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Else Lasker-Schüler: Das Peter Hille-Buch (1906)

Aktualisiert: 12. November 2020

Inhaltsübersicht

Das Peter Hille-Buch (1906) [*]

Inhalt [*]

Else Lasker-Schüler

Das Peter Hille-Buch

Axel Juncker Verlag in Stuttgart Berlin

[1906]

[Umschlag (nach einer Radierung von Franz Stassen):]
Das Peter Hille-Buch

[S. 5 f.:] Petrus der Felsen

Ich war aus der Stadt geflohen und sank erschöpft vor einem Felsen nieder und rastete einen Tropfen Leben lang, der war tiefer als tausend Jahre. Und eine Stimme riss sich vom Gipfel des Felsens los und rief: »Was geizst du mit Dir!« Und ich schlug mein Auge empor und blühte auf und mich herzte ein Glück, das mich auserlas. Und vom Gestein zur Erde stieg ein Mann mit hartem Bart- und Haupthaar, aber seine Augen waren samtne Hügel. Und kleine Kobolde kletterten über seinen Rücken und beklopften ihn mit ihren Hämmerchen und nannten ihn Petrus. Und wir stiegen ins Tal herab und der Mann mit dem harten Bart- und Haupthaar fragte mich, von wo ich käme – aber ich schwieg; die Nacht hatte meine Wege ausgelöscht, auch konnte ich mich nicht auf meinen Namen besinnen, heulende hungrige Norde hatten ihn zerrissen. Und der mit dem Felsennamen nannte mich Tino. Und ich küsste den Glanz seiner gemeisselten Hand und ging ihm zur Seite.

[S. 6 f.:] Petrus und ich auf der Wanderung I

Als wir auf die Landstrasse kamen, begegnete uns ein Mann mit kurzem schwarzen Bart, der trug ein grosses Buch auf dem Rücken und er sagte, seine Seele trüge er also bei sich. Und als er das grosse Buch aufschlug, war es voll von eitlen Buchstaben, die sich reimten. Und da Petrus wieder stehen blieb und mit den jungen Bäumen sprach, die an beiden Seiten der Chaussee standen, geschah es, dass der Mann mit der eitlen Seele mich verleiten wollte, Petrus nicht zu folgen. »Er kennt die Wege dieser Erde nicht und haltloser ist er noch tausendmal mehr, wie Du es bist, und zwei Herumtreiber wird man Euch aufhalten an der nächsten Ecke.« Aber ich hielt meine Blicke fest auf den Gefundenen gerichtet, wie auf ein leuchtendes Land, wie auf ein Himmelreich mit blauen Gärten. Und als der Mann sah, dass er nichts ausrichten konnte, begann er mich zu schmähen, bis er von einem Graben verschlungen wurde.

[S. 7–9:] Petrus und ich auf der Wanderung II

Vor einem Häuschen bei der Stadt wollte ich mich von Petrus eine Weile trennen – dort wohnte meine Schwester. Aber er trat durch das kleine Zauntor in den Garten. Und es kamen uns zwei liebliche Mädchen entgegen – das Bübchen in ihrer Mitte hatte sich von ihren Händen losgerissen, kletterte wie ein Wiesel auf einen Birnbaum, munteren Spatzen nach, von einem Ast zum andern. Es war mein Bübchen. Und Petrus fragte die beiden Mädchen, wie sie hiessen. »Sage und Haidekraut«. Es sind meiner Schwester Kinder. Und zu Sage sagte Petrus: »Dein Gesichtchen ist ein schöner Blumenstrauss«. Denn Sage hatte Augen wie silberne Ähren und einen Malvenblütenmund und wie Rosen glühten ihre Wangen. Und Haidekraut hob fragend ihr Gesichtchen: »Und Du, erzähle Deiner Mutter, bist ein sonnenfarbenes Prinzesschen.« Und als ich in den Flur des Häuschens trat, sprangen die beiden lieblichen Mädchen hinter mir her: »Mutti, Mutti, der liebe Gott ist draussen im Garten!« Aber meine Schwester hatte uns kommen sehn und war sehr nachdenklich. Ich wusste, dass die Majestät Petrus sie beängstigen würde – und sie erfasste sorgenvoll meine Hände: »Willst Du nicht bei uns bleiben?«

Aber Petrus wandte sein Antlitz, und plötzlich war es hell über dem kleinen Blumengarten. Doch meine Schwester senkte betrübt den Kopf; ich riss mich los, streichelte Sage und Haidekraut, küsste meinen kleinen Wildfang und ging dem Herrlichen nach. Als ich mich umwandte, sah ich meine Schwester am Fenster stehen, ihre Augen waren verwundert aufgetan, sie blickte noch lange, lange hinter unsern Flug.

[S. 9 f.:] Petrus und ich auf der Wanderung III

Dann standen wir vor einem Herrenhaus. »Hier wohnt Onit von Wetterwehe«, sagte Petrus, und ich ging ihm nach durch das knarrende Tor. Ausgestreckt in der heissesten Sonne fanden wir den jungen Fürsten mitten im hohen Grase liegen, und vor ihm kauerte sich ein runder, zusammengeballter, rotköpfiger Schläfer; der hielt im Traume Possengespräche und dem jungen Fürsten rannen die Tränen über die Wangen. »Nun, was meinst Du zu solch einem Tyrannen, dessen Narr sich am hellichten Tage schlafen legen muss, um ihm die Langeweile mit blödsinnigem Kauderwelsch zu vertreiben.« Und Onit von Wetterwehe sprang auf, als er Petrus’ Stimme hörte, umarmte ihn und betrachtete mich neugierig. »Wer ist sie?« »Ja, das möchtest Du gerne wissen – gefunden habe ich sie – irgend ein fremder, gebräunter Stern hat sie wol aus der Hand fallen lassen.« Und von der andern Seite des Gartens näherten sich drei Gestalten, die waren gross und schlank und Petrus nannte den schönsten der beiden Jünglinge Antinous und den andern Grimmer von Geyerbogen und Najade hiess der Brüder blauäugige Schwester. Und wir verwunderten uns und waren uns gut.

[S. 11:] Petrus und der Mond

Wir standen auf einem kleinen Hügel in der Nähe der Stadt und blickten in unsere Fernen. Auf die silberdunkle Linie zeigte Petrus, die Himmel und Erde vereinte. Er sagte: »Von dort bin ich gekommen.« Und es war mir offenbar: eine wandernde Landschaft ist er, die ersehnte Heimat der Jubelnden. Und als ich zu ihm reden wollte, erreichten ihn meine Augen nicht, höher war er gewachsen wie der Mond – und er hielt ihn in der Hand, den grössten goldenen Reichsapfel. Ich rief. Da kamen alle die Knaben, die Petrus liebten, und die Mädchen, die um ihn wie um eine steinerne Urgestalt Tänze tanzten und blickten zu ihm auf. Aber er hatte den glänzendsten Stern zurück in die Wolken geworfen, und ein heftiger Regen ergoss sich. Wir stiegen den Hügel herab und traten unter breitlaubige Baumriesen. Die andern sahen wir fliehen zurück in die Stadt.

[S. 12:] Petrus-Poseidon

»Ich würde mich garnicht wundern, wenn ich eines Tages die Füsse in Goldpantoffeln trage und eine Krone von Rubinen in meinen Haaren liegt. Und in den bunten Spiegelgallerien meines Palastes spiegele ich tausend und ein Mal mein strahlendes Geschmeide.« Und Petrus gütig: »Erzähle noch mehr, Prinzessin!« Aber mein Blut zeigte aus allen Poren auf mich da ich noch an Nichtigkeiten dachte neben der Herrlichkeit, an deren Seite ich strömen durfte. Und Petrus-Poseidons Gesicht kam und ging und sein Bart war wie Schaum. »Warum sollst du nicht von Flittergold träumen«, sagte er, »manchmal dünkt es mich, Du bist noch zu jung, um ins Meer zu fliessen.« Aber ich eilte zu ihm und erfasste stürmisch seine Hand.

[S. 13–18:] Petrus und ich beim Prunkmahl Onits von Wetterwehe

Als wir kamen, eilten uns schwarze Diener in farbigen Festgewändern entgegen. Aber Petrus wehrte ihrer Beflissenheit: »Ihr wollt mich doch nicht meiner letzten Haut berauben?« Also betrat er in seinem grauen Mantel den goldenen Prunksaal und ich lehnte an seiner Seite. Musikanten in bunten Vogelmasken zwitschern zwischen blühenden Palmenbäumen auf ihren Zauberflöten und Spassmacher springen behende über die Galaschleppen der schönen Frauen, ihre Kautschukglieder verrenken sich zu allerlei drolligen Figuren. Und Tabak, der Narr sitzt auf der Tafel in einer grossen Kristallschüssel, sein grüner Mund unzählige Male im Tausendschliff gewulstet. Und als wir in der Mitte des Saales standen, wo die vielen fremden Fürstlichkeiten sich paarten, senkte sich eine fremde Wolke schwer auf seine üppige Laune. Die schönen Prinzessinnen verbargen ihre verdutzten Gesichter in den Spitzen ihrer Seidenärmel, indessen sich die Kavaliere um den erblassten Gastgeber drängten; der aber eilte uns entgegen. »Ich habe meinen Hermelin zu Hause gelassen!« sagte Petrus lächelnd und Onit von Wetterwehe wandte sich zu seinen Gästen: »Er hat ihn vergessen anzulegen vor lauter goldenem Träumen.« Und Antinous und Grimmer von Geyerbogen und Najade umringten uns, und riefen die Zagenden herbei; dem rotäugigen Zwillingspaar mit den weissen Atlashaaren war Petrus schon im Traume erschienen und auch dem jungen König Otteweihe war also geschehn, seine schüchternen Augen blühten wie Knospen halb erschlossen. Aber einen Freudenschrei stiess der Häuptling Bugdahan aus – Petrus kannte seine wilden, blutigen Schlachtengesänge wohl. Und Raba kam, Bugdahans Schwester, und umarmte mich. Und von den Jerusalemitern traten einige zu uns heran; Onit liebte die dichtenden Söhne Zebaoths. Sie hatten blasse Wangen und schwermütige Lider und der älteste mit den tröstenden Augen nannte sich Ben Ali Brom. Und Petrus zur Rechten sass Antinous und ich an der Seite seines Herzschlags. Und über uns gebärdete sich einer von den Musikanten unbändig, als er Petrus erblickte, sprang über die bunten Vogelköpfe, über das Gelände der Gallerie herunter in den Saal und spielte Petrushymnen auf seiner Bratsche, am Rosenholz seines Stuhles gelehnt. Und Negerknaben mit langen Ohrgehängen reichen Edelspeisen auf goldenen Tabletts, Paradiesvögel mit blauen Früchten. Und Wein aus Königstrauben gewonnen, giessen sie aus Smaragdkrügen in Prunkbecher – auf dem Grunde formen sich Perlen. Und neben Onit von Wetterwehe sass Weissgerte, die schönste der Prinzessinnen; ihr weisser Hals – Alpenschnee. Und rosige und blaue Libellen, die durch die Taumellüfte des Raumes schwebten, setzten sich auf ihre Flechten, sanken in ihre kleinen, zitternden Stirnlocken und nippten Süsse. »Du fragst mich«, antwortete Onit von Wetterwehe, »wer der vergötterte Bettelmann und sein Kind sind? Du wirst es mir bald selbst sagen.« Aber Weissgerte kräuselte ihre schlanken Prinzessinnenlippen, bog sich mit schillernder Tanzlustigkeit zu ihm über die blaue Seide der Tafel: »So stoss mit mir auf die Liebe an, Meister, wenn Du Dich nicht über sie erhoben hast.« Und Petrus schwang seinen Pokal, dass er in wilden Strömen überrann, aus seinem Barte lockten knisternde Sterne. Und Tabak, der Narr, hatte sich auf den Rand der Kristallschüssel gesetzt – er schielte unaufhörlich auf ihn – sein Blick stank. Aber Onit entführte mich dem seltsamen Mahle in seine weissen Rosengärten; dort zeigte er mir die Hecke, hinter der Dornröschen hundert Jahre im Zauberschlaf gelegen hatte. Und ein winziger, verrunzelter Zwerg spazierte über die glitzernden Kieswege, es war der Kleinste, der um Schneewittchen war. Bimbam machte immer sein bemooster Kopf und er sagte zu allem, was man ihn fragte, schon »ja«. Und den grossen goldenen Schlüssel zu Onits Märchensammlung trug er um den Hals und ich musste das Kleid Scheherezadens anlegen. Und als wir zurück in den Prachtsaal traten, erkannten mich die Gäste nicht. Aber um Petrus knieten all die stolzen Prinzessinnen, und Weissgerte küsste den Saum seines schlichten Mantels, und die Kavaliere kredenzten selbst einen Becher. Und Petrus erfüllte den Wunsch der Lauschenden und erzählte ihnen, warum er unvermählt geblieben sei. Und als er am Vorabend der Herzensfeier seine Auserwählte vor ihrer Burg begehrte, – stolz blickte der blaue See – »und in der Schlinge ihres Halses erstickte meine sündige Ungeduld. Sie war eine Schwanenjungfrau, Weissgerte. Aber als ich durch Arabien kam, trieb ich dem Kalifen die bösen Teufel aus, die sein Gehirn mit glühenden Nadeln pickten; und wie ein mächtiger Palmenbaum umfing mich seine Gunst. Aus einem Morgenschlummer holten mich seine Sklaven auf einer Karawane weisser Kamele, Brautschau zu halten unter seinen Töchtern. Ihre Schönheit wurde im Lande gepriesen; aber als sie im Geschmeide den Kalifensaal betraten und ihre Schleier lüfteten, fiel ich in eine vierzigtägige Ohnmacht. Sie hatten alle Totenköpfe. Und meine dritte Flamme war ein träumendes Prinzesschen, goldblond, wie Du bist, Weissgerte. Das bat mich in der Zeit der Brautschaft, es nur alle dreissig Tage zu besuchen. Aber die Sehnsucht trieb mich, einmal vor der Zeit seine Lippen zu küssen – da hatte mein Prinzesschen nur ein halbes Gesicht – es war ein Mondmädchen.«

Und als Petrus seine Liebesabenteuer zu erzählen beendet hatte, versteckten sich die schönen Prinzessinen hinter den Säulen und Nischen des Saales, die Kavaliere lächelten beklommen und selbst seinen Lieblingen bangte. Und Weissgerte sagte zu Onit von Wetterwehe: »Satan ist er .. Ich fürchte mich vor ihm.« Und sie verlangte Busse zu tun für ihre übermütige Rede bei der Tafel; als sie nicht nachliess, in Petrus-Satan zu drängen, sagte er: »Wohlan, wenn dich zu büssen sehnt, schöne Fürstin, magst du mit deiner kleinen, goldenen Zahnbürste die Zinnen deines Palastes putzen.« Und dann setzte Petrus den funkelnden Pokal noch einmal an den Mund, der Wein lohte auf in bunten, zischenden Flammen und er schwang den Kragen seines Mantels um mich: wir schwebten über die Kronen der Gäste hinweg.

[S. 19 f.:] Petrus und der Nazarener

Und der Silberstern hing am Morgenhimmel und viele von den Jünglingen begleiteten uns, auch Onit, der fürstliche Gastgeber, und sein Leibarzt Kraft und auch der rundliche Tafelnarr und Antinous und Grimmer von Geyerbogen, und dicht hinter uns schritten Goldwarth, der unbändige der Musikanten, und der stille junge König Otteweihe, der wandte sich zu Petrus: »Alle hast du mit deinen leuchtenden Reden beschenkt, Meister, willst du mich nicht auch reich machen?« »Das will ich tun, König Otteweihe«, und Petrus sagte ihm: »Dein Herz ist ein Wald von blühendem Geschweige.« Und leise verhallten die Schritte hinter uns, aber jubeln hörten wir die Jünglinge, und das waren goldene Klänge. Und als wir uns nach einer Weile nach ihnen umsahen, konnten wir sie garnicht unterscheiden. »Echte Müssiggänger sind’s, diese sorglose Bande.« Und wie eine bunte Schleife waren sie in der Ferne, die sich auflöste, verwickelte und sich wieder band. »Wie eine spielende Schleife ...« sagte Petrus und lächelte. Und ich war so müde – ging mit geschlossenen Augen weiter, aber meine Gedanken konnten nicht schlafen. Und frische Winde kamen und tanzten mit meiner Müdigkeit dem Morgenläuten entgegen, und aus Petrus’ Palmsonntagaugen standen selige Erinnerungen auf – ich hob mich andächtig auf meine Zehen, hineinzuschaun. Und als wir vor der Kirche standen, öffnete er das schwere Portal. Mütter beteten zur Mutter, und Kinder legten Blumen nieder vor dem Sternenknaben, und ich sah zum ersten Male Männer aus Stein, die Petrus ähnelten, sie hatten auch rauhes Haupthaar und trugen lange Bärte und hielten den Kopf gesenkt, aber sie hatten keinen Gipfel, wie er. Und am Kreuz harrte der Nazarener, er litt unendlich, so festgenagelt, so blutgenagelt, so hergegeben ... »Nimm ihn vom Kreuz, nimm ihn vom Kreuz!« – Und draussen betete die Erde zur Sonne, und auf der Treppe standen die Jünglinge und erwarteten uns, schön waren sie, und selbst der rundliche Narr glich einer schnurrigen Groteske eines seltenen altheidnischen Schmuckes aus kaiserlichem Schatze.

[S. 21:] Petrus und der Schäfer

Der Himmel füllte sich mit Blau. Die Kühle duftete, es war Mai. Petrus und ich liessen uns über den kleinen Fluss setzen, und als wir am andern Ufer waren, kam uns ein junger Schäfer entgegen mit seinen mäenden Zöglingen: »Na, das schwarze, was Du auf dem Rücken trägst, ist wohl Dein Lieblingsschäfchen?« Und der Knabe nickte ... »Es ist meins, die andern Lämmer sind dem Gutsherrn seine.« »Verzeihlich wie eine Mutter handelt er«, sagte Petrus und der zärtliche Hirte schaute sich noch lange Zeit neugierig um nach dem Knecht Ruprecht mit dem wilden Grimmbart. Und ich zeigte ihm zum erstenmal mein Kind. Es sass wie ein kleiner Reiter auf meiner Schulter. Petrus hatte es nie gesehen, aber nun, da er es in die Höhe hob, sagte er: »Deines Kindes Auge ist ein klarer Stern«, und er wusste auch nun, warum ich so oft um Abendzeit allerlei flüstere und singe: Wurzel-Purzellieder.

[S. 22 f.:] Petrus-Geburtstag

Am folgenden Tage .. war der Petrus-Tag, da er an ihm geboren war. Und in der Frühe schon kamen seine Lieblinge und brachten ihm Geschenke, und auch die andern Knaben und Mädchen bekränzten ihn mit Rosen und goldenem Laub. Und wir setzten uns alle im Kreise um ihn, nur Klein-Pull fehlte. Der war von meiner Schulter heruntergeklettert und wir hörten ihn leise mit einem kleinen Bürschchen murmeln hinter einem grossen Eichenstamm. Und das kleine Bürschchen sah in seiner weiten Kapuze aus, wie ein Erdmännchen, und niemand von uns hatte es kommen sehn. »Wenn Du mir Deinen Himbeerstrauch für Petrus sein Geburtstag schenkst, so schenke ich Dir ein Döschen mit einem kleinen Döschen darin.« Aber das Erdmännchen schüttelte das Köpfchen und ass eine rote süsse Himbeere von seinem Strauch! »Ich schenke Dir ein Döschen«, rief Klein-Pull ungeduldig, »mit einem kleinen Döschen darin, und in dem kleinen Döschen ist noch ein kleineres Döschen, und in dem kleineren Döschen ist noch ein ganz, ganz kleineres Döschen darin und ein ganz kleines Döselinken ist in dem ganz, ganz ..« Auf einmal fing er laut an zu schreien, denn das Erdmännchen hatte in der Zeit alle die süssen roten Himbeeren aufgegessen, sprang auf und lief in den Wald hinein.

[S. 23–25:] Am Nachmittag vor der Geburtstagsfeier ereignete sich folgendes:

Die Jünglinge waren noch nicht erschienen, aber Raba und Najade bestellten den Tisch mit Schüsseln voll Näschereien und Krügen mit rotem und goldenem Wein und schmückten mit Guirlanden das Waldhäuschen. Und vor seiner Epheupforte wandelten auf und ab das herrliche Geburtstagskind und ich. Seine braunen Augen waren zwei Himmel, daher kam es auch, dass alle, die ihn sahen, – glaubten. Und wir bemerkten eine Schar Müssiggänger kommen, die waren in heftigem Wortwechsel. Und als sie uns gewahrten, beschleunigten sie ihre Schritte und ich erkannte unter ihnen Jene, die sich dünkten mit mir verwandt zu sein, und sie baten mich, ihnen meinen Sohn zu zeigen. Aber Raba guckte aus der kleinen Luke des Waldhäuschens und lächelte ob ihrer List. Und da ich mich also weigerte, wurden sie jähzornig und bewarfen meine Scham. Und Petrus schritt grimmig unter ihnen, sein Bart ballte sich. Und es geschah, dass Klein-Pull den Jünglingen vorausgeeilt war und Petrus setzte ihn auf seine Hand und hob ihn über die Köpfe der Hämischen: »Ihr fragt nach dem Stern und kennt die Höhe nicht ... aber hier seht ihn Euch an, ihrer Schulter entstiegen ist er!« Die Jünglinge schlugen die lästigen Feinde – nur Antinous blieb gläubig an meiner Seite. Und dann kehrte die Sonne heim mit silberner Armbrust, und wir tranken im Waldhaus den roten und goldenen Wein und assen die süssen Bäckereien. Und Petrus trank aus einem schweren Riesenbecher, der sang immer Schelmenlieder, ein Geschenk seiner Lieblinge; und zwei der stärksten Negerknaben Onits von Wetterwehe mussten ihn jedesmal an seine Lippen setzen, wenn Petrus durstete.

[S. 25 f.:] Petrus setzt Klein-Pull in die Sonne

Und Klein-Pull hatte alle schäumenden Reste aus den Bechern getrunken und schlich heimlich wieder unter den Haselnussstrauch und holte tief Atem und knurrte, als ob er schliefe. Aber in der Nacht hörte ihn Raba wimmern und weckte mich, und sie legte ihre stillen Hände auf meines Sohnes Stirn – die taten Wunder. Und ich musste mich an seine Seite setzen neben Rabas Schoss und ihm Geschichtchen von allen Tieren erzählen, und namentlich immer wieder die drollige eine von der Pavianmutter mit ihrem Kind. Auf der Kiste im Käfig sitzen sie beide – die Pavianin hält ihr schönes Paviänchen im Arm und singt:

Schlafe, schlafe,

Mein Rosenpöpöchen,

Mein Zuckerläuschen,

Mein Goldflöhchen,

Morgen wird die Kaiserin aus Asien kommen

Mit Zucker, Chokoladen und Bombommen,

Schnell, schnell,

Hase Hase machen,

Sonst kriegt Blaumäulchen nichts von den Sachen.

Und morgens setzte Petrus den blassen kleinen Pull auf einen bunten Blumenhügel und die Sonne spielte mit ihm in ihrem kurzen, goldpunktierten Fransenkleidchen Fangeball.

[S. 27 f.:] Der Häuptling Bugdahan besucht uns in der Kalkfelsenschlucht

Und wir sassen in der Kalkfelsenschlucht, wie in einem weissen Riesensessel und erwarteten Bugdahan. Und Petrus rief ihm entgegen, indessen sich der Häuptling quälte, die steile Wand zu erklimmen: »Willkommen, Sam Bugdahan, wir machen es unseren Gästen nicht leicht, zu uns zu gelangen.« Aber des Häuptlings Wangen glänzten, seine knolligen Augen waren aus den Höhlen getreten und von seiner Dichterstirn perlte die Freude. Gold hat sein Vater in den Urwäldern gegraben und die Lust an Abenteuern hat sich in seinem Sohne vergeistigt. Und als er uns seine Kriegsgesänge vorgetragen hatte, meinte Petrus, er habe ganz deutlich gerostete Speere knarren und den Bumerang durch die Lüfte sausen hören. Und ich reichte unserm Gast einen frischen Trunk, ihm zur Ehre in einem Becher aus australischem Holz geschnitzt. »Unter seinen blühenden Schatten haben deine Väter Menschenhühnerfleisch gegessen, Häuptling Bugdahan.« Und er lachte so heftig über meinen kanibalischen Einfall, dass Petrus und ich ebenfalls in Lachlust verfielen, der kein Ende abzusehen war. »Mädchen, du gefällst mir, willst du nicht meiner Schwester Raba Gesellschaft leisten?« Ich steckte ihm meine Zunge heraus, die wurde immer breiter und röter, und ich habe Petrus nie sich so herzlich freuen sehen, zumal Bugdahan mich für einen Freudengötzen seines Glaubens hielt. »Mit dem muss man zu spassen verstehen!«

Und er begann seine steifen Glieder für den Heimweg zu üben, pustend purzelte er über die Felslehne – ich formte in der Zeit Bälle aus Erde und Lehm und bombardierte ihn, bis er auf der Landstrasse war.

[S. 29 f.:] Petrus und ich im Tempel Jehovas

Von der Chaussee steil auf stiegen viele Männer und Frauen mit ihren Kindern. Auf der Höhe steht der Sternentempel. Heute ist der Versöhnungstag des Jehovahvolkes. »Ehern und weich ist unser Tempel, süss und schwermütig seine Gesänge.« Und Petrus sagte: »Wir wollen auf die Höhe steigen.« Und die Wangen der Männer und Frauen wurden blass und freudezitterten, als sie ihn sahen mit den leuchtenden Feiertagaugen und dem ewigen Barte. Und der Priester sang und tausend Stimmen antworteten: unendlich wie die Wellen der Flüsse Babylons. Leise las Petrus die hebräischen Gesänge der Bibel: »Wundervoll ist die Gestalt dieser alten Sprache, wie Harfen stehen die Schriftzeichen und etliche sind gebogen aus feinen Saiten.« Ich berührte seine Hand und zeigte auf die vielen Silbersterne des weissen seidenen Vorhangs: er verbarg Allerheiligstes. Schweigend gingen wir nebeneinander über die rissigen Steinstufen des Tempels hinaus in die wehende Wärme. Die Birken der Chaussee berührten sich innig mit den Ästen. Und ich pflückte Petrus die Blumen, die am Wege standen.

[S. 30 f.:] Petrus in der Höhle

Auf den Bergen konnten wir nicht mehr sein und auch nicht auf den Wiesen, und die Bäume der Wälder glichen mächtigen Eissäulen. Und wir froren und waren ohne Obdach. Und die Jünglinge hatten sich entzweit mit ihren Angehörigen, die sie ihres säumenden Wandels wegen schalten. Und Onit von Wetterwehe war mit seinem Leibarzt Kraft und seinem Tafelnarr über die Meere gefahren. Aber eines Tages kam Bugdahan, der Häuptling, er hatte eine Höhle entdeckt, nahe seinem Zelte. Und wir machten uns auf – Bugdahan an der Spitze, dann kamen Petrus und ich, uns folgten Antinous, Najade und Grimmer von Geyerbogen und ihnen: Goldwarth und sein Freund, der Jerusalemiter mit den tröstenden Augen. Und es gesellten sich noch viele von den anderen Jünglingen zu uns, die obdachlos waren und die von unserer Unterkunft wussten. Und wir zimmerten für Petrus einen Sessel aus weissem Birkenholz und polsterten ihn mit Farren und Moos. Und in der Frühe losten wir unter einander, wer tagsüber auf Raub ausgehen werde. Und wir brachten süsse Sahne und Weizenbrode heim, die wir vor den Türen reicher Häuser fanden, plünderten grosse Kaufläden und Grimmer raubte für Petrus einen Pelz, der wog einen Zentner schwer. Und die Abende wurden gefeiert, wir sassen um kleine Feuer, rauchten aus Pfeifen und tranken von den eroberten Weinen und Petrus lehrte uns Zigeunerlieder.

[S. 32 f.:] Petrus und der Arzt

Durch den blanken, grauen Himmel sahen wir deutlich Lenzblau spriessen. Petrus liegt am Rande eines Waldes, unter ihn haben wir seinen grossen Mantel gebreitet. Und noch immer waren die Jünglinge nicht zu sehen, die um den Fiebernden wussten. Nur der eine sass an seiner Seite und ich zu seinen Füssen und wir betrachteten ihn mit Sorgen. Von der rotleuchtenden Arzenei reichte ihm Antinous, Südwein, den er so liebte. Aber wenn er hustete, suchten wir ängstlich unsere Hände und lächelten uns scheu an über den gewaltigen Körper herüber, wie über ein hochatmendes Meer. Petrus schlief, »Ich liebe Dich«, sagte Antinous, »und ich möchte Deine Augen küssen, die sind wie Brombeeren.« Zaghaft näherten wir uns und verbargen uns hinter dem Schlafenden, hinter dem harten Gekrause seines Hauptes. Aber als wir wieder nachdenklich an unsern Plätzen sassen und die Augen auf zu Petrus hoben, erschraken wir heftig über seine Blässe. Und ich lief achtlos über die hohe Weizensaat, zu Raba wollte ich, dass sie mich ihr zauberblaues Sprüchlein lehre. Unermüdlich werde ich es hersagen, unzählige Male auf jeder Perle meiner Kette, bis das Wolkenfenster droben aufspringt und sich Tausendwärme über Petrus neigt. Aber der Weg, der zu den steilen Felsgehängen führte, war versperrt, umkehren musste ich, aber ich freute mich, als ich sah, dass alle seine Lieblinge ihn umgaben. Und der Leibarzt Onits von Wetterwehe war es, der sich über seine wogende Brust unter den Tannenzweigen beugte und hin und her wankte vom heftigen Stoss des mächtigen Petrusherzens: »Euer rauher Nordsturm ist mit keinem Kraut zu vertreiben und nicht mit bitteren Pillen zu bombardieren, aber Mairegen will ich Euch verschreiben und Sonne!«

Und Onits Negerknaben trugen Petrus auf ihren Schultern in einer goldenen Sänfte in den weissen Rosengarten. Dort grünten schon die Zweige und seidige Vögelinen sangen. Und um Mittag kam im Strahlenkleid die wiegsame, goldene Frau und reichte Petrus den leuchtenden Pokal.

[S. 34 f.:] Petrus-Noah

Fleissige Engeljungfrauen spinnen feinen Seidenregen und sie gönnen sich keine Feierstunde. Wir sitzen zwischen alten, zusammengezimmerten Brettern am Ufer eines Flusses – Petrus hebt die Hand und zeigt auf die schwere Finsternis. Zwei schwarze Märzwolken hebt die nächtliche Frau des Westens aus ihrem schwärzesten Keller, die sehen aus wie grosse Wasserkessel und ein Heulen beginnt und das furchtbare Kreischen und Toben in der Höhe. »Das sind die Teufelchen«, erklärt Petrus, »und es wird nicht mehr zu lange dauern und wir haben, plumps, die Bescherung hier unten.« Und wirklich, die kleinen Teufelchen gossen die grossen Wolkenkessel rücksichtslos auf die Erde und die wilden Wasser überschwemmten die Wiesen und Wälder und der Fluss unter uns erwachte und träumte nicht mehr. Und seine Stille schäumte und wir waren so hoch mit den Fluten gewachsen bis zu den Tannenkronen der Wälder ringsum. Das schwankende morsche Dach über uns begann einzustürzen, und meine Kleider waren durchfeuchtet, aber Petrus sass und dichtete von singenden Blüten im Sonnenschein. Kein Tropfen nässte seine Hand und sein Bart lag wie eine stille Welle: »Meine wilde, schwarze Taube, die ich mit mir nahm«, sagte Petrus und lächelte. Und die Tage und Nächte vergingen und der spielende Streit nahm kein Ende. Aber wenn die Teufelchen müde waren und die Jungfrauen wieder ihre zarte Regenseide spannen, schwang ich mich über das eingesunkene Dach unserer Arche und pflückte die jungen grünen Tannenzäpfchen, die assen wir; aber wenn die Lärmmacher wieder an die Reihe kamen mit ihrem Wassergeplätscher, hüllte ich mich in den grossen Mantel von Petrus ein und lehnte mich an seinen Schoss. Und dann kam ein Morgen, der war sonnig und selig wie ein grosses Brautgemach. Die Auen glitzerten von Demanttropfen und der Fluss genas und träumte wieder, und die Wälder dufteten, trugen neue, grüne Kleider und Petrus-Noah erzählte: dass der Frühling der Glaube Gottes sei, der immer wieder zurückkehre in die Welt!

[S. 36:] Petrus und die Weide

Er setzte sich unter eine verkrüppelte Weide. »Wie jung Du bist –« sagte ich zu ihm und betrachtete unter dem Gegrau der Baumhexe den Unaussprechlichen. Wie jung er ist in seiner Ewigkeit – Baldur ist er, der Gott mit den jubelnden Hellen! »Warum kommst Du nicht näher?« fragte er mich. Aber ich wartete auf etwas nie Geschehenes. Ein rotwangiger Sturm sprang über den Weg und weckte die schlafende Wurzelgreisin und ihre zwei haarigen, knorpeligen Äste legten sich über braunleuchtende Locken. »Frühling, Frühling, der Frühling der ist da!« Mädchen wie schimmernde rote und blaue Libellen kamen und helläugige Kinder mit silbernen Glockenspielen, junge mutwillige Lämmer, so sprangen sie und feierten Frühlingsgeburtstag. Blau wehten die Himmelsfahnen.

[S. 37 f.:] Petrus und der Mai

Es ist Mai, da blüht ein Silberstrauch, und dort einer mit rosa Blüten, und Petrus muss mir immer sagen, wie sie heissen. Und auf einmal war ich ihm weit vorangegangen – er stand mitten auf der Wiese und dichtete. »Ich werde mich nie von ihm trennen«, sagte ich ganz laut zum hellen Himmel, aber er hörte es garnicht in seinem Lenzübermut. Aber die Jünglinge hatten es gehört, aus einem Versteck schallte ihr vierlauniges Lachen. Und sie hoben mich über den Dorn und banden mich mit Bastfäden. »Du musst uns jetzt sagen, wen Petrus von uns am liebsten hat.« Ich weigerte mich, da verbanden sie mir die Augen und greifen sollte ich den Liebling seines Herzens. Und ich konnte nur noch ein kleines Tröpfchen Morgenschein sehn und darunter Antinous, und ich ergriff ihn und er klatschte in die grossen, schlanken Hände und tanzte mit mir einen ungestümen Tanz. »O Du herzige Petrusbotin!« Und er küsste mich unzählige Male. Und dann setzten wir uns alle nebeneinander auf das frische Grün, und sie drangen unbändig in mich, zu gestehen, wen ich von ihnen am liebsten hätte – und ich zeigte nach der Reihe auf jeden von ihnen. »Euer Leben spielt in Tönen vor mir hin und ich liebe Euer Lied, wie das hohe Lied, das alle tausend Jahre wieder aufklingt.« Und die Jünglinge riefen: »Sie hat zu viel von den grünen Lüften getrunken«, – aber ich war tief bewegt, und um meine Rührung zu verbergen, sprach ich salbungsvoll, wie ein Prediger. Und hinter dem Zaun stand Petrus und lachte und schwang seinen Riesenbleistift über unsere Köpfe! »Eine Quelle ist Eure Freundin, die nicht mündet, eine Quelle, die aufsteigt und Euch plötzlich überströmt.«

[S. 39 f.:] Petrus und meine Liebe

Wir wandelten immer um die Rotdornhecken eines Wundergartens. Ich fühlte auch mein Herz duften. Und Petrus nickte versonnen und ich dachte: Er ist ein Schöpfer, wie er so hinwandelt lächelnd, lächelnd .... Ein Schöpfer und er sammelte in seinen grossen Güten den Honig meines Glückes für eine neue Welt, die er auf der Schulter trug. Manchmal schweiften seine Gedanken hinauf wie eine Schar junger Vögel und ruhten auf einer schmalen Weisswolke, und seine Augen weiteten sich, Sonne zu trinken, frisch von der Natur. Aber wenn ich eine Weile schwieg, dann sah er auf meine Lippen und sie jubelten: »Ich liebe den schönen Antinous und Onit von Wetterwehe mit den seidenen Augen und dem Starrwuchs um den Herzen, und den kecklaunigen Grimmer von Geyerbogen, und Goldwarths Lenzhaare liebe ich, das Sonnengefunkel auf seiner Stirn. Aber nachdenklich machen mich oft diese heftigen Strahlen der Untreue.« Und Petrus legte meine Hand in die seine und sagte: »Freue Dich über Deine springende Liebe, sie ist ein Kind und will spielen.«

[S. 40–42:] Bei der Zauberin Hellmüte

»Man muss sie gesehn haben, wie der Schiffer auf dem Meer den Leuchtturm gesehn haben muss«, sagte Petrus zu mir, und wir schritten durch eine lange, verwitterte Halle in den runden, kühlen Vorhof. Ich habe immer nur von zarten Zauberinnen mit goldenen Haaren gehört; aber Hellmüte war nicht zart und goldgelockt, wie schwere Taue fiel ihr silberdunkles Haar herab zu beiden Seiten ihres stolzen Angesichts. »Hier bringe ich Dir meinen Kameraden, Tino nenne ich sie, es ist die grünrote Ausstrahlung ihres Blutes – oder weisst Du mir ihren älteren Namen zu sagen, Zauberin?« Und Hellmüte küsste mich auf beide Wangen, und als ich ihr meinen Sohn zeigen wollte, sass er nicht mehr auf meiner Schulter. Alle die Seltsamkeiten, die von der Decke hingen und die vielen ungetümen, verzerrten Fratzen an den Wänden – klein Pulls Köpfchen guckte furchtsam aus Petrus’ grosser Manteltasche. Aber die Zauberin holte ihn aus seinem Versteck, zeigte ihm ihren Marabu, der beleidigt in einem Winkel stand. Er hatte grüne Teichnäschereien zu seinem heutigen Namenstag erwartet und glücklicherweise hatte Pull seinen Zuckerfrosch vom Jahrmarkt bei sich, und indessen sich beide anfreundeten, bewirtete uns ein Indianerknabe im Blätterrock mit weissen Burgunderwein. Und Hellmütens irrende Meeraugen waren auf Petrus gerichtet, aber er hielt den Kopf abgewendet und erzählte von keimenden Inseln. Und immer dazwischen die stumpfe Klappermusik – der Marabu unterhielt sich köstlich mit meinem Pull; und Hellmüte bat mich, ihr den Pull zu schenken! Sein Fez mit der Silberquaste war dem putzigen Gespielen vom Kahlkopf auf den morschen Schnabel gerutscht. Und als auch die Sonne zu spielen begann, entführte mich die Zauberin unbemerkt über Wendeltreppen in einen weiten Raum. »Ich möchte Deinen älteren Namen wissen.« Dort strahlte durch tausendkantig geschliffenen Fenstern unzähliges Licht. Einen Tropfen Blut meines Herzens entwand sie, zwischen Licht und Licht klärte er sich, wie ein Rätsel. Und Hellmüte sann.

Als wir wieder auf der Landstrasse waren, sagte Petrus zu mir: »Vordunkel ist Dein Blut; die Zauberin mag nach Deinem ältesten Namen sinnen.« Und wir sprachen zusammen die blaue Sprache, in der sich Himmel und Erde erzählen. Und vor uns die vielen Felder, mit Mairegen überschwemmt! Und wir hatten alle drei den gleichen Wunsch – zogen uns die Schuhe aus, fassten uns an die Hand und wateten durch den warmen Trunk.

[S. 43–45:] Die Zauberin Hellmüte sendet uns Geschenke

Und als Petrus meine finstere Stirn sah, wunderte er sich, da der Tag ein buntes lustiges Kleid trug und aus schelmischen Blauauge guckte. Ich dachte an die Zauberin Hellmüte. »Mich ärgert es, dass sie nicht vor dem Schuh deines Fusses verharrt und ihre heimlichen Träume fiebernde Meeresnächte um dich weben.« Aber Petrus lächelte: »Du bist eine gar strenge Priesterin.« Wir setzten uns auf eine Bank und über uns hingen unzählige Äste mit geöffneten weissen Dolden. Und Petrus erzählte, dass dieser Strauch ein Fremdling sei und aus dem Lande der Wunderhimmel stamme. Und er nahm seinen Stift und aus seiner Manteltasche die grosse weisse Papierrolle und dichtete, aber ich blickte über die weiten, grünen Schosse der Wiesen auf zu den Vögeln. Wie silberne Wirbelwinde kreisten sie durch die Lüfte – wer so spielen könnte! Auf einmal stand der Indianerknabe der Zauberin Hellmüte vor uns, er kam durch die Lüfte gesaust, der rothäutige Vogel mit dem bunten Federschmuck in dem schwarzen Glanzhaar, gelbe, rote und grüne Federn. Und er warf sich zu unsern Füssen nieder und Petrus begrüsste ihn in mit allerlei Hurrare seiner Muttersprache. Und der junge Wildling jauchzte: Kulaia, wiwua, malibam! Und von seinem Gürtel löste er einen blühenden Rosenstrauch. »Herr, den sendet dir Hellmüte, die Zauberin!« Zwischen den Rosen lag ihr stolzer Ring mit den weissen Opalen, aber in den Steinen irrte ein schmerzliches Fieberlicht. Und mir schenkte sie Sandalen aus Löwinnenhaut mit Silberschnallen. Und auch Klein-Pull-Pascha hatte sie nicht vergessen – der Marabu sollte fernerhin sein Spielgefährte sein. »Aber am Zügel musst du ihn halten, Master Pull, damit er dir nicht durchgeht wie mir, der Herumtreiber, der Leckerschnabel«; da kam er endlich bedächtig über den Wiesengraben geschritten. »Ihn lockten Froschsirenen«, sagte Petrus, und wir gingen ihm entgegen und Pull setzte sich sofort auf den weichen Federrücken und ritt voran durch die lauschigen Baumwege, sich glückstrahlend umwendend nach allen Seiten, ob wir ihn auch sähen! Und wir kamen auf ein grosses borsthaariges Feld; eine Schar Jungens mit roten Apfelbäckchen liessen ihre Drachen fliegen und Pull schoss mit seinem Pfropfengewehr auf die weissen und roten Papierdrachen bis sie alle tot waren. Und die Jungens staunten über den sonderbaren, grossen Vogel und küssten den mutigen kleinen Jägersmann. Petrus freute sich und sagte: »Schliesse nie hinter ihm das Tor, die Illusion ist der getreuste Lehrer und die Natur das weiteste Schulzimmer.« Und die ganze Erde lachte und lauter Blumen aus Sonnenschein fielen vom Himmel. Das war ein herrlicher Tag! Und Pulls Augen strahlten. Und als es dunkel wurde, schlief der Marabu zu seinen Füssen ein, aber ich musste ihm noch das kleine Lampenliedchen singen:

Lampe Pampe Rampe

Kämmchen Flämmchen Lämmchen Du

Döschen Klöschen Röschen

Kleinchen Meinchen Du.

[S. 46 f.:] Petrus und mein Kind

»Morgen gehe ich nach den Rheinlanden«, sagte Petrus zu mir, »was wirst Du so lange treiben?« »Ich werde mit meinem Kind durch die Strassen spazieren gehen, wo Zuckerläden sind.« Und also spazierten wir Hand in Hand durch die warme Luft und still gingen die Menschen aneinander vorüber. Nur mein Kindchen sprang an meiner Seite wie ein junges, braunes Zieglein. Zuerst fragte es mich, wohin Petrus gegangen sei, so ganz allein, ob er vielleicht den grossen Sturm wieder aufdrehe und alle die Kreiselwinde. Dann blieben wir vor einem Zuckerladen stehen; Schornsteinfeger, Pferde, Hunde aus Chokolade und Zucker standen im Schaufenster und alle die roten und die grünen und die gelben und die lila Bonbons immer .... Und als wir am Abend heimgingen, schwebte am Himmel droben ein grosser Wolkenmann mit langem, langem, flockigen Wolkenbart, Pull erkannte ihn sofort – und einen grauen Mantel trug er – und nickte uns zu und holte aus einer grossen Wolkendüte den Mond, der war rot und rund, wie ein dickes Himbeerbonbon.

[S. 47–49:] Petrus unter den Arbeitern

Wir gingen durch den Nordosten der Stadt, wo der Lenz nicht blühen kann und erstickt wird zwischen Häuserengen. Und auf den Höfen spielen die Kinder, die armen mit Greisengesichtern und krummen Gelenken, aber ihre kleinen Herzchen sind rot und wollen spielen und jauchzen. Balken haben sie quer übereinander gelegt, es macht ihnen grosses Quietschvergnügen so hoppsasa in den Himmel zu fliegen. Aber als sie Petrus gewahrten, plumpsten sie unsanft auf den harten Asphalt zurück und Lottchen und Lieschen heulten – für den schwarzen Mann hielten sie Petrus. Ich glaube, er war stolz darauf. Und vor dem Eingang des schmucklosen, grauen Hauses erwartete uns Sennulf, der Kämpfer, er stürmte Petrus entgegen, wie ein Sehnender seinem Gott. Aber die versammelten Arbeiter murrten, als sie ihn gewahrten mit den segnenden Augen und dem leuchtenden Barte. »Wir wollen uns nicht vertrösten auf den Himmel der Toten, wir wollen ihn wie die Reichen schon auf Erden haben!« Und ich fürchtete um Petrus, denn manche von ihnen hatten die derben Hände geballt und drohten. Aber er sagte zu mir: »Ans Kreuz schlagen nur die Heimlichen und die erreichen mich nicht.« Und unter Sennulfs Schritt verdampften die letzten Flüche. Eine gebietende Keuschheit ging von seiner heissen Knabengestalt aus. »Er ist eine dunkle Birke«, – und seine Worte wirbelten über das freiheitshungrige Volk, wie Frühfrühlingslaub vor dem Gewitter. Und am Schluss des Abends traten einzelne an Petrus heran, unter ihnen ein dichtender Handwerker, er hiess Damm. Und viele Jünglinge waren des hohen Gastes wegen gekommen: Ludwill, der Misstrauische mit den mürrischen Veilchenaugen und sein Freund, der dürr aufgeschossene Heiligenmaler mit dem Glockenherzen und Gorgonos der Starre. Der hatte schillerndes Haar und einen toten Vipermund, und zögerte, sich dem Herrlichen zu nähern, und neben ihm stand sein Tänzer und spielte mit dem Armband.

[S. 49–51:] Petrus erprobt meine Leidenschaft

(Ich lege einen Kranz aus Rosen

nieder auf das Grab eines Propheten)

Zwei Ochsen ziehen unseren Karren, und auf dem Rücken des Gescheckten sitzt der Bauernbursch. Er hatte uns mitgenommen. »Kommt man ruff ohne lange Fisematenten!« Wir waren müde von unserer Wanderung und lagen ausgestreckt auf den knarrenden, harten Brettern. Und als wir am Ziel waren, reichte Petrus dem jungen Knecht eine grosse Cognacflasche: »Tu er einen tüchtigen Schluck zum Dank!« – »Der da sein woll der Herr Pankratius von den gestrengen Herren eener? Mit seen Sturmbart fuhr er im Mai über de uffschiessende Saat.« Streng genug sah Petrus aus; und er zeigte auf den stillen Garten des Propheten; weisse Maulbeerbäume und Tragantsträucher umschlossen den Kuppeltempel, wie eine rauschende Mauer. »Die Berge des Hochlands von Iran durchstreiften seine Vorfahren«, sagte Petrus, »und er formte in den Wolken den neuen Menschen aus der lachenden Mittagssonne seiner Heimat. Ein göttlicher Bildhauer fürwahr – und wer sich spiegeln möchte im Auge seiner Schöpfung, muss schon Flügel haben wie er selbst.« Ich lauschte andächtig, denn Petrus Worte klangen, wie eine Feier. Und den Kranz aus roten Rosen legte er um meinen Arm, wir liessen ihn binden in einer Gärtnerei am Wege, er glänzte noch hell nach Freudenschein des Mittags. Und einen Dolch steckte er in meinen Gürtel – ich wusste nicht, warum das geschah. Aber als ich durch das goldne Tor in die Stätte kam, schwollen mir süssliche Eitelkeiten entgegen, statt herber, eingesteinter Lüfte tausendjähriger Königsgräber – über ihre Säume schleichen Katzen, wie lichtverlorene Schlummer. Und mich überkam Ekel und Zorn, da ich des Propheten Katzin sah, sie kauerte auf seinem toten Herzen, behaglich, wie auf einem Seidenkissen – ihr Rücken war seiner müden Füsse Schemel gewesen. Und als ich zu Petrus zurückkehrte, brannte mein Leib und er zog den Dolch aus meinem Gürtel, der blutete. Und da meine Hände keine Spuren zeigten, sagte er: »Du wirst meinem Andenken einen Thron bereiten.«

[S. 51 f.:] Petrussehnen

Wie die Rasenplätze eingeheckt sind, sie können sich nicht breiten und die jungen Wasser sind von Dämmen gefangen. »Ähnlich wie ihnen geht es mir, Petrus, darum bin ich betrübt. Aber einmal an einem Herbstabend, Du leertest mit den Jünglingen schäumendes Gold aus Himmeln – ich lag abseits hinter den Gärten, im freien Wiesenschoss. Und die Stürme riefen wie Wildvögel und meine Seele riss alles Lahme von sich, und ich schnellte hin, über Dein Haupt, über die Meere Deiner Ehrfurcht durch die Rosenreiche Deiner Milde, bis ich rastete auf Deines Herzens Gipfel. Du Gotttrinker, so war ich einmal der Trank Deiner Trunkenheit.«

[S. 52 f.:] Petrus erinnert mich

»Nun sind wir ein Sternenleben zusammen gewandert«, – erinnerte mich Petrus – »und Du hast mir nie meinen Namen genannt.« Und ich sagte: »Jeder Nachtwolke, jedem Tag habe ich Deinen Namen genannt und die Sonne hat ihm einen Altar gestickt ... und einmal wird mich ein Leben Menschen wie Mauern umschliessen, die Deinen Namen hören wollen. Und meine Stimme wird ein Ozean sein. Du heisst, wie die Welt heisst!« Petrus nickte, und als ich zu ihm aufsah, strahlten unzählige Firmamente aus seinem Angesicht und es war grenzenlos, und ich musste mich abwenden, um nicht blind zu werden. Aber ich fühlte meine Kraft, die sich losstiess, und ich bäumte mich und streckte mich, und meine Augen blieben weit vor all der Majestät.

[S. 53–56:] Petrus legt einen Bauernsohn in die Erde zurück

Der Himmel glitzert, wie ein reifes Ährenfeld. Petrus und ich liegen im Schatten eines Ahornbaumes. Frühherbst ist es, und die Lüfte versieden noch auf dem Sommerherd. Wir denken beide an das Erntefest, und ich schwenke mich, wie das flotteste Schunkelpaar tausendmal im Kreis. Und den Gevattern Bauern muss ich nachahmen, wie sie sich die Kartoffelnasen schnäuzen. »Aber kernig sind diese fluchenden Pflügetiere, die haben keine Seele, die ihnen zu schaffen macht.« Männer kamen den schmalen Feldweg geschritten, sie trugen Heugabeln, Sensen und andere Gerätschaften auf dem Buckel und vor ihnen schnüffelte ein zottiger Hund. »Na, fluchen könnt ihr probabel an diesem herrlichen Abend, das muss man Euch lassen.« Der Derbste hatte schon wieder zum Vermaledeien seinen grossen Heuschober aufgesperrt, aber der olle verrunzelte Bauer drohte. »Mang de Rippen komm ick Dir«, und dann geheimnisvoll: »Det is eener von de Apostels.« Und weiter meinte er, »der mit’m jrossen Bart könne ihm wohl seggen«, er zeigte auf seine sechs Söhne, »wo der siebente von de sechse herumflaniere. Sin Kopp nämmlich hat er immer vor sich jehabt, det hat er von Muttern jeerbt, die hat alle Pflanzens jekennt und alle Vögels, aber von de Männers und de Weibsleut hat se nischt wissen jewollt und ihre Arbeit ging immer so sachteken weg. Vorichte Nacht is se vor men Bette jeschlichen, so janz dichte ran mit det Sargjesichte, wie ne Heilje hat se jegickt und jeseggt hett se: Justav is dot. Drimol hett set jeseggt un da muss ’s doch wahr sint.« »Allerdings muss das wahr sein!« betonte Petrus, und de sechs Söhne verkrochen sich hinter dem Laubwerk des Ahornbaumes. Aber er rief sie und schritt ihnen voran. Die Garben standen wie goldene Säcke aufrecht, nur einige lagen umgestülpt auf dem borsthaarigen Getreidebogen. »Bauer, Du bist fürwahr ein Krösus«, rief Petrus, und die sechs Söhne bemühten sich plötzlich, hochdeutsch zu sprechen, und immer dazwischen wie’n verschlissener Dudelsack det Ollen Fistelstimme: »Justav, Justav min Küken, kluck, kluck, kluck, kluck!« »Wie ihm sein Gewissen zusetzt, er wird schon sein Teil Schuld dran han.« Und als wir das dritte Feld betraten, überrannte der zottige Hund einige Garbensäcke, beschnüffelten die goldblasse, beleckte sie und jammerte wie ein Kind. Und Petrus beugte sich über den goldblassen Körper. »Bauer, hier ist Dein siebenter Sohn. Gold zwischen dem Golde des Herbstes.« Und ich bat Petrus ihn zu erwecken. Aber er schüttelte ernsthaft den Kopf. »Bauer, Dein Sohn ist tot«, – und zu den Sechsen sich wendend: »Euer Bruder war ein Dichter.« Und der zitternde Hauch, der noch über dem Toten schimmerte, zerfloss. »Sag uns doch, wie heisst der Mann mit dem harten Bart?« Petrus nickte mir abwehrend zu, aber ich sagte den Brüdern: »Der heisst wie die Welt heisst.« Und der olle Bauer mit dem Wackelkopf meinte: »Ick hews Euch anfänglich geseggt, det is keener von de unsrige.« Petrus erbat sich den toten Knaben, er liess ihn noch unter dem scheidenden Tage liegen. Aber als es dunkel wurde, nahm er ihn auf die Schulter, bedeckte seinen Leib mit dem Kragen seines Mantels und schritt den Berg des Dorfes herab. Zwischen der Falte seiner Stirn schlief der Abend und ich folgte dem grossen Erzengel, der unter seinem Flügel den Unverstandenen barg. Nach drei Tagen legte ihn Petrus selbst in die Erde zurück.

[S. 57 f.:] Petrus und der Smaragd

Vor uns schimmerte der See in grünen Strahlensplittern. Wir sitzen auf einem niederen Hügel aus Kies und lassen die kleinen Dinger durch unsere Finger gleiten. »Sieh, was ich hier gefunden habe!« rief Petrus und in der Hand hielt er einen durchsichtigen Stein und prüfte seine Reine. »Einen Smaragd habe ich gefunden! Du glücklicher, kleiner Schelm, ich lasse ihn Dir in Strahlen fassen.« Aber ich machte Petrus den Vorschlag, lieber für seinen Ertrag den Sonnenwendtag eichenmethgolden zu feiern. Und wir eilten in die Stadt. Petrus hatte vorher den Edelstein zwischen meine beiden Hände gelegt, sorglich, wie in ein Schmuckkästchen. Im Schaufenster funkelten Diademe und Ketten aus bunten Lichtern und liebliche, weisse Perlenringe und ich schritt zagend hinter ihm in den Juwelenladen und wurde befangen, als die Verkäufer uns neugierig nach unsern Wünschen fragten. Triumphierend aber legte Petrus den kostbaren Fund auf die Oberfläche seiner Hand. »Zwischen Kiesel habe ich ihn gefunden, wie ich ihn nicht strahlender dichten könnte in der Krone einer Königin. Aber Euren Herrn will ich selbst fragen, ob er ihn erstehen will.« Der hatte ihn schon von ferne leuchten sehen und stellte mit ihm eine regelrechte Prüfung an. Von dem braunen Samt seines Ärmels hob er sich herrlich ab. »Ihr bringt mir da einen kostbaren Juwel, Meister, wenn Ihr mit zehn Goldstücken zufrieden seid, so wären wir einig?« Hinter den Glasschränken und hinter den Ladentischen gebückt, versuchten die Verkäufer ihr Lachen zu verbergen, indessen ihr Herr sich immer von neuem freute über das Feuer des Smaragds. Und als wir wieder vor dem Schaufenster standen, legte Petrus die zehn Goldstücke lächelnd in meine Hände, »für den eichenmethgoldenen Sonnenwendtag.« Aber als ich mich noch einmal vor der Biegung der Strasse umwandte, sah ich den galanten Goldschmidt umringt von heiteren Gesichtern vor der Türe seines Goldladens stehen.

[S. 59–62:] Wir feiern eichenmethgolden den Sonnenwendtag

Über dem Waldboden liegt ein wolliger Moosteppich, mit blauen und roten Beeren bestickt, und die Sommerkrone hat sich der letzte nordische Frühlingssprössling aufgesetzt. Männer, halb entblösst, schleppen auf ihren breiten Nacken Fässer voll Meth herbei und an Stangen junge Eberböcke aus Onit von Wetterwehes Jagden und beflanzen mit Spiessen und Gerätschaften unsern grünen Saal. Und Raba und Najade sitzen, eine schwarze Fee und eine blonde Fee, am Rand des Waldes und weben aus Farren und seidenen Gräsern Gewänder und binden aus Eichenlaub und wilden Rosen Guirlanden und einen mächtigen Kranz für Petrus-Wotans Haupt; wie Sonnengehege hängt sein Bart über seine kantige Brust. Und auf meiner Schulter sitzt Klein-Pull und ruft den Jünglingen lauter bunte Einfälle entgegen. Über Bäche und Hecken setzend, nahen sie mit Bärenhäuten bekleidet. Antinous sieht aus: ein verzauberter Sagenkönig, gelb strotzen die Locken seines Bruders und Onits Augen eilen voraus, wie schlanke Jagdhunde. Und vor der Schar der Hornbläser schreitet Goldwarth und zu beiden Seiten über die Waldwege zerstreut, springen Waldschrats, lachende Elfen im Arme tragend, und auch Tabak ist unter ihnen, aber die kleinen Waldfräuleins sträuben sich vor seiner Umarmung, er ist unrein und sie tragen alle zauberweisse Morgenseide. Aber teilnahmlos blickt Gorgonos der Starre – sein Tänzer in Zitronenfalteratlas umtänzelt ihn, in seinen Ohren glitzern kostbare Ringe. Und ihm folgen die Adalinge, Ritter und Ritterinnen auf herrlichen Rossen und das rubinenäugige Zwillingspaar singend nebeneinander im Silbersattel. Weissgertens Lider sind geheimnisgross geöffnet. Doch Bugdahans ungeschickte Füsse stolpern über die buckligen Baumwurzeln und neben ihm auf dem Stier reitet sein Vater, der greise Häuptling. Sein linker Arm hängt schlaff über dem Nacken des markigen Tieres. Feindliche Stämme hielten den gefürchteten Krieger als Geissel zurück, an einem Kokusbaum gebunden. Und als er Petrus-Wotan sah, weinte er vor Wonne. Und Petrus-Wotan bat ihn, mich zu segnen. Und Goldwarth hatte seine Mutter mitgebracht, die war von mädchenhafter Anmut und Petrus sagte zu ihr: »Frouwe Emmelei, du bist so vil jung, ich wähn du seist mit deim son in der wiegen gelegen.« Und immer, wenn Petrus-Wotan die Arme zum Sturm anhob, schmetterten die Fanfaren. Und die Jünglinge bauten Altäre aus gefällten Stämmen und Ästen und liessen Opferrauch aufsteigen. Und die Elfen spielten um Petrus-Wotan Ringelkranz und die Waldschrats trieben ihre Neckereien. Und ich musste mit dem Tänzer in Schmetterlingsgelb tanzen – wir waren nur Atem. Und in den mächtigen Humpen schäumte der goldträufelnde Honigtrank und wir assen das am Spiess gebratene Wild. Aber Petrus-Wotan vermisste Ben Ali Brom, den Jerusalemiter, und Raba die Häuptlingsschwester, fing bitterlich an zu weinen: Bugdahan habe ihm die bleichen Wangen zerschlagen und ihm den Bart ausgerissen, weil seine Väter damals in Jerusalem die Schmach dem Tode vorzogen. Und der ganze Wald schüttelte sich mit uns vor Heiterkeit und Gorgonos der Starre lachte, wie es an ihm die Schelmereien seines Tänzers nie vermocht hatten.

Und als der Tag vorübergerauscht war, erzählte uns Petrus-Wotan die Sagen des Nordens und weissagte und es geschah: indessen eines seiner Augen vom Dunkel ausgelöscht wurde, sich das andere füllte und zwiefach strahlte – eine Mitternachtssonne. Und wir legten uns alle um ihn auf den weichen Waldboden und schliefen.

[S. 62 f.:] Mein Traum

Am Morgen, als Petrus-Wotan und die Ritter und die Edeldamen und ihre Knappen, die Elfen und Waldschrats in tiefem Methschlummer lagen, fielen auch meine Augen zu und ich zerfloss in allerlei Grüngold. – Und über den Boden des Waldes lag er hingestreckt, ein Eichenriese mit sternenjährigem Laubhaupt. Kichernde Elfen tanzten zweigereigeneige um ihn und zupften an seinem Strahlenbart und eine Horde Waldschrats hatte sich auf seiner Brust versammelt und führte dort Bockskämpfe auf und ein ganz kleines Waldschrätchen, es trug vorneher ein Butterblümchen um sein rosiges Stengelchen gewunden, versteckte sich in Petrus-Wotans grosser Ohrmuschel – es war mein Pull.

[S. 63–65:] Petrus und die Jerusalemiter

Einige Tage nach dem grossen Wotanfeste besuchten uns Ben Ali Brom und die andern Jerusalemiter, sie waren wieder in ihrer Heimat gewesen und brachten Petrus und mir Geschenke, Feierkleider und seidene Tücher, geschnitzte Kästchen und Schmuck aus Cedernholz und verzuckerte rote Rosen und andere Näschereien. Und barfuss kamen sie, wie zur Pilgerfahrt. Und Petrus redete viele sonnige Worte mit ihnen. Aber vom Walde her eilten die Jünglinge herbei, die hatten die Wünsche der Juden vernommen und fürchteten, Petrus würde sie erfüllen und ihnen voranziehen ins verlorene Land ihrer Väter. Aber er antwortete ihnen: »Wer seine Heimat nicht in sich trägt, dem wächst sie doch unter den Füssen fort.« Aber der jüngste der Fremdlinge setzte mir seinen Turban auf und eine Trauer kam über mein Leben, wie die Schwermutwolke über den Goldhimmel, und meine Hände sehnten sich, mit Sternen zu spielen. »Sieh, Deiner Freundin Augen stehen gen Osten«, riefen die Jerusalemiter. Und Petrus schwankte, aber seine Lieblinge lachten über ihre göttliche List – und sie nahmen heimlich ihre Harfen und spielten darauf Misstöne statt der Lieder lieblicher Zebaothländer. Und Petrus schalt sie. Und wir beide zogen auf die Berge und sassen auf den Gipfeln, wie auf dem Buckel grosser Dromedare. Sein Bart wehte – eine Königsfahne. Und in der Ferne sahen wir die Jünglinge trotzigen Hauptes heimwärts ziehen, ihnen zur Rechten und Linken gingen die Dichter mit den Turbanen, ihre Gebärden erzählten von Wundern.

[S. 65 f.:] Petrus und ich auf den Bergen II

Am andern Morgen waren wir in Wolken gehüllt. Und unten am Fusse der Berge gewahrten wir die Jünglinge und die beiden Mädchen Raba und Najade. Aber Petrus spielte mit einem kleinen Tautröpfchen, es glitzerte auf der Oberfläche seiner Zeushand, wie ein Käferchen aus Perlmutter; wie ein süsses Seelchen, eine zitternde Tänzerin – immer traumleise ... ein kleines Goldfüsschen zierlich verschwebend. »So hat’s doch etwas vom Leben gehabt, wenn es sich auch fürchtete auf meiner grausamen Hand«, – tröstete mich Petrus, denn es lag auf den harten Steinen und war tot. Aber im Innern der Berge donnerte es zu den blauen zeusblitzenden Adern seiner Stirn. Und um die Berge lagen hingestreckt die müden Jünglinge und die beiden Edelmädchen, wie junge Liebesgötter und Göttinnen.

[S. 66:] Petrus und ich auf den Bergen III

Unten am See an der Felswand lehnte Goldwarth und spielte auf seiner Geige, die anderen waren mit dem scheidenden Tag gegangen. »Er liebt Dich«, sagte Petrus, »ein Knabe ist er in Rüstung und trotzen wird er allen Deinen Stürmen.« Und der erste Stern ging auf, wie ein silberzitternder Ring und um den Abendwind gewunden schwebte des treuen Geigers sehnsüchtiges, duftiges Spiel zu uns empor. Und dann war es, als ob er plötzlich versänke in den See.

[S. 67 f.:] Petrus und ich auf den Bergen IV

Über uns blutete die Abendröte, wie ein Schlachtfeld gefallener Kämpfer, aber die sanfte Nacht beugte sich tröstend über die roten, sterbenden Wolken und ihr grosses Goldauge suchte Gott. »Warum schuf er sich gestaltlos, warum tat er das?« »Damit er sich nicht beenge und begrenze«, sagte Petrus, »und er breitet über alles sich.« Und wir stiegen die Wolkenstufen hinan und Petrus lehrte mich die Namen vieler Sterne, die gross aufleuchteten, wenn er auf sie zeigte. Und ich rief helle Jubeltöne zur Erde – mein Menschenkleid verwehte. Und ich wurde unbändig, als Petrus wieder mit mir zur Erde steigen wollte. »Ich mag nicht mehr unter die Herzen gehen.« Aber er erinnerte mich an Antinous und an seine Liebe zu mir und an die blonden, rosenlockigen Schalklaunen Grimmers. »Und was würde der fürstliche Gastgeber sagen und Goldwarths Geigenspiel klagen. Tausend Hände musst Du ihnen zum Rosenreigen um den Tag reichen, und Dich in den Nächten nach Fluren sehnen. Nichts soll an Dir ungeblüht bleiben, willst Du wie ich, einmal gestillt das Leben trinken.« Und ich erfasste seine Hand und versteckte mein Gesicht. Gottwünsche waren die jubelnden Knaben, und wie ich ein Tropfen seiner Ewigkeit. Die Auen und Wälder schlummerten in ihrer Grüne, dahinter die hungernde Stadt, ein furchtbares Gebiss von spitzgetürmten, grauen Häusern. Und Petrus zeigte auf die hungernde Stadt und betonte: »Sie wird Dich nicht zerreissen um meinetwillen.«

[S. 68 f.:] Petrus und ich auf den Bergen V

In der Stadt ging die Kunde, Petrus sei mit dem Knaben (sie nannten mich also) in der Nacht oben auf den Bergen vom Blitz erschlagen worden. Und es versammelten sich alle, die um ihn wussten, und noch viele, die ihn zu sehen begierig waren. Und als sie ihn lebend auf der Höhe erblickten, stiessen sie in grosse Hörner und liessen Raketen zum Himmel steigen, die aufklangen unter dem Blau in bunten Sternen. Aber Petrus’ Antlitz wurde immer verfaltigter und abgewandter und es war, als wüchse es in den Himmel hinein und sein Bart hob sich über die Welt. Und ich lag wie ein Ring um seinen Fuss, der war wie Stein. Und Petrus redete zu den Lärmenden, aber ich hörte seine Worte nicht vor dem Dröhnen seiner Stimme, aber das Volk da unten an den Wassern horchte gebannt und die Wälder ringsum rauschten noch lange und finster:

Der Abend ruht auf meiner Stirne,

Ich habe dich nicht murmeln gehört, Mensch,

Dein Herz nicht rauschen gehört –

Und ist dein Herz nicht die tiefste Muschel der Erde

O, wie ich träumte nach diesem Erdton.

Ich lauschte dem Klingen deiner Freude,

An deinem Zagen lehnte ich und horchte,

Aber tot ist dein Herz und erdvergessen.

O, wie ich sann nach diesem Erdton ....

Der Abend drückt ihn kühl auf meine Stirne.

[S. 70:] Petrus und ich auf den Bergen VI

Schon drei Tage und drei Nächte sassen wir da oben und manchmal flogen Scharen von wilden Gänsen an uns vorbei und Stürme vertauschten sich über uns; wohin sie wohl rauschen mögen? Und wir spürten keine Sehnsucht nach dem Tal, aber braunverbrannt war unsere Haut und dörr hing unser Haar über die Schultern herab und nach Regen sehnten wir uns mit dem Boden, auf dem wir sassen. Und Petrus legte zum erstenmal seinen grauen Mantel ab und ich sah wie schmal seine Schultern waren, aber wie gewaltig sein Haupt stieg, wie ein Ruf aus der Höhe über die Erde. »Mit wem redest Du, Petrus?« Seine Lippen bewegten sich leise gegen Westen. »Ich rede mit dem Fernsten, der mich geleiten wird.« Und dann fragte er mich: »Was wirst Du tun, wenn ich auf einem andern Stern wandle?« Und als Petrus sah, wie traurig ich wurde, senkte er den Kopf und erzählte mir Träume und Märchen aus den Städten der Goldmutter.

[S. 71 f.:] Petrus und ich auf den Bergen VII

Am liebsten hörte ich von der Lagunenstadt, der Lieblingsstadt meiner Mutter, dann stiegen Wohlgerüche auf, die mich einwiegten. Schon ihre Vorfahren mit dem Zeichen Davids waren die Gäste der Dogen gewesen. »Manchmal dünkt es mich«, sagte Petrus, »Du hast dieselben Augen meines tiefsten Traumes.« Auf seinem Herzen stand er geschrieben mit den Sternenlettern meiner Mutter und die Gondolieri erzählen ihn den fremden Fahrgästen, wenn sie am St. Marcusplatz vorbeigondeln. Vor seinem Dome steht St. Marco. Die golddurchäderte Marmorpalme zu seinen Füssen entfiel seiner Hand, als er aus seiner Nische trat und die fremde Signora segnete. Wie ein blauer Samtbaldachin hing der Himmel über dem Schalkwillen der Stadt. »Und die Sterne haben es sich am Abend erzählt«, sagte Petrus, »per omnia saecula saeculorum«. Und sein Blick versank in Tausendtiefen. Harte Falten umhüllten seinen Leib und er war nur Gestalt und kein Körper mehr. Ich hatte ihn schon einmal so gesehen in meiner ersten Blüte Blut, ihn nur gefühlt unter lauschendem Herzschlag zwischen zärtlicher Nacht von seidiger Haut umwebt. Und ich fürchtete mich, er war ein Zauberer und ich stürzte die Berge herab, mir voraus mein Herz, über die Wiesen und Hecken, und ein Turm war mein Kopf, ich konnte mich nicht wiederfinden – – –

Es war im Spätfrühmonat 1903, als mich die Furcht vom Erdältesten vertrieb.

[S. 72–74:] Die Jünglinge finden mich an der Hecke

Vor einer Hecke lag ich und die Jünglinge standen im Kreise um mich und flüsterten und wunderten sich, dass Petrus nicht bei mir war. Und als ich die Augen aufschlug, sah ich in blasse Gesichter. »Weshalb sind Deine Haare zerzaust und Dein Kleid zerrissen?« Und da ich nicht antwortete, legte Goldwarth seinen Samtrock unter meinen Kopf und bettete mich und streichelte meine zitternden Hände. Und Antinous weinte. Und da kam Bugdahan, der Räuber, und sagte zu ihnen: »In Schwermut ist sie gefallen, fest geschlossen sind ihre Lippen, die am Sonnenwendtag geöffnet standen. Eilt zu dem Leuchtenden und sagt ihm, dass er nicht zögern solle, denn die Seele seiner Freundin sinke in die furchtbarste Schlucht.« Unterdessen ging er und holte seine Schwester Raba, die brachte mir einen Tee aus heilenden Wunderkräutern ihrer Heimat und legte mir einen Stern von Metall auf die Brust und er alles Böse verbanne. Und Najade kam, Antinous Schwester, und ihre Arme wiegten mich, wie seidene Maiwinde. Aber mein Blut blieb taub und mein Herz blind. Und der Abend blickte mit verschleiertem Auge auf die Erde, und endlich sahen wir die Jünglinge nahen, die gegangen waren, Petrus zu holen, aber sie brachten ihn nicht und ihre Köpfe hingen wie welke Früchte herab auf der Brust.

[S. 74 f.:] Goldwarth tröstet mich in der Schwermut

Es hat eingeschlagen! Und ich erkannte die Stimme von Petrus, noch rollte das Donnerwort kugelab über den Rücken der Welt. Und die Jünglinge jauchzten, da sie wieder in meine Augen sahen. Graue Leinwand hing, wie ein Schirm über uns gebreitet und Scheite von kleinen Ästen brannten, denn die Nacht war nackt und ihr Atem kühl! Najade erhob sich und erinnerte Antinous: »Die Schwestern bangen sich um uns und weit liegt der Weg noch hinter den Auen.« Und Raba sprach von ihrem alten, besorgten Vater, der nicht schlafen könne, »und schon singt der Frühstern sein Glockenlied.« Und die weissen Fahnenarme winkten von der Burg Onits von Wetterwehe. Die Fürstin Weissgerte steht vor dem Tor und stösst in ihr goldenes Jagdhorn. »Lebe wohl, Tino, grüsse den Leuchtenden!« Und die andern Jünglinge folgten ihm. Und als Bugdahan, der Räuber sah, dass mein Blick sie nicht gehen lassen wollte, sagte er: »Mädchen, Freundschaft ist ein Froschwort!« Aber Goldwarth sass still an meiner Seite. »Hast Du Niemanden, der Dich ruft?« Und er küsste meine Wange und sagte: »Ich höre ihr Rufen nicht vor Deinem Schweigen!« Aber Bugdahan warnte ihn und sah schmerzlich auf uns beide. »O, Jüngling, wenn Dir Dein goldenes Haar nicht leuchtet, so steht es schlimm um Dich!« Ich fühlte mich wieder von Grüften verschlungen.

[S. 76:] Ich suche ihn

Aber als es Morgen wurde und Goldwarth in einen fremden Garten eindrang, mir Blumen zu pflücken, raffte ich mich auf und flüchtete über die weiten Wiesen. Und ich rastete nicht, bis ich die Berge sah und ihn auf dem Gipfel. Ich rief, aber es schallte dumpf zurück, und ich fühlte plötzlich, dass ich ihn nie mehr erreichen würde. Immer wenn ich auf den Bergen stand, wandelte er im Tal, und manchmal glaubte ich, das Tal wandle um ihn, und wenn ich über die spitzen Steine talwärts schritt, stand er oben auf der Höhe. Und ich suchte nach seiner Stimme, denn meine Füsse bluteten schon. Endlich in einer späten Abendstunde hörte ich meinen Namen rufen – und dann: »Mädchen, das mich sucht, meines Herzschlags tiefster, es liegt eine schwere Wanderung hinter mir, von Welt zur Welt, ich habe nicht mehr weit bis zum himmlischen Stern.« Ich lauschte noch lange, aber immer dichter sank der Nebel zwischen uns.

[S. 77:] Zwei grosse Engel tragen Petrus ins Tal

Ich sass am Wasser und benetzte mein Gesicht und die kleinen Kräuselwellen spielten mit meinen müden Händen und Füssen. Ich hatte Petrus schon tagelang nicht gesehen und ich wusste, dass er am blauen Strand gelandet sei. Und zwei Männer fragten mich nach dem nächsten Weg zur Stadt, sie trugen eine Bahre und hatten ernste, schwebende Augen. Ich ahnte, wen sie trugen, und neigte mich vor dem Verhüllten. Aber als ich die Bahrenträger in der Ferne sah, schrie ich so laut – und der See stand still, die Frühlingswinde erstarrten und der Himmel fiel auf die Welt herab in wilden Tränen. Und ich zerriss mein Gewand und verbarg mein banges Gesicht in die Erde.

[S. 78:] Am Mittag

Und mein Herz war wie ein grosser Sarg, aber ein Sturm erhob sich und zerriss das junge Laub der Wälder und schüttelte an die Felsen und ihre Gipfel schwankten furchtbar. Und meine Haare flogen wie Trauerschleier über den See, immer weiter, bis über die Dächer der Stadt. Da legten sich zwei Arme tröstend um mich, sie trugen zerrissene Ketten – Sennulf der Kämpfer war es. Er hatte vom Kerkerfenster aus die Männer mit den ernsten, schwebenden Augen vorüber schreiten sehen und durch das dichte Linnen das schlafende Antlitz des Herrlichsten erkannt. Und in der Ferne sah ich die Jünglinge heraneilen, sie hatten mich nicht am Fuss der Berge vermutet. Und wir küssten uns Alle auf den Mund und weinten.

[S. 79:] Am Abend

Zwei rotbäckige Kinder kamen am Abend über die Berge den See entlang geschritten. Der Knabe trug einen grossen, grossen Bleistift und das Mädchen eine starke Papierrolle und freuten sich über ihren schönen Fund. Ich liess ihnen beides, denn Petrus liebte die Kleinen.

[S. 79 f.:] Ich erschlage Tabak

Am Morgen des Begräbnisses begegnete mir Tabak der Narr, er grinste und seine Lippen waren gritzegrün. Und in der Hand hielt er einen Kranz und statt der Rosen waren kleine Kerzen zwischen den Blüten angebracht. »Den soll Petrus zur Wallfahrt in den Himmel um den Hals tragen, denn für den Abend ist eine Mondfinsternis prophezeit.« Die Jünglinge, die langsam des Weges hinter mir gegangen waren, hatten seine lose Rede gehört und erblichen, aber sie neigten sich stumm vor dem wehmütigen Morgen. Ich aber schritt hastig weiter, dem Grünmaul voran. Hinter die Büsche lockte ich ihn, wutrot brannte der Himmel zwischen dem Laub und ich erhob meine Faust, die war vom Wetterleuchten gestählt, und erschlug ihn und verscharrte ihn unter Erde und Ästen.

[S. 80–82:] Petrus Grab

Und von allen Richtungen kamen Scharen herbei, Männer, die Petrus kannten, und solche, die ihn nur gesehen hatten, und Frauen, die ihm begegnet waren – sie trugen alle Trauer. Aber wir hatten unsere Feierkleider angelegt, denn Petrus wusste nur vom heiteren Tod zu erzählen, der Hand in Hand mit dem Leben geht. Und seine Lieblinge standen auf dem Erdhügel vor seiner Gruft und hinter ihnen Kraft der Leibarzt und Bugdahan mit seinem greisen Vater. Und andächtig auf ihren Knieen lagen die Mädchen und Knaben, die um ihn, wie um eine steinerne Urgestalt, Tänze getanzt hatten. Und die Kavaliere kamen und die Fürstinnen vom Prunkmahle Onits von Wetterwehe; Weissgerte und die Zwillingsprinzessinnen weinten. Und König Otteweihe war zurückgekehrt vom Ozean, er hatte die ahnende Wolke am Himmel vorbeiziehen sehen. Und Gorgonos der Starre lehnte an seinem Tänzer und Ben Ali Brom und die andern Jerusalemiter beteten. Und Ludwill und den Heiligenmaler mit der läutenden Einfalt und Damm den Handwerker erkannte ich und noch viele aus dem schmucklosen, grauen Hause im Südosten der Stadt, die gemurrt haben, als sie Petrus gewahrten. Ich aber stand fern vom Grabe. Und immer neue Wanderer, Reiche und Arme an Krücken betraten den stillen Garten mit den grossen Denkmälern, mit den steinernen Stämmen, die nicht blühen und verblühen. Und ich dachte: Wie oft er wohl schon verblüht sein mag, da er so voll von leuchtendem Leben bis in den Himmel hinein blühte. Ich hatte die Augen tief geschlossen, aber Rabas Hand fühlte ich auf der meinen und Najades warmen Atem. Und Hellmüte die Zauberin hielt mich umschlungen und forschte bang in meinen Zügen. Ich hörte gläserne Engel singen über dem kühlen Garten, bis seine Hülle im Grabe lag.

[S. 82–84:] Er heisst wie die Welt heisst

Und als die letzten den kühlen Garten verlassen hatten und durch das lächelnde Petruswetter heimwärts wandelten, nahm ich von den Jünglingen Abschied: »Soll Dich nicht Einer von uns begleiten?« Sie wussten, mich zog es nach dem Thron der Berge zurück. Und ich blieb drei Tage und drei Nächte. In den Nächten blickte ich in den grössten Stern, in den seligen, goldenen Tempel, und am Tage wartete ich auf die Nacht. Und nur einmal näherte sich einer den Bergen (ich kannte ihn nicht), aber als er mich fand, bat er, meine Stirne küssen zu dürfen, da sie sein Bild trug. Aber ich zeigte auf den moosigen Stein der Höhe, auf dem Petrus so oft geruht hatte. Vor dem fiel der Fremdling nieder und betete in der Sprache seiner Heimat. Und am Morgen des vierten Tages schritt ich die Berge herab und mir nach viel schwer Geröll und ich bog noch einmal den Pfad zu seinem Grabe ein. Unter dem weissen Traumkleide der Frühe umkreiste eine Schar tanzender Teufel sein Grab und sie versuchten sich zu verbergen, als sie mich gewahrten. Aber ich winkte ihnen, ihre Totenfeier zu beenden, es waren die treuen Negerknaben Onits von Wetterwehe. Auf dem Grabe blühten noch die Kränze der Trauernden und die Blumen Rabas und Najadens standen voll von Tränen und wie ein Beet duftete der Kranz seiner Lieblinge – er trug eine weisse Seidenschleife – darauf in Goldbuchstaben: Dem jubelnden Propheten. Und ich schrieb in die Erde:

Er heisst wie die Welt heisst.

Inhalt

Petrus der Felsen [S. 5 f.]

Petrus und ich auf der Wanderung I [S. 6 f.]

Petrus und ich auf der Wanderung II [S. 7–9]

Petrus und ich auf der Wanderung III [S. 9 f.]

Petrus und der Mond [S. 11]

Petrus-Poseidon [S. 12]

Petrus und ich beim Prunkmahl Onits von Wetterwehe [S. 13–18]

Petrus und der Nazarener [S. 19 f.]

Petrus und der Schäfer [S. 21]

Petrus-Geburtstag [S. 22 f.]

Am Nachmittag vor der Geburtstagsfeier ereignete sich folgendes [S. 23–25]

Petrus setzt Klein-Pull in die Sonne [S. 25 f.]

Der Häuptling Bugdahan besucht uns in der Kalkfelsenschlucht [S. 27 f.]

Petrus und ich im Tempel Jehovas [S. 29 f.]

Petrus in der Höhle [S. 30 f.]

Petrus und der Arzt [S. 32 f.]

Petrus-Noah [S. 34 f.]

Petrus und die Weide [S. 36]

Petrus und der Mai [S. 37 f.]

Petrus und meine Liebe [S. 39 f.]

Bei der Zauberin Hellmüte [S. 40–42]

Die Zauberin Hellmüte sendet uns Geschenke [S. 43–45]

Petrus und mein Kind [S. 46 f.]

Petrus unter den Arbeitern [S. 47–49]

Petrus erprobt meine Leidenschaft [S. 49–51]

Petrussehnen [S. 51 f.]

Petrus erinnert mich [S. 52 f.]

Petrus legt einen Bauernsohn in die Erde zurück [S. 53–56]

Petrus und der Smaragd [S. 57 f.]

Wir feiern eichenmethgolden den Sonnenwendtag [S. 59–62]

Mein Traum [S. 62 f.]

Petrus und die Jerusalemiter [S. 63–65]

Petrus und ich auf den Bergen II [S. 65 f.]

Petrus und ich auf den Bergen III [S. 66]

Petrus und ich auf den Bergen IV [S. 67 f.]

Petrus und ich auf den Bergen V [S. 68 f.]

Petrus und ich auf den Bergen VI [S. 70]

Petrus und ich auf den Bergen VII [S. 71 f.]

Die Jünglinge finden mich an der Hecke [S. 72–74]

Goldwarth tröstet mich in der Schwermut [S. 74 f.]

Ich suche ihn [S. 76]

Zwei grosse Engel tragen Petrus ins Tal [S. 77]

Am Mittag [S. 78]

Am Abend [S. 79]

Ich erschlage Tabak [S. 79 f.]

Petrus Grab [S. 80–82]

Er heisst wie die Welt heisst [S. 82–84]