Ludwig Geiger: Hebräische Balladen von Else Lasker-Schüler
Aktualisiert: 26. März 2021
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Hebräische Balladen von Else Lasker-Schüler. A. R. Meyer Verlag. 1913. Berlin-Wilmersdorf.
Ein Heftchen, das mit einer schauderhaften, mir übrigens vollständig unerklärlichen Vignette geziert ist, enthält Gedichte, die fast noch schlimmer sind, als das Titelblatt. Will die Verfasserin sich über die jüdische Geschichte lustig machen, wie es aus dem Gedichte »Abraham und Isaak« fast hervorzugehen scheint, oder will sie etwa die moderne Poesie verspotten? Ein Gedicht, wie »Esther« gleicht entweder dem Stammeln eines Kindes oder – man verzeihe das harte Wort – dem Lallen eines Idioten. Damit meine Leser nicht glauben, daß ich zu scharf urteile, lasse ich die neun Zeilen, denn nur aus diesen besteht das Gedicht, hier folgen. Sie lauten so:
Esther ist schlank wie die Feldpalme
Nach ihren Lippen duften die Weizenhalme
Und die Feiertage, die in Juda fallen.
Nachts ruht ihr Herz auf einem Psalme
Die Götzen lauschen in den Hallen.
Der König lächelt ihrem Nahen entgegen –
Denn überall blickt Gott auf Esther.
Die jungen Juden dichten Lieder an die Schwester
Die sie in Säulen ihres Vorraums prägen.
Ähnlich, manchmal noch schlimmer, sind die übrigen Balladen. Nur ein paar Gedichte, die eine gewisse Sehnsucht nach Gott verkünden, sind etwas besser, aber für Poesie kann ich dieses öde Wortgeklingel in keiner Weise ansprechen. (Geschrieben Januar 1913.) L. G.
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Aus: Allgemeine Zeitung des Judentums (Berlin). Jg. 77, Nr. 18 vom 2. Mai 1913. S. 215 (»Literarische Mitteilungen«).
Ludwig Geiger (1848–1919), deutsch-jüdischer Literatur- und Kulturhistoriker. Er war ein namhafter Goethe-Philologe – unter anderem gründete er 1880 das Goethe-Jahrbuch – und schrieb zahlreiche Abhandlungen zur Geschichte des deutschen Judentums. Ab 1909 war er Herausgeber der »Allgemeinen Zeitung des Judentums«. – Quellen: Deutsche Biographie, Wikipedia.