Herbert Fritsche: Lasker-Schüler
Aktualisiert: 6. November 2023
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LASKER-SCHÜLER
Im Studiensaal der Berliner Nationalgalerie (Kronprinzenpalais) liegt eine dicke Mappe Zeichnungen der Dichterin Else Lasker-Schüler aus, die beim Publikum viel Beachtung findet. Es sind größtenteils Bilder, die auch den Büchern Else Lasker-Schülers als Illustrationen beigegeben sind, Porträts ihrer Freunde, Szenen aus ihren orientalischen Erzählungen und Visionen ihres erträumten Kaiserreiches Theben. Was diese Blätter so liebenswert macht und auf das Niveau großer Kunstwerke hebt, ist nicht nur ihre unerhört ursprüngliche Phantastik und ihr temperamentvolles Vibrieren, sondern vor allem ihre kindlichen Traumfarben, die wohl vor Else Lasker-Schüler nur von Gaugin erreicht wurden, allerdings mit wesentlich komplizierteren Mitteln, während Else Lasker-Schüler immer ihrer rührend naiven Ölkreidetechnik treu bleibt. Diese Bilder sind herzgeboren, künstlerisch absichtslos und dennoch von einem heimlichen Pathos, das bei der geringen Größe der Figuren rätselhaft anmutet. Ihr Porträt des »schwarzen Waldfürsten« Dehmel mit Mond und Stern auf der dunklen Stirne ist ein gemalter Beitrag zur Dichtung von unheimlicher Wesensähnlichkeit. Auch Gottfried Benn und Paul Zech hat sie tief erfaßt, indem sie die Antlitze ihrer Dichterfreunde liebevoll mit dem Stift hinspielte, fast unbewußt und tranceumfangen. Die orientalischen Szenen und die Panoramen ihrer Kaiserstadt zeigen diese seltene Kunst der Verspieltheit am eindringlichsten: Hineingeklebte Gestirne aus Konfekt-Stanniol und aufgestreutes Flittergold wiegen die tragische Einsamkeit ihrer zeitfremden Helden hinüber in den liebevollen Wellenschlag versöhnlicher Träume.
Die Berliner Nationalgalerie hat jüngst auch drei Zeichnungen von Paul Lasker-Schüler, dem früh verstorbenen Sohn der großen Dichterin, erworben. Es sind drei Blätter, die nicht gerade zu seinen besten gehören. Ich hatte unlängst Gelegenheit, bei Else Lasker-Schüler einen großen Teil der Werke ihres Sohnes anzusehen, die mich in Erstaunen und Begeisterung versetzten. Die Zeichnungen beginnen schon bei seinem vierten Lebensjahr, sind anfangs von einer unbeholfenen Komik, die fast beabsichtigt wirkt, gehen dann in eine bei der Jugend des Zeichners erstaunlich reife Kunst über und erreichen schließlich das hohe Niveau früh vollendeter Meisterschaft. Der Sohn ist nicht so traumversponnen wie die Mutter, die auch mit dem Farbstift in der Hand stets Dichterin bleibt, er ist kritischer, wacher, graphisch expressiver – aber er bleibt dennoch Künder eines Inhalts, Schöpfer eines Weltbildes, fern von den faden Problemstellungen einer nur artistischen Kunst. Die eindringliche Kraft seiner Begabung ist dem Diesseits gewidmet, er zeichnet Blinde und Hungernde, Lustmörder und Kokotten, alles jedoch mit klopfendem Herzen und den reinen Blicken einer im tiefsten Grunde unschuldigen Jugend. Else Lasker-Schüler ist besorgt und bemüht, den Bildern ihres geliebten und schmerzvoll betrauerten Sohnes zu der Anerkennung zu verhelfen, die ihnen gebührt. Sie sucht nach passenden Räumen für eine Kollektivausstellung. Hoffentlich wird das den Berliner Kunsthändlern und Galeriebesitzern Gelegenheit geben, sich ihrer Verantwortung und Pflicht dem so früh abgebrochenen Lebenswerk dieses Künstlers gegenüber bewußt zu zeigen.
Herbert Fritsche
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Aus: Das Tagebuch (Berlin). Jg. 12, Heft 49 vom 5. Dezember 1931. S. 1910 f.
Herbert Fritsche (1911–1960), Schriftsteller in Berlin. Er veröffentlichte Gedichte und gab 1930/31 die Zeitschrift »Der Taugenichts« heraus. Fritsche hat sich intensiv mit Fragen der Esoterik und der Homöopathie beschäftigt und seine Anschauungen in zahlreichen Schriften dargelegt. – Quelle: Wikipedia.
Die Berliner Nationalgalerie hatte 1920 insgesamt 104 Zeichnungen Else Lasker-Schülers, überwiegend Illustrationen zu ihren Prosaschriften, von Freunden der Dichterin als Geschenk erhalten. Zu den Stiftern gehörte unter anderem ihr Berliner Verleger Paul Cassirer. Die Zeichnungen sind nicht einzeln katalogisiert worden und wurden 1937 von den Nationalsozialisten beschlagnahmt. Vgl. Kunst in Deutschland 1905–1937. Die verlorene Sammlung der Nationalgalerie im ehemaligen Kronprinzen-Palais. Dokumentation. Ausgewählt und zusammengestellt von Annegret Janda und Jörn Grabowski (Bilderheft der Staatlichen Museen zu Berlin. Heft 70/72). Berlin 1992. S. 140–144. Aus dem alten Bestand sind heute noch sicher nachweisbar dreizehn Zeichnungen, die Peter-Klaus Schuster in seiner Dokumentation »Franz Marc – Else Lasker-Schüler« (»Der Blaue Reiter präsentiert Eurer Hoheit sein Blaues Pferd«. Karten und Briefe. Hg. und kommentiert von Peter-Klaus Schuster. München 1987. Tafel 31–43) reproduziert hat. Weitere zehn Zeichnungen wurden 1995 in der Kabinett-Ausstellung »Else Lasker-Schüler« des Schiller-Nationalmuseums Marbach am Neckar gezeigt. Vgl. Else Lasker-Schüler 1869–1945. Bearbeitet von Erika Klüsener und Friedrich Pfäfflin (Marbacher Magazin 71/1995), Beilage (Nr. 20–29). Ricarda Dick ergänzt in ihrem Werkverzeichnis von 2010 nochmals sieben Zeichnungen, wobei sie bei fünf Zeichnungen allerdings anmerkt, dass die Standorte unbekannt seien. Vgl. Else Lasker-Schüler. Die Bilder. Hg. von Ricarda Dick im Auftrag des Jüdischen Museums Frankfurt am Main. Mit Essays von Ricarda Dick und Astrid Schmetterling. Berlin: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2010. Nr. 5 (Tafel S. 19), 6 (Tafel S. 17), 8 (Tafel S. 18), 9, 12 (Tafel S. 12), 14 (Tafel S. 20), 15 (Tafel S. 16), 16–20, 23, 25 (Tafel S. 25), 37 (Tafel S. 34), 38 (Tafel S. 21), 47 (Tafel S. 35), 48, 49 (Tafel S. 37), 51 (Tafel S. 38), 68, 69, 70 (Tafel S. 44), 71, 72 (Tafel S. 45), 73 (Tafel S. 43), 74, 75, 76 (Tafel S. 40) und 77. – Das Inventarverzeichnis der von den Nationalsozialisten aus deutschen Museen und Kunstsammlungen beschlagnahmten Werke (›Harry-Fischer-Liste‹, Victoria & Albert Museum [London]) führt die Zeichnungen Else Lasker-Schülers im 1. Band in der Liste »Berlin, Nationalgalerie« (S. 7) auf. Details verzeichnet die »Datenbank ›Entartete Kunst‹« des Kunsthistorischen Instituts der Freien Universität Berlin.
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Paul Lasker-Schüler (1899–1927), das einzige Kind von Else Lasker-Schüler, bewies schon früh ein großes zeichnerisches Talent. Er besuchte das Landerziehungsheim Schloss Drebkau, die Odenwaldschule und das Landschulheim in Dresden-Hellerau. Seine ersten Zeichnungen veröffentlichte er in expressionistischen Zeitschriften: »Faitelowitz« (Neue Jugend. Eine Zeitschrift für moderne Kunst und jungen Geist [Berlin-Halensee]. Jg. 1, H. 2 vom April 1914. S. 7), »Der Triumphator« (Die Aktion. Jg. 5, Nr. 51 vom 18. Dezember 1915. Spalte 654), »Nochmals: Der Triumphator« (Die Aktion. Jg. 6, Nr. 9/10 vom 4. März 1916. Spalte 126) und »Rudolf Schmied« (Die Aktion. Jg. 6, Nr. 39/40 vom 30. September 1916. Spalte 551). Ab Herbst 1915 erhielt er zur weiteren Förderung seiner künstlerischen Begabung Privatunterricht in München. Else Lasker-Schülers Hoffnungen, dass Paul eine Anstellung bei einer Zeitschrift, beim Theater oder beim Film finden könnte, erfüllten sich nicht. 1925 reproduzierte die Zeitschrift »Gebrauchsgraphik« (Berlin) (Jg. 2, Nr. 6 vom Dezember 1925. S. 86) drei titellose Zeichnungen; als Adresse ist auf S. 2 des Heftes angegeben: »Lasker-Schüler, Paul, München, Amalienstraße 5d«. Zur Jahreswende 1925/26 erkrankte er in München an Tuberkulose und starb – nach erfolglosen Kuraufenthalten in Schweizer Sanatorien – am 14. Dezember 1927 in Berlin; am 18. Dezember wurde er auf dem jüdischen Friedhof Weißensee (Feld E IV, Reihe 9; Grabnummer 74581) beigesetzt. Sigismund von Radecki berichtet: »Ein schrecklicher Schicksalsschlag war für sie der Tod ihres einzigen Sohnes Paul. Er war ein hochbegabter Zeichner, aber erblich belastet. Kein leichtes Schicksal, das Kind von Else Lasker-Schüler zu sein. Er starb an Lungentuberkulose. In seinem Krankenzimmer war ein Vorhang, der den größeren Raum mit dem Bett abtrennte. Die Mutter umgab den Kranken mit aller liebenden Pflege und suchte ihm Hoffnung zu machen. Einmal unterbrach er sie fast schreiend: ›Was hilft das alles – ich weiß, ich muß doch sterben!‹ Daraus sprach eine grenzenlose Verzweiflung. Als er fühlte, daß es jetzt ans Sterben ging, gab er der Mutter ein Zeichen, hinter den Vorhang zu treten; er wollte allein sterben. Gehorsam trat sie hinter den Vorhang und wartete dort den Tod ihres Sohnes ab.« (Sigismund von Radecki: Erinnerungen an Else Lasker-Schüler [1950]. In: Else Lasker-Schüler: Dichtungen und Dokumente. Gedichte, Prosa, Schauspiele, Briefe, Zeugnis und Erinnerung. Ausgewählt und hg. von Ernst Ginsberg. München: Kösel-Verlag, 1951. S. 575–582, Zitat S. 579.)
Pauls Zeichnungen befinden sich im Nachlass der Mutter in der National Library of Israel (Jerusalem), Arc. Ms. Var. 501 (Else Lasker-Schüler Archive) (10:1 ff.). Else Lasker-Schüler widmete ihrem Sohn mehrere Gedichte und Bücher. Unmittelbar nach dem Tod Pauls veröffentlichte sie den Nachruf »Mein Sohn« (Berliner Tageblatt. Jg. 56, Nr. 597 [Morgen-Ausgabe] vom 18. Dezember 1927), 1929 erschien von ihr im »Uhu« (Jg. 5, H. 9 vom Juni 1929. S. 73–77) der Beitrag »Mein Junge«. Elisabeth von Schmidt-Pauli schrieb für die »Frankfurter Zeitung« (Jg. 72, Nr. 4 [Abendblatt] vom 2. Januar 1928. S. 1) den Nachruf »Else Lasker-Schülers Sohn«, ausführlich zitiert im »Israelitischen Familienblatt« (Hamburg) (Ausgabe für Frankfurt am Main und Umgegend) vom 12. Januar 1928 (Jg. 30, Nr. 2. S. 13 [»Stimmen der Presse«]). »Der Querschnitt« (Berlin) publizierte 1931 Friedrich Karinthys Essay »Der Unfug der Kindemärchen« (Jg. 11, H. 7 vom Juli 1931. S. 467 f.), illustriert mit zwei Zeichnungen von Paul Lasker-Schüler und Hilde Rubinstein.
Max Perl, Berlin, bot auf der Auktion 116 (»Bücher und Graphik aus verschiedenen Sammlungen«), 28./29. April 1927, »6 Bleistiftzeichnungen« (»Porträts und Genredarstellungen«) (S. 45, Nr. 692) von Paul Lasker-Schüler an. Digitalisat des Katalogs: Heidelberger historische Bestände – digital. – Auf der Auktion 168 (»Alte und moderne Bücher […] Handzeichnungen«), 1. Dezember 1931, bot Max Perl »3 Karikaturen« (»Der Kunstschriftsteller; Der Gymnasialprofessor; Eine drückende Hitze«) (S. 43, Nr. 586) von Paul Lasker-Schüler an. Digitalisat des Katalogs: Heidelberger historische Bestände – digital.
Im September 1938 veranstaltete das von Rose Schindler in Zürich betriebene »Künstlerhaus am Hirschengraben« (Hirschengraben 78) eine Ausstellung mit Zeichnungen Pauls. Die Ausstellung, für die sich der Zürcher Literatur- und Kunstkritiker Berthold Fenigstein eingesetzt hatte und zu der ein »Paul Lasker-Schüler« betitelter Katalog erschien (Exemplar im Nachlass Else Lasker-Schülers [6:182] und in der Zentralbibliothek Zürich [Ms. Z VI 176.40]), wurde in der örtlichen Presse ausführlich besprochen. Vgl. [Anonym:] Zürich. Im Künstlerhaus. In: Israelitisches Wochenblatt für die Schweiz (Zürich). Jg. 38, Nr. 36 vom 9. September 1938. S. 16 (»Der sehr begabte junge Zeichner hat namentlich köstlich-humorvolle Zeichnungen aus dem Berliner Milieu hinterlassen, ferner fallen die zartsinnigen schwärmerischen Mädchenköpfe besonders auf. Ein Besuch dieser Erinnerungs-Ausstellung sei sehr empfohlen.«); r.: [Zürcher Kunstchronik.] In: Neue Zürcher Zeitung. Jg. 159, Nr. 1618 (Morgenausgabe) vom 14. September 1938, Blatt 2 (»Daß der Zeichner, der diese vielen Blätter schuf, ein vortrefflicher Könner war, wirkt fast als etwas Selbstverständliches, so stark wird man vom inneren Gehalt, von der schwebenden Atmosphäre der einzelnen Zeichnungen angezogen. Fern von allem Malerischen, Schummrigen, Dämmernden spricht hier der Kontur mit vielgestaltiger, unmittelbarer Ausdruckskraft. Hart und schneidend sind die Konturen, wenn sie die unentwegte Lebenstüchtigkeit und Selbstbehauptung bourgeoiser Typen umreißen: den ›Vorsitzenden‹, den ›Dorfassessor‹, den ›Finanzrat‹. Leise erlauscht und erfühlt sind dagegen die Bleistiftstriche, die einen Blinden, einen Kranken, einen Toten schildern. Der stiere Blick des Gefangenen, die leeren Augen des Elends, das Schlendern des heimkehrenden Arbeiters finden ihre zwingende Bildformel. Paul Lasker-Schüler setzt als hellsichtiger Spätling die zeichnerische Tradition fort, die durch die Simplizissimus-Künstler begründet wurde. Er gibt seinen Zeichnungen das Sprechende, das Beziehungsreiche, das Novellistische, das oft die Ohnmacht der Leidenden, die Qual der Schwachen in Gegensatz stellt zum forschen Daseinswillen der Selbstsicheren, der Unangefochtenen. Aber er treibt die Pointierung nicht bis zur karikatürlichen Formel, das Sentiment nicht bis zum anklägerischen Tendenzbild. Sondern er wahrt die Gelassenheit des Beobachters, auch wo er Empfindung, Mitgefühl, Erregung gestaltet.«); [Anonym:] Ausstellung Paul Lasker-Schüler. In: Jüdische Presszentrale Zürich. Jg. 21, Nr. 1005 vom 16. September 1938. S. 14 (mit einem Foto von Paul Lasker-Schüler) (»Die Ausstellung ist außerordentlich eindrucksvoll. So schreibt Prof. B. Fenigstein: ›Die Ausstellung hat mir tiefen Eindruck gemacht. Ich betrachte sie als ein ungewöhnlich bedeutendes künstlerisches Ereignis.‹ Auch der früher in München lebende Professor Fehr und Wolfgang Heider haben sich in Worten hoher Anerkennung geäußert. Wir empfehlen daher unseren Lesern, sich den Besuch dieser Veranstaltung nicht entgehen zu lassen und auf diese Weise das Lebenswerk eines schöpferischen Juden zu ehren.«); Wolfgang Albert Heider: Paul Lasker-Schüler. Ausstellung seiner Zeichnungen im Künstlerhaus Hirschengraben. In: Jüdische Presszentrale Zürich. Jg. 21, Nr. 1006 vom 23. September 1938. S. 26 (»Suchen wir nach dem Persönlichen in der Vielfalt der erprobten Möglichkeiten, so entdecken wir – die Mutter, Else Lasker-Schüler. Es ist die dichterische Ader, die all seinen Bildern die persönlichsten Impulse gab. […] Und da ist es wohl – die Liebe zur Liebe, die unter den Zeichnungen Paul Lasker-Schülers die Meisterwerke inspirierte. Keine Nuance des Liebens scheint ihm fremd zu sein, aber es ist immer die Liebe zu den schwachen Geschöpfen, die seine Striche zu gezeichneten Zärtlichkeiten werden läßt. Liebe zu schwachen Menschen, zu den Blinden, deren lichtloses Antlitz er ertastet, als würde er mit geschlossenen Augen zeichnen. Liebe zu schwachen Kindern, denen er nachträumt, zum ›armen Mädchen‹, die er aus fadenscheinigen, verzweifelt zerrissenen Strichlein erstehen läßt. Und dann die Liebe zu den schwachen Frauen, deren Angesicht er so lieb hat, daß er nicht mehr wagt, es zu stilisieren und so mit bewundernder Treue zu den Details, die nur den Lieblosen nebensächlich scheinen, malt er ›Berti‹ oder das Profil der Schauspielerin Margarete Schlegel.«); E. Br.: Zürcher Kunstchronik. In: Das Werk (Zürich). Jg. 25, Nr. 10 vom Oktober 1938. S. XXII und XXIV (»Im Künstlerhaus am Hirschengraben sieht man eine Gedächtnisausstellung für den jung verstorbenen Zeichner Paul Lasker-Schüler, der als sensibler Nachfahre der satirischen Illustratoren des früheren Deutschland erscheint […].«). – Ein Hinweis auf die Ausstellung erschien in der »Pariser Tageszeitung« vom 20. September 1938 (Jg. 3, Nr. 794. S. 3 [»Kulturchronik«]).
Die Schweizer Psychologin Franziska Baumgarten schrieb über Paul Lasker-Schüler den Aufsatz »Supranormales Zeichnen eines Kindes« (Zeitschrift für Kinderpsychiatrie [Basel]. Jg. 2, H. 6 vom Februar 1936. S. 182–189). Eine mit Deckfarben kolorierte Tuschezeichnung aus dem Jahr 1918 – »Paar mit rotem Bouquet (Selbstbildnis)« – wurde 2011 bei Lempertz in Köln angeboten. Abbildung im Katalog der Auktion 979 (»Moderne Kunst«) vom 31. Mai 2011 (Nr. 387).
Aus einer Mappe mit Skizzen Paul Lasker-Schülers (The National Library of Israel [Jerusalem], Arc. Ms. Var. 501 [Else Lasker-Schüler Archive], File 10:6,XLIX):
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Leni Riefenstahl berichtet in ihren »Memoiren« (München und Hamburg: Albrecht Knaus, 1987. S. 29 f.): »Ein junger Mann, der sich Paul Lasker-Schüler nannte, sprach mich auf der Straße an. Er war der Sohn der berühmten Dichterin, die mir damals noch unbekannt war. Er sah gut aus und war achtzehn. Wir trafen uns einige Male heimlich, und da er viel mehr wußte als ich, machte es mir Spaß, mich mit ihm zu unterhalten. Ich konnte viel von ihm lernen. Eines Tages sagte er zu mir ohne jeden Zusammenhang: ›Weißt du eigentlich, daß du einen sehr sinnlichen Mund hast?‹ | Ich, völlig ahnungslos, sagte: ›Quatsch, ich habe keinen sinnlichen Mund.‹ | Er: ›Wetten? Ich wette mit dir, daß ich es dir innerhalb der nächsten vier Wochen beweisen werde.‹ | ›Gut, wetten wir‹, antwortete ich, ›um was wetten wir?‹ | ›Daß du mich küssen wirst.‹ | ›Und wenn du verlierst?‹ | ›Dann werde ich dir etwas Hübsches schenken‹, war seine Antwort. | Wir sahen uns längere Zeit nicht. Dann traf ich ihn eines Tages wieder. Er bat mich, ich sollte mir seine Zeichnungen ansehen, und, ohne an die Wette zu denken, willigte ich sofort ein. | In der Rankestraße hatte er ein möbliertes Zimmer. Kaum hatte ich es betreten, umfaßte er mich und versuchte, mich zu küssen. Über diesen unerwarteten Überfall war ich so wütend, daß ich mich von ihm losriß und ihn an die Wand stieß, wobei ich aber furchtbar lachen mußte. Dieses Lachen mußte ihn in seinem männlichen Stolz so beleidigt haben, daß er mich mit fast brutaler Gewalt aus dem Zimmer warf. Ich habe meinen stürmischen Verehrer nie wieder gesehen und auch kein Geschenk für meine gewonnene Wette erhalten.«