Max Hermann [Herrmann-Neiße]: Else Lasker-Schüler: Der Prinz von Theben
Aktualisiert: 29. März 2021
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Bücherbesprechungen.
Else Lasker-Schüler: Der Prinz von Theben.
(Verlag der Weissen Bücher, Leipzig)
»… und kann auf Sternen gehn«.
In die Abseitsparadiese dieser gebenedeiten Frau entrückt zu sein, bedeutet in der Zeit unserer schwersten Heimsuchung, da goldne Türen mit dem widrigen Lärm unehrlichster Fanfaren zugeworfen und die feinsten Saiten einer Seele erbarmungslos in Stücke gerissen werden, mehr als je eine Gnade und ein Berufensein, das sich nicht vergisst. Und nur die sind immer wieder auserwählt, die reinen Herzens sind – wie könnte für ein Werk unserer Tage ein höherer Rang festgestellt werden, als es mit diesem Satze geschah? Ihr Reich ist nicht von dieser Welt, und erst auf dem höchsten Niveau, wo das Wort »Dichtung« zu einer Wahrheit wird und die Lüge »Literatur« wie in Asche zerfällt, steigen die Grundsteine ihrer leuchtenden Burg über alle Lande hoch. Wer nie vom Zweck und selbstischer Geschäftigkeit genesen kann, der schaut die Wunder ihrer Himmel nie. Worte wie »Meliorismus« bekommen da nicht einmal einen Widerhall. Aber unermesslich wölbst sich ein Planetenzelt. Man ist bei »Gottlingchen«! Alles ist tiefer geschöpft als aus dem gefällig ummauerten Brunnen noch der sichersten Technik, und aus Blutgefilden, Herzwiesen und den rieselnden Rhythmen beflügelter Atemzüge kristallisieren sich solche Kleinodien: »O und sein Wesen so liebevoll tastend wie ein kindtragendes Weib« … »Mein Herz wird täglich magerer in der Brust wie die Mondhälfte in den Wolken. Die zarten Hälse der Abendländerinnen heben sich aus dem Rand ihrer durchsichtigen Kleider, darin ihre Leiber wie in gläsernen Vasen stehen« … »Wenn ich eine der Töchter der Christen wäre, ich schenkte dem Kreuzfahrer, der am Morgen durch das Tor in die Stadt zog, ein Bett aus atmendem Holz, wie ihre Haut so weiss, denn er fror in der milden Frühsonne. Ich drohe mir mit meiner blitzenden Sichel, seitdem er über den Zaun in den Garten blickte, und mähte das süsse Gegold meines Herzens.« Mit einer sich ganz verlierenden Liebe küsse ich die vier Ringe ohne Fehl: »Der Derwisch«, »der Fakir« »Abigail I.« »Ein Brief an meine Base Schalôme.«
Dem köstlichen Wein gab der Verlag ein würdiges Gefäss. Kein Buch für Bücher-Liebhaber, sondern für Bücher-Liebende! Und die 25 Abbildungen nach Zeichnungen der Dichterin – darunter die japanische Preziose »der Fakir« und die zarte Schönheit von »Leila« – sind ebenso wie die drei farbigen Bilder Franz Marcs adäquat edle Stickereien in dem Gebetsteppich des umblühten Märchenbuches. Wer von den »besseren Menschen« nicht die Möglichkeiten besitzt, nach Haiti oder Skandinavien auszuwandern, der flüchte sich in die seligen Reiche des »Prinzen von Theben.« »Von Sternen sind wir eingerahmt / Und flüchten aus der Welt.«
Max Hermann, Neisse.
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Aus: Der Mistral (Zürich). Jg. 1, Nr. 2 vom 21. März 1915. S. 4 (»Bücherbesprechungen«).
Max Herrmann-Neiße (urspr. Max Herrmann) (1886–1941), Schriftsteller und Kritiker. Er stammte aus Neiße in Oberschlesien und studierte in München und Breslau Literatur- und Kunstgeschichte. 1909 verließ er die Universität ohne Abschluß. Ab 1911 veröffentlichte er Gedichte, Prosa und literaturkritische Schriften in der »Aktion«, im »Pan«, in den »Weißen Blättern« und in weiteren Zeitschriften des Expressionismus. 1917 zog er von Breslau nach Berlin und zählte dort in den zwanziger Jahren zu den angesehensten Literatur- und Theaterkritikern. Im März 1933 emigrierte er in die Schweiz und ging von dort über die Niederlande und Frankreich nach London. – Quellen: Deutsche Biographie, Wikipedia.