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Else Lasker-Schüler: Briefe und Bilder (1913–1917)

Aktualisiert: 4. März 2021

Inhaltsübersicht

Briefe und Bilder (1913–1917) [*]

Anmerkungen [*]

Briefe und Bilder (1913–1917)

[I]

[854]

Briefe und Bilder

Briefe und Bilder
[854 (»Maler Marc und seine Löwin«)]

1. Brief.

Mein lieber, lieber, lieber, lieber blauer Reiter Franz Marc.

Du willst wissen wie ich alles zu Hause angetroffen habe? Durch die Fensterluke kann ich mir aus der Nacht ein schwarz Schäfchen greifen, das der Mond behütet; ich wär dann nicht mehr so allein, hätte etwas zum Spielen. Meine Spelunke ist eigentlich ein kleiner Korridor, eine Allee ohne Bäume. Ungefähr fünfzig Vögel besitze ich, zwar wohnen tun sie draußen, aber morgens sitzen sie alle vor meinem Fenster und warten auf mein täglich Brot. Sag mir mal einer was auf die Vögel, es sind die höchsten Menschen, sie leben zwischen Luft und Gott, wir leben zwischen Erde und Grab. Meine Spelunke ist ein langer, banger Sarg, ich habe jeden Abend ein Grauen, mich in den langen, bangen Sarg niederzulegen. Ich nehme schon seit Wochen Opium, dann werden Ratten Rosen und morgens fliegen die bunten Sonnenfleckchen wie Engelchen in meine Spelunke und tanzen über den Boden, über mein Sterbehemd herüber und färben es bunt; o ich bin lebensmüde. Feige und armselig sind die Kameraden, kein Fest, keine Schellen. Alle meine Guirlanden hängen zerrissen von meinem Herzen herab. Ich bin allein auf der Welt lebendig, auf der Hochzeit des leichtlebigen Monat mit der Blume, und ich werde täglich allein begraben und ich weine und lache dazu – denn meine Traurigkeit ist weißer Burgunder, mein Frohsein roter Süßwein. Wenn man die Augen zumacht, weiß man nicht, ob man froh oder traurig ist, da irrt sich der beste Weinkenner. In der Nacht spiele ich mit mir Liebste und Liebster; eigentlich sind wir zwei Jungens. Das ist das keuscheste Liebesspiel auf der Welt; kein Hinweis auf den Unterschied, Liebe ohne Ziel und Zweck, holde Unzucht. Die vergilbte Photographie über meinem Bett grinst dann, sie weiß, daß ich wirklich einmal einen Liebsten hatte, der mit mir Katz und Maus spielte. Einmal aber schenkte er mir eine kleine Krone aus Elfenbein und Tribut für meine Stadt Theben: fünf blanke Markstücke in einem Kästchen auf hellblauer Watte. [855] Ich habe nun keine Stadt mehr, ich will auch nicht mehr Kaiser werden, es gibt keinen Menschen über den ich regieren möchte, keinen Menschen, den ich zur Krönungsfeier einladen mag. Ich weine auch nicht mehr, damit das kichernde Hurenmonstrum über meinem Bett nicht mehr mitleidig sein kann. Ich wär der arme Heinrich – sie meint nicht den König Heinrich, aber ihren versoffenen Stiefbruder, der jedes Jahr die Krätze bekommt. Mir fehlt was anders; einer meiner Freunde lauert schon immer auf meine Leiche – meinen Nachlaß zu ordnen. Er grrratuliert sich schon den ganzen Tag und zur Übung geht er auf alle Geburtstage und gratuliert den Sonntagskindern. Morgen hab ich Geburtstag; die Tante Amalie im Krinolin im Rahmen über meinem Bett stopft mir meine Strümpfe und gibt mir einen heimlichen Rat – wie ich die Miete ihrer Nichte nicht bezahlen brauch. Die tut immer so aufgeblasen, und kassiert dazu ein. Wenn sie naht, flattere ich von einer Ecke in die andere, wie ein halberstarrter Nachtfalter – bis sie mich einfängt ...

Früher war ich in meinen Träumen bei meinem Oheim in Vampur und trug einen Palmenzweig in der Hand. Auch besaß ich viele, viele Feierkleider, die trägt jetzt meine Wirtin immer; wenn ich keine Miete hatte, nahm sie sich eins dafür; die hängen nun alle in ihrem Schrank und sind alle grau geworden. Aber ich muß ihr dankbar sein, denn sie will mir einen Kuchen backen und einen Spruch für meine Spelunke schenken unter Glas, damit ich zufriedener werde. Und dabei bin ich viel zufriedener als früher, ich sehne mich wenigstens jetzt manchmal, wenn auch nur – nach einem – bösen – Menschen. Mein Liebster hat mich nie etwas gefragt, weil meine Lippen so gern tanzen wollten. Aber viel gehen mußte ich, weil ich so schwer vorwärts kam und wäre doch so gern einmal gefahren mit dem Auto oder in einer Sänfte. Ich kannte aber vor ihm noch einen böseren Menschen, der ließ mich immer barfuß über Nägel gehen; seitdem hängen viele Narben unter den Sohlen, die tun weh – so viel weh. Ich kann noch so manche traurige Geschichte erzählen; (die Tante im Rahmen summt aber immer dazu ihr Lieblingslied: »Amalie was hat man dir gepufft!«) Hör nur die Geschichte von dem kleinen Knaben, der am fremden Tisch saß und sich nicht laut freuen durfte über die süßen Speisen. Oder die Geschichte von einem anderen fremden Kind – das von der fremden Mutter spazieren geführt wurde, ihr eigenes Kind aber unter dem Herzen trug. Lieber, lieber, lieber, lieber, blauer Reiter – amen.

[856] 2. Brief.

Lieber, blauer Reiter, ich soll keinen so traurigen Brief mehr schreiben – wie sollt ich es auch nur können, da die Sonne so lieblich und aufmunternd scheint und ich gehe doch mit dem Wetter parallel; auch liegt in allen Buchhandlungen mein neuestes Buch aus, meine Gesichte – diesmal nicht Gedichte. Ich lächle wie Schimmer über meine eigene Winteridylle. Ich bin sogar stellenweise grün gestimmt mit rosaroten Pfingstrosen. Dazu nehme ich seit einigen Tagen Neura-Lecithin, Ersatz fürs Gehirn, (echt nur mit dem Rhinozeroskopf im Ring) immer trage ich davon bei mir und wenn ich stocke in der Unterhaltung, antwortet der Rhinozerosgehirnsauerstoff geradezu erstaunlich vernünftig, fast unangenehm intelligent – kein Mensch glaubt mehr, daß ich eine Dichterin bin – die Redaktionen geben mir Aufträge. Und Höllriegel aus der Kiebitzzeit wird nicht mehr schreiben können, ich kreische hysterisch im Café; zwar wisse er das vom Hörenhören. Ich gab ihm einen Rippenstoß, seitdem sind alle Teufel los, sie machen mir viel Freude, die Schäfchen auf der Heide. Wär ich doch eine Drehorgel und mich drehe ein Krüppel, ihm wüchsen vor Tanzlust die Beine wieder an. Und Tummelskopf möchte ich schlagen, blauer Franz, weil wir »du« sagen und weiß nicht was ich noch alles tun möcht wenn morgens Deine wunderherrlichen Postkarten ankommen!! Großkatzen sind die souverainen Bestien. Der Panther ist eine wilde Enziane, der Löwe ein gefährlicher Rittersporn, die Tigerin eine wütende, gelbschimmernde Ahornin. Aber deine glückseligen, blauen Pferde sind lauter wiehernde Erzengel und galoppieren alle ins Paradies hinein, und deine heiligen, geheiligten Lamas und Hirschkühe und – und Kälber – sie ruhen in geweihten Hainen. Viele Deiner Priestertiere riechen nach Milch. Du ziehst sie selbst im Rahmen groß. Ehrwürdiger, blauer Großgeistlicher!

3. Brief.

Mein sehr geliebter Halbbruder. Es ist kein Zweifel, Du warst Ruben und ich war Joseph, Dein Halbbruder zu Kanazeiten. Nun träumen wir nur noch Träume, die biblisch sind. Manchmal narrt mich so ein Traum, wie heute Nacht. O, ich hatte einen boshaften Traum; allerdings mein sehnlichster Wunsch erfüllte sich – ich war plötzlich König, in Theben – trug einen goldenen Mantel, einen Stern in Falten um meine Schulter gelegt, auf dem Kopf die Krone des Malik. Ich war Malik. Als unsere Muselkinder wie kleine Kamelkälber meinem großen Prachtkamel nachtrabten, und dazu kreischten in [857] allerlei verzwickten Quitschtönen, (es war eigentlich zum Totlachen)! »Rex–Klecks, Rex–Klecks, Rex–Klecks! Klecks!!!« Wenn ich daran denke! Ich bin überhaupt heute etwas unglücklich – ich weiß niemand, wodrin ich mich verlieben könnte. Weißt Du jemand? Dein verraten und verkaufter Jussuf.

4. Brief.

Mein blauer Reiter, ich möchte eine Brücke finden, darüber eine Seele zu meiner käme, so ganz unverhofft. Eine Seele so ganz allein ist doch was Schreckliches!!! O, ich könnte direkt meine Seele (meinetwegen) mit Syndetikon an eine zweite kleben. Syndetikon klebt auch Glas und Metall. Wenn doch Jemand seine Lieblingsblume neben meinem Herzen pflanzen würde, oder einen Stern gießen würde in mein Herz oder – mich ein weltentrückter Blick träfe –. Sei nicht bös, blauer Reiter, daß ich wieder sentimental werde, ich brauch mir ja jetzt nur Deine Karte ansehn mit dem Spielpferdchen; genau so eins, wie dieses steht noch auf dem Krimmskrammsboden oben in meinem Palast in Theben: Aus drolliger Spielfarbe, aus Herzkarminrot.

Aber ich habe nun auch eine Karte gezeichnet, Dich und Deine Mareia. Denk mal, Du bist ja selbst ein Pferd, ein braunes, mit langen Nüstern, ein edles Pferd mit stolzem, gelassenen Kopfnicken, und Deine Mareia ist eine goldgelbe Löwin. Dein lieber Jussuf.

5. Brief.

Blauer Reitersreiter. Die Redaktion: Sturm hat sich eine Filiale angeschafft von meinen Gedichten: Isidor Quanter oder Quantum liefert erstaunliche Nachahmungen. Wie kommt so was? Ich, die gar nichts von einer Lehrerin an mir habe, mache Schule. Mir graut davor! Außerdem hat die Jury der Ausstellung: Sturm dieses Porträt abgewiesen, das seine vier Vorsitzenden in einem Trauakt darstellt. – O, blauer Reiter, wie die Liebe herabwürdigt, wie die Liebe herabgewürdigt wird, wie die Liebe sich besaufen kann!! Ich bin doch auf die Idee gekommen, daß nur bedeutendes Blut sich vermischen darf mit Wein, mit Rausch, mit der Liebe. Nun ist es Nacht – überall – o, wir, wir wollen, Du, Mareia und ich, furchtbar zärtlich miteinander sein ... Wir haben nicht verlernt, unsere Haut herabzureißen wie ein Feierkleid. Was ist denn noch anders los, als wie die Liebe; blauer Reiter, können wir von anderem leben wie von der Liebe, von Blut und Seele – ich will lieber ein Menschenfresser werden als Nüchternheit kauen, wiederkauen; blauer Reiter, ich bin alleine fromm in der fremden Stadt. Kein Mensch kommt hier in den Himmel. Bitte gehe einmal [858] über den Kurfürstendamm, bieg in die Tauentzienstraße ein, kannst Du Dir denken, vorstellen, daß ein Dirbegegnender in den Himmel kommt? Sag mir blauer Reiter, komm ich in den Himmel?

Briefe und Bilder
[858 (»Vereint!«)]

Du blauer Reiter, ich möcht’ Dir noch privatim was erzählen, aber sag es Niemand wieder, auch Mareien nicht. Ich hab mich doch wirklich wieder verliebt. Wenn ich mich tausendmal verliebte, ist es immer ein neues Wunder; eine alte Natur der Sache – wenn sich ein anderer verliebt. Du, er hatte gestern Geburtstag. Ich schickte ihm eine Schachtel voll Geschenke. Er heißt Giselheer. Er ist aus den Nibelungen. Meine Stadt Theben ist nicht erbaut davon. Meine Stadt Theben ist ein islamitischer Priester. Meine Stadt Theben ist ein Bureaukrat. Meine Stadt Theben ist mein Urgroßvater. Meine Stadt Theben paßt mir auf bei jedem Schritt. Meine Stadt Theben ist ein – Ekel. Ich schickte dem ungläubigen Ritter lauter Spielsachen, als ob er mein Brüderchen sei – weil er ein rot Kinderherz hat, weil er so ein Barbar ist, weil er noch ein heimatliches Spielzimmer haben möchte: einen Gralsoldaten aus Holz, eine Chokoladentrompete, eine Spielfahne meiner Stadt Theben, einen Becher, einen silbernen Federhalter, zwei Seidentücher, eine Pettschaft aus Achad und viel, viel Siegellack. Ich schrieb dazu: Lieber König Giselheer, ich wollte, Du wärst aus Kristall, dann möchte ich Deine Eidechse sein, oder Deine Koralle oder Deine fleischfressende Blume. – Aber ich darf mich jetzt gar nicht so viel mit [859] der Liebe befassen, ich muß – deklanieren! Bald im Gnutheater lesen: St. Peter Hille, dann meine teuren Pragerkameraden: Paul Leppin, Otto Pick und Franz Werfel, den Wiener Schwärmer: Richard Weiß, die verehrten Berliner Paschas: den Gnudirektor, Kurt Cajus Majus Hiller, den Peter Baum, Ernst Blaß, Albert Ehrenstein, Paul Zech, Hans Ehrenbaum-Degele, Rudolf Kurtz, den Blutkalifen Richard Dehmel und Gottfried Benn. Der ist Frauenarzt, nebenbei kuriert er die zehn Musen und hätte mich und Ritter Boom wohl ein paar Tage in seinem Krankenhaus aufnehmen können, wir hätten uns so schön ausgeruht bei ihm, er konnte ganz gut ein Auge zudrücken; nämlich der Pitter und ich haben am Abend die bunten Stifte verwechselt mit denen wir uns die Rödeln beibrachten, er hatte lila Rödeln und ich grüne. Nun hab ich Dir nix mehr zu schreiben, lieber Reiter, auch kann Franz Pfemfert nichts mehr drucken in der AKTION; andere Leute wollen auch dran. Die Neurosenpathetiker laufen alle herum, als ob sie eine Blindschleiche im Blinddarm haben, wir kommen gar nicht mehr ans Ziel. Aber Cassirer will meine Illustrationen ausstellen unter schwarzes Glas – da sieht man doch nix! Der Oppenheimer hat Schuld, zwischen uns sitzt die Kabale. Gestern ist er von seinem Schaukelpferd gestürzt, gerade vor dem Café des Westens, den Pressianern die Schilderung der Katastrophe nahe zu legen. – Lieber, lieber, lieber, lieber, blauer Reiter, grüße Campendonk, er ist eines der fünf Heimonskinder, grüße Listle den Franzosen und seine Frau, grüße den adeligen Straßenjungen, die große Malerin Marianne von Werefken und ihren Pfalstaff von Jablenky, Grüße deine wilden und zahmen Tiere, und alle Pferde in den Ställen der Bauern und an den Karren draußen, und Deine Magd und Deinen Knecht und Deinen Hund den Russel und aber vor allen Dingen Deine schöne Königin die Mareia grüße, die mich aufnahm in Euer Haus. Ich umarme Dich, o, blauer Reiter! Ewig Dein Jussuf.

[II]

[906]

Briefe

Mein lieber, blauer Reiter.

Du freust Dich über meine »neue Liebe« – Du sagst das so leicht hin und ahnst nicht, daß Du eher mit mir weinen müßtest – denn – sie ist schon verloschen in seinem Herzen, wie ein bengalisches Feuer, ein brennendes Rad – es fuhr mal eben über mich. Ich erliege ohne Groll, dieser schweren Brandwunde. Könnte ich mich doch in mich verlieben, ich liege mir doch so nah – man weiß dann, was man hat. Ich werde eine Zeitschrift gründen, die wilden Juden; eine kunstpolitische Zeitschrift und ich schreib an Karl Kraus einen Brief, ungefähr so, hör: Lieber, verehrter, venezianischer Cardinal. Wie kommts, daß ich so oft Lust habe politische Briefe an Sie zu schreiben! Aber da ich es ausspreche, hört jede Diplomatie auf. Oder es wäre eine diplomatische Diplomatie. Ich bin wieder in Berlin wo ich hingehör denn ich setze mich immer wieder dorthin. Unbegreiflich! Von hier aus reist man im Gedanken oft nach anderen Städten, hier will man wenigstens fort; wo anders aber findet man Pendants, ich meine ähnliche Menschen wie man selbst ist, wenn auch verkitschte im prunkenden Rahmen. Ich bin lebensmüde und will abenteuerlich sterben. Ich habe alles satt, selbst das Laub an den Bäumen. Immer grün und immer grün. Wenn mir doch einmal zaubernde Menschen begegneten, ich meine solche, die große Wünsche hätten, sie sind alle ernsthaft, nur ich bin ernst. Ich bin so einsam – wer mich lange ansieht, fällt in einen Schacht. Sie sind glücklich, [907] Cardinal; alle Menschen mit blauen Augen sind glücklicher als die, welche unbegreiflich in sich sehen, wie durch schwarz Seidenpapier. Ich wollt jemand schenkte mir einen Stern, mit dem ich mich ab und zu sichtbar machen könnte. Ich bin ruhlos aus banger Langweile geworden, was ich tue, wird zur Eigenschaft und gähnt. Sie verstehen mich und darum richte ich an Sie diesen Brief; vielleicht den letzten Brief, den ich überhaupt schreibe, mein endgültiges Abenteuer. Ich liebe keinen Menschen mehr auf der Welt, ich will auch von denen nichts wissen, die mir gut taten. Böstaten stacheln wenigstens an. Also wenn Sie mir meinen Wunsch nicht erfüllten, würde ich Ihnen im Grunde dankbarer sein; wohlwissend – Sie verschmähen die Dankbarkeit. Früher war ich Schauspielerin; nun sitz ich in der Garderobe und verbrenne den Zuschauern die Mäntel und Strohhüte. Ich bin eben enttäuscht. Ich habe immer nach der Hand gesucht, und was lag in meiner Hand – wenns gut ging – ein schwedischer Handschuh. Mein Gesicht ist nun wie Stein, ich habe Mühe es zu bewegen. Soll man stolz darauf sein; es braucht einem kein Denkmal mehr gesetzt werden. Wenn ich wenigstens an Festtagen geschmückt würde. Je mehr Angst ich habe, desto enormer wächst meine Furchtlosigkeit. Aber Angst habe ich immer; wo flattert ein Vogel in mir, kann nicht mehr aufsteigen. Wenn ich tot bin, wird eine Dame ihn am Hut tragen. Das tiefste und das schiefste Vermächtnis, das jemand hinterließ. Oder wollen Sie ihn haben im Glaskasten über Ihren Schreibtisch? Vielleicht fängt er morgens zu singen an. Auf dies Lied wartete ich ein Lebenlang. Also endlich mit der Sprache heraus, heil Dir im Siegerkranz – ich hat einen Kameraden – nun das österreichische Nationallied; den Marsch der Schellen und Dudelsäcke zu Theben – wollen Sie mein Journal die wilden Juden so unter Hand mitdrucken lassen; die Fackel merkts gar nicht und ich habe eine Existenz. Ihr

Sie bewundernder Jussuf, Prinz.

Meinst Du er täts Franzlaff?

[III]

[963]

Briefe

Mein einziger Bruder.

Ich dachte mit Entzücken an dich gestern und heute und schon den ganzen Tag. Die Zigeunerpferde, die du meinem Kinde maltest, hat es mir zum Aufbewahren gegeben und ich stellte die kostbare Karte neben dem Bildnis des Königs von Montenegro; in seinem Stall sollen auch ein blaues, ein lila und ein brandrotes Pferd für zum so »Indiewelthinausreiten« sein. Unter seinen schwarzen Hämmeln ist ein grünes; du Franz mal mir einen grünen Hammel. So was Ausgefallenes gibt es gar nicht mehr außer ich.

Depesche. Grüße deinen neuen Gaul, nenne ihn Saul.

Lieber Ruben aus der Bibel. Du meinst, meine tollen Briefe klängen etwas nach Galgenhumor. Giselheer meinte auch immer, ich könnte nicht so ganz traurig sein. Ich sagte ihm damals, mein link flink Aug heiße Aujust und sei blau geschlagen, und wenn es weine, sähe es am komischsten aus. Ich werd nun gar nicht mit mir fertig, ich bin entweder zu viel oder zu viele; setz ich mich wohin, greif ich immer die rechte Serviette, aber die gebrauchte, wahrscheinlich schon von mir. Wie schön war es, als wir am Gibon lebten, da war ich noch ganz konzentriert und einfältig – du holtest mich oft aus der Grube; um mein Herz lag ein Blutkranz. Der ist noch nicht verblüht. Ich bin immer schwermütig; keine Landschaft kann mich trösten, aber über die Linien einer Hand möchte ich wandeln, jede ihrer Wege müsse zum Himmel führen, hunderttausendmal würde ich entschlummern in einer solchen Hand. Kennst du so eine ewige Hand? Dein frommer Bruder Jussuf.

Lieber blauer Reiter. Ich denke jetzt nur noch an Euch und an mein Zimmer. Das weint, wenn ich abends ausgehen will, durch die Straßen willenlos irren muß. Es kocht mir coffeinfreien Haag und bäckt mir Anisplätzchen. Ich übe mich in der Zeit in den Waffen, die überall bei mir an den Wänden hängen. Also ich versäum nix, wenn ich zu Haus bleib (so lang es dauert?) Ich denk manches, [964] matchiche feif ich, Matche wett ich; bin mit einem Wort ansäßig geworden in meines Zimmers Colonie und warte auf das Kornfeld meiner flachen Hand. Zieht doch zu mir! Jussuf.

Franz, ich habe gestern gehört, du seist ein Christ, du, deine Mareia, dein ganz Haus; also nun bin ich denn hier der einzige vorsinthflutliche Jude noch; mein Skelett fand man neben einem versteinerten Ichtiosaurusohr und einem Skarrabäus in einer Felsspalte vor für die Nachwelt. Ich hab Geld nötig, ich wart den ganzen Tag auf die Nachwelt. Dein Mamuth.

Mein guter Halbbruder, ich schenk dir Grönland zu deinem Geburtstag. Denn wenn ich so recht an Euch denke, ist dein braunes Haar nur die Nacht zu deines Weibes Blond. Herrlich bist du zu schauen und deine Mareia, trägt sie den pelzverbrämten Hut, seid Ihr beide von Cana ins Eis versetzt. Aber Cana war doch überwältigend, ich habe meine neue Stadt Theben ganz in ihrer Bauart errichtet. Ich habe immer vier Dinge im Leben geliebt, den Mond den Kometen, Rosengärten und bunte Brunnen. Die dunklen Arbeiter sprachen, als sie das Fundament zu meiner Stadt legten, immerzu von diesen meinen vier Süßigkeiten. Euer Jussuf König.

[IV]

[992]

Briefe und Bilder

Lieber blauer Reiter. Du meinst noch immer meine Lustigkeit sei eine erzwungene? Nicht doch, ich lass mich nur ungehindert strömen, frisch regnen, wilder Niederfall, Hagel und Schnee, ich bin gar kein Mensch, ich bin Wetter. Aber mein Herz tut mir weh, es ist rotgestreift, blutende Tigerhaut. Wer wühlt noch in meinen Wunden? Viel Leid macht Tiger. Und arm bin ich geworden, da ich ihn verlor. Ich starb an ihm, sterben ist verarmen vor Gott, sich ganz ausgeben vor Gott. Besitz kann der Himmel nicht gebrauchen, nicht eine Pore; wie würde er einem so leicht werden! Aber die Hölle tut weh, die Sünde ist fleischig und setzt sich fest an die Seele. Ich [993] habe ihn fromm geliebt. Immer trug ich seine Augen im Ring, böse, verschleierte Steine; meine Gebärden wurden hart. Als ich ihn sah, bin ich zum ersten Mal aus meinem Relief getreten; ich war hochmütig, ich war nie vor die Welt hervorgetreten. Nun lieg ich wie geboren von einer Magd zum Verkauf auf dem Markt. Dein Tiger, Dein Bruder und König in Theben.

Briefe und Bilder
[993 (»Rechtsanwalt Caro | ›Und laßt uns wieder von der Liebe reden!‹ ....«)]

Sieh nur, lieber, blauer Franz, ich hab unseren famosen Rechtsanwalt Caro gezeichnet. Den Ehescheidungsparagraphen trägt er auf der Wange und heitert uns mit seinem Maigesange. Er sitzt zwischen uns im Café und singt von der Liebe. Mit wertvollen Menschen soll man nur von der Liebe reden, damit das Gespräch nicht zum Fleissknäuel wird. Ich spreche nur noch von der Liebe, die meisten sind zum Zynismus übergetreten. So wahr ich der Prinz bin, Lieber Halbbruder, es gibt niemand in der Stadt hier, der mit mir über die Liebe reden kann. Ich küsse Dich, Deine Hand.

Hast Du noch nichts gemerkt, blauer Reiter, in München ist die Revolution ausgebrochen im Verlag Heinrich F. Bachmair. Ich hab vom Schlächter Blut geschickt. In der neuen Zeitschrift die Revolution erscheint von mir ein Kriminalroman: Renate und ihre zehn Liebhaber. An den Leiter der Revolution, Herrn Leibold, schrieb ich: Robespierre. Unser lieber, armer, guter Heinrich F. Bachmair wird direkt unerhört von Ihnen Allen geplündert. Ich finde das Vorgehen aller seiner Autoren herzlos. Aber bitte sagen Sie ihm, wenn er reflektiere auf meinen Roman, dass er mir sofort telegraphisch, 300 Mark Vorschuss schicken soll, den er mich an Tinte kosten wird. Ich kann noch immer nicht darüber hinweg, wie brutal man mit unserem lieben, gutmütigen Heinrich F. [994] Bachmair verfährt, das sind ja Gewaltsakte!! Ich rüge das sehr, sagen Sie das allen seinen Autoren in München, hier hab ich es allen schon zum Vorwurf gemacht, aber ich hoffe dass ich mein Geld in diesen Tagen von ihm bekomme, ich brauche Geld, ich brauche sehr viel Geld, ich brauche sehr, sehr viel Geld. Denn mein Kriminalroman handelt von kein Geld ihr Herz der Erde. Eines Tages kam Jemand an ihrem Kopf lag Schnee, sie sah immer höher über die Stoppeln der Köpfe hinweg, Sie hasste die Erde in jedem Menschen und jeden Menschen auf der Erde. Eines Tages kam Jemand an ihrem Fenster vorbei, der pfiff. Sie hatte so gerne Fensterpromenade, aber sie war unmusikalisch, und sie trat immer dann erst vor die Gardine wenn der Pfiff schon um die Ecke gebogen war. Pass auf, der Roman geht wie Hintertreppen. Ich werde reich werden. Dein vermögender Bruder Jussuf.

Franz, du! Gestern hatte ich eine grosse Freude, der Cyklop Dr. Gottfried Benn hat mir seine neuen Verse: Söhne, gewidmet, die sind mondrot, erdhart, wilder Dämmer, Gehämmer im Blut. Jussuf.

Briefe und Bilder
[994]

[V]

[1031]

Briefe

Lieber Ruben. Ich merke, du hast mich bei der Treue ertappt! Seit ich Giselheer verlor, kann ich nicht mehr weinen und nicht mehr lachen. Er hat ein Loch in mein Herz gebohrt. Das blutet nicht, das steht offen wie der Grund eines ausgelaufenen Auges. Ich schrieb ihm: »Gisel, König, ich weiß nicht, ob ich schlafe oder wache, ich glaub, ich weiß gar nichts mehr.« Wenn er mich so sähe, er würde mich lieben, er mag alles was tot ist, was er wegschaffen kann. So ein Barbar! Ich war der jähe Hügel der Weinreben, pochende Beeren trug ich im Haar, wenn er sich die Eber briet gaar, gauckelte ich über sein Leben. Du lieber, blauer Reiter, ich schrieb darum eine ganze Woche nicht, ich war krank. Den Doktor Benn rief ich, der meinte, das Loch in meinem Herzen könnte man mit einem einzigen Faden zunähen. Ich vertraute ihm die Geschichte meiner Liebe an, zeigte ihm Giselheers Briefe und sagte ihm alles. Ich habe Vertrauen zum Doktor Benn; was er sagt, ist gesagt. Er behauptet, ich habe meine Welt in G. hineingelegt, denn der habe keine Ahnung von mir. Wenn ich daran denke, wie er einen Strich zog unter meinem Mantel wie unter die Lackschuhe einer Puppe – Wenn das je meine Stadt erführe, meine verehrten Paschas, die Minister und mein glaubseliges Volk erst, – nie würde ich Kaiser werden. Hätte ich nur meine Geschenke wieder, die ich »Ihm« sandte: meine Mondsichel, den Rosenkometen, [1032] meinen lila Brunnen und meine silberne Levkoje. »Er« schenkte mir eine Enttäuschung. Ich bin morgens bleich, um Mittag schluchze ich, aber am Abend lodere ich in allen düsteren Farben. Ich habe dem Doktor Benn ehrenwörtlich versprochen, nicht mehr an den armen König zu denken, der noch nicht einmal ein Herz besitzt zum Verschwenden.

Dein treuer Bruder.

Franz, ich war gestern im Synagogentempel, aber ich wandelte bald wieder heim. Man sollte nicht länger im Gottespalast bleiben, wie das Gebet des Herzens dauert. Ich liebe den Versöhnungstag, mich dünkt, ihn feierten schon die ersten Könige der Juden. Das Blut braucht keinen Trank an diesem Tag, es rauscht zu Gott. Mein Vater feierte und fastete das ausbleibende Mahl, er war der Juden Tyll Eulenspiegel und sein Gebet zu der Hochzeit mit Gott, riß sich von seinen Lippen los wie ein Trinkspruch. Er hatte nie an den Wassern zu Babel gesessen und geklagt, er war nie durch den Trauerregen der Straßen des Ghettos gebeugt geschlichen. Alles war hell in ihm und sprudel. Die Stadt gehörte ihm und jedes Haus, und jeder Mensch und jedes Vermögen zum Verschenken. Und er baute Türme, die bedrohten alle Dächer, wenn der Sturm kam. Die Uhr mochte er nicht, da sie die Zeit controllierte. Sein Motiv war sein ganzes Lebelang die Großschauergeschichte seines Großvaters, der Oberpriester war in Rheinland und Westfalen. Der saß am Abend des Versöhnungstages an der Tafel und speiste, um ihn seine 23 Söhne und deren unzählige Söhne und Töchter und Enkel und mein Vater, der der jüngste der 12 Brüder des 23. Sohnes meines Urgroßvaters war. Als es leise an das Thor seines Hauses klopfte, aber kein Fremdling ihn zu sprechen wünschte. Da erhob sich Babel, der älteste Sohn meines Urgroßvaters, aber er brachte den späten Gast nicht, der Einlaß begehrte. Und erhoben sich hintereinander die 23 Söhne meines Urgroßvaters und die 12 Söhne seines jüngsten Lieblingssohnes, mein Vater bewaffnet mit seiner Gabel und alle die anderen Enkel und Enkelinnen und alle die Knechte und Mägde und seine Bernhardinerhunde, und der graue Esel kam aus dem Stall, und meines Vaters rote Katze, die für ihn alles ausfressen mußte, und die 10 ärmsten der Armen der Gemeinde, die am Abend des Festes an der Tafel ihres hohen Priesters speisten. Und mein Urgroßvater erhob sich selbst, aber sie fanden [1033] den Gast nicht, der die Feier des Festes störte. Und mein Urgroßvater ließ sich seine Füße waschen und eilte mit seinen Kindern und Kindeskindern und Kindeskindeskindeskindern und seinem ganzen Hausstand und den auserlesenen Armen – auf den Friedhof; dort lag sein innigster Gefährte von den Christen ausgegraben, seinem letzten Hemde entblößt, die Augen aufgetan wie er sie öffnete im Leben, wenn sein geweihter Freund ihn besuchte.

Dein tiefbewegter Jussuf.

Du goldblauer Reiter. Ich soll Dir auch von meiner Mutter erzählen. Sie ging immer verschleiert; niemand war ihrer Schönheit und Hoheit wert. Aber Dir will ich von ihr erzählen, bis sich mein Herz über ihr Angedenken schließt. Mein Herz blüht auf, wenn ich an meine Mutter denke. Ich habe kein Geheimnis vor ihr, sie nahm mich mit sich von der Erde fort, sie blieb in meinem Herzen hier auf der Welt; ich bin Leben und Grab; darum wechselt meine Stimmung vom Traurigsten bis zum Jubel so unvermutet oft.

Dein einsamer Jussuf.

[VI]

[1081]

Briefe und Bilder

Franz. Ich sende Dir für Dein Museum wieder zwei Dichter, einen aus Berlin, den Peter Baum, und den zweiten, den Albert Ehrenstein, der den Tubutsch schrieb. Ich grüße Dich und Dein Oberland.

Jussuf.

Briefe und Bilder
[1081 (»Peter Baum – dichtend. | (E.LSch.«)]

Mein Halbbruder, Dein neues Bild, die alte Stadt Theben steht in dem Vorraum meines Palastes zum Anschaun für mein ganzes Volk. Des Bildes Farben beleuchteten die abendliche Stadt bunt, als meine Somalis es durch die Straßen trugen. Morgen feiern wir Dein Fest, den Tag des blauen Reiters; prunkvolle Teppiche hängen schon von den Dächern herab und die Plätze sind mit Rosenblättern bestreut.

[1082] Mein lieber, lieber, lieber, lieber, lieber, lieber, lieber, lieber, lieber, lieber Bruder, ich weiß heut nichts anderes zu schreiben.

Dein treuer Jussuf.

Ruben, verstandst Du meinen Brief? Ich war einen Augenblick weich gestimmt – ich muß in den Krieg gegen einen der wilden Stämme ziehen. Ich selbst werde mein Heer anführen, in der vordersten Reihe kämpfen; man erschlafft – ich will wieder Ehrfurcht vor mir bekommen. Gedenke meiner! Unser Blut steht gleich hoch im Stern. Marei gib meine Liebe.

Dein Krieger.

Briefe und Bilder
[1082 (»Tubutsch | (Dr. Albert Ehrenstein) | ELSch.«)]

[VII]

[1207]

Briefe und Bilder

Mein lieber blauer Reiter.

Gestern hielt der Kampf an bis in der Nacht. Drei gefangene Menschenfresser spielen nun mit meinen Soldaten Würfel und sehnen sich nach ihrem jungen Fleisch. Ich habe offen gestanden Mitleid mit ihnen und beschenke sie mit allerlei Waffenzeug, Perlengurte und glitzernden Steinen. Dem Herausfordernsten steckte ich meinen schwarzen Diamantring an den Finger. Diese Menschen sind anspruchsvoller wie wir; wir begnügen uns mit Hasenfleisch und Lämmerkeulen, die aber hungern namentlich nach meinem Herzen; mein Herz und meinen Magen in ihrer Bouillon zu kochen. Du würdest die drei Gourmées sofort malen, grün, gelb und lila. Du würdest sie verklären, frommer Halbbruder, sie fräßen dann nur noch Engel. Ich scherze und tauche den Schreibstift in Blut. Ich kämpfte wie im Gemälde; meine Lippen sind noch schwarz vor Blutdunst. Ich lag dann den Rest der Nacht wach mitten unter meinen schnarchenden, tapferen Soldaten; nur mein Somali Oßman starrte gradeaus in mein Gesicht, das dichtete Rosen nach all dem Kriegsgräuel. Dein Jussuf.

Briefe und Bilder
[1207 (»In der Schlacht«)]

Ruben, ich bin mitten in der Schlacht. Ruben denke an mich; o liebe mich, daß ich nicht einsam bin.

Du, die Soldaten sind begeistert, wir nahmen Irsahab ein, die Goldstadt. Ich gab am selben Abend ein Fest, auf dem mußten sich meine Soldaten duzen mit den Einwohnern. Sie tanzen nun durch die Straßen und bringen mir Fackelzüge. Wer sich der Freimut meiner Befehle widersetzt, wird aufgespießt. Über uns geht ein neues Sternbild auf; es soll Ruben benamet werden. Dein beseligter Prinz.

[1208] Depesche: Wenn der Mond rund ist, ziehen wir weiter nach Osten. Ich bin leicht an der Schläfe verwundet. Jussuf.

O, Ruben ich liebe nur noch die Schlacht, die Kriegsdudelsäcke, Cocostrommeln, meine Krieger und Mich im Schlachtschmuck. Ich kannte im Leben nur einen Neid – wenn Soldaten vorbeimarschierten, die Mir nicht gehörten. Dein Bruder.

Denke Dir in meinem Heer herrscht Schreck und Verrat; ein unzufriedener Soldat hat sich nachts in mein Zelt geschlichen und mir meuchlings diesen Brief entwendet, den ich auf meiner Brust seit meiner Kindheit trage: Lieber kleiner Gisel. Wir sitzen beide auf dem Spielboden im alten Palast in Theben; und spielen zusammen mit Gerümpel, Holzbeinen und Wedeln der zertrümmerten Schaukelpferde. Verstaubte Fez und zerrissene Turbane und lauter Libanonhölzer liegen kreuz und quer überall bis zum Ausgang. Wir rennen uns nach über die Wendeltreppe, die kracht schon, morsch sind ihre Stufen und wackeln wie alte Zähne der Eunuchen. Du bist das Liebste, das ich kenne, du bist aus lauter Honig; wenn nur kein Bär kommt und Dich aufleckt. Ich bin auch noch ganz klein, ich spiele immer verstecken mit meinen Händen oder schimmern mit den Fingern in der Sonne. Du haust immer, aber meistens sind wir zwei Igel und kugeln über die rissigen Steine – oder zwei Regenwürmer wenn wir Stimmen hören und kriechen in einen Winkel. Du hast Augen gelb wie die Sonne, wer bist Du eigentlich? Und Zucker hast Du immer im Mund; einmal wolltest Du mir einen Deiner Zähne schenken zu meinem Geburtstag, aber der Babier lachte Dich aus. Weißt Dus noch? Ich hätte ihn an einer Kette um den Hals getragen. O, ich möchte auch so helle Haare haben wie Du, so nichtsnutzige, nichtgläubige Augenwimpern wie Du, o, ich möchte auch eine Grube im Kinn haben wie Du – und auch mal in Deine Heimat fahren wo der Schnee wächst; o, du lieber Giselfendi – Dein Memedjussuf.

Ruben ich hab mich lächerlich gemacht unter meinen Soldaten, wenn sie auch nicht wagen nur eine Miene in meiner Gegenwart zu verziehen; ich habe mich verraten; glaube manchmal die Hunde knurren zu hören: Ich sei kein treuer Thebetaner und bevorzuge alle Nichtgläubige und liebe den Erdteil im Norden. Oßman mein treuer Neger bedeckt mich nachts mit seinen Kleidern, [1209] er fürchtet einen Überfall. Ich soll Kaiser werden. Mein Volk will Ehrfurcht vor mir haben; denn solchen Liebesspielereien sind selbst die Leute aus Theben nicht gewachsen. Dein armer Spielprinz.

Mein Halbbruder. Ich warf den Speer und fing des Feindes Waffe auf mit entblößter Brust. Wir bekriegten uns wie wahnsinnige Bestien. Ich führte meine Soldaten durch den Fluß Pison; die Wälder jenseits des Stroms sind blau und die Tiere im Dickicht sind zahm. Ich bringe Dir zwei lebendige Leoparden mit, die Dich und Dein Weib Mareia bewachen sollen. Wir durchschritten die Schluchten und Höhlen der Gebirge Gibon und nahmen die wilden Bergbewohner gefangen; die zeigten uns die Pfade durch die Landschaft Eden in die Ebene zurück. Wir bringen viel fremde Kräuter mit und harte Steine und Heldenherzen. Erschrick nicht, ich komme als Kaiser heim. Bis zum Lichtwerden schrieen meine Krieger und die gefangenen Feinde, mit denen meine Soldaten ihre Kleider teilten, durch die Straßen meiner neuen Hauptstadt Mareia: Es lebe unser großer Abigail der Erste!

Mein Ruben. Alle Liebe, alle Spielerei ist in mir versunken. Oßman mein Neger hat meine schweren Thränen fallen sehn. Kaiser sein – heißt atmendes Denkmal sein; unter ihm liegt des Kaisers Persönlichkeit begraben. Ich bin zum Anschaun, ich bin zum Geschmücktwerden mitten in Anderer Leben; das meine hab ich dafür gegeben.

Abigail Jussuf Basileus.

Briefe und Bilder
[1209 (»Jussuf von Theben | überreicht dem Feind friedlich den Speer und eine Lilie«)]

[VIII]

[85]

Briefe

Ruben, mein Halbbruder.

Ich sitze fast den ganzen Tag auf dem Dach des Palastes. Mein Volk will immer seinen Kaiser sehn. Mein Volk blickt aus einem Aug zu Mir empor, ruft nach Mir aus einem Mund. Ich habe nicht das Recht, Mich in Meine Gemächer zurückzuziehn, da Mein Volk nach Mir hungert. Meine Verantwortung wuchs über Nacht vom Prinzsein zum Kaisertum grenzenlos. Dein Jussuf.

Mein fürstlicher Bruder. Du fürchtest, Ich erkranke von der vielen neuen Arbeit der Staatsgeschäfte und entziehe Mich der Rast. Wenn Ich erst krank bin, vermindert sich Mein Interesse an Mir, aber nun durch die neue Kaisersonne betrachte Ich die Erhaltung meiner jungerwärmten Kräfte, als Mir anvertrautes Reichsgut. Ich will Dirs allein gestehn, Ich freue Mich darüber, wenn Mein Volk sich vor Meinem Palast aufpflanzt. Die Stadt schenkte Mir eine Leibwache von hundert Soldaten, die tragen blaue Perlengurte um die Lenden und verstehen wie die wilden Stämme den Bumrang zu werfen. Sie standen zu Meiner rechten und zu Meiner linken Seite bei der ersten Kaisertafel. Ich saß auf einem goldenen Tafelthron, den Mir ein reicher Muskatplantagenbesitzer bei Theben schenken durfte. Höre, Ruben, noch eine Albernheit – ich dichtete während der Speisengänge ein Liebesgedicht –. Ruben, höre, noch eine Unbesonnenheit. Ich habe Mich mit Meiner ganzen Leibwache geduzt. Dein taumelnder Kaiser und Bruder.

Depesche: Meine Krönungsfeier findet am dritten [86] Muharam, drei Tage nach der Broternte statt. Du und Dein Weib Mareia erwarte Ich. Abigail Jussuf.

Ruben, ich versammelte alle Kinder der Stadt um Mich in meinem Palast. Mein Neger Oßman brachte Mir jedes einzelne herbei auf seinem blanken Rücken.

Ich trug einen langen Mantel voll Sterne und viel, viel Zacken um den Kopf und beschenkte die Kinder mit Spielzeug und Leckereien. Und jedes durfte sich zu seinem Namen noch einen wählen. Fast alle wollten sie Ruben heißen nach Dir, mein teurer Bruder, ich weine noch vor Ergriffenheit. Manche nur wünschten sich Abigail zu nennen, da ihnen der Name noch zu neu klang und sie nicht wußten, wie sie ihn sich nehmen sollten. Aber wie der Spielprinz von Theben heißen nun viele kleine Knaben und legen sich den Jussuf wie einen Federgürtel um den Leib. Und Mareia heißen alle die kleinen Mädchen nun in Meiner Stadt. Einer der Knaben wollte nach Meinem Neger Oßman benamet werden, seiner spitzgepfeilten Zähne wegen.

Seltsam berührte es Mich, daß der Sohn des Soldaten, der Mir einst im Zelt heimlich den Brief entwand – Giselheer heißen wollte.

Ruben, Ich habe vor, Dichter der verschiedenen Länder zum Fest Meiner Krönung einzuladen. Meinen wundervollen Freund, den König von Böhmen und den Prinzen Benjamin, den dichtenden Waldfürsten Richard und Meinen jüngsten Spielgefährten Wieland Herzfelde aus Wiesbaden. Was sagst Du zu Meinem Vorhaben? ... Die Krönungsrede habe Ich schon zu Zeiten Meiner Prinzenwürde gedichtet, geschrieben, gefühlt, gedacht. Sei ohne Besorgnis, Ruben. Ich – Ich – Ich zeige sie Dir vorher. Dein Abigail.

Lieber Ruben. Ich lud auch die großen Söhne und Töchter in Mein Haus. Sie hatten alle ein Lied auf den Lippen, als sie Mich verließen; draußen ertönte es durch die Nacht und seitdem ist Meine Stadt süß und jung. Ruben, Ich habe auch Meinen treuen Neger Oßman bedacht. Ich erfüllte damit den unerfüllbarsten Gedanken seines Lebens. Er soll einen Tag im Jahr Kaiser sein, Kaiser über Theben! Ich selbst werde des Dunkelhäutigen Untertan sein inmitten seines Eintagsvolks. Ich darf Mich dieser Demut und dieser Gnade erfreun.

Abigail der Erste von Theben.

[IX]

[145]

Briefe und Bilder

Mein herzlieber Bruder

Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Ich wache, seitdem Ich Kaiser bin, oft mit dem Mond, manchmal zusammen mit den Paschas für das Wohl meines Volkes. Du weißt, Ich habe immer die Nacht geliebt und sehnte Mich in der Sonne nach den Sternbildern. Gestern aber dachte Ich nur an Dich, mein herzlieber Ruben, und malte Dein Brudergesicht an die Decke zwischen Mosaik meines Gemachs. Langhaariges, lichtes Fell um Deine Schulter – fern schweifen Deine braunen Augen und Deine Hand greift nach dem ersten Morgenstreif des Himmels, sich einen Hirtenstock zu schnitzen. Du Großhirte unter den Fürsten, Du Emir, Du Messias aller Tiere der bräutlichen Haine, der finsteren Urwälder. Du blauer Rosselenker, Du goldbrauner Schakal, der sich die Gazell holt vom Fels. Du lehrtest Mich das Wort vom keuschen Totschlag. Du bist Ruben, der noch unberührte Mensch der Bibel. Dein Bruder Jussuf.

Bruder. Die Modelle der Basileuskrone sind im Stadthaus aufgehängt, unter Glas, zum Anschaun für meine Thebetaner. Basileus.

Höre Bruder, Mein Oßman verrieth Mir, daß die Stadt Theben Mir zur Feier Meiner Krönung eine Privatsumme von Dreißig Millionen Mamuththalern überweisen lassen wird. Ich werde Meinem Theben drei Tempel erbauen, den Tempel der Ehrfurcht, den Tempel des Gebets, den Tempel der Liebe. Ich werde die Venus von Siam bringen lassen in Meine Stadt; sieh, Ruben, und wenn Ich ganz Siam hinmorden müßte im Kampf. Was der Basileus begehrt, gehört Ihm. Ich weiß, Du zweifelst nicht an Mein reiches Wort und nicht einmal der Ärmste der Ärmsten dürfte daran zweifeln. Und noch dieses mußt Du hören, Bruder, Mein Volk beschäftigt sich täglich stürmischer mit der Vermählung ihres Basileus und die verehrten Paschas beraten sich im Gewölbe Meines Palastes mit der Werbung. Auf der Tafel treten in engere Wahl der neue Kaiser Lidj Jassu von Abessinien, der Prinz Sascha von Moskau, der neue, türkische Kriegsminister Enver Bey. Ich habe gegen alle drei Fürsten nichts einzuwenden, hoffe aber, daß mein teures Volk, dem ich die Wahl überlassen werde, sich für Enver Bey entscheidet. Ich habe eine ganz besondere Sympathie für ihn. Abigail Jussuf.

[X]

[170]

Briefe und Bilder

Briefe und Bilder
[170 (»Prinz Benjamin | (Franz Werfel)«)]

Lieber Bruder, Ich sende Dir die Bilder der zwei abendländischen Dichter, die Mir wert sind. Den Dichter Richard Dehmel werde ich zu Meiner Krönung den Kalifenstern, den Dichter Franz Werfel, die goldene Rose überreichen lassen. Der venezianische, österreichische Cardinal weilt seit einigen Tagen in meiner Stadt Theben. Seine milden, blauen Augen sind zwei Sehenswürdigkeiten. Abigail.

Briefe und Bilder
[170 (»Richard Dehmel«)]

Mein Bruder, Ich und die ganze Stadt sind in außerordentlicher Festlaune. Du wunderst Dich, daß Ich Mir einen Kandidaten für die Ehe wählen lasse. Ich muß doch einigermaßen zuvorkommend meinem Volke gegenüber sein. Zur Kaiserheirat gehört weiser Beirat. Ich betrachte die Ehe eines Kaisers als eine politische Angelegenheit, die Verantwortung wäre ja sonst ungeheuer. Meine Würde, als unfehlbarer Priester, die Ich am Tage meiner Krönung bekleiden werde, erfüllt Mich mit Sternen und Sonnen. Du, wie denkst Du Dir das, Ruben – unter uns zwei – Ich darf nun tun, was ich will!!! Du siehst, Ich bin ausgelassen in Meiner doppelten Unfehlbarkeit wie einer der streichlustigsten, kleinen [171] Memedsiddis auf dem Weg zum Flußbad. Von Meinem Dach aus sehe ich eine Anzahl brauner Beine durch die Wasser waten. Heiß ist es – 40 Grad Thebenhitze im Schatten. Aber Ich liebe die goldene Rose des Himmels ganz in Üppigkeit entfaltet. Wenn nur die Brunnen nicht faulten und die Leute Mein Gebot hielten, sich vom Fels das Quellwasser zu schöpfen. Mein Volk ist lässig, lieber holt es sich die Augenkrankheit, als daß es sich aus der Stadt zu gehn bequemt. Es ist ja auch jetzt namentlich interessant um Mich und Ich kann nicht ernsthaft zürnen. Wenn nur mein Koch nicht rotentzündete Lider hätte, und mir der Genuß all der süßen Gerichte einigermaßen Widerwillen bereiteten – indem ich mir vorstelle, seine blöden Wimpern blicken auf die Macronen oder streuen den Zimmt oder den Anis auf die Speisen. Mein Neger Ossman ist weniger empfindlich. Dein Bruder.

[XI]

[852]

Der Malik

Briefe an den blauen Reiter Franz Marc

Mein frommer, starker Halbbruder, Ich war Dir gram, Ich will lieber sagen, Ich kann Dir nicht gram sein im Grunde Meines Malikherzens. Du stelltest Dich auf Seiten Meines Volkes, schürtest seinen Ungehorsam gegen Mich auf in der Zeit, Ich vor dem Tor Meiner Stadt Theben mit dem Huf stampfte, ein wildes, wieherndes Pferd. Aber Mein treu Volk ist voll Reue, ist ein einziger Malik mit Mir, Du!! Mein Volk ist süß wie die Himbeer, Mein Volk in Theben ist bunt und gesegnet wie eine Feuerblüt. Sieh, Bruder, mit Siam steht’s in Unterhandlung ihrer Venus wegen, die Du Mich hindertest vor Meiner Krönung zu erkämpfen. Augenblicklich treiben sich Meine Thebetaner mit Goldlaub und Jubel geschmückt durch die Straßen und über die Plätze der Stadt und üben Lieder zu Meiner Krönungsfeier. Ruben, Du aber wolltest Mich zwingen. Auf Meiner Stirn beginnt sich ein Hieroglyph einzugraben, der Mir fremd ist. Jussuf.

Geliebter Bruder! Mein hoher Freund Daniel Jesus Paul Leppin der König von Böhmen bezog gestern die Gemächer im ersten Vorraum Meines Palastes. Für sein schlankes Weib pressen Meine Negerinnen Öl aus Rosen. Ich bin dem böhmischen königlichen Dichter gut; uns verbindet die Freundesader. In Meiner zweiten Hauptstadt Mareia werden nur seine Bücher gelesen, unvergleichliche Begebenheiten, Thebens Menschen sind fast alle des Lesens unkundig, Mir selbst machte jedes Studium Kopfschmerzen. Man feiere Meine Unwissenheit!! Dein Jussuf Abigail der Wildstämmige.

[853] Ich ernannte den König von Böhmen Daniel Jesus Paul zum Statthalter Meiner hochbeglückten Stadt Mareia.

Briefe und Bilder
[853 (»Daniel Jesus Paul Leppin | Der König von Böhmen und sein treuer Kamerad Jussuf Abigail Malik von Theben«)]

Ruben, mit Meiner dritten Hauptstadt Irsahab kann ich keine Fühlung gewinnen. Diese vorsichtigen, leisen, gelehrten Hebräer erfüllen allerdings, wenn Ich, ihr Melech, in Irsahab weile, die Mir zukommenden Zeremonien, aber der Wein ihrer Adern strömt Mir nicht entgegen, wie das kostbare Blut Meiner teuren Menschen aus Theben und Mareia. Argwohn und Verlegenheit, und Erröten und Furcht empfangen Mich unter dem Bogen dieser goldreichen Stadt. Ich bin das Meer, gar die Sinthflut, die ihre Geborgenheit verheert. Mein Wort ertönt diesen verscheuchten Menschen wie Jägerruf. (Ich bringe nie Hasen um; das traust Du Mir doch nicht zu?) Mit Kummer vernehmen die bebenden Leutchen das Rauschen der vielen Muscheln und Perlen um Meinen Hals und gewahren spöttisch lächelnd die Nasenknöpfe in Meinen beiden Flügeln und gutmütig lispeln sie über die Sterne und Monde Meiner [854] Wangen. Mir sind die Leute unsympathisch ihrer unangenehmen Überlegenheit wegen. (Sie wissen außerdem nichts von Meinen Gedichten und Balladen.) Mein Oßman ist viel elementarer als Ich, sein Kaiser. Er riß sein dunkel Maul auf, die Irsahabhälse mit seinen spitzgepfeilten Zähnen zu zerreißen. Der Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande! Jussuf.

Ich habe Martin Buber die Statthalterei in Irsahab angeboten. Er soll versuchen die Irsahabaner Meinem Herzen näher zu führen. Auch gab Ich dem Maler John Höxter aus dem alten spanischen Geschlechte, senor ben Levy Abarbanello Montejar, den Auftrag Mir für Meine Palastvorräume einige Landschaften und Städteschaften Irsahabs zu malen, Ich mag, so lang noch ein Mensch in der Stadt lebt, sie nur noch im Bild besitzen. Dein Bruder.

Geliebter fürstlicher Bruder. Mein Dromedar Amm ist krank und Meine Kamelin Rebb hat ein ganz kleines Kamelchen zur Welt gebracht. Im Palastgarten dürfen die kleinsten Kinder darauf reiten. Und Ich hole es Mir zum Schrecken Meiner Dienerschaft in Mein Privatgemach und spiele mit ihm. Dein kleiner Spielkaiser Jussuf.

Ruben, denke Dir, es fehlen zwei Smaragden im Kaisermantel. Glaubst Du das falle auf? Außerdem fleht Mich Mein Neger Oßman an, daß Ich nicht barfuß auf den Hügel, nach alter Islamsitte, zur Krönungsfeier steige. Die Muschel Meines kleinen Zehs ist durch ein spitzes Steinchen beschädigt. Das Unglück geschah, als Ich zum Baden in den Fluß trat. Jussuf.

Bruder, ich träume grausam von Dir in der Dunkelheit. Du bist der Alb Meiner Nächte. Vor dem Hügel stehst Du zwischen Meinem Volk: Ich halte die Krönungsrede. [855] Meine lauschenden Menschen versinken um Mich; Du aber wächst, eine Welt so groß und hoch, und erstickst Mein Wort. O, Ich weiß wie Dich dieser Tag beunruhigt, aber darum sende Mir doch unbekümmerte Zeichen. Ich malte Dein stolzes, feines Rubenangesicht neben dem Meinen auf die Stadtfahne. Die weht von allen Dächern zum Willkommen. Mein Halbbruder Mein!

Briefe und Bilder
[855 (»Ruben und Jussuf | (Fahnenbild)«)]

Lieber. Unter den geladenen Gästen werden Mir die Maler der Modelle Meiner Kronen die Ehre schenken. Die Spielkrone, die Du Mir zeichnetest, ist bunt getrieben mit allerlei Steinen besäet. Ludwig Kainers Festkrone trage Ich zu den Palastfeierlichkeiten. Heinrich Campendonk zeichnete Mir die Krone zur Jagd. John Höxter den Hebräischen Reif, Egon Adler die hohe Priesterkrone. Fritz Lederer die Krone seiner Berge. Ich möchte das Riesengebirge, wenn auch einmal nur von ferne schauen! Und Richter sandte mir die Indianerkrone. Und weißt Du, wer Mir den Kriegshut für die wilden Stämme entwarf? Unser Vetter, der junge Menelik von Abessinien, der beschäftigt sich mit Malerei. Dein vielfach reich gekrönter Bruder Jussuf.

[856] Lieber Ruben, gestern beriet Ich Mich wieder mit dem österreich-venezianischen Kardinal Karl Kraus. Von seinem Gemach aus freute ich Mich über Mein begeistertes Volk und warf ihm Kußhände zu und jubelte mit ihm eine Weile. Der Kardinal sagte, Ich bin leutselig, er meinte, Ich bin zu allerleutselig. Meine Unerfahrenheit aber in Leutseligkeiten tat seinem gütigen Herzen wohl. Seine letzte Haut ist ein Ornat.

Briefe und Bilder
[856 (»Karl Kraus«)]

Ruben, am Abend sah Ich endlich Enver Bey (Enver Pascha). Wir gefielen uns, wir lachten unaufhörlich wie bürgerliche Verliebte; dann speisten wir zusammen im Palast. Du hör, wir speisten ganz allein, prüften unsere Arme nach der Tafel! seine sind eherner! Er war aber höflich genug, Mich nicht niedersinken zu lassen bei unserem Wetthandkampf! Mir erzählte Oßman, er habe zu seinem General gesagt von Mir: Tucktacktei umbrahallâh! Zu Mir hat er auch so was tucktacktürkisches zärtlich gesagt – »Malik, manchmal siehst Du aus wie ein Straßenjunge!« Sonst spricht er eigentlich nur vom Krieg; vielleicht wollte er Mir imponieren? In Friedenszeiten immer vom Krieg. Noch dazu wenn man sich mit ihm vermählen will. Ich hab Mir da was eingebrockt! (Auch gefallen mir Schnurrbärte nicht). O Dein gefesselter Jussuf Abigail I.

[857] Ruben, die Venus von Siam trifft morgen verschleiert in Theben ein. Ich fürchte aber, ihre Schönheit vermag kein Gewebe zu verhüllen. Bewaffnete Soldaten erwarten sie am Eingang der Stadt. Den Jünglingen schlagen die Herzen andächtig; Ich höre sie alle wie ein einziges gegen Mich pochen hoch im Traum.

Briefe und Bilder
[857 (»Abigail droht seiner unschuldigen Stadt.«)]

Ruben, ein schreckenerregender Zwischenfall, eine Kabale eines Eifersüchtigen Meiner Stadt. Ein bestochener Soldat ereilte Mich, als Ich auf Meinem Araberhengst der Sternenfrau entgegeneilte, stammelte Mir lieblich ins Ohr: Der Arier Giselheer halte sich versteckt in der Stadt. Ich zerriß vor unermeßlichem Glück den falschen Botenbringer in Fleisch [858] und Knochen. So belohnte ihn tödlich die Freude und der Haß hätte ihn zerfetzen müssen. Also hat man Mir den Abendländer, der Mein Herz eroberte, noch nicht vergessen. Ich glaubte, Ich besäße keinen Feind in Meiner süßen Stadt. Dein armer Bruder.

Briefe und Bilder
[858 (»Abigail-Jussuf wirft Kußhände seinem Volk.«)]

Mein Bruder. Die Feierlichkeiten sind vorbei, aber noch verbinden Guirlanden die Häuser mit dem Palast. Meine Krönungsrede wird ausgegeben in den Straßen. Ich sah Dich am Fuße des Hügels stehen und weinen. Daniel Jesus Paul und Du küßtetest Euch – Ich wußte, daß Ihr entbrennen würdet in Wohlgefallen. Bei der Tafel aber ärgertest Du Dich einigemal über Deinen gekrönten Bruder. Ich vernachlässigte Meine Minister, um der Künstler willen, und gab den Frauen mutwillige Ratschläge. Sie sollten sich [859] mit nichts anderem beschäftigen, als für ihren Malik zu schwärmen. Auch schien es Dir, Ich tanzte zu viel, und zu unbändig für einen Basileus. Aber Du kennst doch Meine Thebenmenschen noch nicht. Die freuen sich aller Ausgelassenheit und da nun Meine beiden Kaiseraugen auf »ernst« gestimmt sind, verbüße Ich keineswegs von ihrer Hochachtung. Volk darf sich nicht langweilen, Ruben. Dein Tiervolk sind eben andere Menschen ... Auch der Kardinal verließ die Stadt befriedigt, und kehrte nach Wien zurück. Grüße Mir Meinen neuerwählten Vicekaiser Daniel Jesus Paul, er möge Dich, Mein geliebter Bruder, und Dein lieb Weib noch lange in Meiner Zweithauptstadt Mareia süß beherbergen. Dein Jussuf Abigail.

Ruben, morgen halte ich Gericht. Jussuf.

Ruben, auf demselben Hügel, von dem Ich der Basileus die Krönungsrede hielt, richtete Ich die drei Verbrecher Meiner Stadt Theben. Ich fragte den Brudermörder wie ihn sein erschlagener Bruder im Jenseits richten würde, worauf der arme Kerl so heftig mit seinem Arm ausholte, als ob er die Axt mit seines Opfers Rache auch gegen sich erhöbe. Ich fragte ihn, wie mag Dein Vater Naphtalie, wär der der Basileus, Dich richten und Deine arme Mutter Bekki Dich?? Ich sprach, ich will Dich richten nach Deiner Mutter Herz. Da entstand unermeßliche Freude in Meinem Volk; das mochte den erschlagenen, griesgrämigen, spielverderbenden Bruder nicht. (Du, Ich auch nicht.) Den zweiten armen Kerl richtete Ich nach dem Ersten so mild; aber den dritten, Ruben, der war ein Stadtverräter, den ließ Ich in einen Turm sperren; an den Wänden rings herum überall hängt Mein Bild. Damit er immer in die ernsten, gläubigen Augen seines Kaisers sieht. Jussuf Abigail I.

[860] Einige Fragen legten Mir die Thebenältesten nach alter Islamsitte vor: Was Mich in der letzten Zeit beleidigt hätte, Ich sagte, die albanische Fürstenfrage, daß Ich nicht zu Meinen drei Städten noch die albanische Regierung anvertraut bekommen habe. Mit bunt Volk muß man gold und lila sein, nicht schwarz, weiß, ziegelrot, das sind zu harte Farben.

Sehr delikat berührte man Meine in Aussicht gestellte Vermählung mit Enver Pascha. Ich erörterte die Bedenken des verehrten Kardinals von Wien gegen die Heirat mit Bey, und wir einigten uns, indem wir Aussicht nahmen auf eine eventuelle Verbindung Meiner kaiserlichen Hoheit und der abessinischen Hoheit des Menelik unseres Vetters von Abessinien. Ich finde ihn, unter uns Zwein, traut, sanft kindlich, mausgrau und levkojenfarbig getönt und hinreißend verliebt in Mich. Dein Jussuf.

Ruben. Ich habe Meinem Volk die Erlaubnis zur Gründung dreier Vereine gegeben. »Die Jehovaniter«, die Väter der Stadt. »Die roten und gelben Adame«, die Viehhüter Thebens und seiner Umgebung. »Die Zebaothknaben« nennt sich der Bund der Söhne. Aus diesen wählte Ich sieben Häuptlinge und setzte Mich über sie als ihr Oberhaupt. Wir acht wilde Juden bilden nun eine Vereinigung, Ruben. Mit diesen wilden Meinen Juden ziehe ich über die Alpen nach Rußland. Sascha der Prinz von Moskau liegt dort in Ketten.

Die Krönungsrede.

Karl Kraus dieses kaiserliche Schreiben in Verehrung

Mein süß Volk! Die großselige Mumie Meines Urgroßvaters, des Scheiks, liegt nun 100 Jahre im Gewölbe. Er konnte sein Herz in die Hand nehmen und es strömen lassen wie einen bunten Brunnen. Ich aber werfe es unter [862] Euch, Meine süßen, bunten Menschen und Ihr werdet es pochen hören und Ihr sollt Euch spiegeln in seinem Glanz. Mein Herz wird Euch ein Garten sein, ruht unter seiner Palme Schatten. Mein Herz ist ein Weinberg, ein Regenbogen Eures Friedens nach dem Sturm. O, Mein Herz ist der Strand der Meere, Mein Herz ist der Ozean: Ich will den Gaukler tanzen fühlen über Mein rotes Rauschen und den Gestrandeten untergehn in Meiner Welle. Aber den Heimgekehrten wird Mein Herz einlassen durch sein Korallentor und dem Liebenden will es ein Mahl bereiten von seiner Beere. Mein Herz möchte sich aufrollen dem Frommen, ein Teppich der Gnade und Demut; dem Betsüchtigen soll Mein warmer Tempel eine Heimat sein. So lieb Ich Euch, Ihr Brüder und Schwestern Meiner Stadt Theben, und Ich bin Euer Vater, Eure Mutter, Euer Bruder und Euer König und Euer Knecht. Denn wer nicht gehorchen kann, kann nicht regieren und wer nicht regieren kann, rühme sich der Demut nicht. Ich, der Malik, bin das Schloß zu der Kette, die Ihr bilden sollt; daß Ihr Mir den Malik ehrt! Und er das goldene Amen Eurer Rede ist. Aber auch in Kriegszeiten soll »das Blutfließen einer Ader« bedeuten, den Schauer der Schlacht laßt uns einen Mantel um unsere Schultern legen. Wer seinen Freund verläßt, ist ein Fahnenflüchtiger, aber wehe dem, der sich dem Feinde des Sieges rühmt. Ich will Kaiser sein über Kaiser. Jeder von Euch, und ist’s der Ärmste, heißt Mein Kaiserlicher Untertan. Wir wollen uns küssen auf den Mund. Ich, der Malik, einen jeden, jeder von Euch den zweiten. So pflegt Mir die Worte Meiner Liebe zart, daß sie zwischen dem Brot Eurer Äcker blühen. Immer sah Ich auf zum Himmel, o, Ihr müßt Mich lieb haben, und Ich bringe Euch Mein Herz ganz sanft wie eine Großnarzisse. Abigail Jussuf I. Basileus.

Briefe und Bilder
[861 (»Abigail Jussufs Krönungsrede über Theben«)]

[XII]

[394]

Briefe an den Blauen Reiter

Als der Malik hörte, daß sein verschollener Liebesfreund schon acht Jahre im Kerker von Metscherskoje im Lande des Pogroms schmachtete, strich er das Gold von seinem Augenlide. Er vergaß zu regieren in Theben, sann den teuren Gefangenen zu befreien. Und er beschäftigte sich ausschließlich nur noch mit der Ausrüstung seines Heeres und nahm die von ihm zu Häuptlingen erwählten Jünglinge aus der Vereinigung [395] der Zebaothknaben. Fußhoch lag der Schnee auf der Ebene nach dem Kerker bei Moskau. »Und in Schakalfellen gehüllt, werden wir den Bauern der weißen, unerbittlichen Gegenden Schreck einjagen.« So schrieb der Malik seinem fürstlichen Bruder, dem Ruben Marc von Cana. »Du müßtest meinen Oßman sehen, der flößt mir selbst in seinem wilden Mantel Furcht ein. Oh, mein Bruder mein, du und Ich und der Prinz Sascha von Moskau sind die einzigen Menschen in der Welt, die mit ihr Fangen spielen konnten. Nun ist sein Herz gebrochen vor Spielsehnsucht, nun lächelt es wie Greisenlachen und leidet Jugendnot.«

Der Fürst von Cana sandte seinem Bruder dem Basileus und seinem Heer, das aus der kleinen Zahl der Häuptlinge bestand, seine herzlichste, brüderliche Teilnahme. Ihn schmerzte, den kaiserlichen Bruder nicht vertreten zu können, in der Zeit seines kriegerischen Pilgerzuges. Auch der Kardinal Karl von Östreich sprach sich zwar gerührt über das Vertrauen des Maliks aus, aber empfahl seine gottalte Stadt der Obhut des jungen Herzogs Hans Adalbert von Leipzig. Und der Malik erklärte sich einverstanden mit dem abendländischen Vertreter aus wohlgerechten Gründen. Denn es gab in ganz Theben kein Atmender, der nicht Malik genug gewesen wäre, den Malik zu vertreten. – Die weltmännische, liebenswürdige Art des Herzogs von Leipzig gewann bald das Herz des Kaisers und die Laune seiner bunten Stadt. Seinem Bruder Ruben, dem blauen Reiter, teilte der Malik wörtlich mit: »Ich bin dem Kardinal Karl im höchsten Maße für den Anteil, den er an Meiner Stadt liebevoll nahm, verpflichtet. Ich und Mein Volk sind des Lobes voll über Hans Adalbert, dem Vizekönig von Theben. Er wird in der Zeit, in der Ich und Meine Häuptlinge den Schneeweg überschreiten, Meine Stadt würdig regieren, süß belustigen und sie bescheeren mit meinem Angedenken. Meinen treuen Knecht Somali Oßman habe ich im Verdacht des ganz kindlichen Schachers. Er wollte dem Herzog heimlich seine Würde als Kaiser verkaufen, die Ich ihm einmal im Jahre abzutreten versprach. Siehst du, so ernst nimmt er es damit. Aber was man so täglich vor Augen hat! Und du legtest Meiner Freigebigkeit so ernste Bedenken bei!«

Der Malik und der Herzog von Leipzig ritten alle Abende auf Kameelen durch die Straßen Thebens, und der Kaiser freute sich immer wieder über die zärtliche Art, mit der sein hoher Gast die Frauen seiner Stadt ehrerbietig begrüßte, die Männer in kunstvolle Gespräche zog und die Knaben mit Neckereien beglückte. Aber die Leute, die den [396] Herzog von Leipzig begleiteten, lagen lange im Magen des Flusses. Sie rümpften ihre Nasen und höhnten über die Bilder, die sich die Menschen in Theben auf ihre Wangen zu malen pflegten. Am Abend wurden die abendländischen Fremdlinge im Wasser ersäuft. Der Malik und sein schöner Gast saßen auf dem Dach unter der Sichel und plauderten. Indem der Kaiser keinen Widerspruch erhob, nahmen die Leute Thebens an, daß ihre gerechte Handlung auch mit dem Einvernehmen ihres Vizekönigs geschehe. So rettete der Kaiser dem Herzog die Vizekrone.

Auch freute sich Jussuf Abigail sehr über die vornehme Klugheit seines feinen Stellvertreters. Nicht selten traf er ihn mitten auf dem Marktplatz, wo er von den großen Eigenschaften ihres großen Kaisers erzählte. »Ruben, Mein Volk liebt mich, Ich bin sein Tor; nicht ein Spalt führt sonst zu ihm.« Tagsüber versicherte der edle Gast dem Malik, er freue sich, nun endlich Jussuf Abigail von Angesicht zu Angesicht zu sehen.

»Ruben, wenn der Mond rund ist, ziehen wir nach Rußland. Aber gestern feierten wir noch den Oßmanstag. Ich und der Herzog hatten unsere helle Freude an den fressenden, braunen Basileus. Er saß auf Meinem Dach in Meinem Mantel mit der Spielkrone, die du mir schenktest, auf dem Oßmanhaupte, und fraß einen schwarzen Hammel mit der Wolle und dem Schwanz auf. Die Frauen Thebens sandten ihm alle zuckerfarbene Süßigkeiten, und in den glitzernden Läden der Basare ließ ich die überladensten Ringe auslegen, die sich mein zum Kaiser erhobener schwarzer Diener erstand. Und die ganze Stadt und meine Bürger werden diese meine Laune mir nie vergessen. Die Schwermütigen wurden vor Lachen gesund, den Krüppeln wuchsen die Glieder wieder; alle wollten sie den schmausenden Basileus sehen.«

Dein ausgelassener Bruder

Jussuf Abigail von Theben.

Briefe und Bilder
[396 (»Senna Hoy, dem Prinzen von Moskau in Bewunderung | Jussuf zieht mit seinen jüdischen Häuptlingen im Morgengrauen über Moskau nach Metscherskoje«)]

[XIII]

[130]

Der Malik

(dem blauen Reiter Franz Marc)

Mein Ruben, lebe wohl! Der Rücken Meines Dromedars dient Mir als Pult, dir noch einen frommen Abschiedsgruß zu senden. Oben am Himmel glüht gezückt der gebogene, goldene Monddolch. Wir werden den Prinzen von Moskau aus seiner Gefangenschaft befreien, so wahr Ich Jussuf Abigail der Malik bin.

Das waren die letzten Worte, die der Basileus von Theben seinem Halbbruder, dem blauen Reiter Marc von Cana schrieb. Seitdem schimmerten seine Augen bunt wie der Fluß, an dem seine Stadt lag. Nachts verbrachte er in seinem Lieblingsgarten, reihte die roten Beeren der Astrantsträucher auf Schnüre oder bog wie ein Kind die Stengel der Pusteblumen wilder Wiesen zu Ringen und fertigte Ketten an. Lauter Spielerei. Osman holte dann den lächelnden Kaiser noch vor Sonnenaufgang in den Palast zurück, weil er einmal einen Stadtalten zu einem Stadtalten flüstern hörte von des Maliks plötzlicher Verblödung. Aber des Kaisers strahlendes Gesicht bürgte für seine Unbrüchigkeit. Für ihn regierte schon der Herzog von Leipzig, sich an das hohe Amt zu gewöhnen, das ihm der Basileus in seiner Abwesenheit, in der Zeit seiner großen Wallfahrt übertrug. Daß kindliches Spiel »schlummern« bedeute, äußerte der hohe Freund seinem feinen Gast. Und er müsse viel, viel schlummern vor seiner Reise, deren Sonne nicht untergehen dürfe. Nicht oft genug konnte Jussuf seinen treuen Neger befragen, ob er wohl (der Malik) dem feinen Gast gefalle? Über das Wasser des Brunnens seines Schlafgemachs neigte sich Jussuf Abigail oft heimlich auf Zehen, um manchmal enttäuscht zu brüten. Aber gläubig hingen seine Gedanken an dem Pilgerzuge, den er noch im selbigen Monat am Siebten des El Aschura zu unternehmen gedachte. Osman, der unersetzliche schwarze Knecht, verkürzte dem Kaiser die Zeit, indem er ihn belustigte, einen Kosaken nach dem andern, die sich ihnen auf der Wanderung feindlich in den Weg stellen würden, auffraß. Jedesmal eilte dann der Kaiser durch die Vorräume und Gemächer seines Hauses, den Hans Adalbert zu holen; so, daß er ihn oft in seinen Regierungsgeschäften störte. Der Herzog von Leipzig schrieb dann von der Spiellust seines thebetanischen, kaiserlichen Freundes ganz ergriffen dem Kardinal von Östreich. Der Malik ist mir der liebste Freund, den ich je besessen habe, darum bitte ich Eure Eminenz Ihren Einfluß geltend zu machen, den Malik an seiner todbringenden Expedition zu hindern. Der östreichische Kardinal warnte dann einige Male vergebens den Malik in [131] seiner Sorge um ihn. Aber Abigail Jussuf antwortete dem Kardinal, indem er ihm die wundervolle Geschichte David und Jonathans in alttestamentarischen Buchstaben aufzeichnete, die aussahen wie lauter Harfen. Ergriffen von der Treue des asiatischen Herrschers, sandte Carl große Geldspenden für die fromme Reise. Damit war der Punkt erfüllt, den der junge, diplomatische Herzog, der Vizekaiser von Theben im Auge hielt; der hegte keinen Zweifel an Abigails Entschluß und er litt unsäglich unter der Tatsache, daß dem kaiserlichen Unternehmen ausreichende Barschaft fehle. Jussuf jedoch war heimlich enttäuscht, daß sich der Herzog mit der Reise nun über die kalte Schneeebene zufrieden zeigte! Seinem teueren Halbbruder hätte er jeden Einspruch in diesem Kriegszuge als Unterschätzung seiner Kraft übel genommen, auch die Liebesvenus von Siam, die er einst den Siamesen raubte, vertraute dem goldnen Stern seiner Wallfahrt. Es versammelten sich die Häuptlinge Stambul, Mêmed, Asser, Mâr, Calmus, Mordercheii, Gâd und Salomein vor dem Palast und schlugen auf ihren Kriegstrommeln eine Musik, die die schlummernde Stadt aufweckte. Auf ihre Dächer stiegen die Einwohner Thebens, sangen des Kaisers Namen, daß er anschwoll zu einem Konzert. Der Kaiser bestieg mit verhülltem Angesicht sein mächtig Tier, das Ossman führte bis vor die Tore der Stadt. Aber als die sich schlossen, wandelte Jussuf Abigail, der kaiserliche Häuptling barfuß zwischen seinen Häuptlingen, bis sie an den Fluß Abba kamen. Dort wusch sich die fromme Karawane den Staub von den Zehen. Marc von Cana, des Maliks teurer Halbbruder traf gerade in Theben ein, als Jussuf die Stadt verlassen hatte. In des Basileus Gemach saßen die beiden Fürsten Ruben Marc der blaue Reiter und der Herzog am liebsten und sprachen von dem kleinen Kaiser, der das große Theben morgens aus einer Schachtel nahm und es abends von seinem Ossman wieder hineinlegen ließ. Ruben war gemessener und milder; und gleichmäßiger pochte sein Emirherz, als das seines Bruders Jussuf. Auch äußerlich war Ruben von hohem Wuchs und stiller zärtlicher Majestät und gewaltiger, sonniger Schönheit. Seine Augen vom Brauholz der süßen Baumrinde. Und immer wieder erfreute es den Emir wie der junge Herzog das Spielherz seines Bruders verehrte. Die Leute im Palast erzählten Ruben, der Herzog sei immer um Abigail gewesen, als ob er ihn umspülte wie eine Insel. Solche Erzählungen trösteten den canaanitischen Fürsten, denn er glaubte, sein Bruder habe einsam vor seiner Wallfahrt gelebt. Eine ihm unerklärliche Ahnung weissagte ihm, daß er und sein Jussuf sich niemehr wiedersehen würden.

[XIV]

[157]

Der Malik

(dem blauen Reiter Franz Marc).

Das kleine Pilgerheer unter Jussuf Abigail hatte fast das Tal von Irsahab erreicht, als die wilden Juden und ihr Kaiser ein Wolkengebild auf sich zukommen sahen von dem Gipfel der Berge herab. Es waren einige tausend Jünglinge der Althebräerstadt, die Jussuf ihrer eingebissenen Väter wegen haßte. Deren Söhne aber säumten ihres Maliks Bild mit ihren goldenen Träumen und liebten den Kaiserschelm, der einmal im Jahr seinem Neger die Krone aufs wollige Haar setzte, Sich Selbst zu einem Seiner Untertanen machte. Diese Freigebigkeit hatte das junge Herz von Irsahab erobert. Und in keinem Haus der Althebräerstadt wurde nicht einer der Brüder vom Vater gemieden. Es geschah, daß Väter ihren fanatischen Söhnen, und hatten sie zehn an der Zahl, den Einlaß ihres Hauses verschlossen. Davon hörte erst Abigail, als die Knaben sich von Ihm und den Häuptlingen getrennt hatten. Ihr Anführer schritt dem stürmenden Zuge voran und es berührte den Malik wohltuend die Andacht seiner Redeweise. Als der Kaiser ihn fragte wie er heiße, nannte er sich Zwi ben Zwi, und der kaiserliche Häuptling betrachtete seinen Anstand mit Wohlgefallen. Und er ließ sich von den glücklichen Irsahabanern vom Rücken seines Kamels heben, daß er wieder vom Flusse Abba aus bestiegen hatte, und beschenkte jeden der Knaben mit einem Schmetterling seiner bunten Augen und hinderte die Jubelnden nicht, Ihn ein Stück durch das Sandmeer zu begleiten.

Der edle Fürst Ruben Marc von Cana saß wieder in seinem Lande und der Herzog von Leipzig regierte in Jussufs Lieblingsstadt. Endlich empfing diese eine kurze Nachricht ihres Maliks:

Theben, meine süße Braut. Die Häuptlinge, mein Leib, meine Spielgefährten sind alle durch die Schmerzen der großen Kälte des Zarenreiches erkrankt. Nicht einen Gruß sendet die Goldmutter auf die frostigen Ebenen zum Willkomm zur Erde. Mir aber schlägt das Herz für den Freund und wärmt mein Blut. Einsam in Begleitung Meines treuen Ossmans, dem statt der spitzgefeilten Zähne, Eiszapfen aus dem Maule hängen, ziehe ich weiter über Moskau nach Metscherskoje den Prinzen Sascha aus seiner schweren, achtjährigen Haft zu überführen nach Tiba.

Der Malik wurde von der Zarewna in Audienz empfangen; in ihren ernsten Kaiserinnenhänden lagen Jussufs Liebesgedichte in weißem Brokat. Vom Glücksstern der sanften Großfrau von Rußland geleitet, erreichte der Malik nach kurzen Gepflogenheiten mit der Justiz die Aushändigung seines unschuldigen, himmlischen Spielgefährten, aber der starb am Abend noch in seiner schmachvollen Zelle in [158] den Armen des erschütterten Freundes. Abigail Jussuf sprach so lange er lebte nie seines Liebesgefährten Namen aus, ohne sich zu besternen. – Bewacht von einer Anzahl Kosaken im obersten Gewölbe des russischen Towers zu Metscherskoje fand der Malik den Freund. Der gefangene, heilige Feldherr richtete sich sterbend von seinem Lager auf, als er Jussuf erblickte und rügte ihn zärtlich besorgt seiner Unvernunft. Aber ein verblutendes Morgenrot überzog zum letzten Male das wundervolle Antlitz Saschas, und Jussuf Abigail, der weinende Malik, schämte sich über den kleinen Splitter Gefahr, der er sich ausgesetzt hatte neben der bedrohten ehernen Geduld seines liebsten Gespielen, dessen Glieder zum Gerippe abgemagert waren; in seinen Lungen fraß der Bazill.

In der Nacht noch ließ ihn der Malik einbalsamieren. »Tüsa goya min enti Tiba« waren die letzten Worte des sterbenden thebetanischen Kambyses; Jussuf trug ihn Selbst mit dem schwarzen Knecht in einem Sarge auf den Schultern über die Ebene nach der alten Zarenstadt; von dort schlossen sich die aufgetauten wilden Juden dem frommen Totenzuge an. Als die Leute in Theben ihren Malik und seine Häuptlinge kommen sahen, hißten sie schmeichelnde Trauerfahnen auf ihren Dächern, warfen sich zu Boden und verhüllten ihre Gesichte; die Totenweiber klagten dreißig Tage und Nächte und Südraben flogen über die Stadt, die sangen die Melodien gottalter Psalme. Jussuf Abigail saß im Palast und weinte. Seine Häuptlinge vermochten ihn nicht zu trösten, auch schlug er launisch die Einladung des Ramsenith von Gibon aus, der eine Vorliebe für den spielerischen Jussuf empfand. Dieser schöne, eitle König fühlte sich persönlich von der kurzen Art der Absage getroffen und kündigte dem Malik die freundschaftlichen Beziehungen seines Landes, darin sich Abigail der künstlerischen Bestrebungen wegen gerne aufhielt. Diese kleine Ursache gab Anlaß zu einem späteren Kriege. Den Kaiser verlangte es nur nach Ruben, seinem teuren Halbbruder, der aber war in seiner Abwesenheit in die Schlacht gezogen, mit den Ariern gegen die Romanen und Slaven und Britten. Daß er ihm, dem kaiserlichen Bruder das antun konnte; Jussuf nahm in seinem kaiserlichen Egoismus das Rüsten seines Bruders fast persönlich auf, darüber vermochte der verlassene Malik sich nicht zu trösten. Den heiligen Leib seines himmlischen Freundes bestattete er im Königsgewölbe bei Theben, und das thebetanische Volk fürchtete um die Gesundheit seines Kaisers, der sich selten noch unter sie auf den Straßen oder auf den Plätzen mischte, sich nicht einmal mehr beschauen ließ in seinen Gärten. Um die Abendzeit wandelte Jussuf manchmal dicht verschleiert durch die Gänge der Vorräume seiner Gemächer. Er war tief mit sich im Gespräch, oft hörten die Neger ihn fluchen wie die Baumfäller im Walde, und die Wände des Palastes wankten dann wie beim Erdbeben. Rubens Weib, die Mareia, beschuldete er ungerechterweise, eiferte wider ihre weiße Abstammung, [159] die seinen stolzen, friedliebenden Bruder veranlaßte, mit den abendländischen Völkern zu kämpfen; vergaß, daß sein starkwilliger Ruben einen ebenso selbstständigen wie edlen Eigenwillen besäße. Am vierten Tage nach der Broternte erhielt Jussuf Abigail eine rührende Botschaft seines fürstlichen Bruders aus dem Kriege. Seine Anschuldigungen vergessend, entsandte der Malik Treiber nach Cana, die dem Weibe Rubens mit Geschenken beladene Kamele führen mußten und der Emirin die Kunde brachten, daß der Fürst sich auf dem Wege zur Heimat befände. Zu gleicher Zeit wurden aus dem arischen Heere Soldaten gewählt und ausgerüstet zur Reise nach dem ägyptischen Theben, den Malik Abigail Jussuf, der des Bumerangwerfens gefürchtetster Krieger war, gegen die Indier ins Feld zu werben.

Die Hirten, die Abigail zu seines Bruders Weibe gesandt hatte, ihr die Freudenbotschaft zu bringen, daß Ruben auf Cana zuschreite, erzählten bei ihrer Rückkehr den Leuten Thebens, daß sie abendländische Krieger gesehen hätten an den Goldfeldern singend vorbeimarschieren auf Irsahab zu und daß man ihre Helme sicher schon von der großen Kuppel des Palastes aus glitzern sehen müsse. Die älteren Leute gedachten des Kampfes, den sie unter der Anführung des noch damaligen Prinzen Jussuf gegen eine Arierschar erfahren mußten. Umschlungen auf einem Weizenfelde sah ein verwundeter Thebetaner die beiden Fürsten der feindlichen Heere im silbernen Brote stehn und sich inbrünstig küssen. Durch Theben aber tönte die Siegeskunde, der Prinz habe die Christenhunde in die Flucht geschlagen. In Wirklichkeit jedoch hatten sich die beiden verliebten Anführer ihrer Heere geeinigt. – Dem Herzog von Leipzig war schon in den ersten Tagen seiner Viceregentschaft dieses Kriegsgeheimnis zu Ohren gekommen; nicht die ungeheure Begebenheit erboste ihn, aber die Leichtfertigkeit, mit der dieser arische Giselher, dessen Herz in Thebens Sonne süß geworden war, seinen schwärmerischen kaiserlichen Freund verlassen konnte. Der herzogliche Hans Adalbert, der es sich zur Aufgabe anheischte, alle Erdteile mit einander zu verbrüdern, eine internationale Welt schon im Interesse der Kunst zu schaffen, bemühte sich in seiner klugen, liebevollen Weise die beträchtige Anzahl der älteren Menschen von der Vereinigung der Jehovaniter für den Malik wieder zu gewinnen. Die waren vermutlich von den Vätern der Irsahabaner aufgestachelt worden; es schien dem diplomatischen Stellvertreter des Throns von Theben gelungen zu sein, einen Aufruhr von Jussuf Abigail fern zu halten. Der hatte seinen kleinen Bruder Bulus nun bei sich in seiner Stadt und lehrte ihn jeden einzelnen Menschen seines blauen Theben zu lieben, die er mal regieren sollte nach seines Malikherzens frommer Fackel.

[XV]

[176]

Der Malik

(dem blauen Reiter Franz Marc).

Briefe und Bilder
[177 (»Der Roland von Berlin | (Wieland Herzfelde)«)]

Abigail Jussufs zweite Stadt, die Er nach Rubens Weibe Mareia benamet hatte, beabsichtigte Abigail nach Seinem Sterben selbständig zu der Kaiserstadt Seines treuen, hochverehrten Dichterfreundes Daniel Jesus zu erheben, der gegenwärtig schon dort Seines kaiserlichen Gefährten Thron vertrat. Jussuf Abigails dritte Stadt aber, die Goldstadt Irsahab, sollte, nach der Väter Aussterben, Tibas Tempelvorstadt werden, Zebaoth geweiht dem Gottjüngling, den Jussuf inbrünstig anbetete. – Die Knaben von Irsahab, die die arischen Ritter auf ihre Tore zukommen sahen, bewaffneten sich und zogen ihnen entgegen im Glauben, die hellen Krieger kämen feindlich wider Jussuf Abigail. Aber Zwi ben Zwi, der Oberbefehlshaber der jungen Irsahabaner, der schon einmal die Knaben durch die Wüste zu ihrem Malik gebracht hatte, erkannte, daß es sich um einen freundschaftlichen Besuch handele, die abendländische Regierung ein persönliches Anliegen durch seine Ritter an den thebetanischen Kaiser zu stellen gedenke und Männer der Kunst zu diesem Zwecke, Abigails Neigungen zu schmeicheln, wohlweislich erwählt hatte. Und die tapferen Juden von Irsahab verbargen ihre Waffen und bewillkommneten die fremden Krieger, die ihre Zeremonien erwiderten. Zwi lud sie ein in das Haus seines Vaters mitten in der Stadt im Interesse Abigails. Zwis Eltern beide, Tamm und Miëne, waren fromme Leute; sein Vater hatte sein Herz mit dem Lesen der Tora bereichert, aber Miëne lehrte ihrem Sohne das feierliche Schreiten, daß er immer nur wandele, wohin auch, zum Altar. Es war das einzige Elternpaar in Irsahab, das den Bestrebungen ihres Sohnes kein Hindernis in den Weg stellte. Am Abend lagerten die müden Arier zwischen den Freunden Zwis in festlicher Laune im kühlen Vorhof seines Elternhauses und tranken von dem Trunk, den Miëne aus Mais und Zimtstauden zu bereiten verstand. Zwi, der Gastgeber, mußte den abendländischen Soldaten von dem Malik erzählen, von seinen Taten, seinen Hoffnungen und seinen Lieblingsbeschäftigungen. Dieser feine Sohn Tamms und der Miëne hatte sein ganzes Leben hindurch nichts anderes getrieben wie den Malik von Tiba studiert, und schon dem jugendlichen Prinzen Jussuf führte er, von Diesem ungeahnt, Sein blaues Tagebuch. Zwi kannte also Jussuf Abigail wie ein Astronom sein nächstes Sternbild. Später stellte sich auch der Urheber der rätselhaften Schreiben heraus, die immer dann an den Malik gelangten, wenn er der Warnung bedurfte. Diese zarten, aber willensstarken Äußerungen, die den jähen Basileus von einem zu unbedachten Schritt bewahren sollten, kamen also von dem Sohn des Tamm und der Miëne. – Welchen Zauber alte Heldensagen auf Abigail Jussuf ausübten, davon konnte Zwi der Irsahabaner einiges den lauschenden Soldaten erzählen. Ob sich [177] der Malik aber wohl bewegen ließ, auf seiten der Verbündeten Mächte gegen die anderen Länder zu ziehen, darüber verweigerte Zwi, vielleicht aus Anstand der thebetanischen Antwort nicht zuvorzukommen, seine Meinung. Auch die Ritter vermieden, an die strenge irsahabanische Anhängerschaft jede weitere Frage zu richten, wie sie auf Abigails günstigen Entschluß wirken könnten. Doch als die abendländische Botschaft sich wieder unterwegs befand, auf Theben zuschritt, einigten sich die künstlerischen Krieger untereinander, Abigail Jussuf einen Streich zu spielen, der Sein buntes Herz erobern würde. Wieland Herzfelde, dem jüngsten der dichtenden Kürassiere, der den Plan ausgehäckt, saßen zwei leuchtende blaue Schelme im Gesicht, denen man nie böse sein konnte; das wußte er. Dieser kecke Herzschelm pflegte den Kaiser von Theben kurzweg »der Jussuf« zu nennen. »Was meint Ihr, wenn wir uns dem Jussuf als seine Lieblingsgestalten alter Sagen repräsentierten?« Daß es sich in Theben um einen gänzlich wilden Kaiser handele, der sogar seine Ungelehrsamkeit als besondere Bevorzugung feiern ließ, sie ab und zu als Vorbild der gelehrten Goldstadt Irsahab langbärtigen Vätern unter die schlaffen, ungeschmückten Nasen zur Beriechung hielt, hatten die Abendländer aus den begeisterten Erzählungen Zwis geschöpft. Und die Soldaten fürchteten in dem Wagnis ihrer launigen Kriegslist keinerlei Gefahr. Ihren Kameraden Wieland, den auferstandenen Roland von Berlin, trugen sie abwechselnd auf ihren Schultern wie einen Sieger ungehindert durch die singenden sieben Säulen in die bekränzte Stadt Theben. Denn Zwi, der treue Anhänger aus Irsahab, hatte dem Malik verkünden lassen, daß die Ritter die Gastfreundschaft seines Elternhauses genossen hätten und in kriegsfreundlicher Absicht auf Theben zuschritten, Ihn, den großen Basileus, zum Kampf gegen die indischen Stämme zu gewinnen. Jussuf Abigail hatte sich schon in seiner frühsten Jugend geübt im Wurf des Bumrangs, und es bemächtigte sich in jedem Feindesheer eine Furcht, wenn man des Maliks sichelförmige Holzwaffe über die Köpfe sausen hörte, bis sie den Gehaßten traf. Oft flog der besiegte abgerissene Rumpf geschnellt vom stumpfgebogenen Holzmond durch die Lüfte vor Abigails Füße. Aber Er, der liebende, knabenhafte Kaiser litt unter der Sicherheit seiner Urwaffe, oft schluchzte er noch lange seinem siegreichen Wurfe nach. Die Häuptlinge wußten schon, wenn Ossman, der ewige Knecht, sie, die wilden Juden, beim Sonnenaufgang in das Gemach ihres Maliks rief, Ihn zu trösten. – Eine Weile bevor die Arier die süße Stadt erreicht hatten, hing Bulus, des Kaisers zwölfjähriger Bruder, Sich schmeichelnd an Ismaël, des auserlesenen Negers [178] greisen Oheim. Der ehrwürdige, alte Palastdiener hatte den kaiserlichen Großknaben wie einen Enkel lieb, und Bulus Herz schaukelte gern an der starken Rippe lauschiger Geborgenheit des Nachtsomalis, dessen Haupt fast die Breite der Palmenkrone überbot. Dem jungen Mïr plagten wieder nationale Fragen des Palastes. Ganze Tage hatte er in einer Kammer im Erdgeschoß zugebracht, in alten, eingebauten Schränken nach abendländischen Kleidungsstücken gekramt. Er fand dann endlich einen Ulanenhelm, der sein halbes Gesichtchen verschwinden ließ, und einen verrosteten Säbel, den er sich an seinem Perlgurt befestigte, und in ein Paar grauen Lederhandschuhen, die von dem Leipziger Herzog herrührten, ertranken nun seine Kinderhände. Inständig bat Bulus seinen alten Freund Ismaël, legte seinem Namen Koserei um den Hals. Ismaëlmemed versprach dem geliebten, kleinen Mïr auf seines Bruders Sohn den Ossman zu wirken, wenn er am Morgen dem kaiserlichen Herren die Nasensmaragden einschraube und mit Perlen sein Haar schmücke, Abigail anzuraten, beim Empfang der abendländischen Krieger, abendländische Tracht anzulegen. Bulus schämte sich aller weichen Zierde, und in den goldverbrämten Mänteln und Ohrgehang und Muschelgürteln seines regierenden Bruders und der Häuptlinge, und der Kleider aller Männer und Jünglinge des Morgenlandes empfand der kleine kaiserliche Auflehnende beschämende Schwäche. Der greise Ismaël teilte des Knaben Sympathie für die Sitten des Abendlandes, da er an seinen Weinen gerochen hatte in der Zeit, als der heitere Vicemalik, der Maltzahner von Leipzig, in Theben regierte. Der hatte sich in Fässern den Rebensaft aus dem Mosellande kommen lassen und betreute den friedvollen Ismaël mit dem Abzapfen des Weins. Die verbotene, pochende Beere war beider Privatgeheimnis und einzige Sünde gewesen wider die Gesetze des Morgens. Wenn nun alle schliefen im Palast, schlich sich der unverbesserliche Somalizecher in das unterirdische Gewölbe des großen Vorraums und zechte manchmal bis zum Morgen vom verbotenen Inhalt der noch lagernden Fässer. – Vor dem Fenster des Malikgemachs zwischen hohen, feinen Gräsern saß Bulus auf den gepolsterten Schultern des treuen, alten Freundes, das Erwachen des Basileus zu erwarten. Der lag gebogen wie die Mondsichel auf seiner Kissen schwerer Wolkenseide. Er war nach durchwachter Nacht im lebhaften Gespräch mit seinen wilden Juden fest eingeschlummert. Stambul seines Bruderhäuptlings Rat vermißte Jussuf schwer bei der Beratung der Art der Ablehnung seiner Stellungnahme an dem Weltkrieg. Abigail Jussuf war fest entschlossen, unter keiner Bedingung sich an dieser Menschenschlacht zu beteiligen. Auch fühlte der Kaiser irgend eine spielerische Verwandtschaft mit dem König der schwarzen Berge, der den Frieden hatte herbeiführen wollen aus väterlicher Liebe für sein Volk und darum auch aus väterlichem Verständnis für die fremden Völker. Diese Meinung teilte Mordercheï Theodorio, des Maliks zweiter Großhäuptling, der Sohn seines Turiner Vaters. Ein Weinberg auf Rollen bewegte sich dieser wilde Jude ungeheuer süß vor dem Thron Thebens und stark in der Blume. Abigail verehrte ihn unbändig. Dieser [179] Mordercheï Theodorio und Calmus Jezowa, ein Mann mit gütigen Priesteraugen und milder Freudigkeit, waren die letzten der Häuptlinge, die den Malik in der Frühe verließen. Gad, Asser, Mêmed und Salomein wandelten schon kurz nach Mitternacht auf Raten Jussuf Abigails heim. Asser trug eine Verwundung durch einen Dorn der Rose auf der Wange, die den Kaiser im Anblick der Schönheit Assers störte. Den herrlichen Jüngling beschenkte der Malik mit Haarperlen und allergold Damast. Nur daß Assers Herz am Wesen der Frauen hing, verargte vielfach die Freude des Kaisers an seinem Häuptling. Denn Jussuf Abigail verbarg seine Abneigung gegen alles Weib, schon als Prinz von Theben, nie. Und die geraubte Venus von Siam betrachtete er nur wie ein unvergleichliches Kunstwerk. »An dem Kultus, den der Malik um seine Mondfrau baut,« so nannten die Menschen in Theben die siamesische Venus, »wird sie zu Alabaster werden.« Gad hatte Verständnis für des Kaisers Abneigung gegen Eva; trotzdem gerade das Himbeerträumerische in Jussuf, die Farbe der Prinzessinnenseele, ihn entzückte, und er durchschaute Seinen Kaiser, wagte die Beeren der Sträucher Seiner Seele zu pflücken. Manchmal begleitete er Ihn alleine auf den Hügel der Stadt; dort betete Jussuf Abigail so gern zu Gott. Die großen Vögel setzten sich dann zu Ihm. Sie verstanden die abgebrochenen, wilden Laute Seines Flehens. Er selbst ein goldener Geier unter ihnen. Am Abend aber begleiteten den Kaiser außer Gad noch seine beiden jüngsten Gespielen, die Häuptlinge Mêmed und Salomein auf eine Wiese, die hinter dem Garten des Palastes lag. Mêmed legte sich immer einen Kranz ins Haar, und Salomein, Jussufs treuster Häuptling, trug in seinen dunklen Augen dem Malik ewig sein blaues Herz schwärmerisch entgegen. Seiner Stirne Mitten schmückte ein Stern. Die vier hohen Menschen spielten sorglos wieder Spiele ihrer Kindheit. Auf Brettern, kreuz und quer gelegt, schaukelten sie auf und nieder und übten sich im Bogen und Pfeil, die sie selbst aus Bambusrohren schnitzten.

Briefe und Bilder
[179 (»Jussufs Häuptlinge«)]

[XVI]

[219]

Der Malik

(dem blauen Reiter Franz Marc)

Als der kleine Kaiserliche Bulus, Jussuf Abigail wieder mit Bitten bedrängte, Ihn an Seine hohe Gastfreundschaft erinnerte, die Ihn zwinge, die Farbe der fremden Soldaten bei ihrem Empfang anzulegen, befahl der erregte Malik Seinem Knecht, der auf den Augenblick gelauert hatte, da ihm das Grau des Abendlandes mißfiel, den jungen Mïr gewaltsam zu entfernen. An diesem Morgen fiel die erste, ernsthafte Meinungsverschiedenheit zwischen den hohen Brüdern, die sich gegenseitig stürmisch zu verehren pflegten. Aber Bulus trug nunmehr eine kleine Verachtung in seinem klaren, braunen Knabenauge offen zur Schau, die den Kaiser reizte. In einem goldenen Mantel saß Der auf dem Thron zu Theben wie in Seiner letzten Haut, die Mondsichel und den Stern in Rotfarben auf der Wange gemalt. Die bunte Stadt Theben hatte sich im Hause Jussuf Abigails um Ihn versammelt; den Kaiser beschäftigten gegenwärtig nur Seine Häuptlinge. Stambul Ruben Sein milder Bruderhäuptling fehlte und Er gedachte seiner so stark, daß Ihm das Szepter entschwand oben auf dem Prunkhügel des Riesengemachs. In derselben Stunde an der sich plötzlich Jussufs Wesen weich verlor, traf der Fürst Marc von Cana in der Heimat ein. Der zweite Großhäuptling Mordercheï Theodorio bemerkte die seelische Abwesenheit seines Kaiserlichen Freundes und gab dem säumenden Malik ein freundschaftliches Zeichen, indem er die zum Throne geneigte Stirne, Sein Morderscheïherz und die Lippen grüßend betastete. Da traten die Ritter in den Maliksaal. Zwi ben Zwi, der Sohn des Tamm und der Miëne, der seinen abendländischen Gästen vorausgeeilt war, erwartete unerkannt zwischen den feierlichen Menschen Tibas auf dem Riesenfuß einer überlebensgroßen Figur sitzend mit dem Schiefer und dem Griffel, die arischen Soldaten. »Beim Anblick des großen Bumrangwerfers«, schrieb der Geschichtsschreiber, »schneiten die blühenden Wangen der Ritter«.

Dem erschütternden Denkmal aus Stern und Blutstein näherte sich in der Rolle des Rolands von Berlin und als Anführer der Botschaft: Wieland Herzfelde. Sein Bruder Wetterscheid versuchte betroffen den voreiligen Entschluß seines kecken Bruders zu vereiteln, indem er den Zipfel seines Mantels ergriff und abriß. Diesen Vorgang gewahrte Abigail und lächelte. Und Sein Lächeln glich immer einem holden Beet im finsteren Garten. Nicht wie bei öffentlichen Empfängen sonst üblich, erwartete der Malik das Zeichen des Schellenstocks; rührend klang Sein Anliegen auf lallender arischer Sprache, die Lage des ernsten Augenblicks verachtend: Kann Mir einer von Euch sagen, Ihr lieben Ritter, wo Giselheer Mein Nibelunge weilt? In der Mitte des Vorraums tanzte ein Tänzer wie eine Schlange beweglich nach der eintönigen Musik der Holzinstrumente. »Aber ich,« schrieb Zwi, »hörte verhärtete Stirnrunzeln einiger Thebetaner knarren.« Und Jussuf Abigails spielerische Menschen erröteten im Angedenken der Schande, die ihnen ihr damaliger Prinz Jussuf bereitet hatte, da Sein selig Herz den feindlichen Arierfürsten umgaukelte während des Krieges Ernst. Aber den grauuniformierten Fremdlingen entging die gefährliche Lage, die des Kaisers Ansehn bedrohte, die waren durch Seine Menschlichkeit aus ihrem Bann erlöst und beantworteten aus einem [220] Munde die leidenschaftliche Frage Jussufs nach Seinem Herzgefährten, der immer als Nibelunge in Seinem Gedächtnis maiblühte. Schill, der pflichtgetreue Kürassier, der seiner Schüchternheit wegen von seinen Kameraden verspottet wurde, trat beherzten Schritts aus der Mitte der Soldaten dicht vor den Thron, wiederholte noch einmal, daß Giselheer der Nibelungenfürst in Flandern stehe und – setzte er bedeutungsvoll hinzu, sich verzweifelt gegen die Indierstämme behaupte. Aber Calmus Jezowa, der weise Wildjude um Abigail Jussuf, konnte sich ein Lächeln nicht ersparen; Asser und Gad und Memêd-Laurencis fürchteten um ihren Liebeskaiser und schonend um Jussufs Schulter legte Salomein seinen Arm. Nur Mordercheï der Riese vertraute der Klugheit und dem Hochgefühl seines stolzen Spielgefährten. Auf dem Fuß des Saales entfiel der Hand des Malikschreibers der Griffel. Abigail, der den Knaben längst bemerkt und wiedererkannt hatte von seiner Wallfahrt her zum heiligen Freunde, rief dem jungen Manne aus Irsahab zu: »Hebe deinen Griffel auf, Sohn des gottesfürchtigen Tamm und der guten Miëne und schreibe nieder, daß der Kaiser Abigail Jussuf Seines Levkojenherzens Liebe, Seines Liebesherzens Levkoje opfere, denn er habe beschlossen, Seine teuren Brüder nicht zu führen in den abendländischen Krieg.« Viele der Thebetaner weinten, fielen vor ihrem Jussuf nieder, streichelten Sein Gewand und die, welche sich näherten Seine Hände und Seine Füße zu liebkosen, hob Er zu Sich empor und küßte den Schlichtesten auf den Mund, so daß der zu Seinem Ansehn wurde.

Nur des Kürassiers Schills Unzufriedenheit bemerkte der Malik mit vornehmer Zurückhaltung und billigte dessen Kaisertreue, die den Soldaten zu einer List verführte gegen – Ihn – Abigail. Und Er betonte, daß Er an die Zwangslage seines Kaiserlichen, arischen Herrn mit ganzem Herzen glaube, wie Ihm Zebaoth gebiete, dem blutenden Länderhandel fern zu verharren. Abigails weiche Stimme wuchs dunkel in den Urwald, »aber mir«, berichtete der Schreiber, »entging kein Wort des Throns.«

Einige von den Rittern baten den Kaiser Sich über den Weltkrieg zu äußern. Aber der hellseherische Malik ahnte; wen der Tod von den stürmisch Fragenden bald brechen würde, und er vermochte Sich nicht gleich zu sammeln; betrachtete schmerzlich den goldlockigen Tristan, richtete zarte Worte an Caspar Hauser, erkundigte Sich bei Roller ernsthaft nach dem von Ihm so hochgeschätzten Carl von Moor, den er wahrhaft in Sein Herz geschlossen habe. Und ob Schiller mit Goethe noch befreundet sei. Der Roller konnte ein Auflachen nicht verkneifen, ebenso erging es von Hutten, der mit dem Geschichtsschreiber, welcher diesen Maskenstreich auf dem Gewissen hatte, verständnisvolle Blicke wechselte. Aber auch sehr viel herzliches Interesse zeigte Jussuf Abigail für Friedemann Bach und den grünen Heinrich. Grimms Bäuerlein beguckten Sich der betrogene Malik und Sein Brüderchen wie zwei kleine, neugierige Buben.

»Ihr habt das von Gott Euch anvertraute Abendland nicht liebevoll genug gepflegt, wie wäre sonst aus seiner Eiche eine Formel geworden.«

»Das Erdbild habe sich verschoben und verdunkele die Gehirne der Länder.«

Der Malik erzählte von dem fürchterlichen Gesicht, das Er einige Tage vor dem Kriege gehabt habe. Ihm habe geträumt, Er wäre der Kaiser Wilhelm gewesen und drei Riesenschlangen seien seinem Lager entstiegen, die Gescheckte neigte [221] sich Ihn zu beißen, als Er jäh erwachte und gerettet war. Seinem Halbbruder, dem klugen Fürsten Marc Ruben von Cana habe er damals Seinen Traum berichtet, worauf der große Häuptling den Krieg prophezeite. Als Bulus, des Maliks Bruder, den Namen Ruben Stambul vernahm, klatschte er in die Hände, so liebte der Knabe ihn. Jussuf ließ gerührt den kleinen Bulus von Oßman vor den Thron holen, stellte ihn, der von Beginn der Ceremonie an, die Züge der Soldatengesichter befriedigt beobachtet hatte, den Rittern mit den Worten vor: »Seht diesen süßen Schelm, Sittis, er ist mein kleiner Bruder Bulus der Mïrmêmêd, mit diesem hättet Ihr sicher keine Enttäuschung erlebt.« Seine steingeschmückte Waffe zeigte er jedem der Krieger und dem Roland von Berlin, der sich mit dem jungen Fürsten sofort verständigte, zog er das Schwert aus der Seite und prüfte seine Schärfe und Wetterscheid bettelte er um Patronen an für seine Sammlung, aber der friedliebende Bruder Rolands legte Böses abwehrend seine Hand über des kleinen Emïrs Haupt.

Briefe und Bilder
[221 (»Bulus I von Theben«)]

Aber auch der Lederstrumpf, der abseits, für sich alleine während der Festlichkeit, menschenfeindlich in bitteren Gedanken an einer Säule des Malikssaals knurrend gestanden hatte, erhellte sich plötzlich im leuchtenden Anblick des Kaiserlichen Knaben. Manchmal schimmerte Seine Haut wie Goldperlmutter. Und Lederstrumpf äußerte sich später zu Mordercheï Theodorio, nie habe er im Leben einen schöneren Menschen gesehn wie den kleinen Mïr. Theodos und Bûl aber mieden sich, wenn auch in höflichen Katzensprüngen, und Abigail, der diese Feindschaft nicht ernst nehmen wollte, belustigte Sich über die unbegründete Abneigung der Beiden, aus der sich unerwartet der Schmetterling, die versöhnende, glückliche Begegnung entpuppen würde. Im Begriff die letzte Stufe des Thrones herabzusteigen, stolperte der Malik und noch ehe Oßman, Sein Knecht, Ihm Hilfe leisten konnte, fing Ihn einer der fremden Ritter in seinen Armen auf, »der Tristan«, und entbrannte vor Liebe zu Jussuf. Am selben Abend nach dem bewillkommenden Mahle, an dem des Basileus Herz berauschender süßte, als der Most, den Er pressen ließ für seine abendländischen Gäste aus den schweren Trauben der Berge, glitt der Gralprinz wie ein Lichtstrahl an der blauumgürteten Leibwache des Maliks vorbei, überwältigte Oßman und drang in Jussufs Gemach. Der war gerade damit beschäftigt dem Herzog von Leipzig die Eindrücke zu schildern, die Seine uniformierten Gäste auf Ihn hinterlassen hatten. Und in seiner Vertiefung und Sehnsucht nach Seinem unersetzlichen Ratgeber, dem Vicemalik, gewahrte er den Liebesritter erst, als der Ihn, den Jussuf, schon mit seinen starken Soldatenhänden gepackt hatte.

Und der Malik, der von jedem noch rein erhaltenen, ursprünglichen Gefühl überwältigt [222] wurde, suchte nicht allein den unerhörten Vorgang zu vertuschen, »er habe sogar versucht aus Bewunderung vor diesem ehrlichen Augenblick die Liebe des heiligen Ritters zu schüren«. Der brach dem Jussuf vor Liebe eine Rippe in der Brust, wie einen der Äste des Elfenbeinbaums. Noch in der Nacht aber rief man von den Dächern die Stadt wach, den Unfall der den Malik betroffen habe beim Handwettkampf mit Mêmêd Laurencis, mit dem Sich der Kaiser so gerne der Stärke übte. Doch Laurencis saß mit den anderen Häuptlingen friedlich um ihren Angstabigail, wie sie Ihn zärtlich zu nennen pflegten und sie verhätschelten Ihn. Ein paar alte Weibchen hatten sich in Theben eingeschmuggelt, schwätzten den Leuten die Ohren schmutzig, boten den edlen Töchtern Thebens Liebesharz feil und drängten sich an die abendländischen Ritter. Doch das dreiköpfige, glatte Gezücht wurde ergriffen und gehängt an einen ranzigen Ölbaum auf. Aber Zwi ben Zwi der Sohn des Tamm und der Miëne schrieb vom Malik von Theben, »immer wieder von neuem sammelte Jussuf die Liebe aus dem Kelch der Herzen; um die der abendländischen Ritter gauckelte das Silberseine«. Noch tiefer wie es Sich Abigail der Kaiser gestehen wollte, schmeichelte Ihm der Antrag der hohen Fraue von Hohenhof, der Reichsgräfin Gertrude zu Osthaus von Westfalen. Ihre Tochter Seinem geliebten Bruder zum Weibe zu geben, war Abigails Herzenswunsch. Immer wieder ließen Sich der Malik und der jugendliche Mïr das Bild der lieblichen Prinzessin Helga von dem Liebesboten repräsentieren und hatten lange schon die holden Grübchen, goldene Bäcklein ihrer Wange entdeckt. Noch zwei Frauen des Abendlandes sandten dem Malik ihre Liebe und Verehrung; Frau Paula Engeline, die sanfte, dichtende Lebensgefährtin des von Jussuf so bewunderten Dichterfürsten Richard Dehmels, dessen Dichtungen Er einst mit dem Kalifenstern ausgezeichnet hatte. Paula Engeline beschützte das Flackerlicht von Horeb – so nannte sie den fernen, ungestümen Malikprinzen – mit ihrem Flügel. Ähnlich wie diese hohe Frau empfand Hellene die Herrmannin den goldverbrämten Kaiser, jeder Gedanke an Ihn trug Seine Lieblingsblume im Haar.

Die Ritter, welche sich wieder um Abigail versammelt hatten, baten Ihn, sie nicht unverrichteter Dinge ziehen zu lassen. Und sie erzürnten den Kaiser mit dieser aufs neu aufgeworfenen Frage. Ob sie den Entschluß eines ägyptischen Kaisers von einer willkürlichen Laune abhängig glaubten oder man Ihn nicht ernst nehme? Und Abigail, dessen Vorhaben es gewesen war, Sich würdevoll und gleichmäßig den arischen Kriegern gegenüber zu verhalten, bäumte Sich wie eine Welle, wurde wildes Wasser, rasender Ozean, und seine erschrockenen Gäste mußten sich gestehen, nie einen wilderen Gemütssturz je erlebt zu haben und sie nannten Ihn heimlich unter sich den Tagâr, wie die thebetanischen Uferleute das reißende Wassertier nennen, den Wasserjaguar. Thron, Ceremonie und Krone schwammen auf der Hochflut Seines Blutes. Mordercheï war stolz über solche unbedachten Augenblicke, sehr stolz auf Seinen Kaiser; ein Dichter war Theodorio, seine politischen Erkenntnisse gingen wie seine Verse mondrot in seinem Herzen auf, und beleuchteten horizontisch die Vorgänge. Calmus aber meinte sein geliebter Prinz und Kaiser habe Sich wieder undiplomatisch hinreißen lassen, aber das gezieme Jussuf. Calmus Jezowa vertrat im thebetanischen Zebaothtempel das Amt eines der hohen Priester; Jussuf hing an seiner wohltuenden Milde wie im Mittag. Gad [223] Jonata mit dem der Kaiser gern Zeit verscherzte, vertrat die Ansicht, daß ein Basileus Sich in jeder Lage des Lebens beherrschen müsse, aber Mêmêd Laurencis trug triumphierend den verblüfften, bekrittelten Kaiserlichen Spielgefährten in seinen Armen von dannen über die Pfade der Rosengärten; ihnen folgte Asser im neuen Prunkmantel, er hatte sich in die Schwestern eines der Ritter verliebt, die ihren Bruder nach Theben begleitet hatten, den Jussuf ihrer Träume zu schauen.

Briefe und Bilder
[223 (»›Ich warne dich Abigail Jussuf‹; so sagt der Neger.«)]

Urägypter, Goldmorgenländer war des Maliks treuster Häuptling Salomein. Er galt für hochmütig und verschlossen. Über Theben blickte er auf zum Himmel der Stadt durch seine Farben seinen Jussuf, dessen Bild er trug in dem Stern seiner Stirnmitten. Als ihn einmal Thebetaner nach den arischen Soldaten fragten, sagte er ihnen zur Antwort, er habe nie einen arischen Soldaten gesehn. –

[224] Der Malik hielt sich nach der kleinen Mißstimmung zwischen Ihm und den abendländischen Gästen eine Weile vor ihnen verborgen; aber Er beauftragte Oßman den Rittern Sehenswürdigkeiten der Stadt zu zeigen. Und der Somali führte die Krieger in den großen Malikturm. Die kleine Karawane kletterte unzählige Stufen der Treppen in die Himmelshöhe, als Letzter, Ismael, der greise Oheim Oßmans mit dem kleinen Mïr auf den Schultern; diesem folgte die vornehme Leibwache des Maliks. Über Weizenfelder und Zitronenwälder flogen die Augen der Angelangten. Des Somalis spitzgeschliffene Zähne lachten. Sitti Ismaël, wie der Kaiser den Oheim des Lieblingsnegers seines hohen Alters wegen ehrerbietig von jedermann genannt wünschte, hatte vom Maltzaner Herzog etwas abendländisch gelernt, erzählte den Soldaten die Vorgeschichte aus jedem Hause der unvergleichlich blauen Stadt. Nicht wenig waren die Arier überrascht, als sie plötzlich auf dem weiten Spielplatz Jussuf Abigail erblickten im Kriegerschmuck; alle farben Perlen sangen um Seinen Leib, Ihn umgaben Thebetaner ebenfalls in Kampftracht. Der Malik schien keinen der Zuschauer oben auf dem Turm Seiner Stadt zu bemerken, und Oßman riet schalkhaft den Soldaten sich ja unauffällig zu verhalten. Der hohe Bumrangkrieger schleuderte Seine hölzerne Mondsichel leicht, fast virtuosenhaft durch die Luft und fing sie wieder auf im großen Kreis, jedesmal mit hellem Kriegsgeschrei, das von Seinen Getreuen begleitet wurde. Beim Mondaufgang begegneten dem wilden Kaiser Seine abendländischen Gäste im lebhaften Gespräch, erröteten noch vor Entzücken in der Erinnerung des erlebten Schauspiels. Der Roller meinte derb zu Hutten gewandt: »Bei Dem wär kein Indier übrig geblieben.« Abigail vernahm diese Schmeichelei und es hob seine Eitelkeit. Schloß sich den uniformierten Gästen bei ihrem Spaziergang an, schüchtern lächelnd, die stritten sich um den Gang an seiner Seite. Die beiden Brüder Roland und Wetterscheid und deren Freund Maria von Aachen, Karls Sohn, hatten schon ganz vergessen, warum sie in Jussufs Stadt gesandt wurden, so überaus glücklich befanden sie sich hinter den sieben singenden Säulen, darum sie Schill rügte aus diensteifriger Gewohnheit. Der Roland von Berlin und Heinrich Maria stiegen beherzt über den Zaun in den Garten, hinter dem das Prunkgemach des Maliks lag. Der säumte in Gedanken der Morgenfrühe nach, hing wie eine schwermütige Dolde am Traum der heißen Welt. Roland, der aus seidigen Papieren Monde und Sternlein zu schneiden verstand, reichte zärtlich dem erwachten Kaiser diese kindlichen Gaben mit lieben Verschen beschrieben und Maria, Karls Sohn, schenkte dem Jussuf einige Heiligenbildchen, die er gemalt hatte im geschnitzten Rahmen; und der Kaiser ließ Sich von ihm diese Ihm fremde Malerei erklären, bewunderte seinen Mahagonikopf; fast blau wirkte auf Ihn die glänzende Dunkelheit seiner Haare, ebenso blau wie Rolands glückliche Augen waren. Und er sprach diesen neuen Freunden von Seines Herzens Alleinsein, von Seiner unerlaubten Liebe zu Gisel dem Arierfürsten. Und Roland mit seinem guten Kindergemüt vergaß jede Schranke, patschte mit seinen Händen liebkosend über Jussufs Wange und so trösteten die beiden fremden Soldaten Ihn, den mächtigen, hilflosen Malik. Von ferne sahen sie die Häuptlinge scherzen mit den Abendländern, Mordercheï und Lederstrumpf schlenderten herzlich befreundet an die Menschen Thebens vorbei, hielten sie an und Lederstrumpf erzählte ihnen von Wild West und seinen Rothäuten; [225] seine Abenteuer schlichen um aller jungen Thebetaner Köpfe. Ihm dem Kaiser war Lederstrumpf im Begriff die kleinen bunten Häuser Thebens in miniatur als Spielzeug aufzubauen und zu bemalen. Aber dennoch mißstimmte Abigail der Erfolg, den Lederstrumpf sich in Seiner Stadt erwarb; auch seine Verbrüderung mit einem Seiner Häuptlinge ärgerte den eifersüchtigen Kaiser und Seine Eitelkeit litt unter der Vernachlässigung Mordercheïs. Abigail beanspruchte Seine Freunde für Sich. Wenn Er nicht selbst eine Vorliebe für den bitter-phantastischen Wildwestabenteurer empfunden, hätte er Theben geschlossen, wie Er mal kurz und kindlich zu Theodorio vorwurfsvoll Sich äußerte. Einmal begegnete Oßman dem Kaiser in der Nacht, als er in Begriff war ins Gebäude der fremden Krieger zu dringen. Der Somali fühlte instinktiv was Jussuf Abigail veranlaßte. Er hatte Sich in diese neuen Menschen verliebt, und sein Vorhaben war, sie zu verführen in Theben zu bleiben. Ich warne Dich Jussuf Abigail, so sagt der Neger!

Das seltene Abenteuer das Roland von Berlin und sein Freund Maria mit dem Malik erlebt hatten, zu verschweigen, riet ihnen der zartfühlende Wetterscheid. Aber schon am selben Tage wußten es alle die Kameraden und drängten sich an Oßman heran, ihnen Gelegenheit zu geben, seinen Malik irgend bei einer unverhofften Gelegenheit zu begegnen. Das erfuhr der empfindsame Kaiser und ließ den Roland ins unterirdische Gewölbe zu den Mumien sperren, daß er von diesen das Schweigen lerne. Aber Heinrich Maria sein Freund durfte ihm stumme Gesellschaft leisten. Einigemale zur Tageszeit aber ließ der Kaiser den beiden gefangenen Scheintoten ihre Lieblingsspeisen in den Tartaros reichen, wünschte Ihnen guten Appetit.

Von dem plötzlichen Tode Pitters des Herrn von Elberfeld auf dem Schlachtfeld im Frankenlande durchfuhr den Malik ebenso jäh, wie den abendländischen Soldaten. Der Malik und dieser große Dichter hatten Briefe und Wünsche gewechselt von ihrer ersten Knabenzeit an und waren gute Kameraden geblieben. Abigail eilte selbst ins Gewölbe der Mumien und teilte die Trauerbotschaft Seinen lieben Gefangenen mit, und holte sie wieder ans Licht und sprach zu ihnen: am liebsten würde Er Pitters Leib im Morgenlande einbalsamieren und erhalten lassen wie die Mumien in Sarkophagen an beiden Seiten der Kaiserstätte.

Anmerkungen

[I] Die Aktion (Berlin), Jg. 3, Nr. 36 vom 6. September 1913, Spalte 854–859.

[II] Die Aktion (Berlin), Jg. 3, Nr. 38 vom 20. September 1913, Spalte 906 f.

[III] Die Aktion (Berlin), Jg. 3, Nr. 41 vom 11. Oktober 1913, Spalte 963 f.

[IV] Die Aktion (Berlin), Jg. 3, Nr. 42 vom 18. Oktober 1913, Spalte 992–994.

[V] Die Aktion (Berlin), Jg. 3, Nr. 44 vom 1. November 1913, Spalte 1031–1033.

[VI] Die Aktion (Berlin), Jg. 3, Nr. 46 vom 15. November 1913, Spalte 1081 f.

[VII] Die Aktion (Berlin), Jg. 3, Nr. 52 vom 27. Dezember 1913, Spalte 1207–1209.

[VIII] Die Aktion (Berlin), Jg. 4, Nr. 4 vom 24. Januar 1914, Spalte 85 f.

[IX] Die Aktion (Berlin), Jg. 4, Nr. 7 vom 14. Februar 1914, Spalte 145.

[X] Die Aktion (Berlin), Jg. 4, Nr. 8 vom 21. Februar 1914, Spalte 170 f.

[XI] Der Brenner (Innsbruck), Jg. 4, H. 19 vom 1. Juli 1914, S. 852–862.

[XII] Die Aktion (Berlin), Jg. 5, Nr. 31/32 vom 7. August 1915, Spalte 394–396.

[XIII] Neue Jugend. Monatsschrift (Berlin), Jg. 1, H. 7 vom Juli 1916, S. 130 f.

[XIV] Neue Jugend. Monatsschrift (Berlin), Jg. 1, H. 8 vom August 1916, S. 157–159.

[XV] Neue Jugend. Monatsschrift (Berlin), Jg. 1, H. 9 vom September 1916, S. 176–179.

[XVI] Neue Jugend. Monatsschrift (Berlin), Jg. 1, H. 11/12 von Februar/März 1917, S. 219–225.