Else Lasker-Schüler: Arthur Aronymus und seine Väter (1932)
Aktualisiert: 24. Juni 2022
Arthur Aronymus und seine Väter
(aus meines geliebten Vaters Kinderjahren)
von
ELSE LASKER-SCHÜLER
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Das Aufführungsrecht ist ausschliesslich durch:
S. FISCHER, VERLAG A.-G.
Theaterabteilung
BERLIN W, Bülowstrasse 90
zu erwerben.
Copyright 1932 by S. FISCHER VERLAG A. G. BERLIN
Meiner teuren Mutter: Jeannetta
und meinem teuren Sohn Paul
in Liebe.
PERSONEN
Gutsbesitzer MORITZ SCHÜLER
HENRIETTE, seine Frau
und ihre 23 Kinder:
1. HEINRICH MENACHEM
(seine Frau ELFRIEDE und sein Sohn OSKAR)
2. SIMEON
3. JULIUS
4. FANNY
5. KATHARINA
6. ALEX
7. ELISCHEN
8. DORA
9. BERTHOLD
10. FERDINAND
11. MARGARETE
12. AUGUST
13. BETTINA
14. ALBERT
15. KARL
16. ELEONORE
17. ARTHUR ARONYMUS
18. MAX
19. LENCHEN
20. META 21. LUISE: Zwillinge
22. MEYERCHEN
23. TITI
Herr HENRY FILIGRAN, Inspektor auf dem Gute
Mamsell, Köchin
CLARA, Stubenmädchen
Mägde
Melkerinnen
Knechte
Gärtner im Dienst des Gutshauses
WILLY HIMMEL und
KASPAR, die 8jährigen Freunde von Arthur Aronymus
Landesrabbiner URIEL von Rheinland und Westfalen, der Vater Henriettens
EPHRAIM, des Rabbiners Diener
Kantor der Synagoge
4 jüdische Grosskaufleute
der Rosenkreuzler KERN und sein junger Sohn
der Nachtwächter ALTMANN
der Wanderbursch NATHANAEL BRENNESSEL
der Hausierer LÄMMLE ZILINSKY
drei Lumpenhändler PERLMUTTER
und ihr Neffe JOSEFCHEN
Herr PADERSTEIN
und seine Gattin MILCHEN, die Freunde der Gutsbesitzerfamilie SCHÜLER
HUGO PADERSTEIN, ihr junger Sohn
Fräulein PADERSTEIN, die ältere Schwester des Herrn Paderstein
Herr VOGELSANG
Frau VOGELSANG aus Elberfeld-Wuppertal
die Eltern von Frau Paderstein
Dr. ENGELBRECHT VOGELSANG, Apotheker
ihr jüngster Sohn (Nachsprössling)
Der Bischof LAVATER von Paderborn
Caplan BERNARD MICHALSKI
NARZISSA
URSULA, seine beiden kleinen Nichten
ALEXANDER OSTERMORGEN und
SIEGFRIED OSTERMORGEN, die beiden Söhne des Jugendfreundes des Herrn Gutsbesitzers Schüler, 17 und 18jährig
ALFONSO KISSINGEN, ein Weinreisender (Dr. Faust)
jüdischer Gärtner
christlicher Gärtner in Paderborn
Schornsteinfeger
und die Einwohner Gaesecke’s.
Tischordnung im 15. Bild.
Herr Gutsbesitzer Schüler
Fanny
Herr Kissingen
Dora
Arthur Aronymus
Lenchen
Max
Meta
Meta Luise
Berthold
Karl
Siegfried Ostermorgen
Elischen
Titi
Frau Schüler
Alex
Eleonore
Julius
Meyerchen
Menachem
Oskar
Elfriede
Ferdinand
Albert
Magarete
Dr. Vogelsang
Simeon
Kaplan Bernard
Bischof Lavater
An der kleinen Tafel sitzen:
die sieben geladenen armen Juden der jüdischen Gemeinde in Gaesecke: Nachtwächter Altmann, Hausierer Lämmle Zilinsky, Wanderbursche Nathanael Brennessel, die drei Brüder Perlmutter und Brudersohn Josefchen.
Hagâdâhbüchlein überall zu haben in den Buchläden!
1. Bild
Mit dem umzäunten Gutsgarten des Schüler’schen Gutshauses, zu dem eine Freitreppe führt, beginnt das Dorf: Hexengaesecke. Eine warme Augustnacht, der Vollmond und die Sterne am Himmel. (Von überall sieht man die Tierhecken um Gaesecke).
Das Theaterstück spielt etwa um 1800.
In der Nähe des Gutshauses steht ein alter Brunnen.
Personen: der Nachtwächter Altmann; Jungfer Fanny; der Kaplan Bernard Michalski; der Wanderbursch Nathanael Brennnessel.
Kaplan heiter von der Landstrasse her dem Dorfe zuwandernd rastet er vor dem grossen Gutsgarten. Er hört den Nachtwächter schnarchen.
NACHTWÄCHTER: erwacht jäh, dann schlaftrunken Wat, Brennessel, schon wieder hier von der Rundreise?!
Kaplan verhält sich schweigend.
NACHTWÄCHTER: Gestern man erst auf und davon! dilatorisch In der Nacht hab eck nur zu residenzen in der Welt, Mensch!! – Pause. Wat? … Er erkennt den Kaplan.
KAPLAN: hebt die Hände, neckisch bittend Noch ein Viertelstündchen vergönnt dem Kaplan aus der schönen grünen Welt in den er zeigt zum Himmel zu gucken!?
NACHTWÄCHTER: verwirrt Eck – sucht sein Horn, das ihm auf den Rücken gerutscht ist Eck Hornochse!!
Der Kaplan hilft ihm sein Horn wiederzufinden. Der Nachtwächter küsst die Hand des Kaplans.
NACHTWÄCHTER: Aber jewiss so lang et dem Hochwürdigen Herrn Kaplan beliebt. Der Nachtwächter bläst ganz leise und vorsichtig in sein Horn. Damit minne Kinder er weist auf alle Häuser im Dorf, zuletzt auf die vielen Fenster im Gutshaus, süsslich nicht die Äugelein öffnen.
KAPLAN: Fürsorglicher Vater er unserem lieben Dorfe Gaesecke.
NACHTWÄCHTER: Dat hör eck gern und justement von Eurer Kaplanigkeit.
Kaplan pflückt ein kleines Zweiglein von dem über dem Zaun üppig herüberhängenden Zweige.
NACHTWÄCHTER: erstaunt Kick eener an? –
KAPLAN: er deutet fragend auf sich Gedenkt er mich etwa wegen Laubraub zu verpetzen, Altmann?
NACHTWÄCHTER: naiv vertraulich Eck? Klau ja selwer die Zwetschken von den Bäumen.
KAPLAN: lacht überlegen und frisch Wuchs mir doch dieses kleine wilde Zweiglein entgegen, dass ich mich seiner annehme, mich an ihm erfreue.
NACHTWÄCHTER: So ist et! Kleine Pause, er zeigt aufs Gutshaus. Der Grossvatter Rabbi aus Paderborn ist auf Besuch.
KAPLAN: stürmisch fragend Der berühmte Gelehrte??
NACHTWÄCHTER: Gelehrte? Rabbi ist er!! Der Vatter von Madame. Der Nachtwächter setzt das Horn an die Lippen. Kaplan erinnert ihn, seine Kinder nicht aufzuwecken.
NACHTWÄCHTER: Eck blas jo schofa – Ihm zu Ehren. Er bläst ganz heiser.
DIE STIMME DES WANDERBURSCHEN: flötend, wie auf einer Syrinx Tekia! … Schewarim! … Terua!
NACHTWÄCHTER: zum Kaplan Eck hab mir doch nicht geirrt … sie lauschen beide: Kaplan und Nachtwächter Komm heraus aus dem hohlen Baumstamm, Nathanael! Er bläst nochmal ganz heiser.
KAPLAN: Aber was weiss er vom Schofablasen?
NACHTWÄCHTER: ausflüchtend Eck versteh eben auf katholisch zu blasen und – – anders.
KAPLAN: Und weiss er auch, warum im Synagogentempel Schofa geblasen wird?
NACHTWÄCHTER: Weiss et der Herr Kaplan justement?
KAPLAN: Um das neue Jahr anzulocken, Altmann.
NACHTWÄCHTER: Jo! … er bläst wieder rauh, aber milde ins Horn und dann den Kaplan examinierend Und dat olle Jahr – wohin dat nu?
Kaplan hebt ironisch lächelnd fragend die Schultern.
NACHTWÄCHTER: Die Katholischen, mit Fürlaub, zählen die Zeit erst vom Christi Geburt an, aber wir – ich meine die Juden müssen immer wieder dat olle Jahr transportieren durch die Sintflut mang bis nach Weltenanfang.
KAPLAN: Er versteht sich ja excellent in der Weltgeschichte!
NACHTWÄCHTER: Und dann erscht locken wir – ich meine die Juden – dat neue Jahr heran, wenn dat abgenutzte heimgekehrt ist belehrend in die Ursprünglichkeit.
KAPLAN: Und wer hat ihm dann das Schofablasen beigebracht?
NACHTWÄCHTER: ausflüchtend Eck versteh katholisch und – und anders zu blasen.
KAPLAN: heimlich lächelnd Ist er etwa doch ein Jude? Denk er mal nach …
NACHTWÄCHTER: Ein halbwüchsiger schon – vom Vatter her, aber minne Mutter – – war eine Nonne für sich Dat kommt von dat viele Schwätzen noch im Dunkeln, wo man kaum dat Maul findet.
KAPLAN: Schämt er sich denn seines alten Glaubens, Altmann?
NACHTWÄCHTER: Eck mir nich, ehrwürdiger Herr Kaplan, aber die Katholischen schämen sich – meiner – und deswegen blas ich katholisch und wenn Er zeigt nach oben zum Gutshause auf Besuch ist, für Ihn jüdisch.
KAPLAN: Plagt ihn diese Verzwicktheit nicht immerhin in seinem Mannesadel?
NACHTWÄCHTER: Den muss man ablegen! So een Dünkel kann ein Tagelöhner, verbessert sich ein einfacher Nachtwächter, sich verdeck nicht leisten.
KAPLAN: nachdenklich, gütig und mitleidig Dein Geheimnis bleibt unter uns Männern, Altmann. Stoss er getrost nach Gutdünken weiter ins Horn, doch setz’ ers mir fürder nicht auf.
NACHTWÄCHTER: Für Herrn Kaplan hat Altmann immer ein Faible gehabt – blickt jäh empor zu einem der Fenster, das geöffnet wird Een Moment – een kleenen Moment – kleensten Moment – und denn bring eck Herrn Kaplan in die Klappe und blas ihm ein.
KAPLAN: Mich?
NACHTWÄCHTER: lässt kein Auge von oben In letzter Zeit treiben sich Nachtühlen auf den Pfaden umher.
Kaplan streckt dem Nachtwächter seinen kräftigen Arm entgegen.
NACHTWÄCHTER: Stille eens! Sch! spricht abwesend weiter Soll Ihnen mal so ein Nachtgespenst –
KAPLAN: bemerkt Jungfer Fanny oben im Fensterrahmen und verhindert den Nachtwächter immer wieder, nach oben zu schauen Ich bin doch noch jung.
Nachtwächter in Verwirrung.
KAPLAN: Schau er doch! Hält seinen Arm unter seine Nase.
NACHTWÄCHTER: zerstreut Dat wundert mich verdeck bei däm Futter! Excüs, Herr Kaplan, aber auf der gelehrten Schul wird doch nur Gelehrsamkeit geschluckt.
Jungfer Fanny lehnt aus dem Fenster zwischen blumigen Gardinen. Der Kaplan spielt weiter den Uninteressierten.
KAPLAN: Die kräftigt grad den Mann!
NACHTWÄCHTER: überhört die Antwort, in Exstase Die Fanny!! blickt intensiv zum Fenster empor Mit dem sauberen Frauenzimmer hätt sich Altmann verehelicht, wenn er ein Chevalier geworden wär.
KAPLAN: Wie?
NACHTWÄCHTER: Die Fanny ist die Älteste von den Schwestern. andächtig süsslich Nu trällert die Lerche in die Nacht hinaus … Er hält die Hand hinters Ohr. Kaplan blickt ironisch lächelnd empor.
NACHTWÄCHTER: etwas eifersüchtig, den Kaplan bemusternd Die wär ooch wat man für Euch gewesen. lauernd Aber die Kaplans müssen keusch leben, wat?
KAPLAN: streng zurückweisend Altmann!!
Fanny verlässt das Fenster.
NACHTWÄCHTER: Excüse, hochwürdiger Herr Kaplan! Kleine Pause. 23 Kinder und einen Enkelsohn und einen Kaffeepott schmauste die Gemeinde heit am Nachmittag beisammen auf dem Rasen.
KAPLAN: Wann ruht er dann eigentlich von der Nacht aus?
NACHTWÄCHTER: Der Moritz und ich sind aus einer der selbigen Geburtsstadt, darum legt er immer noch zu meinem kargen Lohn bei.
Kaplan anerkennend.
NACHTWÄCHTER: Nur der Simeon, der Zweite von vorne gezählt, darf es nicht sehen. Der Nachtwächter lässt keinen Blick vom obigen Fenster. Sie ist wieder weg!! Eenmal kömmt sie, eenmal geht sie – –
KAPLAN: Der Gutsbesitzer Schüler soll ein grosszügiger biederer Mann sein!
NACHTWÄCHTER: Im grossen ganzen schon – darum schlof eck auch so gern vor seiner Pforte. Guckt verstohlen wieder nach oben. Und erst die Henriette, sein ehelich Weib – leiernd so rundlich und mundlich mit däm goldenen Mond geil da droben im Wolkenbett. Der Nachtwächter lässt sich wieder auf dem Grenzstein nieder. Oder wollen der Herr Kaplan sich gefälligst plazieren?
Fanny erkennt den Kaplan, lehnt sich weit aus dem Fenster. Man sieht, wie ihre Hand rücklings ein helles Tuch ergreift, das sie um ihre Schultern kokett legt. Sie wirft eine Rose über den Garten, die aber im Dorn des Zaunes hängen bleibt. Der Kaplan ergreift sie. Der Nachtwächter bemerkte den Vorgang nicht.
KAPLAN: mit absichtlich vernehmbarer Stimme und beherrscht zum Nachtwächter Erfrischen Sie sich, Altmann, den Rest der Nacht an dem Duft.
NACHTWÄCHTER: Wo kam die her?
Fanny schliesst hörbar ihr Fenster.
NACHTWÄCHTER: enttäuscht Jetzt is sie wieder weg von der Bühne – und sie kommt heute nicht wieder! Wat hat se nur auf eenmal? Se kommt, sie geht, sie kommt, sie geht, wat hat se nur auf eenmal?
Kaplan angewidert durch des Nachtwächters Vertraulichkeit. Er ist im Begriff, weiterzugehen, der Nachtwächter ihm zögernd nach.
NACHTWÄCHTER: bleibt wieder etwas stehen 23 Kinder hat er zu füttern der Moritz, aus einer Kasse und die mannigfachen Gäste und Gastgemälde! gehen beide weiter Zuerst wurde ihm der Menachem Heinrich geschenkt. Er ist sing Erstgeborener! Ein fertiger Gutsbesitzer lag der Kronprinz in den Wiegen. Dann kam der Simeon er leiert die Namen wie ein Schuljunge herunter der Julius, die Fanny, die Katharine, die Elise, der Berthold, der Alex, der hats auf der Brust; der Ferdinand, August, die Dora, die Eleonore, der Albert, die Bettina, der Arthur Aronimus, die Margarete, das Lenchen der Kaplan zählt die Namen der Karl, dat Mäxken sing Augapfel, die Zwillingsmetas wie zwei Zuckerpüppkens! Dat kleine Meierchen, und zuguterletzt – die Titi.
KAPLAN: Na, den Vers hat er aber tadellos auswendig gelernt.
NACHTWÄCHTER: Was soll ich in der Nacht weiter tun?
KAPLAN: Nun ja, ein schöner Strauss von Namen.
NACHTWÄCHTER: Aber das Fünfzehnte von den Kindern, Unkraut vergeht nicht, der Arthur Aronimus, der will nich so wie Er gern will.
KAPLAN: Wie meint er das?
NACHTWÄCHTER: Der Jung ist doch gestern in einer Papierbuchse aus unserem Käseblättchen geschnitten, auf Prells Esel durch Hexengaesecke geritten und seine beiden Taugenichtse von Schulkameraden, der Willy und der Caspar heissen sie, hinter ihm her, dat Faultier anzufeuern.
KAPLAN: Köstlich!
NACHTWÄCHTER: Aber den Vater hätten Sie resonieren hören müssen, Herr Kaplan, als der verflixte kleine Kerl mit den Annoncen am Allerwertesten nach Hause geschlichen kam. Der Nachtwächter setzt noch einmal das Horn an die Lippen und bläst heiser hinein.
DIE STIMME DES NATHANAELS: neckisch Tekia! Schewarim … Triller Terua!
NACHTWÄCHTER: Komm heraus aus dem alten Brunnen, oller Ziegenbock! Beide, der Kaplan und der Nachtwächter, biegen um die Landstrasse ein zum Katholischen Kirchplatz zu. Alles ganz ruhig. Es läutet eins vom Kirchturm.
2. Bild
In Paderborn im kleinen Synagogengarten ruht auf einer schlichten Bank der Landespriester Rabbiner Uriel von Rheinland und Westfalen.
Personen: eine kleine Abordnung von Grosskaufleuten; 1., 2., 3., 4. Grosskaufmann; der Rosenkreuzler und Astrologe August Friedrich Kern; sein 16jähriger Sohn; der Diener des Rabbunis: Ephraim; der Kantor; Arthur Aronimus und Lenchen.
Rabbi Uriel hält still seine feinen Hände übereinandergelegt im Schoss. Seine Lippen bewegen sich noch andächtig wie im Gebet.
EPHRAIM: deutet auf die Schar der Männer vor dem Gitter des Gärtchens Sie lassen sich nicht bescheiden, Rabbi.
RABBI: sanft Und warum auch? Der Rabbi ladet mit gastlicher Gebärde die vor dem Tore wartenden Männer ein, einzutreten.
EPHRAIM: Ich sah des Rabbis Seele noch am Gottesdienste hangen …
Die Männer verharren in pietätvoller Entfernung vor dem Hohen Priester. Einer der Kaufleute beginnt zu sprechen.
1. KAUFMANN: Rabbi, wir sind in aller Herrgottsfrühe aufgebrochen, ein jeglicher aus seiner Stadt und alle doch aus gleichem Anlass.
2. KAUFMANN: Und legten unsern Flug in des Allmächt’gen Hand.
3. KAUFMANN: Wie grosse Wandervögel –
4. KAUFMANN: Gönnten wir uns keine Rast.
KERN: Schloss mich den Juden an, Ehrwürdiger Priester, legt den Arm um seinen Sohn ich und mein Sohn.
4. KAUFMANN: Er ist August Friedrich Kern, der Rosenkreuzler und weltberühmte Astrologe.
Rabbi klatscht stumm Beifall.
ALLE KAUFLEUTE: zusammen Den Rest der Abende vertieft er sich mit uns im Studium der Kabala.
DER ALTE KERN: neigt sich vor dem Rabbi Es steht geschrieben: Simeon Ben Jochay verletzte sich. – Zwei von den Heiligen Gottes verbrannten an der Erkenntnis überirdischem Licht. – Nur Rabbi Ben Akiba kehrte aus dem geistigen Paradies der Kabala heil zurück.
Alle murmeln einen frommen hebräischen Spruch. Rabbi wiederholt den Spruch, küsst sodann die Fingerspitzen seiner Hände den Männern zum Gruss. Er winkt Ephraim, die sich an der Mauer befindende zweite Bank für die Gäste herbeizuholen. Der junge Kern ist ihm behilflich. Alle setzen sich nebeneinander gegenüber vom Rabbi.
RABBI: nach einer Pause Was begehren die lieben Pilger von mir?
KERN: Nehmt Euren Einfluss wahr im Parlament Gewaltiger in Jsrael.
2. KAUFMANN: auf Kern deutend Ihn trieb mit uns zu Euch die nahende Gefahr.
3. KAUFMANN: Die unserem Volke dräut.
1. KAUFMANN: gläubig Euer Flehen, Rabbi Uriel, erreicht das Ohr des Ewigen.
3. KAUFMANN: Bis in seinen Himmeln.
ALLE: Amen!
Aus der Synagoge ertönt die Schlussstrophe der Feier. Der Rabbi weist auf die Kuppel der Synagoge.
RABBI: Das Sch’ma Jisroel bewegt noch innig meine Lippe, die tröstete die gottesfürchtigen Juden in Paderborn; noch weht ein frommes Säuseln über mein altes Priesterherz.
Die Männer beugen ihr Angesicht vor dem Rabbi.
1. KAUFMANN: gläubig Gewaltiger!
2. KAUFMANN: Du Falke!
3. KAUFMANN: zum alten Kern Um den Sinai streift sein Sinn.
4. KAUFMANN: Reisse an Gottes Gewandung!
Der junge Kern will etwas bemerken, aber sein Vater deutet ihm zu schweigen. Der Rabbi bemerkt den Vorgang.
RABBI: Nun, Knabe, mit welcher frommen Näscherei gedachtest du den alten Rabbi zu beglücken?
DER JUNGE KERN: herb Der Vater fürchtet recht. Mein Wort scheint ihm zu kindisch noch für Euren Tisch.
RABBI: Und doch sehnt sich Uriels arg geplündert Rabbiherz nicht nach eitelem Tand, doch mit kindischem Spiel behangen zu werden.
Der junge Kern naht dem Rabbi und küsst ihn auf die Wange.
RABBI: klatscht in seine Hände, und dann zu Ephraim Sage Du es ihnen, Ephraim, was der Rabbi ist – sag?
EPHRAIM: Der Rabbi ist –
RABBI: Sag!
KERN: Das Sch’ma in Jsrael.
EPHRAIM: zögernd Der Rabbi ist ein Kind.
Der Kantor tritt in das Gärtchen, da sein Winken Ephraim nicht bemerkt, tritt er behutsam hinter die Bank des Rabbis und flüstert Ephraim etwas ins Ohr. Ab.
EPHRAIM: Der Rabbi ist ein Kind, ich muss den Rabbi täglich zwei dreimal daran erinnern: »Der Rabbi ist ein Kind.« Morgens, wenn der Rabbi sich erhebt: »Der Rabbi ist ein Kind!« Und Abends, wenn der Rabbi sich zur Ruhe legt: »Der Rabbi ist ein Kind!« Und wieder muss ich es dem Rabbi sagen: »Der Rabbi ist ein Kind.«
KERN: Fürwahr, ein heiliges Kind in Israel, so ein rechtes Urkind dünkt der Rabbi mich, ein schlichtes aus den Sternen – auf unsere eitle Welt gefallenes.
1. KAUFMANN: gläubig Ein Sternenkind! – Darum leuchtet er auch.
2. KAUFMANN: Der Rabbuni!
3. KAUFMANN: Und Sein Angesicht entdunkelt die Wirrnis!
1. KAUFMANN: beugt sich vor dem Rabbi in die Knie Rabbi Uriel!
Pause.
4. KAUFMANN: Zu den Männern energisch Le temps s’enflui!
2. KAUFMANN: zum vierten Kaufmann Beginne!
Rabbi er bewegt den Kopf, die Männer auffordernd, zu beginnen.
4. KAUFMANN: leidenschaftlich Unsere Töchter wird man verbrennen auf Scheiterhaufen!
2. KAUFMANN: Nach mittelalterlichem Vorbild.
3. KAUFMANN: Und Greueln.
1. KAUFMANN: Der Hexenglauben ist auferstanden.
3. KAUFMANN: Aus dem Schutt der Jahrhunderte.
2. KAUFMANN: Die Flamme wird unsere unschuldigen jüdischen Schwestern verzehren.
1. KAUFMANN: fragend Und ihre Seelen verhindern zu Gott zu steigen? Rabbi?
ALTER KERN: Wohl erheben sich aufgeklärte Mönche, etliche und predigen von der Kanzel der Kirchen und ermahnen die vom Teufel gebissene westfälische Christenheit.
2. KAUFMANN: Was vermag ein Hirte und wären es etliche Wächter gegen eine bissige Herde!
RABBI: erhebt sich, gewaltig Moses ward ein Volk und sein Arm schlug die verblendeten Philister.
Pause.
4. KAUFMANN: Von Stunde zu Stunde verstärkt sich die Gehässigkeit der Christen gegen uns Juden namentlich in den Dörfern und Flecken Westfalens.
3. KAUFMANN: Kein Judenhaus, das nicht gezeichnet ist mit dem Blut der Tochter.
4. KAUFMANN: ungeduldig Was gedenkt der Rabbi zu unternehmen? Die Tage sind gehetzt und die Nächte ruhelos.
KERN: Wie der Jude, so respektiert den Landespriester von Rheinland und Westfalen auch der Christ.
2. KAUFMANN: Eure Stimme geht ins Blut, Rabbi.
1. KAUFMANN: Euer Wort stärkt den vom Weg Geirrten, Rabbi.
Rabbi nachsinnend.
DER JUNGE KERN: Wir Rosenkreuzler erzählen uns von des Rabbis Wundertaten.
1. KAUFMANN: gläubig Das will ich meinen. Er legt die Hand auf sein Herz. Hoffnung ist eingezogen schon bei des Rabbis Anblick und Friede …
DER JUNGE KERN: lauschend begierig Rabbi Uriel könne sein Herz nehmen aus der Brust und seinen roten Zeiger nach Gottosten stellen? – –
RABBI: stark Ich konferierte im Parlament mit dem Erzbischof Lavater von Paderborn.
Ephraim bejaht des Rabbis Worte mit dem Kopf.
4. KAUFMANN: ungeduldig und hart Das Resultat?
EPHRAIM: glättet liebreich des Rabbis Bart. Plötzlich ringen sich folgende starke Worte aus seinem Munde Er fastete die ganze Woche, der Rabbi, doch seine heilige Stimme brüllte durch die aufgeworfenen gleichgültigen Gepflogenheiten aufwirbelnd durch die hohe Räumlichkeit des Parlaments.
RABBI: betrachtet lange seinen Diener und dann stark Denn mich erfüllte nur der einzige einige Gedanke, wie helfe ich meinem gequälten Volk.
KERN: bescheiden Man sagt Lavater nach: er, ein fanatischer Katholik.
RABBI Ein heiterer sympathischer Kirchenfürst ist er auf lichten Wegen.
ALLE: begierig Und seine Antwort an Israel?
RABBI: Er legt der Verirrung seiner Christenheit keine weitere Bedeutung bei.
4. KAUFMANN: Wie? Und die Gefahr, an der die verehrungswürdige alte Seele Israels wieder zu ergrauen droht.
2. KAUFMANN: Ihm nur ein Thema?
RABBI: bejaht Eine auferstandene Klamotte!
4. KAUFMANN: sarkastisch Mit Teufelsöhrlein und Schwänzlein schwach auf den Beinen noch eben lebensfähig, verdrängt zu werden von der nahenden Weihnachtszeit.
JUNGER KERN: Mit Teufelsöhrlein und Schwänzlein, ha, ha.
Der alte Kern ermahnt ihn, sich ruhig zu verhalten.
RABBI: Aus des Kirchenfürsten quellendem Wesen schöpfte ich, Euer Rabbi, Redlichkeit! Euch, meine lieben Männer zum Trost.
3. KAUFMANN: Und wie verhält sich unser grosser Rabbi Eigens zu dem Trost, den ihm der Kirchenfürst gespendet?
4. KAUFMANN: überlegen Dem auferstandenen Souvenir von anno Sechzehnhundert …
RABBI: Wie er mir gereicht ward, mein lieber Freund.
4. KAUFMANN: überlegen Und fühlt sich unser Rabbi von der Hostie so gestärkt?
RABBI: streng Auch alte Kinder lieben nicht das an sie gerichtete geklügelte Wort.
4. Kaufmann verneigt sich betroffen.
RABBI: Mich dünkt, der Erzbischof kennt seine Kinder.
Der Kantor winkt Ephraim, an das Gitter des Gärtchens zu kommen und gestikuliert. Gespräch geht weiter.
KANTOR: Ich kann die Kinder nicht wach kriegen.
1. KAUFMANN: gläubig Wie der Rabbi uns, die Kinder Jsraels Er ermahnt mit dem Finger die übrigen Männer.
Pause. Der Rabbi reckt mächtig seine Arme zum Himmel empor.
RABBI: gewaltig Der Einige, Einzige Gott über uns. Er prüfte seines Knechtes opferwilliges Herz.
Die Männer erheben sich, beugen sich erschüttert vor dem Rabbi und verlassen ihn hintereinander einzeln, sich noch einmal an der Pforte des Gartens verbeugend.
EPHRAIM: legt dem Rabbi das abgeglittene Synagogentuch wieder um seine Schultern und sagt zu ihm Zwei Kinder sagt der Kantor schlummern auf der hinteren Bank im Gotteshaus.
RABBI: Kümmere Dich um sie, Ephraim, Dein Abba findet schon allein in seinen Bau.
Ephraim aber führt den Rabbi ins Haus, kehrt eilend um, durch den Garten in die Synagoge. Es wird immer finsterer.
3. Bild
Im kleinen Sitzungsraum des Landesrabbiners Uriel von Rheinland und Westfalen. Ein langer, schwerer Tisch, um ihn hohe Stühle. Auf einem der Stühle sitzt der Rabbi in sich versunken. Mit dem Rücken zu der Türe, die zu seiner Privatstube führt. Auf dem Tisch steht der Sabbathleuchter mit brennenden Kerzen. An der Wand hängt ein sehr grosses Familienbild seiner Tochter Henriette mit ihrem Gatten und den sämtlichen Kindern: 23.
Personen: der Rabbi; Ephraim, sein Diener; Arthur Aronymus; Lenchen; der Todesengel.
EPHRAIM: Er tritt von der angrenzenden Wohnstube in den kleinen Sitzungsraum. Man sieht, bevor er die Türe schliesst, die beiden Kinder zwischen Sitzungsraum und Stube stehen. Ephraim ermahnt sie, zurück in die Stube zu gehen. Grossväterlein ist gleich wieder auf der Erden. Esset artig in der Zeit euren Griessbrei. Er schliesst leise die Tür, tritt nah an den Rabbi heran. Er ist sehr erschrocken über des Rabbis Blässe. Die lange Unterhaltung nach dem Gottesdienste hat den Rabbi angestrengt. Kleine Pause; Ephraim bemerkt mit Erstaunen eine verschwindende Gestalt. Ich liess den Bettler nicht herein.
Ohne die Türe zu öffnen, verschwindet die Gestalt, als ob sie durch das Holz der Türe tritt aus dem Raum.
EPHRAIM: Sch’ma.
RABBI: Er war kein Bettler Ephraim, er war der Todesbote des Ewigen.
EPHRAIM: erstarrt Sch’ma Jisroel … Er eilt in das Nebengemach des Rabbis und man hört verschwommen wie die Kinder fragen.
DIE KINDER: Ist Grossväterlein schon wieder auf der Erden?
Ephraim tritt wieder in den Sitzungsraum.
RABBI: Sahst du ihn auch, den Todesboten des Herrn, Ephraim?
EPHRAIM: benommen Dein Diener Ephraim – träumte – – –
RABBI: Du warst mir mehr wie mein Diener, mein Ephraim, mein, und nur aus Schonung für den treuen Freund verheimlichte ich er streichelt die Hände Ephraims was geschah.
Ephraim lauscht ganz hingegeben.
RABBI: verklärt und stark zu gleicher Zeit Wir kamen aus dem Parlament, als mir der Ewige den Todesengel sandte.
EPHRAIM: Frühzeitig verliessen wir das weisse, grosse Haus: Der Landesrabbiner von Rheinland und Westfalen und Sein Diener.
RABBI: Und nahmen unser schlichtes Mahl; doch als es dunkelte, hülltest Du, mein treuer Freund, liebreich des Rabbis Leib in Feierseide; glättetest der weissen Gewandung fromme Haut.
Ephraim lächelt und küsst den Saum des Gebettuches des Rabbis.
RABBI: wiegt den Oberkörper hingebend Herr Zebaoth forderte von seinem Knecht den Liebling unter seinen Enkeln …
EPHRAIM: erhebt sich tief erschrocken, öffnet behutsam die Tür zur angrenzenden Stube und sagt zu den Kindern leise Grossväterlein ist gleich wieder auf der Erden.
RABBI: Mit der geliebtesten, lebendigen Gabe, gedachte der Herr, seines Knechtes opferwilliges Herz in Israel zu prüfen.
Ephraim hält seine Arme behütend erhoben.
RABBI: Und all mein Flehen, sich mit seines Knechtes Seele zu begnügen – erbarme Dich, Zebaoth!! – Glitt ab von der Majestät des Herrn wie der Staub von seines dunklen Engels Flügelpaar. Plötzlich erhebt sich der Rabbi mit gewaltiger Gebärde. Da betrog ich den Ewigen, unsern Gott!
Ephraim entsetzt.
RABBI: Ich pries in glühender Extase von den Enkeln den Kränklichen dem Heiligen Engel, den Sechsten unter den Dreiundzwanzig, dessen Seele ein Sommerfädchen, zart geknüpft an unserer Erdenwelt, doch von jedem Wehen in den Lüften angefeindet, dem Dasein schon zu entzittern droht.
EPHRAIM: angstvoll und schüchtern Gab sich der Bote des Herrn zufrieden, Rabbi?
RABBI: Sein schwerer Flügelschlag erschreckte mich, Dein Rabbi bebte …
EPHRAIM: Er hält beide Hände weit gespreizt von sich. Und?
RABBI: Er zeihete mich des Betrugs an Adonay!
EPHRAIM: gläubig Nur der Teufel wagt es, den Rabbi des Betrugs zu zeihen. Der Teufel wars auf Engelsfittichen.
RABBI: Auch du, Ephraim glaubst an diese unwürdige Macht!
Ephraim küsst reuevoll die Hand des Rabbis.
RABBI: Ich kämpfte mit dem greisen Engel in Rätseln den Rest der Nacht.
EPHRAIM: spricht wie in einer Ballade Darum bluteten des Rabbis Lippen in der Frühe.
RABBI: schliesst die Augen überwältigt, angedenkens der Stunde Ich feilschte mit Ihm; … der Rabbi, des geschlagenen Israels, ein Menschenhändler mit dem Käufer!: »Genüge Dich an meiner Seele, wirf die Gequälte in die Scheol. Doch pflücke die lachende rote Beere, noch unschuldig und ungegoren am Zweige heiter pochend, von meinem Stamme nicht.«
EPHRAIM: Amen.
Kleine Pause.
RABBI: flehend »Nimm meinen erstgeborenen Enkel für den Knaben hin, Menachem, den gottesfürchtigen Landmann! Bescheide dich mit Simeon Morderchei! Nimm Julius Ahasveros! Nimm Fanny, die Blume der westfälischen Flur …! Nimm Katharina, ihres Vaters Stolz! Nimm Elise! Berthold, den frischen Jüngling! Nimm Ferdinand! Nimm Dora, die noch halbwüchsige Maid! Augustus! Eleonore! Albert! Bettina! Margarete nimm!! Nimm die Zwillinge, zwei Mandelkerne zum Verwechseln in ihrer goldenen Hülle! Nimm!!! Das sanfte Lenchen, trag es hin zu Gott! Nimm Carl! Max, des Vaters Augapfel … Bescheide dich mit Meierlein! Ja, nimm von seiner Mutter Schoss das kleinste Kindlein – eben geboren, – dringender, fast aufschreiend Nur lasse ab von ihm, Arthur Aronymus, dem Liebling meines Herzens!« …
Ephraim trocknet die feuchten Augen und Wangen seines Rabbis.
ARTHUR ARONYMUS: aus der Nebenstube Grossväterlein! Er trampelt etwas ungeduldig.
LENCHEN: Grossväterlein!
EPHRAIM: beglückt über das plötzliche Aufleuchten seines Rabbis Die Beiden warens, die da schlummerten im Synagogentempel.
Der Todesengel ist für den Rabbi ganz kurz sichtbar. Er beugt sich über ihn, steht hinter seinem Stuhl. Über des Rabbis Antlitz schimmert eine Beseeligung, denn der Engel flüsterte dem Rabbi eine seelige Botschaft ins Ohr.
EPHRAIM: Sie werden ihr Grossväterlein zerstreuen.
RABBI: noch trunken von den Worten des Engels Wie? –
EPHRAIM: Die Kinder!
RABBI: lächelt matt, klatscht leise in die Hände, die Kinder springen in den Sitzungsraum, Rabbi beugt sich sehr ermattet über die Kinder Wo kommt ihr her?
ARTHUR ARONYMUS: im singenden Tone wie der Rabbi Von Hexengaesecke!
LENCHEN: im selben Tone Von Hexengaesecke!
RABBI: Und Eure liebe Mutter?
ARTHUR ARONYMUS: fröhlich Wir setzten uns mit Hut und Rock, hühott, zum Postillone auf den Bock.
RABBI: Er liebkost die Kinder. Ihr kleinen Ausreisser!
ARTHUR ARONYMUS: Grossväterlein!
LENCHEN: Grossväterleinlein!
Ephraim setzt die Kinder auf des Rabbis rechtes und linkes Knie.
RABBI: Und Eure liebe Mutter, weiss sie von Eurer Reise?
ARTHUR ARONYMUS: ausflüchtend Mutter sagt: Pass auf, auf Lenchen!
RABBI: zu Ephraim Frag Du die Kinder. Des Rabbis Kopf sinkt müde in den Sessel zurück.
EPHRAIM: betonend Passt fleissig auf, was Euch Ephraim fragt: Weiss Euer Mütterlein, dass ihr in der Postkutsche von Gaesecke nach Paderborn gereist seid zum Grossväterlein Rabbi?
ARTHUR ARONYMUS: Es war so hell!
RABBI: etwas ungeduldig Weiss Euer Mütterchen davon?
EPHRAIM: Wer sandte Euch?
RABBI: aufatmend Der Allmächtige – noch einmal seinen Knecht mit dem Anblick des Knaben zu erfreuen.
Ephraim verneigt sich tief.
ARTHUR ARONYMUS: sich aus der ernsten, seltsamen Situation zu befreien, imitiert er seinen Vater Der Herr Vater sagte zur Mutter: Der Rabbi in Paderborn verdirbt an seiner Erziehung an einem Tage mehr wie ich mir Mühe gebe, ihn zu einem Menschen zu machen schon 8 Jahre lang.
Rabbi und Ephraim lächeln.
EPHRAIM: zum Rabbi Er fürchtet, sein Grossväterlein sende ihn mit dem Schwesterlein wieder heim nach Gaesecke. Ist es so Arthur Aronymus?
ARTHUR ARONYMUS: frisch Präzise.
RABBI: Ihr Ausreisser, Ihr. küsst die beiden Kinder und wiegt sie müde auf den Knien
ARTHUR ARONYMUS: umhalst den Rabbi stürmisch, ebenfalls Lenchen den Grossvater Wir wollten Grossväterlein was von der Dora fragen. Ist sie wirklich eine Hexe?
RABBI: gequält Wer sagte das Euch?
ARTHUR U. LENCHEN: Sie soll verbrannt werden.
RABBI: Sch’ma Jisroel! – Und Eure Mutter verheimlichte mir diese ungeheure Gefahr?
EPHRAIM: zu sich selbst Es regnet wahrlich Feuer heute auf den Rabbi.
RABBI: zu Ephraim Und nun verstehe ich den kleinen mutigen Reisenden, meinen Liebling Arthur Aronymus, was ihn zum Grossväterlein drängte.
ARTHUR ARONYMUS: sehr drollig Eigentlich weil et so jemütlech bi deck is, wie beem Vatter Abraham. Er umarmt wiederum stürmisch den Rabbi. Rabbi U. Ephraim lächeln.
LENCHEN: Die Dora hat ’nen Veitstanz.
RABBI: leise zu Ephraim Eine verbreitete Entwicklungskrankheit.
ARTHUR: Ach, ömmer de Dora!
EPHRAIM: misstrauisch Ob der Wildfang nicht gar versuchte, nur Grossväterlein einen kleinen Streich zu spielen mit der Hexerei?
RABBI: So alt und besonnen ist er doch, bei all seiner Streichlust, um zu wissen, dass diese Schmerzenskunde Grossväterleins Herz und Nieren zerreissen könnte!
ARTHUR ARONYMUS: fängt laut an zu heulen Die Hexen sitten alleman op dän Tierhecken in die Neit. Auf dem Kalb sitzt immer eine ganz dicke mit Glotzaugen, ich hab se selber Lenchen gezeigt, wat Lenchen?
LENCHEN: nickt bedeutungsvoll So eine dicke. Sie zieht einen Kreis in der Luft.
ARTHUR ARONYMUS: Und auf dem Hirsch sitten oft zwei bis drei Stück zusammen und fressen sein Blattgeweih auf.
Beide Kinder stürmisch lachend.
LENCHEN: Und Grossväterleinlein, auf dem grossen Hahn aus Rotdorn hat doch in der Früh, als ich mich mit Arthur Aronymus auf den Weg zur Postkutsche machte, eine Hexe gesessen, die hat gewackelt wie unsere Dora.
RABBI: zu Ephraim Wie dieser Aberglauben die Phantasie der Kinder vergiftet. zu sich selbst Und Lavater legte der Verirrung keine Bedeutung bei?
EPHRAIM: seinen Rabbi zu zerstreuen, zu Arthur Aronymus Aber verbrochen hat der kleine Schelm doch sicher etwas im Gutshause? zu Lenchen Erzähle Du’s dem Grossväterleinlein und dem Ephraim.
LENCHEN: blickt fragend auf Arthur Aronymus Er springt immer mit dem Lehm an den Schuhen in Mutter ihre Stube und plums in ihren Nähkorb, dass die Garne nur so rieseln.
EPHRAIM: Und was noch?
LENCHEN: Und einen Turm für uns beide hat Arthur Aronymus gebaut und ihn auf das Blumenbrett vor seinem Fenster gestellt.
ARTHUR ARONYMUS: Denn später will ich Lenchen freien, dass sie nicht an einen gelehrten Mann kommt.
LENCHEN: Und als der Herr Vater vorbeikam, fiel ihm ein Klotz hoch von oben auf seinen frisch gebürsteten –
ARTHUR ARONYMUS: Schornstein!
LENCHEN: Da bekam er von Herrn Vater eine Strafarbeit. Hundertmal sollte er schreiben: »Ich bitte den Herrn Vater um Excüs!« Und das war ihm zu langweilig!
EPHRAIM: Und da seid Ihr beide ausgerückt, ihr zwei Schelme!
RABBI: zu Ephraim Es geschah nach dem Willen des Herrn.
ARTHUR ARONYMUS: Präzise! Und später wohnen ich und Lenchen in meinem Turm in den Wolken, – und regnen immer!
EPHRAIM: Lasset die Kindlein nicht mehr von Euch fort, Abba.
Hinter dem hohen Stuhl des Rabbi ist der Todesengel für den Rabbi wieder sichtbar. Die Augen des Rabbis stehen plötzlich fern. Er presst den Knaben an sich und segnet ihn.
ARTHUR ARONYMUS: sich aus dem Ernst der Handlung zu befreien, springt in die Mitte des Zimmers auf den Teppich, Lenchen hinter ihm her. Sie fassen sich an die Hände, bilden einen kleinen Kreis, hüpfen und tanzen und singen das Hexenliedchen Maria, Josef, et läutet so heiss … etc.
Rabbi bewegt über dieses Lied. Ephraim im Begriff die Kinder zu hindern, weiterzusingen.
RABBI: leise Störe sie nicht … Auch das Böse dient dem Kinde zur Anmut des Spieles.
EPHRAIM: Ich lege sie beide in der Wohnstube aufs Kanapee schlafen.
RABBI: Vorher reiche mir unsere teure Thora.
Ephraim entnimmt einem Fach der Wand die Thora.
RABBI: lächelnd Wie meinte Kern? Dem »Urkind« – – – das ewige Kind. Der Rabbi umschlingt innig die Thora. Allmächtiger Gott, so wie ich Deine Thora betreue, lasse leuchten dein Angesicht über Arthur Aronymus, meinen Liebling.
Arthur Aronymus bemerkt den Todesengel, den er vorher schon unbewusst beim Spiel hinter dem Stuhl seines Grossväterleins erblickte; er reisst sich jäh von der Hand Ephraims los, bleibt gehemmt vor der Türe des Sitzungssaals stehen, mit geöffneten Lippen – –
EPHRAIM: ahnungslos zu den Kindern, auf den Rabbi weisend, der die Augen geschlossen hält Nun stört Euer Grossväterlein nicht in seinem Schlummer!
Alle drei gehen in die Wohnstube.
RABBI: Herr Zebaoth hat Seinen Knecht erhört … Der Rabbi ist gestorben.
4. Bild
Auf dem katholischen Kirchplatz hinten steht die zweitürmige Kirche. Neben der Kirche ein kleines Gebäude, darin der Kaplan Bernard Michalski wohnt. Tannenbäume für das nahende Weihnachtsfest stehen auf dem Markt, ebenfalls kleine Buden mit Weihnachtsschmuck und Allerhand. Schulkinder tummeln sich und schlittern über den zugefrorenen Boden des Marktes. Sie tragen Ranzen auf den Rücken. Arme jüdische Männer aus Westfalen, unter ihnen der galizische Hausierer: Lämmle Zilinsky. Seine Hände hängen wie beim aufrechtstehenden Lamm herab. Die drei Jungen: Arthur Aronimus, Willy Himmel und der Kaspar werfen ihre Schulranzen vom Rücken, ziehen Kreise und spielen Heuer (Murmeln).
Personen: der Kaplan; der Hausierer: Lämmle Zilinsky aus Galizien; jüdische arme Männer aus Westfalen; der Christbaumverkäufer; Arthur Aronymus; Willy Himmel; Caspar; Fräulein Paderstein.
WILLY: Wenn ich heute den dicken (Heuer) gewinne, kriegst du’n aber nicht wieder, dat sag’ ich dir!
CASPAR: Ob ihn Dir die Fanny oder euer Lenchen geschenkt hat.
ARTHUR ARONYMUS: Ihr Köllner Hännesken!
WILLY: Also wacker ens!
Alle Drei stehen tief gebückt über den Marktboden.
CASPAR: Beinahe hätt eck ihn gewonnen; zu Willy wat stösst du mich auch immer?
WILLY: zeigt frech auf den armen Hausierer Hepp! hepp! hepp!
ARTHUR ARONYMUS: Kiek ens, sinne Nase, hat er vergessen zuzudrehn.
CASPAR: Na, gibs Lammpfötchen, wacker!
Willy hebt sich vom Boden auf, tut so, als ob er dem Zilinsky einen seiner Heuer schenken will; zieht ihn dann neckend zurück.
HAUSIERER: Wös wollt ihr mir – lösst mich in Frieden.
CASPAR: Hepp! hepp! hepp!
ALLE: Hepp! hepp! hepp!
WILLY: Nimm ding Schabbesdeckel vom Kopp!
Alle drei kreischen.
HAUSIERER: Was stört Dich mein Hütle meines – – Du Dorfjüngele?
DIE ANDEREN ARMEN JUDEN AUS WESTFALEN: die dem Hausierer langsam gefolgt sind Macht, dass Ihr miserablen Bengels fortkommt, sonst kriegt Ihr Ohrwatschen.
Die drei Jungens springen schnell zur Seite, strecken ihnen ihre Zungen raus, bemerken den Kaplan, der hinter einer Bude alles beobachtet und gehört hat. Sie rennen direkt dem Kaplan in die Arme. Er fasst sie alle drei.
WILLY: verlegen Der Jüd da hat uns doch gehauen, Herr Kaplan.
KAPLAN: So?
ARTHUR ARONYMUS: Der Caspar wollte ihm nur seinen Heuer schenken.
KAPLAN: Ach!! heimlich lächelnd Das ist doch aber sehr undankbar von dem armen Hausierer – oder?
CASPAR: Und dabei haben wir ihm guten Tag gewünscht. Er zwinkert seinen Freunden zu.
KAPLAN: Also ihr habt ihm guten Tag gewünscht?
ARTHUR ARONYMUS: … so ähnlich wie guten Tag.
KAPLAN: Hm … Nun da bin ich aber begierig, was ihr Drei ihm Ähnliches gewünscht habt? Nun?
DIE KINDER: kleinlaut und verschüchtert Hepp! hepp! hepp!
KAPLAN: Allerdings das gab ihm keine Ursache, Euch zu schlagen, denn wisst Ihr was hepp! hepp! hepp! bedeutet? Er weist auf Arthur Aronymus.
CASPAR: Der kann das doch nicht wissen.
KAPLAN: Warum denn nicht?
WILLY: Der ist selbst ein Jude.
KAPLAN: Nun denn antwortet ihr beiden Jungen mir. Sie sperren den Mund weit auf, wie zwei nichtsnutzige Spatzen. Hepp! Hepp! hepp! bedeutet für die Juden eine glückliche Botschaft und zwar, dass Jerusalem nicht verloren ist.
ALLE: Wir werden ihn nie mehr wieder ausschimpfen.
KAPLAN: Und wisst Ihr, in welchem Lande Jerusalem liegt? Er wartet. Im gelobten Lande.
Alle Drei verstellen sich und zwar, als ob sie mit grossem Interesse zuhörten.
KAPLAN: Also, was versteht man unter hepp, hepp, Willy?
Willy besinnt sich, verdutzt.
KAPLAN: Caspar, sag Du es ihnen.
CASPAR: Eben habe ich es noch gewusst.
KAPLAN: Und du mein Sohn? zu Arthur Aronymus
ARTHUR ARONYMUS: jäh Gaesecke ist nicht perdu.
KAPLAN: lächelt Wenn ihr erst in meinen Unterricht kommt, dann sprechen wir über manche Dinge, die ihr zu begreifen mir noch zu kleine Taugenichtse scheint. Und nun nach Hause, fix, die Suppe wird sonst kalt.
WILLY: leise zu Arthur Aronymus Da geht ja ding Vatter.
CASPAR: leise zu Willy Und so staatsgemacht.
ARTHUR ARONYMUS: zum Kaplan Unsere Zwillinge, die Metas, haben heute Geburtstag und da essen wir erst um ein Uhr zu Mittag, wegen Menachem.
KAPLAN: So? –
ARTHUR ARONYMUS: Der kommt mit der Post aus Erwitte circa.
WILLY U. CASPAR: zeigen auf Arthur Anonymus Der ist sein ältester Bruder aus Schülers Garten und der ist auf Arthur Aronymus zeigend der Arthur Aronimus Schüler. Und minne Mutter sagt, ich darf mit ihm verkehren, weil er hellbraune Haare hat und Schrot im Leib.
KAPLAN: Er glättet den Scheitel Arthur Aronimus’. Ich werde Deine Mutter in diesen Tagen einmal besuchen Willy. Sage ihr das, mein Junge.
WILLY: Jawohl, Herr Kaplan.
KAPLAN: Nun wollen wir mal artig mitsammen die Heiligen Bäume anschauen, wer von ihnen der höchste ist?
Der Hausierer hatte sich noch vor dem Ende des Platzes von seinen Begleitern getrennt, um wieder umzukehren. Er erblickt den Kaplan, lüftet schüchtern seinen Hut. Der Kaplan reicht dem Hausierer die Hand. Des Kaplans Blick streift beobachtend die Kinder.
KAPLAN: Nun mein lieber Bruder, fühlst Du Dich auch wohl in unserem Dorf?
WILLY: leise zu den Freunden Heiliger Strohsack!!
KAPLAN: lächelt, denn er hat die Bemerkung gehört Oder hast Du zu leiden durch den Unverstand unserer grossen oder – gar kleinen Mitbürger?
DER HAUSIERER: rührend kindlich Die Schulbübili, wenn se mich nur in Frieden lassen würden, gütigster Herr Kaplan. Ihre Gendarms meinten schon, wenn ich mer die Lockerl meine unterm Hut stecken tät und den langen Rock, er blickt an ihm herunter vom Vater selig, eintauschen tät für einen neumodischen Frack, dann hätt ich Rüh!
KAPLAN: Wenn Dir Deine Tracht lieb ist, trag sie in Ehren weiter, Lämmle Zilinsky.
HAUSIERER: Wieso, kenne Sie mich?
KAPLAN: Ich werde doch die Kinder im Auge haltend so einen fleissigen Menschen wie Sie sind, lieber Zilinsky, mit seinem Namen kennen.
HAUSIERER: verbirgt seine Rührung über das selten hörende Lob; mit niedergeschlagenen Augen Herr Kaplan, ich muss Ihne sagen, ob ses hören wollen oder nech, – immer hab ich eine heimliche Freud, wenn ich Sie sehen tu. Und dass Sie mer grad, armen Jid, so’n Lob zuteil werden lassen, hätt sich Zilinsky nech em Traum eingebild. Mit Tränen in den Augen küsst er die Hand des Kaplans und geht schlicht, wie er gekommen ist, weiter des Wegs.
KAPLAN: Seht Ihr Jungens wie wenige der Worte es bedarf, einen Menschen zu erheben?
Die Jungens verlegen.
CASPAR: Mutter und Vatter gehen jeden Sonntag schon um sechs Uhr in die Kirche.
KAPLAN: zu Willy Und Deine liebe Mutter?
WILLY: nickt und dann auf Arthur Aronymus zeigend, etwas schadenfroh Sein Herr Vater und seine Mutter sind – Semiten.
KAPLAN: zu Arthur Aronymus Du bist also der kleine Arthur Aronimus aus dem weiten Gutsgarten drüben? Und der wievielte zählst Du unter den vielen Geschwistern?
CASPAR: Der vierundzwanzigste.
ARTHUR ARONYMUS: So viel hab ich ja gar nicht!
KAPLAN: Nun?
ARTHUR ARONYMUS: Der fünfzehnte Geschwister bin ich präcise! Bernard.
KAPLAN: Wer hat Dir denn verraten, dass der Herr Kaplan Bernard heisst? Er schickt Willy und Caspar ermahnend nach Hause.
ARTHUR ARONYMUS: Meine Schwestern die rufen immer, wenn Sie vorbeikommen: Kommt schnell!! Bernard kommt, Bernard kommt!!
KAPLAN: geschmeichelt, er kann sich das Lachen kaum verbeissen Das ehrt mich sehr, mein kleiner Arthur Aronimus.
ARTHUR ARONYMUS: Die Fanny namentlich. er ahmt ihr nach Ach warum ist der Kaplan gerade kein Jude?
KAPLAN: Ach!!
ARTHUR ARONYMUS: ahmt seiner Schwester Katharina nach Welch ein Malheur, sagte da Katharina.
KAPLAN: Ach!!
ARTHUR ARONYMUS: Und Elischen sagte, da sie gelehrt ist, Fanny, wie unlogisch wieder einmal! Ein Jude kann doch kein Kaplan sein und kein Kaplan ein Jude. Da sagte Fanny schweige! Arthur Aronymus besinnt sich und schluckt fortwährend. Der Kaplan bedeckt sein Gesicht, sein Lachen zu verbergen. Wisst Ihr, sagte Fanny, wie der Bernard aussieht? Und alle sannen. Da sagte Fanny, er sieht aus wie der Grosse Kurfürst Conradin von Hohenstaufen. Da sagte Elischen: Wie ungebildet, Fanny! Conradin war ein Ritter Kreuz und kein Kurfürst, denn er zog in den heiligen Krieg von 1680 – bis 1725. Merke Dir das, Schwester!
KAPLAN: Köstlich! Er streichelt Arthur Aronymus Scheitel.
DER BAUMVERKÄUFER: Die kleine Tanne im Topf, er hebt ihn empor passt gerade für des Herrn Kaplans Stübchen. Dem Herrn Kaplan für den hälften Preis?
KAPLAN: Gott vergelts Euch, lieber Freund.
VERKÄUFER: Schülers Aronimus trägt sie Euch in Euer Stübchen. Hat das jüdische Kind am Christbäumchen mal Freud, wenigstens eine Strecke Wegs.
Arthur Aronymus hat es überhört.
KAPLAN: nimmt das Tannenbäumchen an sich. Arthur Aronymus aber bemüht sich, ihm die kleine Tanne nach Hause zu tragen. Da steht sie ihm schon auf der Schulter.
ARTHUR ARONYMUS: Jetzt spielen wir Dienstmann.
KAPLAN: Ist sie auch nicht zu schwer für Dich?
ARTHUR: So een kleng Bömken wie meiner Mutter Gummipappel.
Kaplan im Begriff, Arthur Aronimus eine kleine Münze ins Täschchen zu stecken.
ARTHUR ARONYMUS: Nää, dafür nehm eck doch nix!
KAPLAN: Ihr habt ja eine Menge Kinder. Hast Du auch unter ihnen ein Lieblingsschwesterchen, wie ich eins habe?
ARTHUR ARONYMUS: Pause. Kennen Sie unser Lenchen nicht? dem Kaplan anvertrauend Die is meine Braut. Ich bin ja auch zwei ganze Jahre älter wie unser Lenchen. Lenchen isst so gerne Marzipan. Darum besuchen wir beide in Lippstadt öfters Frau Sanitätsrat Grünbaum.
KAPLAN: vertraulich wie er und im selben Tone Aber merkt denn die Frau Sanitätsrat Grünbaum nicht, dass ihr beide nur des Marzipans wegen kommt? Kaplan tut sehr interessiert; sie bleiben öfters stehen.
ARTHUR ARONYMUS: Im Gegenteil, sie ruft immer: Na das ist schön, dass Ihr Beide mich wieder besucht und dann sagt sie: mein Sohn hat mir auch wieder frisches Marzipan aus Königsberg geschickt und wenn wir es aufgegessen haben, dann bleiben wir beide noch etwas stehen, weil ich und Lenchen Durst haben, bis sie sagt sie imitierend was macht denn Eure Mutter?
Kaplan fragend.
ARTHUR ARONYMUS: blickt treuherzig zum Kaplan auf Kaffee, wenn Leute kommen.
KAPLAN: Köstlich!
Fräulein Paderstein bleibt neugierig vor den beiden Nahenden auf dem Markte stehen, betrachtet sie durch ihr Lorgnon. Kaplan und Arthur Aronymus sind angelangt vor dem kleinen Kaplanhäuschen neben der Kirche. Seitwärts der Eingang. Der Kaplan hebt den kleinen Baum von Arthur Aronymus Schulter.
KAPLAN: Ein Stück Schokolade nimmst Du doch vom Kaplan Bernard?
Arthur Aronymus bläst schrill auf seinem Metallpfeifchen und rennt davon.
5. Bild
Im Schüler’schen Gutsgarten. Die Magd Clara deckt den Kaffeetisch in der Jasminlaube. (Im Winter von bunten Glaswänden geschlossen. Innen brennt ein kleines Holzfeuer).
Personen: Herr Schüler; Frau Schüler; Herr Vogelsang; seine Gattin Alwine (zu spielen von einem hageren Mann), Frau Vogelsang hat einen grauen, kleinen Backenbart, spricht stark Wupperthaler Dialekt; ihr Sohn Dr. Vogelsang (ein Spätsprössling); Katharina; Herr und Frau Paderstein, die älteste Tochter von Vogelsangs; Fräulein Milchen Paderstein, die Schwester des Herrn Paderstein; Clara, die Magd; Wanderbursche Nathanael Brennessel.
CLARA: Na, kiek eener an – unser Hausmütterchen! Sie erblickt den Wanderburschen auf der Landstrasse, sie winkt ihm, er kommt in den Gutsgarten.
CLARA: vorwurfsvoll, höhnisch Herr Nimmermüde …
BRENNESSEL: Machen Sie sich man erst auf die Wanderschaft, Frauenzimmerchen, just das Wandern bietet einem – pfeift mit spitzen Lippen so rechte Gelegenheit – auszuruhen. Wie schon der Wolfjang an die Frau Rätin Mutter affektiert aus Italien nach Weimar schrieb.
CLARA: spricht ihm höhnisch nach – bietet so rechte Gelegenheit? … Bind er nem andern Weibsbild auf. Vom Herumflannieren und Pussieren werden die Kartoffeln nicht dick.
BRENNESSEL: an die Ehre gegriffen, affektiert Ich muss höflichst bitten, Frauenzimmerchen.
CLARA: Ich mein ja blos ens, Herr Brennessel.
Brennessel tritt nahe an Clara heran, versucht sie zu umarmen.
CLARA: Er will mich auch wohl ins Unglück stürzen, wie der Wolfjang die Friedericke?
Brennessel kichert.
CLARA: Betrachten Se ens – das hat unsere Katharina verloren, als sie eben vom Imker gerufen wurde bei die Bienenkörbe. Clara zeigt ihm ein Bändchen mit einem Herzchenanhänger.
BRENNESSEL: Zur Königin Brautfahrt. etwas geil Ich sah sie in den Lüften mit dem Bienerich, Clärken.
CLARA: betrachtet das Herzchen, summend Brennessel, kick er ens Sie schaukelt das Herzchen am Bande hin und her. Der meint es ehrlich mit der Demoiselle … flüstert Die Eltern Vogelsang sind gestern eingetroffen. Dat imponiert mich, Brennessel!
Brennessel als ob er Tränen aus den Augen wische.
CLARA: mitleidig Ich weiss ja, dat Sie keine Eltern jehabt haben, Nathanaelchen.
BRENNESSEL: Darum hab ich auch keine Bleibsamkeit, dat is ja eben ming Geburtsfehler, ming Zuckerclärchen.
CLARA: Die Madame kommt!
Hinter Frau Schüler der Herr Schüler, beide in bester Kleidung und Laune. Der Handwerksbursche hat nicht mehr Zeit sich ungesehen zu empfehlen.
FRAU SCHÜLER: zu Brennessel Er kommt mir wie gerufen, Brennessel!
BRENNESSEL: Das will ich meinen, geehrteste Madame.
FRAU SCHÜLER: Die Teppiche kann er helfen ausklopfen. Will er? zu Clara Lassen Sie ihm vorher …
HERR SCHÜLER: kurz Na?
Brennessel lüftet den Hut bis zur Erde.
FRAU SCHÜLER: … in der Küche einen kleinen Imbiss geben. Sie nickt Brennessel gutmütig zu. Brennessel und Clara ab.
HERR SCHÜLER: Du verwöhnst die Leute, Henriette, der Mann ist gewöhnt, im Freien zu grasen.
SIMEON: der in die Laube gekommen ist Der Mann bekommt seinen Lohn und damit basta, Mutter.
FRAU SCHÜLER: In meinem Elternhaus ging niemand heim, ungestärkt.
SIMEON: zum Vater In den Dingen der Ökonomie ist mit der Mutter nicht zu reden.
Julius kommt in die Laube.
HERR SCHÜLER: etwas unangenehm von dem Urteil seines 2. Sohnes berührt Im Hause wollen wir schon die Mutter walten lassen.
JULIUS: reinigt sein Lorgnon; er schnüffelt Es duftet nach Rodontkuchen … Oder irr ich mich?
MUTTER: Ihn hat gestern Abend noch Katharina mit der Köchin gebacken.
VATER: unbewusst etwas eifersüchtig auf ihre nahende Verlobung Ein Prachtmädel, beileibe, der Doktor kann sich gratulieren.
SIMEON: Wie weit ist die Unterredung mit seinen Eltern gediehen?
MUTTER: blickt auf zum seitlichen Erkerfenster Sch –
SIMEON: Darum eben, weil sie gleich kommen werden.
MUTTER: auf ihren Gatten weisend Der Herr Vater erklärte sich einverstanden, ihrem Sohn eine Mittelapotheke zu kaufen.
SIMEON: Was sagt Frau Mutter dazu?
MUTTER: Diese Fragen müssen wir des Herrn Vaters grosser Erfahrenheit überlassen.
Der Vater fühlt sich sichtlich befriedigt von der Antwort seiner Gattin.
VATER: Ich kann Dir nur denselben Rat erteilen, mein Sohn Simeon.
JULIUS: Mich überraschen des neugebackenen Schwagers Kenntnisse in der modernen Literatur. Er deklamiert den ganzen Faust I. und II. Teil auswendig!
SIMEON: überhört Julius Einwurf Noch bei den schlechten Zeiten.
VATER: Auch sind die Zeiten nicht die schlechtesten. Das Glück meiner Tochter Katharina liegt mir lediglich am Herzen. Mein Prachtmädel!
JULIUS: wie auf dem Katheder geschwollen, überspannt Den II. Teil!! Deklamiert er auswendig! Begreift ihr Herrn Eltern, welche Intensivität des Verstandes zu dieser Leistung gehört?
SIMEON: sarkastisch Ein Werther scheint der neugebackene Schwager keinesfalls zu sein.
VATER: Wer weiss – denn er liebt mein Mädelchen.
Mutter gerührt über ihren Gatten, streichelt ihm die Hand.
SIMEON: Idealisten –
VATER: sich wieder ermannend Wenn nur nachher die Herde nicht in unsere Konferenz einfällt –
MUTTER: Ich habe Elischen und Fanny mit den sämtlichen Kindern auf die Farresbeck geschickt, Milch trinken und Waldbeeren suchen. Beim Pflücken lassen sich die Kinder so leicht nicht stören.
SIMEON: vorsichtig Mit Fürlaub, Herr Vater, ich bat Menachem, unseren ältesten Bruder, Deinen Erstgeborenen über Vogelsangs Erkundigungen einzuziehen.
Kleine Pause. Vater springt empört auf, sein Gesicht errötet sich. Aber schon nahen Vogelsangs und ihnen zur Seite Padersteins.
SIMEON: Ja, sie zählen tatsächlich zu den wohlhabendsten Familien im Wuppertal.
Der Vater erhebt sich, beherrscht, geht wie ein Grandseigneur seinen Gästen entgegen, führt die alte Frau Vogelsang artig in die Laube, die anderen folgen ihnen nach. Fräulein Paderstein kommt in den Garten.
FRAU VOGELSANG: geschmacklos in lila und grüne Seide gekleidet; Wuppertaler Dialekt Vogelsang wollt nicht aufwachen und ich konnt doch bei seinem Schnarchen nicht einschlafen – so stört er mir immer die Ruhe seit unserer Hochzeit.
HERR VOGELSANG: Alwinchen plauderst wieder aus der Schule.
Es lachen alle, Herr Schüler aus Höflichkeit ebenfalls, nur Simeon kalkuliert noch abwesend.
HERR SCHÜLER: Desto besser wird Madame Vogelsang der Rodontkuchen von unserer Katharina gebacken, munden.
FRÄULEIN PADERSTEIN: neugierig Na, seid Ihr schon einig geworden?
FRAU PADERSTEIN: dumm Ne gute Partie macht der Engelbrecht.
FRAU VOGELSANG: listig Man langsam voran.
FRAU SCHÜLER: für ihre Tochter an die Ehre gegriffen Meine Tochter?
Herr Schüler überhört diplomatisch den kleinen Vorgang zu Gunsten Katharinas.
FRAU VOGELSANG: stösst ihres Mannes Fuss mit ihrem Fuss unterm Tisch an, sie hält ihre Kaffeetasse in der Hand Du kennst Dich doch aus in Porzellan, Vogelsang?
VOGELSANG: Erste Qualität, Schüler, echtes Sevres. Was titulieren wir uns eigentlich noch immer mit Madame und Monsieur – zwei Brauteltern.
HERR PADERSTEIN: schmaust und kräht Erhebet Eure gefüllten Tassen! Also Moritz und Wilhelm, – Henriettchen und er weist auf seine Schwiegermutter Vogelsang Alwine.
FRAU VOGELSANG: Nu man langsam voran, Schwiegersohn.
HERR SCHÜLER: Eh bien, Madame Vogelsang. Reserviert und hart.
FRAU VOGELSANG: empfindet die plötzlich abgekühlte Atmosphäre, listig lenkt sie ein Der liebe Engelbrecht, sämtliche Frauenzimmer sind in Elberfeld hinter ihm her.
FRAU PADERSTEIN: dumm Das will ich meinen. Allen hat er den Kopf –
FRAU VOGELSANG: fällt erschrocken ein – gewaschen mit seinem unvergleichlichen gesetzlich geschützten Kopfwasser.
FRÄULEIN PADERSTEIN: Wie nennt sich dat?
SIMEON: sarkastisch, er streift seine Eltern Nach Katharina.
FRAU PADERSTEIN: trocken Dat is ne gute Idee!!
HERR SCHÜLER: energisch Bevor unsere Kinder kommen, schlage ich vor, die interne Angelegenheit zu regeln.
FRAU VOGELSANG: Dat mein ich auch. Kratzt sich im Backenbart.
HERR VOGELSANG: intim Also, Moritz? zu seiner Frau Wir werden schon einig werden.
JULIUS: für seine Schwester an die Ehre gegriffen, in beschwingtem Ton Mit dem Kuhhandel? Was?
HERR SCHÜLER: Ich also erkläre mich bereit, eine Mittelapotheke zu kaufen und zwar die vakante Ihrer Schwesterstadt Barmen. Ich liebe meine Tochter Katharina und will ihr Glück.
FRÄULEIN PADERSTEIN: neidisch Sie hat ja immer für die Pharmazeuden geschwärmt, seitdem der Profisor hier in Gäsecke mit der Kleie ihre roten Händ’ gebleicht hat.
FRAU VOGELSANG: aufatmend Bravo, Moritz! auf einmal intim Siehste Vogelsang, so eine Vaterliebe imponiert mir!
Tränen stehen in den Augen des Herrn Vogelsang.
FRAU VOGELSANG: würdig Beherrsch Dich, Vogelsang. Frau Vogelsang lässt en passant die Worte fallen Unserem Jungen stand die Welt offen –
FRÄULEIN PADERSTEIN: etwas neidisch Die Katharina wird sie ihm wacker zuriegeln.
SIMEON: eiskalt, Fräulein Padersteins Bemerkung überhörend Dann rate ich Ihnen, Madame Vogelsang, dieselbe noch nicht hinter ihm zu schliessen.
Eine kühle Pause.
HERR VOGELSANG: vorwurfsvoll Das hat nu Deine Liebe, Alwinchen, zu unserem Engelbrecht Dir wieder eingebrockt.
FRAU PADERSTEIN: Mutter meint es ja nicht so.
FRAU VOGELSANG: verbrennt sich die Zunge an dem heissen Kaffee Kinder, der Kaffee, der Kaffee, der Kaffee.
Frau Paderstein tritt ihrer Mutter auf den Fuss.
HERR VOGELSANG: Ein vorzüglicher Mocca.
FRAU VOGELSANG: hält ihren Leib mit beiden Händen Ich bin ja so dunkel nicht gewöhnt, Kinderkes! Sie ächzt und erhebt sich schnell, um an einen bestimmten Ort zu eilen.
HERR VOGELSANG: Wird Alwinchen auch finden?
Frau Schüler eilt ihr etwas angewidert nach; Herr Vogelsang spaziert indessen etwas über den Kiesweg.
HERR PADERSTEIN: kräht In Barmen haben die Kinder von der ollen Vogelsang nix zu fürchten, Schüler!
Das Brautpaar tritt durch die Pforte in den Gartengang, ganz im Gespräch vertieft. Sie übersehen die verstummten Verwandten in der Laube und steigen die Freitreppe Arm in Arm hinauf. Katharina lehnt komisch an Engelbrechts Schulter.
FRÄULEIN PADERSTEIN neidisch Dass seine Wahl nicht auf die schöne Fanny fiel?
Frau Schüler tritt erregt wieder in die Laube, vom Seiteneingang des Hauses her. Frau Vogelsang aufatmend mit den Händen auf dem Leibe wie nach überstandener Operation.
HERR SCHÜLER: Fasst Euch, Frau Mutter. Er zeigt auf das Brautpaar. Darum lasst sieben grad sein.
FRAU VOGELSANG: Habt Ihr unsere beiden Kinder gesehen, als ob sie nicht auf Erden seien. Das Käthchen gefällt mir von Minute zu Minute immer noch besser. Ein herziges Kind! Kleine Pause. Bist wohl abgespannt, Henriettchen, nach der ernsten Konferenz? Weisste wat, leg Dich aufs Kanapee in der guten Stube und streck die Glieder von Dir. Wir in der Zeit promenieren wat im Garten umher. Komm, Moritz! Sei ein Kavalier und reich mir Deinen Arm.
Herr Schüler reicht ihr artig seinen Arm, beherrscht.
FRAU VOGELSANG: Nimm Dir’n Beispiel, Vogelsang.
FRAU SCHÜLER: ruft ihren Gatten stehenbleibend vor der Freitreppe Moritz, alles erträgst Du in Deiner blinden Liebe zu Katharina, da hat das Mädchen nun an Deinem Hals geweint –
HERR SCHÜLER: Das ernste Mädchen, Henriette, sie weiss, was sie will! Übrigens, lange wird die 70jährige Närrin auch nicht mehr leben, Katharina wird schon aufräumen.
Frau Schüler geht ins Haus, indessen spaziert Frau Vogelsang mit ihrem Gatten auf den Gartenwegen.
HERR SCHÜLER: nimmt aus seinem Portefeuille einen Brief, er liest ihn noch einmal, bevor er in die Laube zurückkehrt, in der Fräulein Paderstein auf ihn wartet. Den Brief wieder faltend Auch übertrieben!
ELISCHEN: tritt durchs Gartentor, erregt Wo ist die Mutter?
HERR SCHÜLER: Was willst Du von der Mutter?
ELISCHEN: Die Fanny hat sich von unserer Schar getrennt und sitzt bei Prells mit einem Dr. Faust.
Die Kinder kommen alle durch das Tor und singen: Sah ein Knab ein Röslein stehn … Die Kinder kommen von der Stadt her, zwischen Ferdinand und Berthold die sehr zappelige Dora, dann die Zwillinge Meta, Meta Hand in Hand. Hinter ihnen fährt Albert behutsam den kranken Alex im Wägelchen. Hinter ihnen Eleonore und August, dann Bettina und Margarete, hinter ihnen Arthur Aronimus mit Lenchen an der Hand, dann Karl mit Meierchen und Titi. Sie bemerken den Vater und gehen behutsam weiter die Freitreppe herauf ins Haus.
HERR SCHÜLER: wohlwollend, fast im gutmütigen Tone der Mutter Seid nur weiter frohgemut, Kinder! Er betritt wieder die Jasminlaube.
FRÄULEIN PADERSTEIN: Deine Prozession auf die Kinder zeigend Moritz.
Herr Schüler nickt abwesend.
FRÄULEIN PADERSTEIN: schmeichlerisch Früher hast Du mich doch beim Vornamen genannt, Moritz, nun sag schon wieder Milchen zu mir, wo wir verwandt geworden sind.
Elischen kommt zurück in die Laube.
HERR SCHÜLER: Was erzähltest Du eben von Deiner Schwester Fanny?
ELISCHEN: Sie trennte sich von unserer Schar und sitzt mit einem fremden Monsieur bei Prells im Weingarten.
HERR SCHÜLER: Ich werde gleich Julius hinschicken.
Elischen ab. Brennessel im Begriff, sich aus dem Garten zu entfernen.
HERR SCHÜLER: Hole er mir das Blättchen vom Händler, Brennessel!
Brennessel nähert sich in einem Sprung der Laube. Herr Schüler legt ihm eine Münze in die Hand. Brennessel bespuckt sie dreimal, lüftet dankend den Hut und zwar einige Male.
FRÄULEIN PADERSTEIN: lauernd Vielleicht stehts schon drin.
HERR SCHÜLER: Weiss die Jungfer von den angekündeten Pogromen in Erwitte und den benachbarten Flecken? Er sucht mechanisch nach seinem Portefeuille, darin sich der beunruhigende Brief seines Sohnes Menachem befindet.
FRÄULEIN PADERSTEIN: Das hör ich heut’ zum ersten Mal.
HERR SCHÜLER: Also was meinte die Jungfer denn, von welcher Neuigkeit sprach die Jungfer denn? Sie bequeme sich, deutlich und ohne Hinterhalt zu reden.
Brennessel reicht das Blatt Herrn Schüler durch das Laub der Laube, ab.
FRÄULEIN PADERSTEIN: Es wird gemunkelt im Dorf, Du beabsichtigtest, Moritz, Deinen Sohn Arthur Aronimus taufen zu lassen.
HERR SCHÜLER: erstarrt Entweder hat das die Jungfer erfunden, oder das Gerücht, an dem kein Haar echt ist, hat man ihr aufgebunden.
FRÄULEIN PADERSTEIN: lacht höhnisch auf Weisst Du denn nicht, Moritz, dass sie beide über die Tierhecken springen um die Wette, der Kaplan und Dein Aronimus? Trug der wilde Junge ihm doch erst vor ein paar Tagen sein Christbäumlein vom Markt in die Stube.
HERR SCHÜLER: steht auf Da möchte ich doch eben meine Henriette wecken.
FRÄULEIN PADERSTEIN: Sie weiss davon und hat sie dem Gemahl das verschwiegen? – listig Darüber würde ich mich an Deiner Stelle sehr kränken, Moritz.
HERR SCHÜLER: Kränken? klug und überlegen Im Gegenteil, ich respektiere diesen jungen frischen Geistlichen und es sei mir eine Lehre fürder, seine Freundschaft, mit der er meinen, von mir vernachlässigten er betont lieben Arthur Aronimus auszeichnet, mich dringlicher um meines Jungen Erziehung zu kümmern.
Fanny sieht den Vater im Vorbeischleichen ins Haus.
HERR SCHÜLER: Fanny: Du kommst mir wie gerufen. Er legt ihren Arm in den seinen und zieht sie, froh die Jungfer loszusein, ins Haus. Die Jungfer putzt sich die Nase in ein gesticktesTüchlein und nimmt ihr Lorgnon und späht nach den Verwandten im Garten.
6. Bild
Im kleinen Kaplanhaus. Ein geschmückter Christbaum. Die beiden kleinen Nichten des Kaplans, Narzissa und Ursula, knien in der Nische vor einem kleinen Altar vor dem Kreuz, daran Herr Jesus hängt. Angezündete Kerzen, Tannen und Blumenschmuck und ein Wachsherz, geweiht Maria.
Personen: Kaplan; Arthur Aronymus; Narzissa; Ursula; Leute aus Gäsecke und Nathanael Brennessel.
ARTHUR ARONYMUS: verharrend vor der halbgeöffneten Stube des Kaplans. Er hält einen Weihnachtsstrauss in der Hand Mutter hat mir’s verboten, heute durch Dein Fenster zu klettern – selbst – wenn es geöffnet ständ.
KAPLAN: lacht Vermutlich des schönen Blumenstrausses in der kostbaren Spitzenmanschette wegen. Er zieht Arthur Aronymus in die Stube.
ARTHUR ARONYMUS: Der Weihe wegen – sagte meine Mutter. Arthur Aronymus erblickt den Baum. Ah – h…! Bezähme dich, Junge, sagte meine Mutter, damit der Herr Kaplan Deine gute Kinderstube nicht vermisst. Arthur Aronymus gewahrt plötzlich die beiden Nichten des Kaplans, die die letzten Strophen des Vaterunsers beten.
URSULA U. NARZISSA: gleichzeitig … und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von den Übeln. Amen. Sie erheben sich beide. Ursula kommt auf Arthur Aronymus zu.
KAPLAN: Nun Kinder, gebt Euch mal alle die Hände! zu den Nichten gewandt Dieser nette Junge ist mein kleiner Freund Arthur Aronimus und diese kleinen artigen Mädchen, lieber Aronimus, sind meine Nichten Ursula und Narzissa. Tretet näher, lasst uns vorerst den Christbaum anschauen.
Arthur Aronymus regt sich plötzlich nicht von der Stelle und ist verstummt.
KAPLAN: zu Arthur Aronymus Du bist ja so still mit einem Mal geworden, was ist Dir denn, mein Junge?
ARTHUR ARONYMUS: Mir is wat unheimlich. Er sieht sich im Zimmer um.
Die beiden Mädchen drängen sich um den Kaplan, der Kaplan führt den Arthur Aronymus an den Christbaum, die beiden Mädchen folgen.
KAPLAN: Nun lasst uns zusammen: O Tannenbaum, o Tannenbaum singen.
URSULA: Und dann beschert uns der Onkel Bernard.
NARZISSA: Lieber Onkel Bernard. Sie umhalst ihn.
KAPLAN: streicht Arthur Aronymus über seinen Scheitel Oder wisst Ihr was? Ihr stellt Euch dort in die Ecke und schliesst alle drei die Augen und wenn ich rufe: »Macht die Augen auf«, war das Christkind hier gewesen und hat seine Presente gebracht.
DIE DREI KINDER: O ja!
Kaplan holt aus dem Schrank zwei Puppen, zwei kleine Testamente in Samt gebunden, einen kleinen Baukasten, einen Kreisel und stellt die Geschenke unter den Baum auf den Tisch, holt dann drei Teller, mit Spekulatius, Äpfeln, Apfelsinen und Nüssen gefüllt. Zuguterletzt zieht er ein Schaukelpferd hinter dem Schreibtisch hervor.
URSULA: zu Arthur Aronymus, leise Ich kann alles sehen, zwischen den Fingern!
ARTHUR ARONYMUS: Ich seh gar nix.
Kaplan hört es und lächelt amüsiert.
NARZISSA: Ich muss so zittern, Onkel Bernard.
KAPLAN: Augen auf!!!
DIE KINDER: Aaaaaah!
KAPLAN: Nehmt den Arthur Aronymus in die Mitte, ihr zwei Mädchen, und tretet vor den Tisch des Christbaums!
Ursula im Begriff, auf die Geschenke loszustürzen.
KAPLAN: Nicht so ungeduldig, Ursula.
Die Kinder betrachten mit Jubel ihre Geschenke.
URSULA: Narzissa, sollen wir tauschen? Ich möchte lieber Deine rosare Puppe –
Arthur Aronymus beglückt über das schöne Schaukelpferd, hat alles andere um sich vergessen.
KAPLAN: Nun wollen wir singen.
NARZISSA: mit einem sehr feinen hellen Stimmchen O Tannenbaum …
ALLE: O Tannenbaum, wie grün sind Deine Blätter … die erste Strophe
ARTHUR ARONYMUS: zum Kaplan Das haben wir grade in der Gesangsstunde gelernt. Freudestrahlend.
KAPLAN: Das hörte ich eben vom Christkindchen.
ARTHUR ARONYMUS: Ich muss es immer allein singen in der Schule. Der Lehrer sagt, dann käme er so richtig ins Lachen mal. Das täte seinen trägen Därmen gut.
NARZISSA: hebt den Finger Ist das nicht eine Sünde von seinem Lehrer über ein heiliges Lied zu lachen, Onkel Bernard?
KAPLAN: erschüttert Eine sehr grosse, mein Kind. Nun schnell wieder an die Weihnachtsgaben, die das Christkindlein Euch brachte.
NARZISSA: verzückt Lieber, lieber Onkel Bernard. Sie nimmt die Puppe in den Arm, mit dem andern Arm umarmt sie den Kaplan.
KAPLAN: Wahrlich, Du bist so ein rechtes Gotteskind.
URSULA: zu Narzissa Tausch doch mit mir, ich geb’ Dir meine blaue und Du gibst mir Deine rosare.
Arthur Aronymus springt auf den Gaul und reitet. Seine Augen blitzen.
KAPLAN: Dass Du ihm aber einen Stall baust, Arthur Aronimus. Tief gerührt beobachtet der Kaplan die Kinder.
ARTHUR ARONYMUS: fällt ihm jäh um den Hals Ich danke Dir, lieber Onkel Bernard.
URSULA: zu Narzissa Zeig mal Deinen Teller, zu Arthur Aronimus und Deinen.
NARZISSA: Fein, nicht?
URSULA: zu Arthur Aronimus Du hast ja einen Zuckerfrosch, ich und Narzissa nicht. zum Kaplan Warum hat Arthur Aronimus einen Zuckerfrosch?
KAPLAN: Der kam gewiss auf seinen Teller gehüpft.
URSULA: Wie komisch.
KAPLAN: Nun wollen wir aber die Schokolade in der grossen Kanne nicht länger warten lassen, denn meine Hausfrau feiert bei ihrer Tochter und ihren Enkelkindern den Heiligen Abend, und wird sie nicht wieder aufwärmen. Plaziert Euch Drei bescherte Kinder recht brav um den Tisch.
Vor dem Kaplan steht die grösste Tasse mit Goldbuchstaben: Bernard. In zwei Körben liegen Aniszwiebäcke und Kuchen. Die beiden Mädchen ordnen umständlich beim Niedersetzen die weiten Röcke, um sie nicht zu verrammeln. Arthur Aronimus betrachtet noch vertieft sein Schaukelpferd und dann jäh mit einem Satz sitzt er auf dem Stuhl zwischen den Mädchen am Tisch.
KAPLAN: Nun, Ursula, Narzissa, ihr wollt doch mal Hausfrauen werden, reicht schön die Bäckerei von Hand zu Hand. Der Kaplan füllt in der Zeit die Tassen.
NARZISSA: Ich will Nonne werden, so eine recht andächtige, im schwarzen Gewande.
KAPLAN: Und du, Ursula?
URSULA: Ich will freien und lauter Kinder haben und dann gibts alle Tage Pudding mit Saffrantunke.
Der Kaplan und Arthur Aronimus lachen.
KAPLAN: Und unser Arthur Aronymus, was will er mal werden?
Arthur Aronymus lächelt verlegen.
KAPLAN: Doch wahrscheinlich ein Baumeister.
ARTHUR ARONYMUS: Ach ja, ich wusst nur nicht, wie das heisst.
KAPLAN: A propos, ich wollte Dich schon fragen, wie es Deiner kranken Schwester der Dora geht?
ARTHUR ARONYMUS: Simeon hat gesagt: Der Arzt studiert nur an dem Kinde herum. Bald hat er Dein Geld geschluckt, der Quacksalber, Herr Vater, – und Julius hat gesagt: Lasse Professor Eisenbart aus Paderborn kommen, der ist Arzt über 500 unheilbare Kranke.
Kaplan verbeisst sich das Lachen. Auf einmal wird ein Stein ans kleine Fenster geworfen und es singt jemand gehässig vor dem Kaplanhaus.
STIMME: Dat käm ein Christenkind zu gut, herfür mit dinne Judenbrut!!
Kaplan eilt ans Fenster, der Lästerer ist nicht zu sehen.
ARTHUR ARONYMUS: hebt den Finger Darf ich was sagen?
KAPLAN: Gewiss, mein Junge.
ARTHUR ARONYMUS: Der singt immer im Sommer, wenn sie das Fallobst bei uns sammeln in ihren Säcken, Meine Mutter sagt, arme Leute wollen auch Obst essen.
KAPLAN: beunruhigt Habt Ihr verstanden, was der böse Mann gesungen hat?
URSULA: lügt kindlich Ich hab alles verstanden, Onkel Bernard.
ARTHUR ARONYMUS: vertieft in sein Schaukelpferd, er zieht es an den Tisch zu sich. Er glaubt, er muss Ursulas Worte bestätigen Präzise.
NARZISSA: versonnen Ich hab es nicht verstanden …
KAPLAN: legt den Kindern noch Kuchen auf den Teller Nun schmaust weiter, meine lieben kleinen Gäste, sonst ladet Euch das Christkindchen nicht wieder nächstes Jahr zum Kaplan ein.
ARTHUR ARONYMUS: zu Ursula Du hast ja schon leer.
URSULA: zu Arthur Aronymus Trink doch aus. zeigt auf Narzissa Die ist so zimperlich immer.
ARTHUR ARONYMUS: Lass doch das Puffen.
URSULA: Onkel Bernard, ich hab noch so Durst. Kaplan füllt noch einmal ihre Tasse. Schmeckt lecker, Onkel Bernard.
Ein zweiter Stein trifft wieder das Fenster. Derselbe Gesang, etwas ferner und zwar dieses Mal von einigen Stimmen. Der Kaplan eilt wieder ans Fenster, öffnet es. Brennessel kommt über den Marktplatz. Der Kaplan erkennt ihn. Im Arm hält er ein kleines geputztes Weihnachtsbäumchen.
BRENNESSEL: Da laufen sie doch.
KAPLAN: Kennen Sie die Leute bei Namen?
BRENNESSEL: Die Missetäter? Nää. Er hebt das Bäumchen empor, ein bischen affektiert im Flötenton Vom Zuckerclärchen. Se hat dem Nathanael ein Bäumchen geputzt. Er geht weiter. Schönen Weihnachtsabend wünsch ich Herrn Kaplan. Geht ab.
KAPLAN: kommt vom Fenster, vergisst es ganz zu schliessen. Setzt sich wieder zu den Kindern Nun dürft ihr Euch alle noch etwas zum Schluss der Feier vom Baume abpflücken.
NARZISSA: Den schönen Silberstern, bitte, bitte.
Kaplan geht nochmals ans Fenster, das er vergessen hatte, wieder zu schliessen.
URSULA: zu Arthur Aronimus Pflück mir wacker die Schaumkugel, kik, die da!
ARTHUR ARONYMUS: Nää.
URSULA: auf den Kaplan zeigend Er merkts jetzt nicht. Sie reckt Arthur Aronymus’ Arm in die Höhe. Nur wacker.
Arthur Aronymus, wie behext, pflückt die Kugel.
KAPLAN: kommt dazu, zu Arthur Aronimus Aber Du willst doch nicht gar ein dreister Judenjunge werden? Tief erschrocken über die ihm entfahrene Bemerkung.
ARTHUR ARONYMUS: instinktiv schwer erschrocken, jäh erwacht, dann apathisch, ruft auf einmal weinerlich und furchtbar schmerzlich Ich will zu meiner Mutter.
Pause. Kaplan erschüttert.
ARTHUR ARONYMUS: schwingt sich jäh aufs Schaukelpferd und reitet unbändig vorwurfsvoll Nun bin ich bald zu Hause angekommen.
Der sich schwer schuldig fühlende Kaplan ergreift den Arthur Aronimus in seinem galoppierenden Ritt, hebt ihn vom Pferde zu sich empor und küsst ihn auf den Mund. Dann holt er den Wachsengel aus der Krone des Baumes.
KAPLAN: Für Lenchen, Dein Schwesterchen.
Arthur Aronymus lächelt müde, er lässt sich apathisch den Engel in die Tasche stecken, und ohne sich auch nur nach seinen Geschenken umzusehen, flieht er aus der Stube, aus dem kleinen Kaplanhaus über den Markt dem Gutshaus zu.
KAPLAN: verzweifelt Legt Euch in der Nebenstube schlafen, Ursula und Narzissa, damit Ihr morgen ausgeruht seid für die Heimreise.
Narzissa instinktiv, streichelt tröstend des Kaplans Wange und schreitet mit Ursula in das Nebenzimmer.
KAPLAN: nimmt seinen Rosenkranz, der auf dem kleinen Altar unter den Blumen liegt, kniet vor dem Altar nieder Vergib mir armem Sünder, Jesus Christus, diese giftige Muschel! Tränen fliessen über sein Gesicht. Längst geläutertes Blut trieb sie an den Strand meiner Lippen. Seine Augen tief geschlossen. Nach einer Weile erhebt er sich und bläst die Kerzen des Baumes aus.
7. Bild
In der Schlafstube des Arthur Aronymus und einiger seiner Brüder: Bertholds, Ferdinands Betten stehen rechts an der Wand, Arthur Aronymus’ und das Bett seines Bruders Max an der linken Wand. Zwei grössere Waschtische, 2 Schränke, einige Stühle, ein kleines Pult mit Schulheften, Tinten etc. und ein Tisch, ebenfalls mit Schulsachen darauf. Früh am Weihnachtsmorgen.
Personen: Berthold; Ferdinand; Arthur Aronymus; Max; Katharina; Fanny; Elischen; Dora und Lenchen.
Arthur Aronymus liegt unruhig schlummernd noch in seinem Bett. Ab und zu stöhnt er und spricht weinerlich im Traum. Von draussen hört man die Weihnachtsglocken hell durch Hexengaesecke läuten. Die Geschwister sind schon alle aufgestanden, und unterhalten sich im Garten. Man hört ganz nah die Magd Clara schimpfen vom hinteren Garteneingang herauf.
CLARA: Ich hol gleich den Inspektor, den Monsieur Filigran, wenn ihr euch nicht fortschert noch am Christmorgen –
DORFLEUTE IM GARTEN: äffen Clara nach Monsieur näselnd Filigran … Solche Redensarten wie Sie am Leibe haben, nimmt sich ja noch nicht mal die Madame heraus! Hol ihn ens, den Monsieur näselnd Filigran.
CLARA: Nicht eine Birne odern Appel blieb für uns Angestellte in der Küche übrig. Abgegrast habt Ihr täglich die Obstwiesen, darauf die fettesten Bäume stehen. lügt Dat sagt auch die Madame.
DORFLEUTE: Das soll die Madame Schüler gesagt haben?? –! Gefegt haben wir das faule Fallobst von die Wiesenplätze! Unsre Kinder haben Hunger nach heilem Obst, schäbiges Weibsbild!
CLARA: Faulet Obst? Dat macht einer Dümmeren weiss, wie eck et bin. Grad der Appel, der vom Zweig fällt, ist der schmackhafteste! Und gelegen hat er auch nicht allzulange im Gras, davor habt Ihr gesorgt, ihr Aasgeier. – Dat sagt auch sie lügt die Madame.
DORFLEUTE: Der werden wir’s besorgen. Verlassen drohend und murrend den Garten. Oben in der Schlafstube spiegelt sich der Traum Arthur Aronimus an der Wand wieder.
DER TRAUM: (Tonfilm)
Sein Grossväterlein, der Rabbuni und er wandeln durch die Strassen von Paderborn. Passieren die altmodischen Bibel-Giebelhäuser. Manches von den Häusern trägt eine Arabeske in Form einer spitzen langen Nase mitten im Gesicht. Bei manchen Häusern öffnen sich zwischen den Fenstern grosse Mäuler – eins schluckt nach Grossväterlein und ihm. Grossväterlein stolpert immer über seinen langen Bart, er ist schon steinalt, viel älter, wie er geworden ist in Wahrheit. Auch er, Arthur Aronimus, hat weisse Haare und er trägt den kleinen Wachsengel in der Hand vom Christbaum. Auf einmal begegnet ihnen: Lämmle Zilinsky, der grüsst sie beide artig. Grossväterlein winkt ihm stehen zu bleiben, fragt ihn: »Sind jetzt die Kinder auch alle artig zu Dir?« Lämmle nickt und Arthur Aronimus sagt zu ihm: »Ich will Dich nie mehr beschimpfen.« Dem Grossväterlein wachsen zwei schwarze Flügel an den Schultern, die werden immer grösser und Arthur Aronymus bittet Grossväterlein: »Liebes Grossväterlein, bleib doch auf der Erden.« Auf einmal kommt ein ganz gross gewachsener Mann auf seinem Schaukelpferd geritten – und da gucken Fanny, Elischen, Arthur Aronymus und Katharina aus dem Fenster eines ganz alten Hauses. Und Fanny sagt: »Das ist der Kurfürst von Hohenstaufen«. Katharina sagt: »Wo?« Elischen sagt: »Wie ungebildet, Fanny, schäme Dich, der heisst nicht Kurfürst, sondern Conradin, der Ritter: Kreuz.« Da lacht der Kaplan Bernard ganz übermütig und an seinen Ohren bammelt die rote Schaumkugel vom Christbaum, die Arthur Aronimus stibitzen sollte der Ursula. Da kommt plötzlich ein Blitz vom Himmel und trifft Arthur Aronimus mitten ins Herz. Und danach ein Donner.
Zu gleicher Zeit mit dem Donnerschlag fällt die Stubentür (der Traum ist aus) ins Schloss. Fanny tritt ein, nach ihr Elischen, mit überlegenem Lächeln auf Fanny, dann Katharina mit der sehr unruhigen an Veitstanz leidenden Dora an der Hand.
Arthur Aronymus schlaftrunken im Bettchen. Dora plumpst auf den Boden. Katharina und Elischen heben sie auf und legen sie auf eines der Betten.
FANNY: ungeduldig Nun wach mal richtig auf, dummer Junge. Schüttelt ihn etwas.
KATHARINA: Nicht so wüst, Fanny.
FANNY: Du und Elischen geht doch sonst morgens mit Dora spazieren.
ELISCHEN: Bitte, wir Drei wollten uns abwechseln.
FANNY: Ich kann sie nicht halten. Mir fehlen die Muskeln.
ELISCHEN: Muskeln hat überhaupt von uns Schwestern nur die Käthe.
KATHARINA: Es gehört mehr Liebe als Muskeln dazu, unser Dorchen zu pflegen.
Dora will was fragen, aber man versteht sie ihrer geschwollenen Zunge wegen nicht.
ELISCHEN: Sie meint, wir zanken uns immer um ihretwegen. Unser armes Dorchen! Sie küsst sie sehr gutmütig und warm.
KATHARINA: Wir sollten uns schämen!
Dora nickt dazu. Arthur Aronymus öffnet ganz die Augen, die sind noch wehmütig, feucht und weit aufgetan.
FANNY: Was fehlt Dir denn, Du dummer Junge?
Sie setzen ihn aufrecht in die Kissen.
ALLE: hastig, neugierig Wie war’s gestern beim Herrn Kaplan? Erzähl!!
FANNY U. ELISCHEN: gleichzeitig Sieh mal an, unsere Braut!
FANNY: Was hat er gesagt?
ELISCHEN: Sprich doch, Arthürchen!
ARTHUR ARONYMUS: Nix!
FANNY: ahmt ihn nach Nix! Er muss doch was gesagt haben!
ELISCHEN: Na?
KATHARINA: klug Der arme Junge muss sich doch erst besinnen.
ARTHUR ARONYMUS: Ein Schaukelpferd hab’ ich bekommen, vom Christkind.
ELISCHEN: Vom Christkind?? –
FANNY: Warum denn nicht?
ARTHUR ARONYMUS: Und einen Teller mit Leckers – trübe Und allerlei sonst noch …
ELISCHEN: Junge, was hast Du denn nur?
ARTHUR ARONYMUS: Nix!
FANNY: hebt den Zuckerfrosch aus einer Falte des Kissens Der ist dir wohl über die Zunge gelaufen. Sie betrachtet heimlich lächelnd das grüne Tier.
ARTHUR ARONYMUS: Lass meinen Frosch. Er will sie klapsen.
FANNY: Nun ist er wenigstens wach!
ALLE: ihn ermunternd Erzähle.
ARTHUR ARONYMUS: Was soll ich erzählen?
Dora will etwas sagen und kann nicht.
ARTHUR ARONYMUS: Ein Weihnachtsbaum stand, Ursula und Narzissa beteten vor Jesus, der blutete.
FANNY: Wer sind die?
ARTHUR ARONYMUS: Wer meinste?
FANNY: Ursula und Narzissa.
ALLE: Sinds noch Kinder?
ARTHUR ARONYMUS: Onkel Bernards Nichten. – Er hatte die grösste Tasse mit Bernard darauf, aber Zwiebäcke mit Anis assen wir und Mandelkuchen und nachher Pudding mit Saffrantunke. Und dann galoppierte ich auf dem Schaukelpferd nach Hause. Er blickt im Zimmer umher nach dem Schaukelpferd.
FANNY: Weisst Du was Du bist?
Arthur Aronymus den Mund öffnend.
FANNY: Ein kleines Kamel.
ARTHUR ARONYMUS: Er liess euch grüssen.
FANNY: Wirklich?
ALLE: Wirklich?
ARTHUR ARONYMUS: Er wollte euch jeder einen Überwurf mit Mäuseschwänzen schenken. Er bemerkt das Entsetzen in den Augen der Schwestern. Dora lacht dick auf … mit goldenen Fransen, sagte er, und Rosetten für die Haare und ein Testament von Goethe – von Jesus seiner Mutter gereimt.
ALLE: Was?
ARTHUR ARONYMUS: Verdeck wahr.
ALLE: Nää …?
Arthur Aronymus sinkt trübselig wieder zurück in die Kissen.
ELISCHEN: Dem Jungen ist doch was?
KATHARINA: Er hat sich den Magen verdorben.
Von draussen hören die Schwestern das Hexenliedchen dreistimmig bösartig singen.
Maria, Joseph, es läutet so heiss
Bimmel la bammel,
Wasch in Jesu Blut deck weiss,
Bimmel la bammel!
Widerstrebt deck der Christenwein,
Bimmel la bammel!
DORA: schwerfällig, aber vernehmbar Ich hab so Angst …
LIED: Zieh ding Hexenschwänzlein ein
Und erleide Höllenpein, Höllenpein
h, h, Höllenpein.
Wir aber danken Herrn Jesu Christ,
Da durch ihn unsere Seele errettet ist.
Elischen macht sich um Dora zu tun, erwärmt ihre Hände.
DORA: Ich geh auch nicht mehr in den Garten.
ELISCHEN: Aber Dorachen, Deine Angst musst Du überwinden.
Katharina legt Dora ihren Nerzkragen um. Katharina und Elischen tragen das Kind aus dem Zimmer. Die Wintersonne scheint warm und hell.
FANNY: Arthürchen, Aronimuschen, ich schenk Dir einen neuen Baukasten.
Arthur Aronymus blitzschnell setzt er sich in die Kissen.
FANNY: Sag mir genau, hat Bernard von mir gesprochen? Von Fanny? Hat er alle oder nur mich, die Jungfer Fanny grüssen lassen? sie betont noch einmal Fanny, Fanny – mich!
ARTHUR ARONYMUS: anmutig und naiv Vielleicht fällt es mir ein, wenn ich den neuen Baukasten habe.
FANNY: nimmt ihre Börse, zählt in Arthur Aronimus Händchen 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10 Münzen.
Die Brüder: Berthold und Ferdinand kommen und bringen das Schaukelpferd und die anderen Weihnachtsgeschenke und eine grosse gelbe Tüte mit den Leckers. Lenchen trippelt mit ihnen in die Stube.
BERTHOLD U. FERDINAND: gleichzeitig; auf Fanny blickend Vom Herzbischof auf dem Katholischen Kirchplatz.
FANNY: Alberne Bengels, macht, dass ihr rauskommt. Sie zwinkert Arthur Aronimus zu. Arthur Aronimus soll noch schlafen. Sie zieht die Gardinen zu. Lenchen ist im Begriff, ihr Köpfchen neben das des Arthur Aronimus zu legen.
ARTHUR ARONYMUS: zu Lenchen In meiner Jacke steckt wat für dich, Lenchen. Ich mag nichts haben. Er wendet sein Gesicht der Wand zu, Fanny entfernt sich unmutig. Lenchen kramt in seiner Tasche, holt den Wachsengel heraus. Legt sich neben Arthur Aronimus in die Kissen. Draussen läuten immerfort die Weihnachtsglocken.
8. Bild
Vor dem kleinen Kaplanhause steht Fanny an der Hecke des Gärtchens (mittags), auf den Kaplan wartend. Der Eingang des Hauses liegt seitwärts. vis a vis: Prells grosser Weingarten zur Seite des Platzes. Der Kaplan kommt gerade aus der Kirche, seine Gemeinde sieht man andächtig über den Platz schreiten. Man hört noch etwas Musik der Orgel. Der Wanderbursche Nathanael Brennessel streicht um das Kaplanhaus herum. Warme Wintersonne scheint.
Personen: Fanny; Kaplan; Brennessel.
NATHANAEL BRENNESSEL: sagt, für den Kaplan vernehmbar, mit dem Gedanken, von dem mitfühlenden Kaplan eine kleine Gabe zu bekommen Der Fuchs hat seinen Bau, der Vogel sein Nest, nur der Wanderbursch hat kein Ruhekissen, wo er sein Haupt legen kann, – sagte auch Herr Jesu. Er sieht Fanny. Ja, ja, ja im Flötenton Nur der Nathanael Brennessel hat kein Himmelbettchen, wo er süss drin schlummern tät.
KAPLAN: überhört die letzten Worte mit Absicht; freundlich Nur war der Heiland kein Wanderbursch, aber eben der Heiland.
BRENNESSEL: Streifte er etwa nicht durch die Lande, mit Fürlaub?
KAPLAN: erkennt die verlegene Fanny und tritt an sie heran Jungfer Fanny, etwas erschrocken meinem kleinen Freund Arthur Aronimus ist doch nichts zugestossen?
FANNY: Darum erlaubte ich mir, auf Sie zu warten, Herr Kaplan.
KAPLAN: Um Himmelswillen!
BRENNESSEL: Er stand doch eben noch im Fensterrahmen, quietsch vergnügt und wieherte mit einem Pferdschen in die Landschaft.
FANNY: Im Gegenteil, er weint, seitdem er gestern Abend heimkam.
KAPLAN: Um Himmelswillen. Er öffnet die Haustür. Wollen Jungfer Fanny mir nicht in meiner Behausung Näheres mitteilen? Zwar verlebt meine Hausfrau bei ihrer Tochter die Christtage.
BRENNESSEL: für sich Am Weihnachten ständ man sich besser, kein Jud zu sein.
KAPLAN: der es gehört hat Ich wunderte mich schon, lieber Brennessel, da er nie zur Beichte kam. Er legt ihm ein Geldstück in die Hand.
BRENNESSEL: Da sagt man die weissen Juden sind schlimmer, als die unsrigen!
FANNY: Unser Grossvater in Paderborn redete dem Ziegenbock sie stockt im Sprechen ein, er sei der Pan. Das hat er sich in den Kopf gesetzt.
KAPLAN: ehrerbietig Wenn ein so gottgefälliger Mensch wie der grosse Rabbuni also behauptet, wird es wohl stimmen, Jungfer Fanny.
Sie gehen beide ins Haus. Das Fenster ist geöffnet, man hört sie sprechen.
FANNY: Er kann sehr dreist werden, glauben Sie es mir nur Herr Kaplan.
KAPLAN: ironisch lächelnd Das ist so die Eigenart des Pans, – namentlich, wenn er gereizt wird. Er sagt das im Märchenton, wie man einem Kinde etwas erzählt.
FANNY: Sie sind ja himmlisch gut, Herr Kaplan. Sie will seine Hand küssen.
KAPLAN: Jungfer Fanny, wir leben doch nicht im Mittelalter … Aber wir sind vom eigentlichen Thema abgekommen. verwirrt Was ist mit meinem lieben kleinen Freund los?
Sie treten beide ans offene Fenster.
FANNY: sie spricht wie auswendig gelernt Schon gestern Abend kam er nicht wie sonst mutwillig ins Haus die Treppe raufgesprungen; ja, ganz benommen war er, selbst die Mutter konnte ihn nicht trösten. Sie tut entsetzt.
KAPLAN: dem ein Licht aufgeht Ach?
FANNY: Nun lässt die Mutter höflichst Herrn Kaplan fragen, ob sich mein kleiner wilder Bruder vielleicht nicht geziemend betragen habe, Herr Kaplan, und im voraus um Excüs bitten.
KAPLAN: er überschaut klug, immer tiefer die Situation und antwortet im gleichen konventionellen Ton Jungfer Fanny, bestellen Sie Ihrer Frau Mutter gefälligst, mein kleiner Freund habe sich tadellos betragen und nur in einem Versehen meinerseits, könne evtl. die Ursache zu seiner Missstimmung liegen.
FANNY: Das glaube ich Ihnen nie und nimmer, plötzlich warm Herr Kaplan Michalski …
KAPLAN: rückt einen Stuhl ans Fenster Darf ich bitten? Denn die Sonne scheint wie im Mai.
FANNY: Ich möchte Ihre schöne Weihnachtszeit nicht länger in Anspruch nehmen.
KAPLAN: Aber den geschmückten Baum muss sich die verehrte Jungfer Fanny doch vorerst betrachten.
FANNY: wendet ihr Gesicht der Stube zu Und wie er duftet!
Der Kaplan geht vom Fenster zurück, pflückt vom Baum ein Körbchen aus Schokolade und überreicht es Fanny.
KAPLAN: Und die Freude meiner kleinen lieben Gäste, gestern Abend. Warum haben Sie nicht Ihr mir so liebes Brüderchen begleitet Jungfer Fanny?
Fanny sentimental. Draussen beginnt ein Orgelmann am Weg vor dem Platze das Hexenliedchen zu spielen: Maria, Joseph, et läutet so heiss. Der Kaplan lauscht erschrocken.
FANNY: halb für sich Selbst heute –
KAPLAN: Unfug! Ich werde den Mann zurechtweisen. Er eilt aus der Stube über den Platz mit einer Geschwindigkeit wie ein grosser Schuljunge. Fanny erhebt sich und blickt dem dahinsausenden Kaplan weit aus dem Fenster gelehnt nach. Der Orgelmann nimmt seine Orgel auf den Rücken und verschwindet in ein naheliegendes Haus. Der Kaplan kehrt lächelnd in die Stube zurück.
KAPLAN: Excüs, Jungfer Fanny, hier heisst es ebenso schnell wie energisch handeln!
FANNY: Der Gendarmssergeant antwortete kürzlich dem Herrn Vater, der sich wegen des sträflichen Liedes beklagte: »Da müssten wir viele Kehlen umstimmen.«
KAPLAN: Fanny beruhigend Die verirrten Leute werden ihren Weg hoffentlich bald wiederfinden.
FANNY: Um unsere erkrankte Schwester ängstigen wir uns Jeder heimlich im Hause, keiner wagts dem anderen zu gestehen. Und wir können Dorachen nur durch Zureden bewegen, im Garten spazieren zu gehen. Ich führe sie meist. Gestern rief so’n Kerl durch die Hecke: Du Hexken kommst nun auch ran!!
KAPLAN: Diese furchtbaren Rückfälle religiöser Verirrungen des Mittelalters.
FANNY: sie tut jetzt nur sentimental Selbst heute, wo die Lichte brennen an den Zweigen. Fanny wendet zum Weihnachtsbaum ihr Gesicht.
KAPLAN: Macht es Ihnen wirklich Freude ihn brennen zu sehen? Wir wollen das Fenster schliessen und die Gardinen zuziehen, um ihn im lauteren Weihnachtsglanz zu schauen.
FANNY: es überkommt sie eine unmoralische Angst, hält ihn zurück das Fenster zu schliessen Die Leute werden meinen, – Sie – seien – verreist, – Herr Kaplan.
KAPLAN: von Fannys zurückhaltender Mädchenhaftigkeit betroffen. Er bemüht sich, beherrscht zu antworten Eine Lüge allerdings, sollte man auch nicht vortäuschen! Meine Mutter zwar – er zeigt auf ihr Bild würde sagen: Der Bernard wird ins Traumland gereist sein. Er zündet die Lichte an.
Fanny bebt vor Erwartung.
KAPLAN: kehrt zur Fanny ans 1. Fenster zurück Jungfer Fanny, er wendet sich wieder zum Christbaum um, ebenfalls Fanny Selig die, welche ihr Leben hängen an kindliche Freuden.
Fanny begreift nicht recht.
KAPLAN: Nun stehen wir vor dem heiligen Licht der Welt, Jungfer Fanny – Sie – Fanny, wie eine Braut Christi.
Fanny verlegen.
KAPLAN: Jungfer Fanny er betastet ihre Hand Das Licht vereinigt – er stockt alle Herzen …
Fanny bebt vor Seligkeit.
KAPLAN: wieder gefasst wie gestern die pochenden der Kinder sich reihten neben das meine.
FANNY: Sie predigten einmal: Christus sei das Licht der Welt.
KAPLAN: gespannt Kamen Sie mal in meine Predigt, Jungfer Fanny?
FANNY: verlegen Zum Schluss.
KAPLAN: Fürchteten Sie, dass, wenn jemand Sie gesehen hätte ausser unser Heiland?
FANNY: Unser Grossvater lebte noch –
KAPLAN: sie zu überführen gedenkend Mich dünkt, der grosse Rabbiner war doch ein toleranter Mensch, Jesus, unser Herr, hätte ihn geliebt.
FANNY: nach einiger Überlegung, rührend Herr Kaplan, ich habe keinen Wortschatz.
KAPLAN: geht wieder ans zweite Fenster, bläst die Lichte aus am Baum. Kehrt dann zur Fanny wieder zurück. Er zeigt auf die Eberesche im Vorgärtchen Der ist mein ständiger Weihnachtsbaum, der mich beseeligt. Noch hängen Dolden von Beeren an seinen Zweigen, Jungfer Fanny. Wär ich ein Dichter und kein Kaplan, – ich würde Sie vor der lieblichen Eberesche besingen, Jungfer Fanny.
FANNY: überrascht Davon stehen viele, viele zwischen den Nadelbäumen bei uns. Sie benutzt die Gelegenheit, den Kaplan einzuladen. Wollen Sie sie sich nicht einmal ansehen?
KAPLAN: Ich habe nur diese einzige Braut. Sehen Sie Jungfer Fanny, diese Eberesche ist meine Vertraute, ja, meine Geliebte. Unter ihren Zweigen sitze ich noch im späten Herbst und träume spielend mit Fannys Gefühlen von der Welt – Fanny betrachtend der ich entsagte.
FANNY: Herr Kaplan –
KAPLAN: Betrachten Sie nur im Oktober ihr leuchtendes Korallengeschmeide, Jungfer Fanny.
Fanny weint vor Erregung.
KAPLAN: spielt mit ihren Gefühlen, im Grunde sich zu retten Um die beneiden Sie doch nicht etwa, die liebe Eberesche?
Fanny verblüfft.
KAPLAN: fast zärtlich, aber beherrscht Und dabei blüht sie ganz allein, besitzt gar kein Schwesterlein und Brüderlein, die sie betreuen kann. Wenn ich den grossen Gutsgarten passiere in der Abendstunde im Sommer und Sie und die Geschwister alle auf dem weiten Rasen sitzen, oder blinde Kuh spielen, denke ich mir, welche schöne Aufgabe für die älteren Geschwister, die jüngeren zu betreuen.
FANNY: wieder gefasst und etwas ärgerlich Jetzt sprachen Sie wirklich wie mein Vater.
KAPLAN: lacht ganz laut Alter schützt vor Torheit.
FANNY: Dass gerade Ihre Wahl Fanny ist abgekühlt auf den wilden Bengel fiel – das begreift der Vater nie und nimmer.
KAPLAN: Und die Frau Mutter?
FANNY: Ihr Abgott ist der Junge doch. Ich mag ihn ja auch ganz gern. konventionell kokett Hätt mich doch auch mal jemand lieb.
KAPLAN: Ach, ich vermutete, die Jungfer Fanny hätts dem Doktor Faust angetan? – Er sieht hinüber seitwärts in den Prells’schen Weingarten.
FANNY: Hm – hm, der affige Mensch! – Kennen Sie ihn?
KAPLAN: Ich kann doch nicht alle die Doktoren Faust kennen. Pause. – Im Oktober schon er deutet wieder träumerisch auf die Eberesche stand meine liebe Eberesche ganz im Feuerkleid. Sie war meine keusche Göttin, meine fromme, glühende Schwester – und ich warte nun auf des nächsten Jahres scheidenden Monat, der sie wieder für mich schmückt.
FANNY: sie erhebt sich, sie beugt ihren Kopf vor dem Kaplan, sagt leise zu ihm, indem sie ihm die Hand reicht Herr Kaplan, –
KAPLAN: Fanny!
9. Bild
Am Nachmittage, noch im halben Tageslicht. Im grossen Essraum versammeln sich Schülers Familienmitglieder. Ausser Menachem, Simeon und Julius. Ein kleiner, festlich gedeckter Tisch steht fast in der Mitte des Essraums mit zwei Kandelabern. In dem grossen Spiegel an der Wand spiegelt sich der Raum mit dem grossen Buffet und dem sämtlichen andern Mobiliar. Die Mutter steht vor dem kleinen Tischchen und legt ein in grünem Samt gebundenes Tagebuch auf das kleine Lesepult des Tischchens, rückt den geblümten Sessel vor dem Tisch zurecht und zündet die Kerzen am Kandelaber an. Fanny steht nachsinnend an einer der Gardinen.
Personen: Herr Schüler; Frau Schüler; Fanny; Katharina; Elischen; Dora und die anderen Geschwister.
MUTTER: Was ist das mit Dir, Fanny?
FANNY: elegisch Wie meint die Mutter das?
MUTTER: Bist gar verliebt, Kind?
FANNY: Aber Mutter – Unterdrückt ihre Tränen.
MUTTER: Hast Du mir nicht sonst stets alles anvertraut? Ist Deine Mutter Dir nicht eine gute Freundin gewesen, mein Kind.
FANNY: gedenkt das Thema abzulenken im alltäglichen Ton Ich verstehe die Mutter oft gar nicht – schnippisch den lieben langen Tag – der Herr Vater hie, der Herr Vater dort, und die 23 Kinder! Ich in Mutters Stelle wäre längst schon ausgerückt. Kleine Pause. Sie umhalst plötzlich die Mutter und bricht in Tränen aus.
MUTTER: bewegt Aber Fanny, mein Kind – ich ahne es ja, ich ahne ja Deinen Schmerz.
FANNY: jäh Mutter, ich will Nonne werden. Kleine Pause. Ich habe es mir gründlich überlegt.
MUTTER: gerührt Und So hoffst du ihn zu gewinnen, geliebtes Kind. Die Mutter streichelt Fannys Haare innig.
FANNY: Wen meinst Du Mutter? Um Himmelswillen, sag seinen Namen nicht, Mutter, um Himmelswillen!
Mutter schweigt lächelnd.
FANNY: nach einer Pause Mutter, rate mir, was soll ich tun?
MUTTER: Ich kann dir den Entschluss, Nonne zu werden, lebhaft nachfühlen, Kind – ihn seelisch nicht zu verlieren? … Du weisst doch, der katholischen Geistlichkeit ist es untersagt zu heiraten. Auch bist du ja keine Katholikin –
Fanny sie zieht die Schultern, als ob man das doch ändern könne.
MUTTER: Und wie streng es in den Klöstern zugeht, wirst Du doch wissen vom Hörensagen?
FANNY: elegisch, zu sich selbst sprechend Ja, ja, ich würde ihn nie mehr wiedersehen. Oder – höchstens im Traum …
MUTTER: Siehst Du!
FANNY: Ach, Mutter, Dir kann man wirklich alles anvertrauen – Du bist meine allerbeste Freundin, ja? Zärtlich, gibt der Mutter einen Kuss.
MUTTER: Fühlst du das?
Pause.
FANNY: Mutter, es ist der Kaplan.
Pause. Mutter lächelt.
FANNY: Ich war bei ihm am Weihnachtsmorgen, Mutter.
MUTTER: bange Hat Er Dir geraten, ins Kloster zu gehen? – Sag mir die volle Wahrheit?
FANNY: Aber nein – das ist es ja, er hält mich für so ein recht oberflächliches Ding aus dem Gutsgarten! Der Bengel ist ihm tausendmal lieber!
MUTTER: Das fehlt noch, dass Du auf Dein 8jährig Brüderlein, unser Arthürchen Aronimus eifersüchtig bist. Aber Fanny!
FANNY: Den schönen Mädchen, sie blickt flüchtig in den Spiegel traut man nie Tiefe zu.
MUTTER: Sitzengebliebener Jungfern Weisheit, Kind. Sie hält bescheiden inne. Auch ich habe darunter –
FANNY: Gelitten? Wolltest du sagen, Mutter.
MUTTER: Nun ja –
FANNY: vertraulich Jungfer Paderstein, die alte Schraube, vertraute mir mal an, Du habest eigentlich den semmelblonden verbessert sich erschrocken hellblonden Onkel Berthold geliebt, Herrn Vaters – schwärmerischen Bruder.
MUTTER: ist sehr konsterniert darüber, aber um Fannys Vertrauen nicht einzubüssen, mädchenhaft … Nun ja, ich war damals verliebt in ihn, aber den Vater lernte ich lieben, mein Kind.
FANNY: die Mutter liebevoll betrachtend, fast wie ein Freier Henriettchen, genau wie mon amie Antoinette aus dem Pensionat in Münster, siehst Du jetzt aus.
MUTTER: hält die Hand lächelnd vor Fannys Mund Wenn uns jemand hören würde.
FANNY: wie zu einer Freundin Mutter, ich will ihm imponieren! Wie mach ich das?
MUTTER: Da gäbe es doch noch andere Wege! Aber seinen Glauben wechselt man nicht wie ein Gewand mit dem andern, gilt es auch dem Herzallerliebsten zu imponieren.
FANNY: Ach ja: Herzallerliebsten …
MUTTER: Fanny prüfend Und noch dazu unseren ewigen Glauben an den alleinigen Gott, die Haut Deines stolzen Herzens abzustreifen, vermagst Du das?
FANNY: Wir haben doch alle einen Gott! Sein Gott ist mein Gott!
MUTTER: Aber willst Du Ihn in einem Dir fremden Hause anbeten, zwischen feindlichen Menschen?
Von der Landstrasse her kommen wieder Leute nach Gaesecke heimgezogen und singen das Hexenliedchen: Maria, Joseph etc. … Die Mutter deutet nach draussen.
MUTTER: Genügt Dir die Bestätigung meiner Worte nicht, Fanny?
FANNY: horcht mit der Mutter Dieselben grellen Stimmen drangen im Spätherbst vom Garten in meine Stube hinauf … Die Clara brachte den Leuten immer noch heissen Kaffee.
MUTTER: legt die Hand auf das schmerzende Herz Wie mich das verwundert. Dass gerade diese Leute –
FANNY: Hör nicht hin, wir waren doch so schön beim Erzählen.
MUTTER: Gleich kommen die Kinder und der Vater beginnt zu lesen aus seinem Tagebuch. Strenge dich an, aufzupassen, Fannychen, Du weisst doch, wie ihn Unaufmerksamkeit kränkt. Und die kleinen Aufzeichnungen sind doch einmal sein Faible.
FANNY: nickt und dann wieder elegisch Ich vergass Dir noch anzuvertrauen, wie ich es anstellte, ihn in seinem Hause zu besuchen.
MUTTER: Ja?
FANNY: Ich kam von Dir gesandt mich in Deinem Namen zu erkundigen, ob sich etwa unser Arthur Aronimus ungeziemend gestern am Heiligen Abend benommen, da der Junge bis jetzt noch nicht den Mund aufgetan habe.
MUTTER: Das hättest Du um des unschuldigen Jungen willen unterlassen sollen, Fanny.
FANNY: Aber es klappte vorzüglich, Mutter. Ich musste mir seinen Baum ansehen. Er zündete die Kerzchen an, ach, der Duft sitzt noch jetzt in meiner Nase, überhaupt seitdem duftet alles nach Tannenbaum, auch unsere Stuben, mein Kleid, mein Schrank und alle Kleider darin. – schwärmerisch Dann musste ich mich auf einen Stuhl vor sein winziges Gärtchen an sein Fenster setzen. Mutter, er liebt doch eine Eberesche, er ist doch in eine Eberesche verliebt, am meisten im Spätherbst, wenn sie ihre roten Korallen trage. – Kleine Pause. Er ist entzückend, Mutter!!
MUTTER: Und dann?
FANNY: elegisch Ja, dann ging ich heim.
Mutter atmet auf.
FANNY: Mutter, bitte, bitte, bring mir von Paderborn ein Paar Korallenohrringe mit, so ganz dunkelrote! Du wolltest doch mit Arthur Aronymus hinreisen. Immer der Bengel!! Dafür musst du mir die Korallenohrringe mitbringen.
HERR SCHÜLER: tritt mit seinen Kindern in den Essraum Fehlt keines? Zur Mutter.
MUTTER: zählt Selbst Titichen! Sie hebt das Kleinste auf ihren Schoss. Die Zwillinge Meta sitzen auf Katharinens Schoss. Vor Katharina steht Meierchen. Elischen hält ihren Arm um Dora geschlungen; vorher aber legt Elischen sich heimlich ein Buch: Der Briefwechsel Goethes mit Lessing, auf den Stuhlsitz. Max placiert sich auf ein Schemelchen neben dem Vater. Alex sitzt im Krankenstuhl am Kamin. Arthur Aronymus und Lenchen zusammen aneinandergeschmiegt auf einem Stuhl. Die übrigen Kinder auf Stühlen an der Wand entlang an einem grossen Tisch. Der Vater, im Begriff, seinen Platz einzunehmen, kommt die alte Küchenmamsell eilend in die Essstube.
VATER: mit erhobener Stimme Schade, dass Simeon und Julius und Menachem mit seiner Familie sich nicht unter Euch befinden.
MUTTER: Wie werden sie sich bangen während der Examen in Paderborn …
Ferdinand stösst den Berthold an, sie verbeissen sich das Lachen.
MAMSELL: Das Mehl vom Müller ist noch nicht eingetroffen. wichtig Soll Clara wacker hinlaufen, Madame Schüler?
VATER: erstaunt betrachtend Wer ist denn das wieder?
FRAU SCHÜLER: verständigt die Mamsell, weiter nicht mit Fragen zu stören Kennt denn der Vater unsere Mamsell nicht, die schon 20 Jahre mit uns unter einem Dache wohnt?
MAMSELL: Nee, der Herr Gutsbesitzer kennt mer scheints nich, – wie sinne eegenen Kenger heute morgen nich! Ha, ha, ha! Aus däm Garten Eden hätt er se verdeck beenahe vertrieben, wie der Allvater eenst die Eva und dän Adam no däm Sündenfall.
Alle lachen.
VATER: wohlwollend lächelnd Sehr verehrte Mamsell, bei der Schar Kinder kann das doch einem mal passieren? Sie verdufte! …
Draussen singen die Leute wieder das Hexenliedchen. Man hört noch Klänge aus der Entfernung.
DORA: spricht mit schwerer Zunge Bald holen sie mich, ich hab so Angst …! Sie schwankt wieder ganz gewaltig. Elischen kann sie nur mit Mühe halten. Elischen küsst die Schwester sehr gutmütig tröstend.
FERDINAND: zu den Eltern Sie sei eine Hexe – sieben Kinder habe sie im Dorf verhext!
VATER: winkt Katharina, ihr leise ins Ohr Die Mutter ahnt doch von dem anonymen Schreiben nichts?
Katharina hebt abwehrend die Hände.
MUTTER: zu Ferdinand Wer hat Dir den Unsinn aufgebunden?
Ferdinand zögernd, zeigt auf Arthur Aronymus.
MUTTER: sich zwingend Stell Dich in die Ecke und rühre Dich nicht, bis ich Dich rufe.
Lenchen begleitet Arthur Aronymus in die Ecke.
MAX: Hahaha!!
VATER: Diesmal ist mir Frau Mutter einsichtlich zuvorgekommen. A propos, noch eine zweite Angelegenheit. Vater ruft Fanny, die an der Gardine der Nische lehnt, gleichgültig die Vorlesung erwartend. Fanny!!
Fanny schlägt plötzlich das Gewissen.
VATER: Der Schulze machte mich gestern Abend beim Dominospiel aufmerksam, dass meine Tochter, die Jungfer Fanny, allabendlich spät einsam Spaziergänge unternähme? –
FANNY: halb für sich Nur der blöde Ziegenbock, der Brennnessel, kanns dem Schulzen hinterbracht haben.
VATER: Welch unpassender Ausdruck für eine junge Tochter: Ziegenbock!!? Schäme sie sich!!
MUTTER: lügt zu Gunsten Fannys Vorgestern begleitete ich unsere Fanny auf ihrem harmlosen kleinen Ausflug.
FANNY: kühn Die Abendluft tut mir gut. streift den Spiegel Sie konserviert den Teint.
Elischens und Katharinas Blicke begegnen sich.
MUTTER: klug und liebevoll Warum lassen der Herr Vater uns so lange harren auf das spannende Ende, wie er sich gestern auszudrücken pflegte, seines Tagebuches? Moritz!
VATER: schliesst das Tagebuch lächelnd auf Nehmt Euch ein Beispiel an Eurer Frau Mutter; mit welcher Liebe sie wieder diesen kleinen Tisch betreute … ritterlich Also wie meine Gattin befiehlt. Er räuspert sich, verbeugt sich wie bei Hof. Vernehmt hiermit aufmerksam den Schlussaccord meiner Jugendzeit: Ich ergreife die Feder, dir Gotthold Ephraim Lessing, die letzten Seiten meines bescheidenen Tagebuchs zuzueignen. Nimm sie demütigst hin. In Klammern – am Abend spielte man seinen Nathan im herzoglichen Goethetheater in Weimar.
Arthur Aronymus blickt sich zu Dora um, um sich mit ihr in der Zeichensprache zu verständigen. Dora lacht krampfhaft.
MUTTER: zum Vater Bitte, bitte, spanne unsere Ungeduld nicht auf die Folter, Moritz!
Fanny zuckt, die Mutter anblickend, die Achseln.
VATER: in sich versunken Paderborn. Donnerstag den 25. September 1810. Ich, Moritz Schüler, der Erstgeborene meiner Eltern und mein jüngerer Bruder Berthold Schüler erhoben uns um 8 Uhr am Morgen aus unseren Betten. Nicht wie üblich geweckt durch der Wanduhr er deutet auf die Wanduhr harmonischen Schlag. Ihr stummer Zeiger beichtete uns grenzenlose Geschehnisse. Vermutend die achtbaren guten Eltern ruheten noch in Morpheus Armen, erschraken wir auf das Heftigste, weder den Herrn noch die Frau Mutter weder in ihrem Schlafgemach noch in der Wohnstube anzufinden. Wir schämeten uns beide Brüder, waren wir auch müde vom Studium, den Schlaf des Gerechten geschlafen zu haben. Die vermutlichen, erschreckenden Hilferufe der verehrten Eltern uns so entgangen!
MUTTER: mitleidig Oh! …
VATER: Zum ersten Mal kam es zwischen uns jungen Männern, uns Brüdern zu Streitigkeiten.
Fanny bemerkt die Opposition in den Mienen der Mutter. Ihre Blicke treffen sich problematisch. Lenchen hebt den Finger, wie in der Schule. Sie hebt ihn von hinten.
LENCHEN: Mutter, darf sich Arthur Aronymus wieder setzen?
Mutter nickt heimlich. Die Kinder setzen sich zur rechten und linken Seite neben Alex’ Krankenstuhl.
VATER: vertieft Von der Strasse dröhnte die Wut der aufgestachelten Christen und wir beiden Jünglinge stürmten versöhnt und vereint in unserem Nachtgewande und in den Zipfelmützen, also beinahe entblösst, auf die Strassen Paderborns. Da!! Was bot sich unsren Blicken? Er blickt jeden der Zuhörenden an. Kleine Pause. Wen gewahrten wir? Kleine Pause. – Mein Bruder Berthold: Moritz, hörst Du die Eltern rufen hoch vom Dom? Ich blickte empor, Zähren traten in meine Augen und antwortete: Kein Zweifel, mein Bruder, es sind die Eltern. Wir aber drängten uns durch die gaffenden Massen Paderborns, sprengten wie Rosse die Wendeltreppen des katholischen Hauses empor, immer höher, immer höher, bis wir vor der kleinen ehernen Pforte standen, die uns tapfere Söhne von den gequälten Eltern noch grausam trennte.
MUTTER: gespannt Und?
VATER: selbst tief gerührt Niemals werde ich den Anblick verschmerzen, liebe Leser, der sich unseren verwirrten Augen darbot. Eingezwängt im Glockenturm erlitten unsere verehrten Eltern Höllenqualen zwischen den anderen achtbaren Judenfamilien Paderborns. Und nicht allein die aufgewiegelten Christen übermannten wir, ich und Berthold, schliesslich auch die Gendarmerie, die sich uns entgegen in den Weg stellte. Ohne mich meiner Männlichkeit rühmen zu wollen, ich kämpfte noch meinen Mann, bis der letzte geschmähte Jude befreit, schon um korrekt zu berichten, meinem Bruder Berthold die Kräfte versagten.
Fanny nickt der Mutter mit einem Auge schelmisch zu.
ARTHUR ARONYMUS: fast weinerlich Immer so traurig.
VATER: mit Eifer, lobend Ja, ja, mein Sohn! liest weiter – Aber als der Abend mit seinen Sternen kam, glänzten die Strassen wieder gesäubert von der Schmach der aufständigen Menge und Vater und Mutter sassen kosend umschlungen auf ihrem Kanapee. Wir Brüder ihnen zu Füssen. Und Friede zog in die Riesenstadt Paderborn, in jede Stube, in das kleinste Kämmerlein ein. schwulstig Und höher wölbte sich Jedermanns Busen und das Herz begann wieder lieblich zu schlagen. Ende! Er tut einen Atemzug.
ELISCHEN: für sich Von Goethe beeinflusst.
VATER: Glaubst Du, Elischen?
MUTTER: ihr ins Wort fallend Ein Lessing ist in Herrn Vater verloren gegangen.
VATER: Dank, Henriette.
MUTTER: winkt den Kindern, ins Freie hinaus zu gehen Das war einmal wieder ein Nachmittag!
Vater geschmeichelt.
MUTTER: Willst Du mir eine Bitte erfüllen?
VATER: mit königlicher Gebärde Und wenn es mein halbes Königreich wäre, Esther Henriette!
MUTTER: Ich möchte morgen nach Paderborn. Meines holdseligen Vaters Grab besuchen.
Vater mit königlicher Geste neigt bejahend sein Haupt.
MUTTER: Und – Moritz, ich möchte Arthur Aronymus mitnehmen? Erlaub’s mir zu Liebe.
VATER: noch verzückt in höheren Sphären Seinen Lieblingsenkel. Nickt zustimmend.
MONSIEUR INSPEKTOR FILIGRAN: kommt ins Zimmer und etwas näselnd Herr Gutsbesitzer, zwei von den gescheckten Kühen kalben. Excüs, Madame. Er verbeugt sich vor Frau Schüler; Herr Schüler eilt mit ihm in den Garten. Frau Schüler trocknet mit einem Tüchelchen ihre Stirne. Sie ist erledigt wie nach einer Operation. Lehnt sich zurück in ihren Sessel und schliesst die Augen.
10. Bild
Auf dem alten Judenfriedhof in Paderborn.
Personen: Frau Schüler; Arthur Aronymus; 2 Gärtner, ein jüdischer und ein christlicher.
Arthur Aronymus kommt an der Hand der Mutter an die kleine Pforte des Friedhofs, es schneit. Es ist Anfang Januar.
MUTTER: Nun sei recht brav, mein Kind, sie zeigt zum Himmel damit sich Dein liebes Grossväterlein freut über Dich.
ARTHUR ARONYMUS: Ist er denn da oben im Himmel?
MUTTER: Das will ich meinen; ein Engel hat ihm Geleit gegeben.
ARTHUR ARONYMUS: Ach, Grossväterlein lachte so, als ich und Lenchen auf seinem Perser Purzelbäume schlugen. Der Ephraim kämmte morgens seine Fransen. Er sieht, wie seine Mutter weint. Ein Kuckuck schlägt. Hör mal, Mutter, er zählt 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7! im Ton der westfälischen Bauern Genau so alt, wie eck wurd der Groatvatter, schönet Alter! Wat Modder!?
MUTTER: sie muss lachen Strick! Manchmal glaubte man wirklich, Dein liebes Grossväterlein war so alt wie der Strick da. ermahnend Aber dann dünkte es mich, er sei gottalt.
ARTHUR ARONYMUS: Weil er soviel vom lieben Gott erzählte?
MUTTER: Auch darum, mein Kind, aber auch, weil er leuchtete und ewigen Frieden verbreitete – und – wer ihn anblickte, ward getröstet.
ARTHUR ARONYMUS: im selben traurigen Ton Allerwegen.
MUTTER: sie biegt in eine Reihe der Grabsteine ein; sie lächelt Und Du musst ein guter Mensch bleiben, mein Kind, schon Grossväterlein zur Ehre.
Arthur Aronymus macht auf einmal einige Sprünge.
MUTTER: erschreckt Aber Junge, Du wolltest doch brav sein?
ARTHUR ARONYMUS: Weil Du ömmer so hülst, Modder.
MUTTER: sie bleibt stehen vor einem Grab, auf dessen Stein senkrecht zwei betende Hände graviert sind, und die Inschrift ihres Vaters Dort liegt unser geliebtes, unvergessliches Grossväterlein, betont der berühmte Rabbuni von Rheinland und Westfalen, mein Kind. Sie sinnt vertieft, hebt dann Arthur Aronymus etwas höher. Nun hol Deine Steinchen aus Deinem Perlentäschchen und lege sie kunstgerecht, wie Du Deine Bauklötze legst, eines neben dem andern und über dem anderen auf die grosse Steintafel.
ARTHUR ARONYMUS: Und diesen Stein mit Erz in die Mitte. Er macht das ganz kunstgerecht. Mutter, warum sollte ich die Steine auf die Gedenktafel legen? Kaspar bringt immer seinem Vatter eenen ollen Kranz aus Strohblumen am Sonntag.
MUTTER: Das will ich Dir erklären, wenn Du einmal älter bist, mein Kind. Dann wollen wir Grossväterlein sie legt ebenfalls Steine und zwar über Arthur Aronymus’ Steine, viel ungeschickter wie er, auf den Denkstein. Arthur Aronymus sinnt kopfschüttelnd, wie untalentiert die Mutter das macht … bis in den Himmel hoch eine Wohnung bauen. Jedenfalls, mein kleiner Arthur Aronimus, dieses war dein erster ernster Bau, mein Junge.
ARTHUR ARONYMUS: Du sprichst jetzt verdeck, Mutter, wie Grosspapalein Rabbi.
MUTTER: Nun falte Deine Hände und bete.
Er legt die Hände, wie sie auf den Grabstein eingemeisselt sind, und will sein Abendgebet sprechen. Aber er fängt auf einmal an zu weinen, sodass die Mutter beginnt zu beten. Man hört sie nicht. Ihren Arm legt sie um Arthur Aronimus. Sie stehen beide sehr bewegt und still vor dem Grabe. Von einem Seitenweg tönen Stimmen herüber. Die Mutter trocknet Arthur Aronymus’ nasses Gesichtchen.
MUTTER: Nun, mein Liebling, wollen wir wieder zum Ephraim gehen, in Grosspapaleins kleines Haus. In seiner Stube zündet bald der gute Ephraim die Sabathkerzen an.
Sie schreiten den stillen Weg entlang, vernehmend die Stimmen der beiden Männer, die dabei sind, die Stämme der Bäume vor dem Winterfrost zu verbinden.
JÜDISCHER GÄRTNER: Sagen Sie’s noch einmal, wenn Sie Mut haben. – Nun, wirds bald!
CHRISTLICHER GÄRTNER: Ich meinte man doch bloss so – aber wenn Se’s durchaus nochmal hören wollen, so wiederhole ich’s haarklein. Ich habe gesagt: So kommt man herunter, dass man schliesslich die Hälse der Judenbäume hinter den Judengräbern einwickelt.
JÜDISCHER GÄRTNER: So, ich wollte es nur noch mal hören.
CHRISTLICHER GÄRTNER: Klagen Se mer dreist an, bei Ihrer Semitischen Kanzlei, schad nur, lauernd dass nicht auch die jüdischen Brüders von die Hexen verbrannt werden.
JÜDISCHER GÄRTNER: Meine Mutter, hochselig, liegt hier begraben – aber bald kann ich mich nicht mehr beherrschen.
CHRISTLICHER GÄRTNER: Komm’ Se doch mal an mich heran, Sie feiger Jud’.
Jüdischer Gärtner ist im Begriff, sich auf ihn zu stürzen.
MUTTER: zu Arthur Aronymus Rühr Dich nicht vom Fleck. zu den Männern gewandt Aber Männer, hier im heiligen Garten –
CHRISTLICHER GÄRTNER: Er fängt immer an, mir zu kuinieren.
JÜDISCHER GÄRTNER: keucht Er hat gesagt …
MUTTER: Ja, ja, ich habe es gehört, was er gesagt hat. zu dem christlichen Gärtner gewandt Arbeite er doch fürder auf einem seiner Kirchhöfe, wenn er sogar nach dem Tode des Menschen nicht die Liebe hochhält.
CHRISTLICHER GÄRTNER: Auf unserem Kirchhof? Das lohnt sich nicht, Madame. Die Juden zahlen weit besser.
JÜDISCHER GÄRTNER: Dafür sin wir gut.
MUTTER: Aber wissen Sie denn nicht, Mann, dass über uns ein und derselbe Herrgott wohnt?
ARTHUR ARONYMUS: will seine Mutter, für sie beängstigt, von den Männern fortziehen Mutter, die Lichter werden angezündet, gewiss schon. –
JÜDISCHER GÄRTNER: Ist doch noch hell, Junge.
ARTHUR ARONYMUS: Präzise – –
CHISTLICHER GÄRTNER: wieder zuvorkommend Erst etwa vier Uhr, junges Herrchen.
ARTHUR ARONYMUS: Mutter, gleich haut er Dich.
MUTTER: zum jüdischen Gärtner Wie lange arbeitet Ihr Kollege schon auf unserem Friedhof?
JÜDISCHER GÄRTNER: Seit dem auferstandenen Aberglauben. Aus Zuvorkommenheit stellt man jetzt auch Christen auf diesen heiligen Posten an.
CHRISTLICHER GÄRTNER: Eck kann doch verdeck nicht dafür, dass se wiederum Jagd auf Eure Hexen machen. Meine Grossmutter, die Mutter von meinem Vater, war doch selber Kantor gewesen.
MUTTER: Soo? Sie sind vom Vater her ein Jude? Und schämen sich nicht Mann? So auf eigenes Blut loszugehen?
JÜDISCHER GÄRTNER: Du heilige Drehorgel!
CHRISTLICHER GÄRTNER: Na siehste, da wären wir wieder ins Reine. Wenn man christlich ist, auch nur zur Hälfte, denkt man sich garnichts dabei.
MUTTER: Nun versöhnt Euch wieder, denn wir sind doch alle Gottes Kinder.
CHRISTLICHER GÄRTNER: reicht dem jüdischen Gärtner die Hand Schlag ein.
Der jüdische Gärtner zögert.
CHRISTLICHER GÄRTNER: Sehn Se, Madame, er weiss nix von de Nächstenliebe.
MUTTER: ermuntert den jüdischen Gärtner, einzuschlagen. Sie nimmt aus dem kleinen Perltäschchen, das Arthur Aronymus an der Seite trägt, einen Dukaten und sagt Erfrischt Euch gemeinsam im Angedenken des heiligen Rabbunis Uriel, dessen Leib hier in der geweihten Erde ruht.
JÜDISCHER GÄRTNER: Excüs, excüs, Madame Schüler? Nun erkenn’ ich Madame, das Fräulein Rabbuni wieder, des hochwürdigen Rabbi Uriels: Henriettchen. Er küsst die Volants des Überwurfes der Frau Schüler. In der Zeit bricht der christliche Gärtner ein kleines Zweiglein vom Lebensbäumchen ab und heftet es dem kleinen Arthur Aronymus an die Mütze.
JÜDISCHER GÄRTNER: murmelt vor sich hin Sein Herz war ein Krug aus Erz. Darin goss der Allmächtige seinen Willen.
Es beginnt zu dämmern, die Männer stellen ihre Spaten an die Stämme der Bäume und wandern hinter Frau Schüler und Arthur Aronymus aus dem frommen Garten. Man hört hinter ihnen nur mit einem dunklen Schall das Tor ins Schloss fallen. Ein Stern geht auf und leuchtet gerade über des Rabbunis Hügel.
11. Bild
In der grossen Wohnstube bei Schülers. Es konferieren:
Personen: Herr und Frau Schüler; die drei ältesten Söhne: Menachem, Simeon und ihre Tochter Katharina; Herr und Frau Paderstein; später kommen noch: die drei anderen Töchter Fanny, Elischen, Dora, der Sohn Hugo Paderstein, Arthur Aronimus, sein Schwesterchen Lenchen, der Kaplan und der Arzt.
ARZT: im Begriff, sich zu verabschieden, zu Frau Schüler Kopf hoch, chère Madame Schüler, Ihr Dorachen wird sehr bald hergestellt sein! Baldrian, Baldrian und zu Katharina fleissig Baldrian!
FRAU SCHÜLER: Und bleibt auch nichts zurück?
ARZT: Das vergnügte, anmütige Jüngferchen von damals.
SIMEON: Der Aberglaube der Leute im Dorf dünkt mich bedrohender in seiner Folge.
ARZT: tritt noch einmal in die Mitte der Wohnstube zurück Dja, für diese Epidemie ist uns Medizinern kein Kraut gewachsen. Aber Junker Simon und Junker Julius kommen doch gerade von der hohen Schule aus der westfälischen Residenz. Wie denkt man dort über den mittelalterlichen Spuk?
JULIUS: Von dort infizierte man ja gerade alle anderen Städte und Dörfer Westfalens.
ARZT: Ein böser Same allerdings …
MUTTER: … schiesst über unser friedliches Dorf.
VATER: Meines Erachtens streute ihn, sich speziell an Uns zu rächen, ein hiesiger Mitbürger.
MUTTER: Solche infamen Streiche führen doch nur Leute aus triftiger Veranlassung aus.
FRAU PADERSTEIN: schmeichlerisch Du hast ihnen doch sicher keine gegeben, Henriettchen.
SIMEON: Ich habe Euch gewarnt zu den Eltern Hinz und Kunz in den Garten kommen zu lassen.
MENACHEM: zu Simeon Natürlich, der Bruder hätte lieber gesehen, das Fallobst wäre verfault auf den Wiesen.
SIMEON: hart Reserviertheit hält vom Leibe.
MUTTER: Wie wenig gleichst Du meinem holdseligen Vater, Simeon.
HERR PADERSTEIN: kräht Dem gottesfürchtigen Manne.
ARTHUR ARONYMUS U. LENCHEN: sitzen gebeugt hinter der Seite des Kamins, die zur Türe führt, er zeigt auf Herrn Paderstein Die Krähe!
SIMEON: Er war ein Geistlicher und kein Gutsbesitzer, basta.
VATER: Wir sind hier nicht mit unseren Freunden auf Padersteins zeigend beisammen, zu streiten, aber Ein Kind, das meine zu retten, aus den Händen der Antisemiten.
FRAU PADERSTEIN: Herr Schüler hat recht.
HERR PADERSTEIN: krähend Das will ich meinen. Paderstein trinkt wie ein Vogel, mit dem Kopf zum Himmel dankend, den sich in die Untertasse gegossenen Kaffee, erhebt sich dann, um sich neben seiner Frau aufs Kanapee zu setzen. Rück was, Weibchen.
ARTHUR ARONYMUS: zu Lenchen Krah, krah, krah.
HERR SCHÜLER: Was war das?
FRAU SCHÜLER: Arthur Aronymus ahnend gleichgültig Holzscheite knistern.
SIMEON: Was ungefähr gedenkt der Herr Vater dem Herrn Kaplan vorzutragen?
MENACHEM: zu Padersteins Meine Elfriede wagt sich schon gar nicht mehr mit dem Oskar vor die Türe in Erwitte.
JULIUS: Um sieben Uhr, also in einer Viertelstunde muss Michalski kommen.
Es schlägt auf der grossen Wanduhr des Essraums nebenan 1 2 (also 2 ×).
SIMEON: zum Vater Wenn der Herr Vater ihm vielleicht eine Geldsumme anböte – für wohltätige Zwecke?
FRAU SCHÜLER: atmet erleichtert auf Das ist grosszügig gedacht, Simeon, gerade von Dir, Simeon. Mir lag es auf der Zunge.
Er küsst der Mutter, die neben ihm sitzt, wohlerzogen die Hand.
SIMEON: Natürlich, man veranstaltet eine Sammlung.
Mutter irgend enttäuscht.
SIMEON: … unter den westfälischen Juden, denn die gesamte westfälische Judenschaft ist ja in Mitleidenschaft gezogen.
Kleine Pause.
JULIUS: Attention, die Wände haben Ohren …
MUTTER: erhebt sich, schreitet zum Kamin, zu den Kindern hinter dem Kamin Macht, dass Ihr sofort durch diese Tür kommt!
Beide ab – die Mutter deckt sie.
SIMEON: Unsere sind bei der gesegneten Familie immun geworden.
Alle plötzlich erheitert.
HERR PADERSTEIN: kräht Trocknen Witz hat er bei all seiner Genauigkeit.
HERR SCHÜLER: zu seinem Sohn Simeon Dein Vorschlag nicht übel, geht mir durch den Kopf.
SIMEON: notiert fleissig in seinem Notizbuch In Münster beteiligen sich mindestens 20 Judenfamilien, ebenso die jüdischen wohlhabenden Kaufleute in Paderborn, Dortmund, Bochum, Lippstadt – – übrigens beherbergt die Sanitätsrat Grünebaum augenblicklich ihre zwei Brüder aus Californien.
Frau Paderstein winkt ihrem Jungen, der ohne anzuklopfen die Türe öffnete, im Rahmen wartet.
HUGO: Dort hat man sogar weisses Gold gefunden – stand im Blättchen. Drängt sich unerzogen breit zwischen seine Eltern aufs Kanapee. Und die Indianer sind sie nun am Verdrängen.
FRAU PADERSTEIN: ungemein stolz auf ihren Hugo Erzähl weiter …
HUGO: Unterm portugiesischen Feldherrn, wie hiess doch nochmal der Monsieur – ? Die Indianer glaubten, er sei der weisse Heiland fanatisch Ein Teufel ist er, ein fieser Teufel!
FRAU PADERSTEIN: Er studiert die Inkasier und ihren Häuptling, heimlich zu Hugo Wie heisst er doch noch? Schief?
HUGO: ihr brüllend ins Ohr Chief Big White Horse Eagle!! Wie oft soll ich’s Dir sagen?
HERR SCHÜLER: Ja, sind wir hier einer Privatangelegenheit wegen zusammengekommen? Er zieht die Brauen finster.
FRAU PADERSTEIN: mit grosser Affenliebe Er möcht immer mit die Inkasier gegen unsrige kämpfen.
HUGO: mit einer komischen Gebärde eines Feldherrn Anführen möcht ich sie gegen die Weissgesichter, verdeck.
FRAU PADERSTEIN: stolz auf ihn Ha, ha, ha, ha, ha.
SIMEON: Zur Sache!
JULIUS: In ein paar Minuten kommt er.
HERR SCHÜLER: Wer für die Sammlung ist, erhebe die Hand.
HUGO: glaubt, man sammelt für Aufrüstungen gegen die Indianer Ich heb’ nicht die Hand …
SIMEON: Halt den Schnabel.
Frau Paderstein gekränkt.
FRAU SCHÜLER: Simeon! Ermahnend.
Alle heben die Hände. Man hört den Kaplan draussen sprechen mit Fanny und Elischen. Katharina die neben Simeon in der Stube sitzt, errötet. Man versteht die Worte, die der Kaplan zu Dora spricht.
KAPLAN: Jüngferchen Dora scheints ja wieder gut zu gehen.
ELISCHEN: öffnet dem Kaplan die Wohnstubentür und meldet Der Herr Kaplan Michalski.
Die in der Stube Sitzenden sehen, wie der Kaplan, der Arthur Aronimus in die Höhe gehoben hat, ihn auf den Boden des Flurs stellt. Er tritt ein. Die Anwesenden erheben sich beklommen. Der Vater Schüler beherrscht, von der sonnigen, ernsten Schönheit des Kaplans sympathisch berührt.
HERR SCHÜLER: sagt mit weltmännischer Geste Gestatten Sie Herr Kaplan Michalski, meine Gattin, Frau Henriette, meine älteste Tochter Katharina, Menachem, Simeon und Julius, meine drei ältesten Söhne, und unsere Freunde Herr und Frau Paderstein. Meine Gattin und mich schmerzt es tief, Sie Herr Kaplan, nicht eines freudigeren Anlasses wegen in unserem Hause begrüssen zu dürfen.
Frau Schüler reicht dem Kaplan die Hand und will die seine danach küssen, aber er küsst die ihre. – Fanny, Elischen und Dora treten schüchtern ein und setzen sich auf die Stühle, die an den Wänden stehen.
KAPLAN: Wir Geistlichen, Madame Schüler, vertauschten mit dem heiligen Rock keineswegs die Ritterlichkeit.
Simeon selbst Simeon kann sich nicht ausschliessen, die Schönheit und die edle Zucht des Kaplans zu bewundern.
FRAU SCHÜLER: Davon hab’ ich mich eben wohl überzeugt, Herr Kaplan.
Zwischen Herrn und Frau Schüler nimmt auf dem ihm dargebotenen Sessel der Kaplan Platz.
JULIUS: Ich hatte schon die Ehre, Ihnen in Paderborn zu begegnen, und zwar in Ihrem eigenen grossen Hause, im Dom, Herr Kaplan.
KAPLAN: interessiert Besuchten Sie unsere Gottesdienste? Herr Schüler?
JULIUS: Ohne mich einer Phrase zu bedienen, wir reden ja ehrlich unter Männern, mich interessieren die Reliquien der katholischen Gotteshäuser.
SIMEON: Und wenn auf meinen Bruder des leibhaftigen Teufels Mumie in einem Schrein wartete.
KAPLAN: Wäre der Teufel nicht das ewigjungbleibende, böse Element!
FRAU SCHÜLER: Das sagen Sie, Herr Kaplan?
KAPLAN: artig Als der Menschheit abschreckendes Beispiel, Madame.
HERR PADERSTEIN: kräht Ganz meine Meinung, richtig!
Frau Paderstein nickt beständig.
KAPLAN: Die Sprünge, die sich wieder einmal – tableau – Belzebub zu leisten erlaubt, bieten gewissermassen unseren katholischen Christen Gelegenheit zur reuigen Busse.
HERR SCHÜLER: Ich bitte den Herrn Kaplan, sich ohne Gêne weiter mitzuteilen. gespannt
KAPLAN: Die Kirche in ihrer Eigenschaft als Hirte, legt Gewicht darauf, sich gerade der verirrten schwarzen Schafe in Liebe anzunehmen. Sass nicht der Herr mit den Zöllnern und Sündern an einem Tisch beisammen und speiste? Indem die Kirche dem Herrn nachwandelnd, Geduld mit ihren, im finsteren Labyrinthe verirrten Seelen übt, erübrigt man ihnen Zeit zur Einsicht und zur Umkehr. Nur dieses Prinzip führt zur vollständigen Errettung verirrter Gefühle in der Brust des Menschen.
SIMEON: Gestatten Sie, Ehrwürden –
KAPLAN: ihn verbessernd Kaplan!
SIMEON: Diesen Einwand, Herr Kaplan? Und werden die Prinzipien der verehrten katholischen Kirche nicht ein Fiasko erleiden, im Fall die Drohungen ein ganz klein wenig sarkastisch der verirrten Seelen sich in Tat umsetzen?
Frau Schüler mahnt Simeon im Blick.
KAPLAN: bemerkt es, höflich Ich liebe jede klare Frage, mundet sie auch noch so herb.
HERR PADERSTEIN: hört gespannt zu und äusserst zuvorkommend Krah! krah!
KAPLAN: In den tausenden Fächern des Vatikans wartet für jede Frage eine Antwort, aber der Vatikan besitzt ebenfalls einen Messer, darin er die Verirrungen seiner gläubigen Katholiken auf einen Grad zu ermessen vermag.
JULIUS: Und er vereitelte nicht die blutigen Pogrome vor einem Jahrhundert in Spanien und hierzulande, Herr Kaplan? Lasen Sie Lessing an Goethe?
ELISCHEN: schüchtern, aber geistreichelnd Kann ich Ihnen empfehlen, Herr Kaplan.
KAPLAN: verbeugt sich, artig lächelnd Lessing wie Goethe sind mir zwei hochgeschätzte Dichter. Der Heilige Vater in Rom in seiner Unfehlbarkeit nicht abzuschätzen.
Frau Schüler seufzt ganz tief.
KAPLAN: mit unendlich liebreichem, tröstendem Blick zu Frau Schüler Wie unsere Liebe Frau; ich weiss es zu würdigen.
SIMEON: schaut auf den Kaplan, leise für sich Hier gehts nicht weiter …
ARTHUR ARONYMUS: springt jäh in die Stube Ich war eben so ungezogen wieder, ich muss in die Ecke.
Alle lachen. Die Mutter weist ihn sofort wieder aus der Stube.
HERR SCHÜLER: er giesst dem Kaplan vom Wein ein Ja, wie erklären Sie sich, Herr Kaplan, die plötzliche Gehässigkeit Ihrer Gemeinde speziell gegen mein Haus gerichtet?
KAPLAN: klug Sass nicht einmal auch ein Kayfas auf dem Priesterstuhl in Juda, der den edelsten Juden, den Heiland, kreuzigen liess –
Grosse Ruhe.
SIMEON: Daraus könnte man schliessen: ein einzelner Mensch ist imstande, das göttliche Prinzip umzustossen.
KAPLAN: klug und fromm Nur zu verschleiern – durch der Sünde Finsternis.
Simeon fühlt sich überlegen, schweigt.
HERR SCHÜLER: Wir schwenkten vom Wege, dünkt mich.
FRAU SCHÜLER: Darf ich mir erlauben, das interessante Gespräch mit einer Privatfrage zu unterbrechen? Sind Sie, Herr Kaplan, wirklich davon überzeugt, dass der dunkle Aberglaube über Gaesecke sich bald in Wohlgefallen auflösen wird?
Herr Schüler nimmt den Brief, den er damals im Garten entfaltete, das anonyme Schreiben aus seinem Portefeuille und reicht es dem Kaplan.
KAPLAN: zu Frau Schüler Ganz recht, wie eine Wolke.
FRAU SCHÜLER: zum Vater, verwundernd, auf den Brief zeigend Davon weiss ich doch nichts.
KAPLAN: ist dabei, den Brief zu lesen, lächelt Mir hinterbrachte man sogar liebevoll ironisch Ihre kleine Hexe habe in unserem Dorfe Kinder verhext.
Die andern blicken sich gegenseitig an, wie leicht im Grunde und spöttelnd der Kaplan den Brief aufnimmt.
KAPLAN: Da kam die Marktfrau, dann kam ein Tagelöhner, ein Nichtstuer, und wer weiss alles, die mir die Kunde von der kleinen Hexe im Dorf überbrachten.
Fanny lässt den schwärmerischen Blick nicht vom Gesicht des Kaplans.
ELISCHEN: Mit Fürlieb, Herr Kaplan, war’s die Marktfrau vom Mittwochmarkt gewesen? verschämt die sich von unserem Rasen im Herbst das Fallobst sammelte?
FRAU PADERSTEIN: schnalzend Undank ist der Welt Lohn.
KAPLAN: Wahrscheinlich. nach einer Pause, er hebt nur seinen Oberkörper feierlich empor, – eine kleine Pause Ich erlaube mir, – Ihnen einen Vorschlag zu machen, Herr und Frau Gutsbesitzer Schüler, um zunächst einmal hier in unserem Dorfe die üble Angelegenheit und betont jede Gefahr, die ihrer kleinen Tochter Dora dräut, aus dem Wege zu schaffen sich räuspernd Nämlich – eines Ihrer Kinder im katholischen Glauben erziehen zu lassen.
FRAU SCHÜLER: sie denkt an Fanny Um Gotteswillen.
KAPLAN: blickt auf, er ahnt den Gedanken der Frau Schüler Aber nein, Madame Schüler, ich dachte an meinen kleinen Freund Arthur Aronimus, Ihren Sohn, der mir lieb ist, wie ein Brüderchen, fast mit Ekstase ja, ich hab ihn lieb mit meinem ganzen Herzen eine Träne steht ihm im Auge Er ist mir der liebste kleine Mensch auf dieser weiten Welt. Er ist das köstlichste Bübchen, das mir auf Erden je begegnet ist.
Frau Schüler weint leise vor Rührung.
KAPLAN: Mit diesem demütigen Entgegenkommen unserer allein seligmachenden Kirche, brechen Sie ein für alle mal jeder Gefahr, die Ihrer jungen Tochter Dora dräut, die Spitze ab.
Grosse Pause, Rührung, Verlegenheit, Schauer.
HERR SCHÜLER: erhebt sich mit einer Hoheit zum ersten Male wirklich echt menschlich Herr Kaplan, gestatten Sie mir Ihnen in unser aller Namen für Ihren ebenso sinnigen wie gutgemeinten Vorschlag unseren Dank auszusprechen. Leider zwingen mich folgende Umstände denselben mit respektvollem Kompliment von der Hand weisen zu müssen. Ich wie mein Vater, noch meines hochseligen Vaters hochseliger Vater und dessen Väter Väterväter; noch die Väter Frau Henriettens, meiner Gattin, in Gott ruhenden Vaters, pflegten auf direktem Wege zu Gott zu gelangen und Ich sollte Seinem Sohn – meinen noch unmündigen Sohn auf Umwegen zuführen lassen? Der Herr behüte uns vor allem Bösen!
ה׳ ישמרנו מכל רע
adonai jischmerenu mikol ra …
Beide Padersteins heulen. Ihr Sohn Hugo betrachtet zum ersten Mal mit Respekt ein Weissgesicht. Herr Schüler streichelt die weinende Mutter. Die Söhne und Töchter staunen den Vater an, nur Fanny sitzt gebeugt wie eine Trauernde auf ihrem Stuhl. Kaplan erhebt sich. Ein Geschlagener, – dann gefasst. Er verbeugt sich, tief innerlich erregt. Kein Mensch sieht, dass er die Stube verlässt.
ARTHUR ARONYMUS: springt plötzlich vom Flur aus in die Stube Ich hab Bernard meinen Pipser geschenkt am grünen Band.
KATHARINA: zu den Eltern Seine Flöte.
ALLE: zu Arthur Aronymus begierig Was sagte er?
ARTHUR ARONYMUS: Nix!
FRAU SCHÜLER: Nix, Arthürchen?
ARTHUR ARONYMUS: Er küsste mich nur er zeigt auf die rechte Backe Hier. er zeigt auf die linke Backe und hier. Aber Fannys Sträusschen hat er nicht genommen.
Nur die Mutter und Frau Paderstein hören diese letzten Worte.
ELISCHEN: leise zu Katharine Das tut ihr gut.
FRAU PADERSTEIN: heuchlerisch, aber auch gutmütig zu Frau Schüler Sie ist so romantisch, unser schönes Fannichen.
JULIUS: in Gedanken Schon ein Papst an Würde, er.
SIMEON: nüchtern, aber pathetisch Der Vater sende Kundschafter ins feindliche Lager, auszuspüren, was der Feind im Zelte unternimmt.
HERR SCHÜLER: Geht mir und Frau Mutter contre coeur.
FANNY: Ich weigere mich zu spionieren.
FRAU PADERSTEIN: geschwätzig Soll sich Eure Mutter, meine Freundin Henriette, etwa zu Tode bangen?
HERR PADERSTEIN: kräht Gesprochen hast Du, Moritz, na! Reich mir die Hand, mein Freund!
SÖHNE: Und wir müssen Herrn Paderstein beistimmen, Herr Vater.
FRAU PADERSTEIN: in höchsten Tönen Wie ein Gott!
FRAU SCHÜLER: liebreich Du erinnertest mich dieses Mal wirklich an meinen gottseligen Vater.
ARTHUR ARONYMUS: eilt zu Fanny, flüstert ihr ins Ohr Ich geh auch nicht mit, aber ich sag’s Bernard wieder!
Fanny und Arthur Aronymus verlassen die Stube.
HERR SCHÜLER: testamentarisch Rüstet Euch, meine Söhne und Töchter!
FRAU PADERSTEIN: Unser Hugochen macht mit, als Längster! Er kikt in jedes Fenster rein, ists noch so hoch.
HUGO: Soll ich wacker mein Kriegsbeil holen?
HERR SCHÜLER: So ziehet denn hin, mit Gott, mir Kunde bringen: Heinrich Menachem! Simeon Morderchei! Julius Ahasferos. Berthold und Ferdinand treten ins Zimmer. Der Vater zu ihnen Und Ihr, meine beiden Söhne, Berthold und Ferdinand Simson! Und Ihr, meine Töchter Katharina Debora! Elise Naemi! Sucht Fanny vergebens mit dem Blick, sie ist aus der Stube verschwunden. Mein Segen begleitet Euch! Unecht, dem Rabbi nachahmend.
ARTHUR ARONYMUS: zur Mutter leise. Etwas eifersüchtig für seinen Grossvater Das sagte doch Grossväterlein immer zu Dir und Herrn Vater.
Die Kinder gehen alle ab, Hugo schleichend, wie ein Indianer hinterher. Herr und Frau Paderstein begeben sich nach Hause, der Vater geleitet sie bis an die Pforte.
ARTHUR ARONYMUS: Mutter, ich will Dich was fragen. Gibt es zwei Schutzengel der Kinder?
FRAU SCHÜLER: Wieso, Arthurchen Aronimus?
ARTHUR ARONYMUS: Bei Grossväterlein stand einer mit schwarzen Flügeln und lachte ganz leise mit Grossväterlein, als Lenchen und ich Purzelbäume über den Teppich schlugen und ihm dann Gute Nacht sagten.
Frau Schüler ganz erstaunt.
ARTHUR ARONYMUS: Und der Bernard eben hatte ganz weisse Flügel. Erzähl mir von dem Schutzengel mit den lustigen Flügeln!!
FRAU SCHÜLER: Wie mir’s leicht ums Herz wird. bebend Geliebter Junge – Komm, ich erzähle Dir vom Schutzengel der Kinder!
12. Bild
Vor dem Kaplanhäuschen: seitlicher Vollmond. Eines der Fenster matt beleuchtet und eines der Dachfensterchen. Auf dem Tisch des Kaplans steht eine Petroleumlampe. Er sitzt und schreibt auf einem Amtsbogen hochparterre. Auf dem Tisch steht ein Glaskrug Milch, auf einem Teller etwas Weissbrot.
Personen: Menachem; Simeon; Julius; Berthold; Ferdinand; Katharina; Elischen und Hugo.
Sie sind im Begriff über den kleinen Zaun zu klettern. Sie flüstern.
HUGO: mit einer schleichenden Bewegung Ich klettere ruff und schleich mich ans Fenster ran.
Alle treten in einer Gruppe zusammen unter dem Fenster der Kaplanstube.
FERDINAND U. BERTHOLD: gleichzeitig Steig auf unsere Schultern, Hugo, erspar Dir den halben Weg.
Die übrigen Geschwister kalkulieren in stummen Worten, wie man am leichtesten heraufsteigt.
HUGO: zu den beiden Macht mich nur nicht widerspenstig, Ihr zwei Weissgesichter.
SIMEON: im Flüsterton, zu den jüngeren Brüdern Holt die Leiter dort! Seht Ihr nicht?
Sie stellen die Leiter ganz behutsam an die Wand des kleinen Häuschens. Hugo steigt herauf, hält sich oben angekommen am Stuck fest.
HUGO: Die is dem Schornsteinfeger sinne.
JULIUS: Vorsicht gebiert die Stunde.
HUGO: zischt herunter im Eifer Deine Gelehrsamkeit soll mich – ollet Weissgesicht!
SIMEON: mit dem Gedanken, den Hugo anzuspannen Nun lasst ihn mal.
ELISCHEN: Fall nur nicht, Hugo.
Hugo klettert immer höher, er hält sich an der Fensterbrüstung fest.
KATHARINA: Halt Dich fest, denk an Deine gute Mutter.
HUGO: im Eifer Hört Ihr nun endlich uff zu predigen – ganz kleine Pause Simeon, eck kann ihn sehen. Er sitzt am Tisch vor ’ner Lampe mit ’nem grünen Schirm.
ELISCHEN: Was noch?
JULIUS: Sch –
ELISCHEN: Ich setz mich was auf de Bank, bin so müde von Dorachens Rekonvaleszenz.
SIMEON: Zu gefährlich, ich stütz Dich lieber, Schwester.
JULIUS: nach oben blickend Weiter?
HUGO: Allet mit Ruhe, wie im Stamm.
MENACHEM: zu Katharina Was sagt er vom Stammbaum?
KATHARINA: Von seinem Indianerstamm fabuliert er.
HUGO: Nun nimmt er den Federkiel wieder – nu überlegt er – ich glaub, er summt dabei. Hören tu ich zwar nix!
SIMEON: Kannst Du das Geschriebene lesen?
HUGO: Ich lass mir nicht kommandieren! Sonst komm ich herunter. Tut, als ob er absteigen will.
SIMEON: klug Dem tapferen Löwen, dem Häuptling kommandieren?
HUGO: er schielt furchtbar nach unten in seinem Eifer Auf dem Tisch steht eine Kanne Milch. Und daneben auf einem Teller Bretzel zum Aufpäppeln, wie in ’ner Kinderstube. Und nu schreibt er wieder.
MENACHEM: Was schreibt er, Knabe?
HUGO: Wartet ens.
ALLE: Was? Was?
HUGO: Ich ergreife die Feder – das »F« malt er bei der Feder.
JULIUS: Soll ich Dir mein Lorgnon raufreichen, Hugo?
HUGO: Für wat? Für de Augen oder für de Löffels? – Drüber steht geschrieben – wartet man: – An Seinen Faden.
SIMEON: An Seiner Gnaden?
HUGO: Stimmt!
KATHARINA: Versuche noch mehr zu entziffern, Hugo.
ELISCHEN: Unsere Mutter, soll ich Dir sagen, schenkt Dir ein paar Dukaten für Deine Sparbüchse.
HUGO: Nu mal langsam voran. – Sch – Nu faltet er den Zettel. Pause. Er siegelt. Er hat sich den Finger verbrannt.
JULIUS: Sch!
HUGO: Leiser kann ich doch nicht, Menschenskinder! Er leckt am Daumen und nu am Mittelfinger.
SIMEON: Komm herunter, Hugo, das genügt.
MENACHEM: Wir wissen wenigstens, dass unsere Konferenz gefruchtet hat.
HUGO: guckt nochmal neugierig durch das Fenster Seine Klappe ist verrammelt und der Nachtpott …
SIMEON U. JULIUS: Sch…Sch.
ELISCHEN U. KATHARINA: Aber Hugo –
Der Postillon tutet das erstemal vor Abgang der Postkutsche.
HUGO: Er holt den Mantelkragen. – Kinder, nu aber rasch herunter. Er klettert über den Stuck des Hauses herab und dann von Ferdinand und Berthold gehalten, springt er in den Garten.
KATHARINA: stolz Des Vaters Rede hat gefruchtet.
HUGO: wieder unten, ungeduldig Wo sind die Dukaten?
BEIDE MÄDCHEN: Die Mutter will sie dir selbst geben.
HUGO: impertinent Das lasst Euch alle gesagt sein. Krieg ich se nicht, denn klatsch ich ihm die Vorgänge wieder, dass seine Kaplannose weiss wird wie sinne Milchpulle.
SIMEON: überlegen Unter den Indianern glaubte ich bis jetzt, gäb es keine Erpresser.
JULIUS: Seine Eltern können sich gratulieren.
KATHARINA: Er ist doch noch halbwüchsig auf Hugo weisend.
HUGO: kleinlaut Den Mantelkragen hatte er sich schon von der Wand genommen, – wacker.
Alle schleichen auf Zehen vom Hause fort und klettern über den Zaun wieder zurück. Ferdinand und Berthold springen hinüber. Hugo, wie ein Indianer, Simeon und Julius sind ihrer Schwester Katharina behilflich und Elischen, von plötzlicher Angst getrieben, der Kaplan könne kommen, setzt wie eine wilde Stute über den dornigen Blattzaun, ihr halbes Hosenbein mit der langen Spitze daran, bleibt in den Dornen der Hecke hängen. Sie verstecken sich alle hinter der Kirche. Sie hören, wie der Kaplan seine Türe aufschliesst und sehen ihn eilig über den Platz zur Postkutsche gehen. Von der Postkutsche sieht man nur das rote Laternenlichtchen zwischen dem Laub der Bäume auf den Wegen. Es tutet das zweite Mal.
SIMEON: Nun geht ihr alle heim und tröstet die Eltern. Ich warte auf ihn.
MENACHEM: Als Bauer hab’ ich mir manche Schlauheit zugeeignet und rate Dir von diesem Schritte ab.
KATHARINA: Ich warte mit Dir, Simeon.
ELISCHEN: ironisch neckend Ei, ei, liebe Schwester – wenn – das Dein Engelbrecht ahnte.
SIMEON: Lass die Albernheiten.
MENACHEM: Um der Gradheit willen sollte man zu ihm hinaufsteigen.
SIMEON: überhört Menachems Äusserung Bruder, Du hast recht, es wäre undiplomatisch, ihn weiter zu bedrängen.
JULIUS: Auch nach meiner Meinung.
ELISCHEN: Er glaubt dann, wir haben Angst.
MENACHEM: Aber selbstverständlich haben wir Angst, wir dürfen Angst haben! Noch dazu die Eltern – was werden wird.
KATHARINA: Geht doch beide zu ihm, gern schliess’ ich mich Euch an.
ELISCHEN: gebieterisch Oder ich!!
SIMEON: Oder die ganze Herde.
Es tutet das dritte Mal. Man hört das Geschirr der Pferde. Sie brechen alle im Sturmschritt plötzlich auf, eilen über den Markt heimwärts. Sie sind entkommen.
NACHTWÄCHTER ALTMANN: kommt über den Marktplatz, bleibt in der Mitte des Marktplatzes stehen, die Ankunft des Kaplans, den er am Rand des Marktes erblickte, abwartend Einen gesegneten Abend wünsch’ ich Ehrwürden. zeigt auf die Richtung der Postkutsche Nun ist sie fortgaloppiert. Er berührt seine alten Beine, die knarren. Die Postkutschräder sein dat nicht!! Aber minne ollen Beine knarren.
Kaplan lächelt zerstreut.
NACHTWÄCHTER: blickt auf zum Mond Wie er so jede vier Wochen von oben herunterkömmt, grade über Hexengaesecke. Und immer hab eck dann meine liebe Not, de Kenger all im Schlaf zu blasen. Er räuspert sich und spuckt lange aus.
KAPLAN: zerstreut Ich werd’ auch nicht schlafen können, alter Freund. Komm er, lieber Altmann, und trinke er einen Korn mit mir oben im Stübchen.
ALTMANN: trottelt hinter dem Kaplan her Wenn mich doch der liebe Herrgott erhöhen möchte.
KAPLAN: Ist er denn nicht mit seinem Amt zufrieden?
ALTMANN: Den roten grellen Dudelsack da oben er bleibt stehen und sieht nochmal nach oben; zornig tät eck verdammt den Bauch aufschlitzen. Wenn et schlägt vom Kirchenturm.
Sie treten ins Haus und man sieht nur noch das matterleuchtete Zimmer des Kaplans.
13. Bild
Im Hintergrund die Katholische Kirche auf dem Marktplatz. Die sämtlichen Einwohner Gaeseckes und der Umgebung, unter ihnen der Nachtwächter, der Hausierer Lämmle Zilinsky, der Wanderbursche Nathanael Brennnessel, der lugt hinter einem noch stehengebliebenen grossen Obstkorb vor. Die Kinder der Schule geordnet, hintereinander, wie eine Prozession, von ihren zwei Lehrern begleitet. Der elegante Dr. Faust (Herr Kissingen) in lila Beinkleidern, Herr und Frau Schüler, ihre 23 Kinder mit Menachems Frau und Sohn: Oskar, die Mägde und Knechte aller Häuser, auch Schülers Kochmamsell, die Clara, und die anderen Mägde. Der Gärtner, die Melkerinnen, der Imker, Monsieur Filigran, alles in tiefer und schwerer Spannung.
ARTHUR ARONYMUS: kommt als letzter gerannt, mit Lenchen an der Hand Heiliger Strohsack, Lenken, eck hatt so Angst, wir wären zu spät gekommen, wir zwei Hampelmänner.
LENCHEN: Verpust’ Dich, – sonst merkts der Herr Vater.
ARTHUR ARONYMUS: Siehst Du se?
LENCHEN: Da stehn sie doch – alle zusammen. Die Mutter guckt, Aronimus!
Arthur Aronymus nickt seiner Mutter zu und trampelt was. Frau Schüler legt den Finger ermahnend an die Lippen. Arthur Aronymus zieht Lenchen näher an sich heran und nickt stark der Mutter zu, brav zu sein.
ARTHUR ARONYMUS: zu Lenchen Wann kommt denn der Bernard?
EIN PHANATISCHER KATHOLIK: bemerkt zu ein paar Leuten Was der klenge fise Judenjunge sich herausnimmt! will ihn ohrfeigen
Arthur Aronymus weicht ihm nicht aus.
PHANATISCHER KATHOLIK: Ick will Dir helfen, unsern Herrn Kaplan – Bernard zu nennen.
LENCHEN: ihn verteidigend Bernard ist doch sein Freund.
PHANATISCHE FRAU: Kommt Ihr Beide nicht aus Moses sein Gutsgarten?
ARTHUR ARONYMUS: Nää, ollet goldenes Kalb.
Die Herumstehenden lachen.
FANATISCHER MANN: Dat glöb eck, der Moses aus ’em alten Testament hat nicht so viel Geld unredlich gescharrt.
Frau Schüler merkt den Zwischenfall, winkt den Kindern, sich zu ihr zu gesellen.
ARTHUR ARONYMUS: zu Lenchen Wir wollen lieber nicht bei den Allen stehen, Lenchen, aber wenn der Bernard kömmt, rennen wir wacker an de Treppe.
Die Menschen auf dem Marktplatz werden ungeduldig und unruhig, ein Gemurmel vernimmt man und es kommt zu kleinen Reibereien. Das Geläute hört auf. Der Himmel überzieht sich im Westen pechschwarz.
ELISCHEN: zu Katharina und Fanny Der Dr. Faust!
Er ist im Begriff, sich immer mehr zu nähern der Familie. Er ist sehr elegant angezogen und sein ganzes Benehmen distinguiert. Er macht Halt in kleiner Entfernung hinter den vier jungen Mädchen: Katharina, Elischen, Fanny, Dora.
Kaplan tritt aus der Kirchentür, eine grosse Rolle in der Hand haltend. Er steht nun auf der obersten Stufe der steinernen Treppe. Die vier ältesten Töchter Schülers halten sich umschlungen. Julius, ihr Bruder, steht hinter ihnen.
JULIUS: Wahrlich, der kommende Papst.
Fanny bebt vor Erwartung.
KATHARINA: zu den Schwestern, ungewollt feierlich Unser Kaplan …
DORA: Sehen mich die Leute auch nicht?
Herr Schüler hebt sein Haupt ermahnend zu den vier Töchtern, aufzupassen. Frau Schüler legt ihren Arm durch Herrn Schülers Arm, die Söhne lüften die Hüte, der Vater den grauen Zylinder, die anderen Kinder stehen nebeneinander artig in Reih und Glied. Die ganze Familie Schüler ist in ihre besten Kleider gekleidet. Der Kaplan deutet auf die immer stärker und finsterer werdende, drohende Wolke am westlichen Horizont.
KAPLAN: als ob er zu sich selbst spräche, die Menge aber im Auge Der Himmel hat sich verbündet mit Seiner Gnaden, dem Erzbischof … er beginnt zu der Menge zu sprechen Ich grüsse Euch, meine liebe Gemeinde in Christo, im Namen Seiner Gnaden, des Erzbischofs Lavater zu Paderborn.
Enormer Donnerschlag rollt, wie ein böses Wunder durch Gaesecke. Es ist Februar. Die Leute erschrecken.
SIMEON: zu Julius Monumental seine Gebärden!
KAPLAN: öffnet ruhig und stark die Bulle, entrollt den Inhalt und beginnt zu lesen Ich grüsse Euch mit sorgendem Herzen, meine vom Wege geratenen Schafe, und ermahne Euch, Vernunft anzunehmen, nicht trotzig zu beharren in Eurer Sünde dunklem Aberglauben! Noch ist es Zeit zur Reue und Busse, meine armen Kinderlein, um deren Seelenheil der Kaplan erhebt den Finger ernst und drohend Ich, so schreibt der Bischof, unablässig schwere Sorge und Verantwortung im Herzen trage. Kaplan blickt streng über die unzähligen Köpfe der Leute auf dem Marktplatz. Wehe Euch, Eure böse Lust zu stillen, wenn auch nur in der Hölle Eures Wunsches, am Feuertode unserer guten Schwestern aus dem alten Hause Jsraels. Vergesset nicht in Eurem schwarzen Hasse, dass unser Heiland Jesus Christus selbst ein Jude war, dem Blute Davids entsprossen. Mit tausend Zungen werde ich dem Himmel jedes Frevlers Sünde verkünden, dass seine Seele brate bis zum jüngsten Tag! Darum, meine armen verirrten Kinder, kehret in Euch, waschet Euch in der Reue unschuldiger Quelle. – Lasset ab, ihr schwarzgewordenen Schafe!! Lasset ab! Und jetzt – zum dritten Male: Lasset ab von eurem Frevel um Jesu Christo Willen, unserm Herrn! Kleine Pause. Kaplan faltet die Hände; im bebenden Ton »So habt Ihr jetzt zwar Trauer, aber ich werde Euch wieder sehen, Euer Herz wird sich freuen, und Eure Freude nimmt niemand von euch.«
»Et vos igitur nunc quidem tristitiam habetis iterum autem videbo vos, et gaudebit cor vestrum: et gaudium vestrum nemo tollet a vobis!!!«
Es wird plötzlich so hell, dass der ganze katholische Kirchplatz wie im bengalischen Lichte steht, die Leute sinken in die Knie verzückt, weinen, jammern. Frau Schüler weint, der Vater überwältigt. Er trocknet sich die Tropfen von der Stirn. Seine Kinder weinen alle.
ARTHUR ARONYMUS: zu Lenchen Nu hör schon auf, Bernard hat doch recht, die Dora wollten sie doch braten.
LENCHEN: Du hülst ja auch.
Tränen rinnen Arthur Aronymus über die Wange. Kaplan rollt die Urkunde ruhig zusammen und steckt sie in die Bulle; geht ernst, ohne sich umzublicken, streng bis zur Kirchentür und dann durch die Türe in die Kirche zurück. Es schallt zurück im dreifachen Echo, wie er sie zuschliesst. Die Glocken läuten wieder. Etliche versuchen ihm vergebens in die Kirche nachzueilen. Nach und nach leert sich der Marktplatz. Ein Wirbelwind pfeift durch Gaesecke, es stürmt nun, Schnee und Hagel fällt, aber gesittet und andächtig ordnet sich die Menge, zum Heimweg. Vater und Mutter sieht man mit den Kindern noch eine Weile hinter dem Marktplatz, nach Hause schreitend.
14. Bild
In Schülers Garten. Fanny und Dora, viele von den kleineren Kindern. Unter ihnen Arthur Aronymus, Lenchen, Eleonore, Albert, Bettina, Margarete, Karl, Max, Meyerchen, Oskar, Menachem Schülers Söhnchen. Arthur Aronimus’ Schulkameraden, unter ihnen Willy Himmel und Kaspar. Der Bischof, der Kaplan, Frau Schüler, eine der Kindermägde, der Schornsteinfeger und die Gäste aus der jüdischen Gemeinde, die Söhne des Freundes des Herrn Schüler: Alexander Ostermorgen, Siegfried Ostermorgen. Der Weinreisende Kissingen (Dr. Faust), der Nachtwächter Altmann, der Hausierer Lämmle Zilinsky, der Wanderbursch Nathanael Brennessel, drei Brüder namens Perlmutter – Ostjuden – mit ihrem ältesten Brudersohns Sohne Josefje.
In der Jasminlaube sitzen Fanny und Dora. Vor der Freitreppe des Hauses stehen die Kinder alle, beraten eng zusammen in einer Gruppe, kichernd.
FANNY: Sag die Wahrheit, hat der Kaplan wirklich, bevor er nach Paderborn abfuhr, Dir gesagt, Du solltest besonders deine Schwester die Jungfer Elischen, herzlich grüssen?
DORA: verlegen So wie ich es damals sagte – stimmts … Frag ihn doch selbst, wenn Du mal wieder nach Paderborn reist.
FANNY: mit Nachdruck Also Du solltest Jungfer Elise herzlich grüssen – sieh einer an!
Dora nickt beklommen.
FANNY: Ich hätte dir ja meine Korallenohrringe geschenkt, – die gefallen dir doch so – nicht?
Pause. Die Kinder bilden einen grossen Kreis.
LENCHEN: zählt ab Ine, wine, wing pang, ting tang, ose wose, wacker dir, eier weier weg! Sie zählt, bis das letzte Kind übrigbleibt. Das letzte Kind ist Arthur Aronymus.
ALLE: rufen Der kann’se auch am dollsten spielen!
FANNY: Nun? umarmt ihre Schwester Dora Vielleicht versprachst Du Dich, Dora?
DORA: Was würden aber denn Katharina und Elischen sagen?
FANNY: Die erfahren es nie! Sie erhebt ihre Hand zum Eid.
DORA: ermutigt Die Katharina hat mir damals ihren Fächer geschenkt, mit dem Amoren drauf gemalt, ich mach mir ja aus Elischens Bücher nichts –
FANNY: etwas heftig, beherrscht sich aber diplomatisch Also beide stecken dahinter! weich Und haben zu Schwester Dorachen gesagt: Liebes Dorachen, wir haben Dich doch Tag und Nacht gepflegt und waren immer so gut zu Dir.
DORA: Genau so.
Ein paar von den Kindern rennen hinter Arthur Aronymus in den Seitengang ins Haus, die andern sammeln Blätter und Reisige.
DORA: Denn Du bist unsere Lieblingsschwester, Dorachen – auf einmal erschrocken Aber wenn du mich doch verklatschst bei Käthchen und Elischen? auf einmal Da kommt der Schornsteinfeger.
Er steigt den Seitengang ins Gutshaus.
FANNY: Der hilft fegen! schwört Ich beteure! Dora blickt entzückt auf ihre Ohrringe, Fanny überlegt. Du, Dorachen, die Schatulle von dem charmanten Weinreisenden, die kannst Du Dir aus meiner Kommode nehmen, weisste, mit den kandierten Früchten –
Dora schweigt.
FANNY: Wir werden uns schon einigen, – erzähl’ aber die strikte Wahrheit!
DORA: Unser Käthchen und unser Elischen sagten zu mir, ich könnte mir zu dem Fächer noch eine Agraffe für meine erwachsene Frisur kaufen beim Lämmle. Aber ich müsse Dir aufbinden, der Herr Kaplan Michalski habe besonders herzlich Jungfer Elise grüssen lassen!
FANNY: Und sie möge ihn nicht vergessen.
DORA: ganz unglücklich über ihre Lüge, nickt Ach, liebe Fanny, ich kann ja nicht dafür.
Fanny durch diese Intrige beinahe apathisch geworden, in sich zusammen gesunken mit starren Augen.
DORA: Was ist dir, Fanny? Fanny! Du stirbst ja! Sag, bitte, bitte, bitte – ich ruf unsre Mutter.
Arthur Aronymus kommt in den abgelegten Kleidern Doras, die sie in ihrer Krankheit trug, die Treppe heruntergewackelt, den Rock komisch aufgerafft. Auf seinem Kopf trägt er ihren damaligen Sommerhut mit dem Butterblumenkranz und den langen herunterhängenden Samtbändern. Einige Kinder hinter ihm, die seine Geschwister vorstellen sollen. Max: Sein Vater, Lenchen: Seine Mutter, das kleine Meyerchen, 5jährig, sein ältester Bruder Menachem.
ARTHUR ARONYMUS: als Dora; zu Lenchen, theatralisch Lebe wohl, meine Mutter! heult laut zu Max Lebe wohl Herr Vater! Arthur Aronymus streckt ihm die Zunge raus. Jeder Schwester gibt er einen Kuss. Heute noch werde ich verbrannt. Er umarmt das 5jährige Meyerchen. Menachem, mein erstgeborener Bruder, auf Wiedersehen!
Es ist schon etwas dunkel, zwei Gestalten treten durch das Tor des Gartens und bleiben an der Hecke stehen.
LENCHEN: als Mutter, macht, als ob sie jammervoll weint Dorachen, mein Zuckerdorachen!
Die anderen Kinder sind noch dabei, sich zu verkleiden, indem sie ihre Röcke wenden und ihre Jacken. Sie fertigen sich aus Ästen Säbel an. Willy hat seine Trommel mitgebracht und Kaspar seinen Helm. Oscar, Menachems kleiner Sohn, wartet finster auf seine Verkleidung. Arthur Aronymus, der die grosse Schere seiner Mutter mitgebracht hat, reicht sie der Margarete. Die will dem Neffen Oskar die Schere an einem Soutacheband um das braune Tuch binden, das sie ihm vorher wie eine Kutte um seinen Anzug legte.
OSKAR: reisst die Schere finster von der Seite Das ist Frevel!
ARTHUR ARONYMUS: Du oller Duckmäuser.
LENCHEN: zu Oskar, zum ersten Mal in westfälischer Mundart Eck glob et deck bald.
DORA: in der Laube Endlich bist Du wieder wach!
Fanny beginnt erschütternd zu weinen.
DORA: Soll ich doch die Mutter rufen?
FANNY: elegisch Du Liebe, gleich ist ja schon alles vorbei.
Dora umhalst Fanny immer wieder.
FANNY: Das hat man davon, wenn man schön ist. Sie hebt den Kopf wie eine Königin, zieht ein kleines Spiegelchen aus der Tasche unter dem Reifenrock und betrachtet sich.
DORA: Nää, dafür kann doch kein Mensch. zögernd auf einmal Ist die Schatulle noch voll?
FANNY: Wie kannst Du nur jetzt an die Schatulle denken, Dora? Wo ich mir das Herz abhärme. Dora schämt sich. Du hast also wirklich und wahrhaftig damals gelogen?
DORA: hebt die Hand zum Schwur auf Wirklich und wahrhaftig!
ALLE DIE KINDER: zu Oskar Was stehste da so grimmig, Du Scheinheiliger.
Einer der Jungens schält einen Ast vom Hagebuttenstrauch, an dem eine zerquetschte Hagebutte hängt. Sie klebt noch an dem geschälten Ast wie Blut. Sie fertigen aus ihm ein Kreuz an und hängen es Oskar statt der Schere um die Lenden.
KASPAR: Jetzt siehste genau so giftig aus wie Onkel Pater.
DER BISCHOF: zum Kaplan Sch! Mein Sohn …
LENCHEN: Ist Dein Onkel im Kloster, Kaspar?
KASPAR: Vater sagt immer, dort sitzt er und dort soll er sitzen bleiben.
WILLY: an seine Ehre gegriffen, da seine Eltern fromm katholisch sind Sing Vatter war man ein Ketzer.
Kaspar gibt Willy eine Watsche. Willy haut sie zurück.
DORA: unendlich lieb zu Fanny Aber in der Postkutsche guckt er sich die Augen nach Deinem Fenster aus, Fannichen. Wahrhaftig, ich spreche die reine Wahrheit! Ich könnte Grossvater Rabbi, wenn er noch lebte, in die Augen dabei sehen …
Fanny lächelt beglückt. Die Kinder beginnen den Scheiterhaufen zu bauen aus alten Blättern, dürrem Gras und Reisigen.
FANNY: Wie soll er aber wissen, wo meine Stube grade liegt?
DORA: Für dumm musst Du mich aber auch nicht halten, Fanni.
FANNY: Wieso?
DORA: Katharina und Elischen lauerten auf Dich die halbe Nacht oft von unserem Fenster aus. Einmal flogen deine Scheiben auf und dann schnappten sie wieder zu, einmal flogen sie auf, das andere Mal wieder zu … »Sie hat ihm eine Rose zugeworfen«. Rief einmal spät am Abend Katharina – empört.
FANNY: Du warst doch krank und schlummertest.
DORA: Zuletzt tat ich nur so und tanzte auch immer ein bisschen Polka mehr, wie ich musste. Ich ging ja so ungern in die Schule, Fanni.
Fanny lächelt wieder über ihr Glück.
DORA: Wie Du mich verstehst, Fanny. Beide gehen ins Haus.
MAX: heult, zu den Kindern Meine Figuren, die ich im Sand formte, habt Ihr zertrampelt.
LENCHEN: im Ton der Mutter Morgen formt Mäxchen wieder neue.
ALLE: Mäxken! Mäxken! Mäxken!
Max spielt wieder mit den Kindern weiter. Das Spiel beginnt. Arthur Aronymus als Hexe Dora wackelt den Zaun entlang, alle Kinder hinterher, die die Leute von Gaesecke spielen, und kreischen das Hexenliedchen: Maria, Joseph, es läutet so heiss …
WILLY mit seiner Trommel, und KASPAR im Helm, treten zu Oskar, dem Mönch: Geduld, gleich bringen wir sie Euch, heiliger Pater und dann soll sie brennen wie im Fegefeuer!
Arthur Aronymus klettert auf einen Zwetschkenbaum, und alle die Kinder, die die Leute aus Gaesecke spielen, rufen: Hexlein, Hexlein, kömm herunger von däm Zwetschenboom! Sie schütteln den Baum und dann singen sie wieder den Anfang des Lieds: Maria Joseph … Bischof und der Kaplan schleichen sich tiefer in den Garten und verbergen sich hinter den langen Haaren einer grossen Weide.
KAPLAN: Das Hexen-Mysterium von unschuldigen Kindern aufgeführt.
BISCHOF: schlägt ein Kreuz über seine Brust, der Kaplan ebenfalls Wahrlich, ein erschütterndes Echo des Hexen-Aberglaubens.
KAPLAN: Seiner Gnaden energisches Eingreifen zur Stunde tat not.
ARTHUR ARONYMUS: lauscht plötzlich auf und dann alle, wie gehemmt Der Vatter kommt.
KAPLAN: zum Bischof Vor dem hat er Angst.
Bischof hält weiter lauschend die Hand liebreich vor des Kaplans Lippe. – Die Kinder haben sich geirrt in ihrer Annahme und spielen weiter. Ein tolles Durcheinander beginnt unter den Kindern. Lenchen-Mutter und Max-Vater jammern und die Kinder, die seine Geschwister spielen, fliehen zu den andern Kindern, die die Gaeseckeaner Leute spielen.
LENCHEN-MUTTER: O unser Kind! O unser Dorachen!
Die Familienmitglieder ziehen sich jammernd auf die Stufen der Treppe zurück. Denn die Gaeseckeaner werden der Hexe habhaft, binden sie und schleppen sie vor den Mönch-Oskar.
MÖNCH-OSKAR: finster Nun haben wir den Teufelsbraten, bekenne Hexe, und bereue sie ihre Zaubereien, sie Satansweib!
BISCHOF: Siehe da! Erstaunt über den Sadismus des kleinen Jungen.
ARTHUR ARONYMUS: in Doras hoher Stimme Ich bin keine Hexe, ich bin keine Hexe!
KAPLAN: zum Bischof Das ist der köstliche Junge.
ARTHUR ARONYMUS: ganz hoch, er quietscht fast Ich bin Schülers Dora!
OSKAR: Das schert uns nicht; aber ich frage sie, den Teufelsbraten, will sie bereuen ihre Missetaten und sich reinigen in Jesu Blut? So soll sie nicht gebraten werden auf dem Scheiterhaufen, sie Ausgeburt!
ALLE: Scheiterhaufen! Scheiterhaufen! Scheiterhaufen!
Und dann das Hexenlied: »Maria, Joseph – – –«
KAPLAN: zum Bischof Diese Sprache lehrte sie die verirrte Zeit.
Alle springen wie kleine Teufel umher. Arthur Aronymus beisst dem Mönch in die Hand.
OSKAR: hart und voll Rache Schleppt sie zur Hölle!
Sie schleppen Arthur Aronymus beim Gesang des Hexenliedchens »Maria, Joseph – –« auf den Scheiterhaufen. Die Angehörigen stürmen plötzlich von den Stufen der Treppe herab hinter dem Mönch her. Lenchen-Mutter umklammert seine Lenden, die Geschwister fallen ihm zu Füssen.
DIE FAMILIE: Gnade! Gnade! Gnade für unser Dorachen!
Bischof schlägt wieder ein Kreuz gerührt über seine Brust. Arthur Aronymus steht gebeugt auf dem Scheiterhaufen, die Kinder tanzen um ihn. Auf einmal springt er über alle hinweg mit einem Satz, Doras Rock verlierend, den Mönch umreissend, vom Scheiterhaufen herunter – die tobende Schar hinter ihm her. Man kann die Worte nicht mehr verstehen.
BISCHOF: Soll man weinen oder lachen? Und schon beginnt der Bischof mit einer solchen Wucht zu lachen, dass die Kinder in ihrer Raserei jäh stehenbleiben und lauschen. Kaplan über das Lachen in dieser eigentlich ernsten Angelegenheit verdutzt. Na, na, mein lieber Sohn in Christo, verarge er seinem alten geistlichen Bruder und Oheim nicht er klammert sich an des Kaplans Arm, um nicht vor Lachen umzustürzen ha, haha, ha, ha, da er kein Spielverderber ist, zumal aus dem Herzen des Kindes des Lachens Quelle entspringt – und – wie bitter sie des öfteren mündet.
Kaplan will entgegnen, dass er Verständnis dafür habe, als schon eine Magd auf sie beide zutritt.
MAGD: Eck sollt ens kieken, wer die beeden Figuren hinterm Weedenboom sin?
FRAU SCHÜLER: folgt der Magd. Leichtfüssig ist noch ihre Gangart, jugendlich wiegt sie ihren Körper. Die Kinder versuchen sich zu verstecken, wie sie die Magd erblicken. Der Bischof kann sich noch nicht beruhigen Sehe ich recht – unser hochverehrter Herr Kaplan Michalski?
BISCHOF: Und sein alter Bischof –
KAPLAN: Seine Gnaden Lavater aus Paderborn, Madame Schüler. Küsst Frau Schüler die Hand. Der Bischof streckt gewohnheitsgemäss seine Hand zum Kusse dar.
FRAU SCHÜLER: schlicht und liebenswürdig Diese Freude für mich und meinen Gatten und für meine Kinder und – sie sucht nach Arthur Aronymus wo ist er?
KAPLAN: Er hat ihn schon! Er hat Arthur Aronymus erfasst und trägt ihn auf dem Arm dem Bischof hin. Lebendig hier!
FRAU SCHÜLER: auf Arthur Aronymus zeigend, zum Kaplan Er ist ja wieder so wild geworden, seitdem sein vergötterter Herr Kaplan Bernard nicht mehr in unserem Gaesecke weilt.
BISCHOF: Und wir, sein Bischof, Madame, tragen die Schuld daran.
MAGD: treibend, wie eine Herde, mit einer kleinen Rute in der Hand Nu man wacker in de Wannen, Pessah is schon da! Und ihr fremde Balgen, schert euch nach Haus! Bischof blickt den Kindern nach. Er muss wieder andauernd lachen.
FRAU SCHÜLER: Heute abend beginnt unser Osterfest, und meinem Gatten und mir würde es zur grössten Ehre und Freude gereichen, wenn Euer Gnaden und der uns allen unvergessliche Herr Kaplan den Zederabend mit uns gemeinsam feiern wollten! –
BISCHOF: galant, er wendet sich zum Kaplan Sein Bischof ist kein Spielverderber, antworte Er, mein lieber Sohn – der artigen Madame Schüler.
KAPLAN: Mit Freuden akzeptieren Seine Gnaden und meine Wenigkeit Madame Schülers liebenswürdige Einladung.
BISCHOF: Ja, gern sind wir beiden Einbrecher bereit, den frommen Osterbrauch mit dem Gatten und seiner liebenswürdigen Gattin und den – zum Kaplan Wieviel sind ’s doch?
KAPLAN: lachend 23?!
BISCHOF: Und den 23 Kindern zu feiern.
MUTTER: Und dem Zuwachs. zum Kaplan gewandt Katharina hat sich vermählt, unsere zweite Tochter, und weilt mit ihrem Doktor seit gestern in ihrem Elternhause in Gaesecke. Auch Heinrich Menachems sind gekommen zum Feste sie zeigt auf den kleinen Mönch Oskar mit ihrem Söhnchen. Zwei Jahre ist er älter wie sein Onkel, unser Arthur Aronymus.
Bischof schneidet dem Jungen ein finsteres Gesicht, wie Oskar es zu schneiden versteht.
ARTHUR ARONYMUS: beseligt über die Rückkehr seines Freundes Bernardchen, jetzt gehst du doch nie mehr wieder fort!?!
Die Kinderschar zieht sich wie eine Herde vor der Magd zurück durch die hintere Pforte ins Haus. Das ganze Haus steht plötzlich im Kerzenglanz. Die Mutter geleitet die geistlichen Herren über die Freitreppe. Es ist dunkel geworden. Vor dem Gutshaus wird eine Laterne angezündet. Durch die Pforte tritt der sehr elegante Weinreisende Kissingen (Dr. Faust), nach ihm die geladenen armen sieben Juden der Gemeinde. Nach ihnen in gleicher Tracht die Brüder Ostermorgen, zuletzt kommt der Vater, im grauen Zylinder, höchst distinguiert durch die Pforte, durch den Vorgarten, über die Treppe ins Haus. Grosser Frieden im Garten.
15. Bild
Im Schülerschen Gutshause feiern im grossen Essraum den Zederabend des Pessahfestes: Herr und Frau Schüler; ihre 23 Kinder: Heinrich Menachem, seine Frau Elfriede und beider Sohn, der 10jährige Oskar, alle die anderen Kinder; Dr. Engelbrecht Vogelsang, Katharinas Gatte; der Bischof Lavater von Westfalen; der Kaplan Bernard Michalski; Monsieur Filigran, Inspektor des Schüler’schen Gutshauses; der Weinreisende Kissingen; Alexander Ostermorgen, Siegfried Ostermorgen, die Söhne des Jugendfreundes von Herrn Schüler; die sieben armen Juden der Jüdischen Gemeinde in Gaesecke: Nachtwächter Altmann, Hausierer Zilinsky, Wanderbursche Nathanael Brennessel, drei Lumpenhändler Perlmutter, Josefje, ihr kleiner Neffe.
Schneeweiss steht die Tafel feierlich gedeckt. Die grossen und die kleinen Töchter tragen alle samtne Kleider und die kleinen Söhne Samtjacken.
Zwei brennende jüdische silberne Leuchter stehen auf dem Tisch vor dem Platz des Gutsbesitzers. Vor dem Platz des Gutsbesitzers steht eine grosse Schüssel mit drei ungesäuerten Broten, in eine Serviette gehüllt. Ausserdem stehen auf dem Tisch vor dem Vater kleine Schüsselchen mit Rettich, Bitterkraut, Petersilie und harten Eiern in Salzwasser.
HERR SCHÜLER: mit weltmännischer Geste Bevor ich mit der Zeremonie beginne, gestatten mir Euer Gnaden und Herr Kaplan Michalski –
FRAU SCHÜLER: Der Schutzengel unseres Hauses – – –
KAPLAN: Er lieh mir nur sein Kleid.
HERR SCHÜLER: fortfahrend, der Vater zeigt auf Alex im Krankenwagen Dieser liebste Jüngling, mein Sohn Alex, hat sich vor Jahren einen Katarrh zugezogen, von dem er in Bälde geheilt sein dürfte.
Bischof lächelt liebreich dem Kranken zu.
HERR SCHÜLER: Mir zur Linken – Fanny streift schnell den grossen Spiegel an der Wand: meine älteste Tochter Fanny, die ihren Sprachschatz erweiterte in einem französischen Pensionat voriges Jahr in Münster.
Fanny und des Kaplans Auge treffen sich. Der Kaplan bemerkt ihre Korallenohrringe, sichtlich beglückt.
HERR SCHÜLER: Neben meiner lieben ältesten Tochter Fanny Herr Kissingen aus Kissingen im Bayerlande. Ein erprobter Weinkenner.
Der Bischof betrachtet ihn lange, überlegend.
KAPLAN: wie zu sich selbst sagend, aber Fanny liest es von seinen Lippen Der Doktor Faust – – –
HERR SCHÜLER: Hier unsere heitere Dora wieder! Sie wurde gestern sechzehn Jahre alt. Herr Schüler dankt mit weltmännischer Gebärde dem Bischof und dann dem Kaplan. Unser Lenchen, Arthur Aronymus sein treues Schwesterlein.
BISCHOF: Es erinnert mich unbedingt an dein gutes, sanftes Mütterchen, Bernard, dieses herzige Kind.
Kleine Pause.
HERR SCHÜLER: Mein Max, unser angehender Bildner, Meta und Luise, unsere kleinen Zwillinge.
BISCHOF: Auf ein Haar – – –
FRAU SCHÜLER: Darum nennen wir die beiden Kinder, jedes von ihnen, einfach Meta.
HERR SCHÜLER: Karl, mein hoffnungsvoller Sohn, Herr Siegfried Ostermorgen. Unsere Bettina, Herr Alexander Ostermorgen, Siegfrieds Bruder, die Söhne meines Schulfreundes Ostermorgen aus Bochum. Meine drittälteste Tochter Elise, die Belesene, mit einer chevaleresken Geste auf seine Gattin zeigend meine, Seiner Gnaden schon bekannte, liebe Gattin, Frau Henriette.
FRAU SCHÜLER: hebt das kleine Titichen an ihrer Seite in die Höhe Unser Kleinstes.
HERR SCHÜLER: Neben meinem Sohne Alex: Eleonore! Nach Goethes Eleonore fuhr ums Morgenrot.
BISCHOF: zum Kaplan Zehn Eleonoren unter zwanzig kleinen Jungfrauen zählen die Priester unter den Firmantinnen.
HERR SCHÜLER: Mein dritter Sohn, unser Julius. In den Werken Goethes bewandert. Unser Meyerlein, Bauer will er mal werden! mit grosser Geste Augustus.
BISCHOF: Mit der strotzenden Stirn des Römers.
HERR SCHÜLER: Menachem, mein Erstgeborener und seine treue Gattin Elfriede und beider hoffnungsvoller Sohn Oskar.
Bischof kräuselt finster wie der die Stirne in Falten.
HERR SCHÜLER: Der liebe Berthold. Nach meinem einzigen Bruder benamet. Unsere Margarete. Monsieur de Filigran, mein Inspektor. Meine zweitälteste geliebte Tochter Katharina und ihr Gatte, der Apotheker Dr. Engelbrecht Vogelsang aus dem Wuppertal; verlegen der Ärmste verlor vorigen Monat beide Eltern an einem Tag. Neben ihm mein zweiter Sohn Simeon, meine geistige Stütze. – Und nun wären wir endlich bei unserem hochverehrten Herrn Kaplan angelangt.
BISCHOF: zum Kaplan, zeigt auf das kleine, ebenfalls feierlich gedeckte Nebentischchen der Tafel Und wer sind die?
HERR SCHÜLER: flüstert Sieben arme Juden unserer Gemeinde! Herr Schüler stellt die sieben der Gemeinde vor. Wie es so Sitte ist am Zederabend bei uns Juden. Er weist auf den Nachtwächter. Der sorgliche Vater unseres Dorfes: Altmann! Er bläst mit seinem Horne allabendlich die Kinder Gaeseckes in den Schlummer. Er weist auf Brennessel. Unser Weltenbummler: Nathanael Brennessel! Ein nimmermüder Wanderer. Nathanael kichert. Pan nannte ihn der berühmte Vater meiner Gattin Henriette. Herr Schüler weist auf Lämmle Zilinsky. Lämmle Zilinsky aus Lemberg, unser Grosskaufmann. Seine Ware kann ich mit gutem Gewissen empfehlen. Zilinsky reisst sich in der Schüchternheit fast die Knöpfe seines Kaftans ab. – Herr Schüler gnädig. Meine drei lieben Freunde Perlmutter. Sie sammeln die Antiquitäten des Dorfes! Ihr kleiner Neffe, der Josef.
DER EINE DER DREI PERLMUTTER: Josefje, erheb dich!
BISCHOF: zum Kaplan Antiquitäten?
KAPLAN: lächelnd Drei Lumpensammler.
BISCHOF: enthusiasmiert von der Demut des Hausherrn Wahrlich, wir sind bei einem Fürsten zum Mahle.
HERR SCHÜLER: legt sein Gebettuch um die Schultern und betet Baruch ata adoney elohenu melech haolam hamozi lechem min haarez. (König der Welt, der hervorbringt das Brot aus der Erden.)
Er liest aus der Hâggâdâ eine kleine Stelle vor, aus dem kleinen Osterbüchlein. Er wickelt die ungesäuerten Brote aus der Serviette, bricht sie in kleine Stücke; er tunkt das erste Stück in Salz, legt etwas von den Bitterkräutern darauf, erhebt sich und reicht es selbst dem Bischof. Das zweite Stück muss Arthur Aronymus holen, seinem Kaplan zu reichen. Arthur Aronymus ist sehr niedergeschlagen.
BISCHOF: Mich dünkt, das Büblein, Bernard sein kleiner Freund, will heute abend nicht so recht mitmachen?!
FRAU SCHÜLER: Er wollte neben seinem lieben Herrn Kaplan sitzen, Euer Gnaden.
BISCHOF: mit selbstverständlicher Anordnung des Tisches Da hat er recht! Schnell wechsle er seinen Platz mit dem älteren Bruder, damit wir keinen unzufriedenen Gast zwischen uns an der Tafel beherbergen.
Der Bischof reicht gewohnheitsgemäss dem Kaplan seine Hand zum Kusse dar. Simeon, etwas unwillig, aber kultiviert beherrscht, erhebt sich und setzt sich auf Arthur Aronymus’ Platz zwischen Dora und Lenchen. Arthur Aronymus strahlt die Mutter an, er und der Kaplan sitzen fortan Hand in Hand. Jedem von den Kindern und Gästen müssen die beiden Brüder Berthold und Ferdinand von dem in Salz getauchten ungesäuerten Brot reichen mit den bitteren Kräutern. Simeon und Julius sind dabei, die Gläser zu füllen mit Moselwein.
FRAU SCHÜLER: leise zu Elischen Wenn nur die Karpfen nicht kalt werden.
Es stehen grosse zugedeckte Schüsseln auf der Tafel und in den Saucieren Rosinensauce.
BISCHOF: Ich bitte unseren liebenswürdigen Gastgeber, nicht ein Wörtchen oder eine der gottalten Silben der Zeremonie des Heiligen Zederabends zu vergessen. Wir, Unser Gnaden, der Bischof Lavater, würden Uns Vorwürfe machen, Uns gar einbilden, der Störenfried des Festes zu sein, und zu Frau Schüler gewandt Wir möchten Uns so recht zu Hause fühlen.
FRAU SCHÜLER: Euer Gnaden, Herr Bischof, im Traume wäre es meinem Gatten und mir, seiner Gattin, nicht eingefallen, dass der Herr Bischof und der uns so willkommene zurückgekehrte Herr Kaplan mit unserer Familie gemeinsam dieses heilige Fest feiern werden.
BISCHOF: breit lachend Aber die liebreiche, jugendfrische Madame Mutter hat sich Uns, den Bischof Lavater von Paderborn, doch nicht gar als einen Duckmäuser vorgestellt!
Bischof bewegt die Hände, als ob er sagen wollte: beileibe nicht. – Herr Schüler spricht noch einige Segensworte, er erhebt sich darauf und füllt das Glas des Bischofs selbst wieder mit dem Moselwein; er übergibt Simeon die Flasche. Der kleine Oskar blickt unverwandt, beinahe schon ehrgeizig, aber finster auf den Bischof.
ARTHUR ARONYMUS: zum Kaplan, der sich das Lachen verbeisst Guck mal, Bernard, wie der Oskar deinen Bischof anguckt, mir wirklich unangenehm.
Die Mamsell und die Clara, die im Essraum warten, beginnen auf einen Wink der Mutter die Karpfen herumzureichen; zuerst reichen sie dem Bischof die Schüssel. Bischof greift zu und sagt zum Kaplan:
BISCHOF: Das wird deinem Oheim aber munden. Er freut sich wie ein Kind. Kaplan etwas verlegen.
BISCHOF: im Ton des Kindes, den Kindern zuzwinkernd Immer muss er sich ärgern über seinen bischöflichen Oheim; im Garten schon gab Er ihm Gelegenheit dazu.
Die Kinder lachen frisch.
KAPLAN: Aber Euer Gnaden!
BISCHOF: Noch vor einer Stunde, als der kleine mutwillige Lavater zu den Kindern im Einverständnis wieder so recht herzlich über die Schelme da er zeigt auf die Kinder am Tisch sich im Gutsgarten amüsierte. Der Bischof lacht plötzlich stürmisch, kaum kann er sich beruhigen. Aber dass mir das Hexenverbrennen fürder aufhört!!
KAPLAN: demutsvoll Eine beglückende Stunde war’s Eurem geistlichen Sohn, Euer Gnaden so herzhaft lachen zu hören.
Bischof reicht gewohnheitsgemäss wiederum dem Kaplan die Hand zum Kuss. Eine Ruhe tritt ein, sie essen alle mit Appetit den Fisch usw., bis der Bischof bemerkt, dass der Vater etwas Festliches sagen will, legt Messer und Gabel nieder, faltet die Hände und legt sie auf den Tisch, hebt aufmerksam den grossen Kopf mit den runden lachenden Augen.
BISCHOF: Der Herr des Hauses beginne. Er mahnt die kleinen Kinder mit seinem grossen Finger. Wir lauschen andächtig seinem Wort.
HERR SCHÜLER: Eure Gnaden beliebten die stumme Frage an meine Wenigkeit zu richten betreffs der bitteren Kräuter. Sie symbolisieren gewissermassen die Bitternis der Knechtschaft, die unser Volk erduldete im fremden Lande; das ungesäuerte Brot jedoch an den eilenden befreienden Auszug aus Ägypten.
Die Leute am kleinen Tische beginnen zusammen zu murmeln, doch immer andächtig mit Mass und Ziel. Sie speisen wieder; auch alle an der grossen Tafel.
DER EINE DER DREI PERLMUTTER: Zwei Goyen am Zederabend Seiniges?
ZILINSKY: schüchtern Der neben dem Bischof ist a halber Jid.
BRENNESSEL: Mach ich nun wieder mal nach Paderborn, weiss ich, wo ich logier!
ALLE: Na wo?
BRENNESSEL: Im Dom bei Seiner Fürstlichkeit. Bei Emm! Weist mit dem Auge auf den Bischof.
NACHTWÄCHTER: philosophisch Schwatz nicht. Eene nüe Weltgeschichte beginnt!
PERLMUTTER: zu den Brüdern Hol’n wir die alte mit unserm Hundekarren in de Häuser ab.
BISCHOF: taucht wieder ein Stück ungesäuertes Brot in den Mosel. Dann zum Kaplan Probable! Er nimmt von dem ihm gereichten Pudding. Tauche er, Bernardchen, sich auch einmal so ein Stückchen von dem heiligen ungesäuerten Brot in seinen Mosel. Er winkt den Kindern zu, jedem einzelnen, dasselbe zu tun.
HERR SCHÜLER: etwas verlogen, aber weltmännisch zu den armen Juden am kleinen Tisch Nun, hat man euch, meine lieben Gäste, auch in keiner Weise vergessen?
ZILINSKY: wickelt aus einem alten Zeitungsfetzen ein weisses Pelzkrägelchen und gestikuliert, bis Arthur Aronymus es bemerkt. Arthur tritt an seinen Tisch Hat er mer doch seine Leckereien seine gebracht am christlichen Morgen Weihnacht, mit Tränli in die Oigen seine. Legt ihm, schüchtern lächelnd, das Krägelchen um den Hals. Arthur Aronymus präsentiert sich zunächst dem Kaplan und dann der ganzen Gesellschaft.
KAPLAN: mit gesenktem Kopf zu Arthur Aronymus Wolltest dus nicht von mir annehmen?
ARTHUR ARONYMUS: Ich weiss nicht, Bernhardchen!
FRAU SCHÜLER: Herr Lämmle Zilinsky, das ist aber rührend von Ihnen! Betrachte der Herr Vater das kostbare Geschenk!
Die Mamsell reicht noch einmal dem Bischof die Speise, dann allen am Tisch.
BISCHOF: Prächtig, prächtig. Der Bischof ist kein Kostverächter, verehrte Mamsell!
OSKAR: plötzlich hart und finster Ich werde ein Mönch.
BISCHOF: zu gleicher Zeit, zum Kaplan gewandt Was sagt er?
MENACHEM: Sch!
BISCHOF: Wie oft diskutierten wir und der grosse Rabbuni von Rheinland und Westfalen bis spät in den Nächten über tief religiöse Probleme.
FRAU SCHÜLER: Und nun ruht mein armer Vater einsam in der Erden – – –
BISCHOF: Gottes Wege sind unerforschlich, sein Tun uns ein ewiges Rätsel.
ARTHUR ARONYMUS: stark, wie aus einem Medium äussert sich aus ihm die Stimme des Rabbis Der Rabbuni ist nicht einsam – – – er ist versammelt mit den Vätern.
Alle auf das tiefste erschüttert, selbst der Vater. – Pause. – Arthur Aronymus, zu sich gekommen, rennt verblüfft aus dem Essraum.
BISCHOF: Diese Wahrheit suchte sich zu entströmen, ein reines Kinderherz.
Frau Schüler stehen Tränen im Auge. Der Kaplan eilt hinter Arthur Aronymus.
KAPLAN: Ich werde ihn wiederholen.
BISCHOF: Unser lieber Kaplan Bernard liebt den Jungen. Ich kanns verstehen.
Frau Schüler dankt dem Bischof. Fanny verlässt ebenfalls den Essraum, die Schwestern Katharina und Elise wechseln verständnisvolle Blicke.
BISCHOF: zu Simeon, der ihm wieder vom Weine eingiesst Mit Fürlieb, Herr Mundschenk. So ein Tropfen »fliessende goldene Sonne« – – sagt unser zeitloser westfälischer Poet: Peter Hille. – Heilig soll er gesprochen werden. Kleine Pause. Der Bischof bemerkt den leeren Platz, wo Fanny gesessen, und sich wie ein Vater um die Situation kümmernd Ei, ei, was trieb die schöne Jungfer von der Tafel? – Kleine Pause. – Hier hätte unser Bernard für ein Bändchen anmutiger Poeme wohl reichlich Stoff gefunden. –
ELISCHEN: verlegen Ich dachte mir, dass der Herr Kaplan Gedichte schreibt.
BISCHOF: etwas ernst Heiligengedichte ab und zu – in der hohen Würde seines Seelenamtes. Er soll uns gleich eins deklamieren.
Kaplan und Arthur Aronymus treten wieder in den Essraum, der Kaplan hält einen grossen Baukasten unter dem Arm. Arthur Aronymus baut, gedeckt vom Kaplan, einen weiten Dom auf den Boden des Raumes. Der Bischof bemerkte nicht, dass die beiden zurückkamen; mit Herrn Kissingen beschäftigen sich seine Gedanken.
BISCHOF: Nun dämmerts Uns!! Wie gehts dem alten Senor Giacomo seinem Pappa und seinem allerliebsten Schwesterlein, der kleinen Señorita Jeannetta?
KISSINGEN: verbeugt sich mit spanischer Grandezza Mein alter Señor und ich, sein Sohn, erinnern uns mit besonderer Genugtuung des hohen Besuches.
BISCHOF: des Bischofs Augen begegnen Herrn Schülers Augen bedeutungsvoll Ein salomonisch reicher Weinbauer, des jungen Señors Vater – – –
KISSINGEN: Bestattete den alten Adelsmann resigniert in Bayerns Erde.
BISCHOF: liebenswürdig drohend Aber es blieb ihm der Dünkel des spanischen Juden, dem Pappa Giacomo! Ists so, mein junger Freund?
Fanny tritt ins Zimmer, stellt sich hinter den Stuhl der Mutter. Draussen vor dem Hause erheben sich Stimmen.
FRAU SCHÜLER: zu Fanny Du bist so echauffiert?
KAPLAN: tritt an den Tisch und sagt zum Bischof Den Dom hat mir der kleine Schelm gebaut, Herr Oheim Bischof.
BISCHOF: betrachtet mit Bewunderung die Grosszügigkeit des kindlichen Baus Potz Tausend! Komm er er winkt Arthur Aronymus zum Bischof Lavater einmal. Wir möchten dem grossen Baumeister die Hand drücken. Die Eltern sehr geschmeichelt. Bischof in erhobenem Ton. Ich segne das alte Volk Israel! Jedes seiner Kinder versinnbildigt so eine kleine Thora in samtnem Tragkleide, aber eine von den kleinen Thoraim trägt Silberschellen um den Hals. Mich dünkt, er streichelt die Haare Arthur Aronymus’ die ist ’s!
Bischof umarmt Arthur Aronymus. Alle sind tief gerührt.
BISCHOF: Ja, ja, Frau liebreiche Mutter Henriette, der greise er sieht sich überall um, ein Veto erwartend Bischof weiss Bescheid, auch im Reliquienschrein des Judentums. Er reicht gewohnheitsmässig Frau Schüler die Hand zum Kuss. Arthur Aronymus springt wieder zum Kaplan heran, der feierlich entzückt das kleine Gotteshaus bewundert. Jäh setzt Arthur Aronymus im Übermut über den Dombau, dass die Klötze nur so herum fliegen. Der Kaplan bleich und konsterniert. Der Bischof merkt den Vorgang.
BISCHOF: Nun ist er dir wahrlich entkommen, armes Bernhardchen! Aber tröste dich, mein guter Sohn in Christo, der alte Gott Israels lässt die Seelen seiner Kinder nicht im Stich!
FRAU SCHÜLER: neigt dankbar bejahend den Kopf Und mit einem bisschen Liebe gehts schon, dass Jude und Christ ihr Brot gemeinsam in Eintracht brechen, noch wenn es ungesäuert gereicht wird.
Draussen lärmen die Leute jetzt grenzenlos und rufen zu gleicher Zeit mit drei Mägden, die in den Essraum eilen: Sie wollen ihren Bischof sehen!
LEUTE: draussen Wir wollen unsern Bischof sehen! !!
MÄGDE: Partout!
Bischof erhebt sich mächtig. Katharina ist dabei, die Tür zu öffnen, die zur Terrasse führt. Alle haben sich erhoben, um dem Bischof zu folgen, nur Fanny hält die Mutter zurück. Kissingen wartet in der Nähe Fannys wie ein Kavalier.
FANNY: Mutter, denk mal, armes Mädchen hat er mich genannt! Ich, die schöne Fanny, ein armes Mädchen?
KISSINGEN: Die Blume von Westfalen? Er ahnt. Eifersüchtig.
FANNY: durch seine Bestätigung noch empörter Ein armes Mädchen, ich? lacht höhnisch auf Der affi – der Kaplan, nennt mich armes Mädchen!?!
FRAU SCHÜLER: zuckt mit der Schulter Wieviel Herzblut mag ihn das gekostet haben! Aber Fanny! Sie eilt auf die Terrasse.
KISSINGEN: tritt auf die nachsinnende verstummte Fanny zu und dann begeistert Soll ich ihn fordern auf spanische Säbel, holde Jungfer Fanny? Er führt sie am Arm auf die Terrasse.
DIE LEUTE: das ganze Dorf muss man hören von draussen, jubeln dem Bischof zu, und dann singen sie das Lied Nun danket alle Gott!
Dorfmusik, Trompete, Waldhorn usw., Trommeln, Flöten, Harmonika.
Ende
Anmerkung
Handschriftliche Entwürfe (fragmentarisch) im Nachlass Else Lasker-Schülers: The National Library of Israel (Jerusalem), Arc. Ms. Var. 501 (Else Lasker-Schüler Archive), File 2:115. 79 Blätter, jeweils 1 S. beschrieben. Notizen auf den Rückseiten einzelner Blätter. Die Bibliothek bietet ein Digitalisat zum Download an.