unsinnigem Heldentod, kam die Dichterin Lasker-Schüler ins ›Café des Westens‹ gestürzt und erzählte mit zornfunkelnden Blicken, Trakl habe sie im Schlafe heimgesucht, um ihr seinen Selbstmord anzudrohen. Jedermann analysierte diese Vision theoretisch verschieden. Denn jedermann wußte ja, daß die Lasker-Schüler überspannt, aber auch, daß sie eine wahre Dichterin war. Und um sie und sich zu beruhigen, schrieb und telegraphierte man an Trakls Verwandte in Salzburg und an die Feldpostadresse seines Regiments, das das Gerücht dementierte. Dann vierzehn Tage darauf erhielt die Familie die Benachrichtigung, daß ihr Sohn Trakl, Georg, Leutnant einer Sanitätskolonne, nach der Schlacht von Grodeck, Galizien, an einer Überdosis von Schlafmitteln […] im Garnisonsspital verstorben sei; unter dem Datum des Wahrtraumes der Lasker-Schüler … […]«

Mehring, Walter: Gedenkblatt für Else Lasker-Schüler. In: Neue Zürcher Zeitung. Jg. 180, Nr. 1386 (Abendausgabe) vom 5. Mai 1959, Blatt 10. – Erinnerung an eine Matinee zugunsten Else Lasker-Schülers.

Meyer, Alfred Richard • (1882–1956). Lyriker und Erzähler, Verlagsbuchhändler. – Quellen: Deutsche Biographie; Wikipedia.

die maer von der musa expressionistica. zugleich eine kleine quasi-literaturgeschichte mit über 130 praktischen beispielen. düsseldorf-kaiserswerth: die faehre, 1948. – Erwähnung von Else Lasker-Schülers »Hebräischen Balladen« (S. 106–108): »Die neue Ballade – im Gegensatz zum späten Adelsabglanz des Freiherrn Börries von Münchhausen, der Agnes Miegel, der Lulu von Strauß und Torney. Die neue Ballade, ebenso wie der neue Traum, erstanden aus innerer Handlung, ja ganz aus metaphysischer Sphäre. Wie das alles, in unterschiedlicher Art, dann sehr viel später bei Rudolf Leonhard, Else Lasker-Schüler, Franz Werfel, Klabund, Bert Brecht und auch bei Lautensack erwuchs, bis heute kaum gewürdigt, überhaupt nicht erkannt oder gar arg mißverstanden. So muß hier auch von der Ballade, im Zusammenhang mit dem Expressionismus, gesprochen werden, als von einem Neuland, das gewiß noch für die Zukunft Bedeutung haben wird. […] Fast um die gleiche Zeit, um das Jahr 1913, traten Rudolf Leonhard und Else Lasker-Schüler mit solch neuen Balladen auf den Plan: ersterer mit seinen ›Barbaren‹, letztere mit ihren ›Hebräischen Balladen‹ (Karl Kraus zum Geschenk) beides A. R. Meyer Verlag. […] Abraham und Isaak, Jakob und Esau, Esther, Pharao und Joseph, Boas und Ruth, David und Jonathan, Eva, Zebaoth, Moses und Josua sind die von der Lasker-Schüler beschworenen Gestalten, dazu Abel«.

Meyer, Friedrich Andreas (André) • (1888–1978). Schriftsteller und Jurist.

»Die Stimme Edens«. Deutung eines Gedichtes von Else Lasker-Schüler. Jerusalem 1957. – S. 3 f.: »Um den Sinn ihrer fast unbewußten, unwillkürlichen ›Offenbarung‹ zu verstehen, muß man wissen, daß sie der jüdischen Glaubenstradition im Grunde ihrer Seele völlig fernstand und daß sie weniger aus Überzeugung, sondern mehr aus Höflichkeit oder besser Pietät gegenüber guten Freunden, wie z. B. dem Rabbiner Kurt Wilhelm, damals in Jerusalem, an einem Rest von Tradition festhielt; ein Faktum, das sie dem Verfasser manchmal anvertraute.«

Mühsam, Erich

Namen und Menschen. Unpolitische Erinnerungen. (Hg. von Fritz Adolf Hünich.) Leipzig: Volk und Buch, 1949. – Über Else Lasker-Schüler und den Kreis »Die Kommenden« (S. 57 f.): »Neben Vorträgen und Diskussionen gab es bei den ›Kommenden‹ Rezitationsabende. Ältere, jüngere und allerjüngste Lyriker durften ihre Erzeugnisse zur Kritik stellen. Es war von recht unterschiedlichem Wert, kam aber auch aus höchst gegensätzlichen Weltauffassungen, was da zu Gehör gebracht wurde. Der Kreis um Peter Hille, der stets anwesend war, spielte eine eigene lyrische Melodie. Die dichterische Grundnote gab ein eigenartiges Zusammenklingen von Jean-Paul-hafter Bildfreudigkeit und psalmodierender Getragenheit. Die drei stärksten und begabtesten Persönlichkeiten dieses Kreises, Peter Hille selbst, Else Lasker-Schüler und Peter Baum, deren künstlerische Instrumente orchestermäßig zusammenstimmten, waren gleichwohl keineswegs als Lyriker voneinander abhängig. Die Temperamente waren viel zu verschieden, um eine wechselseitige Beeinflussung zuzulassen, die über das seelische Harmonieren hinausgegangen wäre. Peter Hille hatte gewiß die reichste Tonfülle auf seiner Leier, dafür glühte die Dichtung der Lasker-Schüler von dem Feuer orientalischer Phantasie, und Peter Baums Verse stiegen schemenhaft aus dem Dämmer mystischer Verträumtheit. Wahrscheinlich waren diese Gedichte eines menschlich und dichterisch aufeinander abgestimmten engen Kreises die wertvollsten, die jene literarischen Unterhaltungsabende überhaupt belebten.«

Nostitz, Helene von • (1878–1944). Schriftstellerin. Sie lebte ab den zwanziger Jahren in Berlin.

Helene von Nostitz über Else Lasker-Schüler. [Vorbemerkung von Oswalt von Nostitz.] In: Neue Zürcher Zeitung. Jg. 187, Nr. 2475 (Sonntagausgabe) vom 5. Juni 1966, Blatt 5 (Literatur und Kunst). – Über Begegnungen in Berlin: »Wir treten aus dem ›Café des Westens‹, zwei Dichter, ein Maler, Else Lasker Schüler und ich. Lange hatten wir um den kleinen Tisch gesessen, auf dem einige Schneeglöckchen einen zaghaften Frühlingsgruß brachten, und bunte Worte aneinandergereiht. Die Lasker Schüler hatte ihr Erzählen angefangen, bei dem alles Unwirkliche zu einer neuen Wahrheit erwacht. Die Kellner horchten, ein Pudel saß ernst auf einem Sofa. Und nun standen wir vor der Natur auf einer langen Straße, wo Hunderte von Großstadtmenschen an uns vorüberwanderten. Viele Bettler kamen; wirre Gestalten mit engen gebogenen Hüten und flauschigen Mänteln zogen ihres Weges; in der Ferne fingen einige Büsche an zu grünen. Unsere Caféhausgestalten sahen so unwirklich, so stilisiert in der ganzen Umgebung aus. Fast scheu wichen die Menschen vor uns aus, als wären wir Erscheinungen. Nun sprengten schöne Pferde vorüber. Da sagte die Lasker Schüler: / ›Ich bin mit einem Strauß spazieren gegangen, der goldene Augen und goldene Füße hatte. Dort ist ein Turm, in dem möcht’ ich wohnen.‹ / […] / Dampf scheint aus dem Boden zu steigen, und Staub und Rauchwolken umhüllen die bewegten Gestalten mit grauem Schleier. Scharlachrot leuchtet die Clowntracht der Musikanten. Die Dichterin will mit dem Neger tanzen, aber er grinst ein breites ›Nein‹. Nichts erstaunt in diesem Raum, auch nicht der gespenstische Mongolenkopf, der mich dort anglotzt und einem Professor der Chemie angehören soll, auch nicht das indianische kurze Haar der Lasker Schüler in ihrer schwarzen Pagentracht, die sich jetzt mit dem polnischen Maler im Rhythmus der falsch schreienden Töne merkwürdig hin- und herbewegt.«

Otto, Teo • (1904–1968). Bühnenbildner. – Quellen: Historisches Lexikon der Schweiz; Deutsche Biographie; Wikipedia.

Sie liebte die Wupper. In: Rheinischer Merkur (Köln). Jg. 13, Nr. 45 vom 7. November 1958. S. 9.

Prinz von Theben. In: Bühnen der Stadt Köln. Jg. 1958/59, H. 3 vom November 1958. S. 52 f.

Ein bergischer Kräher berichtet. In: Lasker-Schüler. Ein Buch zum 100. Geburtstag der Dichterin. Hg. von Michael Schmid. Wuppertal: Peter Hammer, 1969. S. 41–49. – Über eine Lesung Else Lasker-Schülers in Zürich schreibt Teo Otto: »Sie fing an und baute sich ein Pult, nahm ein dickes Buch, stellte eine Zigarrenkiste darauf und legte sich ihr Textbuch zurecht. Dann hatte sie etwas vergessen, knipste ihre Handtasche auf, fummelte darin herum wie heute, wenn Damen den Autoschlüssel suchen und fand endlich ein Hundehalsband mit kleinen Klingelglöckchen. Das war ihr besonders wichtig. […] Ihre Art, Gedichte vorzutragen war sehr seltsam. Sie untermalte sie mit einer eigenen Geräuschkulisse. An diesem Abend las sie mit erstaunlicher Unmittelbarkeit und Direktheit. Sie untermalte ihre Gedichte mit Summgeräuschen oder Klangwirkungen, z. B. bei dem Gedicht ›Joseph wird verkauft‹. Sie nahm das Hundehalsband völlig versunken und meditierend – es kümmerte sie gar nicht, was die Umwelt dazu sagte –, klingelte sie mit den Glöckchen, wollte eine Karawanenstimmung andeuten, klingelte, summte dann ihr Aha aha aha ha, klingelte dazwischen, dehnte diese Töne und faszinierte gleichzeitig mit der Großartigkeit ihrer Sprache und mit der Stimme, die sie unmittelbar damit zu verflechten wußte. Man war völlig in den Bann geschlagen und es ist so gewesen, daß dieser Abend zu einer der schönsten Dichterlesungen gehörte, die ich erlebt habe.«

Perotti, Berto

Begegnung mit Otto Pankok. Aus dem Italienischen übersetzt von Katharina Arndt. Düsseldorf: Progress-Verlag Johann Fladung, 1959. – S. 19: »Else Lasker-Schüler war von den Nazis in Berlin mit einer eisernen Stange niedergeschlagen worden und hatte sich unmittelbar danach, noch in völlig benommenem und erschrecktem Zustand, auf den Bahnhof gestürzt und war in die Schweiz geflohen. In Zürich war sie, völlig mittellos, durch die Straßen gewandert und von der Sittenpolizei aufgegriffen worden, als sie auf einem Bänkchen in einem öffentlichen Park übernachtete. Sie wurde wegen Landstreicherei festgenommen und einem Verhör unterworfen, durch das die Schweizer Öffentlichkeit erfuhr, wer sie war.«

Plietzsch, Eduard • (1886–1961). Kunsthistoriker.

»… heiter ist die Kunst«. Erlebnisse mit Künstlern und Kennern. Gütersloh: C. Bertelsmann, 1955. – S. 32–46: »Else Lasker-Schüler«. Eduard Plietzsch schreibt: »[…] Ungefähr ein halbes Hundert Episteln mögen es gewesen sein, die aus der Hand der Dichterin an mich gelangten. Ganze drei Stück sind durch beide Weltkriege, durch Staatsumwälzungen und andere heftige Begebenheiten gerettet worden. […] Die Freundschaft währte zwei Jahre. Daß sie überhaupt so lange bestanden hat, erscheint mir bei der krassen Gegensätzlichkeit unserer Naturen, unseres Herkommens, unserer Lebensauffassung wie ein Wunder. Da die Dichterin mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg hielt, so hat sie mir, mündlich und schriftlich, sehr deutlich versichert, daß ich ein hoffnungsloser Erzphilister sei. […]«

Przybyszewski, Stanislaw

Erinnerungen an das literarische Berlin. Mit einem Geleitwort von Willy Haas. (Aus dem Polnischen übertragen von Klaus Staemmler.) München: Winkler-Verlag, 1965. – Über Peter Hille (S. 130 f.): »Man fand ihn irgendwo, in einem Park bei Berlin, vor Hunger völlig erschöpft und in bewußtlosem Zustand. Aus den Zeitungen erfuhr davon Else Lasker-Schüler, eine außergewöhnlich fähige, mit wirklichem Talent begabte deutsche Dichterin. Sie holte ihn in ihre Wohnung, pflegte ihn, wachte Tag und Nacht über ihn. Endlich, nach ein paar Tagen, kam Peter Hille wieder zu Bewußtsein, schaute sich um, betrachtete das weiße Laken, auf dem er lag, lächelte leise, flüsterte: ›Ich habe doch gewußt, daß es dem Menschen wenigstens einmal im Leben gut gehen muß …‹ – und starb …«

Radecki, Sigismund von • (1891–1970). Schriftsteller und Übersetzer. – Quellen: Deutsche Biographie; Wikipedia.

Ein gefährliches Herz. In: Das Tagebuch (Berlin). Jg. 9, H. 13 vom 31. März 1928. S. 558. – »Das war damals, als die ersten Jazzbands von Amerika herüber­kamen und zwischendurch ›watch your step‹ riefen. […] / Um so schmelzender wirkte nach all dem Untergrund-Lärm dann der Tango d’amour mit obligater Vio­line, der damals gerade das Neueste war. Auf einmal tropfte alles von Sentimentalität: sie rann sozusagen feucht von den Wänden herunter. Und die Berliner schlossen die Augen und murmelten elegische Dinge. Ein junger Mann saß neben Else Lasker-Schüler, vergrub den Kopf in die Hände und flüsterte zu ihr hin: / ›Ich fühle, wie mein Herz zer­rinnt …‹ / ›Aber bitte nicht auf mein Kleid!‹ sprach der Prinz von Theben mit einer unnachahmlichen Kopfbewegung, und rückte ein wenig weiter ab.« – Auch abgedruckt in: Prager Tagblatt. Jg. 53, Nr. 79 vom 1. April 1928. S. 5.

Rund um den Ruhm. Literaturanekdoten, nacherzählt von S. v. R. In: Deutsche Allgemeine Zeitung (Ausgabe für Groß-Berlin). Jg. 68, Nr. 212 (Donnerstag Morgen) vom 9. Mai 1929. – »Ich war selbst dabei / Die Kapelle spielt einen Tango – so süß und melancholisch, daß die Sentimentalität direkt von den Wänden heruntertropft. Ein junger Dichter will sich interessant machen, beugt sich nahe zu Else Lasker-Schüler hin, und flüstert: / – Ich fühle, wie mein Herz zerrinnt … / Der Prinz von Theben (abrückend): – Aber bitte nicht auf mein Kleid!«

Filmfetzen und Filmmöglichkeiten. In: Neue Zürcher Zeitung. Jg. 168, Nr. 1631 (Sonntagausgabe) vom 24. August 1947, Blatt 3 (»Das Wochenende«). – Erinnerung an gemeinsame Kinobesuche mit Else Lasker-Schüler.

Vom Kintopp zum Kulturfilm. In: Glanz (München). H. 1 (1949). S. 46 f. – Erinnerung an gemeinsame Kinobesuche mit Else Lasker-Schüler.

Erinnerungen an Else Lasker-Schüler. In: hier und heute. Wochenschrift (Frankfurt am Main). Jg. 1, Nr. 3 vom 26. Januar 1951. S. 13 f.

Erinnerungen an Else Lasker-Schüler (1950). In: Else Lasker-Schüler: Dichtungen und Dokumente. Gedichte, Prosa, Schauspiele, Briefe, Zeugnis und Erinnerung. Ausgewählt und hg. von Ernst Ginsberg. München: Kösel-Verlag, 1951. S. 575–582. – »[…] Neben dem Indianer und dem Wunderrabbi spielte der Neger in ihrer Phantasie eine große Rolle. Im Jahre 1921 ging ich mit ihr einmal in das ›Scala-Casino‹, weil dort eine Jazzband spielte, was damals etwas Neues war. Diese Musik setzte sie in Feuer und Flamme. Unter dem Tanzpublikum befand sich auch ein Neger, der saß an seinem Tisch. Plötzlich ging sie auf den Neger zu und forderte ihn mit einer Art Knix zum Tanz auf. Der schaute sie ruhig an und schüttelte den Kopf: ›No.‹ Wie sie darauf ganz vernichtet über das Parkett zurückging, werde ich nicht vergessen. Glücklicherweise wurde sie gleich danach selber engagiert. […]«

Was ich sagen wollte. Köln und Olten: Jakob Hegner, 1952 (2. Aufl.1960). – S. 80–86: »Erinnerungen an Else Lasker-Schüler«. – Digitalisierte Ausgabe (Faksimile): Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden.

Die Stimmen der Stille. In: Neue Zürcher Zeitung. Jg. 178, Nr. 1785 (Abendausgabe) vom 19. Juni 1957, Blatt 9. – »›Mein alter Großvater‹, so nannte Else Lasker-Schüler ihren Wecker, den sie sich wegen des beruhigenden Tickens ins Zimmer gestellt hatte.«

Zeitzeiger und Zeitgeist. In: Neue Zürcher Zeitung. Jg. 180, Nr. 3943 (Morgenausgabe) vom 16. Dezember 1959, Blatt 1. – »Die Dichterin Else Lasker-Schüler hatte stets einen behäbigen starktickenden Wecker in ihrem Zimmerchen. ›Das ist mein Großvater‹, sagte sie, ›dann ist man nicht so allein.‹«

Rauch, Karl • (1897–1966). Buchhändler, Verleger und Schriftsteller.

Der Schatten des Vaters. Ein Lebensbuch aus zwei Welten. Esslingen: Bechtle Verlag, 1954. – Über Begegnungen mit Else Lasker-Schüler in Berlin (S. 320–322): »Mir in der Erinnerung besonders nah und vertraut bleibt die Erscheinung einer der liebenswertesten Frauen nicht allein jener Berliner Zeit, sondern meines bisherigen Lebens überhaupt: Else Lasker-Schüler. […] Max Tau hat mir als erster von ihr erzählt, von ihrer Freundschaft mit Franz Marc und Gottfried Benn – und von ihrem traurigen Schicksal, dem frühen Verlust ihres einzigen Sohnes. Durch ihn lernte ich sie dann eines Abends auch in Kottlers Weinstube kennen. Und dann bin ich ihr oft begegnet. Jede Begegnung war mir ein stärkendes Erlebnis. Diese damals schon ältere Frau war eine nahezu genialische Mischung aus Kindhaftigkeit und Mütterlichkeit. Sie saß da mitten unter uns in der meist heftig diskutierenden, alkoholisch angeregten Runde, schwieg oft lange und betrachtete den einen oder den anderen am Tisch mit verharrend suchendem Blick, als wollte sie sein Innerstes aus ihm herausschauen. Sie rauchte gelegentlich eine Zigarette, trank nur sehr wenig, schien oft ganz in sich versunken, glich dann einer Barlachschen Plastik, lauschte gespannt dem brodelnden Geplausche aller oder einem gestrafften Gespräch zwischen zwei Partnern in ihrer Nähe, versank gleich darauf wieder in sich zurück – und wurde stets sofort zur tragenden Mitte, wenn sie selber das Wort ergriff. […] Für den Zuhörer strahlte aus ihren Worten eine derart überwältigende Überzeugungskraft, daß mir zuweilen die Träume dieser Frau wahrhaftiger erschienen sind als die Tische und Stühle in Kottlers Lokal und alle Freunde und Fremden der Tischrunde. Der überwiegende Teil dieser Träume waren Begegnungen mit Gestalten des Alten Testamentes, den Propheten und dem König David. So war mir diese Frau mit dem straff und eng anliegenden schwarzen Haar und den kohlefarbenen Augen, dem bleichgelben Teint die leibhaftige Verkörperung altjüdischer Weisheit. […] In ihrer Klause aber sprach sie wiederholt vom Schicksal der Juden, von der Ausgesetztheit, der heimatlosen Unruhe. Sie nannte ganz Berlin eine große herrliche Karawanserei, und wenn sie erklärte, daß das Seßhaftwerden den Menschen, der doch aus dem Paradies vertrieben und seither ein Geschöpf der Wüste sei, krank mache und verderbe, war dahinter deutlich die Sehnsucht nach Heim und Heimat vernehmbar.«

Reimann, Hans • (1889–1969). Schriftsteller und Publizist. – Quellen: Deutsche Biographie; Wikipedia.

Mein blaues Wunder. Lebensmosaik eines Humoristen. München: Paul List Verlag, 1959. – Über einen Besuch bei Else Lasker-Schüler 1920 in Berlin (S. 173 f.): »Meine Visite hatten wir für elf Uhr anberaumt. Ich kam dreiviertel zwölf. Trotzdem mußte ich im Flur warten. Kennen Sie das? Man zwingt sich, Geräusche zu überhören, und hört sie umso intensiver. Ich schritt den knarrenden Korridor auf und ab, mir die akustischen Hervorbringungen optisch mit ihren Ursachen untermalend. Der Prinz von Theben hatte sich soeben erhoben und räumte geschwind auf. […] Und als sie aufgeräumt hatte, durfte ich eintreten. / Der Raum erweckte den Eindruck, als wolle jemand den Begriff ›unaufgeräumt‹ ad oculos demonstrieren. Es störte mich nicht, denn ich verehrte die Lasker-Schüler und konnte viele ihrer blauen und goldenen Lieder auswendig. In dieser einmaligen Frau mischten sich Elberfeld und Jerusalem, Jerusalem und Berlin, kindliches Vertrauen und kindischer Argwohn, himmlische Sanftmut und alttestamentarischer Zorn, Entrücktheit und Verrücktheit. / Was sie (buchstabenmäßig) schrieb, war beste Graphik. Beispielsweise jeder Brief. Schwache Zeichnungen hingegen lieferte ihr Sohn Paul. Sie vergötterte ihn. Als er, ein verklärter Jüngling, im Schwabinger Krankenhaus dahinsiechte, saß ich oft an seinem Bett.«

Riess, Curt • (1902–1993). Schriftsteller und Journalist. – Quellen: Historisches Lexikon der Schweiz; Wikipedia.

Ascona. Geschichte des seltsamsten Dorfes der Welt. Zürich: Europa Verlag, 1964. – S. 131 f.: »Die Lasker-Schüler trug eine entsetzliche Plüschmütze mit Leopardenfellmuster, und sie erwartete, daß jeder sie und diese Mütze bewunderte. Dann sagte sie: ›Die hab’ ich selbst geschossen!‹ Und das Wunderbare war, daß sie es in solchen Momenten wohl auch selber glaubte. / Sie war in Leonhard Frank verliebt, aber das waren um diese Zeit viele Frauen in Ascona, und nicht nur dort, und da Leonhard Frank sich für hübschere und jüngere Frauen interessierte und für sie gar nicht, litt sie Höllenqualen. Sie hatte niemals versucht, ihre Gefühle zu unterdrücken, jetzt schrie sie ihren jeweiligen Nebenbuhlerinnen oder denjenigen, die sie dafür hielt, quer durch das ›Verbano‹, die ›Nelly-Bar‹ oder das Tanzlokal ›Taverna‹ die haarsträubendsten Gemeinheiten ins Gesicht.« – Neuausgabe: Curt Riess und Esther Scheidegger: Ascona. Geschichte des seltsamsten Dorfes der Welt. Zürich: Europa Verlag, 2012.

Café Odeon. Unsere Zeit ihre Hauptakteure und Betrachter. Zürich: Europa Verlag, 1973. – S. 80: »Die kleine schmale Frau wirkt auf den ersten Blick fast hässlich. Aber wenn man sie näher ansieht, macht einem ihr Kopf mit dem tiefschwarzen, glattgestrichenen Haar, den brennenden schwarzen Augen, dem strengen Mund doch einen starken Eindruck.« – Neuausgabe: Curt Riess und Esther Scheidegger: Café Odeon. Zürich: Europa Verlag, 2010.

Schaeffers, Willi • (1884–1962). Schauspieler und Kabarettist. – Quellen: Deutsche Biographie; Wikipedia.

Tingel Tangel. Ein Leben für die Kleinkunst. Aufgezeichnet von Erich Ebermayer. Hamburg: Broschek Verlag, 1959. – Über Else Lasker-Schülers Auftreten bei Lesungen von Karl Kraus in Berlin (S. 158): »Zu Beginn seiner Vorlesungen in Berlin wiederholte sich jahrelang eine sehr rührende Geste. Eine zarte, zierliche, schwarzgekleidete Dame schritt, kurz bevor Krauss auftrat, zum Rednerpult und legte ein paar tiefrote Rosen auf seinen Platz. / Es war Else Lasker-Schüler, eine der wenigen Dichterinnen, die Krauss gelten ließ, und es ehrt Krauss, daß er dieser Frau einen seiner Aufsätze gewidmet hat, in dem er ein Gedicht von ihr ›Der Tibet-Teppich‹ unter die Lupe nahm, sezierte, die feinen Fäden dieses vollendeten Kunstwerkes aufdeckte, die der ›Prinz von Theben‹, wie sich Else Lasker-Schüler nannte, gewebt hatte.«

Schmitz, Oscar A. H. • (1873–1931). Schriftsteller. Er gehörte der Münchner Boheme an.

Eintrag im Tagebuch:

Berlin, 29. November 1906: »Bei Axel Juncker, den ich zum ersten Mal zu sehen bekomme. Liebenswürdige Schlafmütze. Ziemlich reduzierte Einrichtung. Ich begreife nicht, wie man ihn mir empfehlen konnte. Er erzählt viel von meinem hiesigen Ruhm und schlägt eine Vorlesung meiner Werke durch mich im ›Verein für Kunst‹ vor, wo allerdings die besten Namen auf dem Programme stehen. Zu diesem Zwecke gehe ich gleich zu dem Leiter Herwarth Walden und finde dessen Frau Else Lasker-Schüler, der furchtbarste Blaustrumpf, allerdings durch unfreiwillige Komik gemildert, waschechtes Berlinisch. ›Ick verdiene nischt mit meinen Jedichten‹, sagt sie, ›wie kommt det nur?‹ Erzählt dann, wie wunderschön ihre Bücher sind, in denen sie mit Peter Hille Wotansfeste feiert.« (Oscar A. H. Schmitz: Das wilde Leben der Boheme. Tagebücher. Bd. 1. 1896–1906. Hg. von Wolfgang Martynkewicz. Berlin 2006. S. 318.)

Schnell, Wolfgang Robert

Schmeiß den Gelehrtenkrams beis Gerömpel. In: Merian (Hamburg). Jg. 28 (1975), H. 8 (»Bergisches Land«). S. 120–122. – »[…] Als alberner Jüngling, der Schule entlaufen, lernte ich Else Lasker-Schüler im Haus der Maria Marc, Witwe des Malers Franz Marc, kennen. Ich hatte schon ein paar Aquarelle gemalt, und Frau Marc hatte mir, zur Ermunterung, eins davon abgekauft. Ich kann nicht sagen, daß die seltsame Dame, die da eines Tages durchreisend saß, mich begeistert hätte, eher habe ich mich geniert vor so tiefdunklen Augen, vor denen meine dumme Jungeneitelkeit zerlief. Nur stotternd konnte ich noch auf Fragen antworten. […] Sie sah mich sehr verloren an, als ich sagte, für mich sei ihr schönstes Gedicht die ›Ballade (aus den sauerländischen Bergen)‹ mit der Strophe: // Und die Stürme sausten wie Weltuntergang, / Und die Bäume brausten am Bergeshang, / Es sang die Blutschande … // Am Abend vorher hatte ich einen Teil des Geldes von Maria Marc für das Aquarell beim ›Auer‹, der Dorfkneipe in Ried, versoffen, und schien mir, in meiner Ahnungslosigkeit, der ›Verworfenheit‹ dieses Gedichtes nahe. / Aber sie sagte: ›Ich habe das für Paul Zech geschrieben.‹ Damit konnte ich nichts anfangen. Gewiß: für Paul Zech. Ich hatte meine dichterischen Versuche auch immer jemand gewidmet. / ›So ist auch der Zech‹, sagte Maria Marc. ›Das Gedicht ist Paul Zech, war Paul Zech‹, sagte die Lasker-Schüler darauf mit ihrem weiten Blick. […]«

Scholem, Gershom • (bis 1923: Gerhard) (1897–1982). Bibliothekar und Religionswissenschaftler in Jerusalem. Scholem, der aus Berlin stammte, war 1923 nach Palästina eingewandert. – Quelle: Deutsche Biographie.

Aufzeichnung, vermutlich Mitte der sechziger Jahre niedergeschrieben (The National Library of Israel [Jerusalem], Arc. Ms. Var. 4º 1599/277 [Gershom Scholem Archive]): »Ich habe Else Lasker-Schüler nur flüchtig gekannt, von einigen Gesprächen auf der Straße und einem Besuch, den sie mir gemacht hat. Sie ging sehr unbefriedigt weg und beschwerte sich in ihrer robusten Art über mein Unverständnis (bei mir noch und schärfer bei andern). Ich hatte mich entschieden geweigert, einige ihrer angeblichen Phantasiegespräche mit dem Wunderrabbi von Sadigora und dem König David etc. ernst zu nehmen, deren Deutung sie von mir verlangte. Mich ärgerte ihre Art des Auftretens nicht wenig, und ich antwortete ihr nicht als Lyriker und Genießer von Phantasien, sondern als Wissenschaftler. Sie erschien in ihrer Aufmachung als Zigeunerhexe und sah wirklich mehr wie eine mexikanische Indianerin-Greisin aus als eine Jüdin. Ihre Redeweise war lyrisch-verrückt und sie verlangte von ihren Partnern, daß sie darauf ergeben eingingen. Das machte ich nicht mit. Seitdem nannte sie mich nur Herr Disput.« (Zitiert nach Else Lasker-Schüler: Werke und Briefe. Kritische Ausgabe. Im Auftrag des Franz Rosenzweig-Zentrums der Hebräischen Universität Jerusalem, der Bergischen Universität Wuppertal und des Deutschen Literaturarchivs Marbach am Neckar hg. von Andreas B. Kilcher [ab Bd. 9], Norbert Oellers, Heinz Rölleke und Itta Shedletzky. Bd. 5: Prosa. Das Hebräerland. Bearbeitet von Karl Jürgen Skrodzki und Itta Shedletzky. Frankfurt am Main 2002. S. 569.)

Von Berlin nach Jerusalem. Jugenderinnerungen. Erweiterte Fassung. Aus dem Hebräischen von Michael Brocke und Andrea Schatz. Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 1994. [Zuerst 1977 erschienen.] – S. 50: »Es gab bei ›Jung Juda‹ auch Rezitationen, so etwa aus den Gedichten, besonders den ›Hebräischen Balladen‹ der Else Lasker-Schüler, die damals (1913) gerade erschienen waren und von denen einige zu ihren schönsten und unvergeßlichsten Sachen gehören.«

Siemsen, Hans • (1891–1969). Schriftsteller und Journalist. – Quellen: Deutsche Biographie; Wikipedia.

Brief an Kurt Pinthus (1886–1975) vom 25. Juni 1947; über die Beiträger zur Anthologie »Menschheitsdämmerung« (1920): »So viele persönliche, alte Bekannte und einige wirkliche Freunde wie Lasker-Schüler und Däubler! Wie viele sind inzwischen tot oder verstummt! – gut die Hälfte von allen, die Sie bringen. Und einige sind Nazi geworden und andere Stalinisten.« (Hans Siemsen: Schriften III. Briefe von und an Hans Siemsen. Hg. von Michael Föster. Essen: Torso Verlag, 1988, S. 297.)

Sima, Miron

Lebensabend und Abschied von Else Lasker-Schüler in Jerusalem. Zeichnungen und Erinnerungen. Wuppertal: Verlag der Baedeker’schen Buchhandlung und Reisebüro GmbH [nach 1975]. – Über seine erste Begegnung mit Else Lasker-Schüler (nicht paginiert): »Else Lasker-Schüler war mir und meiner Generation schon seit langem vertraut. Ich traf sie aber zuerst im Jahre 1934. / Es war kurz vor meiner ersten Ausstellung in Jerusalem. Ich brachte gerade meine Bilder in die Steimatzkij-Galerie, die sich in der Jaffastraße, in einem alten orientalischen Hause befand. An diesem Abend sollte die Dichterin ihre Gedichte vorlesen. In den breiten Fensternischen des großen Raumes legte man Zeichnungen ihres früh verstorbenen Sohnes aus und stellte einige Reihen von Stühlen und Bänken auf. Ich hörte Schritte, und als ich mich umdrehte, da stand sie inmitten der aufgestellten Stühle da. / Ich habe einige Fotos von Else Lasker-Schüler aus ihrer Jugend gesehen, und es war schwer, sich vorzustellen, daß sie es ist, als ich eine kleine, alte, gebückte Frau vor mir sah. Ihr Gesicht war gelblich und runzelig. Sie trug ein dunkles Kleid, und es war anzumerken, daß sie sich nicht viel daraus machte, wie sie aussah. Was mir auffiel, waren ihre Augen. Tief, dunkel, durchdringend, verrieten sie sofort eine ungewöhnliche Persönlichkeit. Ein Blick, der hinter dem Geschauten manches vermutete, abtastete, anleuchtete.«

Starke, Ottomar • (1886–1962). Graphiker und Bühnenbildner.

Was mein Leben anlangt. Erinnerungen. Berlin-Grunewald: F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung (1956). – Über eine Begegnung mit Hans Arp, Fritz Huf, Fritz Pollak, Franz Werfel und Else Lasker-Schüler in Frankfurt am Main (1912/13) (S. 53): »Eines Abends hatte ich den Maler Fritz Pollak, Hans Arp, Else Lasker-Schüler, den Schweizer Bildhauer Fritz Huf und Franz Werfel zu Gast. Die Lasker-Schüler verliebte sich Hals über Kopf in den hübschen Schweizer, der sich gern selbst charakterisierte, indem er behauptete: ›Wir Schweizer sind verdammt saftige Burschen!‹ ›Der Prinz von Theben‹ erzählte ihm Schauergeschichten aus ihrer Ehe mit Lasker, von dem sie behauptete, er habe von ihr verlangt, barfuß auf dem mit Nägeln bestreuten Fußboden zu tanzen. Es wird wohl nicht ganz so schlimm gewesen sein. Auf Huf machte es keinerlei Eindruck. Da viel getrunken worden war, bekam die Lasker-Schüler das heulende Elend und wollte sich wegen nicht erwiderter Liebe aus dem Fenster stürzen. Da alle ihr von dieser Todesart abrieten, versteifte sie sich. Ich führte sie schließlich auf den Balkon und riet ihr, wie sie es anzustellen habe, um auch sicher auf den Spitzen des eisernen Gartenzaunes zu landen; ich wohnte drei Stockwerke hoch. Sie zog sich schmollend in eine Ecke zurück, war mit allen böse, verlangte Papier und dichtete.«

Stein, Emil • (1895–1963). Kaufmann in Wien. Er lebte ab November 1938 in Jerusalem und war Inhaber des Gartencafés und der Pension »Eden« (»Brieger«) im Stadtteil Beit Hakerem. Rezitator und Sänger.

Brief an Helene Kann. Jerusalem, 18. Januar 1946 (Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftenabteilung [H. I. N. 177.273]): »Einmal sang ich auch vor Else Lasker-Schüler und ihrem Kreis und sie schrieb mir nachher einen recht begeisterten Brief. Die Aermste war in ihren letzten Jahren ein Bild des Jammers, klein, verhutzelt und arm ging sie wie eine Fremde aus einer anderen Welt durch die Strassen Jerusalems. Es war nicht leicht, mit ihr zu reden, sodass ich mich bei aller Verehrung fast fürchtete, wenn sie uns besuchen kam. In der letzten Zeit schlief sie nicht im Bett, – das war voll Ungeziefer –, sondern im Liegestuhl, den sie sich von mir erbeten hatte. Es war wahrlich nicht leicht, ihr zu helfen. Bei einigen Vorlesungen, die ich hörte, war sie wieder ganz königlich und ihr letzter, in Jerusalem erschienener Gedichtband ›Mein blaues Klavier‹ ist erschütternd.«

Stenzel, Abraham Nochem • (1897–1983). Jiddischer Schriftsteller.

Aus den Erinnerungen von Abraham Nochem Stenzel. Zum Tod von Else Lasker-Schülers Sohn Paul: »Es ist beschlossen worden, daß man bei Jussuff Abbo im Atelier ein Bett aufstellen soll. Es handelt sich doch nur um einige Tage. / […] Paul lag in einem großen Himmelbett. Er lag schon im Sterben, und sie stand wie versteinert hinter dem Vorhang. / Freunde aus dem Café kamen. Man hat sie weggenommen, wie eine Tote. Die Chevre Kadische hat sich der Leiche angenommen. / Am Tag darauf, als ich auf die Beerdigung kam und die elegante Trauergesellschaft in Schwarz sah, und sie, verschleiert, und in ihrer Trauerkleidung – wie eine jener Puppen aus Draht, die in den Schaufenstern auf dem Kurfürstendamm stehen – mußte ich mir auf die Lippen beißen, bis sie bluteten, um nicht hysterisch loszulachen. Wegen meiner Kleidung bin ich zur Seite gestanden, um die feierliche Stimmung nicht zu entweihen. Mein Blick streifte überall herum, aber die ganze Zeit sah ich sie: / In dem Leichenzug ist sie nicht selbständig gegangen, sondern von zwei Damen unter den Armen gestützt worden, fast getragen worden, ein mit Tränen angefülltes Gefäß, das immer voller wird, bis es platzen muß – und doch nicht platzt. / […] Als wir der Hinterbliebenen unsere Aufwartung machten, sah ich, als ich sie erreichte, daß sie immer noch in demselben starren Zustand war wie vor einer Woche, als sie am Friedhofstor auf mich wartete, und mir sagte ›Hamid, ich habe einen Engel gesehen‹.« (Zitiert nach Heather Valencia: Else Lasker-Schüler und Abraham Nochem Stenzel. Eine unbekannte Freundschaft. Mit jiddischen und deutschen Texten aus dem Elisabeth-Wöhler-Nachlaß [Campus Judaica. Bd. 5]. Frankfurt am Main und New York 1995. S. 112 f. – Stenzels Erinnerungen sind ursprünglich im April/Mai 1972 in der von ihm herausgegebenen jiddischen Zeitschrift »Loschn un Lebn« [»Sprache und Leben«] erschienen.)

Stern, Carl • (1918–1985). Schriftsteller und Fotograf.

Die Begegnung. Genre-Bilder in Lyrik und Prosa (Literatur international. Bd. 1). Berlin: M. und N. Boesche, 1983. – S. 9–14: »Erinnerung an Else Lasker-Schüler« (über Begegnungen in Haifa und Jerusalem). Stern schreibt unter anderem: »Ich hatte Else Lasker-Schüler während ihrer Rezitationsabende in Haifa gehört, und zwar bei den beiden Großhuts, die solche Veranstaltungen für die ›notleidenden Künstler Palästinas‹ veranstalteten. Sie las wunderbar. Ich entsinne mich eines Gedichtes: ›Josef wird verkauft‹. Während sie las, hatte sie unter dem Tisch auf den Knien ein kleines Säckchen mit bunten Steinen bereit. Wenn sie zu der Stelle kam, an der Josef verkauft wird, schüttelte sie leise und rhythmisch das Säckchen. Es klang melodisch, wie weit entfernt in der Wüste. Man hatte die Empfindung von weichen Kamelschritten durch den Sand, von den umgeschnallten, leise rasselnden Lasten, und man wußte, daß Josef jetzt für klingende Münze verkauft wird.«

Stern, Gerson • (1874–1956). Schriftsteller und Publizist. – Quelle: Wikipedia.

Erinnerungen an Else Lasker-Schüler. In: Mitteilungsblatt. Alija Chadascha (Tel Aviv). Jg. 9, Nr. 8 vom 23. Februar 1945. S. 7.

Sturmann, Manfred • (1903–1989). Schriftsteller und Sozialarbeiter. 1951–1985 Verwalter des Nachlasses von Else Lasker-Schüler (bis 1950 Sally Hirsch [1885–1950], 1985–2006 Paul Alsberg [1919–2006], 2006–2015 Rafael Weiser [1944–2019]).

Else Lasker-Schülers Leben in Jerusalem. In: MB. Wochenzeitung des Irgun Olej Merkas Europa (Tel Aviv). Jg. 37, Nr. 3 vom 17. Januar 1969. S. 5. – Vortrag, gehalten in Wuppertal am 11. Januar 1969. Sturmann berichtet unter anderem: »Wer in den Jahren 1939–1945 in den Strassen von Jerusalem ein altes Frauchen sah, gekrümmt und kurios gekleidet, der konnte unmöglich wissen, dass diese alte, verlassen wirkende Frau eine grosse Dichterin war; dass dieser kleine Körper in seiner ärmlichen Hülle einen Geist barg, von dem die Welt noch einmal reden sollte. Wer aber, ihr entgegenkommend, das Glück hatte, einen Blick von ihr zu erhaschen, dem fielen die grossen, glühenden Augen in dem gefurchten Gesicht auf: richtige Märchenaugen! So erschien Else Lasker-Schüler in den Strassen Jerusalems. / […] / In ihrem Zimmer emfing sie ihre Freunde. Sie blieben bis in die tiefe Nacht bei ihr. Meist sprach sie selbst – und die anderen hörten ihr zu; denn sie liebte den Monolog mehr als den Dialog. Sie erzählte von Menschen, denen sie begegnet war, von Kindheit und Elternhaus, von Mutter und Sohn – sie kam vom Hundertsten ins Tausendste, aber von dem, was sie gerade schuf, vor allem von ihren Gedichten, erzählte sie nichts. / In den letzten Jahren ihres Lebens hatte sie ihre Freunde zum Kreise des ›Kraal‹ gesammelt. Es war ein Kulturforum für einige, wenige Kenner. Im ›Kraal‹ las Else Lasker-Schüler aus ihren Werken vor. Dort ergriffen zu kulturellen und religiösen Fragen namhafte Männer der Stadt das Wort; dort gab sie jungen Dichtern deutscher Zunge die Möglichkeit, aus Eigenem vorzulesen und das bescheidene Eintrittsgeld als Unterstützung zu empfangen. Diesen ›Kraal‹ hatte sich die Dichterin selbst ausgedacht, und er hörte mit ihrem Tode zu bestehen auf. Sie schrieb die Einladungen mit eigener Hand, schmückte sie zuweilen mit kleinen Zeichnungen und trug sie selber aus – es war ein enger Kreis, aber er repräsentierte eine grosse geistige Kraft.«

Else Lasker-Schüler in Jerusalem. In: Neue Zürcher Zeitung. Jg. 190, Nr. 85 (Sonntagausgabe [= Fernausgabe Nr. 39]) vom 9. Februar 1969. S. 52 (»Literatur und Kunst«).

Susman, Margarete • (1872–1966). Journalistin und Lyrikerin, Verfasserin von religionsphilosophischen Essays. – Quellen: Historisches Lexikon der Schweiz; Wikipedia.

Ich habe viele Leben gelebt. Erinnerungen. (Veröffentlichung des Leo Baeck Instituts.) Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1964. – Über Begegnungen in der Schweiz während der dreißiger Jahre (S. 154 f.): »Einmal war es Else Lasker-Schüler, mit der ich mehrere Male zusammentraf. In ihrer Größe und seltsamen bizarren Art – sie trug immer eine große Tasche mit sich, in der sie Manuskripte und kleine Habseligkeiten herumschleppte, doch so, als trüge sie die Welt mit sich, ihre Welt – hinterließ sie einen eigenartigen Eindruck bei mir, und es verband uns keine engere Freundschaft.«

Velde, Henry van de • (1863–1957). Architekt, Designer und Maler. – Quelle: Wikipedia.

Geschichte meines Lebens. Hg. und übertragen von Hans Curjel. Mit 137 Abbildungen. München: R. Piper & Co Verlag, 1962. – Über eine Begegnung mit Else Lasker-Schüler in Zürich während des Ersten Weltkriegs (S. 389): »Es waren denkwürdige Abende, an denen Paul Cassirer in einem kleinen Zürcher Hotel alle Künstler um sich scharte. An einem dieser Abende begegnete ich der hochbegabten Dichterin Else Lasker-Schüler, um die sich im Kreise der Intellektuellen und Künstler eine Legende gebildet hatte. Abgesehen von ihren sonstigen exzentrischen Eigenheiten hatte sie sich für ihre Freunde und Bekannten den Namen ›Prinz von Theben‹ zugelegt. Unter diesem Titel umgab sie sich mit einem Gefolge komischer kleiner weiblicher Dichterlinge, die ihr in einer Wolke starker orientalischer Parfüms folgten, wohin immer sie sich begab.«

Vogel, Manfred • (1923–1983). Aus Berlin gebürtiger Schriftsteller und Journalist. 1939 emigrierte er nach Palästina und studierte in Jerusalem Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte. Er war Mitarbeiter an der Zeitschrift »Orient« und an der »Palestine Post«. Ab 1952 lebte er als Theater- und Kulturkritiker in Wien.

Else Lasker-Schüler, ein Gedenkblatt. Tel Aviv: Edition »Refta«, 1945.

Wagner, Adolf • (1878–1966). Praktischer Arzt in Berlin. 1933 Emigration über Italien nach Palästina. Ab 1947 lebte er in Neuseeland.

Brief an Karl Wolfskehl. Jerusalem, 14. Mai 1945 (Karl Wolfskehls Briefwechsel aus Neuseeland 1938–1948. Mit einem Vorwort von Paul Hoffmann hg. von Cornelia Blasberg. Bd. 1–2 [Veröffentlichungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. 61. Veröffentlichung]. Darmstadt: Luchterhand Literaturverlag, 1988. Bd. 2. S. 673–675): »Was Ihre Anfrage über Else Lasker-Schüler betrifft, so gehen Sie von einer falschen Voraussetzung aus: ich war ihr nicht einer ihrer Nächsten, sondern fand sie, rein zufällig, an einem ihrer letzten Tage auf der Straße in einem desolaten Zustande, wie sie sich an einem Baume festhielt, um nicht umzufallen. Sie war ganz blaßblau, stark unterernährt, halb verhungert. Ich bot ihr meine Hilfe an, sie wollte sich weder tragen noch stützen lassen. Mit Mühe und List brachte ich sie in ein kleines Cafe, wo sie sich allmählich erholte. Wir saßen dort eine Stunde lang und sie erzählte mir Manches was mir einen gewissen Einblick gab. In ihre ›Wohnung‹ ließ sie sich von mir nicht schaffen: ›Ich habe kein Heim.‹ Sie wurde dann ins Hadassah-Hospital gebracht, wo sie nach wenigen Tagen starb. / Ich habe mich bei Freunden von E. L.-Sch. nach Einzelheiten erkundigt, die mit den Andeutungen, die sie mir machte, übereinstimmten. Sie hatte hier einige Freunde (u. a. den Dichter Gerson Stern), für die sie sich sehr aktiv interessierte, denen sie materiell half, wenn sie in Not waren (nicht Gerson Stern), während sie selbst recht dürftig lebte. Sie bekam hier »sogar« – als eine der Wenigen – eine Unterstützung von der deutschen Abteilung der von Salman Schocken (jetzt U. S. A.) und der Hit. Oley Germanica. Doch sie konnte nicht wirtschaften und es fehlte ihr am Notwendigsten. Sie machte also Schulden, die sie abzahlte, und dann darbte sie weiter. Ihr war es ein Drang zu schenken und reichlich zu bewirten, wenn ihr jemand sympathisch war, doch konnte sie abstoßend sein, wenn sie jemand auf den ersten Blick nicht mochte. Sie träumte von einem besseren Europa, und besseren Menschheit, sie hatte Sehnsucht nach der Schweiz und nach Berlin, sprach von ›meinem Freunde‹, dem Papst, verehrte Churchill und … Mussolini. Für sich ersehnte sie, baldigst in die Schweiz zu fahren. ›Kommen Sie mit?‹ fragte sie mich. Ins Tessin wollte sie, wo sie sich sehr zu Hause gefühlt hatte. Im Tessin hatte sie auch das ›Hebräerbuch‹ geschrieben, nach ihrem ersten Aufenthalt in Palestina. Sie ›konnte es erst aus der Entfernung darstellen‹. Nach dem Hebräerbuch schrieb sie hier, vor etwa vier Jahren, – in einer eiskalten Bude – ein Schauspiel ›Ich und Ich‹. Inhalt: Untergang Hitlers, den sie versinken sah! – frei nach Faust (Personen: Faust, Mephisto – Goebbels, Hitler, Max Reinhardt und Else Lasker). Sie trug es hier vor, und es machte starken Eindruck. Es ist Manuskript geblieben. Sonst hat sie nichts beendet. ›Ich und Ich‹ ist Abrechnung mit dem Hitlertum (schade, daß sie H’s vorausgesagtes Ende nicht mehr miterlebte). Außerdem erschien hier in einem Verlage ›Das blaue Klavier‹ in 200 Ex. – total vergriffen. Es ist ihr Schwanengesang. Ihr Nachlaß wird von G. Landauer-Hilach, Ol. Germanica, verwaltet. / Von Palestina war sie schwer enttäuscht. Sie kritisierte die hiesigen Menschen (und nicht ohne Grund, da ihr Urteil oft sehr klar war), tadelte ihre Kälte, ihren Egoismus, ihre Geschäftstüchtigkeit, ›Chuzze‹ und Unfreundlichkeit. Zu mir sagte sie: ›Israeliten wollen das sein – Miesraeliten sind es!‹ Sie war oft von einer Schwermutswelle heimgesucht und phantasierte viel, so daß sie ihre Phantasie mit der Wirklichkeit verwechselte. (Sie war eine sehr fleißige Kinobesucherin.) / Im ›Blauen Klavier‹ – in dessen Mittelgedicht ein (wirklich noch von ihr durchlebter) Liebeszyklus ist – schönste Lyrik, hat sie sich mit dem Tode abgefunden, den sie nahen fühlte. Sie lebte zuletzt viel in der Vergangenheit, besonders mit ihrem Sohne und ihrer Mutter. (›mama‹ war ihr letztes Wort). – / Vieles von dem Wenigen, das ich Ihnen schreibe, habe ich von dem Dichter Gerson Stern (›Der Weg zurück‹), der Sie, sehr verehrter Herr Dr. Wolfskehl, sehr verehrt und sich Ihnen empfehlen läßt.«

Walden, Nell • (geb. Roslund) (1887–1975). Aus Schweden gebürtige Malerin, Musikerin und Kunstsammlerin. Von 1912 bis 1924 mit Else Lasker-Schülers zweitem Mann Herwarth Walden (1878–1941) verheiratet. Sie lebte ab 1933 in Ascona. – Quelle: Wikipedia.

Aus meinen Erinnerungen an Herwarth Walden und die »Sturmzeit«. In: Der Sturm. Ein Erinnerungsbuch an Herwarth Walden und die Künstler aus dem Sturmkreis. Hg. von Nell Walden und Lothar Schreyer. Baden-Baden: Woldemar Klein, 1954. S. 9–63. – Digitalisierte Ausgabe (Faksimile): Heidelberger historische Bestände – digital. – S. 46: Als ich Herwarth Walden »kennenlernte, war er mit seiner Familie vollkommen auseinander. Seine erste Frau, Else Lasker-Schüler, hatte den Eltern einmal in einem Anfall von Unbeherrschtheit die Türe gewiesen, als sie bei ihr zu Besuch waren. Ich glaube aber annehmen zu können, daß dieser Bruch Herwarth Walden recht gelegen kam. Jedenfalls machte er keine Anstalten, die Eltern wiederzusehen. Bis ich dann, viele Jahre später, in sein Leben trat und sofort die Verbindung mit den Eltern wieder herstellte.«

Herwarth Walden. Ein Lebensbild. Berlin und Mainz: Florian Kupferberg, 1963. – Digitalisierte Ausgabe (Faksimile): Heidelberger historische Bestände – digital. – S. 35–38: »Begegnung mit Else Lasker-Schüler«. Nell Walden berichtet über ihre »einzige Begegnung« mit Else Lasker-Schüler (S. 37 f.): Als Herwarth Walden »nun seinen ›Sturm‹ in der Potsdamer Straße aufbaute, wählte er das große Zeitungscafé Josty am Potsdamer Platz zu seinem Stammcafé. […] Merkwürdig ist, daß ich während all dieser Jahre Else Lasker-Schüler niemals begegnet bin. Nur einmal, als wir mit Marcs im Café Josty zusammen waren, kam sie herein, weil Marcs – nichts ahnend – sich auch mit ihr verabredet hatten. Sie setzte sich an einen von uns entfernten Tisch und blickte mich böse an, verhielt sich aber ruhig. / Und wie endete dieser Spuk, dieser jahrelange Alpdruck? Genau so grotesk wie einfach. Es war im Jahre 1935. Ich war seit langem mit meinem zweiten Mann, Dr. Hans Heimann, verheiratet und wohnte in Ascona. Ich hörte, daß Else Lasker-Schüler, bevor sie nach Israel auswanderte, die alte ›Sturm‹-Malerin Marianne von Werefkin, die ›Nona von Ascona‹, mit der auch ich befreundet war, für einige Zeit besucht hatte. Ich sah Else Lasker-Schüler auch auf der Dorfstraße in Ascona. Ein altes, wie ausgehöhlt wirkendes, gebeugtes Weiblein. Ihre Sucht hatte sie wohl vor der Zeit zur Greisin werden lassen. / An einem sonnigen Vormittag – Hans Heimann und ich wollten gerade nach Lugano fahren – saß ich vor der Dorfgarage in unserem kleinen Auto. Heimann wollte etwas vom Tankwart wissen, und ich wartete draußen auf ihn. Da sah ich Else Lasker-Schüler auf der Straße daherkommen. Sie sah mich, hielt an und kam über die Straße zu mir ans Auto. Sie fragte: ›Wer sind Sie, mein hübsches Kind? Ich sehe Sie oft auf der Straße in Ascona. Sie sind so freundlich und lieb zu allen Menschen. Ich möchte gern wissen, wer Sie sind.‹ Ich war wie erschlagen, sagte aber ruhig: ›Ich bin Nell Walden, Frau Lasker-Schüler, und hier‹, ich deutete auf Hans Heimann, der gerade auf den Wagen zukam, ›kommt mein zweiter Mann.‹ ›Es ist nicht wahr‹, sagte sie und starrte mich ungläubig an. ›Doch‹, antwortete ich, ›es ist wahr.‹ Hans Heimann stieg ein, wir fuhren weg, und Else Lasker-Schüler stand da und schaute uns fassungslos nach.«

Wegner, Armin T. • (1886–1978). Pazifistischer Schriftsteller, Lyriker und Erzähler. – Quelle: Wikipedia.

Unser Kaffeehaus oder Die Arche. In: Lasker-Schüler. Ein Buch zum 100. Geburtstag der Dichterin. Hg. von Michael Schmid. Wuppertal: Peter Hammer, 1969. S. 87–99. – »[…] Als ich zum ersten Mal in einer Nische vor den halb erblindeten Spiegeln auf den verblichenen roten Polstern des Kaffeehauses Else Lasker-Schüler gegenüber saß, betrachtete ich sie halb verwundert, halb enttäuscht. Obwohl sie nicht mehr jung war, haftete ihr etwas Knabenhaftes an. Sie trug lange schwarze Tafthosen, eine weite Jacke. Arme, Hals, Finger und Ohren mit billigen Ketten und Ringen geschmückt, erinnerte sie an ein nicht mehr junges morgenländisches Freudenmädchen oder eine Tänzerin. Ihr oft kummererfülltes Antlitz wirkte besonders anziehend, wenn man sie von der Seite ansah und die blasse Haut sich gegen die schwarze Rabenschwinge ihres Haares abhob. Ich erschauerte leicht, als ich dabei dem seltsam ausweichenden Blick ihrer dunkelglänzenden Augen begegnete. […] / In jener Zeit ihrer wachsenden Anerkennung erregte ihre Erscheinung besonders auf Vortragsabenden Aufsehen. Wir Jünger und Freunde ihrer Kunst und des ihr angeborenen Wesens gingen mit ihr durch alle Hindernisse. Keineswegs waren es nur Schriftsteller oder Künstler, die sich für sie einsetzten. Mancher bürgerlich gesinnte Jüngling, durch den Gegensatz angezogen, sah voller Verehrung und Entzücken über die Freiheiten, die sie sich herausnahm, zu ihr auf. Stets kam es dabei zu Überraschungen. So holte sie einmal während der Vorlesung ihrer Gedichte eine Blockflöte aus dem Beutel und begann, schüchtern wie ein verlassenes Kind auf der Wiese, das mehr für sich als für die anderen spielt, darauf zu blasen. […]«

Werfel, Franz • (1890–1945). Schriftsteller.

Höret die Stimme. Roman. Wien: Paul Zsolnay Verlag, 1937. – Digitalisierte Ausgabe (Faksimile): Deutsche Nationalbibliothek Leipzig und Frankfurt am Main. – Im siebten Kapitel, »Die Schule der Gesichte« (S. 124–140), porträtiert Werfel die »Seherin« Hulda, die Züge Else Lasker-Schülers trägt: »[…] Wo immer Hulda, die Seherin, auftauchte, sammelten sich Menschenhaufen, die ihr ergriffen nachstarrten. Sie selbst aber blieb von diesem Ruhm völlig unberührt. Es fiel ihr nicht ein, ihr absonderliches Wesen dem Ansehen unterzuordnen, das sie genoß. Hulda war eine kleine verwitterte Frau. Sie schwankte, wenn sie über die Straße ging, wie eine Betrunkene und pflegte mit sich selbst zu murmeln und zu hadern. Ihre Kleidung war ungewöhnlich wie sie selbst. Auf dem Kopf trug sie kein Tuch wie andre Frauen, sondern eine breite Fellmütze und zu allen Stunden klirrenden Schmuck, der wertlos war. Ihr Abzeichen bildete ein hoher Hirtenkrummstab, der sie überragte. Wäre es nicht die große Hulda gewesen, die Straßenjungen und Spottvögel Jerusalems wären mit Grimassen und Hohnliedern hinter ihr hergezogen. So aber wurde ihr murmelndes Vorbeischwanken mit ehrfürchtiger Scheu begrüßt. […] Das Dachgemach war ein weitläufiger Raum, beinahe ohne Einrichtung. In der Mitte stand eine breite Mittah, ein niedriges, mit Fellen bekleidetes Ruhelager. Auf dieser Mittah hockte die verwitterte Hulda, die Pelzkappe auf dem kleinen Kopf, den bunten Glasschmuck um den Hals und den langen Krummstab neben sich. […]«

Wied, Pauline Fürstin zu

Vom Leben gelernt. Ludwigsburg: im Selbstverlag Fürstin zu Wied, 1953. – S. 48: »Eines Tages saß ich mit einer Bekannten im Erfrischungsraum des Kaufhauses des Westens. An einem anderen Tisch saß eine exotisch aussehende Figur mit einem kleinen Jungen. Sie sah immer in meiner Richtung – auffällig und höchst unangenehm, sie stand sogar auf und näherte sich und frug, ob ich die Fürstin zu Wied wäre. Als ich bejahte, stellte sie sich vor als die Dichterin Else Lasker-Schüler, Prinz von Theben! Ziemlich kurz angebunden sagte ich: ›Was wollen Sie?‹ Ich solle ihr helfen, daß ihr Schauspiel ›Die Wupper‹ zur Aufführung angenommen werde, sie war offenbar in traurigen Verhältnissen. Leider gelang es mir nicht, trotz wiederholter Versuche, das Schauspiel unterzubringen. Sie hatte meine Fähigkeiten und Verbindungen in dieser Richtung weit überschätzt. Immerhin war sie rührend dankbar und kam sogar nach Neuwied, um aus ihren Werken vorzulesen. Sie kam in einem schwarzen Atlaskostüm, Jacke und Hosen, die schwarzen Haare glänzend, glatt, kurz geschnitten, ein ägyptischer Typ. Sie nannte sich diesmal nur Prinz von Theben und las dessen Erlebnisse vor. Es war sehr phantastisch – leider saßen wir zu nah der Erde, um den vollen Genuß zu haben.«

Wilhelm, Ilka • (geb. Frank) (1906–2005). Die Frau von Kurt Wilhelm (1900–1965), der 1936 Rabbiner der liberalen Gemeinde »Emet we’Emuna« (»Wahrheit und Glaube«) an der Narkiss-Straße in Jerusalem wurde. Nathan ist der gemeinsame Sohn von Ilka und Kurt Wilhelm.

»Sie saß und saß und saß«. In: Meine Träume fallen in die Welt. Ein Else Lasker-Schüler-Almanach. Hg. von Sarah Kirsch, Jürgen Serke und Hajo Jahn. Redaktion: Monika Bistram und Stefan Koldehoff. Hg. mit der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft und dem Kulturamt der Stadt Wuppertal. Wuppertal: Peter Hammer Verlag, 1995. S. 196–200. – Ilka und Nathan Wilhelm im Gespräch mit Monika Bistram am 12. November 1994.

Wolfskehl, Karl • (1869–1948). Schriftsteller.

Karl Wolfskehls Briefwechsel aus Neuseeland 1938–1948. Mit einem Vorwort von Paul Hoffmann hg. von Cornelia Blasberg. Bd. 1–2 (Veröffentlichungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. 61. Veröffentlichung). Darmstadt: Luchterhand Literaturverlag, 1988:

Karl Wolfskehl an Adolf Wagner (1878–1966) in Jerusalem, 21. Februar 1946 (Bd. 2. S. 675 f.): »Verehrtester Herr Dr. Wagner, / ganz fürchterlich fühl ich mich in Ihrer Schuld. Sie haben mir mit der Übersendung von ›Mein blaues Klavier‹ eine fast übergroße Freude gemacht. Alles in mir war und ist entzückt über dies wirkliche Geschenk. Der Dichter und Freund der Poesie, der währende Verehrer der allzeit schöpferischen Künstlerin Else Lasker und, lassen Sie ihn mit dabei sein, auch der, wie die Holländer sagen, ›boekenvriend‹, der Bibliophile, finden sich in dieser Freude wie zu einem Festtrunk zusammen! Vor allem doch derjenige, der dieser Dichterin ungebrochene Kraft in Impuls, Vision und Ausdruck aufs neue genießen darf. Welch ein solemner Schwanengesang! Ich bin Ihnen soviel Dank schuldig! Wieder und wieder laß ich mir (ich bin ja fast erblindet) aus diesen Blättern vorlesen. Auch die Freunde, einige der Dichtung zugängliche gibt es auch hier, schwingen mit. Wenn es nur mein Augenzustand, das Maß der formalen Beihilfe und schließlich auch die eigne produktive Tätigkeit einmal möglich machten, daß ich mich wirklich eingehend mit diesem kometisch querfahrenden und dabei so leuchtend echten Phänomen eingehender befasse. / Die wunderbar eigenwilligen, fantastisch sprühenden Briefe des ›Prinzen von Theben‹ an mich, den sie ›Ramsenith‹ nannte, sind mir nicht mehr zugänglich, wenn auch hoffentlich nicht verloren hinter dem eisernen Vorhang des Gestern. Aber mein Gedächtnis birgt unzählige Einzelheiten. Immer ging sie bis an die Grenze, ins Äußerste, nie doch verlor sie sich.«

Karl Wolfskehl an den Offenbacher Kunstsammler Siegfried Guggenheim (1873–1961), der seit 1938 in Amerika lebte, 26. Februar 1946 (Bd. 1. S. 611 f.): »Gelegentlich hat das Bibliophilenherz doch noch einen freudigen Stimulus erlebt, so kürzlich, als ich das letzte Buch der Dichterin Else Lasker-Schüler (mit der ich in früheren Jahren recht oft zusammengekommen war) aus Palästina geschickt bekam. Es ist in Jerusalem gedruckt, und in einer ganz vergriffnen Ausgabe von 300 Ex. herausgekommen, spiegelt ein tief passioniertes Liebeserlebnis der hohen 60erin und gehört zum Erschütterndsten, was dieses leidenschaftliche Dichtergemüt heraussang, stammelte und erwühlte. Ihr Leben eine einzige Unrast, ihr Schaffen ein Bekenntnis, ein Zwang, eine Hingabe, ein Märchentraum leidvollster Lust.« – Am 12. März 1946 schreibt Siegfried Guggenheim an Karl Wolfskehl (Bd. 1. S. 616 f.): »Else Lasker-Schüler ist mir etwas zu geschraubt. Sie sucht nach interessanten neuen Ausdrücken und man merkt das Suchen. – Zu meinem 70. Geburtstag bekam ich ein bibliophiles Buch geschenkt, ›Hebräerland‹, Luxusausgabe Nr. 7 von 80 Stück, Goldschnitt usw. handausgemalte selbstgefertigte Zeichnungen. Diese Luxusausgabe habe ich heute an Ihre Adresse abgesandt und bitte, mir den Empfang zu bestätigen.«

Ze’ev (Katinka-Ze’ev), Rachel • (1896–1980). Die Frau des Kinderbuchautors Aharon Ze’ev (1900–1968). Sie war eine Zeitlang Else Lasker-Schülers Nachbarin in Jerusalem.

Else Lasker-Schülers letzte Lebenszeit in Jerusalem (1950). In: Else Lasker-Schüler: Dichtungen und Dokumente. Gedichte, Prosa, Schauspiele, Briefe, Zeugnis und Erinnerung. Ausgewählt und hg. von Ernst Ginsberg. München: Kösel-Verlag, 1951. S. 594–598. – »[…] Einmal besuchte uns der Dichter Kariw, und ich ersuchte sie, ihm ihre Gedichte vorzulesen. Sie stimmte zu. Sie erschien bei uns in Sammet und Seide, ihr Haar frisiert, und Ohrringe – die Holzringe, die sie in Bethlehem gekauft und hellblau gefärbt hatte, als sie liebte – schmückten ihre Ohren. Ihren Hals umwand eine braunfarbige Glasperlenkette, und die Augen strahlten in ihrem edlen Gesicht. Sie setzte sich und bat, wir möchten entfernt von ihr uns auf dem Teppich niederlassen. Leise las sie mit ihrer tiefen, bewegten Stimme und war wie eingehüllt in ihr Lied. Ihr Fuß, den sie etwas über den Fußboden erhöht hielt, blieb unbewegt bis zum Ende der Vorlesung – drei Stunden lang. Sie glich einer schwingenden Saite, erzitternd in Heiligkeit, Weh und Glück! Und erst als sie aufhörte zu lesen, setzte sie den Fuß nieder, und ihre Augen kehrten aus Weltenfernen zurück. Als ich ihr am nächsten Tage sagte, daß Kariw ihre Gedichte ins Hebräische zu übersetzen wünsche, sagte sie staunend: ›Aber sie sind doch hebräisch geschrieben!‹ und verbot eine Übersetzung. […]«

Zivier, Georg • (1897–1974). Schriftsteller und Journalist. – Quelle: Wikipedia.

Das Romanische Café. Erscheinungen und Randerscheinungen rund um die Gedächtniskirche. Mit 11 Abbildungen (Berlinische Reminiszenzen IX). Berlin: Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung, 1965. – S. 9–12: »Die Lasker-Schüler, der ›Schwarze Schwan Israels‹, die Wuppertalerin, deren Reminiszenzen an ihre Heimat literarische Köstlichkeiten sind, hatte im ›Alten Café‹ über Jahre ihre Residenz aufgeschlagen. […] / Als sie einmal bei einer Razzia nach ihrem Namen und ihren Personalien gefragt wurde, erwiderte sie gelassen: ›Ich bin der Mann mit dem Goldhelm.‹ Der behäbige Berliner Polizist fand sich damit ab. Was er wohl dachte, hat er nicht ausgesprochen. / Hemmungslos reagieren konnte ›Prinz Jussuf von Theben‹, wenn sich jemand – piratenhaft, wie sie immer argwöhnte – in den Bereich ihrer Poesie eindrängen wollte. ›Hören Sie, ich lebe noch, verstehen Sie!‹ zischte die Lasker-Schüler durchs Telefon, als eine Sprecherin Gedichte von ihr auf das Vortragsprogramm gesetzt hatte. ›Ich lebe noch und kann meine Gedichte noch selbst vortragen. Sollten Sie es wagen, auch nur eine einzige Zeile von mir in den Mund zu nehmen, so werde ich an der Spitze von dreißig entschlossenen Jünglingen erscheinen und Sie vom Podium zerren!‹ / Aber die Sprecherin hatte ihrerseits für eine Saalwache gesorgt, junge Leute, die die Dichterin (deren dreißig Jünglinge Phantasieprodukte waren) sehr höflich auf einen Platz dirigierten und sie baten, doch erst mal zu hören. Und wirklich, die Lasker-Schüler schwieg und hörte zu, erst ungeduldig, dann hingerissen. Sie hat die junge Schauspielerin auf die Stirn geküßt und ihr einen gläsernen Skarabäus geschenkt. / Die Dichterin war zeitweilig mit einem Bruder des Schachweltmeisters Emanuel Lasker verheiratet und später mit dem Manager futuristischer und expressionistischer Kunst Herwarth Walden. Doch lebte sie über Jahre allein in der gutbürgerlichen Hotelpension Koschel nahe dem Nollendorfplatz. Eine Karawane von Glastieren stand auf dem Mitteltisch ihres Pensionszimmers, kompaßgenau in der Richtung nach Jerusalem aufgestellt, wo sie die letzte Phase ihres Lebens auch zubringen sollte, etwas irritiert in ihren biblischen Begriffen durch das martialische Wesen der ›wilden Juden‹ (wie sie sich ausdrückte). / Dabei hatte sie oft genug selbst etwas von einer streitbaren Deborah in ihrem Leben zwischen Traum und Tag. Mit leichtem Schauder denke ich noch jetzt daran, wie sie mich einmal, während der zwanziger Jahre, am Rockaufschlag faßte und mich mit ihrer säuselnden Stimme aufforderte: ›Den Helm festbinden und die Schlacht beginnen!‹ / In der Nähe der Gedächtniskirche waren antisemitische Extrablätter ausgerufen worden. Die Lasker-Schüler stürzte sich auf die Händler, kaufte ihnen die ganzen Packen ab, zertrampelte das Papierzeug im Rinnstein und richtete anfeuernde Rufe an imaginäre Heerscharen. Aber nur ich allein bildete ihr Gefolge und hatte wenig Lust auf die Rolle eines Simson.«

Zuckmayer, Carl • (1896–1977). Schriftsteller.

Als wär’s ein Stück von mir. Horen der Freundschaft. 35. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch, 2019. [Zuerst 1966 erschienen.] – S. 379 f.: »Der andere Ehrengast war die Dichterin Else Lasker-Schüler, deren Lyrik ich bewunderte und liebte. Ludwig Berger hatte mir erzählt, daß sie in seiner Wohnung in meinem Stück herumgeblättert habe und eine Stelle aufschlug, in der von der ›azurenen Flut‹ des Himmels die Rede war. ›Pfui‹, habe sie geäußert, ›ein Dichter sagt nicht azuren. Ein Dichter sagt blau.‹ Inzwischen aber hatte sie das ganze Stück gelesen, auch eine Probe besucht und war zu meiner stärksten Fürsprecherin geworden. Sie hat seitdem, bis wir uns im Jahre 1938 in Zürich zum letztenmal sahen, bei keiner meiner Premieren gefehlt. / An diesem Abend, sosehr mich ihre Zustimmung beglückte, begann sie mich dadurch zu foltern, daß sie mir, je fataler die Stimmung wurde, mit wachsender Mildtätigkeit Pralinen in den Mund stopfte, die sie laut knisternd aus einem altmodischen Ridicule hervorzauberte. Ich verabscheute Süßigkeiten, und mir wurde ganz übel davon, aber ich war ihrer Caritas wehrlos ausgeliefert. Ein einziger Schnaps wäre mir lieber gewesen.« Am 10. Dezember 1920 war in Berlin Zuckmayers erstes Theaterstück »Kreuzweg« uraufgeführt worden: Zuschauer und Kritiker hatten fast ausnahmslos ablehnend reagiert. Vgl. auch C. Z.: Drei Jahre. In: Theaterstadt Berlin. Ein Almanach. Hg. von Herbert Ihering. Berlin: Verlag Bruno Henschel und Sohn, 1948. S. 79–102, vor allem S. 85 f. (die Schilderung dort mit abweichendem Wortlaut). – S. 135: »Am Sonntag vor der Premiere veranstalteten wir im Zürcher Schauspielhaus eine Matinee, wobei der Berner Professor Hans Fehr, mir von der Heidelberger Studienzeit wohlbekannt und gewogen, einen Vortrag über den ›Villon des schwedischen Rokoko‹ hielt und ich zur Gitarre, die ich damals noch recht gut spielte, Bellmans anakreontische Lieder, aus den ›Gesängen‹ und den ›Episteln‹, vortrug. Else Lasker-Schüler (ihre Dichtungen sind unvergessen), die auch als Emigrantin in Zürich lebte und schon bei meiner ersten Uraufführung in Berlin dabeigewesen war, kam hinter die Bühne und war von diesen Liedern so entzückt, daß ich ihr den ganzen Nachmittag weiter vorspielen mußte.« Am 17. November 1938 fand in Zürich die Uraufführung von Zuckmayers Schauspiel »Bellman« statt.