Emil Raas: Else Lasker-Schüler in Bern
Aktualisiert: 26. März 2021
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Else Lasker-Schüler in Bern.
Bern. Manchmal ist es dem Alltagsmenschen vergönnt, wie durch eine Ritze der grauen Himmelsdecke etwas von jenem Scheine zu erhaschen, der von dem Lande der wirklichen und reinen Kunst ausgeht. Wir durften Else Lasker-Schüler lauschen, die Gedichte und ein Stück aus dem »Prinz von Theben« vorlas und wir wollen lediglich sagen, daß wir tief ergriffen wurden, in diesem von der »Union« veranstalteten und erfolgreichen Abend. Mit einfachen Worten kann man den überreichen Inhalt dieser weihevollen Stunde nicht schildern. Es ward ein Wortteppich aus Blumen und Sternen und Menschensehnsucht gewoben, so seidenweich und farbenvoll, wie wir noch niemals einen solchen geschaut hatten, der alte, jüdische Tempel erstand wieder aus Balladen gebaut, wie aus schönschlanken, kostbaren Säulen, und was uns endlich am meisten ergriff, waren die Bilder der Menschen aus der Bibel, jener Treuherzigen, Gottnahen, Urmächtigen, die noch so voll gewesen sind, zugleich von der Gewalt des Lebens und der milden, stillen Frömmigkeit des Himmels. Wir danken der Dichterin für diesen Abend, den keiner je vergessen wird, der seiner teilhaftig werden durfte und hoffen bestimmt, Else Lasker-Schüler recht bald wieder in Bern zu hören. E. R.
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Aus: Jüdische Presszentrale Zürich. Jg. 16, Nr. 771 vom 17. November 1933. S. 11 (»Das Blatt der jüdischen Frau«).
Anfang November 1933 hatte Else Lasker-Schüler in der jüdischen Studentengruppe »Union Bern« gelesen, deren Vizepräsident Emil Raas war. Überrascht von dessen Besprechung des Abends, schreibt Else Lasker-Schüler am 19. November 1933 an Emil Raas: »Glaubte in einem ganz privaten Kreis gesprochen zu haben. Ich möchte Ihnen danken .... Aber Sie dürfen gerade nie denken, daß ich einen Menschen für diese Dinge ausnützen will. Und nur mit der Gewißheit, da Sie mir das Wort halten, kommen bald alle meine Bücher – wie ich schon davon sprach. Und das große Bilderbuch: Theben. Ich freue mich doch wenn Sie meine Bücher besitzen, da Sie sie gern haben. Sie sind doch nicht für ›Leute‹ geschrieben oder aus mater. Gründen und Untergründen.« (Else Lasker-Schüler: Werke und Briefe. Kritische Ausgabe. Im Auftrag des Franz Rosenzweig-Zentrums der Hebräischen Universität Jerusalem, der Bergischen Universität Wuppertal und des Deutschen Literaturarchivs Marbach am Neckar hg. von Andreas B. Kilcher [ab Bd. 9], Norbert Oellers, Heinz Rölleke und Itta Shedletzky. Bd. 9: Briefe. 1933–1936. Bearbeitet von Karl Jürgen Skrodzki. Frankfurt am Main 2008. S. 59 f.)
Emil (»Mill«) Raas (1910–1993) legte 1934 in Bern das juristische Staatsexamen ab und gründete anschließend dort zusammen mit Georges Brunschvig (1908–1973) eine Anwaltskanzlei. 1935–1937 vertraten beide den »Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund« und die »Israelitische Cultusgemeinde Bern« im Berner Prozeß um die »Protokolle der Weisen von Zion«. 1938 veröffentlichten sie das Buch »Vernichtung einer Fälschung. Der Prozeß um die erfundenen ›Weisen von Zion‹« (Zürich). Als Else Lasker-Schüler sich im November 1933 in Bern aufhielt, freundete sie sich während eines Spaziergangs durch die Stadt mit Emil Raas an und schrieb ihm in den Jahren danach mehr als 200 Briefe. Nach dem juristischen Examen vertrat Raas Else Lasker-Schüler auch als Rechtsbeistand gegenüber den Schweizer Behörden.