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Else Lasker-Schüler: Der Prinz von Theben (1914)

Aktualisiert: 13. November 2020

Inhaltsübersicht

Der Prinz von Theben (1914) [*]

Inhalt [*]

Else Lasker-Schüler

Der Prinz von Theben

Ein Geschichtenbuch

Mit 25 Abbildungen nach Zeichnungen der Verfasserin und 3 farbigen Bildern von Franz Marc

1914

Verlag der Weißen Bücher, Leipzig

[Umschlag:]
Der Prinz von Theben

Meinem Vater Mohamed Pascha

und seinem Enkel Pull

Der Prinz von Theben
[Frontispiz (»König Abigail III. der oberste Priester empfängt sein Volk«)]

[S. 7–14:] Der Scheik

Meiner

teuren Mutter

Mein Vater hat mir schon oft die Geschichte aus dem Leben meines Urgroßvaters erzählt, ich glaube nun, ich habe sie selbst erlebt ... Nicht einmal der Insektenabwehrer durfte hinter dem großen Straußenwedel dem Gespräche lauschen, das mein Urgroßvater, der Scheik, allabendlich führte mit seinem Freund, dem jüdischen Sultan Mschattre-Zimt. Vom schlichten Dach des jüdischen Sultans führt eine Wolke herüber zum gastlichen Dach meines Urgroßvaters des Scheiks, des obersten Priesters aller Moscheen. Oft vergaß der Scheik sein Abendgebet zu sprechen vor Ungeduld nach seinem Freund. Der schritt nicht verspätet, nicht verfrüht über die göttliche Brücke. Sie spielten: Enti. Durch kleine Kanäle liefen die Kugeln und fielen in die Rinnen des goldenen Spiels; oder gewannen bei geschicktem Wurfe, indem sie vorher Halt machten in dem ersten, zweiten oder dritten Kreis des Bretts. Das Haften der Kugel im dritten Kreis gehörte zum Ausnahmeglück; wenn es also geschah, wußte es der ganze Palast. Die Überraschung meines Urgroßvaters machte sich in einem Lachen Luft (namentlich wenn er der Gewinnende war), welches die Wände der Säle unter ihnen erschüttern ließ. Um Mondaufstieg brachten zwei Sudanneger den beiden königlichen Freunden Getränke und übliches Rauchwerk. Der Scheik rauchte den Opium unverdünnt und Mschattre-Zimt rügte immer schärfer den Schaden des Giftes auf seines Freundes Leib.

Mschattre-Zimt besaß in seiner Sammlung außer den Blöcken der Gesetztafel des Sinaï, auch unter andern eines der Bücher Mose, ein medizinisches, naturwissenschaftliches Werk in althebräischer Schrift. Diesem verdankte er seine medizinischen Kenntnisse, mit denen er aber nur im äußersten Falle hervortrat. Denn der jüdische Sultan war kein Menschenfreund. Und selbst über seinen Freund den Scheik äußerte er sich in gleichgültigster Weise, was aber nur aus übergroßer Vorsicht geschah.

Mein Urgroßvater hatte dreiundzwanzig Söhne, unter ihnen ein Zwilling. Der jüngste der dreiundzwanzig Söhne war mein Großvater und hieß: Schû. Der setzte sich heimlich vor dem Eingang des Daches; er war Geschichtsschreiber und erhielt der Nachwelt in Bildern und Sternen, was die zwei Bärtigen miteinander sprachen. Ob Allah oder Jehovah der einzige Gott der Erde sei – wurde zum streitenden Amen ihres Abends. Wie die Kugeln des goldenen Spiels überstürzten sich schließlich ihre Worte und Gebärden. Der Scheik vergaß sich in seiner Würde so weit, daß er die Krüge der Getränke wie ein unerzogener Knabe über die Zinnen seines Daches warf, bis die Tränen vor Erschöpfung aus seinen Augen rannen. Aber Mschattre-Zimt stand aufgerichtet auf meines Großvaters Dach, seine großen, braunen Augen lächelten schüchtern. Mit einem Schweigen, über das mein Urgroßvater das Ende der Dunkelheit mit Kümmernissen sann, verließ der jüdische Sultan vor Mitternacht das Dach. Und wenn Schû am Morgen, von seinem Vater bewogen, den jüdischen Sultan schon bei der ersten Waschung überraschte, kam es nicht selten vor, daß dieser sich verschwor, niemals wieder seinen Vater zu besuchen; heimlich aber dachte er: In ganz Bagdad findet Jehovah keinen jüdischen Knecht, auf den er mit größerem Wohlgefallen blicken würde wie auf den mohammedischen Priester aller Moscheen. Denn Mschattre-Zimt bewunderte heimlich den ungezähmten Eifer seines Freundes. – An einem Feiertage der Juden zerriß mein Urgroßvater, der Scheik, der oberste Priester aller Moscheen, seine Kleider; schüttete Asche auf sein glänzendes Haar ... Mschattre-Zimt war am Morgen gestorben. Der Scheik folgte zu Fuß, inmitten seiner dreiundzwanzig Söhne, dem schlichten Sarge seines Freundes, der zur Ruh bestattet wurde nach seines Gesetzes Gerechtigkeit wie der ärmste der Gemeinde. Der Scheik sprach dreiundzwanzig Gebete und eins, dreiundzwanzig am Grabe des jüdischen Sultans nach seiner Söhne Zahl und eins in hebräischer Sprache zu Ehren seines Freundes. Dann wurde er schweigsam und blickte trübe wie der Himmel zur Regenzeit. Und Schû, der jüngste seiner dreiundzwanzig Söhne, saß an seines Vaters Seite, vor seiner Lippe, wie vor einem verschlossenen Tor. – – Es war ein Jahr nach Mschattre-Zimts Tod, als es ganz geheimnisvoll an die Wand des Palastes klopfte. Mein Urgroßvater saß an der Tafel, um ihn seine dreiundzwanzig Söhne, und speiste. Die schwarzen Diener, die gegangen waren, den Gast einzulassen, sahen niemand, der Einlaß begehrte; es klopfte unaufhörlich – aber sie brachten denselben Bescheid. Da erhob sich Babel, er war der älteste Sohn der Dreiundzwanzig, aber er brachte den späten Gast nicht, der die Ruhe seines Vaters störte. Und es gingen alle die dreiundzwanzig Söhne, einer nach dem andern, durchsuchten den Palast, zerstörten das dichte Laub der Sträucher und lauerten vor der Mauer des Gartens wie Spürhunde. Aber der Scheik, mein Urgroßvater, legte sein Feierkleid an und er ließ seine Füße mit dem Öle des Tigris beträufeln. Seine Söhne folgten ihm in die unterirdischen Gewölbe der Stadt; aber die Königsmumien schliefen. Und in den Moscheen opferten ahnungslos die Priester und weihten Allah ihre Nacht. Und sie beugten sich vor dem Scheik und küßten seine geheiligten Füße. Durch die Straßen von Bagdad wehte ein klagender Wind, der kam von der Richtung des jüdischen Friedhofs her; aber die Söhne weigerten sich, auf ihres Vaters Wunsch ihm zu folgen. Er zwang sie. Denn der Pförtner des Friedhofs war ein Schläfer und die dreiundzwanzig Söhne meines Urgroßvaters mußten eine Leiter bilden von der äußeren bis herab zur Erde der inneren Friedhofmauer und über die lebendigen Stufen seiner Söhne: Babel, Mohammed, Ingwer, Bey, Nessel, Hassan, Bôr, Abdul, Hafid, Schâl, Neu, Ismael, Jildiz, Amre, Säuel, Nachod, Asra, Gyl und Gabel, Abel, Bab, Haman, Schû, gelangte der Scheik in den stillen Garten. Mschattre-Zimt war aus seinem Grabe gestiegen, um seine feinblitzende Stirne den Turban Mose – und die Hand hatte er erhoben wie er sie erhob gläubig zu seinem Gotte, wenn er den Freund vor Mitternacht erzürnt zu verlassen pflegte. Seine braunen schüchternen Augen waren aus den Höhlen getreten, verwitterte Kuppeln, rissige Synagogen. Ein Schauer ergriff den Leib des Scheiks. Versöhnend legte er den Freund zurück in seine Gruft.

In dem Tore von Bagdad ruhen eingeschnitten die Bilder meines Urgroßvaters, des Scheiks, des obersten Priesters aller Moscheen, und seines Freundes, des jüdischen Sultans Mschattre-Zimt.

Der Prinz von Theben
[(»Der Scheik und sein Freund Mschattre Zimt.«)]

[S. 15–23:] Der Amokläufer

Auguste Ichenhäuser

in lauter Kameradschaft

Tschandragupta ist siebenzig Jahre alt. Am frühen Morgen wird ihn sein Sohn erschlagen. So ist es Sitte im Stamm. Und vor ihren Zelten schreien die Weiber und ihre Söhne klatschen mit ihren Händen einen wilden Freudentaumel. Der neue Häuptling zerbeißt das Genick eines Elefantenkalbes, springt dreimal über seinen Stamm, der steht aufgerichtet, ein Haupt, da er trägt seines Königs Dach. Und Tschandragupta, des erschlagenen greisen Tschandraguptas Sohn, liebt des Melechs Tochter. Sie lockt ihn übers Meer. Und an einem Gebettag des Jehovavolkes nimmt der junge Häuptling heimlich sein Weib, bringt es in sein heidnisches Land. Und die Tochter des Melechs schenkt ihm einen Sohn, den nennt Tschandragupta: Tschandragupta und nach seines Weibes Vater, dem Melech. Und Tschandragupta, der Abtrünnigen Sohn, hat Sehnsucht nach den Juden. Die Heidenmädchen lieben ihn, eine opfert ihm ihr Federkleid. Er fliegt an allen Sternen vorbei zu den Juden. Und die Leute von Jericho glauben, ein Engel sitze vor dem Tor und bringen den Schlafenden auf ihren Händen in die Stadt. Gehen in das Haus des obersten Priesters und holen ihn nach dem Hügel, worauf Jehovas Tempel steht. Denn sie haben den heiligen Fremdling unter der Balsamstaude auf weichem Moos gebettet, und die Tochter des obersten Priesters wäscht seine Füße mit der Quelle. Da spaltet der Wind des Fremdlings Federkleid, – er erwacht – und die Leute sehen, daß er kein Gottgesandter ist und sie höhnen ihn. Aber ein Deuter ängstigt die Enttäuschten: Der dort ist Schaitân. Der Oberpriester nimmt den verhöhnten Gast in sein Haus. Der sehnt sich nach den Juden, beschenkt die Männer auf den Plätzen und schlichtet ihren Streit und gewinnt so der Juden Herz. Und den Frauen hilft er die Rosen pflücken. Nur Schlôme, seines gastlichen Hauses Tochter, gewahrt er nie, und doch ist sie die früheste an den Hecken. Und Tschandragupta schnitzt Räucherbecken aus Elefantenzahn für den Altar Jehovas. Aber der oberste Priester verschmäht sie sanft. Da wird Tschandragupta traurig und mit ihm Schlôme, des obersten Priesters einziges Kind. Und sie bittet ihren Vater, die fromme Gabe seines Gastes nicht zu verachten; der ehrwürdige Knecht Jehovas aber wendet sein Angesicht. Da geht Tschandragupta und fällt die Stämme der schwarzen Rosen, Jehova einen Altar zu bauen, aber der oberste Priester wehrt ihm schmerzlich. Nun weint des Häuptlings Tschandraguptas Sohn und heimlich in ihren Schleiern Schlôme, des treuen Knecht Jehovas einzige Tochter. Und sie schilt ihren Vater seines Hochmuts. In der Dämmerung bestieg sie den Hügel, auf dem der Tempel Gottes steht, entfaltete ihr Angesicht und ließ ihre Haare spielen wie Eva vor dem Schöpfer. Und weil des Oberpriesters Tochter den Sternenvorhang, der die heiligen Gerätschaften bewahrt, leuchten sah, begann sie ihrem Gotte zu schmeicheln, erinnerte ihn an den Schmerz der Liebe, da er noch Zebaoth hieß und das blinde Weib im Paradies ihn hinterging und da Schlômes Stirne brannte, sahen ihre Augen nicht, daß die Sterne des Vorhangs sich verfinsterten und ihre Gebete wurden Liebkosungen, und so versündigte sich des obersten Priesters einziges Kind. Den Hügel herab stieg sie, stolperte über ihres Hauses Gast, der saß unter der Balsamstaude und sehnte sich nach den Juden. Glieder waren aus seiner Glieder Glieder gewachsen, die sich sehnsüchtig verschlungen hielten, wie die vielarmigen Götzen seiner Heimat. Seitdem Tschandragupta in der Stadt weilt, bieten alte, fratzenhafte Weibchen in den Winkeln der Straße oder in den Gruben hinter ihren Häusern heimlich verbotene Spielereien den stillen Mädchen von Jericho feil. In Urnen halten die Freundinnen Schlômes die kleinen Heidenliebesgötter gefangen und lächeln so eigen im Schlaf mit ihnen. Aber Tschandragupta sinnt, das hartherzige Herz des Priesters zu gewinnen. Mühsam gräbt er nach Gold in den Wäldern der Oase und belegt den Hügel, auf dem der ersehnte Gottestempel steht, mit seinem Fleiß. Prägt ein Stück Leben seines Nackens nach der edelsten Münze des Judenlandes und legt das atmende Gold zu dem verglommenen. Und die Leute der Stadt sehen von ihren Dächern den strahlenden Hügel. Eilen in des Oberpriesters Haus: »Die Sonne ist vom Himmel gefallen!« Aber der weiß, wer alles die Pracht gesäet, verbirgt sein Angesicht; denn er hat den Fremdling lieb. Und Schlôme hängt sich an ihres Vaters Schoß, bittet ihn, den frommen Wunsch des Jünglings zu erfüllen. Aber er sendet ungeduldig von den ehrlichen Hirten zwei zu dem Hügel, daß sie sammeln sollen das Gold in Säcken und nicht ein Stäubchen verloren gehe. Ist doch die lebendige Münze aus goldenem Fleisch und Blut schon abhanden gekommen. Da pocht der Deuter an das Haus des fürsorglichen Priesters, warnt ihn des beleidigten Volkes wegen: Der Enkel des Melechs wird dein einziges Kind töten. Aber der zuversichtliche Priester erinnert ihn an den Morgen, da er den sanften Heiden seines Hauses beschimpfte und die Leute beängstigte. Die sammeln sich auf den Plätzen in murrenden Scharen und ziehen vor ihres Oberpriesters Haus. Die Männer reißen an seinen starken Wurzeln und die Weiber springen wie Katzen um seine Balken. Und sie fordern von ihm, daß er den friedfertigen Fremdling zu Jehova führe. Beschimpfen ihren obersten Priester einen Dieb an Jehovas Gaben. Und Schlôme steht auf dem Dach, die Stadt sieht zum erstenmal ihr nacktes Angesicht. Wie eine lechzende Flamme seufzt ihre Stimme und schürt das Volk gegen ihren Vater auf. Vor seines ehrwürdigen Raumes Pforte lauscht Tschandragupta, seine Augen sind eingesunken und sein Atem hungert. Da kommt über ihn das Fieber seines Stammes nach verlorener Schlacht. Mit geöffnetem Rachen irrt der Fremdling an die Wände der Häuser vorbei. Die verscheuchten Rosen der Hecken flattern auf, sein Atem peitscht die Bäume und Sträucher um. Über die tobende Menge setzt er, wer wagt Schaitân zu bezwingen! Bis zu den Knieen waten die bebenden Hirten heimwärts ihren Lämmern voraus, die sind von Menschensaft bespritzt. Um den Hügel, worauf der Tempel steht, kreist Tschandragupta, ein böser Stern, ihm rinnt das Blut schwarz aus den Poren. Und die Leute gedenken des Deuters und kriechen auf Knieen, auf dem Leibe kriechen sie über die Dächer und dringen so in des Oberpriesters Haus. Fordern sein Opfer, hat er doch soviel Unglück gebracht über die blühende Stadt. Und Schlôme salbt ihre Glieder wie zur Hochzeit, sie hatte des Deuters Warnung vernommen. Und sie schwingt sich herab, eine zarte Wolke von der Höhe ihres Hauses und wandelt lächelnd immer näher dem tödlichen Kuß. Es finstern die Sterne wie das Haupt des Häuptlings; das drohte ihr unzählige Male auf dem Vorhang der heiligen Gerätschaften. Über die Namen der Wildväter, die in heidnischen Zeichen und Bildern geprägt sind in Tschandraguptas Fleisch, fließt Schlômes geweihte Süßigkeit, über seine goldenen Lenden hinab, wie rosenfarbener Honigseim. Zwischen seinen Zähnen trägt er verzückt sein letztes Opfer, ihren Leib hin über Jericho. Die schmeichelnde Dunkelheit beleckt die Straßen und Plätze, die Brunnen bluten nicht mehr. Und aus des Oberpriesters Haus, in den Schleiern Schlômes tritt Tschandragupta wie die Frauen der Stadt. O und sein Wesen so liebevoll tastend, wie ein kindtragendes Weib. Zwischen den schaudernden Frauen, hinter den Gittern setzt er sich in den Tempel und seine Gebete tönen zwischen seinen Lippen, sanftes Gurren der Taube. Niemand hemmt den Wandel des Melech’s Enkel. Auch im ergrauten Feierkleid der tempelalte Knecht nicht.

Der Prinz von Theben
[(»(Dschandragupta.)«)]

[S. 25–32:] Der Derwisch

Franz Marc

und Mareia

Die englischen Damen reiten jeden Abend auf ihren Eseln die heiße Gräberstraße entlang, die heiligen Katzen hinter den Gittern der Gräber blicken schon weltlich. Der Derwisch tanzt. Die Ladies mit den hellen Augen like the spring hören auf zu zwitschern, aber die blauen Schleier ihrer Hüte zittern. Mein Herz wird täglich magerer in der Brust, wie die Mondhälfte in den Wolken. Die zarten Hälse der Abendländerinnen heben sich aus dem Rand ihrer durchsichtigen Kleider, darinnen ihre Leiber wie in gläsernen Vasen stehen. Ich aber trage den lammblutenden Hirtenrock Jussufs, wie ihn seine Brüder dem Vater brachten. Und die jungen Dromedare und Kamele weide ich, tränke sie mit dem Wasser der Brunnen. Und abends, wenn der Derwisch tanzt vor der kleinen rissigen Moschee, schenke ich den jungen Höckertieren meine Datteln und Feigen, daß sie nicht nach mir schreien. Nie hat ein Sohn oder eine Tochter der Stadt in die Augen des Derwischs gesehen, es warteten heimlich die Prinzessinnen Kairos vor seiner Wimper finsterer Sonne. Alle goldenen Bilder küßten die Moschee, da sie den Derwisch gebar. Ich reiche ihm Labung im Kelch der Derwischlilie und blase den aufgewirbelten Sand Ismael Hamed zu, der lehnt am Dorn der Oase und hat das Jenseits verloren. In einer Sänfte tragen Priesterknaben den erschöpften Priester schaumgeronnen in das Priestertum. Auf ihren Eseln reiten die englischen Damen die heiße Gräberstraße bergab am glänzenden Pupillengitter vorbei, der buntbetenden Nacht zu. Kostbare, allahgeweihte Teppiche fallen von den Dächern der Häuser bis auf die Steine der Straße und erwarten die roten Füße des Feiertags Jom ’âschûrâs. Der treibt am 10. des Monats Muharram das Blut der Stadt; den Enkel Mohammeds, der an diesem Tage bei Kerbela getötet wurde, lebendig zu halten. Ich jage meine Dromedare hintereinander und Kamele nach Karawanenart. Durch die Straßen springen schon in tollen Sprüngen Männer, ihre Schultern schaukeln auf und ab, wie die irdenen Krüge des Brunnens. Christenhunde flüchten vor Steinwürfen, den Juden ist das Menschvergießen ein Greuel. Vornehme Araber, Staatsleute, Priester in gestickten Satteln ziehen auf hochmütigen Pferden vorbei. Unter die Hufe unzähliger Tierbeine werfen sich unzählige Leiber. Mir klebt das Blut schon schwarz auf den Lippen. Blutweihrauch entströmt den Poren der Stadt. An die geöffneten Haremsfenster drängen sich die Frauen. Sichelaugen, mandelgoldene, zimtfarbene, Schwärme von schillernden Nilaugen, schweben über den tödlichen Zug. Mit Peitschenhieben züchtigen sich die jungen Heiligen, andere wetzen Waffen an der Säule ihres Rückens. Waghalsig über die Gelände des Daches beugen sich die englischen Ladies, werfen halbaufgeblühte Nachtschleierknospen und Mondschatten über den Derwisch. Der sitzt auf einem Kamel, allahtrunken und trägt die weiße Taube Mohammeds, das Licht des Jenseits auf dem goldenen Ast seines beringten Fingers. Ich schreie. Der Derwisch winkt. Ein junger Edelmohammedaner wirft sich unter seinen frommen Reiterschritt; aber ich besteige den hinteren Buckelteil seines Tieres und halte mich am Schwanze fest, da es zu stolpern droht über zermalmte Leichen. Manchmal wendet der Derwisch seine goldene Stirne leise gegen meine. Von Gold sind die feinen Flügel seiner Nase. Meine Glieder halten den Odem ein und lauschen Melodieen nach: Am Tigris steht ein Palast, der gehört meinem Vater und meiner Mutter, die schlummern schon sieben Jahre im Gewölbe. Meiner Mutter Hände sind zwei einbalsamierte Sterne, und der Bart des weißbärtigen Paschas fiel: ein silberner Vorhang über stolze Vorfahren. Und ich vertauschte den Prinzessinnenschleier mit dem armseligen Rock der Weide. Nun bindet Ismael-Hamed die jungen Lasttiere. »Bocknäsig ist Abba sein langhaariges Kamel, und Rebb wirft mit dem Schwanzwedel meinen Fez vom Kopf, und meine Kamelin liebt Amm, ein Dromedar aus Ismael-Hameds Herde.« Der lächelnde Derwisch beugt den Oberkörper feierlich im Wandel: Nacht und Tag – die glitzernden Perlenquasten des königlichen Sattels klingen über Beduinenhände, wie über braune Teppichfransen. Unser Tier sinkt in eine Blutlache, warm tröpfelt es von meinem Gesicht, es sind lebendige Regentropfen, bald naht die Zeit des segnenden Himmels: Allah begießt die Welt mit seinem Saft. Aber Ismael-Hamed wird die duftenden Wunder, die wachsen werden, nicht sehen, er hält den Kopf in seinem Nacken versteckt. Schmächtige Knaben wetteifern um den schnellen Weg ins funkelnde Jenseits, aber unser Kamel will nicht über ihre verhungerten Körper traben. Der Kinder Lockrufe übertönen die wilden Gebete der Halbpriester. Mich beschnüffelt schon die Plattnase eines Einhöckers und drängt mit seiner Gurgel ungeduldig nach meinem Rücken. Der Derwisch gibt den kleinen Bettlern ein Zeichen, sich zu entfernen. »Herr, warum verschließt du ihnen das Tor zum goldenen Garten? Und weißt doch, daß ihre Väter sich auflehnen wider den Koran. Sollen sie büßen wie Ismael-Hamed der Hirte? Er trägt statt des Lichtes das finstere Bild seines ungläubigen, geschlagenen Vaters in der Brust und schämt sich, mich anzublicken, weil er so arm ist. Und ich verträumte, ein verklärter Grund hinter deiner frommen Schönheit, ihm ein Jenseits zu suchen im Damast des reichen Zuges. Herr, verzeih’ mir den bösen Gedanken, ich hoffte, daß einer der Geweihten verlöre seine Seligkeit vor der dämmernden Stufe des Todes!« Nach der Richtung der zerlumpten Kinder tastet fürsorglich der erschrockene Derwisch. Die bauen ihr Leben auf, Kopf auf Kopf, und spielen Pyramide. Ich hänge über den Rücken des Tieres allem Blute nach, aber die Wimper des Priesters ergreift mich; der Schatten seiner leeren Augenhöhlen fällt über die blutende Stadt. In Allah ruht sein frommsüchtiger Vater, der ihm die runden Lichte ausgestochen hat. Wir waten rot über aufspritzendes Grellrot. Wir reiten in einem Gemälde. Der Nil ist rot gemalt. Ich zerschlage mir die Stirne an den harten Säulen der Häuser, ich bin im Finstern, meine Augen frieren. Ich habe im Grauen seiner heimlichen Gräber mein Jenseits verloren, es fiel in Ismael-Hameds des Hirten Schoß. In der warmen Milch einer Kamelkuh badet er meine erstarrten Füße, aber mein Gesicht legt sich schon im Wind zur Seite. Blumen blühen; in Wasserfalten gehüllt schwemmt der Nil die verwesten Leiber jenseits weilender Seelen ans Ufer. Ich erkenne die drei Beduinen an ihrer Schlankheit und den Edelmohammedaner an seinem Gürtel wieder. Die armseligen, spielenden Kinder zerstampfte ein tanzender Pferdehuf; es fehlen ihnen die bettelnden Händchen. – Über Kairo schwebt der Gebetschein des Korans.

[S. 33–37:] Ein Brief meiner Base Schalôme

Im Hafen von Konstantinopel liegen goldene Boote – Sterne ..... Ich bin im Palaste meines Großoheims; wir Basen aus Bagdad duften nach altem Gemäuer, wir Prinzessinnen vom Tigris tanzen mit stummen Gliedern. Und ich verstehe die Sprache der Frauen des Harems nicht. Weiß nicht, was sie veranlaßt, sich zu freuen oder sich gegenseitig zu überwerfen. Sie sprechen nicht ihre Sultanssprache: »Wir sprechen parisisch«, erklärt mir die Kleinste; ihre Haare sind rot, »chik«. Manchmal summt sie hüpfende Lieder. Ich hungere, schwebe über die bunten Mosaikbilder der Böden; ich fürchte mich vor den bösen Speisen und Getränken, die heimlich in die Frauengemächer geschafft werden. Verbotene Fleische essen sie und rote und gelbe murmelnde Getränke trinken wir, unsere Köpfe schaukeln immerzu. Auch schäme ich mich vor dem Eunuchen, seine Augen stehen vornüber, kranke Greise. Wenn ich an unsern Eunuchen denke – runde Mannakuchen sind seine Backen und seine Stimme dudelt lustig wie Gauklerflöten. Ich wollte, ich wäre wieder in Bagdad. Hier sitzt auf dem schönsten Kissen der Eunuche. Meine Tante und ihre Töchter knieen um ihn, ein Kranz von bunten Farben, sie tragen alle weite Hosen und meine älteste Tante eine weite weite aus geblümtem Brokat. Mich langweilt ihr Lachen und ihre entblößten Gebärden, ich möchte ins Bad steigen, aber ich schäme mich, vor der kriechenden Stimme des Eunuchen, meinen Schleier vom Antlitz zu heben. Meine älteste Tante in der überweiten Brokathose beginnt sich zu entkleiden; neugierig folgen die anderen Frauen den Belehrungen des Eunuchen. Ein großes Buch mit grausamen Bildern breitet er auf dem Teppich hin. Seine Stimme schlängelt sich ein lüsterner Bach um die fiebernden Sinne der Frauen. Hinter dem Vorhang unter der Taube des Mohammeds, die sanfte Behüterin des Harems, stehen scharfe und zackige Gestelle, Peitschen und Pechfackeln. Meine Tanten und Basen haben mich heute Abend ganz vergessen; ich weiß nur, daß sie so spitz wie Dolchstiche durch meine Träume schreien wie Mütter, deren tote Kinder ihre Leiber zerfleischen. Ich bebe, der Eunuche ergreift eine der vielfältigen Peitschen; in Bleikugeln endet jeder Riemen; er wetzt sie einige Male wagerecht in der Luft, läßt sie dann langsam herab auf den weiten überweiten allerwertesten Vollmond meiner ältesten Tante prallen, die ihn, ich schwöre es bei Allah, nach allen Seiten hin ihm zuwendet, mörderisch aufschreiend, kokett die Zähne zeigend. Auf dem Divan sitzen ihre Töchter; neidisch entblößen sie ihre Brüste, die blühen in gesprenkelten Goldnelken. Der Eunuche entnimmt dem Vorhang kleine spitze Nadeln. Ich schleiche leise auf Vieren über den Teppich aus dem Frauengemach und stehe hinter dem Fenster des Vorraums. Ich möchte in eins der kleinen Sternbote steigen, auf dem Bosporus – der Himmel ist ein einziger großer Stern.

[S. 39–47:] Der Fakir

Dem Prinzen von Moskau

Senna Hoy in Unvergeßlichkeit

Die drei Lieblingstöchter des Emirs von Afghanistan heißen Schalôme, Singâle, Lilâme. Ihre Gesichter sind wie Milch; Sklaven verscheuchen die Sonne vom Dach der Frauen wie einen lästigen Vogel. Um die Abendstunde wandeln die drei Emirstöchter unter Tamarisken und Maulbeerbäumen, oder sie werden in geschnitzten Sänften zum Zeitvertreib an Goldbasaren vorübergetragen; der Emir könnte reiche Schwiegersöhne gebrauchen. Er ist ein Vetter meiner Mutter, aber ich bin zum ersten Male an seinen Hof geladen. Wir Träumerinnen aus Bagdad haben von altersher schlimmen Einfluß gehabt auf die Töchter fremder Paläste. Wir schleifen einen bösen Stern hinter uns; meint mein Großoheim, und seine Edeltöchter weisen die gläsernen Spielereien zurück, die ich ihnen mitbrachte. Aber ich weiß mich zu rächen. »Wo ist euer Oheim, Schalômesingâlelilâme?« Denn sie schämen sich seiner Verkommenheit; ein Flecken liegt er auf dem milchweißen Hals ihrer Mutter, der Emirsgattin. Die alte Sklavin meldet ihr vertraulich, daß der Fakir wieder auf dem Hofe stehe; ob sie ihren Bruder dudeln höre? Aus seinem Schlangensack kriecht eine junge Viper, schleichender Schleim um seinen schmutzigen Oberkörper. Aber Singâle wirft ihm einen Königinnentropfen, ein kleines Ehrengoldstück, mit dem Kopfe ihrer Mutter geprägt, in den Schuh, den sich der bettelnde Oheim von seinem eitrigen Fuß gezogen hat. Singâle ärgert gerne ihre Mutter, sie hat ihre altsyrische Nase geerbt, die schon einen der jüdischen Stämme verunglimpfte. Beschnüffeltes, übergelassenes Futter, setzt man dem dudelnden Fakir in einem irdenen Becken der Hunde vor. Manchmal übernachtet er gesättigt zwischen den Säulen des Haremshofes auf seinem lebendigen Sack, dessen Schlangen aufständig werden, sich zu einem Hügel bäumen, um von der Last ihres Schläfers wieder einzusinken in nachgiebiges Dehnen. Schalôme fleht am Fenster im Mond, wie auf rundem Goldgrund. Und ihre Schwestern fallen: angerufene Schlafwandlerinnen in ihre Kissen zurück. Der Geruch, der aus den Poren des Fakirs dringt, weckt das Blut auf, wie die pochende Beere, das verbotene Getränk des Korans. Die Eingeweide der Jünglinge quälen sich und die Töchter der Stadt nippen heimlich an seinem Geruch; ihre Leiber gehen auf wie braune und gelbe Rosen. Lilâme, die zweite Tochter des Emirs von Afghanistan, trägt seit Monden in ihrem Schoß ein atmendes Spielzeug, der türkische Prinz vergaß heute seinen Turban unter dem Lebensbaum im Frauengarten. Und Singâle liebt Hascha-Nid, der ist der Sohn des Chân, des Weißbarts eines wilden Stammes; seine Haut schimmert in süßerlei Farben. Aber seine Tracht ist herb, er vergißt jeden Schmuck anzulegen, wie es sonst Sitte ist beim Kriegstanz oder bei den Zeremonien ihrer Götzenfeste. Ich habe meine Augen, seitdem Singâle ihn mir gezeigt hat, noch nicht geschlossen. Immer starren sie herüber über die Zuckerfelder weiter nach der Richtung der wilden Waffengesänge. Und ich erschrak, als ich beim Schminken in meinem Spiegel den Fakir sah; er saß auf der Mauer des Hofes und küßte seine Schlangen. Die eine, die sich ihm wild ergab, steckte er zur Hälfte in seinen grauen, kriechenden Mund. Seitdem blicke ich mich in der Nacht ängstlich zu den drei Schwestern um, ob sie mein Brüllen nicht erschrecke. Manchmal schreit Schalôme auf; Lilâme tändelt mit ihrem Kissen, das ist silbern, wie der Turban des Prinzen. Und Singâle blickt eifersüchtig auf meine Lippen, sie stehen krampfhaft geöffnet. Ich höre die wilden Kriegsweiber heulen – Hascha-Nid, der Sohn des Chân, liegt im Sterben. Über die Abendwege der lächelnden Pflanzungen schlängelt sich der Fakir, er soll ein Wunder verrichten an des Weißbarts Sohn. Schalôme steht am Fenster im Mond, sie streichelt sanft meine Haare, der Wind reißt sie aus ihren Händen und weht sie über die süßen Äcker. Ich möchte ihre Hände küssen, aber meine Lippen färbt noch ein Tropfen Blut meiner nächtlichen Speise. Immer warte ich zwischen den hohen Rohren und halte seine Glieder in meinem Rachen versteckt, und bald feiert Schalôme Hochzeit; eine Karawane von indischen Elefanten bringt ihre Geschenke, und auf dem Rüssel des Riesen sitzt der Gekrönte, der sie holen wird in sein Haus. »Schalôme, wie träumst du von ihm in der Nacht?« »Immer kommen die Schlangen meines Oheims und erwürgen meinen Traum.« Und wenn Lilâme den Oheim gewahrt, versteckt sie ängstlich ihr weißes, aufgeblühtes Paradies unter den Lebensbäumen. Nur Singâlens wolkige Seide hebt sich von ihren weißen Hängen, der sterbende Häuptlingssohn aber verschmäht ihre gesprenkelten rosa Nelken. Ich darf nicht mehr im selben Gemach mit Schalôme, Singâle, Lilâme schlafen; meine Großtante, die Emirsgattin hat mein Freudengebrüll gehört. Schalômens sanfte Hände zittern, sie lassen alles auf den Teppich fallen, was sie ergreifen, sie hat den Veitstanz. Jeden Abend dudelt der Fakir auf dem Hof. Schalômens Mienen tanzen nach seinen Tönen. Ich irre, nur von Spinnengeweben der alten Wände behangen, durch die Erdgewölbe des Palastes. Von dort, erzählt mir Singâle, entkommt ihr Prinz. Und ich habe über mein Kinn einen glühenden Streif gezogen, mein Spiegel dudelte dazu Hochzeitsmusik. Auch trage ich die langen goldenen Ohrgehänge, die mir Schalôme geschenkt hat. Die Schwestern sagen, ich habe einen goldenen Körper, und sie wollen die verschüchterte Sonne wieder anlocken. Hascha-Nid hat auch einen goldenen Körper, wenn wir uns kreuzten, würden wir ein goldener Palmenbaum sein. Ich bin müde, ich möchte mich begraben lassen, wie der verkommene Oheim es tut, einige Male im Jahr. Der Vater der Würmer sehnt sich nach seiner Erde zurück. Dann atmet die Emirsgattin bis zum anderen Ende der Ufer auf, und ihr Atem hält das Flüstern der jungen Lippen an, und bringt Nüchternheit über die Söhne und Töchter der Stadt. Ich stolpere über aufgeworfene Erde und greife in ein bereitgehaltenes Grab. Kleine, blitzende Gerätschaften liegen auf dem geöffneten Erddeckel, die dienen zur Ablösung des Häutchens, das die Zunge mit dem Unterkiefer verbindet. Ich sah es im Spiegel: man steckte sie ihm zum Luftabschluß wie einen Pfropfen in den Schlund. Ich muß so traurig summen: Schalôme kriecht ihm nach ins Grab. Und kann mich gar nicht mehr finden. Der Streif über meinem Kinn zieht sich durch meinen ganzen Körper, teilt ihn in zwei Hälften. Hascha-Nid ist tot. Ich höre die wilden Weiber wie Besessene toben, ihre Stimmen vermehren sich ungeheuerlich, im wuchernden Widerhall des Gewölbes. Ich wollte, mein Vater wäre da, ich schwebte auf seinem langen Bart in den Palast zurück in Schalômes Schoß, der wiegt sich wie eine tanzende Schlange. Und ihre ruhelosen, sanften Hände kriechen über den Staub der Böden. Unser Gemach mit den vier seidenen Kissen dudelt und ist angefüllt vom lockenden Narden des Fakirs. Schalôme erhebt sich eine Stunde vor Mitternacht und lächelt wieder im Mond. Dann sah die alte Sklavin sie über die letzten Stufen der Haremstreppe schnellen. Ich schneide meine Adern auf mit meinen gläsernen Spielereien. Der Palast ist taubstumm, Lilâme und Singâle sind wie zwei alte Götzenbilder. Der Emir von Afghanistan läßt alle Wälle in den Gegenden der Stadt aufgraben. Leichen liegen ihrer Erdhemden entblößt auf den Steinen des Friedhofs. Die Luft ist schauerlich. Unter den Wassern des Flusses schaufeln die Taucher. Manchmal streift mich forschend des Emirs Blick. Wir Mädchen aus Bagdad schleifen einen bösen Stern hinter uns; aber ich werde Schalôme nicht verraten; und ich wollte, mein Vater wäre da, sein langer Bart wehte der Gassenmäuler leichtfertige Melodie aus der Stadt. Ich habe sie an ihrem dunkelbereiteten Palast schwermütig erdacht .. Schalôme kriecht ihm nach ins Grab.

Der Prinz von Theben
[(»Der Fakir«)]

[S. 49–75:] Das Buch der drei Abigails

[S. 51–56:] Abigail I.

Kete Parsenow

der Venus

Er wurde Melech, als er noch im Mutterleibe war. Die Melechmutter klagte, denn Abigail weigerte sich zur Welt zu kommen. Der lag in seiner Mutter Prachtleib wohl geborgen und schnarchte so laut, daß man seinen Schlummer vom Palaste aus bis über den Fluß, im Osten der Stadt vernahm. Der junge Melech wollte nicht zur Welt kommen. Und Diwagâtme, seine Mutter, gewann einen Umfang, der über das Königskissen hinauswuchs, und man polsterte für ihren hohen Leib ein Gemach des Palastes aus, darin sie sich ausdehnte von Tag zu Tag. Der junge Melech lebte nun in ihrem Leibe zwanzig Jahre und weigerte sich zur Welt zu kommen. Da berief die Melechmutter von jeder Vereinigung ihrer Stadt einen Mann, der ihr raten sollte. Von den Jehovanitern den vornehmsten Priester, von den roten und gelben Adames je einen der Viehzüchter, auch den liebwertesten Zebaothknaben, der der Gespiele ihres Sohnes Abigail hätte werden sollen. Und der Marktplatz wurde gehöhlt und mit weichen Schafsfellhaaren ausgestopft, denn Diwagâtme, die Mutter des eigensinnigen Abigail, konnte ihres Leibes wegen nicht mehr im Palast bleiben, und also geschah auf Raten ihres ärztlichen Beistands, daß sie behutsam trugen eines Mittags unzählige Sklavenhände, begleitet von der Musik der Dudelsackpfeifer und Schellen und Trommeln auf ihren neuen Sitz mitten auf dem Marktplatz in Theben. Abigail weigerte sich zur Welt zu kommen. Aber einmal hörte ihn seine Mutter eine himmlische Melodie sagen und sie dachte an das hohe Lied Salomos, doch sie verschwieg der Stadt und sogar den Nächsten ihrer Umgebung das neue Geheimnis ihres Leibes. Abigail, ihr Sohn war ein Dichter und kein Regent; ihr sein Beharren in der dunklen, sorglosen Nacht wohl verständlich, den anderen ein immermehr zunehmendes Rätsel. Von dem Bewahren des Geheimnisses wurde Diwagâtme krank; Schatten bedeckten ihre strahlenden Augen, und stumm wurde sie vor Furcht, doch einmal einzuflechten den Dichtgeist ihres Sohnes in ein gleichgültiges Gespräch, zumal sie keine andere Freude empfand als die beim Vernehmen des hohen Liedes ihres Sohnes. Sie mochte sich auch nicht mehr betasten lassen von dem kleinen Staate, der sich um ihren Leib wie um eine Insel bildete, Umschau hielt und Messungen anstellte. Der beharrende Melech aber lebte weiter vom Fleisch und Blut seiner Mutter, und sie fühlte ganz genau, daß er eine Vorliebe für einige Gerichte hatte; daß er nur dichtete beim Genusse süßen Blutes, wenn seine Mutter verzuckerte Rosen verzehrte. Aber immer, wenn sich die ungeduldigen Bürger der Stadt seiner Mutter näherten, verkroch er sich ganz tief in seiner einsamen, pochenden Heimat, bis er eines Tages das Herz seiner Mutter gewaltig mit seinem Fuß in die Rippen stieß und Diwagâtme tötete. Da weigerte sich der Muttermörder nicht mehr – zur Welt zu kommen aus der erstarrten Nacht. Diwagâtme wurde begraben, aber ihn, den Sohn, setzte man auf den Thron im Palast. Abigail der Erste saß nackt auf dem Thron in seiner letzten Haut, die war zart und neu und unberührt. Und er fürchtete sich in der offenen Welt – seine Hände suchten immer Wände und der Tag tat seinem Auge weh. Aber seine Bürger trugen ihn auf ihren Schultern durch die Stadt, durch die Lande – ihren Wundermelech! Schön war Abigail, jedes seiner Glieder ausgeruht; nicht eine Farbe an ihm nur hingeworfen! Die Töchter Thebens gehörten alle ihm, die hatten durch die lange Erwartung, in der die Stadt lebte, fragende Augen und geöffnete, lächelnde Lippen, und trugen eine Blume im Haar mit offenem Kelch für den Schmetterling. Abigail aber kroch in jeder Jungfrau Leib und er sehnte sich nur noch nach dem Mond, wenn er rund und weich am Himmel pochte. Da, einmal in der Frühe brannte sein Palast; nun starb Abigail der Erste, der Sohn Diwagâtmes, die das Geheimnis mit ins Grab nahm, daß ihr Sohn ein Dichter war. Er stand und schritt und lief zum erstenmal auf seinen Füßen, die sonst, ein verwöhnter König, auf den Schultern seiner Bürger ruhten. Der Palast stand in wilden Flammen, als Abigail es bemerkte, sich an der Säule des Gebäudes herabließ, ohnmächtig zusammenbrach und von einer Karawane, die im Morgendunkel noch träumte, überritten wurde. So endete Abigail, der Spätgeborene von Theben.

Der Prinz von Theben
[(»Abigail I.«)]

[S. 57–66:] Abigail II.

Karl Kraus

dem Cardinal

Abigail des Spätgeborenen ältester Vetter Simonis saß auf dem Thron zu Theben nur einen Tag und langweilte sich und verzichtete auf die Krone zu Gunsten seines Bruders Arion-Ichtiosaur. Der nannte sich Abigail der Zweite – wie er vorgab, – zum Angedenken seines vetterlichen, spätgeborenen Vorgängers. Dieser Zweite ähnelte kaum entfernt nur noch dem Ersten. Denn der neue Melech war sechzig Jahre alt, als er den Thron der Stadt bestieg, seine ursprüngliche Wesenheit hatte geglättete, wohlweise ganz in sich ruhende, feste Form angenommen. Er bestieg am zehnten des Monats Jisroël den Thron und hielt sein träumerisch Volk wach und in Spannung. Er lud die ältesten Bürger der oberen Stadt zu sich in den Palast ein, erging sich an sie in einer stummen Ansprache in Kopfnicken und Gebärden, legte einige Male die erlauchte Stirn in Falten, nahm den zartesten der reichen Kaufleute, küßte ihn mit einer Wucht, die den so vor allen seinen Mitbürgern ausgezeichneten Mann aufschreien ließ und ihn wie die verwunderten Zuschauer ebenso verblüffte wie ergötzte. Darauf die kleine Gesandtschaft entlassen wurde, stumm und mit dem huldvollsten Lächeln ihres Melechs. Sie zerstreuten sich hinter dem Tore des Palastgartens über die gepflegten Wege, durch die morschen Straßen und lächelten verlegen. Auf Befragen der neugierigen Menge vermochten sie nur die Schultern zu zucken und erklärten sich heimlich untereinander das Verhalten ihres neuen Melechs als ein Symbol der Gnade; neigten die alten Köpfe mit den Turbanen und taten nach ihres wunderlichen Königs Geheiß. Der stellte Männer an, die meisten waren überernährt und kugelrund gespeist, die auf den Marktplätzen von der Enthaltsamkeit predigten, die dem verwöhnten Volke im Namen ihres besorgten Melechs einigemale im Monat den Genuß der Früchte, des Brotes, der Fische und jegliches Vieh verbaten, so, daß keine Speise übrig blieb und die Leute den Tag über hungern mußten. Aber der Melech gestattete jedem Bürger der Stadt Thebens, seinem eigenen Mahle zuzusehen, sich an den Melonen seines Tisches zu freuen. Und er säete Haß, Gier und Mißgunst unter die zärtlichen Menschen, daß sie sich der Dattel mißgönnten. Einmal fragte ihn dann sein Lieblingssklave: Herr, warum befiehlst du solches? Da sagte der Melech: Haß und Gier und Mißgunst halten ein Volk wach. Abigail der Zweite ließ sich auf die Backe den Wendekreis des Affen tätowieren; er beschäftigte sich mit Astronomie und Mathematik und die Gemächer seiner Arbeit waren mit Karten dieser Wissenschaften behangen. Abigail der Zweite besaß seine Lachweiber und seine Tränenweiber; außer dieser Schar begleitete ihn sein Grüßer, ein edler Jüngling mit freundlichem Wuchs, an dem sich der Melech des Grüßens Anstrengung jedem Vorbeischreitenden immer wieder höflich enthob. Ihm zur Seite aber kam sein Erklärer, der ihm die Würzen der Humoresken deuten mußte, die seiner Hochlaunigkeit vorgetragen wurden. Mit einer Anekdote durfte sich jeder Bürger der Stadt auf der Straße oder im Palaste ungehindert dem Melech nähern; der wanderte oft zur Abendstunde gemächlich durch die erfrischenden Lüfte. Oder er stand auf dem Dache seines Palastes und stritt mit Gott. Oder er unterrichtete seine Diener und Dienerinnen in der Schöpfungsgeschichte. Da er kinderlos war, nahm er sich der beiden toten Söhne Adam und Evas an; glaubte nimmermehr an die Bruderbluttat Kains. Vom Sohne des obersten Priesters ließ er sich das Brüderpaar an die Wand seines Festsaals malen. Jussuf, der Sohn des Tempels, der in engste Berührung mit dem Palaste trat, wohnte einmal einem Gespräche bei, das der Melech mit seinem roten Hausgeschöpf Bisam-Ö führte. Dieser riet dem sehr bewegten König, sich zu vermählen. Das Murren, das sich nach und nach in seinem Volke, namentlich unter der Jugend bemerkbar machte, bezog sein Ratgeber auf das Nichtvorhandensein eines Thronerben. Abigail hatte sich mit seiner ganzen erhabenen Person seinen geliebten Bürgern gewidmet und es schmerzten ihn diese leisen Aufrührungen. Er hatte versucht, die säumenden Leute seiner Stadt aufzurütteln, er hatte versucht, jeden einzelnen von ihnen auf eigenen Fuß zu stellen, darum begann er schon bei Beginn seiner Regentschaft alle die Vereine zu lösen, die sich schon zu Abigail des Ersten Zeiten gebildet hatten. Nur die Zebaothknaben, die jüngsten Bürger Thebens, hielten trotz des Melechs Verbot ihre heimlichen Zusammenkünfte, deren Oberhaupt der begabte Sohn des obersten Priesters war. Jussuf warf sich schon unter seinen jugendlichen Anhängern zu ihrem Prinzen auf. Einem der Zebaothknaben, dessen Vater des Melechs Gunst erworben hatte, geschah es, daß er vom König in den Palast gerufen und mit allerlei Geschmeide, Nasenknöpfe, goldenen Gurtschellen und Ketten beschert wurde, aber sich der Sitte fügen mußte, einige Male im Mond den Melech aufzusuchen und in tiefster Dankbarkeit den heiligen Zeh seines Fußes zu küssen. Diese Handlung, die die unerfahrenen Knaben für eine demütigende empfanden, entfachte ihren Zorn zu einer Feuersäule, die ihrer Schar voranschritt. Jussuf, des Oberpriesters Sohn, liebte die junge Königin Marjam, seines verhaßten Melechs ausersehene Braut, und sein Herz eifersüchtete giftig nach seinem gekrönten, alten Nebenbuhler. Hinter der Liebeshecke ihrer Stadt trafen sie sich einmal als junge Kinder und liebten sich. Das Land Marjam, hatte dann der Oberpriester gesagt zu seinem Sohn, dufte nach Brod – –. Wie die Hochzeit des Melechs zu verhindern sei, besprachen die Knaben untereinander, bis sie von einem Plan überrascht und durchläutert wurden und begeistert. Ihr Prinz Jussuf, der schon lange Entzücken bei den Tränenweibern und Lachweibern erregt hatte, gewann zur Ausführung der Tat die armen Faulenzerinnen. Die Lachweiber begannen ihre roten Herzen schwermütig an die Wolken zu hängen und der Tränenweiber Lachen machte den Tag toll. Aber der Melech traf schon Vorbereitungen für den Einzug seiner jungen Braut. Zwei Paviane ließ er zähmen, die saßen zwischen seiner Dienerschaft am Eingang seines Palastes. Auf ihre Häßlichkeit war die Sonne bunt gestolpert und ihre Hinterorangen bewegten sich mit ihren jähen Sprüngen. Dann kam die Königin. In allerlei höflichen Zeremonien übte sich Abigails Grüßer und der Melech selbst zwischen seinen Lachweibern und Tränenweibern, die lederne Stirn lieblich von der Schminke gerötet, den Kinnbart jung gefärbt. »Seht Abigail, unseren Melech!« Auf Tanzschritten seinem Glücke entgegen. Und hinter den lachenden und weinenden Weibern hielten sich eine Anzahl der Zebaothknaben verborgen und kitzelten den Tränenfrauen in die Hüften, so daß die ein Lachen bei der Zeremonie des Empfanges ansetzten, welches dem Melech höchste Verlegenheit bereitete. Marjam, die junge Königin war kühl und selbstsüchtig und ehrgeizig. Dem königlichen Gastgeber zu gefallen, hatte sie ihren Geist mit Anekdoten, herzhaftesten, aus allen Ländern bereichert. Die Flötenspieler bliesen Tanzmelodien und die Dudelsäcke dehnten sich wie lustige Lachbäuche. Und wenn Marjam in Begleitung der Musik dem lauschenden Melech ihre Anekdoten erzählte, begannen die Lachweiber zu heulen, daß auf ihren Tränen die Speisen des Tisches fortschwammen. Am tiefsten aber berührte es die Königin, als sie von der Tiefe ihres Herzens sprach und dazu die Tränenweiber an zu pusten anfingen und vor Lachlust platzten und den König verwirrten, da er in Frauenempfindungen sehr wenig Erfahrungen gesammelt hatte, und er schließlich den Gefühlen seiner Sklavinnen vertrauend, selbst eine Lachflut losließ und nach ihm die Königin sich zu einem Lächeln zwang, das wie ein Granat blutig auf dem tobenden Ozean schimmerte. Nach der Tafel führte der Melech seine hohe Braut durch die Menge der Gäste, aber sie verließ mit gnädigem Nicken ihres ernsten, hochmütigen Kopfes gekränkt den verblüfften Hof, die Stadt Abigail des Wunderlichen, der, wie sich seine Bürger erzählten, gestorben sei, weil seine Erklärer ihm nicht den Kernpunkt seiner Tafel seltsamer Anekdote deuten konnten. In Wirklichkeit hatte ihn aber in derselben Nacht Jussuf, der Sohn des Oberpriesters, durch einen Dolchstoß ins Zwerchfell getötet. Jussuf, der Prinz von Theben, ließ sich zum König Abigail den Dritten ausrufen von seinem kleinen Heer, das zählte 1000 Zebaothknaben; mit ihnen sammelte er die aufatmenden Bürger der Stadt.

Der Prinz von Theben
[(»Abigail II«)]
Der Prinz von Theben
[(»Jussuf und einige der Zebaothknaben«)]
Der Prinz von Theben
[(»Die ehrgeizige Königin Marjam.«)]
Der Prinz von Theben
[(»Jussuf der Zebaothknabe erwartet Marjam hinter der Liebeshecke.«)]

[S. 67–75:] Abigail III.

Professor Walter Otto

dem großen Jüngling

Der ehemalige Zebaothknabe Jussuf, der Sohn des verstorbenen Oberpriesters und seiner schönen Mutter Singa, war jetzt in Theben Melech. Er bekleidete außer der Königswürde auch das Oberamt des Tempels. Sein siebzehnjähriges Gesicht und seine Glieder blühten und sein Herz war ein Oleanderstrauch. Seine Mutter Singa, die als Jungfrau eine zärtliche Schwärmerei mit ihren Freundinnen gemeinsam für den spätgeborenen Melech teilte, schürte den Haß ihres Sohnes gegen den zweiten Abigail zur Tat auf. Er, der die Stadt wach hielt, ermüdete und enttäuschte, lag endlich im Gewölbe und schlief. Aber Theben atmete hoch im Festkleid auf der Hochzeit, die der Melech mit der Stadt feierte. Die Nachbarorte sandten ihm und seinem Hof, freundschaftliche Beziehungen anzuknüpfen, Prachtgeschenke; der Fürst Marc ben Ruben von Cana bot dem Siebzehnjährigen den Bruderbund an. Für seine Ställe schenkte er ihm unvergleichliche Pferde, für seine Haine heilige Kühe und Kälbchen und langhaarige Ziegen. Unter den vielen Gästen, die aus allen Erdteilen dem König ihre Aufwartung machten, befand sich ein alter freundlicher Siouxindianer, der in Verehrung für den ersten Judenmelech Saul entbrannt war. Mit dem kupferroten Manne plauderte Abigail der Dritte gerne von den Menschen der Bundeslade, auch entdeckte er in dem fremden Freund bedeutendes Geschick für die Herstellung der Farben, die er aus den verschiedenen Rinden der Bäume, aus bunten Kräutern zu ziehen wußte. Und es entstanden Bildnisse von Abigail des Dritten Hand, die seine Vorhöfe zu Sehenswürdigkeiten aller Zeiten erhoben. Vor seinem Palaste aber schuf er das steinerne Bildnis seiner Mutter Singa. Abigail sammelte um sich Harfenspieler, die die Tafelstunden versüßten; und Tänzer und Tänzerinnen schlängelten sich über die Mosaikblumen der Böden – es kam nicht selten vor, daß sie sich die Adern anstechen ließen und den Trank ihrer roten Beeren ihrem Liebesherrn in Schalen reichten. Und Abigail der Melech baute prunkvolle Paläste und Gotteshäuser und diente seinem jungen Gotte Zebaoth. Einmal sagte er seinen Knaben: »Ich möchte ›Ihn‹ einmal sehen oder auch nur seinen Finger, an dem der Mond leuchtet.« Und er salbte sechs der wilden Juden zu Häuptlingen und gab ihnen Königsnamen. Einem unter ihnen, den er besonders lieb hatte, hing er dem neuen Namen eine Zärtlichkeit an sondergleichen. Salomein trug einen Stern in der Schläfe und in einem Teppich zur Rechten seines Melechs wurde er verewigt. Dieser geliebte Gespiele liebte den König sein Leben lang. Und Abigail und seine Häuptlinge drangen in die Häuser der alten Bürger ein, die noch festhielten an den wunderlichen Gesetzen des zweiten Machthabers; zwangen die Väter zur Herausgabe ihrer gefangenen Söhne. Und 25 000 Jünglinge zogen unter ihrem Melech in eine heilige Schlacht, um die Landschaft Eden. In der Dämmerung schlichen sich betrügerische Weibchen in ihre müden Zelte und boten den Kriegern Liebesharz feil aus den Ästen des verbotenen Baumes. In der Zeit, als Abigail der Dritte mit seinem begeisterten Heer die Fluten des Pison durchschritt und östlich vom Flusse siegreich wurde, brachen Unruhen in den vornehmen Vierteln seiner Stadt aus, aber Singa die Mutter des Melechs verstand den Zorn der ihrer Söhne beraubten Eltern zu beschwichtigen. Viele gefangene Heiden zogen dem glücklichen Siegeszug voran; ihre Göttin ließ Abigail verhüllt auf den Schultern seiner Kriegssklaven in den Tempel tragen. Er vergaß, daß er Gott mit dem Kultus beleidigte. Aber die Zebaothknaben bauten eine goldene Mauer aus ihren leuchtenden Leibern um ihren Melech und schützten seinen Odem, und lauschten den Worten seiner sprechenden Träume, und sie bereicherten ihre Sprache, daß jeder Fremde, der die Zebaothknaben sprechen hörte, sich der Schönheit ihrer Rede kaum entziehen konnte. Manchmal sahen die Freunde ihren Abigail einsam oder von seinem Liebling Salomein begleitet oder von der Zahl seiner Häuptlinge den Berg der Stadt besteigen. Wenn der Komet unter den Sternen war, saß er, ein goldener Vogel, unentwegt auf dem Gipfel. Einmal aber weinte er so wild, daß seine Tränen fruchtbar auf Thebens Felder fielen. Hinter den bunten Brotblumen fanden ihn oft die Suchenden mit Salomein in frommen Liebesschwüren. Oder er saß in seinem Liebesgemach und warf seinen Bürgern Kußhände zu. Im Überschwang seiner Liebe bestieg er die Pyramide auf dem Platz der Stadt, riß sich die Seide von seiner Brust und blutete wie ein junger Löwe für sein Volk. Und es war kein Haus in Theben, das nicht das Bild, wider Verbot des Gesetzes, seines Melechs schmückte, im Sternenmantel, im Kriegshut. Ein reicher Jude besaß ihn eingetäfelt zwischen Lapis in der Wand. Zum erstenmal sah Abigail der Liebende blondes Haupthaar und blaue Augen bei den abendländischen Feinden in der Nähe seiner Stadt. Von seinem Dache aus bewunderte er die hellen Locken der Schlafenden und versäumte, seinen überfallenen Freundesstämmen zur Hilfe zu kommen. Als er aus seinem blonden Rausch erwachte, verurteilte er sich und unterschrieb sein eigenes Todesurteil. Aber die Zebaothknaben wandten sich an den Balkan und der Sultan, der von der Gerechtigkeit des königlichen Kriegers eingenommen war, entkräftigte den heldenhaften Todesspruch, indem er den Melech an seinen Hof einlud und ihm seine Tochter Leila zum Weibe gab. Aber als der blonde Feind nun vor Thebens Tor lag, die alte Stadt einzunehmen, des Königs Herz von neuem zu entflammen, geschah es, als die Zebaothknaben die Tiefen und Breiten des Flusses maßen, Abigail im kostbaren Kriegsschmuck, um die Lenden den Muschelgurt, auf sie zutrat – die Freunde in Überraschung aufschrien: »O seht, wie der Krieg unseres Melechs Angesicht schmückt!« – er sich dann übte vor ihnen in der Schönheit des Speeres als zöge er zum Feste. Hinter einer Garbe sah, während seine Krieger mit den Feinden ihr Blut tauschten, Salomein – wie sich die beiden herrlichen Herrscher der feindlichen Heere liebend umarmten. Aber durch Theben eilte die Kunde, der Melech habe ohne Blut zu vergießen den Feind in die Flucht getrieben, und er genoß eine Ehrfurcht von seinem Volk fortan, die sich bis auf seine nächsten Gespielen erstreckte, und selbst Salomein berührte aus Zartheit seine Fingerspitzen ehrerbietig mit seinen Lippen und seine Augen wichen scheu dem sehnsüchtigen Lächeln seines königlichen Freundes aus. So wurde Abigail der Liebende ein einsamer Fürst und er gedachte schmerzhaft der Nächte, in denen er sich in die Häute süßer Leiber hüllte. Von einer Wanderung heimkehrend, sah er seine verscheuchten Freunde am Fuß eines Zitronenwaldes mit den Prinzessinnen Thebens spielen, auch Leila, sein Weib, war unter ihnen, lief ihm entgegen und reichte ihm betroffen die Rosen ihres Spiels. Daß man ihn so verkannte, erfüllte den liebenden König mit tödlichem Durst. Er überfiel den Kuckuck der Zebaothknaben und fraß ihm das Herz aus der Brust. Aber die treuen verwirrten Jünglinge würfelten untereinander, wer von ihnen die grausige Tat ihres Königs auf sich nehmen solle. Die verhängnisvolle Zahl traf seinen Liebling. Als Abigail vom Tode seines Salomein wußte, ergriff ihn eine wilde Ohnmacht. Nachts stand er vor dem Tore und drohte seiner unschuldigen Stadt. Oder er wälzte sich in seinem eigenen Blute und wurde der gefürchtetste Feind des Kriegs. Auf einer Tigerjagd verwundet, starb er früh am Morgen, ohne die Besinnung wieder erlangt zu haben. Die Zebaothknaben forderten von der Mutter ihres Melechs den Freund; aus seinem Gebein erschufen sie einen Tempel.

Der Prinz von Theben
[(»Abigail III. | ehemaliger Prinz von Theben.«)]
Der Prinz von Theben
[(»Abigail Jussuf betet auf dem Berge«)]

[S. 77–81:] Singa die Mutter des toten Melechs Abigail III.

Erik-Ernst Schwabach

und seinem Gemahl

Singa, die Mutter des toten Melechs, saß in ihrem Gemach wie eine Mumie verhüllt, und das Volk trauerte mit ihr drei Jahre lang. Bis sie die trüben Schleier von ihrem Angesicht riß, dem heißen Psalm der Liebe zu lauschen, der die Erde aller Straßen aufwühlte, das Rauschen des Flusses dämpfte, sich in die Herzen der Menschen schlich und ihre Heimlichkeiten offenbarte. Dann kamen die erregten Zebaothknaben zu der Melechmutter in den Palast, ihre Gesichter trugen die Züge ihres Sohnes und in ganz Theben war keine Prinzessin, deren Mund sich nicht in die feinen Lippen des Melechs verwandelt hatte. Und Singa selbst entdeckte mit Verwunderung, daß ihre Hände dem Spielzeug ähnelten, mit dem der noch kleine Abigail auf ihrem Schoß zu spielen pflegte. Und die Sklavinnen lächelten um Abigails Mutter, wie ihr holder Liebling so eigen. Und gesteinigt wurde derjenige, welcher fallen ließ einen störenden Laut von seinen Lippen, denn die Melechmutter sandte ihre schwarzen Diener, die des Hörens kundig waren, die Quelle des Zauberpsalms zu suchen, sie brachten keinen Bescheid; und eine Händlerin, die den Mägden in den unteren Palasträumen Tücher und Glasperlen verkaufte und zur Mutter Singa verlangte, wurde nicht vorgelassen. Aber sie versteckte sich hinter einem Muskatbusch und rief in der Dunkelheit: »Melechmutter, Melechmutter, ich habe einen Sohn, der ist Viehknecht und er hat ein Ohr, das geht ihm bis zur Lende!« An jeder Wand jedes Hauses legte er es an, bis es abgenutzt und nicht größer war, wie das der Dienerschaft im Palast. Und er wußte, von wo der sehnsüchtige Gesang kam. Da ließ die Mutter des liebenden Abigail des Dritten alle die Edeltöchter der Stadt zu sich in den Palast kommen, wählte die anmutigste, sie mit dem königlichen Tempel zu vermählen. Die Braut aber erhängte sich vor der schauerlichen Hochzeit. Auch die übrigen Töchter der Stadt weigerten sich, in den Tempel zu gehen und Singa bot ihr Geschmeide jeder Tänzerin und jedem Freudenmädchen hin für den Liebesgang, bedrängte die Hütten der armseligsten Hirtinnen und küßte die Mägde. Auf dem Acker die Ähren und die Stöcke der Weinberge begannen zu brennen und die Herzen der Menschen in Theben waren zu Asche verfallen und die Flügelgestalten an den Brunnen der Gärten flogen auf. Und Singa, die Mutter des Melechs, ließ ihre Wangen jung malen, ihre Lippen schminken wie zur Liebesnacht, und sie trug goldene Ringe an den Zehen und Düfte im Haar und all Volk stand um den Tempel, bis sie ihn zerzaust verließ; ihre Glieder waren zerfressen, die Fetzen ihrer jungen Kleider hingen ihr um den Leib und ihre zerdrückten Augen tränten. Seitdem schlichen alle Bürger der Stadt über die Pfade wie auf dem Weg zum Friedhof und ihre Wohnungen wurden leise wie Gotteshäuser. So endet die Geschichte des dritten Abigail, dessen Liebe so viele Opfer forderte.

Der Prinz von Theben
[(»Der Prinz v. Theben läßt sich auf seinen Arm das Wappen Thebens taitowieren.«)]
Der Prinz von Theben
[(»Der Siouxindianer.«)]
Der Prinz von Theben
[(»Saul | Der erste Judenmelech«)]
Der Prinz von Theben
[(»Die jüdi=[Davidstern]schen (Häuptlinge) | (die wilden Juden)«)]
Der Prinz von Theben
[(»Die Zebaotknaben belauschen den Schlummer Jussufs.«)]
Der Prinz von Theben
[(»Abigail III in der Schlacht«)]
Der Prinz von Theben
[(»Jussufs Herz blutet für sein Volk«)]
Der Prinz von Theben
[(»Leila.«)]
Der Prinz von Theben
[(»Salomein tröstet Abigail.«)]
Der Prinz von Theben
[(»Abigail III. | Der Traum der Liebe«)]
Der Prinz von Theben
([»Abigail trauert um Salomein.«)]
Der Prinz von Theben
[(»Abigails Jussufs Einsamkeit«)]
Der Prinz von Theben
[(»(Jussuf opfert sein Herz.) | dem blonden Fürsten | ›Immer sah ich in den Himmel / O, du mußt mich lieb haben. / Und ich bringe dir mein Herz / Ganz sanft wie eine Großnarcisse.‹«)]

[S. 83–85:] Eine Begebenheit aus dem Leben Abigail des Liebenden

Eine Geschichte der Maria von Nazareth

Dem Venuskind

als Kete Parsenow

fünf Jahre alt war

Als Abigail der Dritte noch ein Zebaothknabe war und viel, viel Sehnsucht hatte, ritt er auf seinem weißen Kamel in Begleitung seines Spielgefährten Salomein durch die Orte von Palästina und kam nach Nazareth. Dort saßen die Kinder der Reichen und Armen zusammen, alle auf den rissigen Steinstufen der Spieltreppe der Stadt und sangen ein wundersüßes Liedchen auf altnazarenisch-hebräisch. Und Jussuf setzte das kleinste der Kinder auf sein groß Tier und Salomein mußte das Verschen auf einen Schiefer schreiben von den lallenden Lippen des Kindes. So klang es:

Abba ta Marjam

Abba min Salihï.

Gad mâra aleijâ

Assâma anadir –

Binassre wa wa.

 

Lala, Marjam

Schû gabinahû,

Melêchim hadû-ja.

 

Lahû Marjam

alkahane fi sijab.

Träume, säume, Marienmädchen –

Überall löscht der Rosenwind

Die schwarzen Sterne aus.

Wiege im Arme dein Seelchen.

 

Alle Kinder kommen auf Lämmern

Zottehotte geritten

Gottlingchen sehen –

 

Und die vielen Schimmerblumen

An den Hecken –

Und den großen Himmel da

Im kurzen Blaukleide!

Der Prinz von Theben
[(»Marië von Nazareth und ihr Kindlein«)]

[S. 87–98:] Der Kreuzfahrer

Hans Adalbert

v. Maltzahn zum

Angedenken

Die Kreuzfahrer bringen Geläut in die Stadt Jerusalem und die Sünde überwuchert die stolzen Muselblumen der Wege. Ich zerblättere die Sünde wo ich sie finde, die heimlichen Knospen des Christen, der mich einlud zu seinen Töchtern in den Garten. Die haben blaue Augen und gelbe Haare und sie sagen, der Schnee ist auch gelb. Und es wird schneien in ihrem Garten, denn Bäume mit kühlem Laub stehen darin: wie nennen doch die Schwestern die Blumen auf den Beeten? Es läutet wieder, immer wenn neue Kreuzfahrer durch das Tor in die Stadt ziehen. Schön sind die und groß, wie Türme aufgerichtet. Auf ihren Helmhauben steht das Kreuz. Ich trage, seitdem ich in Jerusalem im Garten des reichen Kaufmanns bin, das heilige Kriegskleid meiner Heimat, im Gürtel den Dolch, der ist gebogen und unentwendbar, wie die Mondsichel. Die Schwestern meinen, so sei es Sitte bei uns in der Stadt. Sie schwärmen für mich und bedauern, daß ich kein Prinz bin; streuen Vergißmeinnicht den Kreuzfahrern über den Pfad, die sehen die kleinen himmlischen Tropfen nicht; manchmal jedoch streifen ihre Blicke die Engelsgesichter mit tapferer Andacht. In Betten schlafen die beiden Blauäugigen in der Nacht und sie lachten über mich, als ich sie fragte, zu was die wären. Über ihren Betten schwebt ein Vergißmeinnichthimmel – – – unser Jenseits ist verschleiert. Wenn ich eine der Töchter des Christen wäre, ich schenkte dem Kreuzfahrer, der am Morgen durch das Tor in die Stadt zog, ein Bett aus atmendem Holz, wie ihre Haut so weiß, denn er fror in der milden Frühsonne. Ich drohe mir mit meiner blitzenden Sichel, seitdem er über den Zaun in den Garten blickte, und mähe das süße Gegold meines Herzens. Seinen Namen weiß ich zu nennen, die Schwestern lasen ihn im Kirchenbuch über seiner Schulter hinweg – getürmt und steil ist seine Schrift – ich folge den Ungläubigen in die Kirche. Seitdem dämpfen Wölbungen der Moscheen meine aufgerichteten Träume. Es sind nun zehntausend Christen in Jerusalem, wollen die Sünde ausrotten – – es kann nicht soviel wachsen. Und Kreuze sticken des Kaufmanns Töchter auf zarten Liebesbändern, die keimen auf, wie die glatten Wege der Heimlichkeit. Aber die Kreuzfahrer küssen der Engelhände Kreuzarbeit mit siegreichem Lächeln. Ihn sehe ich nie unter den Beschenkten; sucht er doch meinen Mund im Frühstern. Das heilige Kriegskleid meiner Heimat trägt nun mein Vetter Ichneumon von Üsküb, aber seine Arme zittern vor Liebe und können sich nicht gegen den Feind halten. Sein ganzes Heer rauscht, wie ein Herz, wie mein Herz und sie alle sind geliefert den Christenhunden. Ich liege unter dem Himmel der beiden Schwestern, ich habe die asiatische Distel; Stacheln sitzen in meinen Gliedern, und die unbarmherzigste bohrt sich in mein Herz. Engel, zwei – – sehen blau über mein Angesicht und kämpfen mit der Taube Mohammeds, die will meinen Schleier zerpflücken. Ich mag aber die Engelguten nicht leiden, weil sie Christinnen sind. Und steige doch in der Nacht heimlich über den Zaun des Gartens in das Kirchenschiff. Dort auf dem Balkon sitzt der Ritter und spielt die Orgel, im langen, feierlichen Hemd, Choräle, Totenbalsam dringt aus den sterbenden Tönen. »Ritter, die Könige von Sinai ließen Klageweiber für ihre Toten heulen und zu den Freudenfesten ihrer Harfen färbten sich die Lippen der Greise rot und ungeborene Knaben pochten an leibgoldene Tore. Als ich vor dem Kirchenaltar anhub nach deinem Choral zu tanzen, sank mein Leib ein: grämige Mondscheibe, der eben noch der spielendste Stern war inmitten der Sterne«. Da fiel Schnee auf die Wangen des Ritters und ich sah, daß der Schnee weiß war, nicht der Schwestern Haarfarbe gleich. Stehn immer am Zaun mit ihren gefärbten Schneehaaren und bescheren die Kreuzfahrer mit süßer Frömmigkeit. Und sie möchten ihnen ein Bett bereiten aus atmendem Holz, wie ihre Haut geglättet. Du aber, Ritter, sollst auf einem tanzenden Stern schlafen in der Nacht! Und ich kletterte mühsam über den Zaun des Gartens, aus meinem Zeh wächst ein kleiner Distelstrauch. Und der Krieg wütet in Bagdad. Die Wüste ist unserer Krieger Schild. Aber mein Vetter verliert jede Schlacht. Eine Abtrünnige ist das heilige Gewand der Stadt, sein Kriegskleid dem Feinde zugetan. Ich werde halbgenesen in meine Heimat getragen, Bagdad des heiligen Kleides wegen Rede zu stehen. Mein Vater hält meine beiden Hände umschmeichelt, ihre Finger sind wie müde Strahlen. Aber Kriegslust blendet meine Augen. Ichneumon von Üsküb steht schon vor unserem Palast. Ich ziehe den letzten Distelsplitter aus meinem Zeh – – abbarebbi, lachajare, lachajare! Begeisterte Kriegsmusik trägt mich auf ihren Schultern durch die Straßen. Ich schlage die Christenhunde noch in derselben Nacht. Mein Vater hütet meinen Mut und meine Tapferkeit, wie zwei Enkelkinder. Nie zog eine Prinzessin von Bagdad in die Schlacht. Nur der Vetter läßt seine schnüffelnde Lippe hängen: er habe sich im Zitronenwald aufgehangen und konnte nur morgens den Baum nicht wiederfinden. Wenn der Mond rund ist, wollen wir nach Jerusalem. Aber die hohen Krieger im Kriegsgebäude sind nicht einverstanden mit den Aufzeichnungen meiner Feldpläne. Ihre Sinne verwirren sich auf der Tafel; doch der Großwesir belehrt sie: Allah’s Geist sei über mich gekommen. – Manchmal fühle ich, meine Blicke sind blau und fliehen meines Vaters Angesicht. In meinem Auge steht der junge Kaiser Conradin in der Helmhaube und dem Kreuz. Aber mein Vater prüft täglich meine Ausrüstung und die Fußgelenke meines Dromedars: alt ist er geworden. Ismael Hamed, der Sohn des Großwesirs, wird ihm in der Zeit, wo wir die Eindringlinge der Hauptstadt vertreiben werden, Gesellschaft leisten. Der versteht seine Sonderlichkeiten zu verzärteln. Und mein Vater wünscht, daß ich vor der großen Schlacht mit Ismael Hamed Hochzeit feiere. Ich erkläre aber meinem ehrwürdigen Pascha, die Mumien im Gewölbe seines jungen Freundes entsprächen nicht der Zahl, die einer Prinzessin von Bagdad zukämen. Meine Dienerin hatte einen Traum, ich saß hochzeitlich gekleidet in der Prachtsänfte Ismael-Hamed-Mordercheis, Ismael Hamed sein Sohn lag im Gewölbe. Der Großwesir wüßte schon meine ringende Seele um die Schulter zu tragen, aber meine Küsse schließen sich vor Spätsommerlichem. Er beschenkt mich mit den eigenartigsten Geschenken: Einen Ring, in seinem Stein spiegelt sich der Sinai und Ohrgeschmeide, in ihrem Gehang läutet eine winzige Uhr alle zwei Stunden zum Gebet. Und zwei Albinoneger, die mich in den Krieg begleiten sollen, daß mich die Schwermut nicht befalle. Immer, wenn mich die vier weißäugigen Augäpfel mit den roten Punkten anglotzen, lache ich, daß meines Dromedars Buckel wackelt. Abbarebbi, abbarebbi, lachajare! Mein Träger setzt mit mir über die weitesten Schluchten, trabt dem Heere voraus über frühbeschienene, üppige Pfade, über Lippen rotentlang. Schon sehen wir die Tore der Stadt. Meine Krieger fallen zur Erde und murmeln Sprüche des Korans. O, wie ich den schlichten Turm des Kreuzes hasse! Die frommen Muselmänner aus Mekka und Medina, die Leute aus Jemen, aus Tyrus, Beduinen, die Bewohner von Ninive und den anderen Eufratländern, die Egypter, die Philister, die Edomiter, Amoniter, Hethiter, die Stämme der Juden: Chaldäer, Saduccäer, Judäer, die Urenkel Davids, die Söhne der Leviten und ihre Väter, die hohen Jehovapriester, Talmudgelehrte aus Damaskus stehen auf mit mir wider das Christentum. Ich blicke über mein stolzes Heer, abbarebbi, lachajare – – – – – auch Ismael-Hamed-Morderchei folgt meinem Zuge – – – Lachajare!

Die beiden Töchter des reichen Kaufmanns werfen sich vor die Füße meines Dromedars, beschwören mich um Christi willen. Ihre Vergißmeinnichthimmel bluten, wie die Wunden der Ritter. Hinter den Hügeln der Stadt kam es zum Kampf. Wir drangen in die lästigen Kirchen der Ungläubigen ein. Ich und meine Krieger zerschmetterten die Altare und Heiligtümer; oben auf des Turmes Kreuz spießte Ichneumon von Üsküb den Knappen des jungen Kaisers auf. Ließ dem Vetter zur Strafe für seine Grausamkeit den Turban nehmen. Ich träume des Nachts verborgen hinter der Wimper des Ritters; ich hörte ihn Choräle spielen in der Zeit seines Gottes Häuser starben, stand unermüdlich mit dem Rücken an der kleinen Pforte des Balkons gelehnt, hinter der er im langen feierlichen Hemde saß. Ich küßte ihm die Kniee, ich die Prinzessin von Bagdad – – – blutige Zeichen hinterließen meine Küsse. Ich muß so sanft weinen, ich, Allah’s Kriegerin; auf toten Worten legte ich meine Hand zum Schwur. Ismael-Hamed-Morderchei tritt in mein prunkendes Zelt, er ist europäisch gekleidet wie die Herren des fremden Amtes unserer Stadt; streicht er über die erwägende Stirn, tritt eine höfliche Erkühlung zwischen ihm und dem Sprecher ein. Sein Bart ist keine Wolke, wie der meines Vaters; durch den Scheitel seines Kinnhaars leuchten Steine aus Edeltrunk. Mit wohlgepflegter Gebärde nimmt er aus meiner Hand das Schreiben des jungen Kaisers Conradin entgegen, der um Frieden bittet. Seine beiden Abgesandten halten sich staunend umschlungen. Sie glauben, ich bin aus Tausend und einer Nacht. Den Großwesir ergötzt es, ihre Vorstellungen zu bestärken. Auf das Gefunkel meiner Stirne weist er, auf meine Hände, die Bilder des Mondes sind, nichtsdestoweniger den Speer zu werfen verstehen. Mich überrascht sein Spott, mit dem er das königliche Schreiben durchfliegt, ich kann es nicht glauben, daß die hellockigen Boten von meinem Vetter bestochen sind, aber der Großwesir liefert sie nach abendländischer Sitte wieder dem feindlichen Heere aus. Vielleicht sind sie am Abend schon tot. Ichneumon von Üsküb meldet sich krank. Des Feindes Schwert zerspaltete an seinem eigensinnigen Gesäß; aber ich höre durch das Schreien des vergossenen Blutes seine Lockrufe und ich vermisse meine glotzäugigen Scheusäler; die lieben ihn, er läßt sie zur Belustigung wie zwei Hunde über seinen Arm springen. Er weiß, ohne sie kann ich das Herz des Kaisers nicht durchbohren. Der naht in der vordersten Reihe des Feindes. Das heilige Kriegskleid umhüllt mich, wie eine erstickende Sonne, meine Arme beginnen zu vertrocknen, und mein Atem qualmt in die Augen meiner Krieger .... Wie nie Dagewesenes öffnet sich mein Angesicht über späte Tanzleiber und Tempel. Meine beiden Neger trillern ihren gellenden Kriegsschrei, immer wenn mein Speer die Brust eines Ritters durchbohrt. Der Großwesir treibt die Spaßmacher vor meinem Dromedar her, sie schlagen mit ihren Zähnen harte betäubende Musik, und tanzen dazu: Abbarebbi, abbarebbi, abbarebbi, abbarebbi, lachajare! Hu hu u u u u u u u u

Als Conradin der junge Ritter und Kaiser begraben war, kam seine Mutter zur Pilgerfahrt nach Jerusalem, und wie sie meinen Negern begegnete, lachte sie über die Unnatur. Ich küßte ihr Gewand – – abbarebbi, lachajare, lachajare ......... abbarebbi!!

[Aquarelle von Franz Marc:]

Der Prinz von Theben
Der Prinz von Theben
Der Prinz von Theben
[(»Dieses heilige Kälbchen wurde am Tage der Tronbesteigung des Königs Jussuf im Garten des Palastes schlafend gefunden.«)]

Inhalt

Der Scheik [S. 7–14]

Der Amokläufer [S. 15–23]

Der Derwisch [S. 25–32]

Ein Brief meiner Base Schalôme [S. 33–37]

Der Fakir [S. 39–47]

Das Buch der drei Abigails [S. 49–75]

Abigail I. [S. 51–56]

Abigail II. [S. 57–66]

Abigail III. [S. 67–75]

Singa die Mutter des toten Melechs Abigail III. [S. 77–81]

Eine Begebenheit aus dem Leben Abigail des Liebenden [S. 83–85]

Der Kreuzfahrer [S. 87–98]