Else Lasker-Schüler: Hebräische Balladen (1914)
Aktualisiert: 26. März 2021
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Hebräische Balladen
von
Else Lasker-Schüler
Zweite vermehrte Auflage
A. R. Meyer Verlag
Berlin-Wilmersdorf
[2]
Karl Kraus zum Geschenk
[3] Mein Volk
Der Fels wird morsch,
Dem ich entspringe
Und meine Gotteslieder singe ...
Jäh stürz ich vom Weg
Und riesele ganz in mir
Fernab, allein über Klagegestein
Dem Meer zu.
Hab mich so abgeströmt
Von meines Blutes
Mostvergorenheit.
Und immer, immer noch der Widerhall
In mir,
Wenn schauerlich gen Ost
Das morsche Felsgebein
Mein Volk
Zu Gott schreit.
[4] Abraham und Isaak
Abraham baute in der Landschaft Eden
Sich eine Stadt aus Erde und aus Blatt
Und übte sich mit Gott zu reden.
Die Engel ruhten gern vor seiner frommen Hütte.
Und Abraham erkannte jeden;
Himmlische Zeichen ließen ihre Flügelschritte.
Bis sie dann einmal bang in ihren Träumen
Meckern hörten die gequälten Böcke,
Mit denen Isaak opfern spielte hinter Süßholzbäumen.
Und Gott ermahnte Abraham;
Er brach vom Kamm des Meeres Muscheln ab und Schwamm
Hoch auf den Blöcken den Altar zu schmücken.
Und trug den einzigen Sohn gebunden auf den Rücken
Zu werden seinem großen Herrn gerecht –
Der aber liebte seinen Knecht.
[5] Jakob
Jakob war der Büffel seiner Herde.
Wenn er stampfte mit den Hufen
Sprühte unter ihm die Erde.
Brüllend ließ er die gescheckten Brüder,
Rannte in den Urwald an die Flüsse,
Stillte dort das Blut der Affenbisse.
Durch die müden Schmerzen in den Knöcheln
Sank er vor dem Himmel fiebernd nieder
Und sein Ochsgesicht erschuf das Lächeln.
Esther
Esther ist schlank wie die Feldpalme
Nach ihren Lippen duften die Weizenhalme
Und die Feiertage, die in Juda fallen.
Nachts ruht ihr Herz auf einem Psalme
Die Götzen lauschen in den Hallen.
Der König lächelt ihrem Nahen entgegen –
Denn überall blickt Gott auf Esther.
Die jungen Juden dichten Lieder an die Schwester
Die sie in Säulen ihres Vorraums prägen.
[6] Pharao und Joseph
Pharao verstößt seine blühenden Weiber,
Sie duften nach den Gärten Amons.
Sein Königskopf ruht auf meiner Schulter,
Die strömt Korngeruch aus.
Pharao ist von Gold.
Seine Augen gehen und kommen
Wie schillernde Nilwellen.
Sein Herz aber liegt in meinem Blut.
Zehn Wölfe gingen an meine Tränke.
Immer denkt Pharao
An meine Brüder,
Die mich in die Grube warfen.
Säulen werden im Schlaf seine Arme
Und drohen.
Aber sein träumerisch Herz
Rauscht auf meinem Grund.
Darum dichten meine Lippen
Große Süßigkeiten
Im Weizen unseres Morgens.
[7] An Gott
Du wehrst den guten und den bösen Sternen nicht;
All ihre Launen strömen.
In meiner Stirne schmerzt die Furche,
Die tiefe Krone mit dem düsteren Licht.
Und meine Welt ist still –
Du wehrtest meiner Laune nicht.
Gott, wo bist du?
Ich möchte nah an deinem Herzen lauschen,
Mit deiner fernsten Nähe mich vertauschen,
Wenn goldverklärt in deinem Reich
Aus tausendseligem Licht
Alle die guten und die bösen Brunnen rauschen.
Ruth
Und du suchst mich vor den Hecken.
Ich höre deine Schritte seufzen
Und meine Augen sind schwere dunkle Tropfen.
In meiner Seele blühen süß deine Blicke
Und füllen sich,
wenn meine Augen in den Schlaf wandeln.
Am Brunnen meiner Heimat
Steht ein Engel,
Der singt das Lied meiner Liebe,
Der singt das Lied Ruths.
[8] David und Jonathan
In der Bibel stehn wir geschrieben
Buntumschlungen.
Aber unsere Knabenspiele
Leben weiter im Stern.
Ich bin David,
Du mein Spielgefährte.
O, wir färbten
Unsere weißen Widderherzen rot.
Wie die Knospen an den Liebespsalmen
Unter Feiertagshimmel.
Deine Abschiedsaugen aber –
Immer nimmst du still im Kusse Abschied.
Und was soll dein Herz
Noch ohne meines –
Deine Süßnacht
Ohne meine Lieder.
[9] Eva
Du hast deinen Kopf tief über mich gesenkt,
Deinen Kopf mit den goldenen Lenzhaaren,
Und deine Lippen sind von rosiger Seidenweichheit,
Wie die Blüten der Bäume Edens waren.
Und die keimende Liebe ist meine Seele.
O, meine Seele ist das vertriebene Sehnen,
Und du zitterst vor Ahnungen.
Weißt nicht, warum deine Träume stöhnen.
Und ich liege schwer auf deinem Leben,
Eine tausendstämmige Erinnerung.
Und du bist so blutjung, so adamjung ...
Du hast deinen Kopf tief über mich gesenkt.
Zebaoth
Gott, ich liebe dich in deinem Rosenkleide,
Wenn du aus deinen Gärten trittst, Zebaoth,
O, du Gottjüngling.
Du Dichter,
Ich trinke einsam von deinen Düften.
Meine erste Blüte Blut sehnte sich nach dir,
So komme doch,
Du süßer Gott,
Du Gespiele Gott,
Deines Tores Gold schmilzt an meiner Sehnsucht.
[10] Jakob und Esau
Rebekkas Magd ist eine himmlische Fremde,
Aus Rosenblättern trägt die Engelin ein Hemde
Und einen Stern im Angesicht.
Und immer blickt sie auf zum Licht,
Und ihre sanften Hände lesen
Aus goldenen Linsen ein Gericht.
Jakob und Esau blühn an ihrem Wesen
Und streiten um die Süßigkeiten nicht,
Die sie in ihrem Schoß zum Mahle bricht.
Der Bruder läßt dem jüngeren die Jagd
Und all sein Erbe für den Dienst der Magd;
Um seine Schultern schlägt er wild das Dickicht.
[11] Abel
Kains Augen sind nicht gottwohlgefällig,
Abels Angesicht ist ein goldener Garten,
Abels Augen sind Nachtigallen.
Immer singt Abel so hell
Zu den Saiten seiner Seele,
Aber durch Kains Leib führen die Gräben der Stadt.
Und er wird seinen Bruder erschlagen –
Abel, Abel, dein Blut färbt den Himmel tief.
Wo ist Kain, da ich ihn stürmen will:
Hast du die Süßvögel erschlagen
In deines Bruders Angesicht?
Durch dein dumpfes Herz
Klagt Abels flatternde Seele.
Warum hast du deinen Bruder erschlagen, Kain?
[12] Sulamith
O, ich lernte an deinem süßen Munde
Zuviel der Seligkeiten kennen!
Schon fühl ich die Lippen Gabriels
Auf meinem Herzen brennen ...
Und die Nachtwolke trinkt
Meinen tiefen Cederntraum.
O, wie dein Leben mir winkt!
Und ich vergehe
Mit blühendem Herzeleid
Und verwehe im Weltraum,
In Zeit,
In Ewigkeit,
Und meine Seele verglüht in den Abendfarben
Jerusalems.
Boas
Ruth sucht überall
Nach goldenen Kornblumen
An den Hütten der Brothüter vorbei –
Bringt süßen Sturm
Und glitzernde Spielerei
Über Boas Herz;
Das wogt ganz hoch
In seinen Korngärten
Der fremden Schnitterin zu.
[13] Versöhnung
Es wird ein großer Stern in meinen Schoß fallen ...
Wir wollen wachen die Nacht,
In den Sprachen beten,
Die wie Harfen eingeschnitten sind.
Wir wollen uns versöhnen die Nacht –
So viel Gott strömt über.
Kinder sind unsere Herzen
Die möchten ruhen müdesüß.
Und unsere Lippen wollen sich küssen,
Was zagst du?
Grenzt nicht mein Herz an deins –
Immer färbt dein Blut meine Wangen rot.
Wir wollen uns versöhnen die Nacht,
Wenn wir uns herzen, sterben wir nicht.
Es wird ein großer Stern in meinen Schoß fallen.
[14] Moses und Josua
Als Moses im Alter Gottes war,
Nahm er den wilden Juden Josua
Und salbte ihn zum König seiner Schar.
Da ging ein Sehnen weich durch Israel,
Denn Josuas Herz erquickte wie ein Quell.
Des Bibelvolkes Judenleib war sein Altar.
Die Mägde mochten den gekrönten Bruder gern
Wie heiliger Dornstrauch brannte süß sein Haar;
Sein Lächeln grüßte den ersehnten Heimatstern,
Den Moses altes Sterbeauge aufgehn sah,
Als seine müde Löwenseele schrie zum Herrn.
[15] Im Anfang
Hing an einer goldenen Lenzwolke,
Als die Welt noch Kind war
Und Gott noch junger Vater war.
Schaukelte, hei!
Auf dem Ätherei,
Und meine Wollhärchen flatterten Ringelrei.
Neckte den wackelnden Mondgroßpapa,
Naschte Goldstaub der Sonnenmama,
In den Himmel sperrte ich Satan ein
Und Gott in die rauchende Hölle.
Die drohten mit ihrem größten Finger
Und haben »klummbumm! klummbumm!« gemacht
Und es sausten die Peitschenwinde.
Doch Gott hat nachher zwei Donner gelacht
Mit dem Teufel über meine Todsünde.
Würde zehntausend Erdglück geben
Noch einmal so gottgeboren zu leben,
So gottgeborgen, so offenbar.
Ja, ja,
Als ich noch Gottes Schlingel war.