www.kj-skrodzki.de

Copyright © 2003–2024 by Karl Jürgen Skrodzki, Lohmar

Dr. Karl Jürgen Skrodzki, Am alten Sägewerk 5a, 53797 Lohmar, Deutschland

Tel.: +49 2241 942981

E-Mail: web (bei) kj-skrodzki.de

Else Lasker-Schüler und Karl Kraus

Aktualisiert: 5. September 2024

INHALTSÜBERSICHT

Briefe und Dokumente 1909–1942 [*]

Nachwort [*]

Zur Textgestalt [*]

Siglen [*]

Literatur [*]

Namenregister [*]

Verzeichnis der Briefe und Dokumente [*]

Else Lasker-Schüler und Karl Kraus

Briefe und Dokumente 1909–1942

[1] Herwarth Walden, Rudolf Blümner und Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Mittwoch, 28. Juli 1909

Herrn

Karl Kraus

Wien IV

Schwindgasse 3

28 Juli

Lieber Herr Kraus.

Soeben wieder in Berlin angekommen. Manuscript ist eingetroffen. Kann Ihnen den angekündigten Brief erst morgen schreiben, da ich ziemlich abgespannt bin. Die neue »Fackel« ist sehr gut. – Haben Sie die Nummer an das Tageblatt und Bie gesandt?

Herzlichst Ihr

Herwarth Walden

[von Rudolf Blümner:]

Ergebensten Gruß DrBlümner

[von Else Lasker-Schüler:]

Herzliche Grüße Else Lasker-Schüler.

Anmerkungen

H (Postkarte ›Das Theater. Schriftleitung: Herwarth Walden‹ mit vorgedrucktem Absender: ›Berlin Halensee. Katharinenstrasse 5‹): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 147727). Poststempel: Berlin, 28. 7. 09. D: Feinde in Scharen, S. 26.

Die neue »Fackel« • Jg. 11, Nr. 285/286 vom 27. Juli 1909. Das Heft enthält von Karl Kraus den Essay ›Die chinesische Mauer‹ (S. 1–16). – Tageblatt • ›Berliner Tageblatt‹. – Bie • Oskar Bie (1864–1938), Kunst- und Musikhistoriker, 1894–1922 Redakteur der im Verlag S. Fischer erscheinenden Zeitschrift ›Die neue Rundschau‹ (bis 1903: ›Neue deutsche Rundschau‹).

[2] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Dienstag, 17. August 1909

Lieber Herzog [über dem H eine Krone] von Wien.

Wenn man so an der See sitzt und ein Kästchen bekommt, daß ist wunderschön, doch manche Kästchen sollte man lieber nicht aufmachen – aber ich lege eine Muschel zu den Gedichten die wie ein Käfer aussieht und einige durchsichtige Steine aus den Schätzen die ich noch von Bagdad mitgenommen habe. Sie wissen doch, Herr Herzog, meine Paläste sind eingefallen, meine Dromedarheerden verhungert, meinen Tauben hat man die Corallen ausgestochen. Vielleicht bin ich deshalb oft so traurig, vielleicht – genau weiß ich es nicht. Aber ich bin doch noch sehr reich an Muscheln und bunten Gläsern, Achad, Malachit, Lapis; den Goldstein hätte ich fast vergessen, davon besitze ich ein Säckchen voll. Ob man mit grünen, lila und blauen Steinen spielt oder ob man dichtet, das ist ganz dasselbe man hat dasselbe Glücksgefühl denn bunter kann man die Welt auch nicht durch den Rausch als durch die Gläser sehn. In Bagdad liegen abends alle Mädchen und Knaben auf den Dächern und spielen das was in meinen Gedichten steht, sie glauben ich bin verschollen. Doch ich werde mich nicht wundern wenn der Herzog von Wien meine Verse verschmäht denn wenn der Herzog von Wien sie den Lesern schenkt, muß er mehr an die Leser als an die Gedichte denken. Ich dichte immer und wenn mir ein Dichter gegenüber sitzt, wird unser Sprechen ein Melodie. Am liebsten sind mir die Harfen, ich denke dann an den großen, heiligen Fluß und vor der Posaune fallen die Thore meines [Herz] Als ich meine arabischen Dichtungen niederschrieb auf Tafeln, dröhnten alle Posaunen – vielleicht wissen Sie, Herr Herzog, Ached Bey der Kalif war mein Großoheim. Und mein Sohn Pull Pascha heißt nach seinem Erzgroßvater: Bûlus [der Akzent als ausgefülltes Dreieck] Mohamed Hassan der war Khedive in Egypten.

Ich habe immer nur von mir gesprochen und nicht von Ihnen, Herr Herzog, aber Sie sehen Sich ja nun Selbst in dem großen Wasser.

[zehn Sterne] Tino [zehn Sterne]

17. August 1909 Dienstag.

Halensee-Berlin. Katharinenstr. 5.

(Garten hochpt.)

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157921). D: KA, Bd. 6, S. 94 f.

an der See sitzt • Karl Kraus hielt sich damals in Scheveningen auf und hatte seine Anreise am 10. August 1909 in Berlin unterbrochen. Vgl. Feinde in Scharen, S. 29 (Telegramm an Herwarth Walden vom 9. August 1909). – zu den Gedichten • Von Else Lasker-Schüler erschienen in der ›Fackel‹ vom 11. Oktober 1909 (s. [5]) die beiden Gedichte ›Siehst du mich –‹ und ›Und suche Gott‹. – die Corallen ausgestochen • Die achte Strophe des Gedichts ›Heimweh‹ (s. [12]) lautet: »Meinen schillernden Vögeln / Sind die Korallen ausgestochen«. – Harfen • Ein von Else Lasker-Schüler häufig gebrauchtes Bild für die hebräischen Schriftzeichen. – vor der Posaune fallen die Thore • Kriegsgeschrei und der Schall von Widderhörnern zerstören die Stadtmauer von Jericho. Vgl. Josua 6,1–21. – auf Tafeln • Auf Tafeln empfängt Mose am Berg Sinai von Gott die Gesetze des Volkes Israel. Vgl. 2. Mose (Exodus) 31,18. – Ached Bey der Kalif • 1907 war in ›Die Nächte Tino von Bagdads‹ die Erzählung ›Ached Bey‹ (S. 18–22; KA, Bd. 3.1, S. 72–74) erschienen. – mein Sohn Pull Pascha • Paul Lasker-Schüler (1899–1927). – Bûlus • Bulus ist die arabische Form des Namens Paul. – Khedive in Egypten • ›Der Khedive‹: Titel einer Erzählung in ›Die Nächte Tino von Bagdads‹ (S. 32–36; KA, Bd. 3.1, S. 78 f.).

[3] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Donnerstag, 19. August 1909

Lieber Herzog von Wien [über dem W ein Stern]

Als Sie meine Gedichte lasen, stand ein Stern auf über Wien, aber hier wird es immer dunkel bleiben denn der Himmel dieser fremden Stadt ist von Stein. Und ich danke Ihnen, lieber Herzog, daß Sie zwei von meinen Gedichten aufnehmen wollen und ich wäre Ihnen dankbar wenn Sie mir die Vornamen dieser Gedichte nennen würden auf inl. Karte, daß ich es der Schaubühne schreiben kann, die sich sicherlich freuen wird denn ihr Herr scheint meine Verse zu mögen. Als ich Ihre Depesche bekam, Herr Herzog, war es Nacht, [über dem N ein Kreis] ganz finster nur eine Kerze stand auf meinem Tisch, die opferte sich mir, indes ich an das schäbige Leben hier dachte. Ich liebe die Nacht [über dem N eine waagerechte Mondsichel mit einem Stern] sie ist eine Königin manchmal ist auch die Nacht eine Heilige und man sollte in die Tempel gehen. Die Tempel in Bagdad riechen alle nach dem schillernden Fluß, sein Wasser dichtet immer. [zwei Palmen, rechteckiges Gebäude] Ich bin wahnsinnig traurig, Herr Herzog, ich kann die Sprache dieses fremden Landes nicht, ich kann nicht seinen Schritt gehn auch die Wolken die vorbeiziehen kann ich nicht deuten. Lieber Herr Herzog!

Tino von Bagdad

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157923). Datum von Helene Kann: »19. VIII. 09«. D: KA, Bd. 6, S. 96 f.

zwei von meinen Gedichten • Die beiden Gedichte ›Siehst du mich –‹ und ›Und suche Gott‹, die am 11. Oktober 1909 in der ›Fackel‹ (s. [5]) erschienen. – ihr Herr • Siegfried Jacobsohn (1881–1926), der am 14. Oktober 1909 in der ›Schaubühne‹ Else Lasker-Schülers Gedicht ›Ein Liebeslied‹ (»Aus goldenem Odem«) (Jg. 5, Bd. 2, Nr. 42, S. 394; KA, Bd. 1.1, S. 115 f.) abdruckte. – eine Königin • Der sechste Vers des Gedichts ›Heimweh‹ (s. [12]) lautet: »Die Nacht ist eine Stiefkönigin.« – ich kann die Sprache • Nach den Eingangsversen des Gedichts ›Heimweh‹: »Ich kann die Sprache / Dieses kühlen Landes nicht / Und seinen Schritt nicht gehn. // Auch die Wolken, die vorbeiziehn, / Weiß ich nicht zu deuten.«

[4] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Sonntag, 22. August 1909

Herzog [über dem H eine Krone] von Wien,

sehr lieber Dichter.

Vielleicht war es der Regen oder gar der Sand des Meeres, der auf dem Couvert die Bleistiftschrift auslöschte. Ich schrieb: daß ich gerade Ihren Brief bekommen hätte, im Begriff den meinen in den Kasten zu werfen. Eine andere Geschichte wäre es, Sie hätten meinen Brief nicht bekommen darin ich Ihnen vielmals für alles danke? Sie sind ein guter Herzog und die Leute in Wien können sich freuen.

[Palme]

Aber daß ich das auf einen halben Bogen schreibe, kommt davon, ich habe keinen ganzen mehr und Abend [im A ein Stern] ist es und Sonntag. Und zwei Essay entstanden schon acht Seiten lang und breit – ich schreibe wieder für Tageszeitungen – Bûlus [der Akzent als ausgefülltes Dreieck] Mohamed Hassan will alles von mir gekauft haben was ihm gefällt und ich muß mich schon seinen Neigungen fügen, er wird Pascha; auch hat er schon den Elephantenorden mit dem Rubin und die zweireihige, junge Krokodilzahnkette (für seine Jungend ein Ereigniß.) Bisjetzt kann er nur auf dem Esel reiten und ich kann mir wohl denken, daß das Reiten auch Ihnen Freude verschafft; wenn man sein Herz rauschen hört, das übertönt alle Meere. Ich habe in der Wüste mit den Beduinen manchen Hengst geraubt – und ich würde Ihnen gerne einen schenken. Die arabischen Schimmel sind tanzende Vögel, verzauberte Prinzen, wiehernde Märchen. Ich muß ganz laut weinen, ich glaube Sie hören das, ich möchte nämlich wieder das Rauschen meines [Herz (Inschrift:) »Raub«] hören, das hört man ja nur wenn es vor Freude springt, ich möchte wieder in die Wüste zu den Königen die auf Raub ausgehn. Waren Sie schon auf einer Straußenjagd? Die müssen die Tiere mal laufen sehn und wenn die Sonne ihnen noch nacheilt, sehen sie aus wie Goldwolken auf der Erde. Sie glauben mirs doch wenn ich Ihnen sage, daß ich 25 Sträuße, in Bagdad besaß, ich schwöre es Ihnen, daß ich Ihnen die volle Wahrheit sage. Nun bin ich ja auch nicht gerade ganz arm – ich habe den Ring den Joseph von Egypten trug als er sich seinen Brüdern zu erkennen gab. Wenn Sie wieder nach dieser fremden, kühlen Stadt aus Ziegelstein kommen, werde ich Ihnen alles zeigen. Den Ring Josephs werden Sie Sich lange ansehn, in jedem Stein sieht man die Welt tot und lebendig, er hat so viele Steine wie die mageren und fetten Kühe zusammen. zählen. In Bagdad sagte mir mal ein Zauberin, ich hätte viele Tausendjahre als Mumie im Gewölbe gelegen und sei nicht mehr und nicht weniger als Joseph, der auf arabisch Jussuf heißt. Ich meine ja auch es wandeln sich die Lebenden mit den Toten, nur daß Könige und Prinzessinnen sich mit ihresgleichen wandeln und kennen Sie Jemand der vornehmer war wie Joseph von Egypten, Jakobs und Rahels Sohn den man in die Grube warf – immer trug er den lammblutenden Rock. Sie werden Sich seinen Ring lange ansehn und von ihm einen [Mondgesicht mit geschlossenen Augen, Wolken] träumen. Ich bin gerade so traurig wie Joseph von Egypten, lieber Herzog.

Tino

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157924). Datum von Helene Kann: »24. VIII. 09«. D: KA, Bd. 6, S. 98–100.

Das von Helene Kann vermutlich nach dem Poststempel des (nicht mehr erhaltenen) Kuverts eingetragene Datum des 24. August 1909 wurde nach der Angabe des Wochentags (»Sonntag«) geändert: Else Lasker-Schüler dürfte den Brief am 22. August geschrieben und zwei Tage später abgeschickt haben. – Sand des Meeres • Karl Kraus hielt sich damals in Scheveningen auf. – für alles danke • Für die Aufnahme der beiden Gedichte ›Siehst du mich –‹ und ›Und suche Gott‹ in die ›Fackel‹ (s. [5]). – zwei Essay • Im 2. Septemberheft von ›Das Theater‹ erschien ›Emmy Destinn‹ (Jg. 1, H. 2, S. 33 f.), im 2. Oktoberheft ›Im Zirkus Busch‹ (Jg. 1, H. 4, S. 88; KA, Bd. 3.1, S. 119). ›Emmy Destinn‹ war zuvor in ›Kampf. Zeitschrift für – gesunden Menschenverstand‹ (N. F., Nr. 5 vom 5. März 1904, S. 148–151; KA, Bd. 3.1, S. 14–17) veröffentlicht worden. – Bûlus • Paul Lasker-Schüler (1899–1927). Bulus ist die arabische Form des Namens Paul. – Krokodilzahnkette • Anspielung auf die Erzählung ›Plumm Pascha‹, die 1907 in ›Die Nächte Tino von Bagdads‹ (S. 14–17; KA, Bd. 3.1, S. 71 f.) erschienen war: »Als Plumm Pascha nach Bagdad kam, sah er meinen Sohn Pull im Vorhof des Palastes auf einem weissen Elefanten reiten und hinter ihm seine Gespielen, immer längs der Mauer-Mosaik, immer rund über die grünen und blauen Steine des Vorhofs. […] Mein Sohn legte ihm huldvoll seine Kette aus jungen Krokodilzähnen um den Hals, liess sich von dem lächelnden Fürsten aus dem Sattel heben, der ihm auf beide Wangen küsste.« – Rauschen • Der erste Vers des Gedichts ›Und suche Gott‹ (s. [5]) lautet: »Ich habe immer vor dem Rauschen meines Herzens gelegen«. – Die müssen • Versehentlich statt »Sie müssen«. – Ring den Joseph von Egypten trug • Vgl. 1. Mose (Genesis) 41,42. – die mageren und fetten Kühe • Vgl. 1. Mose (Genesis) 41,1–4. – den lammblutenden Rock • Vgl. 1. Mose (Genesis) 37,31.

[5] Else Lasker-Schüler, Gedichte (›Siehst du mich –‹, ›Und suche Gott‹)

Gedichte

Siehst du mich –

Zwischen Erde und Himmel?

Nie ging einer über meinem Pfad

Aber dein Antlitz wärmt meine Welt

Von dir geht alles Blühen aus.

Wenn du mich ansiehst,

Wird mein Herz süß.

Ich liege unter deinem Lächeln

Und lerne Tag und Nacht bereiten

Dich hinzaubern und vergehen lassen,

Immer spiele ich das eine Spiel.

Und suche Gott

Ich habe immer vor dem Rauschen meines Herzens gelegen

Und nie den Morgen gesehen

Nie Gott gesucht.

Nun aber wandele ich um meines Kindes

Goldgedichtete Glieder

Und suche Gott.

Ich bin müde vom Schlummer

Weiß nur vom Antlitz der Nacht.

Ich fürchte mich vor der Frühe

Sie hat ein Gesicht

Wie die Menschen, die fragen.

Ich habe immer vor dem Rauschen

Meines Herzens gelegen

Nun aber taste ich um meines Kindes

Gottgelichtete Glieder.

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 11, Nr. 288 vom 11. Oktober 1909, S. 13 (KA, Bd. 1.1, S. 114 f.).

Druckvorlage für die Veröffentlichung in der ›Fackel‹: H (›Siehst du mich –‹): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158178).

[6] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, etwa Anfang November 1909

Lieber Herzog von Wien.

Wir freuen uns Alle, daß Sie kommen, wir werden ein himmelblaues Getränk brauen. Danach können wir jubeln.

Lieber Herzog von Wien, ich habe einen großen Wunsch den Sie mir erfüllen müssen. Herwarth weiß gar nicht, wie ihm der Richterspruch auf Seiten Nissen schadet. Sie kennen doch die Menschen – ich merke es fortwährend. Es tut mir so leid noch viel trauriger ist es so, da Herwarth es eben nicht merkt. Er ist viel zu arglos, ein Oberprimaner in Ehrensachen – wenn die recht haben trifft sie keine Spitze. Wenn gerade Jemand unendliches Mitgefühl für Herwarth hat, bin ich es – er hat sich zu jung in Sorgen gestürzt – es ist und war keine Kleinigkeit für ihn. Ich glaube wenn Herwarth raffinierter gewesen wäre, psychologischer, er hätte heute noch den neuen Weg. Ich kenne Nissen schon von Hörensagen; Herwarth kann nicht schmeicheln – geradeheraus – gesagt. Auch vermute ich eine mater. Privatsache dahinter. Wenn es toll wird, muß ich mich mit einigen Soldaten meiner Künstlerfreundschaft zusammen tun und hauen. Mir wäre es eine Erlösung. Ich weiß keinen Unterschied zwischen Bourgeois und diesen Leuten, letztere haben nur glorreichere Köpfe und verwegenere Stimmritzen. Ich sehne mich nach diesem Bauernkrieg wenn wir mit vergifteten Pfeilen schießen. Lieber Herzog von Wien allerfrömmester Satan, ich streichle Ihre kühle, steingewordene Hand, sie liegt vor mir auf dem Schreibtisch, der Herwarth gehört – ich will nichts mehr haben, bald zieh ich auch noch meine letzte Haut, meine kleinste Augenwimper aus. Ich grüße Sie mit allen Marsen und anderen [Sternenregen] und schenke Ihnen die Erde.

Tino Prinzessin von Bagdad

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158144). D: KA, Bd. 6, S. 110.

Der Brief dürfte einige Tage vor dem Vortrag von Adolf Loos (1870–1933) am 11. November 1909 in Berlin geschrieben sein. – daß Sie kommen • Zum Vortrag von Adolf Loos am 11. November 1909 im von Herwarth Walden gegründeten ›Verein für Kunst‹. In einer Nachschrift zum Brief von Karl Kraus an Herwarth Walden vom 18. September 1909 teilt Adolf Loos mit: »Lieber Herr Walden, ich danke für Ihre Karte und hoffe in den nächsten Tagen den Titel für meinen Vortrag einsenden zu können. Bisher habe ich: ›Kritik der sogenannten angewandten Kunst‹. Wenn Sie nichts gegen diesen Bandwurm haben, so kann es so bleiben. Der Titel muss nämlich so sein, dass die angewandten Künstler reinkommen.« (Feinde in Scharen, S. 62.) Die Veranstaltung fand unter dem Titel ›Kritik der angewandten Kunst‹ statt. Vgl. h. f., Adolf Loos, in: Berliner Tageblatt, Jg. 38, Nr. 578 (Morgen-Ausgabe) vom 13. November 1909. Der polemische Kommentar im ›Berliner Tageblatt‹ schließt mit den Worten: »Zwei Dutzend Zuhörer folgten diesen seltsamen, ein wenig im Tone des Ausrufers vorgetragenen Bemerkungen mit wachsendem Erstaunen und schließlich auch mit lautem Protest.« Der (mutmaßlich überarbeitete) Vortrag erschien dann 1929 als Zeitungsbeitrag mit dem Titel ›Ornament und Verbrechen‹. In einer Vorbemerkung zum Abdruck im ›Prager Tagblatt‹ vom 10. November 1929 (Jg. 54, Nr. 263, [Beilage:] Der Sonntag, S. IV) heißt es: »Dieser Artikel des Wiener Architekten, 1908 geschrieben, damals in München von Kunstgewerblern zu Krawallen benützt, in Berlin als Vortrag begeistert aufgenommen, ist niemals gedruckt in deutscher Sprache erschienen. Der Titel ›Ornament und Verbrechen‹ ist als Schlagwort vielen in Erinnerung geblieben, auch solchen, die niemals gewußt haben, woher er stammt. Der Artikel erschien in allen Kultursprachen, amüsanterweise auch im Hebräischen und Japanischen. Nur in der deutschen nicht. Wir sind dankbar, daß er uns zur Verfügung gestellt wird. Er beweist den Heutigen, daß Adolf Loos zur Zeit des blühenden Jugendstils vielleicht als einziger völlig darüber im klaren war, was modern ist.« ›Ornament und Verbrechen‹ ist auch abgedruckt in: Adolf Loos, Sämtliche Schriften in zwei Bänden, hg. von Franz Glück, Bd. 1, Wien und München: Verlag Herold, 1962, S. 276–288. Erneut sprach Adolf Loos im ›Verein für Kunst‹ am 3. März 1910 (vgl. zu [20]). – Am 4. November 1909 hatte Karl Kraus an Herwarth Walden geschrieben: »Den Tag meiner Ankunft kann ich noch nicht angeben.« (Feinde in Scharen, S. 88.) – Richterspruch auf Seiten Nissen • Herwarth Walden redigierte in den Monaten Januar und Februar 1909 die Zeitschrift ›Der neue Weg‹, das Organ der ›Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger‹. Unter seiner Schriftleitung erschienen in den beiden Monaten drei Hefte. Am 14. Februar 1909 teilte Hermann Nissen (1853–1914), der Präsident der Genossenschaft, Walden mit, dass er entlassen sei. Am 8. April 1909 fand eine nicht öffentliche Deligiertenversammlung der Genossenschaft statt, bei der sich Nissen ehrenrührig über Walden geäußert haben soll, woraufhin dieser eine Beleidigungsklage gegen Nissen anstrengte. Diese wies das Gericht in zwei Instanzen am 16. Oktober und am 30. November 1909 ab. Karl Kraus veröffentlichte in der ›Fackel‹ vom 11. November 1909 den Artikel ›Berechtigte Interessen‹ (Jg. 11, Nr. 290, S. 24–29), in dem er zwei Stellungnahmen Rudolf Blümners (1873–1945) und Herwarth Waldens abdruckte, und am 17. Dezember 1909 den Beitrag ›Rhabarber‹ (Jg. 11, Nr. 292, S. 16–32), in dem er nochmals für Walden Partei ergreift. Das Verfahren zog sich noch bis Anfang 1911 hin. Am 17. Januar 1911 schreibt Herwarth Walden an Karl Kraus: »Prozeß durch Vergleich beendet! Nissen erklärt, er habe nie ehrenrührige Dinge über mich behauptet und dazu keine Veranlassung gehabt. Blümner und ich nehmen die beleidigenden Äußerungen in der Fackel 290 zurück.« (Feinde in Scharen, S. 291.) – Ihre kühle, steingewordene Hand • Karl Kraus hatte von einer Hand einen Gipsabdruck anfertigen lassen und diesen in der ersten Oktoberhälfte 1909 an Herwarth Walden als Geschenk geschickt. Am 12. Oktober 1909 schreibt Herwarth Walden an Karl Kraus: »Vielen vielen herzlichen Dank für Ihre Hand. Sie haben mir eine große Freude bereitet.« (Feinde in Scharen, S. 77.) Else Lasker-Schüler erwähnt den Gipsabdruck auch in den ›Briefen nach Norwegen‹ (s. [79]).

[7] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Mittwoch, 8. Dezember 1909

Lieber Herzog von Wien.

Ich habe Dr. Blümner woanders untergebracht, er liegt nun im Fach auf einer Redaktion und harrt der Druckerschwärze. In dieser Theaternummer kommt der Essay über »Loos«. Er sollte eigentlich gar keinen Vornamen haben und ich wunderte mich überhaupt, daß er eine Frau habe, die wird ja außer sich werden über diese Urwalddichtung. Aber das schadet nichts [siebzehn Kreuze bis zum Zeilenrand] Mir geht es sehr schlecht, ich weiß nicht mich zu finden, ich habe die Seite, meine Bibelseite verloren – ob ich nun Jussuf oder der Mann im Feuerofen bin, ja das kann ich nicht sagen. Abends sitze ich meist im Café da ist Ruhe, da drehen sich gleichgestimmt mit der ruhigen Freude alle [sieben Herzen] große und kleine, manchmal verlieben wir uns auch Auge an Auge um auszuruhen. Schade immer wenn der Tag kommt oder Jemand auf seine ausgelöste Uhr sieht – schrecklich unkünstlerisch, die Zeit muß sich totlachen.

Aber dankbar, bin ich Ihnen lieber Herzog von Wien, für alles Gute an uns; ich hatte Mühsam seinen Stock abgenommen draußen und wollte Nissen verhauen, aber Mühsam sagte, das gebe 6 Monate und so müde bin ich nicht.

Am 14. spreche ich in der Finkenschaft hier, auch eine Geschichte darin Sie vorkommen – vielleicht sag ich das auch nur um Ihnen etwas schönes zu sagen. Lieber Herzog, ich grüße Sie und da Sie die Sterne so lieben, schenke ich Ihnen diese [fünfzehn Sterne]

[vier Sterne und ein stilisierter Schwan (?), dessen Auge, Flügel und Füße aus Sternen gebildet sind]

Tino von Bagdad.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157925). Datum von Helene Kann: »8. XII. 1909«. D: KA, Bd. 6, S. 116 f.

Dr. Blümner • ›Rudolf Blümner‹ wurde von Else Lasker-Schüler erst 1913 in ›Gesichte‹ (S. 99 f.; KA, Bd. 3.1, S. 289 f.) veröffentlicht. – Essay über »Loos« • ›Adolf Loos‹ erschien im 2. Dezemberheft von ›Das Theater‹ (Jg. 1, H. 8, S. 184; KA, Bd. 3.1, S. 123–125). In ›Gesichte‹ (1913) (S. 69–71) druckte Else Lasker-Schüler den Beitrag mit dem Titel ›Loos‹ ab. Im Brief an Herwarth Walden vom 20. Dezember 1909 merkt Karl Kraus zum Essay an: »Theater Nr. 8 erhalten. Erst ›Loos‹ gelesen. Sehr fein!« (Feinde in Scharen, S. 127.) – eine Frau • Adolf Loos war mit der englischen Tänzerin Elizabeth (Bessie) Bruce (1886–1921) liiert. – der Mann im Feuerofen • Vgl. Daniel 3,1–97. Dort wird berichtet, wie der babylonische König Nebukadnezar drei jüdische Männer in einen Feuerofen werfen lässt, die sich weigern, ein in seinem Namen geschaffenes Götterbild anzubeten. Als er sieht, dass die drei Männer unversehrt bleiben, erkennt er die Macht des jüdischen Gottes an. – Mühsam • Erich Mühsam (1878–1934), anarchistischer Schriftsteller. Über ihn schreibt Else Lasker-Schüler in ›Kabarett Nachtlicht – Wien‹, 1913 in ›Gesichte‹ (S. 154–157; KA, Bd. 3.1, S. 293–295) erschienen: »Erich Mühsam trägt gerade seine ›Amanda‹ vor. Er sieht noch lebenslässiger aus, wie in Berlin. Zwar sitzt sein Rock heute ohne Tadel, und seine Mähne, löwengelb, ist gepflegter wie an der Spree. Aber er bangt sich nach Ruhe […].« – Nissen • Hermann Nissen (vgl. zu [6]). – Geschichte darin Sie vorkommen • Der Essay ›Karl Kraus‹ (s. [24]), den Else Lasker-Schüler allerdings erst im März 1910 (s. [22]) abschloss.

[8] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, wahrscheinlich Sonntag, 19. Dezember 1909

Verehrter, Lieber Herzog von Wien.

Zu Deiner Salbung komme ich – Die Verteidigung ist das Schreiben eines Kaisers.

Tino

Anmerkungen

H (Postkarte): ?. D (nach: Briefe an Karl Kraus, S. 17 [mit dem Datum 9. Dezember 1909]): KA, Bd. 6, S. 122.

Die Postkarte wurde nach dem Erscheinen des Artikels ›Rhabarber‹ in der ›Fackel‹ vom 17. Dezember 1909 geschrieben und in ›Briefe an Karl Kraus‹ mit dem Datum des 9. Dezember gedruckt. Dieses dürfte auf einem unsauberen Poststempel beruhen: Wahrscheinlich ist, dass die Postkarte am 19. Dezember, unmittelbar nach der Lektüre der ›Fackel‹ vom 17. Dezember, geschrieben wurde. Am 20. Dezember dankt Karl Kraus abends Herwarth Walden für »den Brief Ihrer lieben Frau Tino (Kaiserkrönung)«, den er »soeben erhalte[n]« habe (Feinde in Scharen, S. 127). – Zu Deiner Salbung • Zur ersten Vorlesung von Karl Kraus, die am 13. Januar 1910 in Berlin im von Herwarth Walden gegründeten ›Verein für Kunst‹ stattfand. – Die Verteidigung • Der Artikel ›Rhabarber‹, der am 17. Dezember 1909 in der ›Fackel‹ (Jg. 11, Nr. 292, S. 16–32) erschienen war. Vgl. zu [6] (»Richterspruch auf Seiten Nissen«).

[9] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Mittwoch, 19. Januar 1910

Herzog, Natürlich nur nicht aus Freundschaft drucken. Viele Sternengrüße Tino von Bagdad. (Der Vers ist so besser zu trinken). Bitte die Königin heute Abend mitbringen ins Café des Westens. Ich komme als Indianer, bitte, bitte!!

Anmerkungen

H (Brief): ?. Auf der Rückseite eines Briefumschlags, adressiert an Karl Kraus in Berlin, Hotel Weißes Haus. D (nach: Briefe an Karl Kraus, S. 17): KA, Bd. 6, S. 132.

Der Ballbesuch, den Else Lasker-Schüler andeutet, fand am 19. Januar 1910 statt. – nur nicht aus Freundschaft drucken • Das der Schauspielerin Kete Parsenow (1880–1960) gewidmete Gedicht ›Die Königin‹ (s. [12]). Sie war Else Lasker-Schüler wie Karl Kraus freundschaftlich verbunden. Vgl. die ausführliche Dokumentation ›Du bist dunkel vor Gold‹ (2011) von Friedrich Pfäfflin. – als Indianer • Am 19. Januar 1910 schreibt Else Lasker-Schüler an Jethro Bithell (1878–1962): »[…] gleich gehe ich zum Indianerfest oder, Vögelfest, der Finkenschaft.« (KA, Bd. 6, S. 131.)

[10] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Berlin, Donnerstag, 20. Januar 1910

Herrn Karl Kraus

Hôtel weißes Haus

Krausenstraße

Berlin

Görlitzer Bahnhof auf der Reise nach Theben.

Lieber Herzog. Ich bin gar nicht beleidigt wie eine [Schreibfeder, am unteren Ende ein Ohr] (Schriftstellerin) wenn Sie mir das Gedicht zurücksenden, ich habe Gelegenheit es wo anders unterzubringen und Sie dürfen es nicht verantworten es zu drucken. Ich dichte ja für mich vor allen Dingen, lasse alles Gedichtete hart werden wie eine Erde wie ein Stern, der zur Erde wird. Dann nehme ich die Erde in meine Hand und spiele mit ihr Ball – nie pflanzte ich einen kosmischeren Baum wie die Bambusweide und gäben es tausend Bambüsse aus Zion, 10,000 Stöcke aus Rohr. Das Bild der Mond mit der Königin bekommt einen leise Bewegung. O, Herzog von Wien, alle die Jüngelchen rings herum sind 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 der Kunst, Aiwa lâ sïdi. Viel Glück zu Ihrem Vortrag. Sie sprechen Lawinen. Neuer Goethe. ich: David […] Sauls.

Wann kann ich Sie wegen Herwarths Geschick sprechen?

Anmerkungen

H (Postkarte): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158171). Poststempel: Berlin, 20. 1. 10. D: KA, Bd. 6, S. 133.

das Gedicht • Das Kete Parsenow gewidmete Gedicht ›Die Königin‹ (s. [12]). – die Bambusweide • Vgl. den Schluss des Gedichts ›Die Königin‹: »Immer wiegen dich / Die Bambusweiden.« – Das Bild der Mond mit der Königin • Der elfte Vers des Gedichts ›Die Königin‹ lautet: »Du stehst im Mond ....« – zu Ihrem Vortrag • Am 20. Januar 1910 fand – auf Einladung des ›Vereins für Kunst‹ – die dritte Vorlesung von Karl Kraus in Berlin statt. – David • Danach ein bis zwei Wörter nicht lesbar. – Herwarths Geschick • Herwarth Walden war als Redakteur der 1909 gegründeten Zeitschrift ›Das Theater‹ entlassen worden (s. [13]). Er hatte die Hefte 1 bis 10 redigiert, die in den Monaten September 1909 bis Januar 1910 erschienen waren und in denen Else Lasker-Schüler mit sieben Beiträgen vertreten ist: ›Emmy Destinn‹ (Jg. 1, H. 2 [1909, September II], S. 33 f.; KA, Bd. 3.1, S. 14–17); ›Im Zirkus Busch‹ (H. 4 [1909, Oktober II], S. 88; KA, Bd. 3.1, S. 119); ›Der Alpenkönig und der Menschenfeind‹ (H. 5 [1909, November I], S. 110 f.; KA, Bd. 3.1, S. 120 f.); ›Apollotheater‹ (H. 7 [1909, Dezember I], S. 158 f.; KA, Bd. 3.1, S. 122 f.); ›Adolf Loos‹ (H. 8 [1909, Dezember II], S. 184; KA, Bd. 3.1, S. 123–125); ›Ruth‹ (H. 9 [1910, Januar I], S. 204; KA, Bd. 3.1, S. 125 f.) und ›Frau Durieux‹ (H. 10 [1910, Januar II], S. 233 f.; KA, Bd. 3.1, S. 126–128).

[11] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Dienstag, 25. Januar 1910

Duc.

Merken Sie wie affektiert ich werde genau so wie nach einer Flut, drei Tage nachher ein kleines tanzendes Wellenfüßchen zum Strand hinwässert. Ganz richtig »Duc« ist »Herzog« rosaliqueurverwässert, ein süßes Tröpfchen mit einem Rococozöpfchen. Nicht etwa persönlich nehmen, das liegt hier alles an meiner Ausdrucksweise; ich bin, denke ich mir, so – heute Abend noch unerträglicher wie im Stadium der Sintflut. Wie schade, daß Sie kein Pater sind, Sie könnten mir eine Strafe erteilen, schon für die vielen »Grausamkeiten« die ich getan, die ich noch tun werde, die geprägt sind in Zeichen und Cometen in meinen Dichtungen, die Sie nicht kennen. Die vielen Jünglinge und Jungfrauen, die beim Hinschreiben über ihren Althändlerkeller sitzen, die sind nicht grausam aber ihre Ware, die sie in die Welt liefern hat Großvater Wert. Wenn Sie meinen Fakir lesen könnten oder meinen Sultan so würden Sie schon Muselman werden vom Geruch des Korans. Sie würden eine Lust fühlen nach den Tempeln, darin die 23 Söhne meines Urgroßvaters, (der war Scheik in Bagdad) geschnitten sind. Sie hätten nie gestern das rote Meer versäumt, verschäumt – das ist das Gegentheilerlebniß wie einer zum Volk wird, ein Einziger dessen Gestalt, Gestalt wirft – das Gegentheil von der Auflösung. Ihr großen Sünder – ! ich kenne keine Sünde, ich habe auch mit Eva und der Schlange nichts zu tun, ich bin die direkte Abkömmin von irgend einer Quelle des Paradieses, ich fließe, fließe immer weiter, manchmal werde ich ein Meer; die Schmerzen, die ein Meer erträgt, wie weh muß es sein ein Himmel mit allen Sternen zu sein und der Wechsel von Tag und Nacht erst. Ich kann Tag und Nacht machen, so wird fast alles Gauckelei in meiner Hand. Meine Hand tut mir weh und indem ich die Hand des Herzog ergriff, berührte ich eine Barmherzigkeit aus Blut? Hätte ich Herwarths Hand ergriffen, ich war zu schüchtern. Ich dachte nichts weibliches dabei, nichts Koquetes. Auch meine Zettel, die ich an den Beratungstisch sandte, waren Ausbrüche eines Wirbelsturmes. Herzog, ich sage Ihnen, Sie haben zu lange mit Menschen verkehrt, ich brauche sie nur um meine Sterne zu besetzen und mein [Herz mit Stern darüber] erfreut sich eigentlich nur dann, wenn meine Sterne kein Wasser haben und keine Luft, da setze ich mich hinein. Ich bin Asketin, lieber Herzog asketisch, mein eigner Fetich. Sie großer Löwenkatzenkopf mit der Absolution in den Augen, ich grüße Sie, herrschen Sie! nicht zuviel Gnade, grüßen Sie die Heilige mit der Mondknospe und vergessen Sie nicht die Prinzessin von Bagdad.

(Wir beide sehen uns niemehr wieder. Auch meine Soldaten sollen Wien nur flüchtig streifen.)

[fünfzehn Augen, über dem achten eine Braue, darunter Nase und Mund]

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157926). Datum von Helene Kann: »25. I. 10«. D: KA, Bd. 6, S. 133 f.

meinen Fakir • Die Erzählung ›Der Fakir‹, die am 6. November 1908 in ›Morgen. Wochenschrift für deutsche Kultur‹ (Jg. 2, Nr. 45, S. 1495–1497; KA, Bd. 3.1, S. 112–115) erschienen war. 1914 nahm Else Lasker-Schüler die Erzählung in ›Der Prinz von Theben‹ (S. 39–47; KA, Bd. 3.1, S. 388–391) auf. – meinen Sultan • Die Erzählung ›Mschattre-Zimt, der jüdische Sultan‹, zuvor am 10. Juli 1908 in der Zeitschrift ›Morgen‹ (Jg. 2, Nr. 28, S. 910 f.; KA, Bd. 3.1, S. 108–110) erschienen. Darin heißt es: »Mein Urgroßvater hatte dreiundzwanzig Söhne, unter ihnen ein Zwilling. Der jüngste der dreiundzwanzig Söhne war mein Großvater und hieß: Schû.« Mit dem Titel ›Der Scheik‹ druckte Else Lasker-Schüler die Erzählung in ›Der Prinz von Theben‹ (S. 7–14; KA, Bd. 3.1, S. 377–379) ab. – Heilige mit der Mondknospe • Kete Parsenow.

[12] Else Lasker-Schüler, Gedichte (›Die Königin‹, ›Heimweh‹)

Gedichte

Die Königin

Für Kete Parsenow

Du bist das Wunder im Land,

Rosenöl fließt unter deiner Haut.

Vom Gegold deiner Haare

Nippen Träume;

Ihre Deutungen verkünden Dichter.

Du bist dunkel vor Gold –

Auf deinem Antlitz erwachen

Die Nächte der Liebenden.

Ein Lied bist du

Gestickt auf Blondgrund,

Du stehst im Mond ....

Immer wiegen dich

Die Bambusweiden.

Heimweh

Ich kann die Sprache

Dieses kühlen Landes nicht

Und seinen Schritt nicht gehn.

Auch die Wolken, die vorbeiziehn,

Weiß ich nicht zu deuten.

Die Nacht ist eine Stiefkönigin.

Immer muß ich an die Pharaonenwälder denken

Und küsse die Bilder meiner Sterne.

Meine Lippen leuchten schon

Und sprechen Fernes,

Und bin ein buntes Bilderbuch

Auf deinem Schoß;

Aber dein Antlitz spinnt

Einen Schleier aus Weinen –

Meinen schillernden Vögeln

Sind die Korallen ausgestochen,

An den Hecken der Gärten

Versteinern sich ihre weichen Nester.

Wer salbt meine toten Paläste –

Sie trugen die Kronen meiner Väter,

Ihre Gebete versanken im heiligen Fluß.

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 11, Nr. 294/295 vom 31. Januar (zwei voneinander abweichende Umschläge: sowohl 3. als auch 4. Februar) 1910, S. 26 f. (KA, Bd. 1.1, S. 116 f.).

Druckvorlagen für die Veröffentlichung in der ›Fackel‹: 1) H (›Die Königin‹): Privatbesitz. Faksimile: Du bist dunkel vor Gold, S. 45. 2) H (›Heimweh‹): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158176).

[13] Else Lasker-Schüler (Mitunterzeichnerin), Erklärung

Erklärung

Zu Herrn Herwarth Walden, den wir durch unsere Mitarbeiterschaft zu wiederholten Malen in den Augen der Halbkultivierten kompromittiert haben, kommen zwei Kaufleute und fordern ihn auf, die Chefredaktion einer dem französischen ›Le Théâtre‹ nachgebildeten Zeitschrift zu übernehmen. Herr Walden setzt den Herren auseinander, daß er sich zu einer derartigen illustrierten Zeitschrift nur dann verstehen könne, wenn sie in einer streng künstlerischen und durchaus vornehmen Form gehalten sei, legt ihnen zahlreiche Nummern der früher von ihm geleiteten Zeitschriften vor, deren Ton und Inhalt die Herren als für die neue Zeitschrift maßgebend anerkennen. Zum Überfluß macht Herr Walden die Herren mit dem skandalösen Benehmen bekannt, das die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger seiner streng künstlerischen Haltung wegen ihm gegenüber an den Tag gelegt hat. So auf das Genaueste informiert, engagieren die beiden Kaufleute Herrn Herwarth Walden auf mehrere Jahre unkündbar als Chefredakteur. Darauf versieht er die Herren, die zunächst nicht viel mehr wußten, als daß sie eine Theaterzeitschrift haben wollten, mit Ideen und Anregungen. Die neue Zeitschrift, die auf Herrn Waldens Vorschlag den Titel ›Das Theater‹ erhält, erscheint vom 1. September 1909 ab als Halbmonatsschrift, findet im In- und Ausland eine große Verbreitung und genießt den Beifall der maßgebenden künstlerischen Kreise.

Aber schon am ersten Tage stellt sich heraus, daß die Herren Kaufleute Neigung haben, sich nach bekanntem Muster, jedoch mit vermehrtem Eifer, in die redaktionellen Angelegenheiten einzumischen. Sie erlauben sich Kritiken über unsere Mitarbeiterschaft und geben immer deutlicher zu verstehen, daß sie die Zeitschrift im Geschmack eines Familienblattes gehalten wünschen. Sie gebärden sich ganz so wie Leute, die es nicht länger erwarten können, daß die Redaktion Bilder gegen Bezahlung veröffentlicht und die Nennung von Konfektionsfirmen gegen pekuniäre Leistung einführt, was ja schließlich vom Standpunkt der Kaufleute einen reellen Handel und keine Korruption bedeutet. Schließlich gehen die Herren soweit, daß sie ihren Redakteur anweisen, er möge seine Mitarbeiter zu einem dem Fassungsvermögen der Verleger angepaßten Stil anhalten. Als sich Herr Walden auch in diesem Falle gänzlich abgeneigt zeigt, entschließen sich die Kaufleute, die inzwischen in Berlin – die Herren waren fremd am Platze – Fühlung mit den verständnisvollen und gefügigen Literaten bekommen haben, eben jenen Kontraktbruch zu begehen, den die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger ihnen so schön vorgemacht hat, und entlassen den unbequemen Redakteur. Sie entlassen ihn, nicht ohne ihm vorher einen Artikel zensuriert und dafür seinen Herausgebernamen mit einer Schneiderreklame und ähnlichen Beiträgen in Verbindung gebracht zu haben. Der Fall ist eine autorrechtliche Novität; aber sie wußten bereits, daß sie dabei des Beifalls und des »Ahas« aller jener gewiß sein würden, denen wir Mitarbeiter von jeher fatal waren. Wir stellen in diesem Ereignis die Logik der Zeitläufte fest. Es kann garnicht anders sein, als daß Konfektionäre sich in die Angelegenheiten der Kunst und Literatur einmischen. Und wenn diese Herren, die einen Redakteur mit einem Kommis verwechseln, weil sie geistige Stoffe nicht mit der Elle messen können, von uns verlangen, wir möchten so schreiben, daß wir sogar ihnen verständlich sind, so wollen wir uns wenigstens einmal so ausdrücken, daß sie nicht im Zweifel über das sind, was wir meinen. Wir sagen also: Auf diesen Abschluß brauchen sich die Herren Kaufleute nichts einzubilden. Er ist unlauterer Wettbewerb mit Herrn Nissen. Aber auch auf die Zufriedenheit der Kundschaft, die wir bekämpft haben und weiter bekämpfen werden, brauchen sie sich nichts zu gute zu tun. Solche Spässe werden wir noch öfter erleben, und dabei die notwendige, wenn auch lästige Bekanntschaft einer Sorte von Menschen machen, die glauben, sie könnten uns dazu benutzen, für den schlechtesten Teil des Publikums Pofelware zu liefern. Auf den Kontraktbruch dieser Prinzipale, die vor jedem Schmock und Rekordlibrettisten zittern, waren wir von der ersten Nummer an gefaßt. Ein Dutzend in Freiheit redigierter Nummern – wenn das der biedere Nissen erlebt hätte, – der nur bis drei zählen konnte!

Dr. Rudolf Blümner, Dr. Alfred Döblin, Dr. S. Friedlaender, Ferdinand Hardekopf, Dr. Siegmund Kalischer, Rudolf Kurtz, Else Lasker-Schüler, Ludwig Rubiner, René Schickele, Mario Spiro, Felix Stössinger.

Dieser Erklärung habe ich bloß eine Aufklärung beizufügen. Wenn nicht alle Anzeichen trügen, ist jetzt in Deutschland die Überwachungswut ausgebrochen. Dem Redakteur der Bühnengenossenschaftszeitung war und ist ein Mime als »Überwacher« zur Seite gestellt, und da und dort erklären sich auch die Vertreter der anderen intelligenten Berufe bereit, die Überwachung der unbotmäßigen Schriftsteller zu übernehmen. Es gibt – bei dem gleichzeitigen Anwachsen der Zeitschriftenindustrie – kaum einen Zigarrenhändler mehr, der nicht daheim seinen Redakteur im Kotter hätte, und namentlich haben sie es auf die Lyrik abgesehen, soweit sie nicht sachlichen Beweggründen entspringt, nicht den Zwecken der Gemeinverständlichkeit zustrebt und überhaupt über das erweislich Wahre hinausgeht. Mit einem Wort, ihr Verständnis für Kunst reicht so weit, daß ihnen das »ich weiß nicht, was soll es bedeuten« eben noch als lyrischer Gedanke einleuchtet, aber sonst nur die Lage bezeichnet, in der sie sich gegenüber der Lyrik befinden. Nun habe ich nie ein Hehl daraus gemacht, daß ich die Weltanschauung des Kofmich, wenn sie uns Automobile baut, für akzeptabel halte, weil wir ihr dann umso prompter entfliehen können. Aber wenn es ihren Einbruch in das Geistesleben, wie er sich im neuen Deutschland donnerwetter-tadellos vollzieht, abzuwehren gilt, so tue ich mit. Ich habe mich jetzt während eines längeren Aufenthaltes in Berlin davon überzeugt, daß die Zustände düster sind, daß sogar die Plakatierungsinstitute sich eine Zensur der Autoren anmaßen und daß allenthalben in der Bürgerschaft das Streben vorwaltet, der Polizei den geistigen Teil ihrer Arbeit abzunehmen. Wurde einst irgendwo in Deutschland ein Redakteur in Ketten über die Straße geführt, so läßt man jetzt keinen Künstler ohne Überwacher ausgehen. Nun wird die ›Fackel‹ bekanntlich von einem Manne redigiert, der keinen Zigarrenfritzen fragen muß, ehe er ein Gedicht von Else Lasker-Schüler zum Druck befördert. Sie ist deshalb wie keine andere Zeitschrift in der Lage, die Überwachung der Überwacher zu übernehmen. In Österreich, wo die Straßen in schlechtem Zustand sind, vernachlässige ich seit langem meine Pflicht, indem ich philosophische Anwandlungen bekomme. Für Deutschland bin ich noch straßenkehrerischer Anwandlungen fähig. Ich kann nicht leugnen, daß ich seit einiger Zeit bedenklich über die Grenze schiele. Solche Irridenta wäre meinen Landsleuten bequem, und ich werde sie eben darum nicht im Stiche lassen. Wenn aber den Berliner Literaturkaufleuten mein Übertritt unbequem sein sollte, dann kann ich sie nur ersuchen, alles zu unterlassen, was mich anregen könnte. Während mich in Wien oft die stärkste Korruption nicht mehr aufpulvern kann, wirkt in Deutschland die kleinste Reklamenotiz, mit der man einem Redakteur in sein geistiges Gebiet gepfuscht hat, auf mich wie ein Lebenselixier. Man muß also in der Dosis vorsichtig sein. Namentlich jene Wiener Herren, die ihren Charaktermangel bereits dem Berliner Betrieb angepaßt und ihre Tantiemenpolitik mit allem Komfort der Neuzeit ausgestattet haben, möchte ich nicht in der Hoffnung lassen, daß mich das Gefühl der Landsmannschaft und die Freude des Wiedersehens völlig übermannen und daran hindern werde, in der neuen Aufmachung den alten Dreck zu erkennen. Und nun, nachdem ich so die einen auf meine Schwächen aufmerksam gemacht, die andern an sie erinnert habe, hoffe ich, daß sich ein gedeihliches Zusammenarbeiten erzielen lassen wird.

Karl Kraus.

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 11, Nr. 294/295 vom 31. Januar (zwei voneinander abweichende Umschläge: sowohl 3. als auch 4. Februar) 1910, S. 39–42 (auf den Umschlägen ›Erklärung und Aufklärung‹ betitelt).

Die ›Erklärung‹ erschien – ohne die Nachbemerkung von Karl Kraus – auch im ›Sturm‹ vom 3. März 1910 (Jg. 1, Nr. 1, S. 6). – früher von ihm geleiteten Zeitschriften • Bevor Herwarth Walden die Redaktion von ›Das Theater‹ übernahm, hatte er im Januar und Februar 1909 drei Hefte der Zeitschrift ›Der neue Weg‹, des Organs der ›Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger‹, redigiert (vgl. zu [6]). 1908 waren unter Waldens Leitung einige Ausgaben der Zeitschriften ›Das Magazin‹ und ›Morgen. Wochenschrift für deutsche Kultur‹ erschienen, die insgesamt zehn Beiträge von Else Lasker-Schüler enthalten: ›Künstler‹ (Das Magazin, Jg. 77, H. 4 vom Januar 1908, S. 52; KA, Bd. 3.1, S. 104–106); ›Daniel Jesus‹ (H. 4 vom Januar 1908, S. 65; KA, Bd. 3.1, S. 106 f.); ›Coranna, eine Indianergeschichte gestaltet von Slevogt‹ (H. 4 vom Januar 1908, S. 67 f.; KA, Bd. 3.1, S. 107); ›An Gott‹, ›Mein Lied‹, ›Das Lied meines Lebens‹ (H. 5 vom Februar 1908, S. 77; KA, Bd. 1.1, S. 113, 108, 113) und ›Ached Bey‹ (H. 6 vom März 1908, S. 99 f.; KA, Bd. 3.1, S. 72–74); ›Mschattre-Zimt, der jüdische Sultan‹ (Morgen. Wochenschrift für deutsche Kultur, Jg. 2, Nr. 28 vom 10. Juli 1908, S. 910 f.; KA, Bd. 3.1, S. 108–110); ›Charlotte Berend: Die schwere Stunde‹ (Nr. 42 vom 16. Oktober 1908, S. 1407; KA, Bd. 3.1, S. 111 f.); ›Der Fakir‹ (Nr. 45 vom 6. November 1908, S. 1495–1497; KA, Bd. 3.1, S. 112–115); ›Albert Heine – Herodes V. Aufzug‹ (Nr. 48 vom 27. November 1908, S. 1605; KA, Bd. 1.1, S. 114) und ›Der Derwisch‹ (Nr. 51/52 vom 18. Dezember 1908, S. 1683 f.; KA, Bd. 3.1, S. 116–118). – vom 1. September 1909 ab • Bis zu seiner Entlassung redigierte Herwarth Walden die Hefte 1 bis 10 von ›Das Theater‹ (›Illustrierte Halbmonatsschrift für internationale Bühnenkunst‹), die in den Monaten September 1909 bis Januar 1910 erschienen und in denen Else Lasker-Schüler mit sieben Beiträgen vertreten ist (vgl. zu [10]). – mit Herrn Nissen • Hermann Nissen (1853–1914) war Präsident der ›Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger‹ (s. o.). – »ich weiß nicht, was soll es bedeuten« • Anfang eines unbetitelten Gedichts von Heinrich Heine aus dem Zyklus ›Die Heimkehr‹, der im ›Buch der Lieder‹ erschienen ist. In der Handschrift ist das Gedicht ›Die Loreley‹ betitelt. – Aufenthaltes in Berlin • Karl Kraus hatte am 13., 17. und 20. Januar 1910 in Berlin im ›Verein für Kunst‹ und bei der ›Freien Studentenschaft der Universität Berlin‹ vorgetragen.

[14] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Mittwoch, 2. Februar 1910

Herrn Karl Kraus

Wien. I.

Elisabethstr. 20

Östreich.

Mein guter Herzog. Herrlich geschrieben!! Tausend Dank. Gestern Abend schrieb ich den scherzhaften Brief an P. A. Löwenbräu. »Natürlich« ohne Ihr Wissen. Werfe ihn eben in den Kasten.

Herzlichen Gruß vielen Dank!

Gedicht folgt für K. P. Ich schenke es Ihnen, ich dichtete es heimlich in Ihrem Schatten, Sie haben es also gemacht.

Tino = Jussuf von Egypten.

(Kornverweser)

Anmerkungen

H (Postkarte): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158199). Poststempel: Halensee, 2. 2. 10. D: KA, Bd. 6, S. 138.

Herrlich geschrieben!! • Die Nachbemerkung, mit der Karl Kraus die ›Erklärung‹ zugunsten Herwarth Waldens veröffentlicht hat (s. [13]). – Brief an P. A. • Peter Altenberg (1859–1919), der stets von Geldsorgen geplagt war. In ihrem Brief vom 1. Februar 1910 (KA, Bd. 6, S. 136 f.) bittet Else Lasker-Schüler ihn, ihr Geld zu leihen. – Löwenbräu • Das Wiener Lokal ›Münchener Löwenbräu Bierhalle‹, zeitweilig das Stammlokal Peter Altenbergs. Else Lasker-Schüler hatte ihren Brief an Peter Altenberg dorthin adressiert. Durch Herwarth Walden lässt Karl Kraus am 3./4. Februar 1910 ausrichten: »Den Brief an P[eter] A[ltenberg] habe ich im Löwenbräu heute abend aufgefangen und ich mußte verhindern, daß er P. A. ins Hotel geschickt wird. Wir können jetzt den Scherz leider nicht machen. Wir müssen warten und ich hebe den Brief auf. Denn – denken Sie nur: P. A. liegt seit zehn Tagen. Die alte Nervengeschichte, aber diesmal besonders arg und mit allen Sterbenszeremonien.« (Feinde in Scharen, S. 150.) – Gedicht folgt für K. P. • Kete Parsenow. Das Gedicht, das Else Lasker-Schüler mit dem folgenden, kurz nach dem 2. Februar 1910 geschriebenen Brief an Karl Kraus übersandte (s. [15]), ist nicht erhalten. – Kornverweser • Josef (arabisch Jussuf) verwaltet im Namen des Pharaos die Getreidevorräte Ägyptens. Vgl. 1. Mose (Genesis) 41,46–57.

[15] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, kurz nach dem 2. Februar 1910

Lieber Herzog von Wien.

Es war meine feste Absicht im fall Du meine Gedichte honorieren würdest, das Honorar nicht anzunehmen und ich hätte es gewiß nicht getan. Wie gewöhnlich muß es Dir vorkommen, zumal Du schon so viel für uns getan hast – außerdem wie kann man sich diese Gedichte bezahlen lassen! Noblesse ist also auch Luxus. Ich gebe Dir das Geld wieder sobald mein Schauspiel aufgeführt wird, auch kaufe ich Dir dann einen Elephanten oder ein Dromedar. Und ich danke Dir noch tausendmal für alle Liebe zu Herwarth.

Tino die Prinzessin war über Bagdad.

meinst Du, lieber Herzog, ihr würde das Gedicht gefallen? Denn will ich es ihr senden.

(Blondpurpur als Haar gemeint – indirekt (Mantel)

Eben bekomme ich Brief von Schalôme, ich gehe morgen zu ihr.

Dieser Brief ist gestern Abend schon geschrieben.

Heute war schrecklicher Tag – Levisohn kam mit Gerichtvollzieher hat erbrechen lassen. Ich kann L. ausweisen lassen, er ist Däne.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158142). D: KA, Bd. 6, S. 138 f.

Der Brief schließt inhaltlich an die Postkarte vom 2. Februar 1910 (s. [14]) an, auf der Else Lasker-Schüler die Übersendung eines Gedichts für Kete Parsenow ankündigt. – honorieren würdest • Karl Kraus hatte 1909/10 insgesamt vier Gedichte von Else Lasker-Schüler in der ›Fackel‹ veröffentlicht (s. [5] und [12]). – mein Schauspiel • ›Die Wupper‹, die allerdings erst 1919 uraufgeführt wurde. – alle Liebe zu Herwarth • Karl Kraus hatte am 31. Januar 1910 in der ›Fackel‹ eine Stellungnahme zugunsten Herwarth Waldens veröffentlicht (s. [13]). Zuvor hatte Kraus sich bereits im November und Dezember 1909 publizistisch für Walden engagiert (vgl. zu [6]). – ihr • Kete Parsenow (»Schalôme«). – das Gedicht • Dieses ist nicht erhalten.

[16] Else Lasker-Schüler, Gedichte (›Ich bin traurig .....‹, ›Nun schlummert meine Seele ....‹)

Ich bin traurig .....

Deine Küsse dunkeln auf meinem Mund

Du hast mich nicht mehr lieb.

Und wie du kamst –!

Blau vor Paradies

Um deinen süßesten Brunnen

Gaukelte mein Herz.

Nun will ich es schminken

Wie die Freudenmädchen

Die welke Rose ihrer Lende röten.

Unsere Augen sind halb geschlossen

Wie sterbende Himmel.

Du erinnerst dich meiner kaum

Wo soll ich mit meinem Herzen hin?

Alt ist der Mond geworden

Die Nacht wird nicht mehr wach.

Nun schlummert meine Seele ....

Der Sturm hat ihre Stämme umgepeitscht

O, meine Seele war ein Wald.

Hast du mich weinen gehört?

Weil deine Augen bang geöffnet stehn.

Sterne streuen Nacht

In mein vergossenes Blut.

Nun schlummert meine Seele

Zagend auf Zehen.

O, meine Seele war ein Wald;

Palmenfächer schatteten –

An den Ästen hing die Liebe.

Tröste meine Seele im Schlummer.

Anmerkungen

Dem Brief an Karl Kraus vom 8. Februar 1910 beigelegt (s. [17]).

H: Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158179).

Beide Gedichte erschienen zuerst im ›Sturm‹: ›Ich bin traurig ....‹ am 24. März 1910 (Jg. 1, Nr. 4, S. 27; KA, Bd. 1.1, S. 121 f.), ›Nun schlummert meine Seele –‹ am 26. Mai 1910 (Jg. 1, Nr. 13, S. 99; KA, Bd. 1.1, S. 123).

[17] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Dienstag, 8. Februar 1910

Lieber Herzog, ich sitz ganz allein zu Hause. Auf der Katharinenstraße geht ein Einbrecher hin und her am Zaun der Wiese entlang – er hat sich die Schlüssel der Thore geben lassen, als wär er vom Wirt beauftragt nachzusehn – und die Portiers gaben ihm die Schlüssel. Ich habe meine Revolver geladen und ein Messer liegt bereit für ihn – vielleicht aber, finde ich Gefallen an ihm und wir kommen überein. – Ich schreib gern an Dich, Du bist ein Dompteur I. Rangs, Deine Gedanken laufen frei herum ohne Halskette; ohne glühende Eisenstange dressiert, sie laufen frei zwischen Menschheit, beißen wo es gut tut. Meinen Gedanken sind die Zähne ausgefallen, ich denke zu süß. Die Gedanken der anderen Menschheit haben ein künstliches Gebiß. Ich sende Dir wieder ein Gedicht – für mich ist es gedichtet, dann kommt wieder eins für Dich. Ich kenn jetzt so viele Leute, ich mache schon für 6 Leute zusammen ein Liebesgedicht. Aber ich schwätz blos so – wie findest Du das Gedicht? Ich schaudere noch vor Süße. Ich darf doch noch »Du« im Brief zu Dir sagen? »Sie« hat so was Spitzes an sich und ich bin immer trunken und herb wie Romeo – Joseph der Egypter, Sohn Jakobs. Du glaubst nicht wie schön das Bibelleben war – ich bau mir mal einen Tempel, lasse singen Syrisch – arabisch – o, so herrlich, so schauernd, da hört sich alles bei auf. Du weißt gar nicht was die schauernde Schönheit ist. Ich habe Angst, Du weißt auch nicht warum Schalôme schön ist. Ich will Sie nicht mehr wiedersehn, so behalte ich Sie. Ich dichte jetzt schon 2 Tage und 2 Nächte, ich bin doch eigentlich ein Mensch, der laute Paläste hat. Ich kann eingehn in mein Dichttum, wie groß ist mein Dichttum, tausende Morgen und Nächte groß – und ich kann es nicht verlieren und gerade, daß man nur mit Blut bezahlen kann seine Steuer, das ist Besitz. – Wenn Du mich moralisiertest, das freute mich sehr, um Herwarth willen, aber ich darf so sein, wie ich bin, so viel Vertrauen mußt Du mir schon schenken, lieber Herzog, dem ich so oft Briefe schreibe.

Tino.

[fünfundzwanzig Sterne]

[Gebäude mit Kuppel, mehrere rechteckige Gebäude, Palme, Komet] (Mein Schloß in Bagdad)

Meinst Du, lieber Herzog, ich wär sehr schlecht?

Herwarth findet den Angedichteten meines Gedichts auch herrlich. Ehrenwort!

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157936). Datum von Helene Kann: »8. II. 10«. D: KA, Bd. 6, S. 139 f.

ein Gedicht • Die beiden Gedichte ›Ich bin traurig .....‹ und ›Nun schlummert meine Seele ....‹, die Else Lasker-Schüler für Karl Kraus auf einem Blatt abschrieb (s. [16]). – Romeo • Die männliche Hauptfigur in William Shakespeares Tragödie ›Romeo und Julia‹. – Schalôme • Kete Parsenow.

[18] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Samstag, 12. Februar 1910

Herrn Karl Kraus.

Elisabethstraße 20 oder 30.

Wien I.

Östreich!

Wertester Herzog. Ich dachte bei meiner Ehre nicht daran, Ihnen die Gedichte für die Fackel anzubieten, o, wie Sie mich kennen!! Ich dachte nur, Sie hätten Interesse an Lyrik. Ich habe meine Gedichte, nach den Schmähungen in der Schaubühne gegen Sie und Herwarth, zurückgefordert gestern bei meiner Ehre. Ich bin nicht ehrgeizig auf alle Fälle steht mir die große Schlichtheit und Wunschlosigkeit näher, als kleiner Ehrgeiz. Ich arbeite überhaupt seit längerer Zeit nichts mehr, es prägt sich ins Fleisch ein in Hieroglyphen. Ich grüße Sie!

Tino von Bagdad.

Anmerkungen

H (Postkarte): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158170). Poststempel: Halensee, 12. 2. 10. D: KA, Bd. 6, S. 140 f.

die Gedichte • Die beiden Gedichte ›Ich bin traurig .....‹ und ›Nun schlummert meine Seele ....‹, die Else Lasker-Schüler am 8. Februar 1910 an Karl Kraus geschickt hatte (s. [16] und [17]). – Schmähungen in der Schaubühne • Karl Adler, Karl Kraus, in: Die Schaubühne, Jg. 6, Bd. 1, Nr. 4 vom 27. Januar 1910, S. 99–101 (›Rundschau‹); Karl Adler, Antwort an Karl Kraus, in: Die Schaubühne, Jg. 6, Bd. 1, Nr. 6 vom 10. Februar 1910, S. 157 f. (›Rundschau‹ [mit einer Nachbemerkung von Siegfried Jacobsohn]). – Karl Adler (1885–1942) hatte sich abfällig über die erste Vorlesung von Karl Kraus geäußert, die am 13. Januar 1910 in Berlin im von Herwarth Walden gegründeten ›Verein für Kunst‹ stattgefunden hatte. In seinem Beitrag vom 27. Januar schreibt er unter anderem: »Der grinsende Intellekt, die seelische Banalität, dies polternde Auftrumpfen mit Erkenntnissen, kurz: die ganze literarische Persönlichkeit des Herrn Kraus ist mir zuwider.« Zur Besprechung in der ›Schaubühne‹ äußerte sich Karl Kraus in einem ›Berliner Leseabende‹ betitelten Artikel, der am 31. Januar (zwei voneinander abweichende Umschläge: sowohl 3. als auch 4. Februar) 1910 in der ›Fackel‹ (Jg. 11, Nr. 294/295, S. 28–38, zur ›Schaubühne‹ S. 32–35) erschien.

[19] Else Lasker-Schüler, Ein Lied aus Gold

Ein Lied aus Gold.

(An Kete Parsenow)

Nun kentert meine Seele

Du schlanke, goldene Fischin.

Durch deines Leibes Gewebe

Schimmert kühles Gold.

Ich schenke dir einen Strand

Mit goldenen Muscheln

Und mein Herz, das rauscht.

Mein Herz möchte

In deinem goldenen Schooß liegen,

Dein goldenes Spielzeug sein.

Seitdem du da bist

Seh ich die Sterne nicht mehr –

Vor lauter Golddichten.

O, du meine goldene Nacht –

Goldsyrinxe ......

Anmerkungen

Dem Brief an Karl Kraus vom 27. Februar 1910 beigelegt (s. [20]).

H: Privatbesitz. Datum von Helene Kann: »27. II. 10«. Faksimile: Du. Die Zeitschrift der Kultur (Zürich), Jg. 54, Nr. 1 vom Januar 1994, S. 11 (Bernhard Echte); Du bist dunkel vor Gold, S. 49. D: KA, Bd. 1.1, S. 313 f.

Das Gedicht blieb zu Lebzeiten Else Lasker-Schülers unveröffentlicht. Die Handschrift wurde von Helene Kann zusammen mit ihren Exemplaren der ›Hebräischen Balladen‹ (1920) und der ›Kuppel‹ (1920) aufbewahrt und 1989 mit der Bibliothek Helene Kanns versteigert.

[20] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Sonntag, 27. Februar 1910

Lieber Herzog.

Für den schönen Aufenthalt, den Du Herwarth bereitet hast, danke ich Dir sehr. Du wirst doch bald wieder hierher kommen jedenfalls Adolf Loos, den Gorilla begleiten. Gestern war Schalôme hier die Prinzessin von Phönizien. Sie sagte mir, daß Sie von Dir nichts hört warum schreibst Du ihr nicht? Aber ich sende Dir ein Gedicht über Schalôme der Prinzessin von Phönizien – ich wollte Du hättest es gedichtet. Es wird gedruckt hier in Berlin natürlich ohne Widmung. Wir waren zusammen auf dem Ball vor etwa 14 Tagen, sie hatte ein goldenes Kleid an, denk mal, ganz aus Gold – ganz schlank, eine goldene Fischin. Auch ihre Freundin war da als Marquis eine schwarze Vanillblume ist die. Ich bin nun ganz alleine, lieber Herzog – ich steh am Leidewege – bin ich nun erst ein Ei zurückgegangen oder ein Fakir geworden – vielleicht beides. Nun wird es immer Nacht, auch bei Tage. Lebe wohl, ich bin mal eines Tages fort.

[zehn Sterne] Tino von Bagdad.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158180). Datum von Helene Kann: »27. II. 10«. D: KA, Bd. 6, S. 141.

den Gorilla begleiten • Adolf Loos hielt am 3. März 1910 seinen zweiten Vortrag im ›Verein für Kunst‹. Zuvor hatte er dort am 11. November 1909 gesprochen (vgl. zu [6]). Karl Kraus begleitete ihn bei beiden Gelegenheiten. – Herwarth Walden zeigte den Vortrag im ›Sturm‹ vom 3. März 1910 (Jg. 1, Nr. 1, S. 8) an: »Verein für Kunst | Salon Cassirer Viktoriastr. 35 | Donnerstag, den 3. März | abends 8 Uhr | Adolf Loos | Ornament und Verbrechen | Vortrag«. Auf S. 4 druckte er von Adolf Loos die Erzählung ›Vom armen reichen Mann‹ ab und fügte folgende Nachbemerkung hinzu: »Wir führen mit diesem Beitrag den Berlinern einen neuen Mann vor. In seiner engeren Heimat, Wien, ist Adolf Loos wohl bekannt. Julius Meier-Graefe nennt ihn in seiner Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst einen Künstler und Architekten, Schriftsteller und Denker. Loos trat schon vor vierzehn Jahren, zu der Zeit, als die moderne ornamentale Bewegung einsetzte, als ihr schärfster Gegner auf. Anfangs verspottet und verlacht haben aber die Wiener Kunstgewerbler bald seine Ideen zu den ihren gemacht.« Vgl. Julius Meier-Graefe, Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst. Vergleichende Betrachtung der bildenden Künste, als Beitrag zu einer neuen Ästhetik, Stuttgart: Jul. Hoffmann, 1904, Bd. 2, S. 697. An seine Besprechung des Vortrags vom 11. November 1909 anknüpfend (vgl. zu [6]), schreibt der Berichterstatter des ›Berliner Tageblatts‹: »Adolf Loos hat nun also bewiesen, daß die gesamte Geschichte der angewandten Kunst eine einzige Verirrung darstellt. Zwanzig Zuhörer klatschten ihm gestern abend Beifall.« (h. f., »Ornament ist Verbrechen«, in: Berliner Tageblatt, Jg. 39, Nr. 114 [Morgen-Ausgabe] vom 4. März 1910.) – Else Lasker-Schülers Essay ›Adolf Loos‹ (Das Theater, Jg. 1, H. 8 [1909, Dezember II], S. 184; KA, Bd. 3.1, S. 123–125) beginnt mit den Worten: »Von der Seite betrachtet, erinnert sein Kopf an den Totenschädel eines Gorillas; wendet mir Loos langsam das Gesicht zu, prüfen mich scharf des Gorillas runde, hellbraune Augen. Die sind gefährlich, greifen aus einem andern Denken, aus einem fremden, geschwinden Grund.« – Schalôme • Kete Parsenow. – ein Gedicht • ›Ein Lied aus Gold‹ (s. [19]). – ihre Freundin • Wahrscheinlich Alice Hegemann (geb. Hesse) (1882–1976), die in erster Ehe mit dem Stadtplaner Werner Hegemann (1881–1936) verheiratet war. Vgl. Briefe an Karl Kraus, S. 126 (»Frau Hegemann, eine Freundin Kete Parsenows«).

[21] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus und Adolf Loos
Halensee, Mittwoch, 2. März 1910

Lieber Herzog,

und lieber Gorilla.

Wenn Sie etwas Achtung vor meiner Kunst haben, so sprechen Sie zuerst mit mir, gehen Sie nirgends vorher woanders hin – nicht ins Café. Ich brenne wie Karthago, bin bald Asche.

Telephon Wilm. 35,24.

Else Lasker-Schüler. Katharinenstr. 5 (Garten hochpt.)

Halensee-Berlin.

Rohrpost event. Ich komme sofort und erzähle.

Alle meine Aufruhr bei Ihrem letzen Hiersein, lieber Herzog, hat seinen Grund darin. Die Schmach, die mir angetan wurrde, vielleicht noch wird, ist nie gut zu machen. Ich kann mich selbst nicht an einem Huhn vergreifen, ich bin machtlos. Es brennt mein letzter Balken. nicht verraten!

Tino

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158188). Datum von Helene Kann: »2. III. 10«. D: KA, Bd. 6, S. 142.

Gorilla • Vgl. zu [20]. – wie Karthago • Anspielung auf den Dritten Punischen Krieg, der 146 v. Chr. mit der völligen Zerstörung Karthagos endete. – meine Aufruhr • Else Lasker-Schüler war eifersüchtig, weil Herwarth Walden sich für Emmy Hennings (1885–1948) interessierte, die damals mit Ferdinand Hardekopf (1876–1954) liiert war und Letzteren 1910 auf einer Reise nach Frankreich begleitete. Am 24./25. März 1910 schreibt Walden an Karl Kraus: »Der Herr Hardekopf entführt mir den blonden Stern nach Paris« (Feinde in Scharen, S. 190 f.). Vgl. zu [60]. – Ihrem letzen Hiersein • Karl Kraus hatte am 13., 17. und 20. Januar 1910 in Berlin im ›Verein für Kunst‹ und bei der ›Freien Studentenschaft der Universität Berlin‹ vorgetragen.

[22] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Sonntag, 27. März 1910

Herrn Karl Kraus.

Wien I.

Elisabethstr. 20 oder 30.

Lieber Herzog von Wien. Ich bin ganz allein im Osterei, Herwarth ist in Drebkau bei Paulinlein. Ich bin so aufgeregt, nun hab ich über Dich so wunderbar geschrieben. Ich hatte ja noch nicht geschrieben, ich konnte noch nicht, ich schämte mich und sagte es Dir! So prachtvoll, ich bin nur bang, Du könntest beleidigt sein, aber großartig! Beleidigenderer wie Ad. Loos sein Essay ist es nicht. Es muß so bleiben, ich kann ja nicht für, ich bin ja immer ganz besoffen wenn ich schreibe. Du wirst dennoch entzückt sein. Ich habe plötzlich den Griff gekriegt, ich konnte Dich nicht schleudern, Dich muß man schleudern, nicht werfen. Viele Grüße Tino.

Anmerkungen

H (Postkarte): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158169). Poststempel: Berlin, 27. 3. 10. D: KA, Bd. 6, S. 147.

Osterei • Ostersonntag fiel 1910 auf den 27. März. – in Drebkau bei Paulinlein • Paul Lasker-Schüler (1899–1927) besuchte damals das Landerziehungsheim Schloss Drebkau in Brandenburg. Else Lasker-Schüler veröffentlichte über das Internat den Essay ›Die rotbäckige Schule‹ (Vossische Zeitung [Berlin], Nr. 303 [Morgen-Ausgabe] vom 1. Juli 1910; KA, Bd. 3.1, S. 145–147). – über Dich so wunderbar geschrieben • Im Essay ›Karl Kraus‹ (s. [24]). – Ich hatte ja noch nicht geschrieben • Else Lasker-Schüler hatte Karl Kraus am 8. Dezember 1909 (s. [7]) mitgeteilt, dass sie den Essay in einigen Tagen vortragen werde. – sagte es Dir • Karl Kraus hatte Adolf Loos Anfang März 1910 zu seinem zweiten Vortrag im ›Verein für Kunst‹ begleitet (vgl. zu [20]). – Ad. Loos sein Essay • ›Adolf Loos‹ (s. [7]).

[23] Else Lasker-Schüler und Herwarth Walden an Karl Kraus
Grunewald, Sonntag, 17. April 1910

[von Herwarth Walden:]

Herrn

Karl Kraus

Wien I

Elisabethstr. 20

[von Else Lasker-Schüler:]

Sonntag Grunewald

[dreizehn Sterne]

Wir sitzen in der Hundekehle

Und um uns lauter Thal und Thäle

Mit silber und mit goldenen Seeen

Mit Himmeln, die sich Kleider nähen

Und rings umher berliner Feeen

Ich laß den Sommer still geschehen

Komm ich nur raus aus meiner Höhle

Und Herwarth meine bessere Seele.

E L-Sch.

[von Herwarth Walden:]

Mein lieber Freund

Vielen Dank für Ihren Brief. Pf. nicht erledigt. Schreiben Sie bald einmal wieder ausführlicher oder kommen Sie!

Stets Ihr Herwarth Walden

Anmerkungen

H (Postkarte ›Der Sturm. Wochenschrift für Kultur und die Künste. Herausgegeben von Herwarth Walden‹ mit vorgedrucktem Absender: ›Berlin-Halensee. Katharinenstrasse 5‹): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158200). Poststempel: Grunewald, 17. 4. 10. D: KA, Bd. 6, S. 151.

Hundekehle • Der Hundekehlesee am Rande der Villenkolonie Grunewald. – Pf. • Franz Pfemfert hatte ›Aphorismen‹ von Karl Kraus in ›Der Demokrat‹ (Berlin) vom 13. April 1910 (Jg. 2, Nr. 16, Beilage) abgedruckt. Am Schluss ist vermerkt: »Siehe auch Nr. 8.« In Nr. 8 vom 19. Februar 1910 (Beilage) waren zuvor bereits einige Aphorismen von Karl Kraus aus ›Sprüche und Widersprüche‹ (München: Albert Langen, 1909) mit folgender Vorbemerkung von Franz Pfemfert erschienen: »In der vorigen Nummer hat der ›Demokrat‹ Karl Kraus’ ›Kriminalität und Sittlichkeit‹ gewürdigt. Heute bringe ich aus dem bei Albert Langen in München erschienenen Buche ›Sprüche und Widersprüche‹, der besten Aphorismensammlung, die in letzter Zeit erschienen ist, einige Proben. Lest sie. Und was dem Leser im ersten Augenblicke vielleicht paradox erscheint, ist nichts als die unbekümmerte Konsequenz eines radikalen Geistes.« – In einem undatierten Brief, nach dem 14. April 1910, schreibt Karl Kraus an Herwarth Walden: »Ich danke Ihnen auch in Eile für den ›Demokraten‹. Aber das geht dann doch nicht! Bitte l[ieber] Fr[eund] veranlassen Sie die folgende telephonische Mittheilung an den Herrn Pf[emfert]: ich bin ihm für seine Freundlichkeit sehr dankbar, aber ich muß ihn bitten, nachzutragen, daß die Aphorismen aus dem Buch ›Spr[üche] u[nd] W[idersprüche]‹ entnommen sind.« (Feinde in Scharen, S. 213.)

[24] Else Lasker-Schüler, Karl Kraus (Essay)

Karl Kraus

Im Zimmer meiner Mutter hängt an der Wand ein Brief unter Glas im goldenen Rahmen. Oft stand ich als Kind vor den feinen pietätvollen Buchstaben wie vor Hieroglyphen und dachte mir ein Gesicht dazu, eine Hand, die diesen wertvollen Brief wohl geschrieben haben könnte. Darum auch war ich Karl Kraus schon wo begegnet – – in meinen Heimatjahren, beim Betrachten der kostbaren Zeilen unter Glas im goldenen Rahmen. Den Brief hatte ein Bischof geschrieben an meiner Mutter Mutter, ein Dichter. Blau und mild waren seine Augen, und sanftbewegt seine schmalen Lippen und sein Stirnschatz wohlbewahrt, wie bei Karl Kraus; der trägt frauenhaft das Haar über die Stirn gekämmt. Und immer empfangen seine Augen wie des Priesterdichters Augen gastlich den Träumenden. Immer schenken Karl Kraus’ Augen Audienz. Ich sitze so gerne neben ihm, ich denke dann an die Zeit, da ich den Schreiber des Briefes hinter Glas aus seinem goldenen Rahmen beschwor. Heute spricht er mit mir. Ich bewundere die goldgelbe Blume über seinem Herzen, die er mir mit feierlicher Höflichkeit überreicht. Ich glaube, sie war bestimmt für eine blonde Lady; als sie an unseren Tisch trat, begannen seine Lippen zu spielen. Karl Kraus kennt die Frauen, er beschaut durch sie zum Denkvertreib die Welt. Bunte Gläser, ob sie fein getönt oder vom einfachsten Farbenblut sind, behutsam behütend, feiert er die Frau. Verkündet er auch ihre Schäden dem Leser seiner Aphorismen – wie der wahre Don Juan, der nicht ohne die Frauen leben kann, sie darum haßt – im Grunde aber nur die Eine sucht. Ich begegne Karl Kraus am liebsten unter »kriegsberatenen Männern«. Seine dichterische Strategie sind Strophen feinster Abschätzung. Ein gütiger Pater mit Pranken, ein großer Kater, gestiefelte Papstfüße, die den Kuß erwarten. Manchmal nimmt sein Gesicht die Katzenform eines Dalai-Lama an, dann weht plötzlich eine Kühle über den Raum – Allerleifurcht. Die große chinesische Mauer trennt ihn von den Anwesenden. Seine chinesische Mauer, ein historisches Wortgemälde, o plastischer noch, denn alle seine Werke treten hervor, Reliefs in der Haut des Vorgangs. Er bohrt Höhlen in den Samt des Vorhangs, der die Schäden verschleiert schwer. Es ist geschmacklos, einen Papst zu hassen, weil sein Raunen Flüsternde stört, weil sein Wetterleuchten Kerzenflackernden heimleuchtet. Karl Kraus ist ein Papst. Von seiner Gerechtigkeit bekommt der Salon Frost, die Gesellschaft Unlustseuche.

Ich liebe Karl Kraus, ich liebe diese Päpste, die aus dem Zusammenhang getreten sind, auf ihrem Stuhl sitzen, ihre abgestreifte Schaar, flucht und sucht sie. – Männer und Jünglinge schleichen um seinen Beichtstuhl, und beraten heimlich, wie sie den grandiosen Cynismusschädel zu Zucker reiben können. O, diese Not, heute rot – – morgen tot! Unentwendbar inmitten seiner Werkestadt ragt Karl Kraus ein lebendiges, überschauendes Denkmal. Er bläst die Lufttürme um und hemmt die Schnelläufer, den Königinnen mit gewinnendem Lächeln den Vortritt lassend. Er kennt die schwarzen und weißen Figuren von früher her von Neuem hin. Mit ruhiger Papsthand klappt er das Schachbrett zusammen, mit dem die Welt zugenagelt ist.

Anmerkungen

Der Sturm, Jg. 1, Nr. 12 vom 19. Mai 1910, S. 90 (KA, Bd. 3.1, S. 142–144).

H: Deutsches Literaturarchiv Marbach (Zugangsnummer: 59.1170). Widmung: »Unserm lieben und wunderlieben Karl Kraus von der Dichterin – Sein Leben etwas – im Original in lebendigen Buchstaben. | Für sein Dichtzimmer.« Faksimile: Feinde in Scharen, S. 611–613. – Der Essay wurde erneut abgedruckt in: Saturn, Jg. 3, H. 4 vom April 1913, S. 116–118; Else Lasker-Schüler, Gesichte (1913), S. 66–68; Der Brenner, Jg. 3, H. 18 vom 15. Juni 1913, S. 837 f. (Beitrag Else Lasker-Schülers zur ›Rundfrage über Karl Kraus‹); Rundfrage über Karl Kraus, [hg. von Ludwig von Ficker,] Innsbruck: Brenner-Verlag [1917], S. 12–14; Else Lasker-Schüler, Essays (1920), S. 18–20. – meiner Mutter • Jeanette Schüler (geb. Kissing) (1838–1890). Else Lasker-Schüler widmete ihr mehrere Bücher, unter anderem 1907 ›Die Nächte Tino von Bagdads‹: »Meiner Mutter der Königin mit den goldenen Flügeln in Ehrfurcht«. In den drei Ausgaben der ›Gesammelten Gedichte‹ erschien das Gedicht ›Mutter‹ (»Ein weißer Stern singt ein Totenlied«) (S. 55; KA, Bd. 1.1, S. 34) mit der Widmung: »Meiner teuren Mutter der heiligste Stern über meinem Leben« (»Meiner teuren Mutter, dem heiligsten Stern über meinem Leben«). – seiner Aphorismen • Karl Kraus veröffentlichte in der ›Fackel‹ ab 1906 regelmäßig Aphorismen, die ersten beiden Ausgaben mit dem Titel ›Abfälle‹ (Jg. 7, Nr. 198 vom 12. März 1906, S. 1–3; Jg. 8, Nr. 202 vom 30. April 1906, S. 1–3). Gesammelt erschienen die Aphorismen zuerst 1909 in dem Buch ›Sprüche und Widersprüche‹ (München: Albert Langen). Der erste Abschnitt ist ›Weib, Phantasie‹ (S. 1–37) betitelt. – Kraus hatte aus ›Sprüche und Widersprüche‹ bei seiner Lesung in Berlin am 13. Januar 1910 vorgetragen. – Seine chinesische Mauer • Karl Kraus, Die chinesische Mauer, in: Die Fackel, Jg. 11, Nr. 285/286 vom 27. Juli 1909, S. 1–16. – Kraus hatte den Essay bei seinen Lesungen in Berlin am 13. und 20. Januar 1910 vorgetragen. – heute rot – – morgen tot • Sprichwörtliche Redensart nach Sirach 10,10 (»Heute König, morgen tot!«).

[25] Karl Kraus an Else Lasker-Schüler und Herwarth Walden
Wien, Donnerstag, 19. Mai 1910

Else Lasker-Schüler und Herwarth Walden

Halensee

Katharinenstr. 5

Das ist ja Weltaufgang Vielen Dank herrlich

aufgegeben 19/V. 10.

Anmerkungen

H (Telegramm [Entwurf]): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 176057; Ib 159628 [S. 107]). D: Karl Kraus. Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs im Schiller-Nationalmuseum Marbach, Ausstellung und Katalog: Friedrich Pfäfflin und Eva Dambacher in Zusammenarbeit mit Volker Kahmen (Marbacher Kataloge 52), Marbach am Neckar: Deutsche Schillergesellschaft, 1999, S. 198.

Weltaufgang • Am 19. Mai 1910 war im ›Sturm‹ von Else Lasker-Schüler der Essay ›Karl Kraus‹ (s. [24]) erschienen. Ferner druckte ›Der Sturm‹ am 19. Mai (Jg. 1, Nr. 12) von Oskar Kokoschka (1886–1980) die Zeichnung ›Karl Kraus‹ (S. 91) und von Mirko Jelusich (Jelusic) (1886–1969) den Beitrag ›Die Wiener Vorlesung Karl Kraus‹ (S. 94) ab. Karl Kraus hatte am 3. Mai 1910 zum ersten Mal in Wien gelesen.

[26] Karl Kraus, Meine Wiener Vorlesung [Hinweis]

Karl Kraus berichtet über die Reaktionen auf seine erste Lesung in Wien am 3. Mai 1910: »Sonst erschien nur noch in der Berliner Wochenschrift Der Sturm – in der Nr. 12, die auch einen Essay von Else Lasker-Schüler über mich und dazu eine Zeichnung von Oskar Kokoschka brachte – von einem mir unbekannten Autor ein Bericht, dem hier einige Stellen entnommen werden: | […]«.

Die Fackel, Jg. 12, Nr. 303/304 vom 31. Mai 1910, S. 35–39, Hinweis auf S. 38.

[27] Freianzeige in der ›Fackel‹

DER STURM | […] | enthält in der kürzlich erschienenen Nr. 12: | eine Zeichnung von Oskar Kokoschka: Karl Kraus, | einen Essay von Elise [!] Lasker-Schüler: Karl Kraus | und einen Bericht über die Wiener Vorlesung.

Anmerkung

Die Fackel, Jg. 12, Nr. 303/304 vom 31. Mai 1910, Innenseite des hinteren Umschlags.

[28] Herwarth Walden, Oskar Kokoschka und Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Donnerstag, 23. Juni 1910

Herrn

Karl Kraus

Wien I

Elisabethstr. 20

23. Juni 1910

Mein lieber Freund.

Viele herzliche Grüße!! Arbeiten Sie nicht zuviel, [Ausrufezeichen am linken Rand] schreiben Sie mir doch einmal!

Stets Ihr

Herwarth Walden

[von Oskar Kokoschka:] Gruß Ihr OKokoschka

[von Else Lasker-Schüler:] und Tino von Bagdad.

Anmerkungen

H (Postkarte ›Der Sturm. Wochenschrift für Kultur und die Künste. Herausgegeben von Herwarth Walden‹ mit vorgedrucktem Absender: ›Berlin-Halensee. Katharinenstrasse 5‹): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 148028). Poststempel: Halensee, 24. 6. 10. D: Feinde in Scharen, S. 243.

[29] Freianzeige in der ›Fackel‹

DER STURM | […] | In Nr. 12 waren enthalten: | eine Zeichnung von Oskar Kokoschka: Karl Kraus, | ein Essay von Else Lasker-Schüler: Karl Kraus

Anmerkung

Die Fackel, Jg. 12, Nr. 305/306 vom 20. Juli 1910, Außenseite des hinteren Umschlags.

[30] Else Lasker-Schüler, Oskar Kokoschka (Essay)

Oskar Kokoschka

Wir schreiten sofort durch den großen in den kleinen Zeichensaal, einen Zwinger von Bärinnen, tappischtänzelnde Weibskörper aus einem altgermanischen Festzuge; Meth fließt unter ihren Fellhäuten. Mein Begleiter flüchtet in den großen Saal zurück, er ist ein Troubadour; die Herzogin von Montesqiou Rohan ist lauschender nach seinem Liede als das Bärenweib auf plumpen Knollensohlen. Denn Treibhauswunder sind Kokoschkas Prinzessinnen, man kann ihre feinen Staub- und Raubfäden zählen. Blutsaugende Pflanzlichkeiten alle seine atmenden Schöpfungen; ihre erschütternde Ähnlichkeitswahrheit verschleiert ein Duft aus Höflichkeit gewonnen. Warum denke ich plötzlich an Klimt? Er ist Botaniker, Kokoschka Pflanzer. Wo Klimt pflückt, gräbt Kokoschka die Wurzel aus – wo Klimt den Menschen entfaltet, gedeiht eine Farm Geschöpfe aus Kokoschkas Farben. Ich schaudere vor den rissig gewordenen spitzen Fangzähnen dort im bläulichen Fleisch des Greisenmundes, aber auf dem Bilde der lachende Italiener zerrt gierig am Genuß des prangenden Lebens. Kokoschka wie Klimt oder Klimt wie Kokoschka sehen und säen das Tier im Menschen und ernten es nach ihrer Farbe. Liebesmüde läßt die Dame den schmeichelnden Leib aus grausamen Träumen zur Erde gleiten, immer wird sie sanft auf ihren rosenweißen Krallen fallen. Das Gerippe der männlichen Hand gegenüber dem Frauenbilde ist ein zeitloses Blatt, seine gewaltige Blume ist des Dalai Lamas Haupt. Auch den Wiener bekannten Architekten erkenne ich am Lauschen seiner bösen Gorillenpupillen und seiner stummen Affengeschwindigkeit wieder, ein Tanz ohne Musik. Mein Begleiter weist mit einer Troubadourgeste auf meinen blonden Hamlet; in ironischer Kriegshaltung kämpft Herwarth Walden gegen den kargen argen Geist. Auf allen Bildern Kokoschkas steht ein Strahl. Aus der Schwermutfarbe des Bethlehemhimmels reichen zwei Marienhände das Kind. Viele Wolken und Sonnen und Welten nahen, Blau tritt aus Blau. Der Schnee brennt auf seiner Schneelandschaft. Sie ist ehrwürdig wie eine Jubiläumsvergangenheit: Dürer, Grünewald.

Oskar Kokoschka ist eine junge Priestergestalt, himmelnd seine blauerfüllten Augen und zögernd und hochmütig. Er berührt die Menschen wie Dinge und stellt sie, barmherzige Figürchen, lächelnd auf seine Hand. Immer sehe ich ihn wie durch eine Lupe, ich glaube, er ist ein Riese. Breite Schultern ruhen auf seinem schlanken Stamm, seine doppelt gewölbte Stirn denkt zweifach. Ein schweigender Hindu, erwählt und geweiht – seine Zunge ungelöst.

Anmerkungen

Der Sturm, Jg. 1, Nr. 21 vom 21. Juli 1910, S. 166 (KA, Bd. 3.1, S. 147 f.).

Im ›Sturm‹ vom 28. Juli 1910 (Jg. 1, Nr. 22, S. 176) erschien folgende ›Berichtigung‹: »In der Arbeit von Else Lasker-Schüler: Oskar Kokoschka heisst der erste Satz des letzten Abschnitts: Oskar Kokoschka ist eine junge Priestergestalt, himmelnd seine blauerfüllten Augen und zögernd und hochmütig.« In der Ausgabe des ›Sturms‹ vom 21. Juli lautet der Anfang des Satzes: »Oskar Kokoschkas Malerei ist eine […]«. – Paul Cassirer (1871–1926) hatte vom 21. Juni bis zum 11. Juli 1910 die erste Ausstellung von Gemälden Oskar Kokoschkas in Deutschland veranstaltet. Diese war in Berlin von der Öffentlichkeit kaum beachtet worden. – Klimt • Gustav Klimt (1862–1918), namhafter Maler des Wiener Jugendstils. – des Dalai Lamas Haupt • Oskar Kokoschkas Porträt von Karl Kraus, 1909 entstanden, wurde während des Zweiten Weltkriegs aus Privatbesitz in das Wallraf-Richartz-Museum, Köln, ausgelagert und dort durch Kriegseinwirkung zerstört. – Architekten • Adolf Loos, 1909 von Oskar Kokoschka porträtiert. Das Gemälde befindet sich im Besitz der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Neue Nationalgalerie. – Gorillenpupillen • Vgl. zu [20]. – Hamlet • Titelfigur in William Shakespeares gleichnamiger Tragödie. – Oskar Kokoschkas Porträt von Herwarth Walden, am 18. Juni unmittelbar vor Eröffnung der Ausstellung in Berlin entstanden (vgl. Feinde in Scharen, S. 242 [Herwarth Walden an Karl Kraus, Brief vom 21. Juni 1910]), befindet sich im Besitz der Staatsgalerie Stuttgart. – Dürer, Grünewald • Albrecht Dürer (1471–1528) und Matthias Grünewald (um 1480 – um 1530), bedeutende Vertreter der Renaissancemalerei in Deutschland.

[31] Herwarth Walden, Else Lasker-Schüler, Kurt Neimann, Oskar Kokoschka, Samuel Fridolin und Victor von Reisner an Karl Kraus
Halensee, Donnerstag, 21. Juli 1910

Herrn

Karl Kraus

Wien I

Elisabethstr. 20

M. l. F.

Vielen Dank für Brief. Morgen Näheres.

Mit herzlichsten Grüßen

stets Ihr

Herwarth Walden

[von Else Lasker-Schüler:]

Lieber Herzog, viele Grüße und glückliche Reise nach hier. Ihre Else Lasker-Schüler.

[von Kurt Neimann:]

Ergebenste Grüße DrNeimann

[von Oskar Kokoschka:]

H. Gruß Ihr OKokoschka.

[von Samuel Fridolin:]

Samuel Fridolin

[von Victor von Reisner:]

In aufrichtigster Wertschätzung Ihrer Persönlichkeit Victor von Reisner

Anmerkungen

H (Postkarte): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 148016). Poststempel: Berlin, 21. 7. 10. D: Feinde in Scharen, S. 254.

M. l. F. • Mein lieber Freund.

[32] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Donnerstag, 6. Oktober 1910

Lieber Herzog – warum mit Allen gesprochen? Nur mit mir nicht?

Gruß – ein Bettler

Anmerkungen

H (Postkarte): ?. Adressiert an Karl Kraus, Berlin, Hotel Weißes Haus. D (nach: Briefe an Karl Kraus, S. 28): KA, Bd. 6, S. 171.

Die Postkarte wurde in ›Briefe an Karl Kraus‹ mit dem Datum des 6. Oktober 1910 gedruckt. Am 31. Oktober 1910 veröffentlichte Karl Kraus in der ›Fackel‹ einen Essay mit dem Titel ›Kempinski‹ (Jg. 12, Nr. 309/310, S. 1–4), der wahrscheinlich unmittelbar unter dem Eindruck eines Aufenthalts in Berlin geschrieben wurde.

[33] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, wahrscheinlich unmittelbar nach dem 6. Oktober 1910

Lieber Herzog. Ich habe hin und her überlegt, ob ich Ihnen schreiben soll. Aber Sie haben am meisten Einfluß auf Herwarth. Bitte sprechen Sie ihm doch heute noch zu, (ohne ihm von meinem Brief zu sagen), daß er mir nur helfen soll zu spielen und dann mit mir ziehen, sich einmal zwei Jahre ausruhen soll. Ich werde ja so leicht verdienen, im wirklichen Sinne eine Spielerei wird es sein. Mein Schaustück dauert 15 Min. und eine Herrlichkeit es zu spielen! Herwarth muß sich ausruhen – die Qual ist schrecklich, die wir ausstehn; vor einigen Tagen waren wir beide das Leben so satt, wir dachten daran nie mehr den Tag zu erleben. Ich kann Ihnen nicht sagen, lieber Herzog wie schrecklich erbärmlich wir leben und es giebt nur eine Rettung mein Spiel F. Pfemfert sagt, mit meiner Nummer sei viel Geld herauszuschlagen. Er versteht die Variétésache darum sagte ich es am Abend auch immer wieder. Hätte Herwarth sich bekümmert dann hätte ich Stellung. Dann kann er immer Klavierspielen; für mein Geld bin ich sogar so noble, es geht so weit, daß er leben mag wie er will in jeder Beziehung. Ich

Das hört sich alles romantisch an – aber nur eine Weile ist so ein Notkampf anständig durchzumachen. Es geht alle Arglosigkeit verloren. Gestern habe ich aus den Geschäften, Eier-Buttergeschäft: 3 Mädchen, Gemüseladen: die Frau, etc.: Karten gegeben rein aus Politik. Ich habe teilweise die Mischung herbei geführt und durfte nichts sagen. Wenn ich alleine mit Herwarth wäre, dann ginge die Sache bis ins Ungewisse – (für mich ist es eine Beruhigung (eher kommt ein Kameel durchs Schlüsselloch als ein Reicher ins Himmelsreich) aber für meinen Paul – denken Sie Sich – ich bin ganz tot vor Unruhe. Ich muß mir eine Ex. gründen und ich bitte Sie, liebster Herzog, Herwarth zuzusprechen. seine Sachen aufzugeben bis ich das nötigste verdient habe. das Ausruhn tut ihm nötig Ich habe sicher Geldglück, da ich keins in der Liebe habe. Ich bin abergläubig.

Viele, viele Grüße von Tino von Bagdad.

(Und Verzeihung für den halben Bogen, ja? Der Brief soll sofort nämlich fort.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158143). D: KA, Bd. 6, S. 172.

Aus dem Anfang des Briefes geht hervor, dass dieser während eines Aufenthalts von Karl Kraus in Berlin geschrieben wurde. Von einem Varieteeprojekt ist in den Briefen Else Lasker-Schülers seit dem Frühjahr 1910 die Rede. Wahrscheinlich wurde der vorliegende Brief unmittelbar nach der Postkarte vom 6. Oktober 1910 (s. [32]) geschrieben, die an Karl Kraus in Berlin gerichtet ist. – Mein Schaustück • Ein Varieteeprojekt, das Else Lasker-Schüler in zahlreichen Briefen erwähnt, das aber nicht zur Aufführung kam. Astrid Gehlhoff-Claes teilt mit, was Kete Parsenow ihr berichtet hat: »Eine Pyramide aus Krügen sollte den größten Teil einer Varietébühne einnehmen. Davor Else Lasker-Schüler, als Fakir fantastisch verkleidet, unter einem großen Muschelhut ununterbrochen redend. Die weitere Mitwirkende Kete Parsenow im ›goldenen Kleid‹, von einem hereinstürzenden Neger ergriffen und geraubt, im Gegensatz zum Fakir mit völliger Stummheit geschlagen.« (Briefe an Karl Kraus, S. 124 f.) Vom »goldenen Kleid« Kete Parsenows ist auch im Brief Else Lasker-Schülers an Karl Kraus vom 27. Februar 1910 (s. [20]) die Rede. – in jeder Beziehung. Ich • Danach Seitenwechsel und neuer Schreibansatz. – eher kommt ein Kameel durchs Schlüsselloch • Sprichwörtliche Redensart nach Matthäus 19,24: »Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.« – meinen Paul • Else Lasker-Schülers Sohn Paul (1899–1927).

[34] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, wahrscheinlich unmittelbar nach dem 6. Oktober 1910

Lieber Herzog nicht böse sein – ich finde in der Eile oben kein Papier. Ich bitte Sie, schicken Sie mir den Brief (auf d. Depeschen zurück), den ich Ihnen vorgestern schrieb. Er ist nicht ganz gerecht und ich hätte ihn nicht schreiben sollen. Aber ich bin so erregt, da ich noch keine Stellung habe. Ich sage Ihnen, da geht alles Ruhige dahin. Herwarth ist ja selbst so niedergedrückt und ich habe meinen Brief nicht eigentlich persönlich gemeint. Ich ärgere mich nur, daß Herwarth den Sturm hat und nicht mit mir die Sache macht. Ich meine Sich darum kümmert Ich verdiene ja dann genug u. er kann Musik machen statt Literatur.

Jeden Abend nehmen wir uns vor Flucht zu nehmen und bleiben immer wieder da. Ich geh nun heute wieder zu allen Agenten. – Sie müssen nicht glauben, mein Brief ist ein hysterischer Ausbruch, ich bin halbtot. So was können Sie Sich gar nicht denken. man wird wirklich wild. So großartig ist unsere Sache und wir haben kein Glück, keine Decoration etc. Alle Maler waren hingerissen und auch das Publikum im Hebbeltheater. Aber ich werde heute wieder dafür herumlaufen. Wenn wir hier spielen, einen Monat nur, ist alles gewonnen, denn alles kommt ja von Berlin aus.

Bitte lieber Herzog schicken Sie mir meinen so aufgeregten und nicht ganz gerechten Brief retour. Da mir Herwarth leid tut sich abhetzt und nur Sorge hat und nichts vom Leben hat.

Wir sind alles feige Titanen, wir müßten uns alle erstechen miteinander.

Tino von Bagdad.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158189). Briefbogen ›Goethe-Verein‹. D: KA, Bd. 6, S. 173.

Der vorliegende Brief schließt inhaltlich an den Brief an, den Else Lasker-Schüler wahrscheinlich unmittelbar nach dem 6. Oktober 1910 (s. [33]) an Karl Kraus schickte: Letzterer wurde zwei Tage zuvor (»vorgestern«) geschrieben. – Hebbeltheater • Das Berliner ›Hebbel-Theater‹, 1911 in ›Theater in der Königgrätzer Straße‹ umbenannt. Offensichtlich hatte Else Lasker-Schüler dort für ihr Varieteeprojekt (vgl. zu [33]) geprobt.

[35] Freianzeige in der ›Fackel‹

Else Lasker-Schüler: | DER SIEBENTE TAG | (Verlag des Vereins für Kunst, Berlin 1905, Amelang’sche Buchhandlung, Charlottenburg)

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 12, Nr. 309/310 vom 31. Oktober 1910, Innenseite des vorderen Umschlags.

Herwarth Walden hatte Karl Kraus am 10. Oktober 1910 ein Exemplar von ›Der siebente Tag‹ übersandt. Er schreibt: »Ich sandte Ihnen heute den Gedichtband ›Der siebente Tag‹. Im Inhalt sind einige Gedichte angestrichen.« (Feinde in Scharen, S. 271.)

[36] Else Lasker-Schüler, Gedichte (›Weltende‹, ›Johann Hansen und Ingeborg Coldstrup‹, ›Streiter‹)

Gedichte

Weltende

Es ist ein Weinen in der Welt,

Als ob der liebe Gott gestorben wär,

Und der bleierne Schatten, der niederfällt

Lastet grabesschwer.

Komm, wir wollen uns näher verbergen ....

Das Leben liegt in aller Herzen

Wie in Särgen.

Du! wir wollen uns tief küssen ....

Es pocht eine Sehnsucht an die Welt,

An der wir sterben müssen.

Johann Hansen und Ingeborg Coldstrup

Zur Kindertragödie in Kopenhagen

Ingeborg, seine kleine Königin ist tot – Johann Hansen lebt noch; an seinem Bettchen sitzt eine barmherzige Schwester und betet, daß der arme verirrte Knabe bald genesen möge. Der Stationsarzt hat ihm das Tor des Todes verriegelt, sein Herz, das Ingeborgs Namen trägt, kann nicht zu ihr ins Himmelreich. Nun wird das Kinderspiel erst eine Kindertragödie. Die Beiden wollten ja nur zum Tod, weil der einen Himmel besitzt, in dem sie sich vor allen Engeln ohne Furcht vor Strafe herzen könnten. Nicht diese Heimlichkeiten der Freude, ihre Gesichter schienen durch die Spalte der Türen, durch das Eisen der Tore. Immer bauten sie auf ihren Händen gläserne Schlösser, darin sie sich tausendbunt spiegelten bis ans Ende der Welt, wo der Himmel anfängt. Dort wohnt der Tod. Johann Hansen hob Ingeborg mit seinen Knabenarmen die Treppe zum Einlaß des Todes empor. Der öffnete und ließ die kleine Königin ein, Johann stolperte rücklings ins Leben zurück. Diese beiden feinen Kinder ergreifen meine Seele. Das Leben ließ sie aus der Haft, der Tod schmückte ihnen rosig sein Tor. Ich möchte, der Engel aus Andersens Märchen käme und trüge den verwundeten Knaben zu Ingeborg ins Himmelreich. Wie bösmütig sind die Menschen, die immer helfen wollen, ins Leben zu befördern. Es ist Nacht, überall blüht ein Stern. An der Decke im Krankensaal stehen viele Sterne, rotgoldene, süßgelbe, wie Honig, und auch mattfunkelnde Immortellen. Alle pflückt der kleine, heldenmütige Bräutigam für seine Braut, wenn er im Himmel mit ihr Hochzeit feiert. Auf einmal schlägt er die Augen auf: »Ingeborg, ich halte mein Wort!« Hast du es gehört, großer Engel aus Andersens Märchen? Oder soll er aufwachen aus seinem Traum des Himmels – und die Erde ist wieder da, das Himmelreich verschwunden, wie fortgezaubert, und Ingeborg liegt im Grabe. Ein Keller wird dann die Welt sein, kahl, viel kahler als seines Hauses Keller. Alt ist er, wenn er aufwacht, jung, wenn seine Augen sich schließen. Was bietet das Leben? Nicht das Kind braucht den Eltern dankbar zu sein; wie können die Eltern aber das Nichtgeborensein dem Kinde ersetzen!? Solch zwei Kindern vor allen Dingen, zwei Engel, die nicht auf die wankelmütige Erde gehören. Flügel wuchsen ihnen; die Pistole, die sich der Knabe vom Erlös seiner Geige kaufte, war Vortäuschung. Denn es geschah hier ein Todeswunder. Nicht mehr wäre ich überrascht gewesen, wenn dieselben Kinder anstatt für ewig zu schlummern, auferstanden wären aus einem Grabe. Wie will der Lazarus, der den Knaben auferweckt, ihm ein Himmelreich ersetzen? Es werden keine Landeserholungsheime die »festgestellte« Neurose (Edelneurose) fortkurieren. Aber ich denke an Selma Lagerlöf die herrliche Menschin, an Karin Michaelis das liebe große Kind, sie könnten dem Knaben den himmelblauen Verlust ersetzen. Sie tragen die Bilder des Himmels in ihren Dichterinnenherzen – halten sie zwischen ihren Händen. Ich bin nicht sentimental, ich bin traurig. Man vergleiche nur nicht die unaufgeblühte Liebe dieser Engel mit den Tändeleien koketter Schulmädchen und greisenhafter Zwerge auf den Spazierwegen am Sonntagmittage. Diese beiden Kinder ergreifen meine Seele, ihre Lippen sind Himmelsschlüsselchen.

Streiter

Und Deine hellen Augen heben sich im Zorn,

Schwarz, wie die lange Nacht, und morgenlose,

Des Eitlen Stimme brüllt in toter Pose,

Wie durch ein enggebogenes Horn.

Und durch das übermütige Tausendlachen

Der Einen und der Zweiten und der Vielen,

Zerbersten Wort an Worten sich aus Wetterschwielen,

Wie reife Härten auf den lauten Schwachen.

Und Abendwinde, die von her und dort sich trafen

Und schrill in Kreiseleile sich beschielen,

Aufpfiffen fröstelnd über die gebohnten Dielen –

Ich konnte nachts vor Träumerei nicht schlafen.

Und meine Seele liegt wie eine bleiche Weite

Und hört das Leben mahlen in der Mühle,

Es löst sich auf in schwere Kühle,

Und ballt sich wieder heiß zum Streite.

[Anmerkung von Karl Kraus:]

Diese Gedichte sind nicht Manuskripte. Aber weil sie gedruckt sind und kein Deutscher sie gelesen hat, müssen sie hier erscheinen. So ist die Lyrik beschaffen, die heute noch der rationalistischen Visage deutscher Kunstbetrachter ein Grinsen entlockt. Und da Verleger in den seltensten Fällen Vorläufer sind, so wird die Ausgabe »Der siebente Tag« ein Opfer bleiben, das der »Verein für Kunst« in Berlin zu den übrigen Opfern legen kann.

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 12, Nr. 309/310 vom 31. Oktober 1910, S. 4–6.

›Streiter‹ und ›Weltende‹ waren 1905 in ›Der siebente Tag‹ (S. 33 und 42; KA, Bd. 1.1, S. 98 und 103) erschienen (s. [35]), ›Johann Hansen und Ingeborg Coldstrup‹ war zuerst am 14. April 1910 im ›Sturm‹ (Jg. 1, Nr. 7, S. 49; KA, Bd. 3.1, S. 135 f.) veröffentlicht worden. Nach dem Erscheinen von ›Johann Hansen und Ingeborg Coldstrup‹ im ›Sturm‹ schreibt Karl Kraus an Herwarth Walden: »Bitte sagen Sie Frau E[lse] L[asker]-Sch[üler], daß ich diesen Kinder-Essay bedeutend finde« (Feinde in Scharen, S. 213). – Kindertragödie in Kopenhagen • Der Erzählung liegt eine Begebenheit zugrunde, die sich am 5. April 1910 in Kopenhagen ereignet und über die das ›Berliner Tageblatt‹ am 7. und 8. April 1910 (Jg. 39, Nr. 173 [Morgen-Ausgabe], 1. Beiblatt [›Das Liebesdrama der Vierzehnjährigen‹] und Nr. 176 [Abend-Ausgabe] [›Kinderliebe‹]) berichtet hatte. – der Engel aus Andersens Märchen • ›Der Engel‹ von Hans Christian Andersen (1805–1875). Das Märchen beginnt mit den Worten: »Jedes Mal, wenn ein gutes Kind stirbt, kommt ein Engel Gottes zur Erde hernieder […].« – Lazarus • Vgl. Johannes 11,1–44 (die Auferweckung des Lazarus durch Jesus). – Lagerlöf • Selma Lagerlöf (1858–1940), schwedische Schriftstellerin (s. [107]). – Michaelis • Karin Michaëlis (1872–1950), dänische Schriftstellerin und Journalistin (s. [107]).

[37] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, wahrscheinlich um den 22. November 1910

Lieber Herzog.

Ich war natürlich wieder vergebens hingerannt. – Ich kann mir nicht denken, daß ein Direktor eines Variétés die Gemütstiefe besitzt, ohne daran gestoßen worden zu sein, den Rauch des Variétés für mich schädlich zu halten. Ich will damit nicht sagen, daß sie es verhindern wollten. Ich bilde mir vor allen Dingen gar nicht ein, daß ein Anderer so viel Interesse für mich hat. Hätte er es, so würde er mir, kenne er die Dinge alle, zu einem Engagement verhelfen. Ich bin völlig zu Ende. Ich habe geglaubt mich retten zu können, Gehofft, ich wollte eine That von mir verwirklicht sehn denn ich bin den Tag und der Nacht müde, übermüde und meine Sorgen wachsen beständig. Ich sehe bald keinen anderen Ausweg, mir noch einmal eine Summe Geldes zu besorgen, mein Kind einzukaufen oder mein schäbiges ganz hundsgemeines, widerliches, verkommenes Leben versichern zu lassen und dann ein Ende zu machen. Ich habe meinem Kinde nie etwas schenken können wie andere Leute ihren Kindern, und das peinigt mich und vor allen Dingen seine Zukunft: Ich bin eben zu verkommen und meine Lustigkeit zuweilen ist nichts anders wie ein Aufknallen von Batterien. Auch will ich nicht mehr leere Karrren [?] ziehn; hätte ich ein Gesicht dazu, ich hätte mich dem ersten Greis in die Arme geworfen oder das erste Weib für Geld geprügelt, schließlich die Gedärme aus dem Leib gerissen –, ich habe Talent zum Jaque the Ripper. Namentlich wenn ich die rechte Spezies treffe den Lockenweibern mit hochatmenden Busen. Nun bin ich gerannt von Agent zum Agent – einen habe ich jetzt – aber es muß schnell gehn, noch schneller, am schnellsten – und ich würde Ihnen sehr zum Dank verpflichtet sein, wenn Sie ein Wort der Fledermaus schreiben oder es Adolf Loos noch einmal dringend schreiben. Es muß in einer Riesenstadt beginnen. Dann bekommen wir alles. Sie glauben nicht wie herrlich und interessant meine Sache ist; fragen Sie O. K. Er würde sicherlich lieber das Gegentheil sagen. Ich mache Unsinn.

Ich muß nun zu Bett – daß mir der Nachmittag werde zur Mondhälfte der Nacht. (Schiller oder von Hermann u. Dorothea.) Ich scherze.

Tino Waly.

Sehen Sie Sich doch meine Sachen an? Ja? Bitte, bitte, bitte!

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158147). D: KA, Bd. 6, S. 178 f.

Im Brief an Paul Zech (1881–1946) vom 22. November 1910 (vgl. KA, Bd. 6, S. 179 f.) berichtet Else Lasker-Schüler, dass sie einen neuen »Agenten« für ihr Varieteeprojekt (vgl. zu [33]) gefunden habe. Im vorliegenden Brief heißt es: »Nun bin ich gerannt von Agent zum Agent – einen habe ich jetzt […].« – mein Kind • Paul Lasker-Schüler (1899–1927). – Jaque the Ripper • Jack the Ripper wird ein unbekannter englischer Serienmörder genannt, der 1888 in London mindestens fünf Frauen tötete und den Unterleib aufschnitt. – Fledermaus • Das 1907 in Wien gegründete ›Cabaret Fledermaus‹, das in den Anfangsjahren ein anspruchsvolles literarisches Programm bot: Unter anderem wurden Texte von Peter Altenberg vorgetragen. – O. K. • Oskar Kokoschka. – daß mir der Nachmittag werde zur Mondhälfte der Nacht • Anspielung auf Goethes Versepos ›Hermann und Dorothea‹ (4. Gesang [›Euterpe‹], Vers 197–201): »Da antwortete drauf die gute Mutter verständig: / Sohn, mehr wünschest du nicht, die Braut in die Kammer zu führen, / Daß dir werde die Nacht zur schönen Hälfte des Lebens / Und die Arbeit des Tags dir freier und eigener werde, / Als der Vater es wünscht und die Mutter.«

[38] Else Lasker-Schüler, Handschrift

Handschrift

Für den Künstler der Handschrift ist der Inhalt seines Schreibens nur ein Vorwand, wie für den Maler das Motiv seines Bildes.

Ich habe beobachtet, daß Kinder und Große so recht in Gedanken versunken, mit der Feder, mit dem Bleistift an zu kritzeln fingen, dann ganz unbewußt bemüht waren, schöne oder verschnörkelte Buchstaben und Worte zu schreiben; sich dann später selbst über die Bedeutung des Geschriebenen wunderten. Auf einmal steht auf dem weißen Rand der Zeitung ein Name im Arabeskenschmuck oder blumenverziert. Dort ist ein Zeitwort auf dem Kopf gestellt, ich meine ein xbeliebiges Wort in Spiegelschrift geschrieben. Ich habe dasselbe fesselnde Gefühl beim Ansehn einer interessanten Handschrift wie bei einer guten Federzeichnung oder einem Gemälde. Und doch möchte ich darum die Handschrift nicht mit der Malzeichenkunst in einen Farbentopf oder in ein Tintenfaß werfen. Aber der, welcher sich verzweifelt nach einem Talent sehnt, möge es zunächst in seiner Handschrift suchen. Oft hat schon der Lehrer sie im Keim erstickt. Den meisten bleibt die Schrift nichts wie Inhalt – die Nachricht erfreut ihn, ärgert ihn, namentlich wenn sie noch dazu undeutlich geschrieben ist. Warum hörte ich nie jemand sagen: Erklären Sie mir diese oder jene Handschrift. Ich meine nicht des sprachlichen Verständnisses wegen, auch nicht aus graphologischem Grunde; rein künstlerisch! Wie ja so oft die Frage aufgeworfen wird vor einem Bildnis. Es hat noch nie jemand von einer Handschrift den alltäglichen Ausruf getan: »Die ist mir zu hoch!« Und doch gibt es gerade Meister dieser Schulmeisterkunst. Diejenigen sinds, die sich im Klassenzimmer Strafe holten ihrer Klaue wegen. Es geht ihnen wie dem Genie, welches die Kunstschule ausspie. Handschrift ist erblich wie jedes Talent. – Für mich kommt kaum der Inhalt eines Briefes in Betracht; ich kann mich für den Schreiber nur seiner Buchstaben wegen interessieren. Und es geschah schon, daß ich ganz entzückt einen unverschämten Brief beantwortete und umgekehrt. Die Schrift ist ein Bild für sich und hat nichts mit dem Inhalt zu tun. Jeder lernt schreiben, eine Menge Menschen haben es in ihrer Handschrift zur Kunst gebracht. Und darum auch gibt es in keiner Kunst so viele Epigonen, wie in der Kunst der Buchstaben. Für diese Nachahmer ist jeder Buchstabe ein Gestell, dem sie einen Mantel umhängen, den ein anderer gewebt hat, sie verstehn eben ihre Blöße zu bemänteln. Die ursprünglichen Epigonen sind reichgewordene Frauen, die sich bemühen ihre so oft charakteristische Ladenmädchenschrift zentimeterhoch heraufzuschrauben direkt zu hochmütigen Gänsehälsen. Der Mann möchte Bedeutung in seine Schrift legen und ahmt der Hand des ihm Geistigüberlegenen nach. Ungemein sympathisch berührt mich die sogenannte Tatze, die Schrift der Knaben wenn sie den Aufsatz ins Diarium schreiben. Hier diese Zeilen hat ein Mädchen vorsichtig und sanft geschrieben. Manchmal lachen auch Briefe oder sind erbittert, die Schrift riecht fast nach Galle. Meines Freundes Brief blinzelt, eine Faunlandschaft. Dein Onkel schreibt eine kleine, rundliche, gleichmäßige Handschrift wie Taler. Geizhals ist er, aber kein Handschriftkünstler wie mein Freund der Faun. Interessant sind die spitzauslaufenden Buchstaben auf dieser Seite, jedes Wort ein Wolfsgebiß. Und doch kein Tiergemälde. Interessant wirkte auf mich die Korrespondenz, die ich erbrach zugunsten der Kunst, zwischen Karl Kraus und Herwarth Walden. Alte und neue Meisterstücke. Ich sprach schon einmal in meinem Essay über die Pietät in Karl Kraus Buchstaben. Seine Handschrift ist ein Dürergemälde. Meine Handschrift hat als Hintergrund den Stern des Orients. Oft sagten mir Theologen, ich schreibe deutsch wie hebräisch oder arabisch. Ich denke an der späten Ägypter Fetischkultur; ihnen ging aus dem Buchstaben schon die Blüte auf. Der Zwischenduft der Handschrift mit Zeichenmalkunst verbindet. Mir fallen noch die Schriften der Chinesen und Japaner ein. »Die Mitternacht zog näher schon, in stummer Ruh lag Babylon« – die plötzliche Geisterschrift an der Wand entsetzte die berauschten Gäste nicht des Inhalts wegen, das furchtbare Schriftbild war es. Sie erblickten den Inhalt des Fluches. Darum ist auch das Verständnis zur Kunst ein Seltenes und Erhabenes – es liegt uns im Gesicht und geht uns vom Gesicht aus. – Die Kaufmannshandschrift – ich möchte noch vorher fragen, hat schon einer der Leser einmal ein Lebenszeichen vom Dichter Peter Baum bekommen? Nämlich gerade bringt mir der Postbote so ein Sommerbildchen, Buchstaben: Mückenschwarm, der vergnügt in der Sonne tanzt. Seine Karte blendet. Ich bin bei der Kaufmannshandschrift – phantasielos, nüchtern, sie liegt bewegungslos auf dem Papier. Kühle Tatsache. Der kaufmännische Reisende dreht seinen Buchstaben eitel den Schnurrbart. Stutzig machen mich Briefe, die vom Geschäftsmann geschrieben sind und von der Buchführung doppelt abweichen. In dem Schreiber steckt sicherlich das Handschrifttalent. Es gibt auch Launen der Schrift. Kinder, die erst morgen dem Christkind schreiben wollen, da sie heute nicht schön schreiben können. Meiner Mutter Briefe waren schwermütige Cypressenwälder, meines Vaters Schrift reizte zum Lachen, humoristische Zeichnungen aus dem Struwelpeter. Kohlrabenpechschwarze Mohren oder der böse Nicolas steckt die Jungens ins Tintenfaß. Gelungene, amüsante Überschwemmungen von Tinte waren die Briefe meines Vaters. – Es gibt auch Schriftinspirationen, viele Menschen berauschen sich an ihrer Schrift, und den Inhalt, den sie aufschreiben, ist nur Vortäuschung. Ich schreibe oft, um mich durch meine Schrift zu erinnern, mein Vater um sich zu ergötzen. Meine Schwestern schreiben zweierlei: die älteste: Reisebilder, die andere: Kinderbilder. Der einzige Plastiker der Handschrift, den ich kannte, war St. Peter Hille, Petrus – er schrieb Rodins. Wie viel deutlicher gemalt ist das tiefsinnigste Bildnis, als die ausgeschriebene Handschrift (rein künstlerisch verstanden). Aber auch die kann dilettantisch sein, wenn sie ohne Tiefe und Geist und nur aus Ausübung entstanden ist. Manche sogenannte schöne Schrift allzudeutlich, Ölbilder nach Sichel. Lieber ist mir schon die Pfote von Aujuste. Ihr Brief und die Antwort vom Schatz, geben sich einen Schmatz. Derbe Genrebilder. Vielerlei gibts davon. Ähnlich wie die Köchin schreibt das Dienstmädchen, die Kellnerin, das kleine Mädchen, die kecke Hure. Aber loser geheftet, unordentlicher ihr Brief, ein leicht schaukelndes Gerippe. Weit eher ist die Demimonde eine Epigonin. Sie stiehlt lächelnd und liebkosend die Buchstaben der Originale oder versteht wie die Sprache auch die Schrift ihres in Fessel gelegten Herrn zu kopieren und belecken. – Habe ich schon gesagt, daß es auch Stilleben in der Handschrift gibt, zehnseitenlange Briefe, die schlafen, aber deren Inhalt voll Leben sprudeln; Handschriftkünstler, die schulakademisch erzogen und erwogen sind. – Manche Buchstaben gucken neugierig; gewissenhafte Schriften, wo die Buchstaben getrennt auseinanderstehen. Er war sehr niedergeschlagen, als er diesen Brief schrieb, seine Handschrift war dünn aufgelegt. Hochbeglückt, glänzen die Vokale – glückliche Handschrift. Ich habe ein kleines Laboratorium von Schreibkaninchen, die ich anrege, mir Briefe zu schreiben. Sie können sich also schon auf meine Erfahrung verlassen, lieber Sturmleser; es tut mir unendlich leid, daß mein Manuskript dieses Aufsatzes nicht in Ihre Hände gelangt. Trotzdem es mit schwarzer Tinte geschrieben ist, wirkt es blau, tiefblau, liebesblau. Den wissenschaftlichen, langweiligen Inhalt müssen Sie schon in Kauf nehmen – seine Handschrift ist ein Liebesbildnis. Ich dachte nämlich, indem ich über »Handschrift« schrieb, an drei schöne Königssöhne. In Wirklichkeit schrieb ich drei Briefe; den ersten an Zeuxis, den griechischen Maler, der nun in Berlin wohnt. Er sei mein Ideal, aber ich ginge nicht an ihm zugrunde. Ich schrieb dem guten Prinzen von Afghanistan, daß er mein Typ sei und daß wir ineinander verwachsen wären. Ich schrieb Wilhelm von Kevlaar, daß er mein Symbol war, daß ich am Sterben läge, denn ich hätte an die große Treue geglaubt, an seine Treue zu mir, und er habe sie gebrochen.

Das Manuskript liegt dem interessierten Leser zur Verfügung in der Direktion.

Anmerkungen

Der Sturm, Jg. 1, Nr. 39 vom 24. November 1910, S. 309 f. (KA, Bd. 3.1, S. 158–161).

Für den Abdruck in ›Gesichte‹ (1920) (S. 26–31) strich Else Lasker-Schüler die folgende Charakterisierung von Karl Kraus: »Seine Handschrift ist ein Dürergemälde.« – die Pietät in Karl Kraus Buchstaben • Siehe [24]. – Dürergemälde • Albrecht Dürer (1471–1528), namhafter Vertreter der Renaissancemalerei in Deutschland. – Die Mitternacht zog näher schon • Anfang von Heinrich Heines Ballade ›Belsatzar‹ aus dem Zyklus ›Junge Leiden‹, der im ›Buch der Lieder‹ erschienen ist. Die Ballade beruht auf dem biblischen Stoff der geheimnisvollen Schrift an der Wand. Vgl. Daniel 5. – Peter Baum • Peter Baum (1869–1916), aus Elberfeld gebürtiger Schriftsteller. Er stammte aus einer Fabrikantenfamilie und hatte nach dem Besuch des Realgymnasiums eine kaufmännische Lehre begonnen, die er allerdings nicht abschloss. Else Lasker-Schüler schrieb über ihn den Essay ›Peter Baum‹ (Der Sturm, Jg. 1, Nr. 1 vom 3. März 1910, S. 5 f.; KA, Bd. 3.1, S. 128 f.) und – als Nachruf – das Gedicht ›Peter Baum‹, das am 20. November 1916 in ›Der Bildermann‹ (Berlin) (Jg. 1, Nr. 16, Beilage; KA, Bd. 1.1, S. 188 f.) erschien. – Meiner Mutter • Jeanette Schüler (vgl. zu [24]). – meines Vaters • Aron Schüler (1825–1897), Bankier in Elberfeld. – Struwelpeter • ›Struwwelpeter‹: Kinderbuch von Heinrich Hoffmann (1809–1894). Der »böse Nicolas« ist eine Figur aus der ›Geschichte von den schwarzen Buben‹. – Meine Schwestern • Martha Theresia Wormser (1862–1917) und Annemarie (Anna) Lindner (1863–1912). – Peter Hille • Peter Hille (1854–1904), Bohemedichter in Berlin. Über ihn schrieb Else Lasker-Schüler mehrere Essays und veröffentlichte 1906 ›Das Peter Hille-Buch‹ (KA, Bd. 3.1, S. 27–66). 1902 erschien in ›Styx‹ das Gedicht ›Der gefallene Engel‹ (S. 49 f.; KA, Bd. 1.1, S. 55 f.) mit der Widmung: »St. Petrus Hille zu eigen«. – Rodins • Auguste Rodin (1840–1917), französischer Bildhauer. – Sichel • Nathaniel (Nathanael) Sichel (1843–1907), deutscher Maler und Buchillustrator. – Zeuxis • Zeuxis von Herakleia, griechischer Maler, der im letzten Drittel des 5. und in den ersten Jahren des 4. Jahrhunderts v. Chr. wirkte. Sein Werk ist nur durch literarische Zeugnisse überliefert. Mit dem »griechischen Maler, der nun in Berlin wohnt«, ist Oskar Kokoschka gemeint. – Wilhelm von Kevlaar • Wilhelm heißt der um »das tote Gretchen« trauernde Sohn in Heinrich Heines Ballade ›Die Wallfahrt nach Kevlaar‹ aus dem Zyklus ›Die Heimkehr‹, der im ›Buch der Lieder‹ erschienen ist. Else Lasker-Schülers Gedicht ›Weltende‹ erschien 1905 in ›Der siebente Tag‹ (S. 42; KA, Bd. 1.1, S. 103) mit der Widmung: »Herwarth Walden«, 1917 in der ersten Ausgabe der ›Gesammelten Gedichte‹ (S. 100) mit der Widmung: »H. W. Wilhelm von Kevlaar zur Erinnerung an viele Jahre«.

[39] Else Lasker-Schüler, Ein alter Tibetteppich

Ein alter Tibetteppich

Deine Seele, die die meine liebet,

Ist verwirkt mit ihr im Teppichtibet

Strahl in Strahl, verliebte Farben,

Sterne, die sich himmellang umwarben.

Unsere Füße ruhen auf der Kostbarkeit

Maschentausendabertausendweit.

Süßer Lamasohn auf Moschuspflanzenthron

Wie lange küßt dein Mund den meinen wohl

Und Wang die Wange buntgeknüpfte Zeiten schon.

[Anmerkung von Karl Kraus:]

Nicht oft genug kann diese taubstumme Zeit, die die wahren Originale begrinst (und der sonst ernsthafte Leute wie die Brüder Mann mit einem Zeugnis für die »außer Zweifel stehende dichterische Begabung« eines gutmütigen anarchistischen Witzboldes imponieren können), nicht oft genug kann sie durch einen Hinweis auf Else Lasker-Schüler gereizt werden, die stärkste und unwegsamste lyrische Erscheinung des modernen Deutschland. Wenn ich sage, daß manches ihrer Gedichte »wunderschön« ist, so besinne ich mich, daß man vor zweihundert Jahren über diese Wortbildung ebenso gelacht haben mag, wie heute über Kühnheiten, welche dereinst in dem Munde aller sein werden, denen die Sprache etwas ist, was man »gebraucht«, um sich den Mund auszuspülen. Das hier aus der Berliner Wochenschrift ›Der Sturm‹ zitierte Gedicht gehört für mich zu den entzückendsten und ergreifendsten, die ich je gelesen habe, und wenige von Goethe abwärts gibt es, in denen so wie in diesem Tibetteppich Sinn und Klang, Wort und Bild, Sprache und Seele verwoben sind. Daß ich für diese neunzeilige Kostbarkeit den ganzen Heine hergebe, möchte ich nicht sagen. Weil ich ihn nämlich, wie man hoffentlich jetzt schon weiß, viel billiger hergebe.

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 12, Nr. 313/314 vom 31. Dezember 1910, S. 36.

›Ein alter Tibetteppich‹ war zuvor am 8. Dezember 1910 im ›Sturm‹ (Jg. 1, Nr. 41, S. 32; KA, Bd. 1.1, S. 130) erschienen. – die Brüder Mann • Heinrich (1871–1950) und Thomas Mann (1875–1955). – den ganzen Heine • Ende November 1910 war von Karl Kraus der Essay ›Heine und die Folgen‹ (vgl. zu [54]) bei Albert Langen in München erschienen. Eine Freianzeige des Verlags ist in der ›Fackel‹ vom 31. Dezember 1910 auf der Innenseite des vorderen Umschlags abgedruckt.

[40] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Montag, 2. Januar 1911

Mein sehr lieber Herzog.

Denken Sie mein Brief ist eine Depesche oder das schnellste Wort mit Siebenmeilenstiefeln. Wie schön haben Sie über mich geschrieben!

Ihre Tino, liebster Herzog.

Anmerkungen

H (Brief): ?. D (nach: Briefe an Karl Kraus, S. 28): KA, Bd. 6, S. 182

Siebenmeilenstiefeln • Anspielung auf das weit verbreitete Märchenmotiv der Zauberschuhe. – über mich geschrieben • Die Anmerkung, die Karl Kraus am 31. Dezember 1910 in der ›Fackel‹ zum Gedicht ›Ein alter Tibetteppich‹ veröffentlicht hatte (s. [39]).

[41] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Donnerstag, 5. (oder 12.) Januar 1911

Donnerstag.

Lieber Herzog,

verehrter Dalai Lama.

Ich habe einen großen Essay: »Sterndeuterei und Diagnose« geschrieben. Wollen Sie ihn haben zur Ansicht für die Fackel? Sollte er Ihnen nicht für die Fackel passen, so kommt er in den Sturm. Es schadet nichts. Ich glaube nur er gefällt Ihnen. Und wenn Sie ihn nehmen, kommt er dann in die jetzige Fackel?? Sonst müßte ich ihn wiederhaben, da er verlangt wird für mein neues Buch Essays und andere Köpfe. Ihre Kritik war prachtvoll. Hoffentlich werden wir jetzt bald engagiert werden und wir spielen dann den Fakir von Theben mit dem Häuptling-Neger. [die linke Hälfte des H als Fuß, über der rechten Hälfte zwei Gesichter] Am 18. spreche ich wieder bei den Neopathetischen. Meine Wupper auf Elwerfelder-Plattdütsch. Eck kann jo dat Platt god spreken verdeck no mol! Wat meenen Se’ – Emmy is weher do! Däm Hardekopp han eck vör eenegen Dagen eene Backfeefe heronger gehauen, weel hä dat Weit weher en dat Coffi metnemmt wo eck sette. Aber ich gehe fast gar nicht mehr hin; den Galiläer zu spielen lohnt sich nicht; die Leute haben keine Phantasie. Ich war wieder verliebt [drei Wörter unleserlich gestrichen] ich Ochse hatte den Namen geschrieben 8 Tage, weil er so aussieht wie Min der Sohn des Sultans von Marokko in meinem Buch. Aber er hat auch nichts gemerkt. Ich nehm mir nun ein Loos endlich.

Meine Gedichte, die neuen kommen heraus Dreililienverlag. Und bald die Essays etc. Und Zeuxis ist ja auch wieder in Wien. [am W eine Fahne] Ratke läßt ihn grüßen, es hat ihn Jemand gefragt aus Wien, ob er ein Bild von O. K. kaufen könnte und wie. Wann kommen Sie wieder nach Berlin, Dalai Lama – zu Herwarths Abend am 26. oder 28. Wenn Sie das täten!!! Also wir würden Sie zerreißen vor Freude, vor Überschwang; die ganzen Truppen holten Sie von der Bahn. Vielleicht begleitet Sie Herr Loos? Tun Sie es Herwarth zur Überraschung!!!!!!!!!!!!!

Und ist mein Essay schön? Ich denke immer noch schöner. Dr. Kraft (Irrenarzt) praktiziert) wollte mich als Assistent nehmen. Sie wissen doch, lieber Herzog, ich sitz immer meist auf dem [Mond, darauf eine kleine sitzende Figur, einen Stern in den Händen, zwei weitere Sterne und Nebelschwaden] und helfe oben – weiß Bescheid.

Gute Nacht, Sie lieber Dalai Lama, ich kann Sie furchtbar gut leiden – Ehrenwort.

(Die Hauptsache ist mir, Sie lesen den Essay.)

Ihre Else Lasker-Schüler.

Ich bin das Leben so müde namentlich meine Venus und meine Milchstraße – ist nun verschneit.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157922). Datum von Helene Kann: »15. I. 11«. D: KA, Bd. 6, S. 182 f.

Helene Kann dürfte das Datum des 15. Januar 1911 nach dem Poststempel des (nicht mehr erhaltenen) Kuverts notiert haben. Der Brief wurde an einem Donnerstag geschrieben, der 15. Januar fiel 1911 auf einen Sonntag. Wahrscheinlich hat Helene Kann sich verlesen: Korrekt dürfte das Datum des 5. (oder des 12.) Januar 1911 sein. – Essay: »Sterndeuterei und Diagnose« • Der Essay erschien mit dem Titel ›Sterndeuterei‹ am 26. Januar 1911 in der ›Fackel‹ (s. [45]). – Essays und andere Köpfe • ›Gesichte. Essays und andere Geschichten‹ erschien 1913 bei Kurt Wolff in Leipzig. Der Essay ›Sterndeuterei‹ (S. 9–17) bildet den ersten Beitrag des Buches. – Ihre Kritik • Die Anmerkung, die Karl Kraus zum Gedicht ›Ein alter Tibetteppich‹ in der ›Fackel‹ vom 31. Dezember 1910 veröffentlicht hatte (s. [39]). – bald engagiert • Vgl. zu [33] (»Mein Schaustück«). – bei den Neopathetischen • ›Der neue Club. Neopathetisches Cabaret für Abenteurer des Geistes‹ veranstaltete am 18. Januar 1911 einen Vortragsabend, an dem unter anderem Else Lasker-Schüler las. Anzeigen erschienen im ›Sturm‹ vom 14. Januar (Jg. 1, Nr. 46, S. 370) und vom 21. Januar 1911 (Jg. 1, Nr. 47, S. 378). – auf Elwerfelder-Plattdütsch • Am Schluss der beiden Ausgaben der ›Wupper‹ von 1909 (S. 103; KA, Bd. 2, S. 240) und 1919 (S. 120) ist jeweils der Hinweis abgedruckt: »Zur Kenntnis: Das Original dieses Schauspiels ist en Wopperdhalerplatt geschrieben worden.« – Emmy is weher do! • Emmy Hennings hatte Ferdinand Hardekopf nach Frankreich begleitet (s. [21]). – den Galiläer zu spielen • Anspielung auf das Wirken Jesu in Galiläa, der in der Bergpredigt fordert: »Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.« (Matthäus 5,39.) – Min der Sohn des Sultans von Marokko • Die Erzählung ›Minn, der Sohn des Sultans von Marokko‹, 1907 in ›Die Nächte Tino von Bagdads‹ (S. 24–28; KA, Bd. 3.1, S. 75 f.) erschienen. – Meine Gedichte • ›Meine Wunder‹. Das Buch erschien Anfang Anfang April 1911 im Dreililien-Verlag (Karlsruhe und Leipzig). – Zeuxis • Oskar Kokoschka (vgl. zu [38]). – Ratke • Ober im ›Café des Westens‹. – Herwarths Abend • ›Der neue Club‹ (s. o.) veranstaltete am 26. Januar 1911 im ›Salon Cassirer‹ einen Liederabend mit Kompositionen Herwarth Waldens, der selbst am Klavier begleitete. Als Vortragende sind Claire Waldoff (1884–1957), Hedwig Rossin-Rosenfeld und Else Lasker-Schülers Schwager Franz Lindner (1857–1937) angekündigt. Anzeigen erschienen im ›Sturm‹ vom 14. Januar (Jg. 1, Nr. 46, S. 370) und vom 21. Januar 1911 (Jg. 1, Nr. 47, S. 378). In einer weiteren Anzeige, die am 28. Januar 1911 im ›Sturm‹ (Jg. 1, Nr. 48, S. 386) erschien, sind als Vortragende Julius Lieban (1857–1940), Hedwig Rossin-Rosenfeld, Franz Lindner und Rudolf Blümner (1873–1945) genannt. Julius Lieban sagte kurzfristig ab, wie aus Herwarth Waldens Brief an Karl Kraus vom 28. Januar 1911 hervorgeht: »Konzert gut verlaufen. Leider sagte Lieban ab.« (Feinde in Scharen, S. 292.) In der ›Vossischen Zeitung‹ (Berlin) veröffentlichte Else Lasker-Schüler am 12. August 1932 den Beitrag ›Hedwig Rossins 70. Geburtstag‹ (Nr. 386 [Abend-Ausgabe], [Beilage:] Unterhaltungsblatt Nr. 223; KA, Bd. 4.1, S. 235). – Das Konzert wurde am 7. März 1911 als Wohltätigkeitsveranstaltung zum »Besten des Mutterschutzhauses in Pankow« wiederholt. Eine Anzeige erschien im ›Sturm‹ vom 4. März 1911 (Jg. 1, Nr. 53, S. 426). Am 10. März (Datum des Poststempels) schreibt Herwarth Walden an Karl Kraus: »Vorgestern wurde mein Liederabend wiederholt.« (Feinde in Scharen, S. 302.) – Dr. Kraft • In drei Erzählungen des ›Peter Hille-Buchs‹ von 1906 erwähnt Else Lasker-Schüler einen »Leibarzt Kraft« (S. 19 f., 30 f. und 80–82; KA, Bd. 3.1, S. 35 f., 40 f. und 65). Im Essay ›Sterndeuterei‹ (s. [45]) spricht sie »von der ersten Leuchtkraft Gottes in St. Peter Hille« (Schluss des zweiten Absatzes).

[42] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, unmittelbar vor dem 21. Januar 1911

[Stern]

Lieber Dalai Lama

Sehen Sie, ich bin nie hartnäckig oder behaupte etwas aus Verschrobenheit aus rechthabergier. – Als »Ruf« wäre es schön das halbe Gedicht – den Anfang so mit Gott, aber ich muß Ihnen sagen, daß das Gedicht schon zweimal gedruckt wurde – und nun als Abschluß wie ein Sternenbouquet ein Rauschen von Sternenpflanzen wirkt – nicht? – Nur Sterndeuterei – den Essay zu nennen ginge, ich glaube noch besser sogar als Diagnose dazu. – das hört sich vielleicht zu wissentschaftlich an zu studiert als ob man dichterisch was verlernt hat. Das Buch kommt erst in 5 Wochen heraus. Und nicht abschließen: Das geht Sie nichts an! Das ist zu eintönig für den Rausch und zu kühl. »Gerne hätte ich Ihnen noch vom Himmel erzählt« – ist voller »Chor« – süßer Stimmen – lauter Engelköpfchen. Dann könnte das halbe Gedicht angesetzt werden, aber nicht alleine halb. Dalai Lama, süßer Herzog, nicht bös sein. Ich sage wie ich wirklich empfinde. Aber wie Sie wollen – wenn Sie glauben es ist besser für den Sturm senden Sie es Herwarth, ja?

Schreiben Sie ihm oft, er liebt Sie. Ich bin ganz kaput – ruhlos innerlich. Kriege auch keine Stellung. Ich freue mich – Fröhlichs sagten mir gestern Frau Kete Parsenow käme jetzt sicher. Ich weiß nicht, ob ich es sagen darf, sie will sicher überraschen uns Alle. Ich verreise bald nach Bonn.

Viele herzliche dankbare Grüße von Ihrer Sie verehrenden

Else Lasker-Schüler.

Anmerkungen

H (Brief): ? (Xerokopie vorhanden). Jahr von Helene Kann: »1909«. D: KA, Bd. 6, S. 183 f.

Karl Kraus antwortet auf den vorliegenden Brief mit seinem Telegramm vom 21. Januar 1911 (s. [43]). – das halbe Gedicht • Das um die Verse 1–6 gekürzte Gedicht ›An Gott‹ bildet den Schluss des Essays ›Sterndeuterei‹ (s. [45]). Ursprünglich sollte das Gedicht vollständig abgedruckt werden: Das Typoskript, das Else Lasker-Schüler an Karl Kraus übersandt hat, enthält die Verse 1–6. Vermutlich hatte Karl Kraus in einem nicht überlieferten Brief die Streichung vorgeschlagen. – schon zweimal gedruckt • ›An Gott‹ war im Februar 1908 in ›Das Magazin‹ (Jg. 77, H. 5, S. 77; KA, Bd. 1.1, S. 113) erschienen, 1911 nahm Else Lasker-Schüler das Gedicht in ›Meine Wunder‹ (S. 64) auf. – Nur Sterndeuterei • Im Typoskript ist der Essay ›Sterndeuterei und Diagnose‹ betitelt. – erst in 5 Wochen • ›Meine Wunder‹ erschien Anfang April 1911. – »Gerne hätte ich Ihnen noch vom Himmel erzählt« • Zitat aus der Schlusspassage von ›Sterndeuterei‹. In den ›Briefen nach Norwegen‹ (s. [75]) druckte Else Lasker-Schüler einen fiktiven Brief an Karl Kraus mit dem Titel ›Vom Himmel‹ ab. – keine Stellung • Vgl. zu [33] (»Mein Schaustück«). – Fröhlichs • Max Fröhlich (1878–1952), Maler und Grafiker. Er entwarf das Frontispiz für ›Die Nächte Tino von Bagdads‹ (1907). Max Fröhlichs Frau Charlotte (Lotte) hatte 1896 in erster Ehe Kete Parsenows Vater, den Arzt Wilhelm Parsenow (1850–1899), geheiratet (Kete Parsenows Mutter Marie war 1895 gestorben). – käme jetzt sicher • Kete Parsenow wurde aus Amerika zurückerwartet, wo sie seit 1905 mit dem Kaufmann Albert Claughton Fox (1879–1952) verheiratet war. Die Ehe wurde – in Abwesenheit Kete Parsenows – im Januar 1914 geschieden.

[43] Karl Kraus an Else Lasker-Schüler
Wien, Samstag, 21. Januar 1911

= lasker schueler katharinenstr 5 halensee

= essay kommt mit gedichtkuerzung ist dass buergermilion ausruf? viele gruesse auch walden vergleich nach rueckziehung vorwass gut. +

Anmerkungen

t (Telegramm): Staatsbibliothek zu Berlin (Sturm-Archiv I, Karl Kraus, Bl. 263). Eingangsvermerk: Halensee, 21. 1. 11. D: Feinde in Scharen, S. 523.

mit gedichtkuerzung • Das um die Verse 1–6 gekürzte Gedicht ›An Gott‹ bildet den Schluss des Essays ›Sterndeuterei‹ (s. [45]). Zur Streichung der Verse s. [42]. – dass buergermilion • Im fünften Absatz von ›Sterndeuterei‹ heißt es: »Oder zweifeln Sie daran, daß mich meine Brüder verkauft haben, daß Bürgermillion!« Für den Abdruck in ›Gesichte‹ (S. 9–17) änderte Else Lasker-Schüler 1913 den Satz: »[…] das Bürgermillion!« – nach rueckziehung vorwass • Der offensichtlich fehlerhaft übermittelte Text dürfte sich auf den Rechtsstreit Herwarth Waldens mit Hermann Nissen beziehen (vgl. zu [6]).

[44] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, unmittelbar nach dem 21. Januar 1911

Ew. Heiligkeit

Durch Ihre Depesche fällt mir ein, verehrter Dalai-Lama, ich wollte noch anstatt: (ich glaube so schrieb ich) »Nun bin ich eine Dichterin und ich bitte zu verzeihn daß ich nicht eine Gehirnkarte« etc – (beinah am Schluß) so schreiben: »Ich bin die Prinzessin von Bagdad und dichte wie Else Lasker-Schüler.« und ich bitte Sie mir zu verzeihn etc. etc. (so steht es doch weiter?)

Mit den Simsonthaten – Joseph etc. vorher bleibt natürlich. Wenns noch zu richten geht, lieber Dalai-Lama, ich finde es dann schöner so und ich hoffe, Sie haben nichts einzuwenden. Ich selbst leide am Wendekreis des Steinbocks, aber die Copie des halsstarrigen oben weiß nichts davon.

Also noch einmal bitte ich Sie zu setzen wenn es noch zu machen Folgendes: – dieses und deute die Träume der mageren Kühe und goldenen Ähren. (So wars doch?) Ich bin die Prinzessin von Bagdad und dichte wie Else Lasker-Schüler und bitte Sie mir etc. etc. (So heißt es doch im Essay)

Ist das deutlich? Für alles meinen Dank!

Julius Lieban singt am 26. Dafnes Lieider.

Er ist ganz entzückt wieder von der Musik.

Viele Grüße, lieber Dalai-Lama, auch an den Gorilla. Herr Rattke Ober im Café fragte nach Herrn Kokoschka eben. Ich sitze großherrlich in Peter Altenbergs Kette und trinke Tinte schwarz.

Ihre Sie verehrende

Else Lasker-Schüler

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158149). D: KA, Bd. 6, S. 184.

Else Lasker-Schüler antwortet auf das Telegramm, das sie am 21. Januar 1911 (s. [43]) von Karl Kraus erhalten hatte. – Ihre Depesche • Das Telegramm vom 21. Januar 1911 (s. [43]). – »Ich bin die Prinzessin von Bagdad und dichte wie Else Lasker-Schüler.« • Karl Kraus übernahm den Änderungswunsch für die Veröffentlichung von ›Sterndeuterei‹ (s. [45]) nicht: Vermutlich war die Ausgabe der ›Fackel‹, die am 26. Januar 1911 erschien, bereits gedruckt. Die Textstelle lautet im Druck: »Heute bin ich eine Dichterin und ich bitte Sie, mir zu verzeihen, daß meine Dichtung keine Gehirnkarte geworden ist mit Farben, lila, grün, rot gefärbt.« – Träume der mageren Kühe und goldenen Ähren • Im Druck lautet die Textstelle: »Träume der Kühe und Ähren«. – Julius Lieban • Vgl. zu [41]. – Dafnes Lieider • Herwarth Walden, Zehn Dafnislieder Op. 11. Des berühmbten Schäffers Dafnis sälbst verfärtigte Freß- Sauff- & Venus Lieder von Arno Holz, Berlin: Morgen Verlag [1908]. Die Ausgabe wurde 1910 vom ›Verlag Der Sturm‹ übernommen. Widmung: »Dem großen Künstler Julius Lieban«. – Gorilla • Adolf Loos (vgl. zu [20]). – Rattke • Ober im ›Café des Westens‹. – in Peter Altenbergs Kette • Peter Altenberg handelte mit von ihm selbst entworfenen Halsketten – mit »wunderbare[n] Perlenschnüre[n] in Porzellan, Holz und Seide« (›PA-Kollier‹) –, die er in Lohnarbeit fertigen ließ. Er berichtet darüber in dem Essay ›PA-Kollier‹, erschienen in Peter Altenbergs Buch ›Märchen des Lebens‹ (Berlin: S. Fischer, 1908, S. 97–99).

[45] Else Lasker-Schüler, Sterndeuterei

Sterndeuterei

Soll Ihr Leib noch länger mit seinen Sternen in der Hand Ihres Arztes liegen und wie lange überlassen Sie ihm noch Ihren Verstand? Fragen Sie einmal so im Vorübergehen den Doktor, ob er von Ihrem Sternensystem eine Ahnung hat. Oder wenden Sie sich an einen Irrenarzt, der am gründlichsten Bescheid wissen müßte von der Astronomie des Menschen; sitzt er doch an seinem Pol, wie ein falscher Gott am Scheidewege, wo sich der Stern vom Chaos trennt. Es gibt gar keinen Irrsinn im Sinne der Eisenbärte, aber wer wird mich nicht verspotten, wenn ich behaupte, es gibt eine Veränderung im Sternensystem, es gibt eine Veränderung im Chaos des Menschen. Darum sind Ihre Leiden aus keinem anderen Grunde entstanden, als aus all zu wuchtigen Sternenvorgängen. Senkte sich unerwartet Ihre Sonne in eins Ihrer Meere? Jedwede Behandlung Ihres Arztes ohne genaue astronomische Kenntnis Ihres Planeten ist ein Vergehen. Unbeschreiblich friedlich stimmt es, einen Mond in sich zu fühlen, und wer ihn in sich trägt, steht im verwandtschaftlichen Verhältnis mit dem Großgehenden da oben. Nach einem Schwächezustand, den ich überwand, meine Tore standen noch unbefestigt, fühlte ich den Durchgang des Vollmonds dicht an dem meinen vorbei, wie ein leichtes Beben. Nicht dieser Vorgang war ein krankhafter, aber durch die Kraft des Vorgangs erlitt ich Sternenschaden. Ich war noch lange nach diesem Ereignis eingehüllt in schwermütigen Wolkengedanken. Glauben Sie, die Erde leide etwa nicht noch durch die kürzlich erlittene, erduldete Kometkraft? Denken Sie an Maria, durch die Gott schritt. Das wird noch einmal geschehen, noch ewigkeitsmal, immer nach Gottesdrehung, er wendet sich durch Maria. Sie leidet das höchste Fest durch das Gottwillkommen, sieben Schwerter krankt ihr Herz. Wir sind das feinste Werk aus Sonne, Mond und Sternen und aus Gott. Wir sind seine Inspiration, seine Skizze zur großen Welt. Ich spreche nicht in Symbolen, obschon Symbole die Schatten großer Wahrheiten sind, Milderungsgründe: wenn etwas Ihren Horizont übersteigt. Sie setzen das allzuklare Licht mit gewisser Überlegenheit gern ins Dunkle. Ich möchte aber die Nacht von Ihnen nehmen, wachen Sie auf durch meine Raketensterne! Ich bin ja keine Gelehrte. Aber wenn ich Menschen medizinisch behandelte, würde ich sie »regnen« lassen, Luft in weiten Kreisen »atmen« lassen. Mancher Menschplanet erstickt an Dürre. Ich würde die verwandtschaftlichen Sterne ausfindig machen, die mit meinem Planetpatienten in irgend einem Zusammenhang stehen könnten; namentlich, wenn es sich um eine epidemische Ursache handelte. Den kleinen Mars des Menschen kann man nur mit dem gröberen, großen Mars der Welt impfen. Ich kenne Leute, die unter dem Zusammenstoß ihrer Fixsterne leiden. Es sind schlechte Pächter ihrer Welt. Jeder Schlaganfall ist ein Zerbersten zweier vom Wege geirrter Sterne. Die Folge dieser Folge erst ist der Tod. Ich bitte Sie nicht, an sich herauf und herunter zu suchen; Sie sehen Ihre Sterne nicht, das was Sie betasten können, ist Chaos. Und weil ich vom Unantastbaren des Menschen spreche, glauben Sie nicht an meine Medizin und halten mich für eine Kurpfuscherin. Aber wer an meine Dichtungen glaubt, die man auch nicht in die Hand nehmen kann, und doch vorhanden sind, wird auch nicht zweifeln an den Sternen der Menschen, wovon ich ihnen erzähle. Sind Sie nicht reicher, als Sie glauben? Ich spreche von Ihrem Unsichtbarsten, von Ihrem Höchsten, das Sie nicht greifen können, wie die Sterne über Ihnen. Sind Sie nicht reicher, als Sie fassen können! Oder haben Sie schon einmal ein Stück Mond gegessen? Sie würden immer nur sein Chaos greifen, wie der Arzt Ihr Fleisch, daraus er keinen Stern formt. Der Doktor hat mich längst überführt, indem er mit dem Messer diese Leiche sezierte: »Der Tote ist an Schwindsucht gestorben, am Zerbersten der Lunge«. Ihr Doktor hat doch keine blasse Ahnung von meiner Medizin. Allerdings ist dieser Tote an Tuberkulose gestorben, an der Folge seiner und des Arztes Unkenntnis seines Sternensystems. Und was ich von einer Epidemie halte? Die ist die Folge der Sintflut im Massenmenschsternensystem, ein Bacchanale tausender Sterne, daran alle Bruchteile, alle ungeordneten, unberufenen Fleischchaosse zersplittern. Ich glaube darum an Wunder, an ungestaltete Medizin. Wer aber kann sie mischen! Jesus von Nazareth tat Wunder, er ergriff die keimenden Sterne und trennte sie von den faulen, und erweckte die Erblaßten an ihrer noch verglühenden Sternschnuppe. Der Nazarener wandelte durch das Sternensystem des Menschen und erlebte die Welt so tief und ging in Gott ein, und Gott in ihn, darum man ihn verwechselt noch auf den heutigen Tag mit Gott. Moses der Prophetarzt erkannte den Gott seines Volkes, heilte es und machte es stark. Eine Sage meiner Bücher sagt von einem Derwisch, der sein Herz in die Hand nehmen konnte und doch lebte durch die Kraft seiner Sterne. Wir sind das glühendste Werk von Mond und Sternen, nach unserm Modell hat Gott die große Welt erschaffen, in der wir: Ureigentum in unserer erweiterten Kopie leben ...

Ureigentum noch unverblaßt zu begegnen, erlebe ich überraschend oft. Diese testamentarischen Sehenswürdigkeiten, Übertragungen, die an Wert nicht einzuschätzen sind! Ich meine nicht die gemütlichen Hausväter aus der alten, guten Zeit oder den Waldmenschen, oder den aus der nackten Körperkultur oder den Zwiebelasketen. Merkwürdig, daß man gerade in den Irrenanstalten Gesichte erblickt aus allererster Sternzeit; Bilder, alte Meister, Menschen, die erstarrt sind in der Vision. Und kein Arzt weiß sie aus dem Augenblick der Erscheinung zu führen, wie aus engem Rahmen. Ich besuche diese scheintoten Gallerien; mich lieben die unverstandenen, verfangenen Gesichte. Etwa weil ich ihnen den richtigen Platz zu geben vermag? O, ihre Angstgefühle! Die andern testamentarischen Gestalten unterscheiden sich von den irrenden Denkmalbildern ihres ungestörten Sternenlaufs wegen. Solchen Sterngeschöpfen geschehn Wunder. Wie St. Peter Hille, er hatte noch mit Moses und Jesus von Nazareth gesprochen und mit Buddha, und erzählte von ihnen, wie der Urenkel etwa von seinem Großvater Goethe. Das war der unumstößliche Beweis von der ersten Leuchtkraft Gottes in St. Peter Hille. Ich gehöre nicht zu den Spiritisten; Spiritismus ist Epigonentum, Nachahmung, gewalttätige Wunder. Um wirkliche Visionen zu erleben, muß man noch in der ersten Leuchtkraft Gottes sein. So ein gotterhaltener Mensch ist fromm und selbst Inspirationen fähig. Aus Isaaks weitem Munde seh ich viel im Traum Sterne aufsteigen, die er benennt nach Gottes Einverständnis.

Die hungrige Zeit fraß meine Leuchtkraft goldweise. Aber ich kann erzählen von der Astronomie des Menschen, wenn ich auch in meinen ersten zehn Jahren noch zwischen weichem Dunkel, zwischen ungeordneter Nacht, im Chaos lag. Ich war wie ungeboren neben meiner Mutter, noch ganz Chaos.

Das Kind ist nicht fromm, es ist dumpf. Dieser Irrtum! Fromm kann nur der wissende Mensch sein, aber nicht jeder macht die sechs Schöpfungstage in seiner Hülle durch und wird Stern, und wenige nur den Sonntag. Wieviele Heilige gibt es und doch ist jeder Andächtige oder Lauschende, jeder Staunende oder Liebende ein Heiliger. Wenn Jesus von Nazareth die Kinder rief, so fühlte er Verantwortung mit ihnen, mit dem Chaos, das sich entfalten werde. Er wußte, wie weit der Weg zum Sterne war. Die Kinder sind wie die Lämmer so dumpf. Darum beleidigt mich das irrige Wort: Jesus das »Lamm« Gottes. Solche Unschuld ist eine Chaosunschuld und der Nazarener war der Sonntag der Schöpfung. Der Jude hat sich mit ihm der vollendetsten Welt entledigt. Sagte der Sonntägliche doch zu einem der Mörder am Kreuztag: »Wahrlich, ich sage Dir, heute wirst Du mit mir im Paradiese sein.« Der Jude, der den Himmlischen verstößt, beweist, daß er ein Bürger ist, um nichts weniger der Mensch des Abendlandes, der den verlornen Gott der Juden aufnahm, ihn sich erzog und erwog nach seinem lammblutenden Wort. Im Menschen bereitet sich immer Fleischdumpfheit, Chaos, Fleischsehnsucht; Gott aber ist ungestaltet, ungerahmt und breitet über alles sich. Wir reden immer zu dem Chaos des Menschen, wollen wir ihn gewinnen, denn der Stern ist böse, darum sind wir alle einmal krampfhaft enttäuscht in Gott. Wir finden in ihm kein Chaos, keinen faßbaren Schlupfwinkel. Er sandte darum seinen Sohn, das heißt, er kam in Menschgestalt zur Erde. Solcher Umgestaltung Demut vom Stern zum Chaos ist nur ein Gott fähig. Nie war solche Dunkelheit je auf Erden und am Himmel und im Menschen wie in der Zeit des Gottbesuchs. Dem Priester und Pharisäer flößte seine Betastbarkeit Mißtrauen ein, der Armselige umklammerte den vertriebenen Götzen aus Fleisch und Blut wie einst am Fuß des Mosesberges das goldene Kalb.

Sie wollen noch wissen, wie lange sich der Menschplanet erhält. Die meisten Menschen werden nicht älter und nicht jünger als sechzig Jahre. Jesus von Nazareth ist gottalt wie die Ewigkeit. Moses war zehntausend Jahre, als die Tochter Pharaos ihn im Korbe fand. Und von dem Propheten St. Peter Hille möchte ich sagen: Niemand wußte um seinen Geburtstag. Meine Mutter war dreimal sechzehn Jahre alt, mein Vater erlebte sechsmal seine tollsten Knabenstreiche. Wie schätzen Sie mich ein? Ich bin David und tue Simsontaten, ich bin Jakob und deute die Träume der Kühe und Ähren. (Oder zweifeln Sie daran, daß mich meine Brüder verkauft haben, daß Bürgermillion!) So verwirrt sich die Zeit der Vergangenheit im Menschen. Heute bin ich eine Dichterin und ich bitte Sie, mir zu verzeihen, daß meine Dichtung keine Gehirnkarte geworden ist mit Farben, lila, grün, rot gefärbt. Meine Bekenntnisse nehmen sie als ein Luxusgeschenk hin, denn ich bin verschwenderisch, das liegt in meinem Sternsystem. Es kommt mir selbst nicht darauf an, einige Monde meines Planeten fallen zu lassen. Auch mit meinem Chaos, ohne das Chaos kommt kein Mensch davon, hat es eine besondere Bewandtnis. Darüber möchte ich schweigen, aber eines kann ich Ihnen sagen, wir Künstler sind einmal bis ins tiefste Mark und Bein Aristokraten. Wir sind die Lieblinge Gottes, die Kinder der Marien aller Lande. Wir spielen mit seinen erhabensten Schöpfungen und kramen in seinem bunten Morgen und goldenen Abend. Aber der Bürger bleibt Gottes Stiefsohn, unser vernünftiger Bruder, der Störenfried. Er kann nicht heimisch werden mit uns, er und seine Schwester nicht. Verwechselt die lärmende Bürgerin oder die zur Hure gewordene Magd nicht mit dem spielenden Sternenmädchen, die den Tanz aus nackter Scham tanzt! – – Wohin mir doch heute alle meine Sterne geleuchtet haben! Immer muß ich wiederholen, der Arzt sollte sich auf die Astronomie des Menschen verstehen. Welcher von Ihren Hausärzten wäre im Stande, eine Sonnenfinsternis in Ihnen herbeizuführen, geschweige den Stillstand Ihres Planeten?

Ich sehe Ihre Kanäle, Ihre Berge auf Ihren Sternen und Ihren Mond aufgehen hinter Ihrer Stirn. Jeder Schmerz und jedes Freudegefühl, Vernichtung oder Erhebung ist ein neues Bild Ihres Sternensystems. Sie sterben eigentlich an zerborstenen Sternen oder Erkaltung Ihrer Sonne oder an Finsternis. Wenn nur Ihr Leben den Höhepunkt erreicht hat vor dem Zerfall Ihres Chaos: den Himmel. Aber wenn er Ihnen nicht auf den Kopf paßte? Vom Blitzstrahl getroffen, das Chaos gespaltet, einzugehen in die Allmacht ist Seligkeit. So lausche ich auf mich. Aber der Bürger belauert sich, der Kranke in Arzthand betrauert sich, weil er keine Achtung vor dem Schmerz hat. Ich bin müde – wie ich mir entkomme, ein Schatten aus Mond und Sternen, riesengroß fiel ich um Mittag und sinke nun ein in meinen eigenen Planeten. Ich habe einen kritischen Tag hinter mir, manche Menschen wichen mir furchtsam mit den Augen aus. Einem kleinen Mädchen bohrte ich im Anblicken ein Loch in die Brust. Solche Kraft macht traurig. Ich sehne mich nach Glück, nach ihm, nach Hascha-Nid, dem goldhäutigen Sohn des Häuptlings. Der spielt mit sich, treibt und lockt die Sterne über seine Grenzen, ein göttliches Spiel, Wirbel und Wüstenwind. Ich liebe ihn, weil er so reich und rein an Sternen ist und ich staune vor solch’ verschwenderischen Launen ... Aber das geht Sie nichts an. Gern hätte ich Ihnen noch vom Himmel erzählt. Später, wenn ich ihn erreiche und Gott –

Gott, wo bist du?

Ich möchte nah an deinem Herzen lauschen

Mit deiner fernsten Nähe mich vertauschen,

Wenn goldverklärt in deinem Reich

Aus tausendseligem Licht

Alle die frühen und die späten Brunnen rauschen.

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 12, Nr. 315/316 vom 26. Januar 1911, S. 20–26 (KA, Bd. 3.1, S. 162–168).

Druckvorlage für die Veröffentlichung in der ›Fackel‹: T (mit dem Titel ›Sterndeuterei und Diagnose‹): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158181). – im Sinne der Eisenbärte • Johannes Andreas Eysenbarth (1663–1727) war ein erfolgreicher Chirurg und Augenarzt. Er warb, begleitet von Komödianten, unter anderem auf Wochenmärkten für seine Tätigkeit, was ihm – zu Unrecht – den Ruf eines Kurpfuschers eintrug. – die kürzlich erlittene, erduldete Kometkraft • Am 19. Mai 1910 hatte die Erde den Schweif des Halleyschen Kometen durchquert: Die Furcht vor giftigen Gasen und einem bevorstehenden Weltuntergang hatte weltweit zu panikartigen Reaktionen geführt. Der Halleysche Komet ist ein periodischer Komet, der alle 74 bis 79 Jahre wiederkehrt, und der einzige Komet, der im allgemeinen gut mit freiem Auge beobachtet werden kann. 1910 war er der Erde besonders nahe gekommen. – sein Herz in die Hand nehmen konnte • Dieses Bild ist im erzählerischen Werk Else Lasker-Schülers lediglich in der ›Krönungsrede‹ belegt, die 1914 in der elften Folge der ›Briefe und Bilder‹ erschien (s. [151]). – Peter Hille • Vgl. zu [38]. – heute wirst Du mit mir im Paradiese sein • Vgl. Lukas 23,43. – nach seinem lammblutenden Wort • Anspielung auf Josefs blutigen Rock. Vgl. 1. Mose (Genesis) 37,31. – das goldene Kalb • Vgl. 2. Mose (Exodus) 32,1–6. – im Korbe fand • Vgl. 2. Mose (Exodus) 2,1–10. – Meine Mutter • Jeanette Schüler (vgl. zu [24]). – mein Vater • Aron Schüler (1825–1897), Bankier in Elberfeld. – deute die Träume der Kühe und Ähren • Nicht Jakob, sondern dessen Sohn Josef deutet die Träume des Pharaos. Vgl. 1. Mose (Genesis) 41,1–36. – daß mich meine Brüder verkauft haben • Josef wird aus Neid von seinen Brüdern an eine Karawane verkauft, die unterwegs nach Ägypten ist. Vgl. 1. Mose (Genesis) 37,1–28. – Hascha-Nid • Figur aus der Erzählung ›Der Fakir‹, die am 6. November 1908 in ›Morgen. Wochenschrift für deutsche Kultur‹ (Jg. 2, Nr. 45, S. 1495–1497; KA, Bd. 3.1, S. 112–115) erschienen ist. 1914 nahm Else Lasker-Schüler die Erzählung in ›Der Prinz von Theben‹ (S. 39–47; KA, Bd. 3.1, S. 388–391) auf. – vom Himmel • In den ›Briefen nach Norwegen‹ (s. [75]) druckte Else Lasker-Schüler einen fiktiven Brief an Karl Kraus mit dem Titel ›Vom Himmel‹ ab. – Gott, wo bist du? • Das um die Verse 1–6 gekürzte Gedicht ›An Gott‹, das zuerst im Februar 1908 in ›Das Magazin‹ (Jg. 77, H. 5, S. 77; KA, Bd. 1.1, S. 113) erschienen ist.

[46] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, wahrscheinlich Freitag, 27. Januar 1911

Lieber Herzog.

Die Zeitschrift (diese Ausgabe) ist eine Bibel für sich. Mein Essay herrlich und süß. – Die Aphorismen wundervoll. Ich habe sonst noch nichts gelesen.

Das Concert von Herwarth war das interessanteste was ich mitgemacht habe. Er mußte nach dem Concert noch spielen (privat)

Es wird wiederholt.

Ich grüße Sie, Dalai Lama.

Ihre Else Lasker-Schüler.

Meine Karte ist doch schon eingetroffen?

Ich sende Sterndeuterei (die Fackel) an den Priester von Baden Prinz – ich streite mit ihm, bis er sich den Bart abnehmen läßt.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158187). D: KA, Bd. 6, S. 187.

Der Brief wurde wahrscheinlich unmittelbar nach der Lektüre der ›Fackel‹ vom 26. Januar 1911 und unter dem Eindruck des Konzerts von Herwarth Walden geschrieben, das ebenfalls am 26. Januar stattgefunden hatte. – Mein Essay • Der Essay ›Sterndeuterei‹, der am 26. Januar 1911 in der ›Fackel‹ erschienen war (s. [45]). – Die Aphorismen • Karl Kraus, Pro domo et mundo, in: Die Fackel, Jg. 12, Nr. 315/316 vom 26. Januar 1911, S. 31–37. – Concert von Herwarth • Vgl. zu [41].

[47] Else Lasker-Schüler und Herwarth Walden an Karl Kraus
Berlin, Mittwoch, 8. März 1911

Süßer Herzog, lieber Dalai Lama, verehrter Dichter ich liebe Sie!

Tino

[von Herwarth Walden:]

Viele herzliche Grüße Ihr Herwarth Walden

[sieben weitere Unterschriften]

Anmerkungen

H: ?. D (nach: Briefe an Karl Kraus, S. 31): KA, Bd. 6, S. 189.

[48] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, vielleicht unmittelbar nach dem 8. März 1911

Herrn Karl Kraus. Lieber Herzog ich liebe Sie wahnsinnig.

Anmerkungen

H (Brief): ?. D (nach: Briefe an Karl Kraus, S. 28): KA, Bd. 6, S. 189.

Der vorliegende Brief könnte unmittelbar im Anschluss an den Brief an Karl Kraus vom 8. März 1911 (s. [47]) geschrieben sein.

[49] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Montag, 13. März 1911

Lieber Dalai Lama, lieber Herzog von Wien.

Auf dem Couvert! Da der Brief sofortement zu Ihnen muß. Heute Abend kommen wahrscheinlich zwei sehr wichtige Personen ins Café (Kaisercafé) Baron von Reibnitz und seine Frau. Sie tun furchtbar viel literarisch für mich. Ich spreche am 16. März im Hôtel Esplanade auf ihrer Gesellschaft meine arabischen Dichtungen im Costume auf einer arabisch ausgeschlagenen Bühne vor 160 Personen Hofgesellschaft, große Reclame für mich. Und zu Herwarths Concert vor einigen Tagen, brachten sie einflußreiche Frauen wegen Salonconcert und Oper. Aber die Musik verstehn sie gewiß noch nicht so ganz. Lieber Dalai Lama, Sie verstehn doch zu erklären; vielleicht kommt es so im Gespräch, daß Sie so unverhofft über Musik sprechen können und über Herwarths Musik und mich noch ein bischen auf dem Olymp setzen. Ich habe Ihnen Ihre Kritik gezeigt.

Nicht ärgerlich sein. Ich grüße Sie, Herzog. Ihre Tino von Bagdad

Am 1. April spiel ich hier Variété meine arabische Sache.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158159). Brief auf Kuvert ›Das Magazin. Monatsschrift für Literatur, Musik, Kunst und Kultur. Schriftleitung: Herwarth Walden. Redaktion: Berlin W. 50, Spichernstr. 19‹. Datum von Helene Kann: »13. III. 11«. D: KA, Bd. 6, S. 189.

Baron von Reibnitz • Kurt Freiherr von Reibnitz (1877–1937), Jurist, 1909–1911 im Preußischen Ministerium für Handel und Gewerbe tätig. 1912 ging er als Attaché an die Deutsche Botschaft in Washington. – auf ihrer Gesellschaft • Am 19. März 1911 schreibt Herwarth Walden an Karl Kraus: »Meine Frau hatte auf der Gesellschaft des Barons riesigen Erfolg.« (Feinde in Scharen, S. 304.) – Herwarths Concert • Am 7. März 1911 (vgl. zu [41]). – Ihre Kritik • Die Anmerkung, die Karl Kraus zum Gedicht ›Ein alter Tibetteppich‹ in der ›Fackel‹ vom 31. Dezember 1910 veröffentlicht hatte (s. [39]). – Variété • Vgl. zu [33] (»Mein Schaustück«).

[50] Freianzeige in der ›Fackel‹

ELSE LASKER-SCHÜLER | MEINE WUNDER | GEDICHTE | PREIS GEBUNDEN DREI MARK | KARLSRUHE UND LEIPZIG | DREILILIEN-VERLAG 1911

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 12, Nr. 319/320 vom 31. März (Umschlag: 1. April) 1911, Innenseite des vorderen Umschlags.

Die Anzeige erschien auch in der ›Fackel‹ vom 29. April 1911 (Jg. 13, Nr. 321/322, Innenseite des vorderen Umschlags), vom 18. Mai 1911 (Jg. 13, Nr. 323, Innenseite des vorderen Umschlags), vom 2. Juni 1911 (Jg. 13, Nr. 324/325, Innenseite des vorderen Umschlags) und vom 23. November 1911 (Jg. 13, Nr. 336/337, Innenseite des vorderen Umschlags).

[51] Freianzeige in der ›Fackel‹

III. LESEABEND: | DER HERAUSGEBER DER FACKEL | WIRD | WERKE SEINER MITARBEITER | ZUR VORLESUNG BRINGEN | DER ERTRAG DIESER VERANSTALTUNG FÄLLT DEN DICHTERN ELSE LASKER-SCHÜLER UND PETER ALTENBERG ZU | NÄHERE MITTEILUNGEN WERDEN DIE PLAKATE ENTHALTEN

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 12, Nr. 319/320 vom 31. März (Umschlag: 1. April) 1911, Innenseite des hinteren Umschlags.

Der Vortragsabend fand am 15. Mai 1911 in Wien statt (s. [55], [61] und [63]).

[52] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Samstag, 22. April 1911

Herrn Karl Kraus.

(Schriftsteller)

Wien

Dominikaner-Abtei 23 oder 33.

(Östreich)

Verehrter Dalai-Lama.

Frau Schalôme (K. P.) sagte mir, Sie hätte Ihnen geschrieben. Ich glaube es wird sie sehr beruhigen, wenn Sie nach hier kommen, da sie krank ist. Ich glaube es war sehr beunruhigend. Sie müßte zu Prof. Dr. Schleich gehen und tut es nicht. Denn es könnten Eiterungen eintreten. Heute ging es zwar besser und es soll ehrenwörtlich nicht mehr gefährlich sein. Aber es ist gut wenn Sie kommen, da es Frau Schalôme beruhigen wird.

Viele Grüße!

Anmerkungen

H (Postkarte): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158172). Poststempel: Berlin, 22. 4. 11. D: KA, Bd. 6, S. 190.

Frau Schalôme (K. P.) • Kete Parsenow. – da sie krank ist • Am 24. April 1911 schreibt Kete Parsenow in einem Telegramm an Karl Kraus, dass sie an einer Stirnhöhlenentzündung erkrankt sei: »habe stirnhoehlenentzuendung sehr langweilig aber wenn normal verlaeuft nicht gefaehrlich« (Du bist dunkel vor Gold, S. 64). – Schleich • Carl Ludwig Schleich (1859–1922), Arzt in Berlin und Verfasser populärwissenschaftlicher Schriften. Else Lasker-Schüler schrieb über ihn das Gedicht ›Carl Schleich‹ (Die weißen Blätter, Jg. 7, H. 9 vom September 1920, S. 412 f.; KA, Bd. 1.1, S. 213 f.).

[53] Herwarth Walden und Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Mittwoch, 26. April 1911

Herrn

Karl Kraus

Wien I

Dominikanerbastei 22

26. April

Mein lieber Freund.

Soeben treffe ich Rechtsanwalt Roth, er erzählt mir, daß Sie den Prozeß W durch Anerkenntnisurteil endgültig gewonnen haben. Herzlichsten Glückwunsch!

Viele Grüße

stets Ihr

Herwarth Walden

[von Else Lasker-Schüler:]

Viele Cafégrüße!

Frau Schalôme geht es besser. Wir aßen heute Mittag zusammen im Vegetarischen Speisehaus. Aber sie will zu Prof. Fränkel gehn. Gruß dem Dalai Lama von dem Prinzen von Theben.

Anmerkungen

H (Postkarte ›Der Sturm. Wochenschrift für Kultur und die Künste. Herausgegeben von Herwarth Walden‹ mit vorgedrucktem Absender: ›Berlin-Halensee. Katharinenstrasse 5‹): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 147971). Poststempel: Berlin, 26. 4. 11. D: Feinde in Scharen, S. 315.

Roth • Anwalt in der Berliner Kanzlei von Hugo Heinemann (1863–1919). – W • Der Arzt und Psychoanalytiker Fritz Wittels (1880–1950) hatte 1910 bei Egon Fleischel in Berlin den Roman ›Ezechiel der Zugereiste‹ veröffentlicht, in dem er unter anderem Karl Kraus verunglimpft. Kraus strengte daraufhin einen Beleidigungsprozess gegen den Berliner Verleger an und konnte die weitere Auslieferung des Buches in Deutschland (nicht aber in Österreich-Ungarn) unterbinden. – Frau Schalôme • Kete Parsenow (s. [52]). – Fränkel • Bernhard Fränkel (1836–1911), aus Elberfeld gebürtiger Arzt in Berlin, Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. Er starb am 11. November 1911.

[54] Richard Weiß, Else Lasker-Schüler (Essay)

Else Lasker-Schüler (*)

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.

Eine spätere Zeit mag sich weise des Schweigens verwundern, das ein Gedichtebuch empfing, darin das Gedicht »Ein alter Tibetteppich« welttröstend zu lesen steht. Und wird ihre wiedergeborenen Blutzeugen haben, sie zu verhöhnen. Das Unverständnis der Verständigen zu bekehren, wird eine Erkenntnis verzichten, der die Irrationalität der Kunst letzter unantastbarer Wert ist.

Jede Kunst drückt – eine wahre Transsubstantiation – die Welt in ihrem Materiale restlos aus. Das Material der Wortkunst sind die Worte. Die Worte sind nicht nur Bedeutung, sie sind auch Klang. Die Wortzusammenhänge nicht nur Aussagen, sie sind auch Rhythmus und Melodie. Die Bedeutungen der Worte sind nur ein Teil des Materials, aus dem sie die Bedeutung aufbaut. Was der Unkünstler den »Sinn« eines Gedichtes nennt, ist nur ein Teil seines Sinnes. Der Klang ist nicht ein Akzidens, das als Verschönerung, als Ornament zu dem auch so schon vorhandenen Sinn hinzukommt, er macht den Sinn erst ganz. Indem die Bedeutung sich zugleich und parallel in Bedeutungen und als Klang realisiert, wird sie erst vollständig integriert. Die Ebene in dem Gedichte »Traum«

– – – – – – – – –

Und zwischen uns lag eine weite steife

Tonlose Ebene ...

Und meine Sehnsucht hingegebene

Küßt deinen Mund, die blassen Lippenstreife

ist mehr als ihr geographischer Begriff. Ihre besondere Qualität ist nicht nur durch die inhaltlichen Attribute (weite steife tonlose) gegeben: Nachdem die schwebende Betonung von »tonlose« schon ausgleichend alles Bewegt-Gipfelhafte hat verschwinden lassen, drückt sich diese Ebene in den drei e aus, zwischen denen die weichen Konsonanten b und n eine kaum merkliche Trennung bilden. Sie verschluckt in der folgenden zweitaktigen Pause – tönende Tonlosigkeit, die die Maschinerie unseres Hörens leer laufen läßt – jeden Ton und schwingt noch mit in dem Reim »hingegebene«, in dessen Begriff sie nicht mehr oder doch nur entfernt enthalten ist, und verebbt ins Unendliche in der schleppenden Nachstellung des Partizips. (Dies alles mit dem Vorbehalt einer nur näherungsweisen Beschreibung des Unerschöpflich-Unsagbaren gesagt.) Diese Ebene ist daher eine ganz andere Ebene als die »Ebene« im Organismus irgend eines anderen Gedichtes, noch weit andere als etwa das lateinische planities. Nicht von Stimmung ist die Rede, als welche der Bürger gern vage die Dinge umspielen läßt, wenn diese ihm nur fest stehen bleiben. Die Dinglichkeit der Welt, die allerdings eine andere ist als die Sachlichkeit der Wissenschaft, strömt mit ihren irrationalen Qualitäten selbstschöpferisch in Sinn und Klang. Das Gefühl ist hier nicht das Gefühl des Publikums der Welt, es ist das Gefühl der Dinge selbst, ihre Essenz.

Diese Betrachtung, sich auf alle Wortkunst beziehend, ist von Else Lasker-Schülers »Wundern« ausgegangen. Zu ihnen zurückkehrend, wird sie sich von der Fassungslosigkeit, die aus diesem Unfaßbar-Schönen »nur Worte« heraushört, den Weg zeigen lassen. Else Lasker-Schüler schafft aus den Bausteinen dieser Welt eine neue. Die Formen, in welchen das Bewußtsein die Welt einfängt, um sie zu erkennen, und welche dann der Dinge trennende Schranken werden, die eines nicht zum andern lassen, fallen. Die Ahnung einer Welt tut sich auf, in der es nur wesentliche Beziehungen gibt, und eine unerhörte Gleichnismöglichkeit wird Erkenntnis und Welt selbst. Daraus entspringt dieses Niegeahnte, davor kritische Beschreibung stockt, weil sie eine neue Terminologie anzupassen hat, dieses Niegesagte:

»Fliegen die Sterne auf: Goldene Vögel.«

»Nebel liegt auf meiner Wange

Und mein Herz beugt sich zum Untergange.«

»Und wie du kamst –!

Blau vor Paradies,

Um deinen süßesten Brunnen

Gaukelte mein Herz.«

»Wie düstere Erden starrten deine Augenrunden.«

»Und ein Punkt wird mein Tanz

In der Blindnis.«

»Nun prägt in Sternen auf meine Leibessäule

Ein weinender Engel die Inschrift.«

Alle Sprache hat sich – als die triebhafte Umsetzung der unmittelbaren Lebensäußerungen in Klang, von der sie ausging, mit dem Hinausgreifen in die mittelbare Welt versagte – diese Welt in Bildern aus dem Makrokosmus Mensch zu eigen gemacht. (Else Lasker-Schüler in der »Sterndeuterei« in Selbsterleuchtung: »nach unserm Modell hat Gott die große Welt erschaffen, in der wir: Ureigentum in unserer erweiterten Kopie leben«). Alle neuen Beziehungen werden in Metaphern ausgedrückt, nein von Dichtern geschaffen. Jeden Wortkern umhüllt ein sich immer weiter ausdehnender Assoziationsball, der von der nächsten Generation schon als starres Ganze erlernt und darum nicht mehr als bildlich empfunden wird. Die Assoziationsballung als Prinzip des Fortschreitens der Sprache wird in der Lyrik am deutlichsten, in welcher das Weltgefühl des Dichters unmittelbarer als in Epos und Drama ausströmt. Unendlichen Weges in sich niedersteigend, kommt das Wort in Bildern dem bildlosen Anundfürsichsein der Dinge näher. Echte Wortkunst – ein Analoges gilt für alle Künste – verschmäht die fertig vorliegenden Beziehungen, die ein fremdes Ich sind; sie zersetzt die Welt immer wieder in ihre Atome. (Man vergleiche: Karl Kraus, »Heine und die Folgen«.) Aber diese sind in den aufeinanderfolgenden Schichten der Kunst durch die Einverleibung der Assoziationen jedesmal mikrokosmischer geworden. Die Kunst drückt die alte Welt in neuen Verbindungen dieser Atome immer dinggemäßer aus. Schlechte Kunst – Sprache, die ihre Sätze nicht aus Worten erbaut, sondern aus Sprichwörtern zusammenklebt – umkreist in übernommenen Bildern nur ein altes Ich, ein Bild. Die Weltenverbindungsstufe, von der Else Lasker-Schüler auffliegt, haben ihre Unzeitgenossen noch nicht betreten: da in ihrer Spannweite sich schon die Welten der Nachfahren »einbilden«, wie sollten sie folgen können? Zwei Einwände .... Es sind dieselben Sterne, Monde und Wolken, desselben Himmels selbes Blau in Else Lasker-Schülers Gedichten, dessen wir so lange schon überdrüssig geworden sind. Veraltete Terminologie, sehr wahr, deren die engste Phantasie bedarf, um ihre Enge zu vergessen, und die bleiben wird, solange Riesenphantasie, die Welten zu verbinden, umzubilden, nach Riesenmaßen greift. Der zweite Einwand: wie in den abgeleiteten Gebilden der Wortkunst (Drama, Epos) die abgeleitete stoffliche Rhythmik des Aufbaus der Bedeutungsmotive – Rhythmik, innerer Klang auch sie – neben dem unmittelbaren Klange erhöhte Wirksamkeit gewinnt, gibt es auch eine Lyrik verständlich-logischeren Inhaltes, stofflicheren Reizes – nein, denn die Ballade etwa ist zu diesem einen Teile nicht Lyrik, ist mit Epischem und Dramatischem vermischt.

Unfaßbar weit ist bei Else Lasker-Schüler die Identität von »Ich und Welt« und das ist »Ich und Gott« getrieben. Man könnte sie mit Rilke, in dessen »Stundenbuch« Angelus Silesius größer wieder auflebte, vergleichen. Rilke ist tief, weiter war der Weg zwischen ihm und Welt. Durch die vielen Wände des Bewußtseins, durch sie alle hindurchdringend, aber auch durch sie alle filtriert, ist Gott in seine Welt gestiegen. Else Lasker-Schüler ist nicht tief noch seicht, ihre Worte sind erspiegelt aus der Oberfläche der Dinge, aus der unergründlichen, undurchdringlichen, der gottnahen, gottseienden; der Dinge Tiefe und Inneres ist nur der Mensch, der suchende. Else Lasker-Schülers Werk ist nicht Deutung, ist zu Deutendes.

Die Seele selbst ist ein Schauplatz geworden, dessen Geschehen in den Dimensionen der Welt ausgedrückt wird. »Meine Seele war ein Wald.« Das Große naht dem Kleinen, goldene Vögel sind die Sterne, die Schultern hochmütige Kuppeln. Die Welt ist Mensch:

»Löse die düstere Tränenschnur,

Die sich um den Nacken der Welt legt.«

Menschgedanke und -gefühl Sternkraft:

»Du denkst an mich – es bleiben alle Sterne stehn.«

»Es kommen die Erden,

Sich an uns zu schmiegen.«

Elementar wird die Zeit gemessen und jedes Geschehen hat seine eigene:

»Drei Stürme liebt’ ich ihn eh’r wie er mich.«

Seele mischt sich und Raum:

»Herzauf, seelehin

Tanze, tanze meine späte Liebe.«

Von den »Dingen« lösen sich die Qualitäten:

»Und deine Augen waren Härten.«

Und alle Sinne werden einer:

»Wie mich der Mond umwandelt,

Immer blindes Geschimmer murmelnd,

Ein Derwisch ist er in seinem Wandeltanz.

– – – – – – – – –

Helles Schlafen – dunkles Wachen.«

Deren Schlaf dunkel ist und das Wachen hell, können es nicht begreifen.

Und wenn menschliches Gefühl, in sich angstvoll allein, aller Bilder sich entschlägt, spürt man nicht im Einfachen die Elemente?

»Deine Küsse dunkeln auf meinem Mund,

Du hast mich nicht mehr lieb.

– – – – – – – – –

Du erinnerst dich meiner kaum.

Wo soll ich mit meinem Herzen hin?«

Nicht mit den Schauern der Apokalypse kommt das »Weltende«, aber da die ersten Worte fallen, ist es nahe in uns selbst. Der Liebe leiht jedes Ding sein Gesicht. Jeder Seele entquillt in ihren Bildern die Welt. Welch kosmisches Kinderlied »Maria«. Letzte Dinge sind da und wissen es nicht, nur wir schauern, wenn im »Traum« in Traumes Wirklichkeit die Menschen sich begegnen, wir, die den Traum nur als Erinnerung kannten; wenn in der »Sterndeuterei« (**) einzig-erhaben, hilflos-stammelnd der Menschen innere Sterne sich im Beben der verwandten Systeme beweisen, keiner Beglaubigung des Wissens bedürfend. Wo war vordem ein Krieg, der diesem gliche:

Unser Kriegslied

– – – – – – – – –

Unsere Augen blicken sich in Blicken,

Wie zwei Siege sich erblicken –

wo Waffen, die schärfer schnitten als das Blicken dieser Worte? Wo endete ein Streit wie der der »Streiter«:

»Und meine Seele liegt wie eine bleiche Weite

Und hört das Leben mahlen in der Mühle,

Es löst sich auf in schwere Kühle,

Und ballt sich wieder heiß zum Streite.«

Ich will nun des »Tibetteppich«, dieses allerschönsten Gedichtes, Geheimnisse enthüllen, nicht um es verständlich zu machen oder zu rechtfertigen, sondern um zu zeigen, wie jeder lebende Organismus – und dieses Kunstwerk ist es wie wenige – sich in jedem seiner Teile, dem Schöpfer unbewußt, beweist und darum in jeder zufälligst herausgegriffenen Verbindung der mathematische Beweis höchster notwendiger Schönheit nur an der Unzulänglichkeit der Mathematik scheitern könnte. Die Methode: Kunstkritik hat nicht Gefühle des Kritikers zu schwätzen, sondern sachlich vom Material auszugehen. Das gleichzeitige Fortschreiten von Klangmotiv zu Klangmotiv und von Bedeutungsmotiv zu Bedeutungsmotiv, ihre gegenseitige Durchschlingung, ein allgemeines Prinzip der Wortkunst, auch in den anderen Gedichten Else Lasker-Schülers sehr sichtbar, wird hier besonders deutlich werden.

Ein alter Tibetteppich

Deine Seele, die die meine liebet,

Ist verwirkt mit ihr im Teppichtibet.

Strahl in Strahl, verliebte Farben,

Sterne, die sich himmellang umwarben.

Unsere Füße ruhen auf der Kostbarkeit

Maschentausendabertausendweit.

Süßer Lamasohn auf Moschuspflanzenthron

Wie lange küßt dein Mund den meinen wohl

Und Wang die Wange buntgeknüpfte Zeiten schon?

Ein alter Tibetteppich – sprachgewebt.

Die Liebende versinkt im Anblick eines alten Tibetteppichs. Tibet das geheimnisvolle, teppichgleich eingebettete. Die Verschlingungen des Teppichs sind die Verschlingungen der Seele des Geliebten mit der eigenen Seele. Der Gleichklang deine – meine, durch die rhythmische Gliederung deutlich hörbar

Deine Seele / die die / meine liebet

leitet, mit dem innig-weichen d einsetzend, die Verknüpfung der beiden Seelen ein. Das i in »liebet«, durch das sonst verwerfliche, hier einzigschöne Dichter-e sehnsüchtig hinausgezogen, klingt liebend fort in den i der zweiten Zeile. Änderung der räumlichen Dimension (des seelisch-geographischen Schauplatzes): der Teppich ist selbst Tibet, das Teppichtibet. Unerhört die Möglichkeit der Umdrehung, die Möglichkeit des Reimes. Nachher muß alles stimmen. An die Vokalfolge e – i schließt sich die umgekehrte i – e. Man drehe »Tibet« selbst um, und man hört: »Teppich«. Da die inhaltliche Umdrehungsmöglichkeit von Tibetteppich in Teppichtibet mit dieser klanglichen nichts zu tun hat, wer erschrickt nicht vor der Schöpferkraft der Sprache, vor der Perspektive einer Sinn-Klangidentität einer anderen Sphäre, von der »Tibet, Teppich« nur Bruchstück und schwacher Abglanz ist.

Zweite Strophe: Das Farbenspiel des Teppichs. Schon sind es nicht mehr Farbensträhne, schon »Strahl«, einer im andern, denn dieser Teppichwelt Farben sind verliebt und senden ihre Fühlfäden gegeneinander, geben ihr Selbst auf und mischen sich. Schon in den a der dritten Zeile und in dem sternenden Anlaut von »Strahl« angekündigt, öffnet sich der Teppichhimmel. Die Teppichsterne flimmern sich werbend entgegen. Himmelentlang und himmellang, durch Himmels Weiten nicht gehemmt, so weit der Himmel ist und solange er steht, räumlich und zeitlich. Die i der ersten Strophe klangen nach, neben dem a der Nachthimmelherrlichkeit tritt feierlich-tief ein u in »umwarben« auf. Es beherrscht mit dem a der zweiten Strophe die dritte und mischt sich in »Füße« noch einmal mit dem verliebten i. Die Füße der Liebenden ruhen auf der Kostbarkeit, köstlich ist ihre Liebe erhoben. Man muß nicht wissen, ob diese Situation wörtlich vorgestellt sei. Man muß nicht alles wissen, verstehen, muß nicht diese herrliche adverbiale Bildung »maschentausendabertausendweit« in ihrem syntaktischen Zusammenhang genau bestimmen können. Tausendabertausend Maschen trennen-verbinden die Liebenden, tausendabertausend Maschen ist der Teppich weit, das sind die Meilen, die Lichtjahre dieser Welt. Dimensionswechsel. Tausendfern der Geliebte, thronend auf Moschuspflanzen. Liebende Inbrunst im ü des »Süßer« (Reim auf »Füße« und »küßte«), dessen Dehnung entsteht, indem die Zeile durch den Reim sohn – thron rhythmisch in zwei Teile zerfällt, deren jeder darum gelängt wird; Liebe im weichen L-Anlaut »Lama«. Der unreine Reim »wohl« nimmt seine Wirkung aus derselben Weichheit. Das o des Entzückens, in »Kostbarkeit« angekündigt – wunderbar eben dies, daß im Klange der Köstlichkeit sich das o des Entzückens findet wie anderswo das o des Schmerzes – beherrscht diesen letzten Teil (Moschus), aber es verknüpft sich mit allen vorhergegangenen Vokalen. In der Harmonie der rhythmisch verschlungenen Wiederkehr aller Vokale, unter denen die farbigen herrschten, während das e nur im hellen Glanz der Sterne und der Seele hervortrat, strahlt noch einmal des Teppichs Buntmuster auf. Merkwürdigste, symmetrisch angeordnete Klangübereinstimmungen, dem Dichter unbewußt, notwendige Folgeerscheinung der geheimnisvollen inneren Identität, von der Sinn und Klang nur parallele Ausstrahlungen sind: »verwirkt« verwirkt sich mit »ihr« durch »ir«; a – r – b in »Farben« kehrt in »Kostbarkeit« und »aber« wieder; »um« in »umwarben« wandelt sich in »Unsere«, »Maschen« in »Moschus« (und »La-ma«); »ahl« oder »la« erscheint in »Strahl, lang, Lama, pflanzen«; unter »Lama« steht »lange«, darunter »Wang«, aus dem w von »Wie« und »lange« zusammengesetzt; unter »Moschus« mit dem gleichen Anlaut »Mund«, darunter »bunt«; auf »Wie lange« reimt »die Wange«; neuauftretende Konsonanten sind gleichgelagert, z in »Pflanzenthron« und »Zeiten schon« (welches den Klang von »meinen wohl« aufnimmt), pf in »pflanzen« und »geknüpfte«. Ohnmächtige fragmentarische Umschreibung dessen, wovon das Gedicht der kürzeste Ausdruck ist. Das sehnsüchtige Sich in die Vergangenheit heben im Auftakt der beiden letzten Zeilen. Die gleiche Vokalfolge in »himmellang« und »Wie lange« entspricht der Sinnbeziehung. Das w von »Wie«, in »wohl« sich fortsetzend, gipfelt in der Lieblichkeit des Kusses von Wange und Wange. Ungeheure Steigerung in die Perspektive der Ewigkeit (ewiger Wiederkehr?), in jähem Dimensionswechsel ausgedrückt: Mund »küßt« den »Mund« »bunt-ge-knüpfte« Zeiten. Vom Standpunkt der Maschenseele gibt es nur eine räumlich-zeitliche Dimension. Die Verknüpfung der Maschen ist zugleich ihre zeitliche Folge. Die Welt ist Tibetteppich geworden, die Liebenden Maschen darin, der Tibetteppich Wortwelt. Die Dinge, die die Wissenschaft isolierend bekannt zu machen sucht, macht die Kunst wieder fraglich und ist daher umso verhaßter, je größer sie ist.

Wes Namens ist diese Kunst? So will ich mit dem Namen antworten, den Else Lasker-Schüler im Peter Hille-Buch ihrem geliebten Propheten gibt: Diese Kunst heißt wie die Welt heißt.

(*) Meine Wunder. Gedichte von Else Lasker-Schüler. Karlsruhe und Leipzig, Dreililienverlag 1911.

(**) Die Verse »Gott, wo bist du? ...«, mit denen die »Sterndeuterei« (Fackel, Nr. 315/16) schloß, einem in den »Wundern« enthaltenen Gedichte entnommen, sind dort (S. 64) durch einen Druckfehler zerstört: »Mit deiner fernsten Nähe nicht vertauschen« statt des richtigen »Mit deiner fernsten Nähe mich vertauschen«.

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 13, Nr. 321/322 vom 29. April 1911, S. 42–50.

Im Anfang war das Wort • Vgl. Johannes 1,1. – »Ein alter Tibetteppich« • Karl Kraus hatte das Gedicht am 31. Dezember 1910 in der ›Fackel‹ (s. [39]) mit einer Anmerkung abgedruckt. In ›Meine Wunder‹ (S. 15) veröffentlichte Else Lasker-Schüler ›Ein alter Tibetteppich‹ zum ersten Mal in einer Buchausgabe ihrer Gedichte. – nach unserm Modell hat Gott die große Welt erschaffen • Zitat (Schluss des ersten Absatzes) aus Else Lasker-Schülers Essay ›Sterndeuterei‹, der am 26. Januar 1911 in der ›Fackel‹ (s. [45]) erschienen war. – »Heine und die Folgen« • Karl Kraus, Heine und die Folgen, München: Albert Langen, 1910. – Mit einem ›Vorwort‹ auch abgedruckt in der ›Fackel‹ vom 31. August 1911 (Jg. 13, Nr. 329/330, S. 1–33). Kraus setzt sich in seinem Essay unter anderem kritisch mit der Sprache des Feuilletons und der Tagespresse und ihrem Einfluss auf die Literatur auseinander. – »Stundenbuch« • ›Das Stunden-Buch‹: Gedichtzyklus von Rainer Maria Rilke (1875–1926), 1905 im Leipziger Insel Verlag erschienen. – Angelus Silesius • Angelus Silesius (urspr. Johannes Scheffler) (1624–1677), barocker Lyriker. – Diese Kunst heißt wie die Welt heißt. • Das Schlusskapitel des ›Peter Hille-Buchs‹ von 1906 (S. 82–84; KA, Bd. 3.1, S. 66) ist betitelt: ›Er heisst wie die Welt heisst‹.

[55] Freianzeige in der ›Fackel‹

Akademischer Verband für Literatur und Musik | Leitung: IX. Müllnergasse 22 || Leseabend der Fackel | KARL KRAUS | wird am 15. Mai 1911, (Montag) ½ 8 Uhr abends im Festsaale des Ingenieur- und Architektenvereines, I. Eschenbachgasse 9 | aus Dichtungen seiner Mitarbeiter und eigenen Schriften vorlesen | DER ERTRAG DIESER VERANSTALTUNG FÄLLT DEN DICHTERN ELSE LASKER-SCHÜLER UND PETER ALTENBERG ZU

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 13, Nr. 321/322 vom 29. April 1911, Innenseite des hinteren Umschlags.

Siehe [61] und [63] (Programm der Lesung).

[56] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Sonntag, 30. April 1911

[Elefantenkopf en face mit Stoßzähnen und langem, gebogenem Rüssel]

Verehrtester Dalai Lama,

Priesterkönig von Wien. [über dem W ein Stern]

Alle Feuerruthen, Waffen die ich an meinen Gliedern wetze, alle Gauckeleien können mir nichts mehr nützen. Einmal lag ich nur eine Minute vom großen Tempel entfernt, ich hatte 3 Tage und Nächte gehungert und nur dachte ich ewiges – – um geschleudert zu werden zurück wieder ins Unersättliche. Ich bin so idiotisch, Dalai Lama, ich kann mich nicht mehr freuen ärgern dichten beten und aller Streit dreht sich wie mein Kopf so nickt, [?] der fühlt sich wie eine [kreisrunde Null],

2. [Elefantenkopf im Rechtsprofil mit Stoßzähnen und langem, geradem Rüssel, der sich nach unten durch den Text zieht]

Ich kann gar nicht weiter sehn wie mein Nullschädel und ich langweile mich so. Aber ich will Ihnen vor der unendlichen Langweile noch rasch was sagen: Ich bin trotz alledem doch ein selbstständiger Mensch, meine Dankbarkeit reitet auf Elephanten und kann nicht auf dem Bauch kriechen. Ich habe geantwortet zu Dr. Kerrs Gunsten der Aktion. Ich finde Kerrs Skizzen, Gedichte gut und blau. Er ist mehr wie die vielen hier und ist auch menschlich (seinem Gesicht nach) feiner und vereinsamter. Ich konnte nicht anders oder ich hätte mich geschämt. Aber, allerliebster und bester und allergrößter Dalai Lama, wenn es zum ernsten Krieg kommen sollte dann trete ich ganz und gar auf Seiten Dalai Lamas, meine Elephanten zermalmen, zerstampfen alles, es kommt mir auf Menschenleben dann nicht an!! Der Prinz von Theben (Else LSchuler.)

Ich schwöre, ich hatte keinen unnoblen Grund. Aber ich kann es auch nicht bereuen.

Schalôme-Aphrodite geht es besser, aber noch nicht gesund. Elfenbein und Gold.

Herwarths neue Pantomime herrlich. Dr. Wauer führt sie auf. jetzt in 14 Tagen

Anmerkungen

H (Brief): ? (Xerokopie vorhanden). Datum von Helene Kann: »30. IV. 11«. D: KA, Bd. 6, S. 191.

wie eine [kreisrunde Null], • Danach Seitenwechsel und neuer Schreibansatz. – der Aktion • Am 1. Mai 1911 erschien in der ›Aktion‹ Else Lasker-Schülers Beitrag zu einer Rundfrage über Alfred Kerr (1867–1948), ein titelloses Scherzgedicht, beginnend: »Jakobsohn und Jakobfritzen / Lassen die Tinten spritzen / Wasserfarbenrot.« (Jg. 1, Nr. 11, Spalte 336; KA, Bd. 1.1, S. 132.) Franz Pfemfert hatte gefragt: »Was bedeutet Alfred Kerr für die zeitgenössische Literatur? Dies zu fragen wäre überflüssig in einer Welt der Geistigkeit und des Anstands, da dort es niemanden nach Dokumentierung des Selbstverständlichen gelüstet; dies zu fragen wird notwendig hier, wo aller Haß und Neid der Schlechtweggekommenen sich an die helle Öffentlichkeit wagt und wo die unsaubere Rüpelhaftigkeit verhaltener Dyspeptiker magisterlich die Gebärde des Ichbinwer mimt.« Die Antworten veröffentlichte Pfemfert in sechs Folgen in den Ausgaben der ›Aktion‹ vom 27. April (Jg. 1, Nr. 10, Spalte 299–303), vom 1., 8., 15. und 22. Mai (Nr. 11–14, Spalte 335–338, 369–371, 397–399 und 430–432) sowie vom 3. Juli 1911 (Nr. 20, Spalte 619–622). Else Lasker-Schüler hatte bereits im ›Sturm‹ vom 4. Februar 1911 einen ›Alfred Kerr‹ (Jg. 1, Nr. 49, S. 391; KA, Bd. 3.1, S. 168) betitelten Essay veröffentlicht und darin Kerr mit Heine verglichen: »Mich dünkt, er träumt von ›Heinrich‹ wie ein einziger Sohn, der sich einen Bruder wünscht. Er träumt immer von seinem Bruder Heinrich Heine. Bald gleicht er ihm auf einen Nerv. Alfred Kerr müsste durch die Strassen von Paris wandern wie der tote Bruder, mich stört des Lebenden chevaleresker Mantel, sein abgestäubter Hut.« – zum ernsten Krieg • Karl Kraus hatte sich im März und April 1911 in zwei Beiträgen für die ›Fackel‹ kritisch zu den journalistischen Praktiken Alfred Kerrs geäußert (vgl. zu [108]). – Schalôme-Aphrodite • Kete Parsenow (s. [52] und [53]). – Herwarths neue Pantomime • ›Die vier Toten der Fiametta‹: Pantomime von William Wauer (1866–1962) mit der Musik von Herwarth Walden, am 15. Juni 1911 im ›Kleinen Theater‹ in Berlin uraufgeführt. Die Hauptrollen spielten William Wauer, der auch Regie führte, und Rosa Valetti (1876–1937). Die überwiegend negativen Besprechungen dokumentiert Herwarth Walden in den beiden Ausgaben des ›Sturms‹ vom 23. Juni und vom 8. Juli 1911 (Jg. 2, Nr. 66 und 67, S. 523–525 und 531–533). Else Lasker-Schüler erwähnt die Pantomime auch in ihrem Essay ›Wauer via München, weiter und so weiter‹, der im August 1911 im ›Sturm‹ (Jg. 2, Nr. 72, S. 575 f.; KA, Bd. 3.1, S. 171–173) erschien.

[57] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Donnerstag, 4. Mai 1911

Donnerschdag.

Verährter Dalai Lama

van Wien on Omgägend.

Wat söll eck? In die Depesche warn Drockfähler. Eck si ömmer en ährlechen Arbeeter gewesen on han ömmer eene Schnute for meck alleen gehobt on Sie sin de’ erschte Mensch welcher ming Vormond bold es, weel Se’ minne Gedechte seien wärden von die Wopper. Nu han wir Alle so Angst dat Se’ nu nich vortragen wärden, weel wir Alle nix tu freten han on eck kreg Wichse för dat eck dat Muhl nich halten konnt. On dat die Ölfärwer Kokoschka nich an die Casse setten dut, hä steehlt. Hä han meck hier ook ming olle Piepe gestohlen on schmöckt doruht en Wien. Wat gont meck die Literatür on!! Kick ewwer, wenn eck enmol ia geseit han, kann eck nich hü seien. Ewwer eck hätt et doch gekonnt, ewwer eck wöllt et nich, weel erschtens dat Versken nett wor on Kerr sing Visage is gar nich so ohne wie Se’ denken, Dalai-Lama.

Eck leewe Önk nur, ewwer wat söll eck die andern för den Kopp träten för nix on ewwernix. Eck sitt bie die angeren alle Owend em Weathshus on Kneipen tusammen. Der Rudi Kurtz hä leewt Deck so on weeß oock nich een on ut.

Kömmen Se’ doch no hier dat Se’ wacker utkehren wat faul es. Ook die Kete Parsenow seit, Se’ söllen kömmen, wir sopen dann tusammen ens. [Bierkrug]

On nu, lewen Se’ wöll, ming verährter Dalai Lama on eck ende met Lutter sing Sprüchsken: Hier stonn eck, helpen Se’ meck eck kan nich anders.

Wat nu?? [über dem zweiten Fragezeichen ein Hut mit einer Feder (?)]

Aujust.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157927). Datum von Helene Kann: »4. V. 11«. D: KA, Bd. 6, S. 192.

Depesche • Gemeint ist ein undatierter Brief von Karl Kraus an Herwarth Walden, nach dem 30. April 1911 (Feinde in Scharen, S. 317 f.). Darin beklagt Kraus sich, dass Else Lasker-Schüler in der ›Aktion‹ vom 1. Mai 1911 für Alfred Kerr Partei ergriffen habe (s. [56]): »Es ist peinlich, daß E[lse] L[asker]-Sch[üler] in dieser Umgebung ihre Meinung sagt.« – vortragen • Karl Kraus trug am 15. Mai 1911 in Wien unter anderem Gedichte von Else Lasker-Schüler vor (s. [61] und [63]). In seinem Brief an Herwarth Walden, nach dem 30. April 1911 (s. o.), weist Kraus darauf hin, dass er von Else Lasker-Schüler »mehr als von den andern Autoren« lesen werde. – Rudi Kurtz • Rudolf Kurtz (1884–1960), Schriftsteller, Dramaturg und Drehbuchautor. 1926 veröffentlichte er die Schrift ›Expressionismus und Film‹. In seinem Beitrag zur Rundfrage über Alfred Kerr in der ›Aktion‹ (vgl. zu [56]) schreibt Kurtz unter anderem: »Müßte ich Kerr aus unserer Zeit wegdenken; die Welt würde um ein paar Grade dunkler werden.« (Jg. 1, Nr. 11 vom 1. Mai 1911, Spalte 335.) – Lutter sing Sprüchsken • »Hier stehe ich und kann nicht anders! Gott helfe mir, Amen!«, soll Martin Luther beim Reichstag zu Worms am 18. April 1521 auf die Frage geantwortet haben, ob er seine Lehre widerrufe. Der Satz ist historisch nicht belegt.

[58] Karl Kraus an Else Lasker-Schüler
Wien, Freitag, 5. Mai 1911

Lasker Schüler Halensee Katharinenstr 5

Sinn meiner Depesche war Ich achte durchaus Ihre Meinung hätte ihr aber andere Sinngebung gewünscht da Gefahr peinlichen Mißbrauchs nahe Bester Beweis dafür ist daß Ihnen jemand schon zu erzählen gewagt ich würde Vorlesung unterlassen. Darüber wollen Sie ganz beruhigt sein. Ich liebe Ihre Gedichte auch wenn Ihre Elephanten verkehrt gehen.

Viele Grüße

Anmerkungen

H (Telegramm [Entwurf]): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 176058; Ib 159629 [S. 89]).

Karl Kraus antwortet auf Else Lasker-Schülers Brief vom 4. Mai 1911 (s. [57]), die das vorliegende Telegramm wiederum unmittelbar beantwortet (s. [59]). – Depesche • Der undatierte Brief von Karl Kraus an Herwarth Walden, auf den Else Lasker-Schüler am 4. Mai reagiert (vgl. zu [57]). – Ihre Elephanten • Der Hinweis spielt auf Else Lasker-Schülers Brief vom 30. April 1911 (s. [56]) an.

[59] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Freitag, 5. Mai 1911

Sehr wärter

Dalai Lama.

Eck reese morgen en die Fröh no München wo die Lüte dat Bier wie Waterleetongswater sôpen. Ewwer vorher well eck Önk noch opklären wegen die Depesche. Keen Mensch han to meck geseit, dat Sie nu nich vörtragen werden, dat kam allet ut meck, ut ming Kolnerhänneskenkopp, weel April wor; on eck si een Aprilsjeck. Eck reese morgen en die Fröh no München on bliewe eene Woche do. Eck leid’ on die Luft on en Beeern söll so völl Luft sinn dat allet fortfliegen dut. Han Se’ dat ook gehört? Ook well eck Här Rubiner sing Broder besöken dän Ludwig den Zweeten vant Beeern. Völleecht bliew eck do bie ming Fröndin, dat es en wackert Mädchen on eck han Heemweh no öhr.

On die Hooptsak! eck wärd eenem ollen Ehepaar op öhre 14 karätesche goldene Hochtiet vörtragen ut minne lostigen Vorträge. Der völlbestrafte Färwer Oskar Kokoschka söll die beeden schwâten [ein männlicher und ein weiblicher Kopf im Profil] Jubiläre opnähmen met sinne Pinsels. – 100 pro Kopp. –

On wat Önk onbetreffen dut – loten Se’ die Biesters ens kömmen eck laure op sie hinger die Mauer.

Aujust [das A als Clownsgesicht mit spitzem Hut]

Önke Onbeter.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158161). Datum von Helene Kann: »Mai 1911«. D: KA, Bd. 6, S. 193.

Am 6. Mai 1911 schreibt Herwarth Walden an Karl Kraus: »Meine Frau ist heute nach München zu einer Freundin gefahren.« (Feinde in Scharen, S. 318.) – Depesche • Der undatierte Brief von Karl Kraus an Herwarth Walden, auf den Else Lasker-Schüler am 4. Mai 1911 reagiert (vgl. zu [57]). – Kolnerhänneskenkopp • Das Hänneschen ist die Hauptfigur der ›Puppenspiele der Stadt Köln‹ (›Hänneschen-Theater‹), eines Stockpuppentheaters, das mit Unterbrechungen seit 1802 besteht. – Ludwig den Zweeten • Scherzhafte Anspielung auf den bayerischen König Ludwig II. (1845–1886), Namensvetter des Schriftstellers Ludwig Rubiner (1881–1920). – ming Fröndin • Die Münchner Malerin Auguste Ichenhäuser (1883–1943). Ihr widmete Else Lasker-Schüler 1914 in ›Der Prinz von Theben‹ die Erzählung ›Der Amokläufer‹ (S. 15–23; KA, Bd. 3.1, S. 380–383).

[60] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
München, Samstag, 13. Mai 1911

[Komet]

Verehrter Dalai Lama

Königregent [über dem K eine Krone] in Wien.

Ich sende Ihnen Grüße aus München. Gestern wollte ich Ihnen telegraphieren, kommen Sie sofort, hier ist was faul im Staate. Ich sage immer, ich schreibe es Karl Kraus – vor Ihnen haben Alle Furcht. Nun ist mir so peinlich, daß Sie von mir lesen werden nach alledem – tun Sie es nicht. Aber ich konnte nicht anders handeln eher wäre ich über eine Bombe gesprungen. Aber dennoch ist es gerade gegen Sie, wo Sie so lieb zu mir sind, ich spreche nur von Ihrem Herzen, das so aristokratisch ist, eine vom Geschick bestimmte Undankbarkeit. Ich möchte dem ganzen Spießerschreibtum ins Gesicht spucken, aber ich kann nicht gegen Geschriebenes empfinden was ich für dichterisch halte. Wäre es Mühsam gewesen, ich dulde ihn wie einen armen Knecht, auch sprach er stets auch hinter m. [?] Rücken von mir gut; dennoch, ich hätte gnädig gelächelt. Fräulein Guste Ichenhäuser hier, sie könnte Esche heißen sie kennt Sie von Berlin aus, schwärmt für Sie wie ein Ritter, hat Mühsam krass die Wahrheit gesagt natürlich ich dabei. Ein Läuserich, aber ich kann kein Tier töten oder es müßte ein Bazill sein. Hier ist es schön, Halbe ist drollig und scheints verständlich. Ich bummele zu viel, herrlich ist der Simpli. von Kati Cobus. Lieber Dalai Lama, sprechen Sie nicht meine Gedichte, Sie beschämen mich grenzenlos.

Tino.

Da kennen Sie mich doch, halten etwa will ich mich wie berechnet mit irgend einem der Götter – ich tue nichts aus Rechnung. Ich sehe nur Angesichte im Leben gern.

Lieber Dalai Lama, ich habe die Krone eben in der Sonne trocknen lassen am Fenster meines Gemachs. Ich wohne wie im Schloß so schön. Ich habe es vergessen Herwarth zu schreiben. Er freut sich dann.

Gegenüber das Polytechnikum da zeichnen so hübsche Knaben am Fenster die sind alle bunt im Gesicht. Auch gefällt mir ein Guitarrenspieler so gut im Simpli – liter. ist sentimental schlecht aber manchen steht es in Wirklichkeit. Nur sprechen darf man nicht mit, das fühle ich. –

Emmy ist hier, ich muß mich wirklich schämen, ich hätte mich gar nicht mischen sollen, ob die Leute verflacht sind oder nicht, eine lose Spießerin. Ich machte, als ob ich sie gar nicht kannte, aber, sie hat hier auch zu Scharfs Lügen erzählt wie in Berlin, ich hätte anonyme Briefe über E. geschrieben etc. und gestern bekam ich eine Depesche von Halensee Berlin – grausam geschrieben, daß ich sofort dringend abreisen soll. Ich bin fast vor Schreck umgekommen, ich konnte mich vor Erstarrung nicht bewegen. Herwarth aber hatte nicht telegraphiert. Ich telephonierte nach Berlin Die Emmy hat die Depesche in Berlin aufgeben lassen. Dienstmädchen, Nähmädchen tun dergleichen Vitrioldinge. Ich habe kein Temperament mehr für Nähmädchen.

Lieber Dalai Lama!

Tino.

Pension Modern.

Theresienstr. München. Bayern.

Falls Sie mal nach München kommen, hier ist nett zu wohnen.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157928). Datum von Helene Kann: »13. V. 11«. D: KA, Bd. 6, S. 194 f.

was faul im Staate • »Etwas ist faul im Staate Dänemarks«: geflügeltes Wort nach William Shakespeares ›Hamlet‹ (1. Aufzug, 4. Szene). – von mir lesen werden • Karl Kraus trug am 15. Mai 1911 in Wien unter anderem Gedichte von Else Lasker-Schüler vor (s. [61] und [63]). – nach alledem • Else Lasker-Schüler hatte in der ›Aktion‹ für Alfred Kerr Partei ergriffen, was Karl Kraus verdrießlich gestimmt hatte (s. [56] und [57]). Am 9. Mai 1911 notiert Erich Mühsam (vgl. zu [7]) im Tagebuch (zitiert nach der Online-Ausgabe der Tagebücher, bearbeitet von Chris Hirte und Conrad Piens): »Pfempfert schickt mir die beiden letzten Nummern der ›Aktion‹, in denen die Enquete über Kerr fortgesetzt wird. Dehmel schreibt ganz dumm, Else Lasker-Schüler macht mindere Knittelverse, Kurtz spreizt sich, und die übrigen sind ziemlich belanglos. Ob Kerr viel Nutzen von der Umfrage haben wird?« – Guste Ichenhäuser • Vgl. zu [59]. – Halbe • Max Halbe (1865–1944), Schriftsteller in München. – Kati Cobus • Kathi Kobus (1854–1929), Gründerin und Inhaberin des Künstlerlokals ›Simplicissimus‹ in München. Über einen Besuch im ›Simplicissimus‹ berichtet Else Lasker-Schüler in ihrem Essay ›Wauer via München, weiter und so weiter‹, der im August 1911 im ›Sturm‹ (Jg. 2, Nr. 72, S. 575 f.; KA, Bd. 3.1, S. 171–173) erschien. – Emmy • Emmy Hennings, auf die Else Lasker-Schüler eifersüchtig war (s. [21]). Erich Mühsam berichtet in mehreren Tagebucheintragungen (s. o.) über Begegnungen von Else Lasker-Schüler und Emmy Hennings in München. Am 8. Mai 1911: »Eine peinliche Überraschung wurde uns dadurch zuteil, daß die Ichenhäuser plötzlich mit Else Lasker-Schüler das Lokal betrat. Die eifersüchtige Megäre, die komplett wahnsinnig ist, hat Emmy in Berlin mit Schimpfreden und Drohungen nachgestellt. Nun war das arme Kind ganz verängstigt. Ich hoffe, sie fährt bald wieder ab. Es wäre recht widerwärtig, wenn Emmy wieder keine Ruhe vor ihr hätte. Ich bin aber entschlossen, trotz aller Freundlichkeiten der törichten Frau gegen mich und trotz meiner Verehrung für manche ihrer Gedichte, Emmy sehr energisch gegen sie zu verteidigen.« Einen Tag später: »Emmy war sehr aufgeregt, da gleichzeitig mit der Ichenhäuser die Else Lasker-Schüler in einer Ecke des Lokals saß. Das verängstigte Kind fürchtete Revolver und Vitriol. Mir fiel mal wieder die angenehme Aufgabe zu, zu parlamentieren. So setzte ich mich zu der Lasker und kam auf Umwegen zu dem Thema Emmy. Ich erreichte das Versprechen, sie werde während der Zeit ihres Münchner Aufenthalts nicht mehr den ›Simpl‹ betreten, noch Emmy im mindesten nahetreten. Als ich zu Emmys Tisch zurückkam, war sie grade dabei, einen Zustand zu kriegen. Ich begleitete sie mit Keller zusammen nach Hause und sie stieß schreckliche Drohungen gegen Elschen aus.« Erneut am 10. Mai 1911: »Die Angelegenheit Else Lasker-Schüler – Emmy spitzt sich dramatisch zu. Ich erhielt einen langen Brief von Elschen, in dem sie Emmy als ›geiles kleines Nähmädchen‹ beschimpft, in deren Mund ihr ›erlauchter‹ Name (an einer andern Stelle ›die Majestät meines Namens‹ – immer dick unterstrichen) nichts zu tun habe, und worin sie schließlich erklärt, sie lasse sich das Betreten öffentlicher Lokale nicht verbieten. Ich hielt es für ratsam, diplomatisch zu sein und schrieb einen langen vorsichtigen Antwortbrief, von dem ich auch noch eine Abschrift nahm, sodaß mir wieder die Zeit, wo ich hätte arbeiten mögen, zum Teufel ging. Ich bat die Lasker, mir persönlich den Gefallen zu tun, den Simpl. zu meiden. Abends im Café kriegte ich dann einen weiteren albernen Brief, in dem u. a. stand, sie (Tino von Bagdad) habe in Berlin nur Emmy aus dem Café entfernt wissen wollen, um den einzigen Ort, wo man sich aufhalten könne, nicht verflachen und verhuren zu lassen.« – Scharfs • Ludwig Scharf (1864–1939), Lyriker in München. Er trat regelmäßig im ›Simplicissimus‹ auf. In ›Wauer via München, weiter und so weiter‹ (s. o.) schreibt Else Lasker-Schüler: »Ludwig Scharf trägt mit starkem Ton seine Verse vor, jedes Wort ist an das andere geschmiedet. Sein Gesicht ist eine diabolische Arabeske. Dazwischen tönt die fahrende Stimme des Guitarrenspielers und die liebenswürdigen, drolligen Bemerkungen Max Halbes; er gefällt mir sehr.« – eine Depesche von Halensee Berlin • Am 14. Mai 1911 notiert Erich Mühsam im Tagebuch (s. o.): »Die Lasker-Schüler-Geschichte nimmt allmählich die Formen einer komischen Groteske an. […] Und nun beteiligt sich auch die Ichenhäuser – Emmy nennt sie unhöflich Frl. Siechenhäuser – an der Korrespondenz. Gestern bekam ich einen total verstiegenen Brief von ihr. Wenn ihr Diener Jehovah ermittle, daß ich ein Hurerich sei, so müsse ich Millionen Meilen weit von ihrem Lande fortgehn. Scheißtrommel! – Inzwischen hat Emmy selbständig Schritte unternommen, um die Dichterin Tino loszuwerden. Sie hat veranlaßt, daß ihr von Berlin aus ein Telegramm ins Café Bauer geschickt wurde, wonach sie sofort nachhause zurückkommen möge. Natürlich ist sie darauf nicht hereingefallen und hat angeblich das ganze Material der Polizei übergeben.«

[61] Vorlesung Karl Kraus [Programm, Auszug]
Wien, Montag, 15. Mai 1911

WIEN, (AKADEMISCHER VERBAND FÜR LITERATUR UND MUSIK) 15. MAI 1911 | VORLESUNG KARL KRAUS | I | Else Lasker-Schüler: Sterndeuterei, Unser Kriegslied, Weltende, Die Stimme Edens, Meine Mutter, Ein alter Tibetteppich, Streiter | […]

Anmerkungen

Programmzettel: Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 239487).

Der Essay ›Sterndeuterei‹ war von Karl Kraus in der ›Fackel‹ vom 26. Januar 1911 (s. [45]) abgedruckt worden, die Gedichte ›Unser Kriegslied‹, ›Weltende‹, ›Die Stimme Edens‹, ›Meine Mutter‹, ›Ein alter Tibetteppich‹ und ›Streiter‹ hatte Else Lasker-Schüler in ›Meine Wunder‹ (1911) (S. 27, 50, 4, 60, 15, 59; KA, Bd. 1.1., S. 88, 103, 126 f., 129, 130, 98) aufgenommen. In einem undatierten Brief, nach dem 30. April 1911, schreibt Karl Kraus an Herwarth Walden: »Wäre es Ihnen möglich, mir das Gedicht: ›Ich will in das Grenzenlose‹ in Abschrift zu schicken? Ich finde den ›Siebenten Tag‹ nicht, und im neuen Buch steht es nicht.« (Feinde in Scharen, S. 318.) Am 6. Mai 1911 antwortet Herwarth Walden: »Das Gedicht ›Ich will in das Grenzenlose‹ steht im ›Styx‹. Ich ließ Ihnen gestern das Buch zugehen.« (Feinde in Scharen, S. 319.) Gemeint ist Else Lasker-Schülers Gedicht ›Weltflucht‹, das 1902 in ihrem ersten Gedichtbuch ›Styx‹ (S. 10; KA, Bd. 1.1, S. 34) erschienen ist.

[62] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
München, wahrscheinlich Mittwoch, 17. Mai 1911

Lieber Dalai Lama.

Nun wird es immer schöner in München, auch so schöne Leute und viele Gedichte habe ich gemacht. Ich schicke Ihnen eins wenn Sie es nicht nehmen, schadet nichts, ich lass es dann mit dem Sturm gehn. Gestern, (darum schreibe ich,) trat ein Mann in Schwarz geschlichen ins Café, ich dachte ein Abé, aber nachher sah ich es war ein jüdischer Abé wer war das wohl: Maler Oppenheimer mit den gepolsterten Lippen. Er erkannte mich sofort, aber tat so, als ob er mich jäh erkannte des Pathos wegen. Jüdisches Strichnin. Dann hetzte er mich auf PAltenberg, [das P über dem A] daß er so schlecht von mir gesprochen habe aus Wut, daß Sie auch von mir gelesen hätten. Dann sprach er unvorteilhaft von Daniel Jesus Paul Leppin – also ein Eckel. Mühsam sein Freund, sie spielten nachher Schach, ich saß so schön mit allen schönen Jünglingen der Stadt, die haben Phantasie. Bald aber gehe ich nach Hause.

Lieber Dalai-Lama, hier ist eine Baronesse kerngesund im Irrenhaus, die frühere Braut meines Bruders. Ich muß sie erst erlösen. Ihr Vormund glaubt es selbst nicht, daß sie irr sei. Lieber Dalai Lama, kommen Sie doch hierher, Herwarth kommt dann auch, ich zeig Ihnen die Weidenplätze der Eckel hier. Emmy ist hier, sie ist mir zu wenig, daß ich sie beachtet hab noch beachte. Hätte ich doch die Diplomatie und die Kühle in Berlin gehabt!! Hier bin ich noch kühl unter dem Schwirrenden. Das wahre Eden an Gedichte oder Gedichten.

O, Dalai Lama, verehrter Oberpapst und Kronenpriester von Wien, was soll ich noch sagen Ihnen zur Ehre und zur Verehrung?

[Komet]

Tino die Prinzessin.

Mit Emmy fühle ich nun genau, war es nur der Eckel der Oberflächlichkeit der Verflachung und Verhütung der Caféverdummung. Hier sind die Leute nicht gefährdet.

Viele, viele Grüße an den Gorilla, er schrieb mir Karte ohne Adresse aus Tunis.

Und einen ungern gesehenen Gruß an Tantris-zeuxis das ist O. Kokoschka der Maler der Stadt.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157929). Datum von Helene Kann: »7. [geändert aus 27., geändert aus 17.] V. 1911«. D: KA, Bd. 6, S. 196.

Helene Kann dürfte das Datum nach dem Poststempel des (nicht mehr erhaltenen) Kuverts ergänzt haben, wobei sie den Tag nicht sicher lesen konnte. Der Brief wurde nach dem Vortrag von Karl Kraus in Wien am 15. Mai 1911 geschrieben: Über die Begegnung mit Max Oppenheimer berichtet Else Lasker-Schüler auch in einem Brief an Oskar Kokoschka vom 17. Mai 1911 (vgl. KA, Bd. 6, S. 197). – mit dem Sturm gehn • Karl Kraus übersandte das Gedicht am 19. Mai 1911 an Herwarth Walden. Er schreibt unter anderem: »Nun werden Sie und wird Ihre Frau einsehen, daß ich nach dem Essay von R[ichard] W[eiß] und nach meiner Hochachtung vor Else Lasker-Schüler nichts bringen kann, was sie nicht auf der Höhe des Tibetteppich zeigt.« (Feinde in Scharen, S. 323.) Der Essay von Richard Weiß war am 29. April 1911 in der ›Fackel‹ (s. [54]) erschienen, ›Ein alter Tibetteppich‹ hatte Karl Kraus zuvor am 31. Dezember 1910 in der ›Fackel‹ (s. [39]) abgedruckt. – Um welches Gedicht es sich handelt, kann nur vermutet werden. Im ›Sturm‹ erschien am 25. Mai 1911 ›Unser Liebeslied‹ (»Unter der Wehmut der Esche«) (Jg. 2, Nr. 63, S. 502; KA, Bd. 1.1, S. 133), am 1. Juni 1911 ›Dem Barbaren‹ (»Deine rauhen Blutstropfen«) (Jg. 2, Nr. 64, S. 508; KA, Bd. 1.1, S. 133 f.) und am 8. Juli 1911 ›Dem Barbaren‹ (»Ich liege in den Nächten«) (Jg. 2, Nr. 67, S. 534; KA, Bd. 1.1, S. 134 f.). – Maler Oppenheimer • Der aus Wien gebürtige Maler Max Oppenheimer (1885–1954), dessen Werke stilistisch unter anderem von Oskar Kokoschka beeinflusst sind. In München wurde in der Galerie Thannhauser am 19. Mai 1911 die erste Einzelausstellung mit Bildern Max Oppenheimers eröffnet, über die Else Lasker-Schüler in der dreizehnten Folge der ›Briefe nach Norwegen‹ (Der Sturm, Jg. 2, Nr. 89 vom [9.] Dezember 1911, S. 710; KA, Bd. 3.1, S. 218 f.) berichtet (s. [78]): Kokoschka – und mit ihm Karl Kraus, Else Lasker-Schüler und Herwarth Walden – vertrat die Ansicht, dass Oppenheimer ihn plagiiere. – In der ›Pariser Tageszeitung‹ vom 3. September 1938 veröffentlichte Else Lasker-Schüler den Essay ›Mopp, ein ‚musikalischer‘ Maler‹ (Jg. 3, Nr. 780, S. 4; KA, Bd. 4.1, S. 302–304). – von mir gelesen • Am 15. Mai 1911 in Wien (s. [61] und [63]). – Daniel Jesus Paul Leppin • Der Prager Schriftsteller Paul Leppin (1878–1945), von Else Lasker-Schüler Daniel Jesus genannt, wie die Hauptfigur seines gleichnamigen Romans von 1905 heißt. Im Januar 1908 veröffentlichte Else Lasker-Schüler in ›Das Magazin‹ den Essay ›Daniel Jesus‹ (Jg. 77, H. 4, S. 65; KA, Bd. 3.1, S. 106 f.), der 1913 in ›Gesichte‹ (S. 83 f.) mit dem Titel ›Paul Leppin‹ abgedruckt ist. – Mühsam • Erich Mühsam (vgl. zu [7]). – Emmy • Emmy Hennings (s. [60]). – Gorilla • Adolf Loos (vgl. zu [20]). – Tantris-zeuxis • ›Tantris der Narr‹ (1907) ist der Titel eines erfolgreichen Theaterstücks von Ernst Hardt (1876–1947). »Ich mein nämlich, ich schreibe dem Tantris«, heißt es in Else Lasker-Schülers Brief an Ernst Hardt von Mitte August 1916 (KA, Bd. 7, S. 120 f.). – Zeuxis ist der Name eines griechischen Malers (vgl. zu [38]).

[63] Karl Kraus, Notizen [Auszug]

Notizen

[…]

Am dritten Leseabend (der, am 15. Mai, wieder vom Akademischen Verband für Literatur und Musik veranstaltet wurde) hat der Herausgeber der Fackel Dichtungen seiner Mitarbeiter und eigene Arbeiten vorgelesen. Das Programm hatte zwei Abteilungen: Else Lasker-Schüler: Sterndeuterei, Unser Kriegslied, Weltende, Die Stimme Edens, Meine Mutter, Ein alter Tibetteppich, Streiter; […]. Der Ertrag der erfolgreichen Veranstaltung fiel den Dichtern Else Lasker-Schüler und Peter Altenberg zu.

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 13, Nr. 323 vom 18. Mai 1911, S. 8–11, Auszug S. 11.

Vgl. zu [61] (Programm der Lesung).

[64] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
München, Sonntag, 21. Mai 1911

Herrn Karl Kraus.

Wien

Dominikaner Bastey 22.

Verehrter Herzog. Behalten Sie das Geld für ein Denkmal für meine Dichtung. Eine Tafel aus Malachit mit Diamantenschrift. Ich habe Ihnen einen offenen Brief geschrieben für die Fackel aus Überzeugung – denn ich bin der Prinz von Theben. Daß Sie mir nicht trauen, schmerzt mich, ich bewahre Briefe wie Allerheiligstes stets und schwinge sie selbst nicht wie Fahnen, auch in Kriegszeiten nicht. Drucken Sie den offenen Brief von mir, verehrtester Dalai Lama nur an den Wert des Briefes denkend an die Dichtung des Briefes denkend – Tod den Literaten, die nie Thaten taten.

T.

Ich lebe von Bananen, ich bin ganz klein und fange an zu zahnen.

[Selbstporträt in Kleid und Schärpe mit gesenktem Kopf und übergroßen Händen, darüber ein Stern] Mein psychischer Zustand: Melancholie – Krieg

Anmerkungen

H (Postkarte): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158162). Poststempel: München, 21. 5. 11. D: KA, Bd. 6, S. 199.

das Geld • Siehe [63]. – offenen Brief • Am 23. Mai 1911 schreibt Karl Kraus an Herwarth Walden: »Ihre Frau spricht von einem ›offenen Brief‹, den sie an mich gerichtet habe. Bis jetzt nichts erhalten.« (Feinde in Scharen, S. 327.) Mit dem offenen Brief dürfte der fiktive Brief an Karl Kraus gemeint sein, den Else Lasker-Schüler mit dem Titel ›Vom Himmel‹ in die ›Briefe nach Norwegen‹ (s. [75]) aufnahm. Am 21. März 1911 schreibt sie an Ernst Rowohlt: »Ich habe noch einen Essay noch über Herwarth Walden hier, noch unfertig und ›Vom Himmel‹ den Karl Kraus wieder in der Fackel drucken wird. Fortsetzung eigentlich von Sterndeuterei, die auch in der Fackel erschien.« (KA, Bd. 6, S. 190.) ›Sterndeuterei‹ (s. [45]) war am 26. Januar 1911 in der ›Fackel‹ erschienen.

[65] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
München, Sonntag, 4. Juni 1911

Verehrter Dalai Lama.

Auf Minuten kommt es an – seien Sie, mir dem Egypter nicht böse – daß ich Sie bitte sofort O. K. inl. Brief übergeben zu lassen. Kein Geheimniß steht darin nur Vertrauen. Ich möchte nur nicht, (darum sandte ich ihn geschlossen), daß Sie den Inhalt lesen – er würde undankbar auf Sie wirken müssen.

Wie ist mein neustes Gedicht?

Morgen kommt Schalôme nach München. O, bitte kommen Sie alle mich besuchen. – Sie reist dann von hier sofort nach New-Jork.

Ihr dankbarer Joseph von Egypten.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158141). D: KA, Bd. 6, S. 197.

Am 5. Juni 1911, einem Montag, schreibt Kete Parsenow (»Schalôme«) an Karl Kraus: »Bin vor einigen Stunden totmüde hier angekommen.« (Du bist dunkel vor Gold, S. 67.) Am 29. Mai hatte sie aus Berlin an Karl Kraus geschrieben, dass sie »Sonntag […] am Abend mit dem 10.2 U[hr] Zug nach München« (Du bist dunkel vor Gold, S. 66) fahren werde. – O. K. • Oskar Kokoschka. Der »inl. Brief« ist nicht bekannt. – mein neustes Gedicht • Am 30. Mai 1911 schreibt Karl Kraus an Herwarth Walden: »E[lse] L[asker]-Sch[üler] schickt mir nun dieses Gedicht.« (Feinde in Scharen, S. 330.) In Waldens Antwort vom 1. Juni 1911 heißt es: »Soweit ich meine Frau kenne, sollen diese Sendungen wol nur Geschenke für Sie persönlich darstellen, ohne Wunsch des Abdrucks. Ich vermute das, weil sie mir das Gedicht ziemlich gleichzeitig geschickt haben muß.« (Feinde in Scharen, S. 331.) Im Juli und August 1911 nahm Herwarth Walden im ›Sturm‹ die folgenden Gedichte von Else Lasker-Schüler auf: Am 8. Juli erschien ›Dem Barbaren‹ (»Ich liege in den Nächten«) (Jg. 2, Nr. 67, S. 534; KA, Bd. 1.1, S. 134 f.), am 22. Juli ›Antinous‹ (Nr. 69, S. 549; KA, Bd. 1.1, S. 135 f.), am 12. August ›Abel‹ (Nr. 72, S. 574; KA, Bd. 1.1, S. 136) und am 19. August ›Dem Prinzen von Marokko‹ (Nr. 73, S. 581; KA, Bd. 1.1, S. 137). – nach New-Jork • Die Abreise nach Amerika, wo Kete Parsenow sich zwei Monate aufhielt, verzögerte sich bis Mitte Juli 1911. Vgl. Du bist dunkel vor Gold, S. 76–80.

[66] Else Lasker-Schüler, William Wauer, Ernst Blass, Eduard Plietzsch, Kurt Hiller und Herwarth Walden an Karl Kraus
Berlin, Dienstag, 1. August 1911

[von Herwarth Walden:]

Herrn

Karl Kraus

Ostende

Hôtel Helvetia

[von Else Lasker-Schüler:]

Verehrter Dalai Lâma – meine Wasserverhältnisse werden täglich unhaltbarer, mein Bosborus ist vollständig ausgetrocknet.

Jussuf der Egypter und Prinz von Theben.

[von William Wauer:]

Die besten Grüße und Empfehlungen sendet William Wauer.

[von Ernst Blass:]

Ergebnen Gruß Ernst Blass.

[von Eduard Plietzsch:]

In Bewunderung Eduard Plietzsch

[von Kurt Hiller:]

Herzlichen Gruss! Kurt Hiller.

[von Herwarth Walden:]

Viele herzliche Grüße und Dank für Karte. In diesen Tagen mehr.

Stets Ihr

Herwarth Walden

Anmerkungen

H (Postkarte): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 149137). Poststempel: 1) Berlin, 1. 8. 11. 2) Oostende, 2. 8. 11. D: KA, Bd. 6, S. 199 f.

[67] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, wahrscheinlich Mitte September 1911

Sehr werter Herr Herzog,

bitte lesen Sie durch und senden Sie mir im inl. Couvert zurück sofort bitte.

Ich bin so wütend, ich bin so wütend, ich habe schon alle Stühle alle Tische Bettlehne Schrank tot geschossen mit einer Pistol. Die Art wie ich belogen wurde von Anfang an, ist so grenzenlos.

Bitte schicken Sie mir wieder wenn H. Brief hat, werde ich ruhig. Darin steht alles.

Ich sagte immer alles, auch die Schwärmerei damals zu Oskar Kokoschka und alles. Er heimlich.

[auf Briefumschlag:]

Ich will es Sie doch lesen lassen.

Anmerkungen

H (Brief): ?. D (nach: Briefe an Karl Kraus, S. 24 f.): KA, Bd. 6, S. 203 und 197.

Der Brief dürfte unmittelbar nach Herwarth Waldens Rückkehr von seiner Reise nach Dänemark, Schweden und Norwegen geschrieben sein, zu der er am 27. August 1911 mit dem Berliner Rechtsanwalt Kurt Neimann (1877–1944) aufgebrochen war. Walden traf am 10. oder 11. September 1911 in Berlin ein und schrieb zuerst am 11. September an Karl Kraus (vgl. Feinde in Scharen, S. 360). – Ich bin so wütend • Herwarth Walden hatte eine Beziehung mit der schwedischen Musikerin und Malerin Nell Roslund (1887–1975) begonnen. – H. • Herwarth Walden.

[68] Else Lasker-Schüler, Briefe nach Norwegen [2. Folge; Auszug]

Briefe nach Norwegen

[…]

Cajus-Majus, der Cäsar, setzte sich geheimnisvoll an meinen Tisch, als sich Peter Baum für einen Augenblick entfernte, Cajus möchte mich etwas fragen. Ich möchte Sie etwas fragen, Else Lasker-Schüler, passen Sie mal auf! Es handelt sich um meine literarische, wie um meine materielle Zukunft. Würde es mir Herr Walden übel nehmen, falls ich bei Capuletti in Florenz in den Verlag einträte? Kraus ist ja erhaben über dergleichen, aber Walden hat zur Zeit Herrn D. schon einmal bei einer solchen Gelegenheit die Alternative gestellt. Ich habe ihm geantwortet, Herwarth, dass er meine Stellung zu Dir überschätze. Ich wäre noch nicht mal als Laufbursche unten im Bureau angestellt, ich bewürbe mich aber um den Sekretariatsposten und würde seine Angelegenheit zur Sprache bringen. Bin ich nun so dumm? Offen gestanden, ich mag Cajus-Majus schrecklich gern leiden, er ist ein drolliger, erwachsener Pausbackenengel, ein frommgewordener Bacchant im Bacchantenzug; sein Humor hat sich frisch erhalten, aber statt der Trauben trägt er einen weissen Kragen um den Hals. Was sich doch die Menschen verändern, was die Literatur aus einem Menschen macht. Aber allen Ernstes, Herwarth, wirst Du es ihm übel nehmen? Eins will ich Dir sagen, druckst Du nichts mehr von ihm, schreib ich nicht eine Bohne mehr. Die einzigen Sachen, die mir Vergnügen machen, sind Cajus-Majus Sachen. Als Peter Baum wieder an unseren Tisch trat, kamen durch die Caféhaustüre die Signorina Marie und die Margret. Ich sagte, die Margret sieht heute aus wie ein Glühwürmchen, und Peter Baum schnappte danach. Aber Cajus-Majus schwamm weiter durch die literarische Seligkeit wie ein Wallfisch. Aus seinem Kopf floss über Kreuz ein Springbrunn. Wir gingen zeitig nach Haus, Herwarth, auf Ehrenwort! Wieder ist ein Brief vom Dalai Lama aus Wien gekommen, ich habe ihn zu den anderen Briefen und Karten und Drucksachen in deine fife o clock Hose gesteckt.

[…]

Anmerkungen

Der Sturm, Jg. 2, Nr. 78 vom [23.] September 1911, S. 622 (KA, Bd. 3.1, S. 185 f.).

Auch in die beiden Ausgaben von ›Mein Herz‹ (1912) (S. 18 f.) (1920) (S. 17 f.) aufgenommen. – Cajus-Majus • Gemeint ist der Schriftsteller Kurt Hiller (1885–1972). Er gab 1912 die Anthologie ›Der Kondor. Verse von Ernst Blass, Max Brod, Arthur Drey, S. Friedlaender, Herbert Großberger, Ferdinand Hardekopf, Georg Heym, Kurt Hiller, Arthur Kronfeld, Else Lasker-Schüler, Ludwig Rubiner, René Schickele, Franz Werfel, Paul Zech‹ (Heidelberg: Richard Weißbach) heraus, in der Else Lasker-Schüler mit zehn Gedichten vertreten ist. An Hillers Auswahl der Autoren und ihrer Gedichte wurde von den Zeitgenossen überwiegend Kritik geübt. Am 7. Juli 1912 notiert Erich Mühsam (vgl. zu [7]) im Tagebuch (zitiert nach der Online-Ausgabe der Tagebücher, bearbeitet von Chris Hirte und Conrad Piens): »Ich sollte schon vor Erscheinen für das Buch Reklame machen, was ich damals ablehnte, zum Teil, weil man mich nicht zur Mitarbeit aufgefordert hatte. Jetzt bin ich ganz froh, nicht darin vertreten zu sein. Das Buch ist miserabel, soweit ich nach flüchtiger Durchsicht taxieren kann. | Ich traf gestern in der Trambahn Franz Blei, der gleich von der Sammlung anfing. Auch er war empört.« Herwarth Walden schreibt im ›Sturm‹: »Nun ist der Kondor schon deshalb eine schlechte Antologie, [!] weil er Gedichte von Personen enthält, die nicht einmal Dichter sind, und Gedichte von Dichtern, die keine Künstler sind. Mit großem Bedauern lese ich den Namen Else Lasker-Schüler in diesem Buch. Sie wird vielleicht die Gefolgschaft ebensowenig gekannt haben, wie die drei Dichter, die in dem Buch außer dieser Künstlerin noch enthalten sind.« (H. W., Bab, der Lyriksucher, in: Der Sturm, Jg. 3, Nr. 123/124 vom [24.] August 1912, S. 125 f.) – Peter Baum • Vgl. zu [38]. – druckst Du nichts mehr von ihm • Kurt Hiller schrieb in den Jahren 1910–1912 regelmäßig für den ›Sturm‹. Sein letzter Beitrag (›Fritz Stahl‹) erschien im Mai 1912 (Jg. 3, Nr. 108, S. 27).

[69] Else Lasker-Schüler, Briefe nach Norwegen [4. Folge; Auszug]

Briefe nach Norwegen

[…]

Lieber Herwarth, edles Kurtchen, ich habe mir seit einigen Tagen vorgenommen, Karl Kraus, der Dalai-Lama in Wien, soll Minister werden. Ich sehe ihn überhaupt nicht mehr anders, als auf einem mächtigen Stuhl sitzen. Wie langweilig und langsam alle Menschen sind, er wäre schon längst Minister. Ob ich wohl Hofdichterin werden würde mit einer Apanage? Aber daran denke ich erst in zweiter Linie. Ich hätte die Angelegenheit Dalai-Lamas längst zur Sprache gebracht, aber die Leute wie gesagt lächeln immer langwierig, wenn ich was sage, auch verstehen sie nicht meinen gaukelnden Worten ein Seil zu spannen. Nur der Minister freut sich meiner Sprünge, er ist ernst genug.

Der kleine Jakobsohn hat dreiundzwanzig Nummern der Fackel bestellt, ich habe Dir sofort gesagt, Herwarth, er ist gar nicht so schlimm, es wird ihn auch noch der Sturm umreissen. Seid vergnügt, beide, macht Euch keine Sorge wegen meines Mitbruchs, ich hab Diamanten und Perlen und – ein Heer Verse – auf Dich gedichtet.

[…]

Lieber Herwarth und lieber Kurt, ach, ich hab diese Nacht so sonderbar geträumt! Ich lag auf einer Bahre mitten auf einem Platz. Ich lag gehüllt in einem weiten, stillen Tuch, wie in einem Meer – und war tot. Manchmal tratst Du zu mir, Herwarth, und hobst das Meer von meinem Angesicht und wiesest auf meine Stirn. Und es verhöhnten sie so viele Menschen, wie ich Tage gelebt hatte. Ich begann mich schon wegen Deiner Arglosigkeit zu ärgern, denn ich habe immer den neugierigen, dreisten Tag gehasst. Aber als die Nacht kam, bat ich Dich, drei Prinzessinnen meiner Liebe zu beschenken. Du versprachst mir feierlich, der Venus von Siam das Armband zu senden, das ich beim Aufschreiben meiner Gedichte trug. Du wiederholtest mir mit reiner Stimme, meinen Ring mit dem eingefassten Abendrot, Ruth der Frau des gentlen Rechtsanwalt, der immer vom Mai singt, zu reichen. Du schworst mir treu, dass Du Nora von Indien, dem weissen Panther, meinem treuen Absalon, meinem frommen Spielgefährten, mein Rubinherz selbst um den Nacken legen würdest. Ich weinte, ich weinte so wild, ich hörte das Meer um mich aufstehn. Und ich fürchtete Dein Finger würde erfasst werden, der über den Platz wuchs, auf dem ich gebettet lag, der klare Wegweiser, der auf meine Stirn wies. Es wurde immer auf etwas gewartet – Zeuxis Kokoschka schlenderte hinter dem Dalai-Lama; und Loos der Gorillaarchitekt, trug auf seinen Händen, mein Gewölbe, wie es sich für mich geziemt, aus weissem Libanonholz, schlicht, aber zu reich für den eitlen Geschmack der Leute. Und es brach ein Kampf um das Haus meines Leibes aus; Stuckvolants und Einsätze setzten sie an meines Tempels Fassade. Aber ich konnte nicht mehr streiten, ich hatte mich schon aller Täglichkeit abgewandt und spielte mit der runden Zeit. Des Dalai-Lamas Augen, blaue, milde Myrrhen balsamierten mich ein, Zeuxis malte mich endlich im Tode. Und Du, Herwarth, küsstest meine Stirn, eine Orgelsymphonie stieg zu mir empor; ich bin nie mit anderen Menschen zu messen gewesen; ich konnte nur immer so sein, wie man zu mir heraufblickte, denn meine Stirne war der Nachthimmel. Du wusstest es.

Anmerkungen

Der Sturm, Jg. 2, Nr. 80 vom [7.] Oktober 1911, S. 637–639, Auszug S. 638 f. (KA, Bd. 3.1, S. 190 und 194 f.).

Auch in die beiden Ausgaben von ›Mein Herz‹ (1912) (S. 25 f. und 31 f.) (1920) (S. 24 f. und 31 f.) aufgenommen. – Kurtchen • Der Berliner Rechtsanwalt Kurt Neimann (1877–1944), den Herwarth Walden auf dessen Reise nach Skandinavien begleitete. – Jakobsohn • Der Publizist und Theaterkritiker Siegfried Jacobsohn (1881–1926). Er hatte 1905 die Zeitschrift ›Die Schaubühne‹ gegründet, in der ein abfälliger Kommentar zur ersten Vorlesung von Karl Kraus am 13. Januar 1910 in Berlin erschienen war (s. [18]). – Venus von Siam • Kete Parsenow. – Ruth • Elfriede Caro (gest. 1939). Über ihren Mann, den Rechtsanwalt Hugo Caro (1871/72–1918), schrieb Else Lasker-Schüler den Essay ›Unser Rechtsanwalt Hugo Caro‹, 1920 in ›Essays‹ (S. 39 f.; KA, Bd. 3.1, S. 525 f.) erschienen. Darin heißt es: »Er war eben der fahrende Schüler geblieben, sang seine Maienlieder, wenn er nach anstrengender Arbeit zwischen uns ausruhte: ›Und laßt uns wieder von der Liebe reden, wie einst im Mai‹.« – Absalon • Gemeint ist Absalom, einer der jüngeren Söhne von König David. Absalom versuchte, seinen Vater zu stürzen, und wurde von Joab, dem Hauptmann Davids, getötet. Vgl. 2. Samuel 15–18. – Zeuxis Kokoschka • Vgl. zu [38]. – Loos der Gorillaarchitekt • Vgl. zu [20].

[70] Else Lasker-Schüler, Briefe nach Norwegen [5. Folge; Auszug]

Briefe nach Norwegen

Liebe Renntiere. Ich freu mich so auf Euer Geweih! Aber ich dachte mir gleich, dass Ihr so leicht nicht von der Schlittengegend fortkämet. Und habe also zu früh Schluss mit meinen Briefen an Euch gemacht. Übrigens empfing ich schon viele bedauernde Anfragen deswegen, also bleibt noch, friert ein ein bischen. Ganz recht, ich werde anfangen, meine Briefe an Euch zu sammeln und sie später unter dem Titel »Herzensbriefe, alleinseligmachender Liebesbriefsteller, Gesetzl. gesch.« herausgeben. Vorwort: Alle bis dahin vorhandenen Stellen hinterlassen Übelkeit und Magendruck. Und den Deckel muss mir ein Porzellanfabrikant zeichnen, ein Pärchen zwischen bunten Zwiebelmustern. Oesterheld und Cohn sagen, das ist meine erste vernünftige Idee, nur ihr Lektor Knoblauch war empört darüber. Der Verlag hat sich aber noch nicht erholt von dem Reinfall in meine Wupper. Und was meint Ihr – Müller Mahle Mühle hat mir mein Manuskript Essays aus München wiedergesandt, »sie seien ja sehr hübsch, aber das Publikum interessiere sich nicht für die Namen.« Ich meine doch, Julius Lieban, Emmy Destinn, Tilla Durieux, William Wauer, Peter Baum, St. Peter Hille, Karl Kraus, Adolf Loos, Oskar Kokoschka, Dr. Alfred Kerr, Maupassant etcetera sind nicht zu unbekannte Leute. Ausserdem erschienen alle meine Essays in den ersten Zeitschriften und Zeitungen, das müsste Herrn Müller doch massgebend gewesen sein. Mahle Mühle Müller.

Euer Pechvogel

[…]

Anmerkungen

Der Sturm, Jg. 2, Nr. 81 vom [14.] Oktober 1911, S. 645 f. (KA, Bd. 3.1, S. 195).

Auch in die beiden Ausgaben von ›Mein Herz‹ (1912) (S. 33) (1920) (S. 32 f.) aufgenommen. – Oesterheld und Cohn • Im Verlag von Erich Oesterheld (1883–1920) und Siegbert Cohn (1884–1942) war 1909 Else Lasker-Schülers Schauspiel ›Die Wupper‹ erschienen. – Knoblauch • Adolf Knoblauch (1882–1951), Schriftsteller und Verlagsredakteur in Berlin. – Müller • Der Münchner Verleger Georg Müller (1877–1917), in dessen Verlag kein Buch von Else Lasker-Schüler erschien. – mein Manuskript Essays • ›Gesichte. Essays und andere Geschichten‹ erschien 1913 bei Kurt Wolff in Leipzig. – Julius Lieban • ›Bei Julius Lieban‹ (Die Schaubühne, Jg. 1, Nr. 14 vom 7. Dezember 1905, S. 411 f.; Gesichte [1913], S. 104–106; KA, Bd. 3.1, S. 23–25). – Emmy Destinn • ›Emmy Destinn‹ (Kampf. Zeitschrift für – gesunden Menschenverstand, N. F., Nr. 5 vom 5. März 1904, S. 148–151; Gesichte [1913], S. 122–125; KA, Bd. 3.1, S. 14–17). – Tilla Durieux • ›Frau Durieux‹ (Das Theater, Jg. 1, H. 10 [1910, Januar II], S. 233 f.; Gesichte [1913], S. 109–111; KA, Bd. 3.1, S. 126–128). – William Wauer • ›William Wauer‹ (Der Sturm, Jg. 1, Nr. 34 vom 20. Oktober 1910, S. 271; Gesichte [1913], S. 115 f.; KA, Bd. 3.1, S. 155 f.). – Peter Baum • ›Peter Baum‹ (Der Sturm, Jg. 1, Nr. 1 vom 3. März 1910, S. 5 f.; Gesichte [1913], S. 74 f.; KA, Bd. 3.1, S. 128 f.). – St. Peter Hille • ›Peter Hille‹ (Berliner Tageblatt, Jg. 32, Nr. 375 [Montags-Ausgabe] vom 27. Juli 1903, Beiblatt: Der Zeitgeist Nr. 30; Gesichte [1913], S. 59–65; KA, Bd. 3.1, S. 9–14). – Karl Kraus • ›Karl Kraus‹ (Der Sturm, Jg. 1, Nr. 12 vom 19. Mai 1910, S. 90; Gesichte [1913], S. 66–68; KA, Bd. 3.1, S. 142–144). – Adolf Loos • ›Adolf Loos‹ (Das Theater, Jg. 1, H. 8 [1909, Dezember II], S. 184; Gesichte [1913], S. 69–71; KA, Bd. 3.1, S. 123–125). – Oskar Kokoschka • ›Oskar Kokoschka‹ (Der Sturm, Jg. 1, Nr. 21 vom 21. Juli 1910, S. 166; Gesichte [1913], S. 72 f.; KA, Bd. 3.1, S. 147 f.). – Dr. Alfred Kerr • ›Alfred Kerr‹ (Der Sturm, Jg. 1, Nr. 49 vom 4. Februar 1911, S. 391; Gesichte [1913], S. 87 f.; KA, Bd. 3.1, S. 168). – Maupassant • ›Bei Guy de Maupassant‹ (Das neue Jahrhundert [Berlin], Jg. 2, Bd. 2 [31. März 1900 – 22. September 1900], Heft vom 11. August 1900, S. 622–629; Gesichte [1913], S. 89–99; KA, Bd. 3.1, S. 281–287).

[71] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Samstag, 14. Oktober 1911

Herrn Karl Kraus

Wien

DominikanerBastey 22.

Östreich

O, lieber Dalai-Lama. Ich war wieder sehr krank, ich bin heute zum ersten Mal aufgestanden und schreibe Karten. Ich habe noch zwei Briefe an Sie geschrieben die kommen wieder in den Sturm. Wann soll ich nun sprechen in Wien – 3 Abende? Ich sprech alle arab. Geschichten auswendig – wunderbar erregend – ! [acht Sterne]

In Prag sprech ich auch und München? Vielleicht nehme ich alle Vermögen in Wien ein, ich kann doch nicht Vagabund bleiben. In Prag wird viel vorher geschrieben; ich habe auch jetzt anständige Kleider und Jacke, die Fürstin hatte mich besucht und mir machen lassen. Auch eine Sammtjacke. O, wie Sie die Leute kennen! Der Slawe (entre nous) ein enger Hamster. Dr. Scheu eine liebe Raupe, o, wie süßunsympathisch und Dr. Ehrenbreitstein ein Flunderkopf. [Fischkopf] der hängt wo unter einer Tranlampe. Die Venus ist in München. Pension Modern. Theresienstr. 80.

Herwarth schwärmt für Sie Ehrenwort. Besucht [?] mich. [?] nicht schämen.

Ihr Jussuf

Anmerkungen

H (Postkarte): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158168). Poststempel: Halensee, 14. 10. 11. D: KA, Bd. 6, S. 204 f.

in den Sturm • Ein fiktiver Brief an Karl Kraus (»vom Himmel«) erschien am 11. November 1911 in den ›Briefen nach Norwegen‹ (s. [75]). Einen zweiten Brief (»die Tempelfrage«), der unveröffentlicht blieb, erwähnt Else Lasker-Schüler im Brief an Karl Kraus von Anfang November 1911 (s. [74]). – in Wien • Else Lasker-Schüler las in Wien zuerst am 11. März 1912 (s. [83]). – In Prag • Else Lasker-Schülers erste Lesung in Prag fand am 5. April 1913 statt (s. [113]). – Fürstin • Pauline Fürstin zu Wied (geb. Prinzessin von Württemberg) (1877–1965). In den drei Ausgaben der ›Gesammelten Gedichte‹ widmete Else Lasker-Schüler ihr das Gedicht ›Streiter‹ (S. 70; KA, Bd. 1.1, S.98): »Der verehrten Fürstin Pauline zu Wied«. – Der Slawe • Von Else Lasker-Schüler vor allem in der ersten Folge der ›Briefe nach Norwegen‹ (Der Sturm, Jg. 2, Nr. 77 vom [16.] September 1911, S. 615 f.; KA, Bd. 3.1, S. 179–184) erwähnte Person. – Dr. Scheu • Robert Scheu (1873–1964), österreichischer Schriftsteller und Jurist, Mitarbeiter der ›Fackel‹. 1909 veröffentlichte er die Schrift ›Karl Kraus. Geschrieben zum zehnten Jahrestag des Erscheinens der ‚Fackel‘‹ (Wien: Jahoda & Siegel), die als Vorabdruck in der ›Fackel‹ vom 31. März 1909 (Jg. 10, Nr. 277/278, S. 1–24) erschien. – Dr. Ehrenbreitstein • Albert Ehrenstein (1886–1950), aus Wien gebürtiger Schriftsteller. – Venus • Kete Parsenow.

[72] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Samstag, 14. Oktober 1911

Herrn Karl Kraus

Wien

DominikanerBastey. 22.

Östreich.

wunderlieber Herzog, ich käm gern Ende November nach Wien – sprechen. Ich sprech schön! (Wie wird das gemacht?) Guttmann wollte es erst übernehmen, aber ich kam für dieses Jahr zu spät. Haben Sie meine Briefe im Sturm gelesen? Kokoschka soll mir 6 Mk für sein Gliché senden, ich habe ihn gemalen. Für Sturm auch Peter Baum. Herwarth sagt, großartig getroffen. Sind Sie mir böse? Wäre schrecklich und nicht gut zu machen. Ich wollte, ich wäre Dalai Lama – mit halbgoldenen Fingern und goldenen Stiefeln [?] und goldenen Brokatmantel zwei Riesenringe. Habe zwei machen lassen von meinen größten [Ring mit großem Stein] Steinen für Wien.

Gertrude B. sprach großartig die Sachen von Altenb sie selbst in Civil eine Köchin. Gescheuerte Klugheit.

Ich verehre Sie ernstlich und A. Gorilla und O. K. Jussuf.

Und dem armen Richard Weiß viele Grüße.

Anmerkungen

H (Postkarte): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158163). Poststempel: Halensee, 14. 10. 11. D: KA, Bd. 6, S. 205.

nach Wien • Else Lasker-Schüler las in Wien zuerst am 11. März 1912 (s. [83]). – Guttmann • Emil Gutmann (1877–1920). Er war bis 1914 Inhaber einer Konzertagentur in München und Berlin, deren Leitung er wegen finanzieller Schwierigkeiten aufgab. Vgl. N. O. Kent [d. i. Hans Natonek], Gutmann, in: Die Aktion, Jg. 4, Nr. 22 vom 30. Mai 1914, Spalte 469 f. – Die einzige von der Konzertagentur Gutmann organisierte Lesung Else Lasker-Schülers fand am 9. Februar 1913 in Berlin statt (s. [108]). – Briefe im Sturm • Bis Mitte Oktober waren die ersten fünf Folgen der ›Briefe nach Norwegen‹ im ›Sturm‹ (Jg. 2, Nr. 77–81 vom [16.], [23.] und [30.] September sowie vom [7.] und [14.] Oktober 1911, S. 615 f., 622, 631, 637–639 und 645 f.; KA, Bd. 3.1, S. 179–197) erschienen. – Kokoschka • Else Lasker-Schülers Porträtzeichnung von Oskar Kokoschka erschien in der achten Folge der ›Briefe nach Norwegen‹ (Der Sturm, Jg. 2, Nr. 84 vom [4.] November 1911, S. 671; KA, Bd. 3.1, S. 208). In derselben Folge veröffentlichte Else Lasker-Schüler auch ein Porträt Peter Baums (KA, Bd. 3.1, S. 205). – Sachen von Altenb • Gertrude Barrison (1880–1946) hatte am 26. September 1911 bei einem Autorenabend des ›Vereins für Kunst‹ aus den Werken Peter Altenbergs gelesen. Vgl. Der Sturm, Jg. 2, Nr. 78 vom [23.] September 1911, S. 626 (Anzeige) und Nr. 81 vom [14.] Oktober 1911, S. 646 (Besprechung Alfred Döblins). – A. Gorilla und O. K. • Adolf Loos (vgl. zu [20]) und Oskar Kokoschka. – Richard Weiß • Richard Weiß (geb. 1884), Lehrer und Schriftsteller in Wien. Er veröffentlichte in den Jahren 1911–1913 einige Gedichte in der ›Fackel‹ und im ›Brenner‹. Am 29. April 1911 erschien von ihm in der ›Fackel‹ der Essay ›Else Lasker-Schüler‹ (s. [54]). Aus einer Spende Ludwig Wittgensteins (vgl. zu [155]) erhielt Richard Weiß 1914 eine Zuwendung von 1000 Kronen. Am 29. Dezember 1914 schrieb Ludwig von Ficker an Ludwig Wittgenstein: »Wie Sie sehen, habe ich bei Realisierung der von Ihnen gebilligten Vorschläge nachträglich Albert Ehrenstein mit 1000 Kronen und auf einen Wink dieses letzteren den augenscheinlich momentan etwas bedrängten Adolf Loos mit 2000 Kronen einbezogen. Durch die Zuwendung an Loos, die unter den gegebenen Umständen ohne weiteres geboten schien (ich bin überzeugt, Sie selbst stimmen ihr rückhaltlos zu), mußte ich die Beträge für Richard Weiß und L. E. Tesar, die ursprünglich auf je 2000 Kronen angesetzt waren, um je 1000 Kronen mindern, was sich noch machen ließ, da diese Zuwendungen noch nicht gemacht werden konnten; Tesar befindet sich nämlich im Feld und Weiß, der zuletzt in England war, ist vorderhand nicht zu ermitteln.« (Ludwig von Ficker: Gesamtbriefwechsel. Kommentierte Online-Edition; Sammlung Ludwig Wittgenstein, Signatur: 11/11.9.) – 1935 als Lehrer in den Ruhestand versetzt, zog Weiß zunächst in die Niederlande, 1939 nach Australien, wo er anfangs als Privatlehrer Deutschunterricht erteilte. Seine auf Deutsch ungedruckte Schrift ›Welt ohne Grenzen‹ erschien 1937 (Bosch en Duin: Uitgeverij ›De Driehoek‹) in einer niederländischen Ausgabe (›Een wereld zonder grenzen‹), eine englische Ausgabe (›World without frontiers‹) 1946 (Sydney: Peter Huston) und 1958 (Sydney: Angus & Robertson) in erster und zweiter Auflage.

[73] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus und Oskar Kokoschka
Halensee, Samstag, 21. Oktober 1911

Sire, süßer Minister. Ich komme. Ich spreche. Ich erobere die Studenten von Wien.

Jussuf Mohamed Hassan

Tino von Cana und Egypten (Kornverweser)

Ekelhafter Oskar Kokoschka. Senden Sie mir sofort 6 Mk für Ihr Klischee Sie werden steckbrieflich Ehrenwort verfolgt werden im Sturm. E. L. Sch.

Rasend getroffen ist O. K. auf seinem Bild für den Sturm.

Anmerkungen

H (Postkarte): ?. D (nach: Briefe an Karl Kraus, S. 38): KA, Bd. 6, S. 205 f.

Ich spreche. • Else Lasker-Schüler las in Wien zuerst am 11. März 1912 (s. [83]). – Kornverweser • Josef (arabisch Jussuf) verwaltet im Namen des Pharaos die Getreidevorräte Ägyptens. Vgl. 1. Mose (Genesis) 41,46–57. – Ihr Klischee • Else Lasker-Schülers Porträtzeichnung von Oskar Kokoschka erschien in der achten Folge der ›Briefe nach Norwegen‹ (Der Sturm, Jg. 2, Nr. 84 vom [4.] November 1911, S. 671; KA, Bd. 3.1, S. 208).

[74] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, etwa Anfang November 1911

Minister, vielleicht wissen Sie, daß ich sehr krank bin und abwechselnd zur Ärztin gehe und wieder im Bett liege So kam es daß Herwarth seine Correspondenz von allen Orten vor einigen Tagen hier oben in meiner Bettschaft erbrach und ich sah auf einem Couvert Ihre Schrift. Ich fragte ihn sofort, ob Sie etwas Schlimmes geschrieben hätten – ein Unglück etwa, denn er war ganz merkwürdig ergriffen; wollte mir den Brief nicht zeigen.

Nachher riet er mir wenn es nicht künstlerisch nötig sei, Sie in meinem Buch: Briefe nach Norwegen, nicht mehr zu erwähnen. Wie kommt das alles, werter Minister? Das Buch ist fast fertig – zwei Briefe an Sie habe ich dann noch geschrieben, die wertvoll sind. Ich kann mir ja nur denken, daß Sie nicht über meine Dichtung etwas schrieben, nur, daß ich allerlei Figur mitspielen lasse. Allerdings wie in einem Schauspiel wo der Herr neben dem Knecht geht der König seine Untertanen küßt, der Prophet das Volk segnet. Ich schwöre Ihnen bei meiner Krone, ich habe Ihren Brief nicht gelesen. Aber ich kann mir alles denken. Haben Sie über St. Peter Hille gelesen. Sterne leuchten über Erden und fragen nicht, ob Menschen darauf leben, die minderwertig oder wertvoll sind. Jedenfalls liebe ich nach meiner Sehnsucht die Leute alle zu kleiden, damit ein Spiel zu Stande kommt. Ich bin überzeugt daß Friedrich von Schennis (ein König) darüber Freude hat, liest er sich in der jetzigen Nummer des Sturms. Und Peter Baum hat laut aufgelacht, als er sein Bild im Manuscript sah mit den Eselsohren. Spielen ist alles. Sie, Minister, der am aller Entzücktesten wären, würden Sie wirklich mal die Spiele erleben, die ich noch spielen könnte, beklagen Sich über endlich, endlichen Frühling der Dichtung. Sie haben Sich beklagt, das ist klar. Und ich werde die beiden Briefe dennoch nicht Zurückziehen und Herwarth ist verpflichtet Sich, Ihnen und mir [drei Sterne], die Briefe weiter zu drucken. Ich hoffe, Minister, Sie freuen Sich darüber, daß Sie so anständige nicht aus ihrer Empfindung aus ihrer Kunstrichtung sich bringen lassende Freunde haben, Sie können auf uns bauen wie wir auf Sie. Ich hoffe, daß ich nach Beendigung des Buches so hergestellt sein werde, den italienisch türkischen Krieg mitzumachen – auf Seiten des Islam. Ich grüße Sie Excellenz, seien Sie meiner großen, allergrößten Ausnahmeverehrung und allergrößten Achtung gewiß, aber auch meinem unbeugsamen Eigenwillen und meiner unerschütterlichen Stärke.

Ihr Prinz von Theben.

Jussuf (Else LSchüler)

Abends

Werter Minister, ich hörte sozusagen mitten im Brief auf zu schreiben. wegen furchtbarer Schmerzen. Ich wollte Sie noch fragen: Sitzen Sie nicht auch mit Ihrem Bruder an einem Tisch – alle Menschen sind, sind sie gut zu mir, meine Brüder darum kann ich ja doch ihr Bruder Joseph sein, Kornverweser von Egypten Freund Pharaos.

Und Sie – der Dalai Lama gehört Inmitten Volks von Pilgern, Armen und Reichen Klugen und Dummen, Heuchlern, Ehrlichen. Ich bin ein ehrlicher Krieger. Ich bin darum ehrlich, weil ich nichts fürchte selbst Ihre Wendung nicht. Nur ich darf mich selbst nicht verlieren. Ich bin nicht ehrgeizig noch suche ich Gunst.

Ich konnte Sie eben leiden.

Der erste Brief – behandelt die Tempelfrage

der Zweite – den Himmel – Fortsetzung von Sterndeuterei. Ich habe den Himmel Ihnen nicht gesandt, da ich nicht aufdringlich bin und Sie nicht in Verlegenheit bringen wollte, dieses himmelblaue Manuscript zu acceptieren, Minister.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158191). D: KA, Bd. 6, S. 209 f.

Der Brief dürfte unmittelbar vor dem Erscheinen des ›Sturms‹ vom 4. November 1911 geschrieben sein, in dem die achte Folge der ›Briefe nach Norwegen‹ abgedruckt ist. – nicht mehr zu erwähnen • Karl Kraus hatte sich kritisch zur Veröffentlichung der ›Briefe nach Norwegen‹ geäußert. Er schreibt am 12. Oktober 1911 an Herwarth Walden: »[…] ob dem Dichter E[lse] L[asker]-Sch[üler] mit der Drucklegung dieser Sachen ein Dienst erwiesen wird, scheint mir zweifelhaft. Der Tibetteppich ist schöner als die Mittheilung, daß der kl[eine] J[acobsohn] 23 Nummern bezogen hat, und sogar aktueller.« (Feinde in Scharen, S. 372.) Über Siegfried Jacobsohn berichtet Else Lasker-Schüler im ›Sturm‹ vom 7. Oktober 1911 (s. [69]). – Zuletzt wird Karl Kraus in der zweiundzwanzigsten Folge der ›Briefe nach Norwegen‹ erwähnt (s. [82]), die am 17. Februar 1912 erschien. In der darauffolgenden Woche veröffentlichte Else Lasker-Schüler im ›Sturm‹ den Schluss der ›Briefe nach Norwegen‹ (Jg. 2, Nr. 99 vom [24.] Februar 1912, S. 788 f.; KA, Bd. 3.1, S. 253–260), einige Zeit danach noch eine ›Nachtrag‹ (Jg. 3, Nr. 113/114 vom [8.] Juni 1912, S. 68; KA, Bd. 3.1, S. 260 f.) betitelte Folge. – Das Buch ist fast fertig • ›Mein Herz‹, die Buchausgabe der ›Briefe nach Norwegen‹, erschien im Herbst 1912 bei Heinrich F. S. Bachmair in München und Berlin. – zwei Briefe an Sie • Siehe [71]. – über St. Peter Hille gelesen • Else Lasker-Schüler berichtet über Peter Hille (vgl. zu [38]) in der siebten Folge der ›Briefe nach Norwegen‹ (Der Sturm, Jg. 2, Nr. 83 vom [28.] Oktober 1911, S. 662; KA, Bd. 3.1, S. 200 f.). – Friedrich von Schennis • Friedrich von Schennis (1852–1918), aus Elberfeld gebürtiger Landschaftsmaler. Über ihn notierte Else Lasker-Schüler in der achten Folge der ›Briefe nach Norwegen‹: »Der unvergleichliche Baron von Schennis war gestern Nacht wieder im Café.« (Der Sturm, Jg. 2, Nr. 84 vom [4.] November 1911, S. 671; KA, Bd. 3.1, S. 207.) – mit den Eselsohren • Else Lasker-Schülers Porträtzeichnung von Peter Baum (KA, Bd. 3.1, S. 205) erschien ebenfalls in Nr. 84 des ›Sturms‹. – den italienisch türkischen Krieg • Italien hatte am 29. September 1911 dem Osmanischen Reich den Krieg erklärt. Kriegsschauplätze waren vor allem das Mittelmeer und Nordafrika. – Ihrem Bruder • In der Korrespondenz von Karl Kraus und Herwarth Walden wird lediglich im Herbst 1909 Richard Kraus (1861–1909), der älteste Bruder von Karl Kraus, erwähnt, der am 1. November 1909 starb. Vgl. Feinde in Scharen, S. 83–87. – Kornverweser • Josef (arabisch Jussuf) verwaltet im Namen des Pharaos die Getreidevorräte Ägyptens. Vgl. 1. Mose (Genesis) 41,46–57. – Der erste Brief – behandelt die Tempelfrage • Dieser ist nicht überliefert. – der Zweite – den Himmel – Fortsetzung von Sterndeuterei • Siehe [75]. Am Schluss von ›Sterndeuterei‹ (s. [45]) heißt es: »Gern hätte ich Ihnen noch vom Himmel erzählt.«

[75] Else Lasker-Schüler, Briefe nach Norwegen [9. Folge]

Briefe nach Norwegen

Lieber Herwarth, ich habe dem Dalai-Lama in Wien für die Fackel ein Manuskript geschickt. Hier die Abschrift.

Wertester Dalai-Lama, sehr geehrter Minister, ich möchte ihnen etwas vom Himmel erzählen, den ich meiner Mutter widme.

Vom Himmel

In sich muß man ihn suchen, er blüht am liebsten im Menschen. Und wer ihn gefunden hat, ganz zart noch, ein blaues Verwundern, ein seliges Aufblicken, der sollte seine Blüte Himmel pflegen. Von ihr gehen Wunder aus; unzählige Wunder ergeben Jenseits. Könnte ich nur immer um mich sein, der himmlischen Beete möchte ich ziehen. Wie man versöhnt mit sich sein kann, und Eigenes sein Ewiges küßt. Hätte ich je einen Menschen so unumstößlich erlebt, wie ich mich! Zweitönig Pochen, vertrautes Willkomm. Rundeilen meine Gedanken um mich, um alles Leben – das ist die große Reise um aller Herzen Schellengeläute und Geflüster, über Wälle, die Jubel aufwarf, über Gründe der Versunkenheit; und falle in Höhlen, die der Schreck grub – und immer wieder seine Herztapfen wiederfinden, seinen Blutton, bis man den ersten Flügelschlag in sich vernimmt, sein Engelwerden – und auf sich herabblickt – süße Mystik. Und irrig ist, den Himmelbegnadeten einen Träumer zu nennen, weil er durch Ewigkeit wandelt und dem Mensch entkam, aber mit Gott lächelt: St. Peter Hille. – Was wissen die Armen, denen nie ein Blau aufging am Ziel ihres Herzens oder am Weg ihres Traums in der Nacht. Oder die Enthimmelten, die Frühblauberaubten. Es kann der Himmel in ihnen kein Licht mehr zum blühen finden. Aber Blässe verbreitet der Zweifler, die Zucht des Himmels bedingt Kraft. Ich denke an den Nazarener, er sprach erfüllt vom Himmel und prangte schwelgend blau, daß sein Kommen schon ein Wunder war, er wandelte immerblau über die Plätze der Lande. Und Buddha, der indische Königssohn, trug die Blume Himmel in sich in blauerlei Mannichfaltigkeit Erfüllungen. Und Goethe und Nietzsche (Kunst ist reden mit Gott) und alle Aufblickende sind Himmelbegnadete und gerade Heine überzeugt mich, Himmel hing noch über ihn hinaus und darum riß er fahrläßig an den blauen Gottesranken, wie ein Kind wild die Locken seiner Mutter zerrt. Hauptmanns Angesicht und auch Ihres, Dalai-Lama, wirken blau. Den Himmel kann sich niemand künstlich verdienen, aber mancher pflückt die noch nicht befestigte, junghimmlische Blüte im Menschen ab. Das sind die Teufel. Ihr Leben ist ohne Ausblick, ihr Herz ohne Ferne. Der Nazarener am Kreuz wollte dem Teufel neben sich noch eine sanfte Wolke, einen Tropfen Tau seines Himmels schenken. Doch eher ist ein Taubstummer zu überzeugen, als ein Glaubdummer. Der ist ein Selbstverbrecher.

Man kann nicht in den Himmel kommen, hat man ihn nicht in sich, nur Ewiges drängt zur Ewigkeit. Es öffnet sich dem Himmelblühenden nicht wegen seiner guten Taten der Himmel, verdammen ihn auch nicht seine schlechten Handlungen zum Staube. Der Himmel belohnt und verdammt nicht. Aber Wertewiges bedingt den Himmel. Der spiegelt sich gerne im Menschen, unbegreiflich, wie Gott selbst. Reich und besonnen ist der himmlische Träger. Die Wunder der Propheten, die Werke der Künstler und alle Erleuchtungen, auch die unberechenbare Spiellust im Auge steigen aus der Ewigkeit, der bleibenden Bläue des Herzens. Manchmal überkommt mich eine schmerzliche Verantwortung, aber man kann nicht tief genug in sich schauen und zum Himmel aufblicken.

Die Gottheit Himmel ist nicht zu greifen, sie wäre bald vergriffen – die Ewigkeit ist nicht einmal zu verkürzen. Die Gottheit Himmel im Menschen ist Genie.

Leben Sie wohl, sehr verehrter Minister, mein Himmel macht mich nicht glücklich im irdischen Sinne, ich kann ihn nicht teilen. Wunderbar aber spielen sich die tiefsten Erinnerungen meines Blutes in dem Glanze meines Blaus wieder. Fata-Morgana. Spätes Verwundern, seliges Aufblicken, – Tragen Sie den Saphir meiner blauen Abendstunden zum Andenken an Ihrer grübelnden Hand.

Anmerkungen

Der Sturm, Jg. 2, Nr. 85 vom [11.] November 1911, S. 677 (KA, Bd. 3.1, S. 208–210).

Auch in die beiden Ausgaben von ›Mein Herz‹ (1912) (S. 54–59) (1920) (S. 54–56) aufgenommen. – ein Manuskript geschickt • Am 17. November 1911 schreibt Karl Kraus an Herwarth Walden: »Wozu aber diese Einleitung? Ich habe das Ms. nie bekommen, ist ja auch gleichgiltig. Der Leser aber muß es glauben und der Dichter hat den Nachtheil, daß die Literaturleute glauben, ich hätte es abgelehnt.« (Feinde in Scharen, S. 385.) – meiner Mutter • Jeanette Schüler (vgl. zu [24]). – vom Himmel • In zwei Briefen, im Brief an Karl Kraus von Anfang November 1911 (s. [74]) und zuvor im Brief an Ernst Rowohlt vom 21. März 1911 (vgl. zu [64]), bezeichnet Else Lasker-Schüler ›Vom Himmel‹ als »Fortsetzung« von ›Sterndeuterei‹ (s. [45]). Dort heißt es am Schluss: »Gern hätte ich Ihnen noch vom Himmel erzählt.« – Peter Hille • Vgl. zu [38]. – Hauptmanns Angesicht • Über eine Begegnung Gerhart Hauptmanns und Peter Hilles schreibt Else Lasker-Schüler 1903 in ihrem Essay ›Peter Hille‹ (Berliner Tageblatt, Jg. 32, Nr. 375 [Montags-Ausgabe] vom 27. Juli 1903, Beiblatt: Der Zeitgeist Nr. 30; KA, Bd. 3.1, S. 9–14): »Hauptmanns stolzes Gesicht mit den Reiheraugen neigte sich forschend Peter zu, die Quelle, den Puls seiner Seele zu fassen.« – dem Teufel neben sich • Vgl. Lukas 23,33 f. Auch Anspielung auf den vierten Absatz von ›Sterndeuterei‹ (s. [45]): »Sagte der Sonntägliche doch zu einem der Mörder am Kreuztag: ›Wahrlich, ich sage Dir, heute wirst Du mit mir im Paradiese sein.‹« – eher ist ein Taubstummer zu überzeugen • In Abwandlung der sprichwörtlichen Redensart: »Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.« (Matthäus 19,24.)

[76] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Samstag, 11. November 1911

[rechts: runde Hütte, darüber drei Köpfe] (Häuptling Tschandragupta) So wohnten meine Urväter ich hasse jede Nichtarglosigkeit.

[links: Gebäude mit Kuppel, darauf ein Stern, im Hintergrund gestaffelte Gebäude und zwei Palmen] dann so meines Vaters Palast

Werter Herr Minister.

Ich will nicht behaupten, Sie können meine Schrift lesen – namentlich dann wohl nicht wo sie zu Hieroglyphen wird. Aber ich mache Ihnen einen Vorschlag – die Lupe vergrößert alles. Mir geht es schlecht; und ich habe eine Antwort von Ihnen an mich Selbst erwartet. Ich bin nicht zu verwöhnen, Sie brauchen keine Angst haben. Ich mache mir nie eine Ehre aus etwas. Ich erkläre hiermit –: unsere freundschaftlichen sowie diplomatischen Beziehungen für erledigt. Der Prinz von Theben.

Ich mißbrauche Ihre Briefe nicht. Ich werfe jeden Brief nach gelesener Thatsache fort.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157930). Datum von Helene Kann: »11. XI. 11«. D: KA, Bd. 6, S. 210 f.

Tschandragupta • Hauptfigur der Erzählung ›Der Amokläufer‹ (Der Sturm, Jg. 1, Nr. 2 vom 10. März 1910, S. 10 f.; KA, Bd. 3.1, S. 129–132), von Else Lasker-Schüler 1914 in ›Der Prinz von Theben‹ (S. 15–23; KA, Bd. 3.1, S. 380–383) aufgenommen. – meine Schrift lesen • Karl Kraus hatte am 10. November 1911 an Herwarth Walden geschrieben: »Ihre l[iebe] Frau hat mir einen Brief geschrieben, den ich nur zum kleinsten Theil verstehen bezw. lesen kann.« Herwarth Walden antwortete am 12. November: »Ich weiß nichts über den Briefwechsel zwischen Ihnen und meiner Frau. Ich habe ihr Ihre Worte mitgeteilt. Sie ist, glaube ich, etwas beleidigt, daß Sie ihr nicht selbst einmal schreiben.« (Feinde in Scharen, S. 380.)

[77] Else Lasker-Schüler, Briefe nach Norwegen [12. Folge; Auszug]

Briefe nach Norwegen

[…]

Der Dalai Lama meint, einige meiner Modelle haben nicht den Anspruch auf meine Kunst. Anders kann ich mir nicht des Ministers Worte deuten. Aber es kommt ja nur darauf an, wie ich die Modelle zum Ausdruck bringe. Ich habe weiter nichts mit ihnen zu tun. Und meine Dichtung werde ich später verkaufen, meine Seele an einen Verleger verschachern, und dennoch hat der Dalai Lama mir die Augen geöffnet; ich empfinde seitdem mein Dichterinnensein für ein Pfandleihtum, immer bewerte ich die Menschen, fast ohne Ausnahme, zu hoch. O, diese Verluste!

[…]

Anmerkungen

Der Sturm, Jg. 2, Nr. 88 vom [2.] Dezember 1911, S. 702 (KA, Bd. 3.1, S. 216).

Auch in die beiden Ausgaben von ›Mein Herz‹ (1912) (S. 69 f.) (1920) (S. 66) aufgenommen. – nicht den Anspruch auf meine Kunst • Karl Kraus hatte sich kritisch zur Veröffentlichung der ›Briefe nach Norwegen‹ geäußert (s. [74]).

[78] Karl Kraus, Notizen [Auszug]

Notizen

Kokoschka und der andere

Der deutsche Kunstverstand wird jetzt, wie sichs gebührt, von einem hineingelegt, der das Talent hat, sich mit dem Blute eines Genies die Finger zu bemalen. Das ist immer so. Hier hockt eine Persönlichkeit und draußen bildet sich sofort die Konjunktur, die der andere ausnützt, der laufen kann: die Cassierer der Kunst können es nicht erwarten, dem unrechten Mann die Quittung auszustellen. Das Talent weiß, daß es durch eben das anzieht, wodurch das Genie abstößt. Dieses ist der Schwindler, jenem glaubt mans. Und es versteht sich fast von selbst, daß über einen, der nicht Hand und Fuß hat, aber gestikulieren und laufen kann, eine Monographie geschrieben wird, in der der Satz steht: »Die farbige Ausdeutung der Erscheinung ist von erlauchter Nachdenklichkeit«. Das war immer so. Den Künstler beirrt es nicht und darf es nicht kränken, daß von eben dem Haß und dem Unverstand, der seines Wertes Spur verrät, der Nachmacher sich bezahlt macht. Aber freuen darf es ihn, daß Else Lasker-Schüler – der man auch noch lange die vielen vorziehen wird, die’s von ihr haben werden – den folgenden Brief, an den andern, veröffentlicht hat:

»Ihre ostentative Kleidung hat mir Freude gemacht dem eingefleischten Publikum gegenüber. Es lag nicht nur Mut, auch Geschmack darin. Ich ging doppelt gerne mit Ihnen nach München in Ihre Bilderausstellung, aber es hingen nicht Ihre Bilder an den Wänden, sondern lauter Oskar Kokoschkas. Und da mußten Sie gerade mich mitnehmen, die Ihr Original kennt. Hielten Sie mich für so kritiklos – oder gehören Sie zu den Menschen, die Worte, Gebärden des Zweiten anzunehmen pflegen, darin sie verliebt sind? Sie sind, nehme ich an, in Kokoschka verliebt und Ihre Bilder sind abgepflückte Werke, darum fehlt ihnen die Wurzel. Das Bild Heinrich Manns hat mir ausnehmend gefallen wie eine glänzende Kopie und ich sah in seinen Farben und Rhythmen außer dem Schriftsteller auch den Maler Oskar Kokoschka, nicht Sie .... Man kopiert doch ehrlich in den Museen die alten Meister und setzt nicht seinen Namen darunter. Kokoschka ist ein alter Meister, später geboren, ein furchtbares Wunder. Und ich kenne keine Rücksicht in Ewigkeitsdingen. Sie sollten auch pietätvoller der Zeit gegenüber sein ...«

Das sehe ich nicht ein. Die Zeit, die die Originale verschmäht, hat es nicht besser verdient, als von den Kopisten beschlafen zu werden. Ich verstehe wahrscheinlich von Malerei weniger als jeder einzelne von jenen, die das Zeug haben, sich von berufswegen täuschen zu lassen; aber von der Kunst sicher mehr als sie alle zusammen. Hier fühle ich, sehe, was geboren ist, und kenne meine Oppenheimer.

[…]

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 13, Nr. 339/340 vom 30. Dezember 1911, S. 22–27, Auszug S. 22.

der andere • Der Maler Max Oppenheimer (1885–1954), gegen den Oskar Kokoschka den Vorwurf erhob, dass er ihn plagiiere (vgl. zu [62]). – die Cassierer der Kunst • Paul Cassirer (1871–1926) veranstaltete im Januar 1912 in Berlin eine Ausstellung mit Werken Max Oppenheimers. Gegen die Ausstellung protestierte Else Lasker-Schüler mit einem »offenen Brief an Paul Cassirer«, der in der achtzehnten Folge der ›Briefe nach Norwegen‹ (Der Sturm, Nr. 94 vom [20.] Januar 1912, S. 751 f.; KA, Bd. 3.1, S. 236–241) erschien. Else Lasker-Schüler schreibt: »Sir, es war für mich keine Überraschung, in ihrem vornehmen Salon die Werke Oscar Kokoschkas zu bewundern. Manche von den Betrachtern hielten sich sicher ihr Lachen ein, in Erinnerung an Sie, Sir, des unumstößlichen Glaubens wegen an Sie, Sir, Ihres kunstverständigsten Namens wegen, Sir, Ihrer Sicherheit in den Farben und Werten und Zeitwerten wegen, Sir; Sie haben sich am Tage, da Sie Oskar Kokoschka in Ihren Salons ausstellten, selbst hundert Jahre voraus in die Zukunft gesetzt, indem sie als erster Kunsthändler in Berlin den Ewigkeitswert seiner Schöpfungen erkannten. Ich hörte mit nicht geringem Erstaunen, daß Sie eine zweite Ausstellung von Kokoschka in Ihren Sälen veranstalten wollen, Kopieen seines Genies. Warum das schon bei seinen Lebzeiten? Warum echten Wein verwässern, wenn schwachbefähigte Besucher Herzklopfen bekommen! Oder besoffen werden und taumeln oder ausfahrend werden. Ich fordere Sie allerhöflichst auf, Sir, diese Ausstellung zu unterlassen. Oskar Kokoschka ist kein Zwilling, er hat noch nicht einmal einen Vetter, aber einen Meuchelfreund. Ich rechne darauf, Sir, und mit mir zeichnen noch ernste Bewunderer der Oskar Kokoschkabilder, Sie unterlassen eine Ausstellung der Kopieen, die Max Oppenheimer in Ihren Sälen zu beabsichtigen gedenkt.« 1910 hatte Paul Cassirer eine Ausstellung mit Werken Oskar Kokoschkas veranstaltet, die Else Lasker-Schüler im ›Sturm‹ besprochen hatte (s. [30]). – eine Monographie • Wilhelm Michel, Max Oppenheimer, München: Georg Müller, 1911. – Herwarth Walden besprach die Monografie in zwei mit ›Trust‹ gezeichneten Artikeln im ›Sturm‹: in den beiden Beiträgen ›Kunst und Lebensfreude‹ (Jg. 2, Nr. 84 vom [4.] November 1911, S. 667 [›Michels Reinfall‹]) und ›Meine Woche‹ (Nr. 85 vom [11.] November 1911, S. 678 f. [›Michels Reinfall‹]). – »Die farbige Ausdeutung der Erscheinung ist von erlauchter Nachdenklichkeit« • Als Zitat in Wilhelm Michels Monografie nicht belegt. Dieses dürfte einer Verlagsankündigung entnommen sein. Am 4. November schreibt Herwarth Walden im ›Sturm‹ (s. o.): »Ich erhielt einen Prospekt, geschmückt mit zwei Bildern, die ich für Kopien, für schlechte Kopien frei nach Oskar Kokoschka hielt. Durch den Prospekt wurde ich belehrt, daß es sich um ›Originalgemälde‹ eines Herrn Max Oppenheimer handelt. […] Die Bilder dieses Herrn sind sogar ›von erlauchter Nachdenklichkeit‹.« Karl Kraus teilt Herwarth Walden am 10. November mit: »Das Buch über den Parasiten O[ppenheimer] kenne ich nicht.« (Feinde in Scharen, S. 379.) Wilhelm Michel selbst spricht in seiner Monografie von der »üppigen Ausdeutung der farbigen Wirklichkeit« (S. 9 f.): In Oppenheimers »Bildnissen kommt die subjektiv-dichterische Art seiner Ausdeutung der Wirklichkeit zu klarstem Ausdruck.« (S. 18 und 21.) – den folgenden Brief • Dieser war in der dreizehnten Folge der ›Briefe nach Norwegen‹ (Der Sturm, Jg. 2, Nr. 89 vom [9.] Dezember 1911, S. 710; KA, Bd. 3.1, S. 218 f.) erschienen. – nach München in Ihre Bilderausstellung • Else Lasker-Schüler hatte sich im Mai 1911 in München aufgehalten, als dort in der Galerie Thannhauser Bilder von Max Oppenheimer gezeigt wurden (s. [62]). – Bild Heinrich Manns • In Wilhelm Michels Studie über Max Oppenheimer (s. o.) sind zwei Porträts von Heinrich Mann aus den Jahren 1910/11 (vgl. S. 4 und 43) reproduziert. Das erste befindet sich im Wien Museum, das zweite in Privatbesitz.

[79] Else Lasker-Schüler, Briefe nach Norwegen [17. Folge; Auszug]

Briefe nach Norwegen

[…]

Herwarth, Karl Kraus, der Dalai Lama, weilt in Wien, aber unten in Deinem Arbeitszimmer hängt seine Hand in Marmor. Ich stand wieder vor dem schwarzen Brett, darauf sie gespannt abwärts greift, sie bewegte sich, als ob sie mir etwas erklären wollte. Diese Hand, eine sichere Ministerhand, eine gütige Diplomatenhand, eine züngelnde Hand, sie kann eine Stadt anstecken. Meine Augen tanzen um ihre Randung – Polka. Lieber noch ringe ich mit dieser Hand zum Zeitvertreib. Sollte dieser vornehmste Kampf unterlassen bleiben! Ich träume oft in der Nacht von den Kriegen unserer Hände und staune, daß Du die seine noch immer in der Frühe erhalten am Brett hängend vorfindest. Sie lächelt sogar seit kurzem. Des Ministers Hand, eine ernste, mongolische Dolde, eine Hand, jeder seiner Pfade endet. Was er wohl von meiner ziellosen Hand aus Spiel und Blut denkt?

[…]

Anmerkungen

Der Sturm, Jg. 2, Nr. 93 vom [13.] Januar 1912, S. 743 f., Auszug S. 743 (KA, Bd. 3.1, S. 233).

Auch in die beiden Ausgaben von ›Mein Herz‹ (1912) (S. 103 f.) (1920) (S. 91) aufgenommen. – Hand in Marmor • Ein Gipsabdruck, den Karl Kraus 1909 von einer Hand hat anfertigen lassen (s. [6]). – von meiner ziellosen Hand aus Spiel und Blut • Gottfried Benn zitiert diese Wendung 1913 in seinem zweiten Gedichtband ›Söhne‹ (Berlin-Wilmersdorf: A. R. Meyer). Die gedruckte Widmung lautet: »Ich grüße Else Lasker-Schüler: ziellose Hand aus Spiel und Blut«.

[80] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, wahrscheinlich kurz nach dem 22. Januar 1912

Hochwerter Herr Herzog.

Was weiß ich von Literatur und ob Veränderungen im System der Fackel vorgekommen sind. Ich dichtete und schickte. Herwarth wußte gar nichts davon. Ich schickte – ich muß mich doch manchmal noch mit Schicken beschäftigen wenn ich im Zelt liege. Ich bin von Natur Räuberhauptmann, jedes Geschöpf muß mir freiwillig oder gewalttätig Tribut zahlen. Ich ehre mein Karl von Moortum in der Stille und im Treiben. Ich raube nur für mich, für meine Feste für meine Damaste und bin frei. O! O! O! Ich dichte meist im Dickicht und feiere mich nach meines Landes Gesetz und Palme.

Wie sind Sie anders geworden – und waren eine blaue Pietät. Das ist mehr als eine goldene Majestät. O, diese Welt; bin immer ich!

Der Prinz von Theben und Cana. [Elefantenkopf]

Hurrah!

Saly Moniha oder Salomi nako [?] ist ein Plebejer.

Habe einen rasenden Essay Revolution über Reinhardt geschrieben ich bin empört über Jedermann vorstellung im Cirkus

Blasphemie! Ich nehme ihm darin meine Wupper fort öffentlich

Es lebe Berlin und Wien München!!

Mir liegt an nichts was mehr, habe keinen Ehrgeiz bin freier Räuber und stolz darauf.

Venus [über dem V ein Stern] ist schön – sehr gut gespielt Ophelia, rasend wurde geklatscht nur bei ihr.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158145). D: KA, Bd. 6, S. 217 f.

Else Lasker-Schüler reagiert auf einen Brief von Karl Kraus an Herwarth Walden vom 22. Januar 1912. – Veränderungen im System der Fackel • Am 22. Januar 1912 schreibt Karl Kraus an Herwarth Walden: »In einem [?] schicke ich das Ms. Ihrer Frau zurück. Ich müßte ihr erst ausführlich erklären, daß und warum die F[ackel] keine fremden Beiträge bringt.« (Feinde in Scharen, S. 400.) Karl Kraus hatte zuerst in der ›Fackel‹ vom 8. Juli 1911 (Jg. 13, Nr. 326/327/328) auf der Innenseite des hinteren Umschlags angekündigt, keine fremden Beiträge mehr zur Veröffentlichung anzunehmen. Auf dem Umschlag der ›Fackel‹ vom 6. Dezember 1911 (Jg. 13, Nr. 338) ist erstmalig vermerkt: »Sämtliche Beiträge von KARL KRAUS«. – Ich dichtete und schickte • In einem fiktiven Brief an Karl Kraus, der am 17. Februar 1912 in den ›Briefen nach Norwegen‹ erschien (s. [82]), schreibt Else Lasker-Schüler, dass sie »ein neues Gedicht« für die ›Fackel‹ geschrieben habe. Dabei dürfte es sich um eines der beiden bis dahin unveröffentlichten Gedichte handeln, die Herwarth Walden dann im März 1912 in den ›Sturm‹ aufnahm: ›Meiner Schwester dieses Lied‹ (Jg. 2, Nr. 101 vom [9.] März 1912, S. 806; KA, Bd. 1.1., S. 141) und ›Esther‹ (Jg. 2, Nr. 103 vom [23.] März 1912, S. 821; KA, Bd. 1.1., S. 141). – Karl von Moortum • Anspielung auf den Räuber Karl Moor in Friedrich Schillers Schauspiel ›Die Räuber‹. – Saly Moniha oder Salomi nako • Alexander Solomonica (1889 – 1941 oder 1942), aus Rumänien gebürtiger deutschsprachiger Schriftsteller. Von ihm hatte Karl Kraus in der ›Fackel‹ vom 16. Oktober 1911 die Erzählung ›Wiederkehr‹ (Jg. 13, Nr. 333, S. 14–21) veröffentlicht. Darin wird – aus der Perspektive ihres Liebhabers – über eine junge Frau berichtet, die vergeblich versucht, eine neue Identität anzunehmen. – über Jedermann vorstellung im Cirkus • Hugo von Hofmannsthals (1874–1929) Theaterstück ›Jedermann‹ war am 1. Dezember 1911 in Berlin im Zirkus Schumann unter der Regie von Max Reinhardt (1873–1943) uraufgeführt worden. Ihre Kritik an dem Stück und der Inszenierung formuliert Else Lasker-Schüler in der einundzwanzigsten und dreiundzwanzigsten Folge der ›Briefe nach Norwegen‹ (Der Sturm, Jg. 2, Nr. 97 vom [10.] Februar 1912, S. 773 f. und Nr. 99 vom [24.] Februar 1912, S. 788; KA, Bd. 3.1, S. 246–248 und 253–255). Else Lasker-Schüler hatte wahrscheinlich am 15. Januar 1912 (am 12. Januar – »es war am Tag der Wahl«, wie sie in den ›Briefen nach Norwegen‹ schreibt – wurde der ›Jedermann‹ nicht aufgeführt) eine Vorstellung zusammen mit Kete Parsenow besucht. In einem undatierten Brief schreibt Kete Parsenow an Karl Kraus: »Neulich war ich mit Frau Walden in Reinhardts Komödie im Zirkus in ›Jedermann‹ Strofen von Herrn v. Hoffmannsthal. Es ist der niedrigste pretentiöseste verlogenste Kitsch den es auf der Welt gibt. Wir haben getobt. Frau Walden raste nach der Vorstellung auf Kahane zu u. sagte zu ihm: Sagen Sie Direktor Reinhardt es ist eine Frechheit von ihm dies Stück aufzuführen.« (Du bist dunkel vor Gold, S. 84.) – meine Wupper fort öffentlich • Jeweils in der Schlusspassage ihrer Kritik am ›Jedermann‹ (s. o.) weist Else Lasker-Schüler darauf hin, dass Max Reinhardt sie ein »paar Tage vor Weihnachten« um ein Exemplar der ›Wupper‹ gebeten habe: »Die Aufführung des Jedermann ist eine unkünstlerische Tat […]. Draußen tobten die Sozialdemokraten, es war am Tag der Wahl – in mir stürmte eine stärkere Revolution, es fiel am Abend meine letzte Hoffnung, die Aufführung meines Schauspiels unter dem Können Reinhardt, das ich in so vielen Aufführungen bewunderte. Ich fordere mit diesem Brief meine Arbeitersage, die Wupper, ein.« (Der Sturm, Jg. 2, Nr. 99 vom [24.] Februar 1912, S. 788; KA, Bd. 3.1, S. 254 f.) ›Die Wupper‹ wurde am 27. April 1919 im von Max Reinhardt geleiteten Deutschen Theater in Berlin uraufgeführt. – Venus • Kete Parsenow. – Ophelia • Weibliche Figur in William Shakespeares Tragödie ›Hamlet‹. In ihrem undatierten Brief an Karl Kraus (s. o.) schreibt Kete Parsenow: »Ophelia hat mir große Freude gemacht ging besser als ich es vorstellte.« (Du bist dunkel vor Gold, S. 85.) ›Hamlet‹ war am 21. Januar 1912 im ›Neuen Königlichen Operntheater‹ (›Krolloper‹) gespielt worden. Vgl. Berliner Tageblatt, Jg. 41, Nr. 36 (Abend-Ausgabe) vom 20. Januar 1912 (›Wochen-Spielplan der Berliner Theater‹). – Im Essay ›Kete Parsenow‹, 1913 in ›Gesichte‹ (S. 127; KA, Bd. 3.1, S. 290) erschienen, schreibt Else Lasker-Schüler: »Im Sommer begeisterte sie hier als Ophelia die Zuhörer.«

[81] Karl Kraus, Razzia auf Literarhistoriker [Hinweis]

In seiner Besprechung von Albert Soergels (1880–1958) 1911 erschienener Literaturgeschichte ›Dichtung und Dichter der Zeit. Eine Schilderung der deutschen Literatur der letzten Jahrzehnte‹ (Leipzig: R. Voigtländer) weist Karl Kraus darauf hin, dass Else Lasker-Schüler von Soergel nicht berücksichtigt wird: »Er weiß, daß in eine moderne Literaturgeschichte die delle Grazie und die Böhlau gehören, aber beileibe nicht die Else Lasker-Schüler.« Helene Böhlau (1856–1940) wird in einem eigenen Kapitel behandelt, über Marie Eugenie Delle Grazie (1864–1931) schreibt Soergel nur wenige Zeilen.

Die Fackel, Jg. 13, Nr. 341/342 vom 27. Januar 1912, S. 29–43, Hinweis auf S. 37.

[82] Else Lasker-Schüler, Briefe nach Norwegen [22. Folge; Auszug]

Briefe nach Norwegen

[…]

Briefe nach Norwegen

Herwarth, ich muß viel denken, ich hab auch wieder viel Angst. Und mein Herz spür ich immer so komisch, ich kann nachts nicht schlafen und träume mit offenen Augen Wirklichkeiten. Es gibt einen Menschen in Berlin, der hat dasselbe Herz, wie ich eins habe, dein Freund der Doktor. Sein Herz ist kariert: gelb und orangefarben mit grünen Punkten. Gallienhumor! Und manchmal ist es schwermütig, dann spiegelt sich der Kirchhof in seinem Puls. Das muß man erleben! Aber meins ist manchmal doppelt vergrößert, oder es ist purpurblau. Wenn er wenigstens Schwärmerei des Herzens kennen würde; aber die Unruhe fühlt er manchmal. Ich erlebe alle Arten des Herzens nur den Bürger nicht. O, die Herzangst, wenn das Herz versinkt in einen Wassertrichter oder zwischen Erde und Himmel schwebt in den Zähnen des Mondes oder es einsinkt – o, der Augenblick, wenn meine Stadt Theben-Bagdad einsinkt. Sieh Dir die Bilder an, Herwarth, wie klar alle Dinge und Undinge des Herzens gezeichnet sind. Sollte man nicht an die Wirklichkeit glauben, ist die zu verwerfen? Ist dieser kleine Abschnitt der Herzstimmungen meiner medizinischen Dichtung wertlos?

Leb wohl, ich will noch an den Dalai-Lama schreiben.

Briefe nach Norwegen

Ich werde so lange an das rote Tor Ihrer Fackel rütteln, bis Sie mir öffnen. Ich habe ein neues Gedicht, ein neues Gedicht habe ich gedichtet. Ich habe es mir in den Kopf gesetzt, es muß in Ihre Fackel herein, es hilft mir kein Himmel, es muß in Ihrer Zeitschrift gedruckt werden. Ob Sie die jetzt alleine schreiben oder nicht, ich lasse mich darauf nicht ein, – es muß sein. Ihre Fackel ist mein roter Garten, Ihre Fackel trug ich als Rose über meinem Herzen, Ihre Fackel ist meine rosenrote Aussicht, mein roter Broterwerb. Sie haben nicht das Recht, allein die Fackel zu schreiben, wie soll ich mich weiter rot ernähren?

Briefe nach Norwegen

[…]

Anmerkungen

Der Sturm, Jg. 2, Nr. 98 vom [17.] Februar 1912, S. 782 (KA, Bd. 3.1, S. 251 f.).

Die Zeichnungen sind beschriftet: 1) »gelb und orangecarriert mit grünen Punkten (Der Gallienhumor) | Das Herz der Schwermut || Gold Verliebtheit doppelt vergrößert | Purpurblau Liebe | bürgerliches Herz || Schwärmerei | Unruhe | Inspiration [(gestrichen:) verinseltes] Insel-Herz || Herz-Angst (zwischen Erde und Himmel) | Herzangst (Versinken) | Herzangst (Einsinken)«; 2) »Sehr verehrter Dalai-Lama«; 3) »Wir grüßen Sie, Sire, ich der Prinz von Theben und | mein schwarzer Diener | Ossman und Tecofi der Häuptlingssohn«. – Auch in die beiden Ausgaben von ›Mein Herz‹ (1912) (S. 142–145) (1920) (S. 120–122) aufgenommen, die Zeichnungen nicht in ›Mein Herz‹ von 1920. – dein Freund der Doktor • Rudolf Blümner (1873–1945), im Essay ›Rudolf Blümner‹ – 1913 in ›Gesichte‹ (S. 99 f.; KA, Bd. 3.1, S. 289 f.) veröffentlicht – von Else Lasker-Schüler »der Doktor« genannt. – das rote Tor Ihrer Fackel • ›Die Fackel‹ erschien mit einem roten Umschlag. – ein neues Gedicht • Vgl. zu [80] (»Ich dichtete und schickte«). – jetzt alleine schreiben • Karl Kraus nahm keine fremden Beiträge mehr zur Veröffentlichung in der ›Fackel‹ an (s. [80]).

[83] Else Lasker-Schüler, Karl Kraus, Walter F. Otto und Richard Weiß an Herwarth Walden
Wien, Dienstag, 12. März 1912

Herrn Herwarth Walden

Berlin

Potsdamerstr. 18.

Redaktion des Sturm.

Viele Grüße – war alles sehr schön.

[von Karl Kraus:]

Es war außerordentlich. Viele Grüße K.

[von Walter F. Otto:]

Unbekannter Weise nach einem Abend, der voll der stärksten Wirkungen war. W. Otto.

[von Richard Weiß:]

Richard Weiß

Anmerkungen

H (Ansichtskarte ›Wien. Deutsches Volkstheater‹): Staatsbibliothek zu Berlin (Sturm-Archiv I, Karl Kraus, Bl. 360). Poststempel: Wien, 12. 3. 12. D: Feinde in Scharen, S. 405.

war alles sehr schön • Else Lasker-Schüler hatte am 11. März 1912 in Wien auf Einladung des ›Akademischen Verbands für Literatur und Musik‹ gelesen. Die Veranstaltung war nur mäßig besucht worden (s. [87]). Eine Besprechung erschien in der Grazer ›Tagespost‹ vom 3. April 1912 (s. [88]). Paul Hatvani (1892–1975) veröffentlichte im ›Sturm‹ (Jg. 3, Nr. 105 vom [6.] April 1912, S. 6) ein ›Vorlesung Else Lasker-Schüler. Wien am elften März 1912‹ betiteltes Gedicht.

[84] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, vermutlich Mitte März 1912

Herwarth noch angetroffen. Er aß auch lila Goldbonbon aus Ihrer Bonbonnière. Ich danke 1000mal! Alles so traurig. Könnte ich doch verdienen! Wenn doch Gutmann endlich anfing. Oder sonst eine Stellung. Oder ein Wahrsagesalon.

Ihr armer Jussuf von Egypten

Lieber Herzog ... Ich kann nicht schreiben – so ermüdet ...

Anmerkungen

H (Brief): ?. D (nach: Briefe an Karl Kraus, S. 31 f.): KA, Bd. 6, S. 220.

Der Brief wurde vermutlich nach Else Lasker-Schülers Rückkehr aus Wien geschrieben, wo sie am 11. März 1912 gelesen hatte (s. [83]). Die »Bonbonnière«, für die Else Lasker-Schüler dankt, dürfte Karl Kraus ihr als Geschenk mitgegeben haben. – Gutmann • Emil Gutmann (vgl. zu [72]).

[85] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Donnerstag, 21. März 1912

Verehrter Herzog.

Sind die 19 Kilometer eingetroffen? Ich meine von Seiten des Vereins? Mir schrieb Herr Ullm. er hätte sie Ihnen schon gegeben. Die 19 Kronen standen auf meinem Haupt, hingen über meinem Haupte wie Schwertspitzen. Manchen Menschen halte ich mein Wort – darum. Ich werde nun ernstlich Räuber. Ich mache den Sommer durch eine Variétésache zu zweit. Ich schreibe heute Dehmel. Ich bitte Sie, verehrter Herzog, schreiben Sie dem Guttmann, der Mensch meint, ich les schlecht. Da verdien ich doch im Winter ordentlich. Tun Sie es? Was soll ich für Sie tun? Kann ich was tun? Was einen Anderen feig macht. In die Flammen geh ich mit Vorliebe. Ich bin verrückt geworden.

Der Prinz.

Ihre verehrende Else Lasker-Schüler.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157940). Datum von Helene Kann: »21. III. 12«. D: KA, Bd. 6, S. 220.

des Vereins • Else Lasker-Schüler hatte am 11. März 1912 in Wien auf Einladung des ›Akademischen Verbands für Literatur und Musik‹ gelesen (s. [83]), dessen Vorsitzender der Journalist Ludwig Ullmann (1887–1959) war. – Variétésache • Vgl. zu [33] (»Mein Schaustück«). – Guttmann • Emil Gutmann (vgl. zu [72]).

[86] Freianzeige in der ›Fackel‹

ELSE LASKER-SCHÜLER || STYX / Gedichte | M 2.–, gebunden M 3.– || Das Peter Hille-Buch | M 1.50 geheftet | Luxusausgabe M 10.– || Die Nächte Tinos von Bagdad | M 1.50 broschiert || VERLAG AXEL JUNCKER | Berlin || DIE WUPPER | DRAMA | M 2.– broschiert | Verlag | OESTERHELD & Co. | Berlin || MEINE WUNDER | GEDICHTE | M 3.– | DREILILIENVERLAG | Karlsruhe

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 13, Nr. 345/346 vom 31. März 1912 (Umschlag: April 1912), Innenseite des vorderen Umschlags.

In einem undatierten Brief, nach dem 13. März 1912, fragt Karl Kraus bei Herwarth Walden an: »Bei der Fackel laufen Erkundigungen ein, welche Bücher von E[lse] L[asker]-Sch[üler] erschienen sind. Wollen Sie mir eine genaue Liste mit Angabe der Preise und der Erscheinungsorte schicken. (für eine Anzeige).« (Feinde in Scharen, S. 407.)

[87] Karl Kraus, Razzia auf Literarhistoriker [Auszug]

Razzia auf Literarhistoriker

[…]

Daß die bessere Literatur und die feineren Schapseln meinen Vorlesungen fern bleiben, ist erwünscht. Daß aber die bessere Literatur und die feineren Schapseln sich von dem Abend Else Lasker-Schülers absentiert haben, war mir persönlich zwar auch angenehm, aber verdient doch, bemerkt zu werden. Ich hatte die Absicht, eine Liste der Herren anzulegen, die ihr Fernbleiben im Gegensatz zu der Usance beim Concordiaball, nicht einmal entschuldigt hatten. Ein andermal tu’ ichs sicher. Ich werde kontrollieren, wie schlecht sich die Leute auch dann gegen die Kunst benehmen, wenn sie ihren Stoff nicht gerade aus ihrer Haut schneidet, wenn sie in Mondweite von ihrem Gewimmel lebt und ihnen nichts anderes getan hat, als daß sie eben Kunst ist. Da spielen sie nicht mit. Ich bin mir selbst schuld, weil ich ein Flegel bin. Zu mir werden sie nicht geladen, und werden es nie erleben, geladen zu werden. Ich lasse meinen Wert nicht bezifferern. Zu Else Lasker-Schülers Auftreten aber waren sie geladen. Sie mochten mit Recht befürchten, daß sie ihre Wunder erleben und ihre Überlegenheit verlernen könnten; und daß vor Musik und Bild einer Sprache ihnen jenes Hören und Sehen vergehen könnte, welches sie zur ferneren Erfüllung ihrer schundigen Pflicht noch dringend brauchen. Es konnte ja dahin kommen, daß sie, unvermögend, ihren Strobl, Ewers, Salten, Wert-, Auern- und Oppenheimer künftig noch gerecht zu werden, sich ein Leids antäten. Das wollten sie nicht. Vor der Kunst siegt der Selbsterhaltungstrieb. Sie beschlossen, ihre Karten verfallen zu lassen. Alles gerettet!

[…]

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 13, Nr. 345/346 vom 31. März 1912 (Umschlag: April 1912), S. 30–43, Auszug S. 39 f.

Abend Else Lasker-Schülers • Else Lasker-Schüler hatte am 11. März 1912 in Wien auf Einladung des ›Akademischen Verbands für Literatur und Musik‹ gelesen (s. [83]). – ihre Wunder • Anspielung auf Else Lasker-Schülers Gedichtbuch ›Meine Wunder‹ von 1911. – Strobl • Karl Hans Strobl (1877–1946), österreichischer Schriftsteller. – Ewers • Hanns Heinz Ewers (1871–1943), aus Düsseldorf gebürtiger Schriftsteller. – Salten • Felix Salten (1869–1945), österreichisch-ungarischer Schriftsteller, bekannt vor allem durch den Roman ›Bambi. Eine Lebensgeschichte aus dem Walde‹ (1923). – Wert-, Auern- und Oppenheimer • Paul Wertheimer (1874–1937), Raoul Auernheimer (1876–1948) und Felix Hermann Oppenheimer (1874–1938), österreichische Schriftsteller.

[88] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Freitag, 12. April 1912

Herrn Karl Kraus

Wien

Lothringerstraße 7. [Komet]

Sehr verehrter Herzog. In diesen Tagen kommt ein Freund von uns Hans Ehrenbaum-Degele, ein Aristokrat in jeder Beziehung, nach Wien. Er ist in Dalmatien und fährt über Wien zurück – nur um Karl Kraus zu sehn. So schwärmt er für Sie. Wenn er Ihnen schreibt, wollen Sie ihm angeben – wo er Sie treffen kann? Vielleicht abends im Café Impérial oder in Ihrer Wohnung? Wenn Richard Weiß abends im Impérial ist, da lernt H. E. D. ihn kennen, der so schön über mich geschrieben hat. Und tausend Dank für Ihre schönen Worte in der Fackel, ich bin gerührt darüber. Der Simpli hat mein Gedicht Jakob und Esau genommen. Ich grüße Sie verehrend!

Else Lasker-Schüler

[am linken Rand ein Komet, am rechten Rand eine Palme, ein Tor mit Rundbogen und einem Stern darauf, ferner drei rechteckige Gebäude]

Viele herzliche Grüße an Adolf Loos. Und wer ist Moritz König. Schön hat er in der Grazer Zeitung geschrieben.

Anmerkungen

H (Postkarte): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158166). Poststempel: Berlin-Halensee, 12. 4. 12. D: KA, Bd. 6, S. 222.

Hans Ehrenbaum-Degele • Hans Ehrenbaum-Degele (1889–1915), Schriftsteller in Berlin, am 28. Juli 1915 an der Ostfront gefallen. Im Oktober 1915 veröffentlichte Else Lasker-Schüler in den ›Weißen Blättern‹ das Gedicht ›Hans Ehrenbaum-Degele‹ (Jg. 2, H. 10, S. 1282; KA, Bd. 1.1, S. 180), in den drei Ausgaben der ›Gesammelten Gedichte‹ widmete sie ihm einen Zyklus von sieben Gedichten: »Meinem reinen Liebesfreund | Hans Ehrenbaum-Degele || Tristan kämpfte in Feindesland; / Viel Lieder hatte er heimgesandt / Bis der Feind brach seinen Leib« (S. 155, S. 157, S. 157). – Richard Weiß • Vgl. zu [72]. – über mich geschrieben • Am 29. April 1911 in der ›Fackel‹ (s. [54]). – Worte in der Fackel • Am 31. März 1912 (s. [87]). – Jakob und Esau • Das Gedicht erschien am 22. Juli 1912 im ›Simplicissimus‹ (Jg. 17, Nr. 17, S. 264; KA, Bd. 1.1, S. 143). – Grazer Zeitung • Moritz König, Else Lasker-Schüler in Wien. Eine moderne deutsche Dichterin, in: Tagespost (Graz), Jg. 57, Nr. 92 (Morgenblatt) vom 3. April 1912, 1. Bogen, S. 2 f. Zur Lesung Else Lasker-Schülers am 11. März 1912 in Wien (s. [83]). – Moritz König hatte 1911 im ›Sturm‹ drei Erzählungen veröffentlicht: ›Pubertät‹ (Jg. 1, Nr. 49 vom 4. Februar 1911, S. 390 f.), ›Der Liebhaber‹ (Jg. 1, Nr. 51 vom 18. Februar 1911, S. 406 f.) und ›‚Mutter‘ Natur‹ (Jg. 2, Nr. 76 vom [9.] September 1911, S. 606 f.).

[89] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Samstag, 20. April 1912

Hochverehrter Herr Herzog.

O, ist denn kein Verleger in Wien? [im W eine Kirche mit zwei Türmen] Steht keiner in der Fackel. Lassen Sie doch für meine norwegische Briefe, (die ich einen Liebesrom nenne unter d. Titel: Mein Herz. Deckel selbst illustriert) einrücken und meine Essays – die enthalten natürlich auch Ihr Essay, Adolf Loos unter ander. und O. Kokoschka. Na, es ist schrecklich. Ich habe mir jetzt Ringe fassen lassen vom Simplicissimusgeld und hausiere in diesen Tagen mank die Hintertreppen. Die Ausstellung geht glänzend, ich glaube nun wird bald Herwarth das Glück gemacht haben, zumal die Maler ihn so leiden mögen. Und haben Sie Guttmann geschrieben, Sire? Tun Sie was für mich, nie können Sie einem feineren Prinzen einen Gefallen tun! Darum sollte Sie auch der Aristokrat aufsuchen, der für Sie eine Verehrung hat, Ihnen zu sagen: Ich bin der Prinz von Theben. Das ist nun kein Zweifel mehr. Aber die Menschen sind mir über; ich bin müde. Ich gehe wie ein Lahmer – die Sternwarte meines Herzens ist getrübt. Ich habe Angst vor der Nacht vor meiner Dunkelheit. Zur Dunkelheit steht nur ein roter Vorhang – Blut. Bilder stehen in der Ausstellung – staunenerregend: Die Revolution – aber – gemalt nicht photographiert .. Die aufwachsende Stadt – rasend. Kommen Sie hier her. Ich würde immer reisen wenn ich Sie wäre, was tun Sie in dem faulen Wien. Kommen Sie schnell! Sie staunen, Sie schreien vor den Bildern. Colosse. Und die Sonne scheint draußen, warm ist es die Fenster der Häuser blühen. Frau Venus [im V ein Stern] ist in München. Direktor Lantz hat sie also entgültig engagiert – Contrakt – alles fix und fertig. Sie tun Frau Kete Parsenow eine Freundschaft an, wenn mal Direktor Lantz nach Wien kommt u. Sie sind liebenswürdig zu ihm. Er hat anständig gehandelt, wirklich. Er hat keinen Größenwahn bekommen – viele hätten ihn bekommen bei so einem Glück. Bitte seien Sie freundlich zu ihm, ja? Ich meine wenn er kommt. Denn die Direktoren können gräßlich die Schauspieler peinigen. Sie sind für Lantz alles und loben Sie Frau Parsenow. Überings gab er den Scheiterhaufen (von Pschdrehfsk aus Polen) – großartig seine Regie. Frau P. kann sich freuen. Und nun komm ich wieder: Min hum maâda dalik, el fagir alladi kâna, gad dufîna. Mirâran tahtal lâd, fa gâma kull guwa el lâd, wakatâba, kabinâhu, hinama ra ga uhtu dalik; lià nahu jakra anisa à wahalàkuhunna!!

[Kopf im Linksprofil mit hohem, reichverziertem Hut, im Hintergrund Tor mit Rundbogen, mehrere Gebäude, Mondsichel, Palme, Sonne und ein weiterer Baum, in dessen Krone Inschrift: »20 Piaster«] Freimarke von Theben mit dem Kopf des regierenden Prinzen.

Nun kommt Kati Cobus hierher, vielleicht bekomme ich bei ihr zu tun. Sie macht nun hier was auf.

Lieber, guter Herzog, bitte lassen Sie für mich einen Verleger suchen in der Fackel. Essays etc. und II. Buch: heiterer Roman.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157932). Datum von Helene Kann: »20. IV. 12«. D: KA, Bd. 6, S. 224 f.

meine norwegische Briefe • ›Mein Herz. Ein Liebesroman mit Bildern und wirklich lebenden Menschen‹, die Buchausgabe der ›Briefe nach Norwegen‹, erschien im Herbst 1912 bei Heinrich F. S. Bachmair in München und Berlin. Den Einband illustrierte Else Lasker-Schüler mit einer farbigen Zeichnung. – einrücken • Karl Kraus veröffentlichte in der ›Fackel‹ vom 27. April 1912 eine Freianzeige (s. [93]). – meine Essays • ›Gesichte. Essays und andere Geschichten‹ erschien 1913 bei Kurt Wolff in Leipzig. Auf den Seiten 66–73 sind Else Lasker-Schülers zuvor in Zeitschriften veröffentlichte Essays ›Karl Kraus‹ (s. [24]), ›Loos‹ (vgl. zu [7]) und ›Oskar Kokoschka‹ (s. [30]) abgedruckt. – Simplicissimusgeld • Im ›Simplicissimus‹ erschien am 22. Juli 1912 (Jg. 17, Nr. 17, S. 264; KA, Bd. 1.1, S. 143) Else Lasker-Schülers Gedicht ›Jakob und Esau‹ (s. [88]). – Die Ausstellung • Vom 12. April bis zum 15. Mai 1912 veranstaltete Herwarth Walden in der Tiergartenstraße 34a seine ›Zweite Ausstellung: Die Futuristen‹, wie der Titel des Ausstellungskatalogs lautet, der im ›Verlag Der Sturm‹ erschien: Gezeigt wurden Werke von Umberto Boccioni (1882–1916), Carlo D. Carrà (1881–1966), Luigi Russolo (1885–1947) und Gino Severini (1883–1966). – Guttmann • Emil Gutmann (vgl. zu [72]). – der Aristokrat • Hans Ehrenbaum-Degele (s. [88] und [90]). – die Sternwarte meines Herzens ist getrübt • Zitat aus Else Lasker-Schülers Essay ›Lasker-Schüler contra B. und Genossen‹ (Der Sturm, Jg. 3, Nr. 111 vom [18.] Mai 1912, S. 51 f.; KA, Bd. 3.1, S. 269–273). – Die Revolution • ›Revolution‹ von Luigi Russolo. Dazu heißt es im Ausstellungskatalog (s. o.): »Der Zusammenstoß zweier Mächte. Das revolutionäre Element der Enthusiasten und roten Lyriker gegen die Macht der Schlaffheit und des starren Festhaltens an der Tradition. Die Engel sind die schwingenden Wellen der früheren Macht. Die Perspektive des Hauses ist zerstört, wie ein Faustkämpfer zweimal gebeugt, der einen Schlag in den Wind empfängt.« – Die aufwachsende Stadt • ›Die erwachende Stadt‹ (Titel des Bildes im Ausstellungskatalog, im Original ›La città che sale‹ [›Die aufsteigende Stadt‹] betitelt) von Umberto Boccioni. Das Bild wird im Katalog wie folgt charakterisiert: »Die gigantischen Pferde symbolisieren die Größe und die verzweifelte Arbeit der Weltstadt, wie sie ihre Bauten zum Himmel reckt.« – Frau Venus • Kete Parsenow. In einem Telegramm aus Berlin vom 16. April 1912 schreibt Kete Parsenow an Karl Kraus: »wien auf oktober verschoben musz morgen frueh einige tage muenchen vier jahreszeiten suche dort wohnung wejl fruehjahr uibersiedeln will« (Du bist dunkel vor Gold, S. 86). – entgültig engagiert • Kete Parsenow hatte wahrscheinlich am 21. Januar 1912 die Rolle der Ophelia in Shakespeares ›Hamlet‹ gespielt (s. [80]). In einem undatierten Brief, den sie kurz nach der Aufführung aus Berlin an Karl Kraus schrieb, heißt es: »Morgen unterschreib ich Kontrakt mit Lantz für nächsten Winter. Lantz hat mich gleich nach der Ophelia engagieren wollen« (Du bist dunkel vor Gold, S. 84). Das Engagement dürfte sich zerschlagen haben. – Scheiterhaufen • ›Der Scheiterhaufen‹ (›Der Pelikan‹), Theaterstück von August Strindberg (1849–1912). Adolf Lantz (1882–1949) hatte das Stück in Berlin im Lessingtheater inszeniert: »Im nächsten Winter soll Berlin eine neue Bühne, das Künstlerische Theater, unter der Leitung von Adolf Lantz erhalten. Vorläufig werden einzelne Abende in anderen Theatern veranstaltet. Man begann im Lessingtheater mit einem unaufgeführten Drama von August Strindberg: Der Scheiterhaufen. Strindberg selbst hat sein Drama richtiger und künstlerischer Der Pelikan genannt. Der Grund der Namensänderung durch den Übersetzer ist nicht einzusehen. […] Ich weiß nicht, welche Absichten Adolf Lantz mit seinem künstlerischen Theater verfolgt. Vorläufig muß man ihm auf jeden Fall danken, daß er den Mut hatte – es gehört noch Mut dazu – Strindberg zu spielen. Über seine Begabung als Regisseur läßt sich nur sagen, daß er nicht gegen den Sinn des Dramas verstieß. Mehr kann kein Regisseur mit Schauspielern erreichen, die zu einem besonderen Zweck zusammengeholt werden.« (Trust [d. i. Herwarth Walden], Strindberg, in: Der Sturm, Jg. 2, Nr. 91 vom [23.] Dezember 1911, S. 727 [›Theater‹].) – Pschdrehfsk • Stanisław Przybyszewski (1868–1927), polnischer Schriftsteller. Der mit Else Lasker-Schüler befreundete Schauspieler und Regisseur Karl Vogt (1884–1950) hatte von Przybyszewski ›Das goldene Vließ‹ aus dem Zyklus ›Totentanz der Liebe‹ für den 1911 gegründeten Verein ›Neue freie Bühne‹ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters inszeniert: »Diese Tat des Herrn Karl Vogt: auf seiner Szene Przybyszewskis Dramenzyklus ›Totentanz der Liebe‹ aufzuführen, erfüllt mich mit tiefer Achtung und mit einer wilden Freude. Denn das Theater Przybyszewskis, das Theater der Qualen, der Neurosen, Psychosen, der Gewissensängste, der Reue und des Todes, bietet radikal und fanatisch das, worauf es ankommt. O, es ist ein ehrliches Theater.« (Ferdinand Hardekopf, Theater, in: Die Aktion, Jg. 2, Nr. 12 vom 18. März 1912, Spalte 367–370.) – Else Lasker-Schüler veröffentlichte 1913 in ›Gesichte‹ das Gedicht ›Karl Vogt‹ (S. 101; KA, Bd. 1.1, S. 147). – Freimarke von Theben • Eine »Freimarke« ist in ›Mein Herz‹ (1912) auf S. 131 reproduziert. – des regierenden Prinzen • In der dreiundzwanzigsten Folge der ›Briefe nach Norwegen‹ (Der Sturm, Jg. 2, Nr. 99 vom [24.] Februar 1912, S. 788 f.; KA, Bd. 3.1, S. 253–260) war folgendes fiktives Telegramm erschienen: »Eben regierender Prinz in Theben geworden. Es lebe die Hauptstadt und mein Volk!!« – Kati Cobus • Kathi Kobus (vgl. zu [60]).

[90] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Mittwoch, 24. April 1912

Herrn Karl Kraus

(Schriftsteller)

Wien

Lothringerstraße 7.

oder Gasse.

(Östreich)

Sehr Verehrter Karl Kraus. Haben Sie mit Emil Guttmann gesprochen oder ihm geschrieben? Ich ging dann mal hin. Es ist alles so schwer. Auch hab ich keinen Verleger und so viele Schulden. Und dabei haben gerade die norwegischen Briefe so gefallen und auch das zweite Manuscript die Essays. Betreffender Herr ist gar nicht glaube ich nach Wien gereist, aber nach Budapest. Er ist halber Besitzer mit dort eines Theaters. Er schwärmt für Kokoschkas Bilder und hätte sich sicher malen lassen. Ich bin sehr arg gestimmt.

Mit allen verehrenden Ceremonieen, Der Prinz von Theben.

Wertester Herzog, sind Sie böse darüber? Ich bitte Sie herzlich die Adresse auf inl. Brief zu setzen. Es ist die Dame, die die große Schule hat wo A Loos und Kokoschka Kunst unterrichten. Sie wollte für mich etwas bei Lietz anfragen wegen Paul, ich sollte ihr dann schreiben. Tun Sie das für mich? Ich habe keine östreichische Freimarke.

Danke! Danke!

Anmerkungen

H (Postkarte): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158164). Poststempel: Berlin-Halensee, 24. 4. 12. D: KA, Bd. 6, S. 226 f.

Guttmann • Emil Gutmann (vgl. zu [72]). – die norwegischen Briefe • Else Lasker-Schüler hatte Karl Kraus gebeten, sie bei der Verlagssuche für ›Mein Herz‹, die Buchausgabe der ›Briefe nach Norwegen‹, sowie für ›Gesichte. Essays und andere Geschichten‹ zu unterstützen (s. [89] und [93]). – Betreffender Herr • Hans Ehrenbaum-Degele (s. [88] und [89]). – die Dame • Eugenie Schwarzwald (geb. Nußbaum) (1872–1940), österreichische Schulreformerin. An dem von ihr in Wien gegründeten Mädchenrealgymnasium (›Schwarzwaldschule‹) unterrichteten unter anderem Adolf Loos und Oskar Kokoschka. – Lietz • Hermann Lietz (1868–1919), Reformpädagoge, Begründer der Landerziehungsheimbewegung in Deutschland. – Paul • Else Lasker-Schülers Sohn Paul (1899–1927).

[91] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, wahrscheinlich bald nach dem 24. April 1912

Werter Herr Herzog.

Wollen Sie mir einen Riesengefallen tun? Ich möchte so gern, daß Paul ordentlich namentlich gesund erzogen wird (in der Odenwaldschule; dort kenn ich den Direktor und seine Frau. Wollen Sie für mich in der Fackel einrücken lassen so:

Else Lasker-Schüler

sucht 1000 Mk. zu Gunsten der Erziehung ihres Sohnes.

Oder so ähnlich. Wie Sie meinen! Ich wollte Inserat Berliner-Tageblatt einrücken aber, da sagte mir Jemand, Sie, Herzog, täten mir sicher den Gefallen und lassen es in die Fackel einrücken. Ich kann dann außerdem viel verdienen für Paul, wenn ich die Sorge ein Halbjahr überhoben bin. Auch kümmert sich Moritz Heimann jetzt um meinen Roman und meine Manuscripte – Er war so nett zu mir –. Kennen Sie ihn? Ich will dann Reclame essays schreiben für Zeitungen über Palm-Cigaretten – Blumenläden, Seidengeschäft Michel etc. Kempinsky etc. Nicht? Feine Idee nicht? Aber so kann ich mich nicht rühren.

Ihr armer Prinz von Theben

oder August [oben am A zwei Kreise, wodurch es als spitzer Clownshut erscheint] bei Busch

Halensee-Berlin

Katharinenstr. 5.

(Garten hochpt)

Sagen Sie bitte Antwort der Venus, da Sie keine Zeit haben für Privatbriefe.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158175). D: KA, Bd. 6, S. 226.

Mit dem Hinweis, dass Moritz Heimann (1868–1925), Lektor im Verlag S. Fischer, ihr »jetzt« bei der Verlagssuche für ›Mein Herz‹ und ›Gesichte‹ behilflich sei, knüpft Else Lasker-Schüler sowohl im vorliegenden als auch im folgenden Brief (s. [92]) an ihre beiden Briefe an Karl Kraus vom 20. April (s. [89]) und vom 24. April 1912 (s. [90]) an. – Direktor und seine Frau • Paul (1870–1961) und Edith Geheeb (geb. Cassirer) (1885–1982). Beide gründeten 1910 in Ober-Hambach bei Heppenheim die Odenwaldschule, die Paul Lasker-Schüler (1899–1927) vom August 1912 bis zum Juli 1913 besuchte. Am 17. Dezember 1912 veröffentlichte Else Lasker-Schüler im ›Berliner Tageblatt‹ ihren Essay ›Die Odenwaldschule‹ (Jg. 41, Nr. 641 [Morgen-Ausgabe], 1. Beiblatt; KA, Bd. 3.1, S. 273 f.). Else Lasker-Schüler korrespondierte mit Edith und Paul Geheeb vom Frühsommer 1912 bis zum Herbst 1913. Vgl. KA, Bd. 11, S. 378–397. – in der Fackel einrücken • Am 11. Januar 1913 erschien in der ›Fackel‹ ein Spendenaufruf zugunsten Else Lasker-Schülers (s. [107]), am 12. Februar 1913 im ›Berliner Tageblatt‹ eine Stellungnahme Else Lasker-Schülers (s. [109]). – meinen Roman und meine Manuscripte • ›Mein Herz‹, die Buchausgabe der ›Briefe nach Norwegen‹, erschien im Herbst 1912 bei Heinrich F. S. Bachmair in München und Berlin, ›Gesichte. Essays und andere Geschichten‹ 1913 bei Kurt Wolff in Leipzig. – Busch • 1884 von Paul Busch (1850–1927) gegründeter Zirkus, der seit 1895 sein Stammhaus in Berlin hatte. Über den Zirkus Busch schrieb Else Lasker-Schüler die vier Essays ›Im Zirkus‹ (Vossische Zeitung [Berlin], Nr. 511 [Morgen-Ausgabe] vom 31. Oktober 1905; KA, Bd. 3.1, S. 20–23), ›Im Zirkus Busch‹ (Das Theater, Jg. 1, H. 4 [1909, Oktober II], S. 88; KA, Bd. 3.1, S. 119), ›Zirkuspferde‹ (Der Sturm, Jg. 1, Nr. 6 vom 7. April 1910, S. 45; KA, Bd. 3.1, S. 133 f.) und ›Tigerin, Affe und Kuckuck‹ (Der Sturm, Jg. 1, Nr. 11 vom 12. Mai 1910, S. 86; KA, Bd. 3.1, S. 141 f.). Die vier Essays erschienen auch 1913 in ›Gesichte‹ (S. 161–173), ›Im Zirkus Busch‹ mit dem Titel ›Zirkus Busch‹. Über den Clown »August« schrieb Else Lasker-Schüler in dem Essay ›Im Zirkus‹ von 1905. – Venus • Kete Parsenow.

[92] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, wahrscheinlich bald nach dem 24. April 1912

Hochverehrter Herzog. [über dem H ein Hut]

Moritz Heimann von der Rundschau – der erste im Verlag Fischer hilft mir jetzt, da ihm meine beiden Manuscripte gefallen mit der Unterbringung der Dichtungen. Er sagt die norw. Briefe: Liebesroman Mein Herz würde wahrscheinlich großen Erfolg sogar Massenerfolg haben. Auch kümmert er sich jetzt um die Wupper. Dr. Geyer will sie auch aufführen. Sie haben ihm gewiß viel davon gesprochen, ich danke Ihnen. Alles so schwer – aber ich baue weiter große Gerüste. Ihr Prinz von Theben.

[am linken Rand Komet, dessen Schweif sich durch den Text zieht]

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158158). D: KA, Bd. 6, S. 227.

Vgl. zu [91] (Datierung des Briefes). – Rundschau • ›Die neue Rundschau‹, im Verlag S. Fischer erscheinende Zeitschrift, in der Moritz Heimann (1868–1925), Lektor im Verlag S. Fischer, regelmäßig Beiträge veröffentlichte. Redakteur der Zeitschrift war Oskar Bie (1864–1938). – meine beiden Manuscripte • ›Mein Herz‹ und ›Gesichte‹ (s. [91]). – die Wupper • ›Die Wupper‹ wurde erst 1919 im Deutschen Theater in Berlin uraufgeführt. – Dr. Geyer • Emil Geyer (1872–1942), Theaterregisseur und Intendant. Er ging 1912 von Berlin nach Wien und übernahm die ›Neue Wiener Bühne‹, die unter seiner Leitung zu einer Spielstätte des expressionistischen Theaters wurde.

[93] Freianzeige in der ›Fackel‹

Ein Verleger wird für | Else Lasker-Schülers Essays und Briefe | gesucht. | Zuschriften: Halensee bei Berlin, Katharinenstraße 5

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 14, Nr. 347/348 vom 27. April (Umschlag: April – Mai) 1912, Innenseite des hinteren Umschlags.

›Gesichte. Essays und andere Geschichten‹ erschien 1913 bei Kurt Wolff in Leipzig, ›Mein Herz‹, die Buchausgabe der ›Briefe nach Norwegen‹, bereits im Herbst 1912 bei Heinrich F. S. Bachmair in München und Berlin. – Else Lasker-Schüler hatte Karl Kraus am 20. April 1912 (s. [89]) gebeten, für sie eine Anzeige in die ›Fackel‹ einzurücken.

[94] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Montag, 13. Mai 1912

13. Mai 12.

Sehr Werter Herr Minister.

Wollen Sie ein Wort an Emil Gutmann. Berlin W. Karlsbad 33 schreiben, daß ich eine gute Vortragsvirtu-osin [!] bin oder wie Sie wollen. Er glaubts nicht. Ich soll diese Woche hin kommen, ich hab angefragt. Ich glaubte, Sie hätten ihm ein paar Worte geschrieben, Herr Minister.

Wo ist Kete Parsenow, ich weiß gar nicht wo sie ist. Kein Mensch weiß es. Ist sie operiert worden noch einmal? Ich werde vielleicht bald für den Kino schreiben, es kümmern sich jetzt mehrere Menschen hier für mich – gewiß weil Sie Sich so viel gekümmert haben in der Fackel um mich. Sonst gehts mir immer rund wie immer. Ich habe geschrieben, mein Zimmer liegt am See – an der Waschschüssel.

Ihre dankbare Else Lasker-Schüler.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157919). D: KA, Bd. 6, S. 229.

Emil Gutmann • Vgl. zu [72]. – operiert • Kete Parsenow, die Mitte April 1912 von Berlin nach München gezogen war (s. [89]), hatte im Frühjahr 1911 an einer Stirnhöhlenentzündung gelitten (s. [52] und [53]). – für den Kino schreiben • Im Spätsommer 1913 veröffentlichte Else Lasker-Schüler die Skizze ›Plumm-Pascha. Morgenländische Komödie‹. Diese erschien in ›Das Kinobuch. Kinodramen von Bermann, Hasenclever, Langer, Lasker-Schüler, Keller, Asenijeff, Brod, Pinthus, Jolowicz, Ehrenstein, Pick, Rubiner, Zech, Höllriegel, Lautensack. Einleitung von Kurt Pinthus und ein Brief von Franz Blei‹ (Leipzig: Kurt Wolff Verlag, 1914, S. 37–41; KA, Bd. 3.1, S. 368–371). Kurt Wolff zeigte das Erscheinen des Buches (»Zur Versendung liegt bereit«) im ›Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel‹ (Leipzig) vom 30. August 1913 (Jg. 80, Nr. 201, S. 8615) an. – in der Fackel • Karl Kraus warb in Freianzeigen für die Bücher Else Lasker-Schülers (s. [35], [50], [86] und [93]). – an der Waschschüssel • In ›Lasker-Schüler contra B. und Genossen‹ (Der Sturm, Jg. 3, Nr. 111 vom [18.] Mai 1912, S. 51 f.; KA, Bd. 3.1, S. 269–273) heißt es: »Mein Zimmer funktioniert viel besser, es liegt am See, an der Waschschüssel.«

[95] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Montag, 20. Mai 1912

Herrn Karl Kraus

Wien

Lothringerstr. 6. oder »Gasse«

Östreich

Sehr verehrter Dalai-Lama. Tausend Dank für Ihre Depeschen an G. und mich. Heut geh ich hin. Ich wollte täglich telegraphieren. O, ich hab so einen schönen Deckel zu meinen Briefen gezeichnet ich mit meinem neuen Neger Mordercheiï. und noch eine Freimarke meiner Stadt Theben, für inwendig im Buch. Und heute sandte mir der akademische Verein 80 rihäl schuchin 80 Mark. Oder ist das nur so gemacht? Ist das Geld von Ihnen oder Venus oder dem Professor oder – o, ich kanns dann nicht nehmen. Es liegt noch unangegriffen in meiner Muscheltasche als Beute, manchmal betrachte ich es mit tiefstem Wohlgefallen. Ich grüße Sie in aller Verehrung und Ceremonie, Dalai Lama von Wien.

Ihr Prinz von Theben. (E LSch.)

Ich war bei Paul Lindau, er war der beste Freund meiner feinen Eltern. Er tut jetzt viel für mich er schrieb sofort für mich – mein Stück wird bald gespielt wahrscheinlich und er gab mir Arbeit und war so reizend, Dalai Lama, ganz junggeblieben. Er mag »Sie« so gern und sprach wundervoll, war so lieb zu mir und war ganz gerührt wegen meiner Eltern, er war jahrelang bei uns früher wie er Redakteur in Elberfeld war. So fein ist er, er hat auch so schön von Herwarth gesprochen. Und findet meine Dichtungen wertvoll. Herzliche Verehrung

Anmerkungen

H (Postkarte): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158165). Poststempel: Charlottenburg, 20. 5. 12. D: KA, Bd. 6, S. 230.

G. • Emil Gutmann (vgl. zu [72]). – einen schönen Deckel zu meinen Briefen • Die Einbandzeichnung für die Erstausgabe von ›Mein Herz‹ (1912). – Freimarke meiner Stadt Theben • In ›Mein Herz‹ (1912) auf S. 131 reproduzierte Zeichnung. – der akademische Verein • Der ›Akademische Verband für Literatur und Musik‹, auf dessen Einladung Else Lasker-Schüler am 11. März 1912 in Wien gelesen hatte (s. [83]). – Venus • Kete Parsenow. – Professor • Walter F. Otto (1874–1958), klassischer Philologe und Religionshistoriker. Er heiratete Kete Parsenow am 25. September 1914 in München. – Paul Lindau • Paul Lindau (1839–1919), Schriftsteller, Theaterdirektor und Dramaturg in Berlin, in den Jahren 1866–1869 Redakteur bei der ›Elberfelder Zeitung‹. 1913 veröffentlichte Else Lasker-Schüler in ›Gesichte‹ den Essay ›Paul Lindau‹ (S. 102 f.; KA, Bd. 3.1, S. 288). – meiner feinen Eltern • Jeanette (vgl. zu [24]) und Aron Schüler (1825–1897), Bankier in Elberfeld. – mein Stück • ›Die Wupper‹, die allerdings erst am 27. April 1919 im Deutschen Theater in Berlin uraufgeführt wurde. In dem Essay ›Das Theater‹ (Das dramatische Theater [Leipzig], Jg. 1, Nr. 1 vom September 1924, S. 19–21; KA, Bd. 4.1, S. 37–39) schildert Else Lasker-Schüler eine fiktive Begegnung mit Paul Lindau nach der Uraufführung der ›Wupper‹ (Lindau war am 31. Januar 1919 gestorben): »Als mich Paul Lindau nach der Premiere beglückwünschte, und erkannte, da ich, die Tochter seines alten schelmischen Freundes Schüler und seiner verehrten Freundin Jannette Schüler jüngstes Kind, leibhaftig vor ihm stand, weinte er tatsächlich (nicht etwa gerührte Theatertränen).«

[96] Karl Kraus, Notizen [Auszug]

Notizen

[…]

Absichtlichkeit und Zudringlichkeit von Mißverständnissen, die sich um das Eindringen der Fackel in Berliner literarische Interessen gebildet haben, legen mir die Pflicht auf, das Folgende zu erklären: Das Eindringen der Fackel in Berliner literarische Interessen ist mir peinlich. Jeder Anhänger, den ich in Berlin verliere, ein Gewinn. Ich habe nie von irgend jemand Förderung, Verbreitung, Eintreten, Wohlwollen oder Begeisterung erwartet, verlangt oder auch nur – wie nachgewiesen werden kann – stillschweigend geduldet. Wer in Kneipen oder Kneipzeitungen das Gegenteil behauptet, wäre ein Schmierfink, auch wenn er nicht zufällig die »fünf Frankfurter« verfaßt hätte. Ich habe mit Berliner literaturpolitischen Bestrebungen, mit Futuristen, Neopathetikern, Neoklassizisten und sonstigen Inhabern von Titeln ebensowenig zu schaffen wie mit Wiener Kommerzial- oder Sangräten. Ich hasse das Publikum; aber ich zähle die Schmarotzer an seinen Mißverständnissen zum Publikum. Ich stehe nicht auf dem Standpunkt, daß jeder Gymnasiast, dem die in unserer Zeit vorhandenen Süchte und Dränge und sonstigen ekelhaften Plurale zu einem »Niveau« verholfen haben, mehr taugt als Mörike, Eichendorff und Lenau. Ich bin nicht der Meinung, daß die Meinung in der Kunst genügt, glaube, daß das bloße Rechthaben gegen den Journalismus mit ihm identisch ist, und sage, daß jeder, der schlicht behauptet, daß Herr Rudolf Lothar ein Übel sei, sich einer Verdoppelung des Herrn Rudolf Lothar schuldig macht. Ich sage, daß Polemik vor jeder anderen Art von schriftlicher Äußerung durch Persönlichkeit legitimiert sein muß, damit nicht die Null zum Übel, sondern das Übel nullifiziert werde. Polemik ist eine unbefugte Handlung, die ausnahmsweise durch Kunst zum Gebot wird. Lyrik ohne Berechtigung greift den Täter an: der schlechte Angriff alle Unbeteiligten. Ich halte Polemik, die nicht Kunst ist, für eine Angelegenheit des schlechten gesellschaftlichen Tons, die dem schlechten Objekt Sympathien wirbt. Ich halte das Manifest der Futuristen für den Protest einer rabiaten Geistesarmut, die tief unter dem Philister steht, der die Kunst mit dem Verstand beschmutzt. Ich halte das Manifest der futuristischen Frau, der ich jede perfekte Köchin vorziehe, für eine Handlung, der ein paar lustlose Rutenhiebe zu gönnen wären. Ich halte Else Lasker-Schüler für eine große Dichterin. Ich halte alles, was um sie herum neugetönt wird, für eine Frechheit. Ich bin dem Komponisten der Dafnis-Lieder für einen der seltenen Eindrücke dankbar, die ich Abgesperrter zu mir einließ. Ich achte und beklage einen Fanatismus, der nicht sieht, daß unter den Opfern, die er der Kunst bringt, diese selbst ist. Ich verfluche eine Zeit, die den Künstler nicht hört; aber sie zwingt ihn nicht, ihr das zuzuschreien, was er ihr nicht zu sagen hat. Ich weiß, daß die schonungsloseste Wahrheit über diesen Punkt noch immer so viel Ehre übrig läßt, daß das Gesindel ringsherum keinen Anlaß zur Freude haben kann. Überhaupt möchte ich jedem einzelnen in dieser Hunnenhorde, aus der kein Attila entsteht, jedem einzelnen dieser Literaturhamster, die kein Fell geben, den Rat erteilen, nichts von meiner Mißbilligung polemischer Minderwertigkeit oder lyrischen Dilettantismus auf den andern zu beziehen, sondern alles auf alle. Auch möchte ich bitten, den Verkehr mit mir in jeder Form abzubrechen und im Pendeln zwischen Verehrung und Büberei es definitiv bei dieser zu belassen, aber so, daß kein Aufsehen entsteht. Man soll mir keine Drucksorten und keine Briefe schicken. Ich weiß Bescheid. Es wäre mir peinlich, wenn ich genötigt wäre, Berlins kulturelle Mission als einer straßenreinen Stadt gegen den Schönheitsdreck zu verteidigen und nachzuweisen, daß der übelste Abhub der Wiener Geistigkeit sich jetzt dort vor den Betrieb stellt. Ich bin für Asphalt und gegen Gallert. Ich bin für Berlin: nämlich für die Chauffeure und gegen die Neutöner, für das Reviersystem und gegen die Weltanschauung, für die Kellner und gegen die Gäste.

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 14, Nr. 351/352/353 vom 21. Juni 1912, S. 47–54, Auszug S. 53 f.

die »fünf Frankfurter« • ›Die fünf Frankfurter‹ ist der Titel eines erfolgreichen Lustspiels von Carl Rössler (1864–1948) über die Bankiersfamilie Rothschild. Das Theaterstück war am 23. Dezember 1911 in Berlin im ›Theater in der Königgrätzer Straße‹ uraufgeführt worden. – Rudolf Lothar • Rudolf Lothar (1865–1943), österreichischer Schriftsteller, 1907–1912 Redakteur des ›Berliner Lokal-Anzeigers‹. Karl Kraus nannte ihn einen »Schwätzer« und »Gemischtwarenhändler der öffentlichen Meinung« (Die Fackel, Jg. 6, Nr. 165 vom 8. Juli 1904, S. 21). – Manifest der Futuristen • Herwarth Walden hatte Marinettis ›Manifest des Futurismus‹ im ›Sturm‹ (Jg. 2, Nr. 104 vom [30.] März 1912, S. 828 f.) und zeitgleich im Katalog ›Zweite Ausstellung: Die Futuristen‹ (s. [89]) abgedruckt. – Komponisten der Dafnis-Lieder • Herwarth Walden (vgl. zu [44]).

[97] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Freitag, 21. Juni 1912

Herrn Karl

Kraus

Wien

Lothringerstraße 6.

Verehrter Herzog. Also Guttmann macht die Sache, ich war am 18. Juni bei ihm bestellt und schreibe ihm nun die guten Kritiken ab. Wieviel soll ich fordern? Für den Abend einzeln oder eine ganze Summe zusammen? Wenn Sie es der Venus sagen wollen bitte, sie schreibt es mir dann. Guttmann fing schon an, daß es ja zuerst »bescheiden« sei. Was meinte er damit – oder ist das Geschäfts Klugheit?

Lieber Herzog, mein Stück wird hier aufgeführt – Lindau war so reizend zu mir, er war der beste Freund meiner Eltern; er sprach auch so nett und verständnißvoll von Ihnen – er ist ein Aristokrat der Güte.

Wenn Sie sonst mal etwas hören sollten in meinen Angelegenheiten – fragen Sie mich erst. Ja? Mir geht morgens die Welt kaputt, abends leim’ ich sie wieder zusammen, – so lang es geht.

Ihr Prinz von Theben. [Komet]

Viele Grüße an Adolf Loos und an Venus.

Verzeihung des Bleis wegen.

Anmerkungen

H (Postkarte): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158167). Poststempel: Berlin, 21. 6. 12. D: KA, Bd. 6, S. 232.

Guttmann • Emil Gutmann (vgl. zu [72]). – Venus • Kete Parsenow. – mein Stück • ›Die Wupper‹, die allerdings erst 1919 uraufgeführt wurde. Am 23. November 1912 erschien im ›Berliner Tageblatt‹ (Jg. 41, Nr. 598 [Abend-Ausgabe]) folgende Notiz: »Die Neue Freie Bühne in Berlin, die im letzten Jahre besonders durch die Darstellung von Przybyszewskis Tetralogie ›Totentanz der Liebe‹ hervorgetreten ist, hat sich neu organisiert. Die Vorstellungen finden in diesem Jahr im Komödienhaus statt. Von den geplanten Aufführungen seien genannt: ›Die Wupper‹ von Else Lasker-Schüler […].« Stanisław Przybyszewskis ›Totentanz der Liebe‹ erwähnt Else Lasker-Schüler im Brief an Karl Kraus vom 20. April 1912 (s. [89]). – Lindau • Paul Lindau (vgl. zu [95]). – meiner Eltern • Jeanette (vgl. zu [24]) und Aron Schüler (1825–1897), Bankier in Elberfeld.

[98] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Freitag, 5. Juli 1912

5. Juli 12.

Sehr Verehrter Herzog [über dem Wort eine waagerechte, nach unten geöffnete Mondsichel]

Die Lage der Mondsichel ist eine neue Himmelserscheinung; hier unten geht viel öfters etwas neues vor sich. Im Menschen selbst sind kleine Sternschnuppen, den meisten sind sie zwar schon entglitten. Aber in mir befindet sich noch das ganze System – ich kann also noch gegen eine andere Welt kämpfen. Ich las erst gestern Abend den ganzen Esay nicht nur den Satz über mich, den man mir zeigte, der mich so immense erfreute, der so viel glühenden Neid unter den Dilettanten und deren Tanten erweckte. Ich las die ganze Sache und bin einigermaßen traurig darüber, daß Sie nicht mündlich mit Herwarth Walden darüber sprachen, der Sie verehrte. Karl Kraus denken Sie die vielen Prolethen. Sie können Sich denken wie man grinste und sich heimlich freute über Ihre Ansicht über den Sturm namentlich die, welche abgewiesen wurden. Ich selbst, Herr Herzog, bin schon lange mit Herwarth auseinander, wir sind nicht mehr zusammen; er hat sich schon lange verliebt gehabt in eine Schwedin, die nun wie ich gestern hörte, in seinem Bureau sehr unklug und unvorsichtig und gefährlich angestellt ist, oder ihn dort aufsuchen [?] soll. Denn Mägde halten doch im Grunde mit Mägden und den Knechten. Wo ein Herr ist, bildet sich Personal. Ich hätte Herw. gern gewarnt, aber ich durfte nie etwas sagen ohne eine unbequeme Stimmung hervorzubeschwören. Ich hatte jetzt eine Angelegenheit in der Hand und ich glaube mein Scharfsinn bestand in der Sache darin, mir Minister zu nehmen, die mit mir überlegten. Ich bin auch nicht einverstanden gewesen mit Vielem im Sturm. Sehen Sie Herwarth durfte nie eine Silbe schreiben hingegen ist Ihre Fackel ein Ganzes seitdem kein Mensch mehr wie »Sie« darin steht. (Zu meinem Leide allerdings, denn ich trug die Fackel wie eine rote Granatrose auf meinem Herzen, stand in ihr eines meiner Gedichte. Ich spreche die Wahrheit, verderbe ich mich selbst bei Ihnen, dann kann ich nicht Hand legen, mich zu retten – wir Krieger gehen mit offenen Augen in den Krieg für Herz oder Gehirn. Wie konnten Sie so etwas öffentlich schreiben!! Ich habe viele Freunde?, hier, die glaubten in meiner jetzigen Lage, ich freute mich darüber. Herwarth beging Fahnenflucht nicht Ehebruch. Ich bin Krieger – bin nie verheiratet aber stand im Heer zu zweit. ich und er. aber ich werfe den Prolethen heraus bringt der mir eine Siegerfahne – dazu ist der Proleth zu wenig mir die Fackel triumphierend zu bringen mit dem Esay, der Herwarth Walden in seiner Geldmisère vielleicht ganz geknickt hat. Ich kann meine Festungen nur auf unbestellten, eigenen Boden bauen nicht auf Zusammensturz anderer Ruinen. Denn eine Zeitschrift die kein Fundament Geld besitzt ist eine Ruine ohne erst eingefallen zu sein. Ich habe tausend Menschen bestürmt, die Herwarth Walden Geld leihen sollten damit er nur Musik machen könne, den Sturm nur für meine Dinge ich habe mich mit seinen Eltern überworfen darum, mit seiner Mutter, die ich direkt leiden mochte. Ich fürchte nun Herwarth entgegnet Ihnen im Sturm, er ist gar nicht genug Psychologe dazu und ich bitte Sie ihm zu schreiben, daß er mich antworten läßt. Ich bin zwar kein Minister, aber ich kann tanzen. Auch ist seine Stärke Musik; und ich glaube Sie beurteilen sein Schreiben falsch. Er will gar kein Schriftsteller sein. – Aber ein Journal wie der Sturm sein soll, verlangt einen polem. Dichter zum Angriff sogar. Jede Kritik sollte eine Dichtung sein, ein Aufknöpfen der dichterischen Gabe. Ich habe immer im Sturm gestanden, ich habe nur Interesse für meine Dinge gehabt, für mich gab es nur diese Spalte alles andrre Grütze für mich, die ich nicht esse. Aber was geht mich das Unkraut an so lange es mich nicht überwuchert; es wärmt, es hält die Fliegen ab denn die Fliegen verlieren sich und Blattläuse gerne auf den Blättchen und verschonen die Rose. Was ging mich Werfel z. B. an wenn mein Tibet in Ihrer Fackel stand? Ich halte nämlich nichts von Werfel. Er ist ein talmudischer Docent, ein reinlicher Geleisemacher, ein Bürger kleines geordnetes Terrain, dort ein Feldchen, da ein Gärtchen, Großvater im Turban mit der Tabackpfeife. Und nun erzählen mir die Leute durch Dr. Ehrenbreitstein dem Neidhammel, Sie hätten einmal den ganzen Abend nur Werfel gelesen im Restaurant und dazwischen ausgerufen, so etwas giebt es nicht wieder! Wie sie mir Alle vernichten wollen die Frösche mit ihrem Quacksalbern. Wie soll ich alles verstehn!! Ich hätte Ihnen so schön im Sturm alles erklärt, daß die Menschheit gar nicht so wichtig ist. Ich bau lauter Tempel kein Mensch kehrt ein, die Menschen wohnen alle am liebsten in den Ställen der Literatur. Sie schmieden Thore Herr Herzog und legen die Leute fest, klemmen ihnen die Pfoten ab. Jeder ist neugierig was hinter dem Thor liegt. In Ihr Haus kann nie Jemand. Sie sind Minister, ich bin Prinz, ich lade die Schweinebande, da ich Feste liebe, zu mir auf die Dächer ein in Theben. Wenn ich nur Geld hätte Geld! Geld! Geld! Geld! Geld! Geld! Geld! Geld! Geld! Geld! wer 20 Jahr ohne das ist – alles andere Lapalie – Idealismus – Luxus Liebe – Gallienhumor – Punkt – unwert [?] O, Geld, tanze mit mir den Tanz der Gerechtigkeit!!

Ihr armer

Prinz von Theben.

Guttmann macht alles schön.

Ich grüße die Venus.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157931). D: KA, Bd. 6, S. 233–235.

den ganzen Esay • Die ›Notizen‹, die Karl Kraus am 21. Juni 1912 in der ›Fackel‹ veröffentlicht hatte (s. [96]): Kraus äußert sich dort unter anderem kritisch zu der von Herwarth Walden veranstalteten Futuristenausstellung (s. [89]). – eine Schwedin • Die Musikerin und Malerin Nell Roslund (1887–1975), mit der Herwarth Walden im Spätsommer 1911 eine Beziehung begonnen hatte. – kein Mensch mehr wie »Sie« darin steht • Vgl. zu [80] (»Veränderungen im System der Fackel«). – wie eine rote Granatrose • ›Die Fackel‹ erschien mit einem roten Umschlag. – eines meiner Gedichte • Karl Kraus hatte in den Jahren 1909–1911 in sechs Ausgaben der ›Fackel‹ Beiträge von Else Lasker-Schüler veröffentlicht (s. [5], [12], [16], [36], [39] und [45]). – entgegnet Ihnen im Sturm • Herwarth Walden hatte bereits am 29. Juni im ›Sturm‹ in einer mit ›H. W.‹ gezeichneten ›Notiz‹ (Jg. 3, Nr. 115/116 vom [29.] Juni 1912, S. 86) zur Kritik von Karl Kraus Stellung genommen. Walden stellt dort unter anderem fest: »Karl Kraus ist ein Gegner des Sturms, ich bin ein Anhänger der Fackel.« – Werfel • Von Franz Werfel (1890–1945) war 1911 bei Axel Juncker in Berlin das erste Gedichtbuch ›Der Weltfreund‹ erschienen, das Karl Kraus sehr schätzte. Kraus nahm einige Gedichte aus dem ›Weltfreund‹ in ›Die Fackel‹ (Jg. 13, Nr. 321/322 vom 29. April 1911, S. 31–33 und Nr. 339/340 vom 30. Dezember 1911, S. 47–51) auf und warb in zwei Freianzeigen, die er in der ›Fackel‹ vom 30. Dezember 1911 (Innenseite des vorderen Umschlags) und vom 29. August 1912 (Jg. 14, Nr. 354/355/356, Innenseite des hinteren Umschlags) abdruckte, für das Buch. – mein Tibet in Ihrer Fackel • Am 31. Dezember 1910 (s. [39]). – Großvater im Turban • Im Gedicht ›Franz Werfel‹, zuerst 1913 in ›Gesichte‹ (S. 76; KA, Bd. 1.1, S. 146) erschienen, schreibt Else Lasker-Schüler über Werfels Gedichte: »Manches trägt einen staubigen Turban. / Er ist der Enkel seiner eigenen Verse.« – Dr. Ehrenbreitstein • Albert Ehrenstein (1886–1950), aus Wien gebürtiger Schriftsteller. – Guttmann • Emil Gutmann (vgl. zu [72]). – Venus • Kete Parsenow.

[99] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Halensee, Donnerstag, 18. Juli 1912

Herrn Karl Kraus

Wien

Lothringerstr. 7 oder 6.

Östreich

Wertester Herzog. Sie wissen gewiß, daß Herwarth und ich schon lange jeder einzeln sind – ich sehe ihn gar nicht und wir sind jeder für uns. Wie ich so alles las, wollte ich Ihnen sofort schreiben nicht aus affekiertem Edelmut aber aus Wahrheit (für jeden Anderen in der Lage täte ich es) daß Herwarth Walden eine rührende, unvergleichbare Liebe zu Ihnen und Freundschaft empfand, er war entzückt von Ihnen. ohne Rechnung. Jedes einzelne Buch Fackel war für ihn ein Heiligtum, so wahr ich der Prinz von Theben bin und König von Juda werde. Ich und H. sind unerschutterlich auseinander; sehen und sprechen uns nicht. ich habe eingesehn, wir sehen und fühlen anders, wir spielen und lieben anders, ich bin Krieger mit dem [Herz] er mit dem [Kopf im Linksprofil mit Auge und Ohr]

Material:

ich: Glas mit Burgunder

er: Porzellan mit Mocca

O, was alles für mich in Wien getan wird. Ich bin schon wahnsinnig vor Sorgen und Kampf. Lieber Herzog!

Anmerkungen

H (Postkarte): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158196). Poststempel: Berlin-Halensee, 18. 7. 12. D: KA, Bd. 6, S. 236.

schon lange jeder einzeln • Herwarth Walden hatte im Spätsommer 1911 eine Beziehung mit der Musikerin und Malerin Nell Roslund (1887–1975) begonnen. – so alles las • Die ›Notizen‹, die Karl Kraus am 21. Juni 1912 in der ›Fackel‹ veröffentlicht hatte (s. [96]): Kraus äußert sich dort unter anderem kritisch zu der von Herwarth Walden veranstalteten Futuristenausstellung (s. [89]). Else Lasker-Schüler hatte bereits ausführlich im Brief an Karl Kraus vom 5. Juli 1912 (s. [98]) zu den ›Notizen‹ Stellung genommen.

[100] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Brunshaupten, Mittwoch, 21. August 1912

Sehr verehrter Herzog! [über dem H eine sitzende Buddhafigur, auf deren Kopf eine Wolke (?) mit Stern]

Die Familie Haas, Mutter, Tochter und Willy sind nun glücklich abgereist. Einen eingemachten Gaumen hat Willy Haas, überzuckert; in der einen Hand weht er mit dem Schreiben des Herzogs in der anderen schwingt er die Fahne Hugo von Hoffmannsthals. Ghetto. Seine Mutter handelte mit [W]esten [anstelle des ersten Buchstabens ein geschwärztes Viereck (möglich auch: »[R]esten«)] im Osten der Stadt – nun handelt sie mit Worten. Sie mordet die Seele ihrer sanften Tochter. Meine Rauheit schmeckte ihnen nicht, aber sie mußten ganze Kannen davon trinken, ich zwang sie.

Das Meer ist grün und frei, aber Bürgertum, vergoldeter Gypsrahmen schließt es ein. Ich bin zu krank allein an den einsamen Strand zu gehen oder ich muß es büßen. Ich bin sehr krank, ich glaube beinah ich bin Goethe sein Werther, der hatte doch eine Seele: Wie man herab kommt vom Prinzen von Theben zum Werther. Zwar lach ich nicht mehr über die Seele und sie kommt nicht allein in Gedichten vor. Die Fasttage müßten wieder ein gesetzt werden dann gäbe es weniger gesättigte Prolethen, die sich nie zum Essen verspäten. Ich habe gestern ein Bild gezeichnet, daran hängt nun mein Herz: Jakob, nicht der Jakob aus dem Gedicht: Jakob und Esau, aber der ruhende Jakob vor der Himmelsleiter – halb Büffel halb Pflanze. Er ruht vom Viehweiden aus. So biblisch, es bewegt sich mein ältester Tropfen Blut in mir wenn ichs anseh. Wollen Sie es sehn?

Ich werde es einhauen lassen in mein Thor, wenn ich in den Palast Thebens einziehe. Ich soll König von Juda werden, aber die Stadt ist arm und es wächst wenig Waizen. Ich ruhe nun – wie es aber kommen mag! Unter mir zertrümmern die Sterne, der Mond ist nicht rund – ein Dreieck ist er und sucht seine vierte Ecke. Wie ich, darin ich mich verbergen kann.

W [?]

(ich möcht so gerne die neuste Fackel haben!

Brunshaupten i. M. Ostsee

Pension Ahlemann

Daß ich so oft wiederholte H. schwärme für Sie?

Meine Anklage sollte auch eine Verteidigung mit sich tragen, Herzog.

Dr. Geyer hat meine Wupper angenommen! Das dank ich Ihnen, nicht wahr?

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157933). Datum von Helene Kann: »21. VIII. 12«. D: KA, Bd. 6, S. 244 f.

Die Familie Haas • Willy Haas (1891–1973) schildert in einem ›Verwirrung am Meer. Erinnerungen an die Dichterin Else Lasker-Schüler‹ (Die Welt, Jg. 7, Nr. 207 vom 6. September 1952, S. I) betitelten Zeitungsartikel die Begegnung mit Else Lasker-Schüler in Brunshaupten. Er schreibt unter anderem: »Ich war in Berlin mit meiner Mutter und Schwester auf der Durchreise nach dem Seebad Brunshaupten in Mecklenburg – ich hatte meine Familie mit viel Schlauheit überredet, gerade dorthin zu gehen, denn dort weilten mit ihren Eltern auch zwei überaus schöne tschechische Mädchen aus Prag, von denen ich eine, Milada, heiß liebte. Durch einen Zufall fuhr nun eine ganze Reisegesellschaft mit, der sich auch Else Lasker-Schüler anschloß. Sie hatte eine ganz große Maskengarderobe mitgebracht, arabische Burnusse, einen weißen Schwanenpelz, rote, grüne und gelbe Turbane, eine Unmenge bunte Glasketten, Goldmünzen, Armreifen, Stirnbänder, ziselierte Dolche, Gürtel und farbige Seidenbinden, mit denen kostümierte sie sich täglich mehrmals abwechselnd als Jusuff, Prinz von Theben, Tino von Bagdad, als dunkle Zigeunerin und als die exzentrische Dichterin Else Lasker-Schüler aus Berlin und ging mit mir vormittags und nachmittags zu den Kurkonzerten. Ich gab mir alle Mühe, sehr stolz zu sein, wenn die Kurgäste in dem kleinen Spießer-Seebad einfach Spalier standen und Augen und Mund weit aufrissen, sobald ich mit ihr erschien.« – Schreiben des Herzogs • Willy Haas hatte drei Lesungen von Karl Kraus in Prag organisiert, die zweite und dritte Lesung zusammen mit Franz Janowitz (1892–1917): am 12. Dezember 1910, am 15. März 1911 und am 22. März 1912. – Fahne Hugo von Hoffmannsthals • Auf Initiative von Willy Haas hatte Hofmannsthal am 16. Februar 1912 bei einer Benefizveranstaltung der Prager Herder-Vereinigung gelesen. – Goethe sein Werther • Anspielung auf Goethes Roman ›Die Leiden des jungen Werthers‹. – Jakob und Esau • Das Gedicht war am 22. Juli 1912 im ›Simplicissimus‹ (Jg. 17, Nr. 17, S. 264; KA, Bd. 1.1, S. 143) erschienen. – der ruhende Jakob vor der Himmelsleiter • Im Traum erscheint Jakob die Himmelsleiter, auf der Gottes Engel auf- und niedersteigen und an deren Spitze die Himmelspforte steht. Vgl. 1. Mose (Genesis) 28,12. – Büffel • Mit den Worten: »Jakob war der Büffel seiner Herde«, beginnt Else Lasker-Schülers Gedicht ›Jakob‹, das Ende Oktober oder Anfang November 1912 in der ersten Ausgabe der ›Hebräischen Balladen‹ (KA, Bd. 1.1, S. 144) erschien. – W • »Werther« (s. o.)? – H. schwärme für Sie • Herwarth Walden. Siehe Else Lasker-Schülers »Anklage« in den Briefen an Karl Kraus vom 5. und 18. Juli 1912 ([98] und [99]). – Geyer • Emil Geyer (vgl. zu [92]). – meine Wupper angenommen • Das Schauspiel wurde erst 1919 uraufgeführt (s. [92]).

[101] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Grunewald, gegen Ende September 1912

Wertester Herzog.

Kein Mensch schreibt dem Prinzen [über dem P ein Stern] von Theben mehr! Ich habe Sie und alle auch fast vergessen – freue mich wenn die Venus [über dem V ein Stern] bald kommt, die wird Augen wie Mondsicheln machen wenn sie hört, was alles vorgefallen ist. Gestehn Sie nur, Herzog, Sie können mich nicht mehr leiden, und doch ist der Prinz von Theben der einzige werdende König von Juda. Ich guck jetzt immer ganz finster wie nie der Himmel war im Morgen und Abendland – ich guck so finster, daß mich kein Mensch mehr anredet. Auch rauscht meine Stimme jetzt wie ein dunkles Meer ohne Strand. Kein Mensch kann auf meinem Wort ausruhn. Ich zucke nicht – wenn Sie mich auch nicht mehr unter den Alltäglichen leiden mögen; ich selbst habe kaum mehr Zusammenhang, keine Brücke zu irgend einer Seele. Aber mein Brief bedeutet: In kurzer Zeit giebt ein Verleger hier ein feines, auserlesenes Flugblatt von mir heraus – ich möchte es Ihnen widmen – so: Karl Kraus zum Geschenk.

Nicht aus Anhänglichkeit, nicht aus irgend einem Blutstropfen – aus Revanche. Nehmen Sie es an:

Tibetteppich

Jakob

Abraham und Isaak.

Pharao und Joseph

Mein Volk

Esther

Abel

Eva

Zebaoth

Ruth

David und Jonathan

Versöhnung

An Gott

Sulamith

14 Gedichte: Hebräische Balladen.

Der Verleger, merkwürdiger Weise früherer Chorstudent A. R. Meyer ist so sehr entzückt von meinen Dichtungen. Heinrich Bachmair. München bringt in diesen Tagen »mein Herz« Liebesroman den ich Adolf Loos widmete heraus. Es sind die norw. Briefe mit Illustrationen. Ich mag ALoos so gut leiden.

Ich bekam für das Buch 500 Mk und hatte sie sofort in der Odenwaldschule wo mein Jüngelchen ist wo es ihm herrlich scheints gefällt, einbezahlt. Im Frühjahr bringt Heinrich Bachmair meine Essays heraus. Ein nobler Verleger, der auch was versteht.

Wollen Sie mein Herz ankünden? Dehmel schreibt mir reizend oft – Gülnare nennt er mich – aber ich kann ihm doch nicht schreiben: Kalif, schreib über mich, der Herzog würd es bringen? Oder doch?

Zuletzt Gutmann: Ich hab ihm nie getraut, scheußliche Augen. Hat unter Ehrenwort meine Abende angenommen, mußte ihm dem Kater sämmtliche Kritiken schicken. Nun komm ich hin, verhöhnte er mich dermaßen, Herzog, glauben Sie mir, ich sage wörtlich alles; er glaubt ja nicht, daß ich lesen kann. Auch sagte er die Herren bezahlten ihre Abende. Nun bin ich aufgefordert im Okt. in Elberfeld zu lesen.

O, wie gern würde ich wieder [?] im Amphitheater in Wien lesen!

Wissen Sie, Herzog, der Haas versuchte mit allen geilen Mitteln, daß ich Herwarth verraten sollte, aber ich ordne mir nur Heere aus Häuptlingen und ziehe nicht mit dreijährigen in die Schlacht. Immer der Prinz

ich fordere von Ihnen, daß Sie meiner Krone glauben.

Mit Ceremonieen meines ganzen Hofes. Ihr Prinz von Theben. (E LSch)

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158146). D: KA, Bd. 6, S. 255–257.

Else Lasker-Schüler teilt Karl Kraus mit, dass »in diesen Tagen« ›Mein Herz‹ erscheinen werde und sie im Oktober eingeladen sei, in Elberfeld zu lesen. Ersteres war ursprünglich für Anfang Oktober 1912 geplant, wie aus einem undatierten Brief Else Lasker-Schülers an Richard Dehmel (vgl. KA, Bd. 6, S. 248 f.) hervorgeht. – Venus • Kete Parsenow. – Meer ohne Strand • Der sechste Vers des Gedichts ›An den Herzog von Vineta‹, das 1913 in ›Das neue Pathos‹ (H. 1, S. 21; KA, Bd. 1.1, S. 148 f.) erschien, lautet: »bin ein Meer ohne Strand.« – Flugblatt • Else Lasker-Schülers ›Hebräische Balladen‹, die Ende Oktober oder Anfang November 1912 bei Alfred Richard Meyer (1882–1956) in der Reihe ›Lyrische Flugblätter‹ erschienen. Die gedruckte Widmung lautet: »Karl Kraus zum Geschenk«. – 14 Gedichte • Das Buch enthält insgesamt fünfzehn Gedichte (›Ein alter Tibetteppich‹ nahm Else Lasker-Schüler nicht in die Sammlung auf): ›Mein Volk‹, ›Abraham und Isaak‹, ›Jakob‹, ›Esther‹, ›Pharao und Joseph‹, ›An Gott‹, ›Ruth‹, ›David und Jonathan‹ (»In der Bibel stehn wir geschrieben«), ›Eva‹, ›Zebaoth‹, ›Jakob und Esau‹, ›Abel‹, ›Sulamith‹, ›Boas‹, ›Versöhnung‹ (KA, Bd. 1.1, S. 157–166). – Chorstudent • Gemeint ist Corpsstudent: Angehöriger einer Studentenverbindung (Korporation). – »mein Herz« • ›Mein Herz‹, die Buchausgabe der ›Briefe nach Norwegen‹, erschien im Herbst 1912 bei Heinrich F. S. Bachmair (1889–1960) in München und Berlin. Gewidmet ist das Buch: »Adolf Loos in Verehrung«. – Odenwaldschule • Vgl. zu [91]. – Essays • ›Gesichte. Essays und andere Geschichten‹ erschien 1913 bei Kurt Wolff in Leipzig. Im Verlagsalmanach ›Das erste Jahr des Verlages Heinrich F. S. Bachmair in München und Berlin‹, datiert 20. Oktober 1912, kündigt Bachmair ›Gesichte. Gesammelte Essays‹ für 1913 an. – mein Herz ankünden • In der ›Fackel‹ vom 12. Dezember 1912 (s. [104]). – Gülnare • Name einer Königin in der arabischen Märchen-, Novellen-, Fabel- und Anekdotensammlung ›Tausendundeine Nacht‹. – Gutmann • Emil Gutmann (vgl. zu [72]). – im Okt. in Elberfeld zu lesen • Else Lasker-Schüler las am 22. Oktober 1912 auf Einladung der ›Literarischen Gesellschaft Elberfeld‹ in der Stadthalle Elberfeld. – im Amphitheater in Wien • In Wien hatte Else Lasker-Schüler am 11. März 1912 auf Einladung des ›Akademischen Verbands für Literatur und Musik‹ in einem Hörsaal der Technischen Hochschule gelesen (s. [83]). – Haas • Willy Haas, dem Else Lasker-Schüler in Brunshaupten begegnet war (s. [100]).

[102] Else Lasker-Schüler, Hebräische Balladen [Widmung]
Erschienen Ende Oktober oder Anfang November 1912

Else Lasker-Schülers ›Hebräische Balladen‹ (Berlin-Wilmersdorf: A. R. Meyer, 1913) erschienen mit der gedruckten Widmung: »Karl Kraus zum Geschenk«. Die Widmung wurde auch in die zweite Ausgabe des Buches (2., vermehrte Aufl., Berlin-Wilmersdorf: A. R. Meyer) übernommen, die Anfang 1914 erschien.

[103] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Grunewald, wahrscheinlich kurz nach dem 9. November 1912

Herzog von Wien.

Ist Ihnen mein Roman »mein Herz« [die linke Hälfte des H als Herz] zugesandt worden und die Balladen, die der Prinz von Theben Ihnen weihte? Richard Dehmel schrieb sehr begeistert davon – er wird sicher über mich schreiben, wie Sie einmal wollten, wenn Sie es ihm schreiben. Ich kann doch nicht.

Arbeite bis zur Bewußtlosigkeit bin unheilbar gewiß krank und denke nur noch an den Abgrund. Ich werde dieses Bildniß Erde immer auf meinem Herzen tragen, daß es mich strafe weiter für und für, daß es mich ärmer mache und nicht eine Blüte Blut mehr drei Blätter trage in meinen Gärten.

Jussuf von Theben.

[zwei Zeichnungen: Palme, zwischen Gebäuden ein Tor, auf dessen spitzem Bogen ein Stern, Mondsichel; Palme, Gebäude mit Kuppel, im Hintergrund weitere Gebäude, darüber ein Stern und ein Komet]

Grunewald-Berlin

Humboldtstr. 13II.

bei Enderlein.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158148). D: KA, Bd. 6, S. 268.

Am 9. November 1912 hatte Else Lasker-Schüler an Heinrich F. S. Bachmair eine Liste mit Personen und der Bitte gesandt, den Genannten ein Freiexemplar von ›Mein Herz‹ zukommen zu lassen. Vgl. KA, Bd. 6, S. 265 f. – Balladen, die der Prinz von Theben Ihnen weihte • Else Lasker-Schülers ›Hebräische Balladen‹ (s. [101] und [102]).

[104] Freianzeige in der ›Fackel‹

Soeben erschienen: | ELSE LASKER-SCHÜLER | MEIN HERZ | Ein Liebes-Roman mit Bildern und wirklich lebenden Menschen | VERLAG HEINRICH F. S. BACHMAIR, MÜNCHEN UND BERLIN || HEBRÄISCHE BALLADEN | Broschiert Mark –.50 | A. R. MEYER VERLAG, 1913, BERLIN-WILMERSDORF

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 14, Nr. 363/364/365 vom 12. Dezember 1912, Innenseite des vorderen Umschlags.

Else Lasker-Schüler hatte Karl Kraus Ende September 1912 (s. [101]) um ein Inserat gebeten.

[105] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Grunewald, unmittelbar nach dem 12. Dezember 1912

Hochverehrter Herzog von Wien.

Tausend Dank für die Anzeige der Bücher. Ich trage die Fackel wie eine Rose in der Hand.

Ihr Sie verehrender

Prinz von Theben.

[Stadt mit Palme und Mondsichel, im Vordergrund Prinz Jussuf mit hohem Hut]

Franz Werfel ist ein wirklicher Dichter, seine Seele und sein Herz.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158150). D: KA, Bd. 6, S. 279.

Der Brief dürfte unmittelbar nach dem Erscheinen der ›Fackel‹ vom 12. Dezember 1912 geschrieben sein. – Anzeige der Bücher • In der ›Fackel‹ vom 12. Dezember 1912 (s. [104]). – ein wirklicher Dichter • Else Lasker-Schüler hatte sich im Brief an Karl Kraus vom 5. Juli 1912 (s. [98]) kritisch über die Dichtung Franz Werfels geäußert: Kraus selbst schätzte vor allem Werfels erstes Gedichtbuch ›Der Weltfreund‹ von 1911.

[106] Karl Kraus, Notizen [Hinweis]

Karl Kraus berichtet über die Reaktionen auf seine Lesung in Berlin am 10. Dezember 1912. Else Lasker-Schüler wird in einem Beitrag erwähnt, der am 16. Dezember 1912 in der ›Ostdeutschen Rundschau‹ (Wien) (Jg. 19, Nr. 336, S. 3) erschienen war und den Karl Kraus vollständig abdruckt. In dem Artikel heißt es unter anderem: Karl Kraus »gibt die ›Fackel‹ heraus. In einer Stadt, in der die Uhr immer eine Stunde nachgeht und in der ein solcher Mann noch etwas werden kann. Auf dem harten Boden Berlins würde er nicht ernst genommen werden. Nur im Café des Westens, am Tische der Else Lasker-Schüler, würde er eine führende Rolle spielen.«

Die Fackel, Jg. 14, Nr. 366/367 vom 11. Januar 1913, S. 33–36, Hinweis auf S. 36.

[107] Pauline Fürstin zu Wied, Hélène Prinzessin Soutzo, Selma Lagerlöf, Karin Michaëlis, Richard Dehmel, Peter Nansen, Karl Kraus, Walter F. Otto, Adolf Loos, Arnold Schönberg, [Spendenaufruf zugunsten Else Lasker-Schülers]

Die Dichterin Else Lasker-Schüler lebt in schwerer materieller Bedrängnis. Ihre Sorge um die Notwendigkeiten des Tages ist jetzt so ernst geworden, daß der unterzeichnete Kreis von Freunden und Verehrern sich verpflichtet fühlt, mit der dringenden Bitte um Unterstützung an alle jene heranzutreten, bei denen er Verständnis für das dem Geschmack der Zeit noch entrückte Werk der Dichterin und darum auch Teilnahme an ihrer Lebenssorge voraussetzt.

Die Geldgeschenke – auch kleine sind willkommen – bitten wir mit der Bezeichnung »für Else Lasker-Schüler« an die Adresse des Herrn k. k. Universitätsprofessors Dr. Walter Otto, Wien, XIX., Gebhardtgasse 1 gelangen zu lassen. Mit dem Ergebnis der Sammlung wird der Dichterin eine Namenliste der Geber überreicht werden.

Pauline Fürstin zu Wied Helene Fürstin Loutzo

Selma Lagerlöf Karin Michaelis

Richard Dehmel Peter Nansen

Karl Kraus Walter Otto

Adolf Loos Arnold Schönberg

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 14, Nr. 366/367 vom 11. Januar 1913, Innenseite des hinteren Umschlags.

Der Spendenaufruf wurde erneut in der ›Fackel‹ vom 5. Februar 1913 (Jg. 14, Nr. 368/369, Innenseite des hinteren Umschlags) und auf der Rückseite des Programmzettels zur Lesung von Karl Kraus am 7. Februar 1913 in Wien (Wienbibliothek im Rathaus [H. I. N. 239509]) abgedruckt. – Walter Otto • Walter F. Otto (1874–1958), klassischer Philologe und Religionshistoriker. – Helene Fürstin Loutzo • Hélène Prinzessin Soutzo (geb. Chrissoveloni) (1879–1975), die spätere Frau des französischen Schriftstellers Paul Morand (1888–1976). 1909 erschien ›Die Wupper‹ mit der Widmung: »Der lieblichen Prinzessin Helle v. L. schenke ich dieses Buch«. Else Lasker-Schüler widmete ihr ferner 1913 in ›Gesichte‹ den Essay ›Zirkuspferde‹ (S. 169–171; KA, Bd. 3.1, S. 133 f.): »Der lieblichen Fürstin Helle von Soutzo«, und in den drei Ausgaben der ›Gesammelten Gedichte‹ das Gedicht ›Boas‹ (S. 12; KA, Bd. 1.1, S. 142): »Meiner unvergeßlichen Prinzessin Hellene von Soutzo«. Hélène Soutzo war mit Pauline Fürstin zu Wied (vgl. zu [71]) befreundet. – Selma Lagerlöf • Selma Lagerlöf (1858–1940), schwedische Schriftstellerin. – Karin Michaelis • Karin Michaëlis (1872–1950), dänische Schriftstellerin und Journalistin. – Peter Nansen • Peter Nansen (1861–1918), dänischer Journalist und Schriftsteller.

[108] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
München, wahrscheinlich Sonntag, 26. Januar 1913

Verehrtester Minister,

Hochedler zu Wien.

Ich liege zu Bett, aber werde morgen wieder aufstehn. Muß Ihnen jedoch heute noch dieses Schreiben in Ihren Palast zu Wien [im W eine Kirche (?)] übersenden! Gestern sagte mein Arzt Dr. Gerhard Pagel, daß es vielleicht undankbar für Sie aussehen muß, daß ich meinen Essay Egon Adler in den Pan sandte. Sie haben so viel, so schrecklich viel für mich, meine geliebten Einwohner, meine Stadt und Krieger getan, ich möchte direkt kommen Ihnen mindestens einen grotesken Kuß geben. I denk nich dran undankbar für Ihre grandiose That zu sein, aber woher soll ich die Motive Literatur wissen und Sie wissen gehts zur Schlacht, zieh ich mit Östreich. Dr. Kerr kümmert sich so viel um meine Wupper, die März aufgeführt wird aber ich der Prinz von Theben – Konig von Arabien – Kaiser – Cäsar – schwöre bei Mohamed ich war nie feig und bin es auch nie! Aber geschah Ihnen, hochverehrter Minister auch nur eine Stirnfalte einen Augenblick, so sehe ich gern meiner Hinrichtung entgegen. Dr. Gerhard Pagel liebt Sie so unaussprechlich, so unumschränkt, verehrt Sie – und versteht Sie. Wann lesen Sie in Berlin? Er will mit und Sie wieder hören. Ich lese 9.

Denken Sie nur Gutmann, da die ganze Erde von der Not meiner Stadt spricht, hat telegraphiert, ich habe durch meine Neger angenommen. März hat vorgestern neue Briefe mit Bilder bestellt, Alles im Gang. O, Sie lieber Minister, Venus, Engel, Prof. auch ein Engel.

Jussuf von Theben Prinz.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157917). Datum von Helene Kann: »31. I. 13«. D: KA, Bd. 6, S. 288 f.

Der Hinweis, dass »März […] vorgestern neue Briefe mit Bilder bestellt« habe, findet sich auch im Brief an Kurt Wolff, der wahrscheinlich am 26. Januar 1913 geschrieben wurde (vgl. KA, Bd. 6, S. 287). Helene Kann dürfte das Datum des 31. Januar 1913 nach dem Poststempel des (nicht mehr erhaltenen) Kuverts ergänzt haben: Vermutlich ist der Brief einige Tage liegengeblieben und erst am 31. Januar abgesandt worden. – Pagel • Gerhard Pagel (1886–1954), Arzt in München und Berlin. Ihm widmete Else Lasker-Schüler in den drei Ausgaben der ›Gesammelten Gedichte‹ das Gedicht ›Jakob‹ (S. 27, S. 28, S. 28; KA, Bd. 1.1, S. 144): »Dem Doktor Pagel« (»Dem Doktor Gerhard Pagel«). – in den Pan sandte • ›Egon Adler‹ war am 24. Januar 1913 in der Zeitschrift ›Pan‹ (Jg. 3, Nr. 17, S. 412 f.; KA, Bd. 3.1, S. 275 f.) erschienen, die seit April 1912 von Alfred Kerr herausgegeben wurde. – Karl Kraus hatte sich in drei Ausgaben der ›Fackel‹ kritisch gegen Alfred Kerr und dessen journalistische Praktiken gewandt: ›Der kleine Pan ist tot‹ (Jg. 12, Nr. 319/320 vom 31. März [Umschlag: 1. April] 1911, S. 1–6 [›Glossen‹]), ›Der kleine Pan röchelt noch‹ (Jg. 13, Nr. 321/322 vom 29. April 1911, S. 57–64) und ›Der kleine Pan stinkt schon‹ (Jg. 13, Nr. 324/325 vom 2. Juni 1911, S. 50–60). Am 8. Juli 1911 druckte Kraus in der ›Fackel‹ eine Stellungnahme Alfred Kerrs ab und fügte einige Anmerkungen an: ›Der kleine Pan stinkt noch‹ (Jg. 13, Nr. 326/327/328, S. 28–34). Anlass der Kontroverse war Kerrs Artikel ›Vorletzter Brief an Jagow‹ gewesen, der am 1. März 1911 im ›Pan‹ (Jg. 1, Nr. 9, S. 287–290) erschienen war. – Ihre grandiose That • Der Spendenaufruf in der ›Fackel‹ (s. [107]). – März aufgeführt wird • ›Die Wupper‹ wurde erst 1919 uraufgeführt. – Ich lese 9. • Am 9. Februar 1913 veranstaltete das Konzertbüro Emil Gutmann (vgl. zu [72]) in Berlin eine Wohltätigkeitsveranstaltung zugunsten Else Lasker-Schülers, die bei dieser Gelegenheit selbst vortrug. Im ›Berliner Tageblatt‹ erschien am 10. Februar 1913 (Jg. 42, Nr. 74 [Abend-Ausgabe]) anonym folgende Notiz: »Für Else Lasker-Schüler gab es gestern nachmittag im Harmoniumsaal eine Veranstaltung, die die Freunde der Dichterin versammelte. Vorträge aus ihren Dichtungen, die zum Teil sie selbst mit etwas verschleierter, nervöser Stimme rezitierte, teils Dr. Rudolf Blümner mit starker Wirkung vortrug, wurden von einer Kette musikalischer Darbietungen umrankt. […] Von den Poesien Else Lasker-Schülers machten ihre ›Hebräischen Balladen‹ am meisten Eindruck, in denen ein inbrünstiger religiöser Gehalt mit orientalischer Phantastik zusammengeschmolzen ist. Hoffentlich ist der Ertrag der Veranstaltung so ausgefallen, daß der Dichterin, die für ihren Knaben kämpft und darbt, eine Erleichterung geschaffen werden kann.« Als Erlös der Veranstaltung sind im ›Berliner Tageblatt‹ vom 11. Februar 1913 (Jg. 42, Nr. 76 [Abend-Ausgabe] [›Kleine Mitteilungen‹]) 119,90 Mark ausgewiesen. – neue Briefe mit Bilder • Else Lasker-Schülers ›Briefe und Bilder‹, die ab dem 6. September 1913 zunächst in der ›Aktion‹ erschienen. In ›März. Eine Wochenschrift‹ (München) erschien kein Beitrag von Else Lasker-Schüler. – Venus • Kete Parsenow. – Prof. • Walter F. Otto (1874–1958), klassischer Philologe und Religionshistoriker. Er heiratete Kete Parsenow am 25. September 1914 in München.

[109] Else Lasker-Schüler, [Offener Brief an das ›Berliner Tageblatt‹]

Ich bitte Sie, einige Worte von mir über die Art und Weise der Sammlung für mein Wohlergehen zu bringen. Ich habe keineswegs den Aufruf in der Fackel zu verhindern gesucht, zumal diese Bitte unter der Güte Karl Kraus’ steht. Aber es handelt sich weniger um mich, als um meinen Knaben, dem ich dieses Opfer, das größte meines Lebens, bringe, indem ich meine Fahne streiche. Wie man mich jedoch in einigen Zeitungen zu Markte trägt, empört mich aufs Grenzenloseste; ich danke für dergleichen bettelnde Wohltaten und ich möchte nur noch einen kleinen Briefwechsel erwähnen, den ich mit dem zartfühlendsten Menschen, der Kete Parsenow, in Wien führte:

»Meine liebe Dichterin, Sie dürfen sich nicht grämen – Sie zu erhalten, sind wir verpflichtet, wie man ein wertvolles Bild zu erhalten sucht.«

Ich antwortete: »Principessa, ich muß Geduld mit mir haben und lernen, Tribut zu nehmen.«

Anmerkungen

Berliner Tageblatt, Jg. 42, Nr. 77 (Morgen-Ausgabe) vom 12. Februar 1913 (KA, Bd. 3.1, S. 276).

Aufruf in der Fackel • Der Spendenaufruf zugunsten Else Lasker-Schülers (s. [107]). – meinen Knaben • Paul Lasker-Schüler (1899–1927). – in einigen Zeitungen zu Markte trägt • Arnold Höllriegel (urspr. Richard Arnold Bermann) hatte in einem ›Für Else Lasker-Schüler‹ betitelten Beitrag im ›Berliner Tageblatt‹ vom 23. Januar 1913 (Jg. 42, Nr. 40 [Morgen-Ausgabe], 1. Beiblatt) polemisch zum Spendenaufruf Stellung genommen. Er schreibt unter anderem: »Wer einen Band der Lasker-Schüler in die Hand nimmt, wird ein Gedicht, eine Seite Prosa, eine kleine Zeichnung finden, die diese seltsame Frau als eine Künstlerin seltenster Art voll legitimieren. Aus einem atemlosen Hasten der Bilder, Quellen der Träume, Kreischen der Hysterien kommt nimmer und nimmer wieder so viel Edles und Weltvergessenes und nochmals Edles an die Oberfläche – daß es dieser Frau in diesem Berlin unter allen Umständen materiell schlecht gehen muß.«

[110] Karl Kraus, Notizen [Auszug]

Notizen

[…]

Durch die Witzpresse wird kolportiert, daß die von der Fackel angeregte Sammlung für Else Lasker-Schüler »11 Kronen ergeben« habe. Wenn es wahr wäre, gäb’s keinen Grund, witzig zu sein, und trauriger als um die Dichterin stünde es um das deutsche Publikum. Der Witz ist durch die Geschmacklosigkeit einer Berliner Zeitung entstanden, welche die Summe von elf Mark, die ihr für die Sammlung übermittelt wurde, mit einigen pompösen Zeilen besonders ausgewiesen hat, statt den Empfang den Spendern brieflich zu bestätigen. Tatsächlich beträgt das Ergebnis der Sammlung bis zum ersten März 4660 Kronen. Eine Summe, die freilich noch immer nicht hoch genug ist, um das deutsch lesende Publikum von der Verpflichtung der Scham loszukaufen. Aber die Sammlung ist ja noch nicht abgeschlossen und wer eine Versäumnis bereuen will, wende sich getrost an die Sammelstelle: Professor Dr. Walter Otto, Wien, XIX., Gebhardtgasse 1.

[…]

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 14, Nr. 370/371 vom 5. März 1913, S. 28–35, Auszug S. 33.

die von der Fackel angeregte Sammlung • Der Spendenaufruf zugunsten Else Lasker-Schülers (s. [107]). – Geschmacklosigkeit einer Berliner Zeitung • Im ›Berliner Tageblatt‹ war am 8. Februar 1913 (Jg. 42, Nr. 70 [Morgen-Ausgabe]) folgende Notiz erschienen: »Für Else Lasker-Schüler gingen ein: von Kurt Bettsack, Friedenau 5 Mark, Fr. Geheimrat Dr. Hirschberg, Posen 6,05 Mark. Summa 11,05 Mark. Dieser Betrag ist an Herrn k. k. Universitätsprofessor Dr. Walter Otto, Wien, abgesandt worden.« Im ›Kleinen Feuilleton‹ des ›Vorwärts‹ (Berlin) vom 9. Februar 1913 (Jg. 30, Nr. 34, 1. Beilage) erschien anonym der Beitrag ›Literatenelend‹ mit einem Bericht über den Spendenaufruf: »Jetzt, nach Verlauf mehrerer Wochen, veröffentlicht das ›Berliner Tageblatt‹ das Resultat der bei ihm eingelaufenen Gelder: Zwei ganze Leute schickten zusammen ganze 11,5 Mk.! Ein kläglicheres Fiasko läßt sich nicht wohl denken.« – Am 23. Februar 1913 berichtet das ›Berliner Tageblatt‹ (Jg. 42, Nr. 98 [Morgen-Ausgabe], 1. Beiblatt [›Kleine Mitteilungen‹]) über weitere Spenden und weist darauf hin: »Insgesamt gingen ein 172,45 M.«

[111] Freianzeige in der ›Fackel‹

ELSE LASKER-SCHÜLER | MEINE WUNDER | GEDICHTE | PREIS GEBUNDEN DREI MARK | KARLSRUHE UND LEIPZIG | DREILILIEN-VERLAG 1911 || MEIN HERZ | Ein Liebes-Roman mit Bildern und wirklich lebenden Menschen | VERLAG HEINRICH F. S. BACHMAIR, MÜNCHEN UND BERLIN || HEBRÄISCHE BALLADEN | Broschiert Mark –.50 | A. R. MEYER VERLAG, 1913, BERLIN-WILMERSDORF

Anmerkung

Die Fackel, Jg. 14, Nr. 370/371 vom 5. März 1913, Innenseite des hinteren Umschlags.

[112] Else Lasker-Schüler, Oskar Wiener, Karl Kraus, Frank und Tilly Wedekind, Kete Parsenow, Gerhard Pagel, Ludwig von Ficker, Franz und Maria Marc an Richard Dehmel
München, Montag, 31. März 1913

Herrn Richard Dehmel

Blankenese

bei Hamburg

[Komet] Kalif, ich grüße Sie! Jussuf von Theben

[von Oskar Wiener:] Wiener

[von Karl Kraus:] Karl Kraus

[von Frank Wedekind:] Frank Wedekind.

[von Tilly Wedekind:] Tilly Wedekind.

[von Kete Parsenow:] Kete Parsenow Fox.

[von Gerhard Pagel:] Gerhard Pagel

[von Ludwig von Ficker:] Ludwig v Ficker

[von Franz Marc:] Franz Marc

[von Maria Marc:] Mareia Marc

[von Else Lasker-Schüler:]

[Komet]

München. Theresienstr. 80.

(Pension Modern.)

Anmerkungen

H (Postkarte): Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg (Dehmel-Archiv, Br Bb 45). Poststempel: München, 31. 3. 13. D: KA, Bd. 6, S. 314 f.

[113] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Grunewald, etwa Donnerstag, 10. April 1913

Dalai Lama.

Ich bin nun aus Prag wieder da. Saß dort 2 Stunden im Kerker wegen Störung in der Nacht. Was soll man anders in der Nacht tun? Ich hielt nur meinen 25 Begleitern aus einer tiefen Nische einer Kirche, die auf einen Platz blickte, eine Rede in arab. Sprache über mein Geschick. Ich bin sehr abgespannt, ich bin lebensmüde – fahre noch immer auf See – manchmal hängt morgens der Mantel eines fremden Steuermanns in meinem Zimmer. Ich arbeite vergebens – Briefe an den blauen Reiter Franz Marc habe ich herrliche geschrieben mit Bildern und frage Sie an, wollen Sie eine Ausnahme machen und diese neue Sensation in Ihrer Fackel bringen? oder nicht? Es schadet nichts. Sie sind nur so schön, ich gönne sie nur der Fackel. Dr. Pagel und ich waren wie zwei Jungens befreundet jeder 14 Jahre alt, auf einmal seh ich ihn wieder, ist er 50; hatte das Flüstern und den Ernst des Spiels verloren; keine Schauckeln hinter dem Haus in der Sackgasse konnte ich mehr mit ihm bauen, auch keinen Krieg führen. Ein Sprung von 14 bis 50 – seine Seele trug ein Monocle und seine Miene complimentierte wie ein Kammerdiener. So wurde er dem Prinzen von Theben untreu, der gar nicht Basileus werden kann des vielen Hangs zur Spielerei und der Sehnsucht nach der Liebe. Wenn noch die Sonne schien, der einzige Engel über der Welt wäre, aber so. – –

– Ich wär in Prag was geblieben, aber ich hatte hier zu tun. Als ich Ihren Essay las, stürmte mich fast die Menge; rasend überfüllt, die Hälfte mußte fortgehn. Prachtvoll las ich »Sie«. Also Sie wären sprachlos. Wenn mich nur das Leben nicht aneckelte und ich noch eine Freude hätte. Sitzen wir Alle und weinen und können uns nicht vereinen. Sind Sie auch so allein in der Seele?

Ihr Prinz Jussuf von Theben.

Humboldtstr. 13II Grunewald-Berlin.

[Brustbild des Prinzen Jussuf mit Mantel, der am Hals von einem Stern zusammengehalten wird, Gesicht en face mit hohem Hut, rechts daneben eine Mondsichel] Basileus I von Theben

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157938). D: KA, Bd. 6, S. 316.

Die ersten aufgrund des Poststempels sicher datierbaren Briefe nach der Rückkehr aus Prag schrieb Else Lasker-Schüler am 10. April 1913. Vgl. KA, Bd. 6, S. 317 f. – Aus dem 2. Blatt des Briefbogens, links neben der Zeichnung, ist ein viereckiges Stück Papier herausgeschnitten. – Prag • Dort hatte Else Lasker-Schüler am 5. April 1913 auf Einladung des ›Klubs deutscher Künstlerinnen‹ gelesen. Eine ausführliche Besprechung des Abends, betitelt ›Else Lasker-Schüler als Gast in Prag‹, veröffentlichte Marie Holzer (geb. Rosenzweig) (1874–1924) in der ›Aktion‹ vom 21. Mai 1913 (Jg. 3, Nr. 21, Spalte 525–527 [›Glossen‹]). Darin charakterisiert sie Else Lasker-Schüler wie folgt: »Wie ein trotziger Knabe steht sie oben. Hinter dem Pult. Nur den Kopf sieht man und den schlanken Hals. Die kurzen braunen Locken der Pagenfrisur rahmen ein merkwürdig interessantes Gesicht ein. Das einer russischen Nihilistin gehören kann. Oder einem Propheten. Noch eine kurze Pause – dann beginnt sie zu lesen. Mit halbem Mund, die eine Seite ist bewegungslos. Und mit jedem Wort baut sie eine neue Welt auf, gibt den Bildern, die im Lesen manchmal unklar grau erschienen, Helle und Leuchtkraft, gibt ihnen Leuchtkraft, gibt ihnen Tiefe. Gibt ihnen Klang und Farbe.« – wegen Störung in der Nacht • Leopold B. Kreitner (1892–1969) berichtet über den Vorfall, der sich am 4. April 1913, am Vorabend der Lesung in Prag, abgespielt hat: »Ich glaube, daß es an einem Abend im Jahre 1913 war, daß die deutsche Dichterin Else Lasker-Schüler einmal der Ehrengast war. Sie hatte ein sehr affektiertes und übertriebenes Wesen. Gegen Mitternacht verließen wir alle (ich erinnere mich, daß Franz Werfel und Egon Erwin Kisch ebenfalls anwesend waren) die Veranstaltung, und unsere Besucherin – sie nannte sich ›Prinz von Theben‹ und versuchte angestrengt, auch so auszusehen – sank angesichts des wunderschönen Platzes, der mit seinen gotischen Türmen rechts und links in nahezu überirdisches Mondlicht getaucht war, auf ihre Knie nieder und begann, eine improvisierte Ode zu rezitieren. Ein Polizist griff ein und fragte sie, wer sie sei. Stolz erwiderte sie: ›Ich bin der Prinz von Theben‹, worauf Kafka korrigierte: ›Sie ist nicht der Prinz von Theben, sondern eine Kuh vom Kurfürstendamm.‹« (Leopold B. Kreitner, Der junge Kafka, in: »Als Kafka mir entgegenkam ...«. Erinnerungen an Franz Kafka, hg. von Hans-Gerd Koch, Berlin: Klaus Wagenbach, 1995, S. 45–54, Zitat S. 52 f.) – In der Zeitung ›Bohemia‹ (Prag) erschien anonym eine Notiz mit dem Titel ›Die Dichterin und der Polizist‹ (Jg. 86, Nr. 92 [Abend-Ausgabe] vom 5. April 1913, S. 2 [›Tagesnachrichten‹]): »Heute um 12 Uhr nachts erregte ein kurzer Vorfall die Beachtung der nächtlichen Passanten. Auf dem Altstädter Ring wurde eine abenteuerlich gekleidete Dame von einem Wachmann in brüsker Weise angefahren, weil sie mit verzückten Mienen und rhythmischen Schwingungen des Leibes unzusammenhängende Worte gegen das Firmament sang, in das die Silhouette der Theintürme schwarze Schatten schnitt. Die Dame, die ein schwarzes Gewand und um den Hals, der von schwarzen, wallenden Locken umsäumt war, ein Onyxkette trug, war Else Lasker-Schüler. Vergeblich machten die Begleiter der Dichterin, insbesondere Paul Leppin, den Polizisten darauf aufmerksam, daß es sich um einen exotischen Gast aus Theben handle (Else Lasker-Schüler spricht sich in ihren Gedichten immer als Prinz von Theben an), der hier ein morgenländisches Gebet verrichte. ›Das ist mir burscht!‹ antwortete der Wachmann, ›hier darfs niemand nicht singen‹ und forderte energisch die weltentrückte Dichterin zum Einstellen des Gesanges auf. Erschreckt fuhr diese zusammen und, erregt dem Wachmanne das Wort ›Prinz‹ ins Gesicht schleudernd, entfernte sie sich, den Blick unverwandt auf die mystische Silhouette am nächtlichen Himmel gerichtet.« – auf See • Die Schlussverse des Gedichts ›Hinter Bäumen berg’ ich mich‹ (Frankfurter Zeitung, Jg. 58, Nr. 357 [Viertes Morgenblatt] vom 25. Dezember 1913, S. 2; KA, Bd. 1.1, S. 151 f.) lauten: »Bin immer auf See / O, ich fühl, ich lande nie.« – Briefe an den blauen Reiter Franz Marc • Else Lasker-Schülers ›Briefe und Bilder‹, die ab dem 6. September 1913 zunächst in der ›Aktion‹ erschienen. Karl Kraus druckte keine fremden Beiträge mehr in der ›Fackel‹ ab (s. [80]). – Dr. Pagel • Gerhard Pagel (vgl. zu [108]). – Ihren Essay • ›Karl Kraus‹ (s. [24]).

[114] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Grunewald, wahrscheinlich unmittelbar vor dem 7. Mai 1913

Hochverehrter Dalai Lama.

Ich möcht Ihnen was schreiben – ich will Sie was bitten und nun müssen Sie mir die Freude machen, endlich mal einzuwilligen denn es betrifft meine zwei besten Kameraden. Der erste heißt Paul Leppin und heißt in Theben an meinem Hof, König von Böhmen; auch hab ich eines meiner Beduinenheere nach ihm genannt. O, Dalai Lama der König von Böhmen wohnt in Prag – war immer mein Freund, ist so arm, ist so groß herrlich und vornehm und schüchtern. Niemand kümmerte sich um seine Bücher und ich habe immer für seine Romane geschwärmt namentlich für den Daniel Jesus, der rasend ist. Ich bitte Sie lesen Sie sofort die vier Bücher, die ich Ihnen sende und sprechen Sie Selbst. Er und seine Frau waren so gut zu mir in Prag und auch die anderen. Bitte tun Sie etwas in der Fackel für seine Bücher. Nun da ich Paul Leppin direkt zu den Schriftstellern in Prag schleppte, schreiben die über ihn. – Denken Sie nur, er leidet an Angst wie ich so sehr und alles nur durch Not. Wollen Sie?

Der zweite Kamerad heißt Paul Hiller, (nicht Kurt) (nicht verwandt.) evangelisch. in Theben am Hof heißt er Sergius Prinz von Polen. Der ist erst 22 oder 23 Jahre – apart, ein junger Rampolla – von arm her. Kindlich, ewig Knabe, schön, sein Gesicht sind Dschungeln – Tigeraugen, große Güte und rasend begabt. Er schwärmt nur für Sie, möchte um den Dalai Lama sein – der Sekretair des Dalai Lama sein. Hier geht er kaput, da alle Männer ihn kaufen wollen. Wären Sie Hadrian müßten Sie ihn für unermeßlichen Reichtum kaufen. Er müßte in Seide gehn und Damast. Er ist Chemiker und Schriftsteller – klug zurückhaltend, empfindsam – wir spielen oft Prima oder Terzia. Bitte rufen Sie ihn nach Wien. Ich bin sehr eingenommen von Ihnen, Sire.

Prinz von Theben.

Paul Leppin. Prag-Weinberge

Luzi 33.

Sein neustes Buch erscheint wahrscheinlich auch bei Wolff-Rowohlt.

Paul Hiller. Berlin N. W. 87.

Agrikolastraße 34.

Hat Wolff Ihnen ein gebundenes Buch gesandt von mir mit Ihrem Essay. Herrlich ausgestattet.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157939). D: KA, Bd. 6, S. 326 f.

Am 7. Mai 1913 schreibt Else Lasker-Schüler an Paul Leppin: »Kraus telegraphierte, […] er will erst später die Bücher lesen.« (KA, Bd. 6, S. 331.) – König von Böhmen • Als »König von Böhmen« wird der Prager Schriftsteller Paul Leppin (1878–1945) zuerst in der elften Folge der ›Briefe nach Norwegen‹ bezeichnet: »Daniel Jesus, der König von Böhmen, ist hier; ich meine Paul Leppin.« (Der Sturm, Jg. 2, Nr. 87 vom [25.] November 1911, S. 693; KA, Bd. 3.1, S. 212.) In ›Der Malik‹, der elften Folge der ›Briefe und Bilder‹, heißt es: »Ich ernannte den König von Böhmen Daniel Jesus Paul zum Statthalter Meiner hochbeglückten Stadt Mareia.« (Der Brenner, Jg. 4, H. 19 vom 1. Juli 1914, S. 853; KA, Bd. 3.1, S. 326.) – Daniel Jesus • Paul Leppins Roman ›Daniel Jesus‹ (Berlin und Leipzig: Jacques Hegner, 1905) war von Else Lasker-Schüler im Januar 1908 in ›Das Magazin‹ (Jg. 77, H. 4, S. 65; KA, Bd. 3.1, S. 106 f.) besprochen worden. Die im Erstdruck ›Daniel Jesus‹ betitelte Rezension wurde 1913 in ›Gesichte‹ (S. 83 f.) mit dem Titel ›Paul Leppin‹ abgedruckt. – vier Bücher • Neben ›Daniel Jesus‹ hatte Paul Leppin drei weitere Bücher veröffentlicht: die beiden Prosabücher ›Die Thüren des Lebens‹ (Prag: Verlag Symposion, 1901) und ›Der Berg der Erlösung‹ (Berlin: Oesterheld & Co., 1908) sowie den Gedichtband ›Glocken, die im Dunkeln rufen‹ (Köln: Schafstein & Co., 1903). – seine Frau • Henriette Leppin (geb. Bogner) (1885–1946). – in Prag • Else Lasker-Schüler hatte am 5. April 1913 in Prag gelesen (s. [113]). – in der Fackel • Paul Leppin wird in der ›Fackel‹ nicht erwähnt. – Paul Hiller • Von ihm hatte Herwarth Walden das Gedicht ›Die indische Tänzerin‹ in den ›Sturm‹ (Jg. 3, Nr. 115/116 vom [29.] Juni 1912, S. 86) aufgenommen. – Rampolla • Mariano Rampolla del Tindaro (1843–1913), ab 1887 Kardinalstaatssekretär, war eine einflussreiche Persönlichkeit der katholischen Kirche im späten 19. Jahrhundert. – Hadrian • Hadrian (76–138), ab 117 römischer Kaiser. Else Lasker-Schüler spielt auf Hadrians Beziehung zu dem griechischen Jüngling Antinoos an, der nach seinem frühen Tod von Hadrian kultisch verehrt wurde. Im Juli 1911 hatte Else Lasker-Schüler im ›Sturm‹ das Gedicht ›Antinous‹ (Jg. 2, Nr. 69 vom [22.] Juli 1911, S. 549; KA, Bd. 1.1, S. 135 f.) veröffentlicht. – Sein neustes Buch • Paul Leppins Roman ›Severins Gang in die Finsternis‹ erschien 1914 im Delphin Verlag, München. – ein gebundenes Buch • ›Gesichte. Essays und andere Geschichten‹ war Anfang April 1913 bei Kurt Wolff erschienen. Darin enthalten ist Else Lasker-Schülers Essay ›Karl Kraus‹ (S. 66–68) (s. [24]). Kurt Wolff zeigte das Erscheinen des Buches (»Zur Versendung liegt bereit«) im ›Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel‹ (Leipzig) vom 3. April 1913 (Jg. 80, Nr. 75, S. 3463) an.

[115] Freianzeige in der ›Fackel‹

KURT WOLFF VERLAG, LEIPZIG | Soeben erschienen: || ELSE LASKER-SCHÜLER | GESICHTE | Essays und andere Geschichten || FRANZ WERFEL | WIR SIND | Neue Gedichte

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 15, Nr. 374/375 vom 8. Mai 1913, Innenseite des vorderen Umschlags.

Die Anzeige erschien auch in der ›Fackel‹ vom 30. Mai 1913 (Umschlag: Juni 1913) (Jg. 15, Nr. 376/377, Innenseite des vorderen Umschlags).

[116] Freianzeige in der ›Fackel‹

ELSE LASKER-SCHÜLER | GESICHTE | Essays und andere Geschichten | Kurt Wolff Verlag, Leipzig

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 15, Nr. 378/379/380 vom 16. Juli 1913, Innenseite des hinteren Umschlags.

Die Anzeige erschien auch in der ›Fackel‹ vom 17. November 1913 (Jg. 15, Nr. 387/388, Innenseite des vorderen Umschlags) und vom 15. Dezember 1913 (Jg. 15, Nr. 389/390, Innenseite des vorderen Umschlags).

[117] Freianzeige in der ›Fackel‹

Der Brenner | […] | Die Nummern 18, 19 und 20 enthalten: | Rundfrage über Karl Kraus | mit Vor- und Nachwort des Herausgebers und Antworten von: | Else Lasker-Schüler, Richard Dehmel, Frank Wedekind, Thomas Mann, Peter Altenberg, Georg Trakl, Otto Stoessl, Adolf Loos, Dr. S. Friedländer, Peter Baum, Carl Dallago, Arnold Schönberg, Prof. L. E. Tesar, Univ.-Prof. Dr. Walter Otto, Karl Borromäus Heinrich, Karl Hauer, Robert Scheu, Albert Ehrenstein, Dr. Lanz von Liebenfels, Hermann Wagner, Hermann Broch, Stefan Zweig | Thaddäus Rittner, Alfred Mombert, Richard Schaukal, Univ.-Prof. Marcel Ray, Willy Haas, Prof. Otto Rommel | Franz Werfel, Oskar Kokoschka

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 15, Nr. 378/379/380 vom 16. Juli 1913, Außenseite des hinteren Umschlags.

Die Anzeige erschien auch in der ›Fackel‹ vom 19. September 1913 (Jg. 15, Nr. 381/382/383, Innenseite des hinteren Umschlags). – Die ›Rundfrage über Karl Kraus‹ war am 15. Juni, am 1. Juli und am 15. Juli 1913 in drei Teilen im ›Brenner‹ (Jg. 3, H. 18, S. 835–852; H. 19, S. 898–900; H. 20, S. 934 f.) erschienen, der Beitrag Else Lasker-Schülers zuvor bereits im ›Sturm‹ vom 19. Mai 1910 (s. [24]). – Karl Kraus hatte am 29. März 1913 in München bei einem vom ›Brenner‹ veranstalteten Abend gelesen. Am 9. April veröffentlichte die Zeitschrift ›Zeit im Bild‹ einen Verriss der Lesung mit einer Karikatur von Ragnvald Blix. Vgl. Bold [d. i. Hans Michalski], Karl Kraus, in: Zeit im Bild, Jg. 11, Nr. 15 vom 9. April 1913, S. 770. Daran anknüpfend, erläutert Ludwig von Ficker am 9. Mai in einem Brief an Karl Kraus seinen Plan, sich mit einer »Rundfrage« an die Öffentlichkeit zu wenden. Er schreibt: »Das Schändliche, das in ›Zeit im Bild‹ über Sie zu lesen und zu sehen war […] – drängt mich zur Erfüllung einer Gewissenspflicht, die bereits im Sommer, wie Sie wissen, Gegenstand meiner Erwägung war, nämlich: durch eine Rundfrage das Urteil jener über Sie und Ihr Werk festzustellen, denen vielleicht weniger der innere Antrieb als vielmehr die äußere Gelegenheit fehlte, ihrer Stimme eine Geltung zu verschaffen, die nicht den Anschein allzupersönlicher Initiative erweckt.« (Erinnerung an den einen Tag in Mühlau, S. 58.)

[118] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Grunewald, Donnerstag, 11. September 1913

Venezianischer Cardinal,

Sonnabend kommt ein Brief an Sie, der Ihnen sicher gefällt.

Venezianischer Cardinal – Lindau hat schon geschrieben, die Fürstin wird schreiben entgültig würde Ihr Urteil sein für Dr. Eloesser Dramaturg am Lessingtheater Wenn Sie ihm über meine Wupper schreiben – daß er sie ja lese, führt er sie auf. Er sagte mir, wenn er wolle, würde sie aufgeführt. Sein Geld soll im Theater stecken. Er war sehr nett zu mir – sehr fein er. Bitte schreiben Sie ihm – das wäre großartig.

[Kopf Jussufs im Linksprofil mit Fes und Stern auf der Wange] Ihr Jussuf Prince Tiba.

Er war früher Kritiker.

Dr. Eloesser

Dahlmannstraße 29

Charlottenburg-Berlin.

bitte tun Sie es.

Lindau sagt, daß die Wupper auch materiell doll einschlüg.

Grunewald-Berlin

Humboldtstr. 13II.

Beiliegend Aktion Drucksache!

Keine andere Zeitung bringt Briefe.

Die Frankfurter Zeitung will durchaus ich soll einschicken.

Lieber Cardinal, sendet der Paul Hiller (ich habe nie bei meiner Seligkeit was mit ihm gehabt, er tat mir aber leid,) Briefe herum? Dr Hiller sagte es, der hatte eine ideale Schwärmerei für ihn.

Verzeihung das Durcheinanderschreiben, bitte

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158185). Datum von Helene Kann: »11. IX. 13«. D: KA, Bd. 6, S. 363.

ein Brief an Sie • Am 20. September 1913 erschien in der ›Aktion‹ die zweite Folge von Else Lasker-Schülers ›Briefen und Bildern‹ (s. [119]). Darin enthalten ist der Entwurf eines fiktiven Briefes an Karl Kraus. – Lindau • Paul Lindau (vgl. zu [95]). – Fürstin • Pauline Fürstin zu Wied (vgl. zu [71]). – Eloesser • Arthur Eloesser (1870–1938), Journalist und Literarhistoriker. Er wurde 1914 Dramaturg am Lessingtheater in Berlin. – meine Wupper • ›Die Wupper‹ wurde erst 1919 im Deutschen Theater in Berlin uraufgeführt. – Beiliegend Aktion • Am 6. September 1913 war in der ›Aktion‹ die erste Folge von Else Lasker-Schülers ›Briefen und Bildern‹ (Jg. 3, Nr. 36, Spalte 854–859; KA, Bd. 3.1, S. 299–306) erschienen. – Frankfurter Zeitung • Am 25. Dezember 1913 erschien in der ›Frankfurter Zeitung‹ das Gedicht ›Hinter Bäumen berg’ ich mich‹ (Jg. 58, Nr. 357 [Viertes Morgenblatt], S. 2; KA, Bd. 1.1, S. 151 f.). – Paul Hiller • Vgl. zu [114]. – Dr Hiller • Kurt Hiller (vgl. zu [68]).

[119] Else Lasker-Schüler, Briefe [2. Folge der ›Briefe und Bilder‹]

Briefe

Mein lieber, blauer Reiter.

Du freust Dich über meine »neue Liebe« – Du sagst das so leicht hin und ahnst nicht, daß Du eher mit mir weinen müßtest – denn – sie ist schon verloschen in seinem Herzen, wie ein bengalisches Feuer, ein brennendes Rad – es fuhr mal eben über mich. Ich erliege ohne Groll, dieser schweren Brandwunde. Könnte ich mich doch in mich verlieben, ich liege mir doch so nah – man weiß dann, was man hat. Ich werde eine Zeitschrift gründen, die wilden Juden; eine kunstpolitische Zeitschrift und ich schreib an Karl Kraus einen Brief, ungefähr so, hör: Lieber, verehrter, venezianischer Cardinal. Wie kommts, daß ich so oft Lust habe politische Briefe an Sie zu schreiben! Aber da ich es ausspreche, hört jede Diplomatie auf. Oder es wäre eine diplomatische Diplomatie. Ich bin wieder in Berlin wo ich hingehör denn ich setze mich immer wieder dorthin. Unbegreiflich! Von hier aus reist man im Gedanken oft nach anderen Städten, hier will man wenigstens fort; wo anders aber findet man Pendants, ich meine ähnliche Menschen wie man selbst ist, wenn auch verkitschte im prunkenden Rahmen. Ich bin lebensmüde und will abenteuerlich sterben. Ich habe alles satt, selbst das Laub an den Bäumen. Immer grün und immer grün. Wenn mir doch einmal zaubernde Menschen begegneten, ich meine solche, die große Wünsche hätten, sie sind alle ernsthaft, nur ich bin ernst. Ich bin so einsam – wer mich lange ansieht, fällt in einen Schacht. Sie sind glücklich, Cardinal; alle Menschen mit blauen Augen sind glücklicher als die, welche unbegreiflich in sich sehen, wie durch schwarz Seidenpapier. Ich wollt jemand schenkte mir einen Stern, mit dem ich mich ab und zu sichtbar machen könnte. Ich bin ruhlos aus banger Langweile geworden, was ich tue, wird zur Eigenschaft und gähnt. Sie verstehen mich und darum richte ich an Sie diesen Brief; vielleicht den letzten Brief, den ich überhaupt schreibe, mein endgültiges Abenteuer. Ich liebe keinen Menschen mehr auf der Welt, ich will auch von denen nichts wissen, die mir gut taten. Böstaten stacheln wenigstens an. Also wenn Sie mir meinen Wunsch nicht erfüllten, würde ich Ihnen im Grunde dankbarer sein; wohlwissend – Sie verschmähen die Dankbarkeit. Früher war ich Schauspielerin; nun sitz ich in der Garderobe und verbrenne den Zuschauern die Mäntel und Strohhüte. Ich bin eben enttäuscht. Ich habe immer nach der Hand gesucht, und was lag in meiner Hand – wenns gut ging – ein schwedischer Handschuh. Mein Gesicht ist nun wie Stein, ich habe Mühe es zu bewegen. Soll man stolz darauf sein; es braucht einem kein Denkmal mehr gesetzt werden. Wenn ich wenigstens an Festtagen geschmückt würde. Je mehr Angst ich habe, desto enormer wächst meine Furchtlosigkeit. Aber Angst habe ich immer; wo flattert ein Vogel in mir, kann nicht mehr aufsteigen. Wenn ich tot bin, wird eine Dame ihn am Hut tragen. Das tiefste und das schiefste Vermächtnis, das jemand hinterließ. Oder wollen Sie ihn haben im Glaskasten über Ihren Schreibtisch? Vielleicht fängt er morgens zu singen an. Auf dies Lied wartete ich ein Lebenlang. Also endlich mit der Sprache heraus, heil Dir im Siegerkranz – ich hat einen Kameraden – nun das österreichische Nationallied; den Marsch der Schellen und Dudelsäcke zu Theben – wollen Sie mein Journal die wilden Juden so unter Hand mitdrucken lassen; die Fackel merkts gar nicht und ich habe eine Existenz. Ihr

Sie bewundernder Jussuf, Prinz.

Meinst Du er täts Franzlaff?

Anmerkungen

Die Aktion, Jg. 3, Nr. 38 vom 20. September 1913, Spalte 906 f. (KA, Bd. 3.1, S. 306 f.).

1919 in ›Der Malik‹ (S. 15 f.; KA, Bd. 3.1, S. 439 f.) als ›Siebenter Brief‹ abgedruckt. Else Lasker-Schüler änderte: »was man hat.« in »was man hat. Wie soll ich mich zerstreuen?«, »venezianischer Cardinal. Wie kommts, daß ich so oft Lust habe politische Briefe an Sie zu schreiben! Aber da ich es ausspreche, hört jede Diplomatie auf. Oder es wäre eine diplomatische Diplomatie. Ich« in »österreichischer Kardinal, ich«, »denn ich setze« in »ich setze«, »Wünsche hätten, sie« in »Wünsche hätten, aber sie«, »Schacht« in »dunklen – Himmel« und »schwedischer Handschuh« in »Handschuh«. – blauer Reiter • Franz Marc (1880–1916), der Adressat der ›Briefe und Bilder‹. 1919 erschien ›Der Malik‹, die überarbeitete und erweiterte Buchausgabe der ›Briefe und Bilder‹, mit der Widmung: »Meinem unvergeßlichen Franz Marc | DEM BLAUEN REITER | in Ewigkeit«. – meine »neue Liebe« • Gottfried Benn (1886–1956), den Else Lasker-Schüler in ihren Dichtungen mit dem Namen »Giselheer« anspricht. Sie schreibt am Schluss der ersten Folge der ›Briefe und Bilder‹: »Du blauer Reiter, ich möcht’ Dir noch privatim was erzählen, aber sag es Niemand wieder, auch Mareien nicht. Ich hab mich doch wirklich wieder verliebt. Wenn ich mich tausendmal verliebte, ist es immer ein neues Wunder; eine alte Natur der Sache – wenn sich ein anderer verliebt. Du, er hatte gestern Geburtstag. Ich schickte ihm eine Schachtel voll Geschenke. Er heißt Giselheer. Er ist aus den Nibelungen.« (Die Aktion, Jg. 3, Nr. 36 vom 6. September 1913, Spalte 858; KA, Bd. 3.1, S. 304 f.) Zuvor waren im August 1913 Else Lasker-Schülers Gedichte an »Giselheer« erschienen: ›Giselheer dem Heiden‹, ›Giselheer dem Knaben‹ und ›Giselheer dem König‹ (Das neue Pathos, H. 3/4, S. 36–38; KA, Bd. 1.1, S. 149–151) sowie ›Giselheer dem Tiger‹ (Die Schaubühne, Jg. 9, Bd. 2, Nr. 34/35 vom 28. August 1913, S. 798; KA, Bd. 1.1, S. 145 f.). – die wilden Juden • Den Plan, eine Zeitschrift zu gründen, erwähnt Else Lasker-Schüler auch in den beiden Briefen an Karl Kraus vom 16. Oktober 1913 (s. [121]) und an Heinrich F. S. Bachmair vom 12. November 1913 (vgl. KA, Bd. 6, S. 377). – schwedischer Handschuh • Als ›schwedische Handschuhe‹ werden Wollhandschuhe mit traditionell schwedischen Mustern bezeichnet. Else Lasker-Schüler dürfte auf die Schwedin Nell Roslund (1887–1975) anspielen, die Herwarth Walden im November 1912 geheiratet hatte. – heil Dir im Siegerkranz • So lautet der Anfang der ab 1793 zu Ehren der preußischen Könige und ab 1871 zur Huldigung der deutschen Kaiser gesungenen Hymne. – ich hat einen Kameraden • »Ich hatt’ einen Kameraden«, lautet der erste Vers von Ludwig Uhlands (1787–1862) Gedicht ›Der gute Kamerad‹ (1809), das Friedrich Silcher (1789–1860) 1825 vertonte.

[120] Freianzeige in der ›Fackel‹

DER BRENNER | […] | Die Nummern 18, 19 und 20 enthalten: | Rundfrage über Karl Kraus | mit Vor- und Nachwort des Herausgebers und Antworten von: | Else Lasker-Schüler, Richard Dehmel, Frank Wedekind, Thomas Mann, Peter Altenberg, Georg Trakl, Otto Stoessl, Adolf Loos, Dr. S. Friedländer, Peter Baum, Carl Dallago, Arnold Schönberg, Prof. L. E. Tesar, Univ.-Prof. Dr. Walter Otto, Karl Borromäus Heinrich, Karl Hauer, Robert Scheu, Albert Ehrenstein, Dr. Lanz von Liebenfels, Hermann Wagner, Hermann Broch, Stefan Zweig | Thaddäus Rittner, Alfred Mombert, Richard Schaukal, Univ.-Prof. Marcel Ray, Willy Haas, Prof. Otto Rommel, Franz Werfel, Oskar Kokoschka | Diese Hefte, die bis auf einen ganz geringen Restbestand vergriffen sind, werden nur bei Nachbezug des ganzen Jahrganges abgegeben

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 15, Nr. 384/385 vom 13. Oktober 1913, Innenseite des vorderen Umschlags.

Die Anzeige erschien auch in der ›Fackel‹ vom 29. Oktober (Umschlag: von Anfang November) 1913 (Jg. 15, Nr. 386, Innenseite des vorderen Umschlags). – Ohne den Schlusssatz hatte Karl Kraus die Anzeige bereits in den beiden Ausgaben der ›Fackel‹ vom 16. Juli und vom 19. September 1913 abgedruckt (s. [117]).

[121] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Grunewald, Donnerstag, 16. Oktober 1913

Herrn Karl Kraus

Wien

Lothringerstr. 6

Östreich

Werter, lieber, blauäugiger Cardinal,

Ihre Fackel ist voll Ironie und Stärke aber nicht angezeigt meine Werke. Ich lebe mit mir in Unfrieden. Bekommen Sie immer die Aktion? In drei Nummern stehen schon meine Briefe. Ich wollt ich wär in Wien. wenn Sie mich doch mal kennen lernten! Ich habe immer Sehnsucht danach. Schade, daß Sie nicht mit Wolff sprachen – er hat Buch angenommen, aber noch keinen Contrakt gemacht. Ich fahr nach Leipzig. Ich hab wieder viel Gebild gemalt, ich sag Gebild aus Spott. Geben Sie die wilden Juden heraus, Cardinal? Oder soll ich zum Cirkus oder Raubmörder werden oder Judas? Oder entgültig König?

[auf der Außenseite des Faltbriefes:]

Ich les auch in Wien. Mein Agent: Stern.

Anmerkungen

H (Faltbrief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157916). Poststempel: Berlin-Grunewald, 16. 10. 13. D: KA, Bd. 6, S. 371.

nicht angezeigt meine Werke • In der ›Fackel‹ vom 13. Oktober 1913 war lediglich die ›Rundfrage über Karl Kraus‹ mit einem Beitrag von Else Lasker-Schüler angezeigt (s. [120]). – meine Briefe • Else Lasker-Schülers ›Briefe und Bilder‹. Die ersten drei Folgen waren in der ›Aktion‹ vom 6. und 20. September sowie vom 11. Oktober 1913 (Jg. 3, Nr. 36, 38 und 41, Spalte 854–859, 906 f. und 963 f.; KA, Bd. 3.1, S. 299–309) erschienen, die Ausgabe vom 20. September mit einem fiktiven Brief an Karl Kraus (s. [119]). – Buch angenommen • Im ›Verlag der Weißen Bücher‹, den Erik-Ernst Schwabach (1891–1938) 1913 zusammen mit Kurt Wolff gegründet hatte, erschien 1914 von Else Lasker-Schüler ›Der Prinz von Theben‹. – die wilden Juden • Siehe [119].

[122] Karl Kraus, Er ist doch ä Jud [Auszug]

Er ist doch ä Jud

[…] Ich weiß nicht, ob es eine jüdische Eigenschaft ist, das Buch Hiob lesenswert zu finden, und ob es Antisemitismus ist, das Buch Schnitzlers in die Ecke des Zimmers zu werfen. Und zu sagen, daß die Schriften der Juden Else Lasker-Schüler und Peter Altenberg Gott und der Sprache näher stehen, als alles was das deutsche Schrifttum in den letzten fünfzig Jahren, die Herr Bahr lebt, hervorgebracht hat. […]

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 15, Nr. 386 vom 29. Oktober (Umschlag: von Anfang November) 1913, S. 1–8, Auszug S. 6.

Bahr • Hermann Bahr (1863–1934), österreichischer Schriftsteller, einflussreicher Kritiker und Journalist, gegen den Karl Kraus in der ›Fackel‹ heftig polemisiert. Zusammen mit Goethe und Shakespeare zählt Bahr zu den in der ›Fackel‹ am häufigsten erwähnten Personen. – In der ›Fackel‹ vom 9. Oktober 1917 (s. [167]) zitiert Kraus einen Zeitungsbeitrag Hermann Bahrs, in dem Else Lasker-Schüler erwähnt wird.

[123] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Grunewald, Freitag, 31. Oktober 1913

[Stadt mit Sternen und Vollmond]

Venezianischer Cardinal.

Ihre Fackel hat mich sehr entzückt; ich war gerade im Begriff gegen den faulen Dr. Kurt Hiller ein Wort zu schreiben oder viele Worte, da kam Ihr rot Journal, ich las die Stelle wohl zehn Mal [sieben Sterne]

Dr. Hiller

saß im Gnu

[eiförmiger Kopf en face ohne Gesicht, dessen linkes Ohr verlängert zu einem Löffel, unter diesem zwei dampfende Mokkatassen mit kleinen Löffeln]

Wir hörten es alle

und pfiffen dazu.

Er sah aus wie ein Entenei

und lehrte, daß blaß Goethe sei.

Vor einem Jahr war Hoddis Goethe.

Bekommen Sie auch immer die Aktion? In 4 Aktionen schrieb ich nun; hab anders gar nichts mehr zu tun.

Morgen aber kommt Wolff aus Sachsen

Hoffentlich bin ich ihm gewachsen.

Ich habe jetzt einen Agenten, den Herausgeber der Neuen Hefte: Erich Baron, der macht meine Abende. Er schwärmt für Sie und möchte so schrecklich gern auch Ihre Abende machen. Scheints »ehrlich«. Was soll ich ihm sagen? Berlin W. Pfalzburgerstr. 82.

Die Venus [über dem V eine Mondsichel] schreibt mir immer so reizend. Ich schäm mich vor ihr, daß ich nicht mehr verdienen kann. Nun muß mir doch Wolff das neue Buch bezahlen, ich bitte morgen um Contrakt. O und so herrliche, neue Bilder wieder gemacht, venezianischer Cardinal. Aber am Abend wird es mir bang. – Mein Päulchen schreibt so niedliche Briefe und malt so gelungene Bilder, er ist meine einzige Sorge.

Die weißen Blätter haben Gedicht von mir genommen. Im Berliner-Tageblatt den Essay über Hellerau (unterzeichnet E. L.) hatte ich geschrieben. Ich geb mir Müh, aber ich kann nur spielen, auch in der Schreiberei. Ich wollt, ich wär ein Herumtreiber, [über dem H ein Hut mit einer Feder] ich möcht nur noch alles hin und her werfen. Gestern ging ich hier im Grunewald die Ringbahnstraße entlang, stand ein großer, großer Strauch voll lauter lila Blumen. Wenn Sie und ich zusammen vorbei gegangen wären, wir hätten stundenlang darüber gesprochen; sie sind alle hier zu dumm und voll von Papier was sie bekritzeln. Ich bin allein immer, zwar ist Dr. Ehrenstein jetzt hier, ich hab ihn dann abends für mich gemalt für die Aktion, aber das nützt auch nichts, auch den Pitter Boom hab ich wieder gezeichnet, vollständig ähnlich.

Ich bin immer ruhlos wie auf See, bei Tag gehts noch, aber in der Dunkelheit allein herumirren durch die Wellen ist kein Vergnügen.

Ich geh öfters nun wieder ins Café, aber auch langweilig dort. Denken Sie Sich, Cardinal, es hat mich auch wieder Jemand betrogen, nun glaub ich Niemand mehr – wer – käme auch in meine Quer. Denken Sie Sich, ich werd immer betrogen.

Ihr einsamer

Jussuf Prinz von Theben.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157934 und H. I. N. 158201). Datum von Helene Kann: »1. XI. 13«. D: KA, Bd. 6, S. 373 f.

Helene Kann dürfte das Datum des 1. November 1913 nach dem Poststempel des (nicht mehr erhaltenen) Kuverts ergänzt haben. Da der Besuch von Kurt Wolff in Berlin (»Morgen«) am 1. November stattfand (vgl. KA, Bd. 6, S. 375), wird Else Lasker-Schüler den vorliegenden Brief bereits am 31. Oktober geschrieben und am Tag darauf abgesandt haben. – Ihre Fackel • Die Ausgabe vom 29. Oktober 1913 (s. [122]). – Ihr rot Journal • ›Die Fackel‹ erschien mit einem roten Umschlag. – im Gnu • Im literarischen Kabarett ›Gnu‹ hatte Kurt Hiller (1885–1972) am 23. und 25. Oktober 1913 vorgetragen. Vgl. Kurt Hiller, Das Litterarische Cabaret Gnu, in: Revolution (München), Nr. 1 vom 15. Oktober 1913. – daß blaß Goethe sei • Wortspiel mit dem Namen des Schriftstellers Ernst Blass (1890–1939). In seinem Essay ›Ernst Blass‹, der am 25. September 1912 in der ›Aktion‹ (Jg. 2, Nr. 39, Spalte 1229–1231) erschienen war, schreibt Kurt Hiller: »Die Magie: das ist es! Blass hat sie; hat die Zauberfinger, die Zauberstimme, das Schmeicheln; hat die süsse Suggestion.« – Hoddis • Der Schriftsteller Jakob van Hoddis (1887–1942) gehörte zu den Organisatoren der Vortragsreihe ›Neopathetisches Cabaret für Abenteurer des Geistes‹, die von 1910 bis zum Frühjahr 1912 stattfand. Im ›Sturm‹ vom 17. November 1910 war von Else Lasker-Schüler der Essay ›Im neopathetischen Cabaret‹ (Jg. 1, Nr. 38, S. 304; KA, Bd. 3.1, S. 157) erschienen. – In 4 Aktionen • In der ›Aktion‹ vom 6. und 20. September sowie vom 11. und 18. Oktober 1913 (Jg. 3, Nr. 36, 38, 41 und 42, Spalte 854–859, 906 f., 963 f. und 992–994; KA, Bd. 3.1, S. 299–312) waren die ersten vier Folgen von Else Lasker-Schülers ›Briefen und Bildern‹ erschienen, die Ausgabe vom 20. September mit einem fiktiven Brief an Karl Kraus (s. [119]). – Erich Baron • Erich Baron (1881–1933) redigierte die Zeitschrift ›Neue Blätter‹, die in den Jahren 1912/13 erschien und in der Else Lasker-Schüler mit dem Essay und Gedicht ›Richard Dehmel‹ (Folge 3 [1913], H. 5, S. 5–9; KA, Bd. 3.1, S. 363 f.) vertreten ist. – Venus • Kete Parsenow. – das neue Buch • Im ›Verlag der Weißen Bücher‹, den Erik-Ernst Schwabach (1891–1938) 1913 zusammen mit Kurt Wolff gegründet hatte, erschien 1914 von Else Lasker-Schüler ›Der Prinz von Theben‹. – so niedliche Briefe • Paul Lasker-Schüler (1899–1927) besuchte vom Herbst 1913 bis zum Frühjahr 1915 das Landschulheim in der bei Dresden gelegenen Gartenstadt Hellerau. Aus dieser Zeit liegen im Nachlass Else Lasker-Schülers (The National Library of Israel [Jerusalem], Arc. Ms. Var. 501 [Else Lasker-Schüler Archive], Files 5:53–57) zahlreiche, zum Teil illustrierte Karten und Briefe Pauls an die Mutter. – Die weißen Blätter • Erst im April 1914 erschienen vier Gedichte Else Lasker-Schülers in den ›Weißen Blättern‹: ›Dem Abtrünnigen‹ (= ›Hinter Bäumen berg’ ich mich‹), ›Klein Sterbelied‹, ›O Gott‹ und ›Höre!‹ (Jg. 1, H. 8, S. 796–798; KA, Bd. 1.1, S. 151 f. und 171–173). – Essay über Hellerau • ›Ein ‚Schulheim‘‹ war – mit der Verfasserangabe »E. L.« – am 24. Oktober 1913 im ›Berliner Tageblatt‹ (Jg. 42, Nr. 541 [Morgen-Ausgabe]; KA, Bd. 3.1, S. 365 f.) erschienen. – für die Aktion • Die beiden »Tubutsch | (Dr. Albert Ehrenstein)« und »Peter Baum – dichtend« beschrifteten Zeichnungen erschienen in der sechsten Folge von Else Lasker-Schülers ›Briefen und Bildern‹ (Die Aktion, Jg. 3, Nr. 46 vom 15. November 1913, Spalte 1081 f.; KA, Bd. 3.1, S. 315 f.). – Ein Porträt Peter Baums war von Else Lasker-Schüler bereits in den ›Briefen nach Norwegen‹ veröffentlicht worden. Vgl. Der Sturm, Jg. 2, Nr. 84 vom [4.] November 1911, S. 671; KA, Bd. 3.1, S. 205. – auf See • Vgl. zu [113].

[124] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Grunewald, Mittwoch, 5. November 1913

Sir,

Ich bitte Sie Herrn Dr. K. – (den Anwalt meinten Sie doch wohl mit der Ehrengabe?) die Depesche zu übersenden. Ich habe mich mit meiner Stadt sehr gefreut, meine Neger tragen nun neue Mohrenmäntel und blaue Fez die ich einführte in den Vorhöfen meines Palastes. Ich selbst, Cardinal, bin tief vernichtet. Wollen Sie mir die Adresse des Anwalts angeben, daß ich ihm nochmals danke?

Ihr armer Prinz Jussuf

Anmerkungen

H (Postkarte): ?. D (nach: Briefe an Karl Kraus, S. 59 f.): KA, Bd. 6, S. 376 f.

Dr. K. • Viktor Kienböck (1873–1956), Jurist und Politiker, Rechtsanwalt von Karl Kraus. – Ehrengabe • Über diese berichtet Karl Kraus in der ›Fackel‹ vom 17. November 1913 (s. [125]).

[125] Karl Kraus, Unbefugte Psychologie [Hinweis]

Das ›Zentralblatt für Psychoanalyse und Psychotherapie‹ (Wiesbaden) hatte im September 1913 (Jg. 3, H. 12, S. 640–642 [›Aphorismen über die Psychoanalyse‹]) einige Aphorismen von Karl Kraus ohne Erlaubnis nachgedruckt. Diese waren zuvor in der ›Fackel‹ vom 30. Mai 1913 (Umschlag: Juni 1913) (Jg. 15, Nr. 376/377, S. 18–25 [›Nachts‹]) erschienen. Für die Veröffentlichung im ›Zentralblatt‹ hatte Kraus ein »Nachdruckshonorar« gefordert, »welches mit 50 Kronen – schon mit Rücksicht auf die odiose Umgebung der nachgedruckten Aphorismen – gewiß nicht zu hoch bemessen wurde. Der Herausgeber des ›Zentralblatts‹ wurde hierauf vom Rechtsanwalt aufgefordert, diesen Betrag abzureagieren, der, wie ihm mitgeteilt wurde, für Frau Else Lasker-Schüler bestimmt war, für jene Dichterin, die, wiewohl sie weit mehr für die Menschheit leistet, mit ihren eigenen Träumen auch nicht annähernd so viel verdient als ein Psychoanalytiker mit fremden.«

Die Fackel, Jg. 15, Nr. 387/388 vom 17. November 1913, S. 17–22, Hinweis auf S. 17 f.

[126] Karl Kraus, Notizen [Auszug]

Notizen

Zu meinem psychoanalytischen Abenteuer sei mitgeteilt, daß nicht nur in dummen Witzblättern – in nichtwissenschaftlichen –, sondern auch in der ›Zeitschrift des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller‹, lange nach der Aufklärung durch die Fackel, die Notiz fortwuchert:

Für Else Lasker-Schüler hatte ein Komitee von klangvollen Namen (Pauline Fürstin zu Wied, Helene Fürstin Soutzo, Selma Lagerlöf, Karin Michaelis, Richard Dehmel, Karl Kraus, Adolf Loos, Peter Nansen, Prof. Walter Otto und Arnold Schönberg) einen Aufruf erlassen. Das Ergebnis waren 11 Mark 5 Pf. Man wird diese Ziffer als ein Kulturdokument nicht vergessen dürfen.

Der Aufruf war zuerst auf dem Umschlag von Nr. 366/67 der Fackel erschienen und ging von da in die Tagespresse außerhalb Wiens über. Sechs Wochen später ergab die Sammlung 4660 Kronen und in Nr. 370/71 wurde mitgeteilt, daß der Scherz durch die Tölpelhaftigkeit einer Berliner Zeitung entstanden war, welche die Summe von 11 Mark, die ihr übermittelt wurde, besonders und auffällig ausgewiesen hat, anstatt den Empfang den Spendern brieflich zu bestätigen und stillschweigend die Summe der Sammelstelle (Prof. Otto) zu überweisen. Drei Monate später – viel dürfte wohl nicht mehr hinzugekommen sein – tauchte die Notiz im Fachblatt der Schriftsteller auf. Es weiß somit von der Existenz der Fackel genau so viel wie das im gleichen Verlag erscheinende ›Literarische Echo‹. Das deutsche Publikum, das die Wortführer dieser Fachjournalistik füttert, hat sich ja im Fall Lasker-Schüler nicht sehr angestrengt. Aber Ziffern, die sich berichtigen lassen, sind immerhin noch bessere Kulturdokumente als Zeitschriften, die die Wahrheit durch die Lüge berichtigen.

[…]

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 15, Nr. 387/388 vom 17. November 1913, S. 23–32, Auszug S. 23.

psychoanalytischen Abenteuer • Siehe [125]. – ›Zeitschrift des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller‹ • ›Der Schriftsteller. Zeitschrift des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller‹ (Berlin). Syndikus des 1909 in Berlin gegründeten Verbandes war bis 1924 Sammy Gronemann (1875–1952). Ein 1925 mit einem Exemplar der Zeitschrift verschicktes Mitgliederverzeichnis nennt 1651 Namen, darunter den Else Lasker-Schülers. – Im Jg. 3, H. 5/7 vom Juni 1913 war in der Rubrik ›Soziale Lage‹ (S. 69–71) folgende Notiz erschienen: »Für Else Lasker-Schüler hatte ein Komitee von klangvollen Namen einen Aufruf erlassen. Das Ergebnis waren 11,05 Mark. Man wird diese Ziffer als ein Kulturdokument nicht vergessen dürfen.« – Nr. 366/67 der Fackel • Siehe [107]. – Tagespresse außerhalb Wiens • Im ›Berliner Tageblatt‹ war der Spendenaufruf zugunsten Else Lasker-Schülers am 21. Januar 1913 (Jg. 42, Nr. 37 [Abend-Ausgabe]) abgedruckt worden, zehn Tage nach dem Erscheinen in der ›Fackel‹. Kurze Hinweise erschienen unter anderem im ›Hamburgischen Correspondenten‹ (Jg. 183, Nr. 37 [Abend-Ausgabe], Beilage, S. 2 [›Kleines Feuilleton‹]) und in den ›Münchner Neuesten Nachrichten‹ (Jg. 66, Nr. 35 [Vorabend-Blatt], S. 3 [›Literatur und Wissenschaft‹]) vom selben Tag. – Nr. 370/71 • Siehe [110]. – ›Literarische Echo‹ • ›Das literarische Echo‹, seit 1898 in Berlin erscheinende ›Halbmonatsschrift für Literaturfreunde‹.

[127] Karl Kraus, Notizen [Auszug]

Notizen

[…]

Welche kaum vorstellbaren Möglichkeiten das Sudelgewerbe bietet, zeigt die Affäre, die sich an die Sammlung für Else Lasker-Schüler geknüpft hat. Ist es ausdenkbar, daß in derselben Stunde, in der ich am Schreibtisch saß, um die Lüge zu zerstören, einer in Berlin, der dem Fall doch näher wohnt, am Schreibtisch saß, sie zu unterstreichen? Am 17. November erschien in der Fackel eine Notiz, die jetzt wiederholt werden muß, um bei den Schuldigen die Scham zu wecken und bei den Zeugen das Gefühl für die Schamlosigkeit:

[…]

Am 15. November erschien im ›Geistigen Eigentum‹ (Zeitschrift für Literatur und Pressewesen, Organ des Deutschen Schriftsteller-Verbandes, des Journalisten- und Schriftsteller-Vereins Urheberschutz, sowie des Deutschen Schriftstellerinnen-Bundes, mit der Beilage ›Der Bunte Abend‹: Organ der Vortrags-Vereinigung Deutscher Künstler, Charlottenburg, X. Jahrgang, Heft 4) das Folgende:

Ein Kulturdokument. In einer Schriftstellerzeitung findet sich folgende Mitteilung: »Für Else Lasker-Schüler hatte ein Komitee von klangvollen Namen einen Aufruf erlassen. Das Ergebnis waren 11·05 Mark. Man wird diese Ziffer als ein Kulturdokument nicht vergessen dürfen.« – »Das ist«, so schreibt dazu der ›Türmer‹, »in der Tat ein Kulturdokument, aber in einem etwas anderen Sinne, als die Veröffentlicher meinen. Es zeugt: 1. Wie vollkommen gleichgültig die Gesamtheit des Volkes diesen Kaffeehausberühmtheiten gegenübersteht, die einem als Kulturbildner aufgeschwatzt werden sollen. Daß diese die ›maßgebende Kritik‹ darstellenden Herrschaften zwar sehr freigebig mit Lorbeer, aber um so knauseriger mit ihrem Geldbeutel sind. Denn wenn die kritischen Lobhudler der Lasker-Schüler sich auch nur mit bescheidenen Gaben an der Spende beteiligt hätten, wäre ein anderes Ergebnis zustande gekommen. 3. In noch höherem Maße, als für die kritischen Lobredner, gilt das eben Gesagte für die Unterzeichner des Aufrufs. Es ist ja wunderbar bequem, andern Geldopfer als Kulturpflicht hinzustellen, sich selber aber mit einer Namensunterschrift zu begnügen, durch die man noch der eigenen Eitelkeit frönt. – Endlich aber offenbart sich hier aufs schroffste, welch roher und grober Unfug es ist, die Öffentlichkeit mit Dingen zu belästigen, die sie nichts angehen. Die Schriftstellerorganisationen sollten es sich zur Aufgabe machen, alle derartigen unwürdigen Betteleien unmöglich zu machen, statt sie noch zu unterstützen; denn nichts kann den Stand so schwer schädigen, wie diese Almosengesuche an die Allgemeinheit, die dadurch nicht besser werden, daß sie in hochmütigem Tone vorgetragen werden.« Diese Ausführungen des ›Türmer‹ können wir Wort für Wort unterschreiben; sie decken sich zum Teil mit unseren Ausführungen über den »geschminkten Stil«. Wir müssen uns dagegen wehren, daß uns Autoren, die ihre Talentlosigkeit mit krausen Worten aufputzen, die kein Mensch zu verstehen vermag, als Genies aufgeschwatzt werden. Der Vorgang zeigt auch, daß das deutsche Volk, das sich noch immer für Schiller, Goethe, Lessing, Uhland, Kleist, Heine begeistert, von den modernen Kaffeehausdichtern nichts wissen will. Das zeugt von dem gesunden Urteil des deutschen Volkes, das im übrigen nicht nötig hat, gerade bei dieser Gelegenheit seine Freigebigkeit und Opferwilligkeit zu dokumentieren. Diese Opferwilligkeit hat es hundertfach bei großen würdigen Aufgaben bewiesen. Hier hat es eine Forderung abgelehnt, die gar nichts mit der Kunst und nichts mit den Interessen des deutschen Volkes zu tun hat, und die auch literarische Kreise ganz richtig als unwürdige Bettelei empfunden haben.

Was den ›Türmer‹ betrifft, der ehedem nach einem Tauschexemplar der Fackel ausgelugt hatte, so habe ich das seine wegen Langweile zurückgeschickt. Daß er auch frech sein kann, habe ich beim flüchtigen Gähnen nie bemerkt. Er ist eine der allerdümmsten deutschen Revuen und es ist natürlich ganz gleichgiltig, wie er und seine »literarischen Kreise« über Else Lasker-Schüler denken. Es ist auch gleichgiltig, daß er sich über die 11 Mark, die er einem witzigen Schmock geglaubt hat, seine Gedanken macht. Da ein anderes Ergebnis zustandegekommen ist, so sind seine Betrachtungen darüber, daß ein anderes Ergebnis zustandegekommen wäre, wenn die Lobhudler mehr gespendet hätten, überholt. Aber für die Bemerkung, daß es wunderbar bequem sei, »sich selber mit einer Namensunterschrift zu begnügen, durch die man noch der eigenen Eitelkeit fröhnt«, muß er eins auf die Goschen bekommen. Er kann ja noch immer nicht wissen, ob und wieviel die Unterzeichner gespendet haben, es ist auch nicht nötig, es ihm auf die Nase zu binden, aber mit jenen Spenden, die ich für ein Lügenmaul bereit habe, bin ich gar nicht knauserig, sondern sehr freigebig, das kann er mir glauben. Von dieser Opferwilligkeit lasse ich gern auch etwas dem Fachblatt zukommen, das nicht anders kann, als die Ausführungen des ›Türmer‹ Wort für Wort zu unterschreiben. Schreiben kann es nicht, aber eine Lüge unterschreibt es gern und einen Aufruf für einen Dichter unterzeichnet es prinzipiell nicht. Es ist ja auch hier wieder ganz gleichgiltig, wie solche Knechte über eine Lasker-Schüler denken und ob ein Wisch, der im ›Bunten Abend‹ Verse von Kaffeeschwestern bringt, einen Dichter unter die Kaffeehausdichter rechnet. Aber die unvergängliche Dreckigkeit, die in dem Glauben warm wird, daß das deutsche Volk seine Künstler verhungern läßt, es darin bestärkt und ganz gewiß entsetzt sein wird, zu erfahren, daß dies nicht einmal der Fall ist und daß für Else Lasker-Schüler fast 5000 Mark zustande gekommen sind – die ist schon kein Kulturdokument, sondern ein Fibelstück. Von solchem Pöbel, der die Interessen der deutschen Schriftsteller und Schriftstellerinnen schützt, ist nicht zu erwarten, daß er eine Lüge freiwillig berichtigt. Es ist auch schade um die Mühe, ihn zur Berichtigung zu zwingen. Es genügt, daß der Fall als eine Aussage über den Stand deutscher Sitte und deutschen Geistes von 1913 aufgehoben wird. Was hier vorliegt, ist Deutschlands geistiges Eigentum. Was hier beiliegt, ist Deutschlands bunter Abend.

[…]

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 15, Nr. 389/390 vom 15. Dezember 1913, S. 13–27, Auszug S. 14–17.

die Sammlung für Else Lasker-Schüler • Am 11. Januar 1913 war in der ›Fackel‹ ein Spendenaufruf zugunsten Else Lasker-Schülers erschienen (s. [107]). – in der Fackel eine Notiz • Siehe [126]. – im ›Geistigen Eigentum‹ • [Anonym,] Ein Kulturdokument, in: Geistiges Eigentum (Charlottenburg), Jg. 10, H. 4 vom 15. November 1913, S. 56 (Hervorhebungen von Karl Kraus). – Schriftstellerzeitung • ›Der Schriftsteller‹ (s. [126]). – der ›Türmer‹ • St., Ein Kulturdokument, in: Der Türmer, Jg. 16, Bd. 1, H. 2 vom November 1913, S. 329 f. – ›Der Türmer. Monatsschrift für Gemüt und Geist‹ war eine nationalkonservative Zeitschrift, die in Stuttgart bei Greiner und Pfeiffer erschien.

[128] Karl Kraus, Nachts [Auszug]

Nachts

[…]

»Gut, daß ich Sie treffe. Sie verkehren nicht mehr mit Kohner?« »Nein, denn ich habe nie mit ihm verkehrt, ich habe ihn nie gesehn, ich weiß nicht, daß er lebt.« »Wie ist denn das möglich? Sie müssen Kohner gekannt haben, Sie erinnern sich vielleicht nur nicht.« »Mein Gedächtnis ist gut, aber der Name ist mir unbekannt, ich hätte mir ihn gemerkt, da ich Kohn kenne, aber auch mit diesem nicht verkehre. Was ist’s mit Kohner?« »Er erzählt, er sei mit Ihnen täglich beisammen gewesen, Sie waren intim befreundet, nur einmal widersprach er, da er Ihre Schätzung der Dichterin L. nicht mitmachen konnte. Da haben Sie sich erhoben und ihm gesagt, daß Sie unter solchen Umständen nicht länger mit ihm verkehren können, und haben ihm am nächsten Tag das Abonnementgeld der Fackel zurückschicken lassen. Etwas muß doch an der Geschichte wahr sein!« »Alles. Ich habe oft Abonnementgelder zurückschicken lassen. Das weiß Kohner. Ich schätze die Dichterin L. Damit dürfte Kohner nicht einverstanden sein. Ich habe ihn hinausgeworfen –« »Nun also –« »Aber ich habe ihn nicht gekannt.« »Ich verstehe nicht –« »Die Bekanntschaft bestand im Hinauswurf.« »Wie ist das möglich?« »Kohner nimmt mit Recht an, daß ich ihn hinausgeworfen hätte, wenn ich ihn gekannt hätte. Da ich ihn aber nicht gekannt habe, so will er sich wenigstens den Hinauswurf sichern.« »Warum?« »Weil ihm das nützt.« »Wieso?« »Es ist eine Beziehung in den Augen der Anhänger und es macht bei den Gegnern beliebt.« »Sie haben ihn aber nicht hinausgeworfen?« »Doch, metaphysisch.« »Das verstehe ich nicht.« »Wissen Sie, wie Gerüchte entstehen?« »Nein.« »Genau so entstehen die Menschen meiner Bekanntschaft.«

[…]

Anmerkung

Die Fackel, Jg. 15, Nr. 389/390 vom 15. Dezember 1913, S. 28–44, Auszug S. 30 f.

[129] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Grunewald, Sonntag, 18. Januar 1914

Cardinal!

Ich habe mich nun zum wiederholten Mal erhängt – wer schnitt mich immer ab – Kleine grobe Fäden hängen nun an mir mit dem Preis. Ich lach, ich bin nix mehr wert. Ich malte Ihnen mein Selbstportrait zum Neujahrfest – soll ich es senden? Es ist gut.

Privat

In Berlin gönnt mir Niemand, daß Sie so schön von mir schreiben – nur der Franz Werfel. Leipzig. Königstr. 10 (Verlag) Wenn Sie ihm mal schreiben, freut er sich. Er spricht von Ihnen herzerfüllt und sonnig und nicht wie die Andern – wenn die sich begeistern – in der Furcht des Rennens; aber der Franz Werfel, der schnitzt ihn selbst um Ihr hochwürdiges Gemälde, Cardinal. Ich kann das nicht mehr – ich bin nicht einmal bei mir – ich bin ganz fort und erscheine mir nur immer selbst, Gespenst, Feuersäule, Klopfen; ich kenn nur noch Paradiesnacht oder Jenseits. Die große Genügsamkeit, Welt ohne Farbe, ohne Verlangen, ohne Greifen und Fühlen wollen – die große Genügsamkeit das ist es. Vor einigen Tagen war ich gestorben, wie ruhete ich so aus, nicht einmal weckte mich das Begräbniß oder die angetrunkene Trauer des Predigers das Tropfen falscher Thränen. Ich bin alle, ich hasse das Erwachen am Morgen, da ich die Welt hasse, ich mag nicht schlafen, da ich von der Welt träume. Ich hasse die Juden als David, ich erwürge den Christen als Indianerjude. Was soll ich?

Jussuf

Den 19. red ich bei Cassirer Victoriastr 35. Falls Sie in Berlin sind, Cardinal.

Anmerkungen

H (Brief): ? (Xerokopie vorhanden). Datum von Helene Kann: »18. I. 14«. D: KA, Bd. 7, S. 14 f.

so schön von mir schreiben • Karl Kraus hatte sich zuletzt am 15. Dezember 1913 in der ›Fackel‹ für die Belange Else Lasker-Schülers eingesetzt (s. [127]). – Den 19. red ich bei Cassirer • Else Lasker-Schüler las am 19. Januar 1914 bei einem Vortragsabend im Salon Paul Cassirer. In einer anonym erschienenen Besprechung (›Else Lasker-Schüler‹) des ›Berliner Tageblatts‹ vom 22. Januar 1914 (Jg. 43, Nr. 38 [Morgen-Ausgabe], 1. Beiblatt) heißt es, Else Lasker-Schüler habe unter anderem »verschiedene ihrer hebräischen Balladen« vorgetragen.

[130] Freianzeige in der ›Fackel‹

In zweiter vermehrter Auflage erschienen: | ELSE LASKER-SCHÜLER | HEBRÄISCHE BALLADEN | A. R. Meyer Verlag, Berlin-Wilmersdorf | 50 Pfennige | Zu beziehen durch alle Buchhandlungen

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 15, Nr. 391/392 vom 21. (Umschlag: von Mitte) Januar 1914, Innenseite des vorderen Umschlags.

Die Anzeige erschien auch in der ›Fackel‹ vom 21. (Umschlag: von Ende) April 1914 (Jg. 16, Nr. 398, Innenseite des vorderen Umschlags).

[131] Karl Kraus, Notizen [Hinweis]

Stellungnahme zur ›Rundfrage über Karl Kraus‹, die in drei Teilen im ›Brenner‹ (Jg. 3, H. 18 vom 15. Juni 1913, S. 835–852; H. 19 vom 1. Juli 1913, S. 898–900; H. 20 vom 15. Juli 1913, S. 934 f.) erschienen war: Else Lasker-Schüler, die ihren Beitrag, den Essay ›Karl Kraus‹, zuerst im ›Sturm‹ vom 19. Mai 1910 veröffentlicht hatte (s. [24]), wird von Karl Kraus in der Liste der Beiträger aufgeführt. – Siehe [117] und [120].

Die Fackel, Jg. 15, Nr. 391/392 vom 21. (Umschlag: von Mitte) Januar 1914, S. 22–30, Hinweis auf S. 24.

[132] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Grunewald, Donnerstag, 12. Februar 1914

Lieber venezianischer Cardinal.

Ich war sehr krank lieg noch in meiner Festung einsam wie ein vom Sturm verwaister, verwehter, verwundeter Soldat auf dem Schlachtfeld oder wo im Graben. Mein Zimmer ist ein dunkler Graben es gehören Ratten hinein. Ich hab in den Nächten der Fiebermelodien den schiefen Turm von Pisa grade gemacht, ich habe 25 Schweine und 25 Hunde verhungern lassen – wurde dann nachher von Negern gelyncht. Ich trug einen Backenbart – unnatürlich – doch es hatte Methode. Ich schrieb eine Ode an Sie, die so bunt ist, daß man sich nicht mehr herausfinden kann. Wo ist Werfel? Wir sollen zusammen vortragen. Ich habe Sie herrlich gezeichnet im Cardinalsmantel, jung wie Sie sind – venezianisch. Werfen Sie nun alle Bilder fort – sie sind nichts dagegen. Ich habe Werfel gezeichnet mit der Rose auf der Wange. Blei hasse ich – ich möcht ihn töten.

Ich schrieb es Schwabach schon.

Blei: Rococoesel, kriechender Jesuitenschleim, versäuertes Kataplasma mit Brille. Kunstgewerblicher Devotismus. Ich bekomme 100 Mk monatl. von Schwabach; er ist fein. Aber das andere Geld muß ich weiter rauben. Ich bin am Ende meines Herzens wo kein Rot mehr ist.

Ihr gequälter, armer

Jussuf von Theben.

Grunewald-Berlin

Humboldtstr. 13II

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157935). Datum von Helene Kann: »12. II. 14«. D: KA, Bd. 7, S. 17 f.

zusammen vortragen • Am 24. März 1914 las Else Lasker-Schüler zusammen mit Franz Werfel in der ›Frankfurter Loge‹. Den Verlauf des Abends hielt der junge Wieland Herzfelde (1896–1988) im Tagebuch fest. Er schreibt: »Plötzlich wurde es dunkel und Frau Lasker-Schüler trat vor die Bühne. Der erste Eindruck übertraf weitaus meine Erwartungen. Sie hatte ein blaues Seidengewand an. Weite Hosen, silberne Schuhe, eine Art weite Jacke, die Haare wie Seide, tiefschwarz, wild zuweilen, dann wieder sinnlich sanft.« Weiter heißt es: »Ich dachte immer, sie spräche sanft, traurig, träumend. Hart, gläsern waren ihre Worte. Wie Metall glühten sie. Niemals bebten sie. Und ganz plötzlich brachen die Gedichte immer ab. Man erschrak jedesmal. Ich mußte mich erst gewöhnen. Das war kein Sprechen, das war Singen, ekstatisch, ewig tönend, wie das Zaubergebet eines orientalischen Propheten.« (Wieland Herzfelde, Else Lasker-Schüler. Begegnungen mit der Dichterin und ihrem Werk, in: Sinn und Form, Jg. 21 [1969], H. 6, S. 1294–1325, Zitate S. 1307.) – gezeichnet im Cardinalsmantel • Eine mit »Karl Kraus« beschriftete Zeichnung nahm Else Lasker-Schüler in ›Der Malik‹, die elfte Folge der ›Briefe und Bilder‹, auf, die am 1. Juli 1914 im ›Brenner‹ erschien (s. [151]). Reproduziert ist lediglich eine Profilzeichnung. – Else Lasker-Schüler hatte die Zeichnung zuvor an Franz Pfemfert (s. [145]) für eine Reproduktion in der ›Aktion‹ übersandt. – mit der Rose auf der Wange • Die mit »Prinz Benjamin« beschriftete Zeichnung veröffentlichte Else Lasker-Schüler in der zehnten Folge der ›Briefe und Bilder‹, die am 21. Februar 1914 in der ›Aktion‹ erschien (s. [133]). – Blei • Der aus Wien gebürtige Schriftsteller Franz Blei (1871–1942). Er schrieb regelmäßig Beiträge für die von Franz Pfemfert herausgegebene Zeitschrift ›Die Aktion‹ und für ›Die weißen Blättern‹, die Erik-Ernst Schwabach (1891–1938) im Herbst 1913 gegründet hatte. – 100 Mk monatl. von Schwabach • Erik-Ernst Schwabach hatte 1913 zusammen mit Kurt Wolff in Leipzig den ›Verlag der Weißen Bücher‹ gegründet und am 20. Januar 1914 mit Else Lasker-Schüler einen Vertrag (Deutsches Literaturarchiv Marbach [Zugangsnummer: 93.65.32]) über ihre »im Laufe der nächsten 3 Jahre verfassten Bücher« geschlossen. Der Vertrag sicherte ihr »auf ein Jahr vom 1. Januar 1914 bis 31. Dezember 1914 monatlich M 100,–« zu, »die als Vorschuss auf die einzelnen Bücher, über die je ein besonderer Vertrag zu machen ist, verrechnet werden.«

[133] Else Lasker-Schüler, Briefe und Bilder [10. Folge; Auszug]

Briefe und Bilder

Briefe und Bilder

Lieber Bruder, Ich sende Dir die Bilder der zwei abendländischen Dichter, die Mir wert sind. Den Dichter Richard Dehmel werde ich zu Meiner Krönung den Kalifenstern, den Dichter Franz Werfel, die goldene Rose überreichen lassen. Der venezianische, österreichische Cardinal weilt seit einigen Tagen in meiner Stadt Theben. Seine milden, blauen Augen sind zwei Sehenswürdigkeiten. Abigail.

Briefe und Bilder

[…]

Anmerkungen

Die Aktion, Jg. 4, Nr. 8 vom 21. Februar 1914, Spalte 170 f., Auszug Spalte 170 (KA, Bd. 3.1, S. 323 f.).

Die Zeichnungen sind beschriftet: 1) »Prinz Benjamin | (Franz Werfel)«; 2) »Richard Dehmel«. – 1919 in ›Der Malik‹ (S. 31 f.; KA, Bd. 3.1, S. 456) als ›Achtunddreißigster Brief‹ abgedruckt. Die beiden Zeichnungen sind dort mit »Franz Werfel, Prinz von Prag« und »Richard Dehmel, der Waldfürst« beschriftet. Der zweite Satz lautet in ›Der Malik‹: »Dem Dichter Richard Dehmel werde ich zu Meiner Krönung den Kalifenstern, dem Dichter Franz Werfel die goldene Rose überreichen lassen.« Zudem änderte Else Lasker-Schüler »venezianische, österreichische Cardinal« in »österreichische Kardinal Karl«.

[134] Karl Kraus, Notizen [Auszug]

Notizen

[…] Der ›Türmer‹ ist also, wie man jetzt weiß, erhaben über den Verdacht, Else Lasker-Schüler für eine Dichterin zu halten. Welche Dichterinnen er für solche hält, weiß ich nicht, da ich ihn, wie man jetzt weiß, zurückgeschickt habe. […]

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 15, Nr. 395/396/397 vom 28. März (Umschlag: März – April) 1914, S. 19–47, Auszug S. 28.

›Türmer‹ • Im ›Türmer‹ war eine polemische Stellungnahme zum Spendenaufruf zugunsten Else Lasker-Schülers erschienen (s. [127]).

[135] Karl Kraus, Notizen [Hinweis]

Karl Kraus hat aus dem Nachlass des Tierarztes Karl Kohl, der am 24. Oktober 1913 in Wien gestorben war, 200 Kronen »als Beitrag für Verlagsspesen« erhalten: »Der Verlag stellt fest, daß der Verstorbene, der seit dem 195. Heft Abonnent war, von seinem letzten Abonnement nur zwölf Hefte bezogen hat und daß sich somit die Summe von 200 Kronen um 6 Kronen zu Gunsten jener drei Schriftsteller vermehrt, denen sie zu gleichen Teilen überwiesen werden soll: Else Lasker-Schüler, Peter Altenberg und Georg Trakl.«

Die Fackel, Jg. 15, Nr. 395/396/397 vom 28. März (Umschlag: März – April) 1914, S. 19–47, Hinweis auf S. 32.

[136] Karl Kraus, Notizen [Auszug]

Notizen

[…] Ich weiß, daß jeder, der heute eine Rezension schreibt, ein Gedicht machen kann, und umgekehrt. Es ist gehupft wie gesprungen, geurteilt wie gefühlt. Es sind Lyrikaster, die sich jeweils erst für das Genre entscheiden; während, ob sie lieben oder hassen sollen, nicht einmal sie selbst entscheiden, sondern die Persönlichkeit, die es angeht. Es ist alles ins Maßlose getriebener Dreck, der sein Talent von der Zeit erhält, dieser scheinbarsten Schöpferin. Es gibt einen Peter Altenberg und es gibt eine Lasker-Schüler, Kräfte, die mit den Sonderbarkeiten, die der weibliche Zusatz bedingt, eben jenes Scheinmenschentum in der Literatur angeregt haben, das nur aus dem Minus schafft. Man stoße es rechtzeitig aus dem Kosmos in die Druckerschwärze, in der es doch irgendeinmal aus sozialer Notwendigkeit untergehen wird. […]

Anmerkung

Die Fackel, Jg. 15, Nr. 395/396/397 vom 28. März (Umschlag: März – April) 1914, S. 19–47, Auszug S. 45 f.

[137] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Frankfurt am Main, Dienstag, 31. März 1914

Venezianischer Cardinal.

Ich weiß nicht mehr vom vielen Speerwerfen

Die zarte Feder zu führen.

Ich komm vom Leben gestorben hin

Vom Tode sturmatmend her.

Ich bin Jessay ohne Fels

Prometheus ohne Adler

Jude ohne Gott –

Ohne diese Untastbarkeit

Zerrinnen meine Monde.

Alle wollen schreiten

Und können es nicht.

Ich wußte zu stampfen

Und hatte keinen Boden.

Ich bin am Verwesen

Meine Seele ist der arme Heinrich.

Schlaff hängt Wildwein

Von meinem Herzen herab.

Kein Wetterleuchten, höre keinen Ruf,

Häuptling, wilde Stämme!

So kann ich Euch nur danken, vieledler, schöner Cardinal. Und seid für mich gestorben

Damit Ihr mir das Geld geben konntet.

Das andere Mal, wieset Ihr auf Euch

Da Ihr nicht genannt werden wolltet.

So erkenne ich Fürsten und Cardinäle.

Euer dankbarer,

Euchliebender

Jussuf Prinz von Theben

Basileus und Malik.

[Fes]

[Stadt mit Mondsichel und zwei Sternen]

Ich bin am 1. zur Vorlesung in Berlin und komme selbstredend.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157937). Briefbogen ›Hôtel Deutscher Kaiser und Kaiserhof‹, Frankfurt am Main. Datum von Helene Kann: »31. III. 14«. D: KA, Bd. 7, S. 25 f.

Else Lasker-Schüler hatte am 24. März 1914 in Frankfurt gelesen (vgl. zu [132]). – Jessay ohne Fels • Zum Apostel Petrus (griech. petros: Fels) spricht Jesus: »Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen« (Matthäus 16,18). – der arme Heinrich • Titelheld der um 1195 entstandenen Verslegende ›Der arme Heinrich‹ von Hartmann von Aue. Der ganz den Freuden des irdischen Lebens hingegebene Heinrich erkrankt an Aussatz und wird durch Entsagung auf den rechten Weg zu Gott und zur Genesung von seiner Krankheit geführt. – das Geld • Siehe [135]. – Das andere Mal • Else Lasker-Schüler dürfte auf das »Nachdruckshonorar« anspielen, das Karl Kraus im Herbst 1913 durch einen Anwalt eingefordert und gestiftet hatte (s. [124] und [125]). – am 1. • Karl Kraus las am 1. April 1914 in Berlin im Großen Saal des Architektenhauses aus eigenen Schriften.

[138] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Grunewald, Mittwoch, 15. April 1914

[Mondsichel]

Edler Cardinal,

ich bitte Sie recht sehr auch Ihre Unterschrift zu geben – kein Geld dazu natürlich nicht – das ist nicht gemeint. Durch Ihrer aller Unterschriften kommt Geld. Bitte beschämen Sie mich nicht mit Geld hierfür.

Ihr Prinz.

Bitte sofort zurück!

Else L-Sch.

Grunewald-Berlin

Humboldtstr. 13II.

Kann manche Tage nicht schreiben, leide an – verflucht noch mal – Schreibkrampf ganze Hand zieht sich zusammen beständig.

Was soll ich tun?

Wenn aufgeführt, sagt Lindau, dann verdien ich viel Geld damit

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157918). Datum von Helene Kann: »15. IV. 14«. D: KA, Bd. 7, S. 30 f.

kommt Geld • Else Lasker-Schülers Geldsammlung dürfte in Zusammenhang mit ihren Bemühungen um eine Freilassung des Publizisten Senna Hoy (urspr. Johannes Holzmann) (1882–1914) stehen, der 1907 in Russland unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer anarchistischen Organisation verhaftet und zu einer Zuchthausstrafe von fünfzehn Jahren verurteilt worden war. Er blieb bis zu seinem Tod eingekerkert. Else Lasker-Schüler hatte sich im November 1913 in Moskau und Sankt Petersburg aufgehalten und sich vergeblich um eine Freilassung Senna Hoys bemüht. Sie berichtet über ihre Reise vor allem in den beiden Briefen an Karl Kraus vom 30. April (s. [140]) und vom 16. Mai 1914 (s. [146]). – Wenn aufgeführt • Else Lasker-Schülers Schauspiel ›Die Wupper‹, das erst 1919 uraufgeführt wurde. – Lindau • Paul Lindau (vgl. zu [95]).

[139] Franz Werfel an Else Lasker-Schüler
Leipzig, nach dem 21. April 1914

Liebe Frau Lasker-Schüler,

Ihr Brief kränkt mich sehr!

Aber ich weiß, daß Sie mich gegen Ihr Herz darstellen und gegen Ihre Vernunft für etwas halten, was ich nicht bin. Es muß ein böser Planet zwischen uns gefahren sein, sonst könnten Sie nicht glauben, daß dieser Satz von der Verwehrung Ihrer Wünsche nach dem Empfang einer Schwabachschen Rente jemals über meine Lippen kam. – Sie sprachen von diesem Ausspruch, der irgendwie ein grauenhafter Irrtum sein muß, auch zu Fritz Pollak, ehe ich noch in Frankfurt war. Bei meiner Ankunft erzählte er es mir gleich. Ich war deshalb oft getrübt in Frankfurt.

Sie schreiben Sie hätten in hundert Dingen Taktlosigkeiten von mir erfahren. Ich schwöre, daß ich zu Ihnen immer das redlichste Gefühl von Kameradschaft, Freundschaft, und Verehrung hatte, und wenn ich Sie einmal bei Lene Kainer verletzt habe, so war das keine Schlechtigkeit und Niedrigkeit, die aus mir kam, sondern ein zufälliges Zusammentreffen von Worten, die Sie schwer nahmen, obgleich sie ganz selbstverständlich und unschuldig gemeint waren.

Dagegen haben Sie mich in Ihrem Brief viel schwerer beleidigt, als ich es mir Ihnen gegenüber bewußt bin.

Die paar Worte, die ich im Schwabachschen Verlage zu Ihren Gunsten gesprochen habe, habe ich niemals für eine Tat oder nur erwähnenswert gehalten! Wenn Sie ehrlich sind, werden Sie sich nicht eines Gesprächs erinnern können, wo ich das Thema nicht gleich von dieser Tatsache ablenkte. –

Sie aber tun in Ihrem Brief so, wie wenn ich mich als Gläubiger fühlte und sagen, Sie hätten das Gedicht an mich und mein Bild zur Revanche (weil Sie nichts andres konnten) für diese Bagatelle gemacht. –

Wenn Sie auch an meine niedrige Gesinnung glauben, ich glaube nicht an diese Revanche! Ich glaube nur an drei Dinge.

An einen bösen Planeten,

daß ich kein Anderer geworden bin

und daß Sie dieses bald einsehn werden.

Ich bin Ihr alter

Franz Werfel

P. S.

Was Karl Kraus und ich miteinander vorhaben? Er hat etwas mit mir vor. Spricht aber scheinbar mit anderen Leuten lieber darüber, als mit mir! Außerdem macht er Parodien auf mich, die mit bißchen Budapester Orpheum vermischt ganz lustig sind. –

O Beständigkeit der Welt!

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 140818). D: KA, Bd. 7, S. 351 f.

Franz Werfel antwortet auf einen undatierten Brief Else Lasker-Schülers, den diese unmittelbar nach dem Erscheinen der ›Fackel‹ vom 21. (Umschlag: von Ende) April 1914 (Jg. 16, Nr. 398) geschrieben haben dürfte (vgl. KA, Bd. 7, S. 34–36). Karl Kraus hatte sich am 21. April in der Rubrik ›Notizen‹ (vgl. S. 19 f.) polemisch zur Dichtkunst Franz Werfels geäußert: Der »Kindheitsvirtuose Werfel« habe in Prag »alle befruchtet, so daß sich dort die Lyriker vermehren wie die Bisamratten«. – Else Lasker-Schüler wird Werfels Brief ihrem Brief an Karl Kraus vom 30. April 1914 (s. [140]) beigelegt haben. – Satz von der Verwehrung Ihrer Wünsche • Else Lasker-Schüler hatte an Franz Werfel unter anderem geschrieben: »Daß Sie mich, mich einen Malik, der rot geblutet ist vor Not und innerem Schmerz so unerhört taktlos behandelten, können Sie nie gut machen. Früher waren Sie ein Schuljunge und einen Tropfen Apache lebte in Ihnen, nun sind Sie ein phlegmatischer, gutessender gleichgültig denkender Komerzienrat. Ich muß Ihnen die Wahrheit sagen; haben Sie auch mit Schwabach mal wegen meiner gesprochen, das tu ich täglich für fremde Leute. Ich malte Sie, ich dichtete das schöne Gedicht auf Sie – ich konnte mich nicht anders mit Geschenken revanchieren. Ich tu die gröbste Arbeit mich und Paulchen zu ernähren. Ich verlange von Ihnen, daß Sie Sich vor dem Malik von Theben in den Staub beugen. | Sie sagten dem Malik von Theben, der sich nie seit Ewigkeiten einen Wunsch erfüllen konnte: daß er sich wenn er das Geld des Verlags Schwabach habe, nicht einen Wunsch erfüllen soll. Das war Ihrer unwürdig als Dichter, das kann und darf ein Komerzienrat einem Dichter sagen, der da (bequem) glaubt, je mehr der leiden muß desto besser für seine Kunst. So machen es sich Spießer bequem. Das ist nur eine Sache. Denken Sie an Frankfurt. Denken Sie an meine Reise nach Prag. Ich muß Ihnen die Wahrheit sagen! Ich mag nicht hinter Ihrem Rücken reden.« – Empfang einer Schwabachschen Rente • Vgl. zu [132]. – Fritz Pollak • Im Brief an Franz und Maria Marc von Anfang April 1914 notierte Else Lasker-Schüler die Adresse: »Fritz Pollak | (Maler) | Frankfurt Main | Reuterweg 3 | bei Oppenheim« (KA, Bd. 7, S. 27). In Prag hatte Fritz Pollak (geb. 1891) zum engeren Freundeskreis von Franz Werfel und Paul Kornfeld (1889–1942) gehört, der ab 1914 in Frankfurt lebte. – in Frankfurt • Dort hatten Else Lasker-Schüler und Franz Werfel am 24. März 1914 gelesen (vgl. zu [132]). – Lene Kainer • Lene Kainer (geb. Schneider) (1885–1971), Malerin und Grafikerin, von 1912 bis 1924 mit dem Maler Ludwig Kainer (vgl. zu [146]) verheiratet. Lene Kainer porträtierte Else Lasker-Schüler um 1914/15. Das Gemälde ist reproduziert bei Sabine Dahmen, Leben und Werk der jüdischen Künstlerin Lene Schneider-Kainer im Berlin der zwanziger Jahre, Dortmund: Ed. Ebersbach, 1999, S. 397 (Abb. 88). Else Lasker-Schüler widmete Lene Kainer 1913 in ›Gesichte‹ den Essay ›Kabarett Nachtlicht – Wien‹ (S. 154–157; KA, Bd. 3.1, S. 293–295): »Der lieben Malerin Lene Kainer«. – Gedicht an mich • Das Gedicht ›Franz Werfel‹, zuerst 1913 in ›Gesichte‹ (S. 76; KA, Bd. 1.1, S. 146) veröffentlicht. – mein Bild • Dieses war am 21. Februar 1914 in der zehnten Folge der ›Briefe und Bilder‹ erschienen (s. [133]). – Parodien auf mich • Als Beleg für seine kritische Haltung Franz Werfel und den Prager Lyrikern gegenüber druckte Karl Kraus am 21. April in der ›Fackel‹ (s. o.) Hans Gehrkes (1895–1968) Gedicht ›Der siebzehnjährige spricht‹ (vgl. S. 19) ab, das am 29. März 1914 im ›Prager Tagblatt‹ (Jg. 39, Nr. 86 [Morgen-Ausgabe], Unterhaltungs-Beilage Nr. 13) erschienen war. Der Gedichtabdruck schließt unmittelbar an die Bemerkung über den »Kindheitsvirtuose[n] Werfel« an. – Budapester Orpheum • Das ›Budapester Orpheum‹ war eine Wiener Kabarettbühne, die von 1889 bis 1919 bestand.

[140] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Grunewald, Donnerstag, 30. April 1914

Hochverehrter Cardinal. Denken Sie, mein armer Freund Senna Hoy ist vorgestern im Zuchthaus bei Moskau gestorben. Ich vermute, da er doch nicht an Begnadigung glaubte, dass er sich das Leben genommen hat. Zweimal machte er einen Todesversuch vergebens. (Wurde lungenkrank und Nierenkrank.) Ich besuchte ihn doch vor Weihnachten, weil ich sein Freund war, weil ich es für eine Weltordnung halte, dass man jeden Menschen, der so hilflos gefangen ist, der so fern gefangen ist so unendlich, jammervoll gefangen lag zwischen tobsüchtigen Gefangenen zu befreien sucht und ich bitte Sie meine Reise, die ihrer geringen That wegen, gegen alles Leiden meines armen, wunderschönen Freundes und seiner Mitgefangenen ein Minute Unruhe dagegen ist, nicht zu erwähnen. Ich schäme mich, wir alle in Berlin haben gar nichts getan, nicht seine Freunde, die so viel Liebe von ihm hatten. Seine Brüder reisten 4 Mal hin mit grossen Opfern sie sind mittellos und scheuten auch die Gefahr nicht. Mein Freund lag auf dem Lager wie ein heiliger Feldherr ohne Zagen und Wehleidigkeit er unterschrieb das Gnadengesuch nicht in Warschau damals, kam später nach Moskau er wäre befreit worden dadurch. Er war ein König, lieber guter Cardinal, und ich rechne darauf, dass Sie als Cardinal und Mächtigster Östreichs ihm ehrenvolle Worte nachsenden. Denken Sie nicht, er ist wie Ramus etwa gewesen, da Sie ihn nicht leiden können, ich auch nicht – ungesehn nicht. Sie wären sprachlos gewesen – dass so ein Geschöpf excistiert, Cardinal. Aus Gold seine Stirn war, süsser Todstrahl sein Haar, seine Lippen brannten am Altar. Er hat mich immer verteidigt in Berlin .... Er war unschuldig, denken Sie!! Aber wenn er auch zufällig unschuldig war, weiss ich (schrieb es genau auf.), dass er wegen der Pogrome drüben war und er hätte sich als Held gezeigt wenn es nötig gewesen wär. Ich möchte mich schon prügeln hier in der Stadt. Nun sind sie alle hier bereit natürlich – zu tun für S. H. Hochverehrend Ihr trauriger Prinz von Theben.

Denken Sie, ich hab so viel versäumt zu tun.

Er wird hier begraben, der Bruder unterwegs ihn holen.

Ich würde mich schämen genannt zu werden.

Bitte mich nicht erwähnen. Ich baue mir keine That auf die nur so aussieht wie eine That und nichts wie natürlich ist gegen einen Freund wie er war.

Anmerkungen

T (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158182). Datum von Helene Kann: »1. V. 14«. D: KA, Bd. 7, S. 32 f.

Senna Hoy (vgl. zu [138]) war am 28. April 1914 (»vorgestern«) gestorben. Das von Helene Kann eingetragene Datum des 1. Mai 1914 dürfte nach dem Poststempel des (nicht mehr erhaltenen) Kuverts ergänzt worden sein. – ein heiliger Feldherr • Die Charakterisierung »heiliger Feldherr« wird von Else Lasker-Schüler auch in ihrem Nachruf ›Senna Hoy †‹ gebraucht, der am 12. Oktober 1915 in der ›Frankfurter Zeitung‹ (Jg. 60, Nr. 283 [Zweites Morgenblatt], S. 1; KA, Bd. 3.1, S. 411 f.) erschien. – ihm ehrenvolle Worte nachsenden • Karl Kraus schrieb keinen Beitrag über Senna Hoy. – Ramus • Pierre Ramus (urspr. Rudolf Großmann) (1882–1942), anarchistischer Journalist und Schriftsteller in Wien. – Aus Gold seine Stirn war • Anspielung auf die beiden ›Ballade‹ überschriebenen Gedichte, die zuerst 1917 in den ›Gesammelten Gedichten‹ (S. 133 f.; KA, Bd. 1.1, S. 199 f.) erschienen. Beide Gedichte enthalten die fast gleichlautenden Verse: »Trotzendes Gold seine Stirn war, / Süßer Todstrahl sein Haar, / Seine Lippen blühten am Altar.« Für das zweite Gedicht änderte Else Lasker-Schüler »blühten« in »brannten«. Sie hoffte, dass Karl Kraus ihre Worte in der ›Fackel‹ abdrucken würde (s. [146]). – hier begraben • Am 11. Mai 1914 auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee (s. [141]).

[141] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Grunewald, Dienstag, 12. Mai 1914

Herrn Karl Kraus

Wien

Lothringerstr. 6

(Östreich)

Hochverehrter Cardinal. Haben Sie meine beiden Briefe erhalten? Gestern wurde mein armer, kühner, tapferer unendlich edler Freund Senna Hoy hier begraben. Er sah aus wie ein junger Pharao. Ich warf ihm einen Syringenstrauß in sein Grab. Ich bin krank hingegangen und liege nun krank im Bett und jede Schaufel Erde, die man auf seinen Sarg warf, warf man über mich. Ich sage, ich habe eine Achtung vor ihm, die so unerhört ist. Er ist am Ziel Mensch angekommen. Was ist er nun? Weiter kann Niemand hier auf Erden kommen. Sie kannten ihn nur von seinen Freunden her. Er war einsam immer für sich. Hätte er Sie, Sie ihn gekannt!! Ich bitte Sie herzlich für einige süße große Worte für sein Gedenken.

Ihr Prinz

Anmerkungen

H (Postkarte): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158192). Poststempel: Berlin-Grunewald, 12. 5. 14. D: KA, Bd. 7, S. 36.

meine beiden Briefe • Else Lasker-Schülers Brief an Karl Kraus vom 30. April 1914 (s. [140]) und Franz Werfels nach dem 21. April geschriebener Brief (s. [139]), den Else Lasker-Schüler ihrem Brief an Karl Kraus beigelegt haben dürfte. – Senna Hoy • Vgl. zu [138]. – hier begraben • Auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee (Feld L, Abt. IV, Reihe 17). – jede Schaufel Erde • Die siebte Strophe des Gedichts ›Senna Hoy‹, das am 25. September 1915 in der ›Aktion‹ (Jg. 5, Nr. 39/40, Spalte 494; KA, Bd. 1.1, S. 178 f.) erschien, lautet: »Jede Schaufel Erde, die dich barg, / Verschüttete auch mich.« – für sein Gedenken • Karl Kraus schrieb keinen Beitrag über Senna Hoy.

[142] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Grunewald, Dienstag, 12. Mai 1914

Herrn Karl Kraus

Wien

Lothringerstr. 6

(Östreich)

Verehrtester, liebster Cardinal.

Haben Sie die Aktion gelesen? Gemeinheit! Erstens, daß ein Liebesgedicht von mir gerade da steht, als ob ich hinter der Bahn eines heiligen Feldherrn eine egoistische Liebesklage sende! Gemeinheit! Dann Die Worte, (ich las zum ersten Mal) über Sie! Eine lügenhafte Frechheit! (Ich nehme die Briefe ab.) Dann hat Pfemferts (Frau?) Alexandra Ramm aufgebracht, ich sei nicht in Rußland

Anmerkungen

H (Postkarte): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158193). Poststempel: Berlin-Grunewald, 12. 5. 14. D: KA, Bd. 7, S. 37.

ein Liebesgedicht von mir • ›Lauter Diamant ...‹ (Die Aktion, Jg. 4, Nr. 19 vom 9. Mai 1914, Spalte 410 f.; KA, Bd. 1.1, S. 173). – hinter der Bahn eines heiligen Feldherrn • Franz Pfemferts Nachruf ›Senna Hoy ist gestorben‹ bildet den Leitartikel der ›Aktion‹ vom 9. Mai (Spalte 399–403). – Vgl. zu [140] (»ein heiliger Feldherr«). – über Sie • ›Die Aktion‹ hatte am 9. Mai in der Rubrik ›Kleiner Briefkasten‹ (Spalte 418 f.) folgende Notiz veröffentlicht: »L. N. in Wien: Sie fragen, ob Karl Kraus, der Herausgeber der ›Fackel‹, wirklich in nächster Zeit den Posten eines klerikalen Unterrichtsministers in Österreich erhalten wird. – Die Nachricht erscheint nach unseren Informationen verfrüht, wenn auch lange nicht so paradox, wie sie auf den ersten Blick aussieht. Tatsächlich aspiriert Kraus mit großem Ehrgeiz auf aristokratischen Umgang und ist sehr stolz darauf, daß sich in seinen Vorlesungen einige Mitglieder des ganz reaktionären Provinzadels blicken ließen, die natürlich die angeblich linksradikalen Angriffe auf die jüdischen Liberalen, Bourgeoisie und ›Neue Freie Presse‹ mit sehr rechtskonservativem Wohlbehagen anhörten. In seiner bekannten Ehrlichkeit wird sich Kraus hüten, dieses Mißverständnis aufzuklären. Vielmehr folgt er höchst geschmeichelt den Einladungen zu feudalen Privatgesellschaften, wo man sich das Vergnügen nicht entgehen lassen will, den jüdischen Antisemiten und ganz tollkühnen, aber in Anbetung des Landjunkertums gelandeten Revolutionär aus der Nähe zu besehen. – Kraus, dieser Schauspieler der Ethik, war ja nie wählerisch mit Bezug auf sein Publikum. Zuerst war er glücklich über den Beifall derselben Juden und Journalisten, die er in seinen wütenden Satiren angeblich verachtete. Jetzt ist er immerhin zum Hofnarren avanciert. – Die Zukunft ist leicht vorauszusehen: seine radikalen literarischen Freunde, aber auch alle, die Religion und klerikale Feudalherrschaft nicht identifizieren, werden ihm den Rücken kehren – er wird sie für ›hysterisch‹ erklären und zum literarischen Hausjuden des Grafen X. emporsteigen.« – die Briefe • Else Lasker-Schülers ›Briefe und Bilder‹ waren zwischen dem 6. September 1913 und dem 21. Februar 1914 in der ›Aktion‹ erschienen, die elfte Folge erschien am 1. Juli 1914 im ›Brenner‹, die zwölfte Folge am 7. August 1915 erneut in der ›Aktion‹, die Folgen dreizehn bis sechzehn veröffentlichte Else Lasker-Schüler dann 1916/17 in der ›Neuen Jugend‹. – Alexandra Ramm • Franz Pfemfert hatte 1912 die aus dem Russischen Kaiserreich gebürtige Übersetzerin Alexandra Ramm (1883–1963) geheiratet, die seit 1901 in Berlin lebte. Beide hatten sich 1903 im Kreis von Senna Hoy kennengelernt.

[143] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Grunewald, Dienstag, 12. Mai 1914

(2. Karte)

gewesen. Er, Pfemfert, weiß genau ich bin dort gewesen hat aber aus gemeiner Eitelkeit so getan, als ob niemand dagewesen sei. Die Alexandra Ramm ist bei Dr. Blei gewesen und hat Erkundigungen eingezogen. Ich bin außer mir. Ein Freund hat auch gehört, wie diese gemeine Gesellschaft zusammen zweifelte im Café.

Ihr Prinz

Anmerkungen

H (Postkarte): ?. D (nach: Briefe an Karl Kraus, S. 64): KA, Bd. 7, S. 37.

bin dort gewesen • Else Lasker-Schüler hatte sich im November 1913 in Moskau und Sankt Petersburg aufgehalten und sich vergeblich um eine Freilassung Senna Hoys bemüht. – als ob niemand dagewesen sei • In seinem Nachruf ›Senna Hoy ist gestorben‹, der am 9. Mai 1914 in der ›Aktion‹ (Jg. 4, Nr. 19, Spalte 399–403) erschienen ist, erwähnt Franz Pfemfert Else Lasker-Schülers Reise nicht. – Dr. Blei • Franz Blei (vgl. zu [132]).

[144] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Grunewald, Dienstag, 12. Mai 1914

Östreich!

Herrn Karl Kraus

Wien

Lothringerstr. 6

Hochwerter Cardinal. (Die 4. Karte) Ich war vom Comitée eingeladen nach Leipzig zu kommen. Ich war dort, weil ich auch mit Verlag reden wollte. Ihnen unglaublich schwärmerisch, unglaublich gut zugetan ist Ihnen der Baron Hans Adalbert von Maltzahn. Sie seien der aristokratischste Mensch, den er je gesehn. Er hielt direkt Reden über Sie. Ich glaub, er war darum unerhört nett und besorgt für mich, führte mich zu Tisch nachher. Er ist wie 50 Jahre Verstand und ganz, ganz fein wie meine Brüder waren. Ich bin immer so traurig und so besorgt, ich bin wie tot. Ich weiß nur eins daß Leben und Tod Hand in Hand gehen, Leben stirbt und Tod ist vergänglich zum Leben. Ich bin wirklich traurig.

Haas ist widerlich. Werfel weiß nicht was er tut. Vielleicht kleiner Herkunft.

Anmerkungen

H (Postkarte): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158194). Poststempel: Berlin-Grunewald, 12. 5. 14. D: KA, Bd. 7, S. 37.

Verlag • Im ›Verlag der Weißen Bücher‹, den Erik-Ernst Schwabach (1891–1938) 1913 zusammen mit Kurt Wolff in Leipzig gegründet hatte, erschien 1914 von Else Lasker-Schüler ›Der Prinz von Theben‹. Ferner brachte der Verlag Titelauflagen der beiden Bücher ›Meine Wunder‹ und ›Gesichte. Essays und andere Geschichten‹ heraus. Im Brief an Kurt Wolff vom 25. Februar 1914 (vgl. KA, Bd. 7, S. 19) hatte Else Lasker-Schüler zudem erstmalig das Manuskript der ›Gesammelten Gedichte‹ erwähnt, die kriegsbedingt allerdings erst 1917 im ›Verlag der Weißen Bücher‹ erschienen. – Maltzahn • Hans Adalbert von Maltzahn (1894–1934), Student in Leipzig, Journalist. Er diente im Ersten Weltkrieg als Offizier und hielt sich in den frühen zwanziger Jahren vorübergehend in Brasilien auf. Ab Ende der zwanziger Jahre lebte er verarmt in Paris, wo er gelegentlich als Korrespondent für den ›Vorwärts‹ und für die ›Vossische Zeitung‹ arbeitete. Else Lasker-Schüler schrieb für ihn unter anderem die beiden Gedichte ›An Hans Adalbert‹ und ›Dem Herzog von Leipzig‹ (Die weißen Blätter, Jg. 2, H. 7 vom Juli 1915, S. 823 f.; KA, Bd. 1.1, S. 176 f.). – meine Brüder • Alfred Jacob Schüler (1858–1938), Maler in Hamburg, sowie die beiden verstorbenen Brüder Maximilian Moritz (1859–1907) und Paul Carl Schüler (1861–1882). – Haas • Willy Haas (1891–1973) war 1914 für kurze Zeit Lektor bei Kurt Wolff. – Werfel • Else Lasker-Schüler warf Franz Werfel, der ebenfalls als Lektor im Verlag Kurt Wolff tätig war und der sich für sie verwendet hatte, Fehlverhalten im persönlichen Umgang vor (s. [139]).

[145] Franz Pfemfert an Else Lasker-Schüler
Berlin, Donnerstag, 14. Mai 1914

Den 14. Mai 1914

Liebe Frau Else Lasker-Schüler,

ich muss mich mit aller Entschiedenheit dagegen verwahren, als hätte ich jemals zu irgendeinem Menschen gesagt, Sie seien nicht bei Senna Hoy gewesen. Im Gegenteil, sowohl ich wie meine Frau haben wiederholt Zweifelnden gegenüber (wie z. B. der Frau Dr Ichak) betont, dass sie in Russland bei Senna Hoy gewesen sind. Wer das Gegenteil behauptet lügt unverschämt.

Diese doch wirklich unzweideutige Erklärung wird Ihnen, liebe Frau Else Lasker-Schüler, die Ungerechtigkeit Ihres Vorwurfes, ich hätte Ihre tapfere Russlandfahrt angezweifelt, klar machen. Ich habe Ihnen überdies (im Restaurant in der Jerusalemerstr) Briefe S. H.s vorgelesen, die für Ihren Besuch Beweis waren, wenn es für einen Menschen eines Beweises bedurft hätte (für meine Frau und mich nicht).

Dass ich im Leitartikel den Russlandbesuch nicht erwähnt hatte, ist einfach damit erklärt: ich war beim Schreiben des Aufsatzes in solcher Empörung, dass ich daran nicht dachte; nachher jedoch hoffte ich, Sie würden selbst noch über Senna Hoy schreiben und dann dieses letzte von Angesicht-zu Angesicht-sehen schildern, und da war ich froh, Ihnen nicht zuvorgekommen zu sein.

Das Gedicht ist rein zufällig in die Reihenfolge gekommen; ich habe mir nichts, aber garnichts Böses dabei gedacht. Ich bedaure sehr, wenn Sie gekränkt sind. Ich weiss noch immer nicht, was Sie meinen.

Und schliesslich Karl Kraus. Hier, liebe Frau Else Lasker-Schüler beginnt das Kapitel Literaturpolitik, und da muss ich offen sagen, dass ich weder jemand zuliebe Angriffe unternehme noch unterlasse. Karl Kraus hat mich beschimpft, wie ein Kutscher etwa schimpft. Ich habe, wiederholt, gegen ihn geschrieben; aber dass Sie Ihre Stellung zu mir von meiner Stellung zu Karl Kraus beeinflussen lassen, finde ich recht ungerecht. Denke Sie, wenn ich etwa meine Handlungen darnach einrichten wollte, wie es der einzelne wünscht, wenn ich etwa, da Max Oppenheimer mein Mitarbeiter ist, Sie aber gegen Oppenheimer Einwände haben, mich nun nach Ihnen oder nach Mopp richten wollte, politisch, als Leiter der AKTION – was käme bei solcher Personenpolitik heraus?

Ich beklage tief, dass Sie mir ohne jeden Grund Ihre Freundschaft entziehen wollen und ich hoffe, diese Zeilen stimmen Sie um.

Mit ergebenen Grüssen

Franz Pfemfert

Anbei die Zeichnungen

Übrigens sollten Sie doch schon dadurch von meiner objektiven Stellung Karl Kraus gegenüber überzeugt sein: ich war sofort mit Vergnügen bereit, Ihren Karl Kraus-Kopf (der anbei folgt) in der AKTION zu reproduzieren.

Anmerkungen

T (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157908). D: KA, Bd. 7, S. 357 f.

Else Lasker-Schüler übersandte Franz Pfemferts Brief am 16. Mai 1914 an Karl Kraus (s. [146]). – bei Senna Hoy gewesen • Else Lasker-Schüler hatte sich im November 1913 in Moskau und Sankt Petersburg aufgehalten und sich vergeblich um eine Freilassung Senna Hoys (vgl. zu [138]) bemüht. Sie war verärgert, dass Pfemfert ihre Reise in seinem Nachruf ›Senna Hoy ist gestorben‹, der am 9. Mai 1914 in der ›Aktion‹ (Jg. 4, Nr. 19, Spalte 399–403) erschienen ist, nicht erwähnt (s. [142] und [143]). – meine Frau • Alexandra Ramm (vgl. zu [142]). – Frau Dr Ichak • Frida Rubiner (geb. Ichak) (1879–1952), aus dem Russischen Kaiserreich gebürtige Übersetzerin und Politikerin. Sie war mit dem Schriftsteller Ludwig Rubiner (1881–1920) verheiratet. – Das Gedicht • ›Lauter Diamant ...‹, zusammen mit Pfemferts Nachruf (s. o.) am 9. Mai 1914 in der ›Aktion‹ (Jg. 4, Nr. 19, Spalte 410 f.; KA, Bd. 1.1, S. 173) erschienen. Else Lasker-Schüler hatte die Anordnung der Texte kritisiert (s. [142]). – mich beschimpft • In dem Beitrag ›Der kleine Pan röchelt noch‹, der am 29. April 1911 in der ›Fackel‹ (Jg. 13, Nr. 321/322, S. 57–64) erschienen war, schreibt Karl Kraus: »Als Gott einen Mann namens Pfemfert erschuf, vergriff er sich und nahm zu viel Lehm. Kopf und Kehle wurden voll davon.« (S. 64.) – gegen ihn geschrieben • Franz Pfemfert und Karl Kraus sahen sich als Konkurrenten auf dem Zeitschriftenmarkt. Nachdem Kraus in der ›Fackel‹ vom 21. Juni 1912 einen Beitrag über »das Eindringen der Fackel in Berliner literarische Interessen« (s. [96]) veröffentlicht hatte, erschien in der ›Aktion‹ vom 10. Juli 1912 ein polemischer Kommentar mit dem Titel ›Der Feuerbursch‹ (Jg. 2, Nr. 28, Spalte 876 f.). Darin schreibt Pfemfert: »[…] trotz allen krampfhaften Versuchen ist die Fackel nie über den Dunstkreis der Katharinenstrasse in Halensee hinausgekommen. […] Kraus begräbt den Jugendtraum, Mittelpunkt des Berliner Café des Westens zu werden.« In Halensee wohnte Herwarth Walden, der sich in den Jahren 1909–1911 um den Vertrieb der ›Fackel‹ in Berlin gekümmert hatte. – 1911 hatte Kraus in mehreren Beiträgen für die ›Fackel‹ kritisch zu den journalistischen Praktiken Alfred Kerrs Stellung genommen (vgl. zu [108]), während Pfemfert etwa gleichzeitig in der ›Aktion‹ Partei für Kerr ergriff, indem er zahlreiche Antworten auf eine Rundfrage über Alfred Kerr veröffentlichte (vgl. zu [56]). – mein Mitarbeiter • Max Oppenheimer (s. [62] und [78]) war seit Mai 1912 mit zahlreichen Zeichnungen, meist Porträts, in der ›Aktion‹ vertreten. Auf den Titelblättern waren zuletzt unter anderem Porträts von August Bebel (Jg. 3, Nr. 34 vom 23. August 1913), Alfred Lichtenstein (Jg. 3, Nr. 40 vom 4. Oktober 1913) und Peter Altenberg (Jg. 4, Nr. 7 vom 14. Februar 1914) erschienen. – die Zeichnungen • Die Vorlagen für die Reproduktionen in Else Lasker-Schülers ›Briefen und Bildern‹ (vgl. zu [142]). – Karl Kraus-Kopf • Vgl. zu [132].

[146] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Grunewald, Samstag, 16. Mai 1914

Hochverehrter Cardinal. Ich danke Ihnen für Ihre Depesche! Sie kam gerade wie ich eine Lüge aufdecken wollte. Ihre Depesche ist mir ein Omen – es ist sicher richtiger, Sie stellen sie fest in der Fackel. Sie haben gewiss die letzte Aktionsnummer gelesen? Senna Hoy Nummer? Es ist eine Senna Hoy Nummer. Der Artikel von Pfemfert ist nach meiner Empfindung nicht schlecht geschrieben, aber er ärgert mich seiner heimlichen Unwahrheiten wegen. Ich möchte Sie fragen, ob ich alles übergehen soll, da es auf die hunderttausende ankommt, die in den Gefängnissen in Russland schmachten. Wer das sah, kann nicht an eng persönliches denken und da Senna Hoy acht Jahre wie ein Hund gelebt hat oder nicht gelebt hat, ein Lebendiger im Grabe, so müssen Sie mirs sagen; denken Sie nur an die Aufdeckungen und nicht wie man mich beleidigt hat. Sie müssen mir sagen, ob es nicht besser ist zu schweigen über die inneren Lügen kleiner Pfemferteitelkeiten zu Gunsten der Sache Senna Hoys? Pfemfert kann noch viel für diese Sache tun er kann noch viel von Senna Hoy veröffentlichen. Es tut ja kein anderes Journal. Auch besitzt er viele Documente. Es ist ja ganz egal, ob S. H. für die Armen oder die Reichen der Städte kämpfte. Er war ein Pharao und einen Pharao hat man lebendig begraben gehalten bis er wirklich gestorben ist. Er war ein Jüngling, ein Karl von Moor, ein kleines Kind, ein Sturmwind, eine Wüste, ein Palmenhain und eine Sehenswürdigkeit. Er war ein König und er musste regieren und fand das Heer nicht seinesgleichen, dass ihm treu geblieben wäre. Ein heiliger Feldherr, der für seine Sache für sein Blut und für die gepeinigte Menschheit in den Tod ging. Lieber, verehrter Cardinal, ich bitte Sie herzlich nicht was ich von S. H. sage für Überschwang zu halten; ich mache mich nicht nun besoffen mit seinem Blut wie Pfemfert. Sie haben doch immer geglaubt wenn ich diesen oder jenen für fein oder für unwert hielt; hier schwöre ich Ihnen: Ein unendlich feines Geschöpf ist zermartert worden, ist mutig bis in den Tod geblieben. Ich sage Ihnen im Vertrauen, dass er in der letzten Zeit sich immer peinigte wie es mir allein in der Welt gehen könne, da ich nicht fertig werde mit der Welt. Er stand immer allein, er hat mich immer in Schutz genommen, erlaubte den Banausen nie, dass sie meine Bücher lasen etc. Aber das treibt mich nicht. Ich kann keine Weltunordnung vertragen. Hier trug man eine Welt zu Grabe ungesühnt. Man trug Jesus zum zweiten Mal zu Grabe, ein Einziger stand nur am Grabe von den sogenannten Partheimenschen allerdings es war Pfemfert. Und falsche Magdalenen, ich die ich, ich schwöre es Ihnen, Ich habe nicht genug getan, ich schwöre es Ihnen ohne jede Koketterie, ich will auch keinen Trost. Ich habe ja auch kein böses Gewissen darum, aber ich sehe wie unfertig ich noch immer bin und fühle wohl was edel ist. Nun möchte ich Ihnen vorher sagen, dass Pfemfert viel lieber von Ihnen geehrt wäre – das ist ja natürlich, Pfemfert wollte wirklich Ihr Bild von mir so herrlich gezeichnet bringen. (Er wär auch schön dumm hätte er es nicht tun wollen.) Er ist kein vornehmer Mensch, aber er ist auch kein glücklicher Mensch. Er ist arm und spiegelt sich selbst vor er tut das beste. Er ist nicht gern überworfen und war immerhin der einzige von den Kerlen, der noch an S. H. dachte. Seine Frau Alexandra Ramm eine Russin ist das niederträchtigste Weib, das die Welt gesehn hat. Sie war früher mit ihrer Schwester in S. H. verliebt gewesen. Ihre Schwester hat es mir selbst erzählt. Aber auch, dass S. H. sie beide nicht geliebt hat. Sie drängten sich alle an ihn heran, er war so schön, dass er in der Liebe willenlos war, ich meine ein Kunstwerk das sich nicht wehren kann, das man schon darum unbetastet lassen sollte. Ich habe immer ganz asketisch mit ihm gestanden; und ich nur, schrieb er öfters von Russland, dürfe seiner Mutter Blumen bringen. Er erzählte mir immer alles und hätte mich gern damals mit nach Paris genommen, so aber da ich verheiratet war, sprach er oft mit Herwarth, er solle sehr gut mit mir sein. Aber das sind nur kleine Dinge aus seinem Leben, er lebte nur für seine Idee. Gerade das Ziellose, der Wirbelwind seiner Handlung war Mai, war eine Jahreszeitin, der so viel grünte, daß es schön war bei ihm; er war noch ungesammelt. Nie hätten Sie gerade einen Menschen so geliebt wie S. H. er war der vornehmste Mensch, den ich kannte hier in Berlin mit St. Petrus Hille. Peter Hille hat ihn furchtbar gern gehabt. Denken Sie die Ramm die Frau von Pfemfert ist nun vor einigen Wochen zu Dr. Blei gegangen ohne Pf. Wissen glaub ich, er hat mich gern, der sich fein benahm und hat sich erkundigt wieviel Geld ich für Russland gehabt habe, und ich wäre nicht die rechte Person gewesen für Russland. Dann hat die ganze Blase Rubiner, Frau: Dr. Ischak etc im Westen gesessen und über mich geklatscht. Und sie brachten auf, ich hätte allein (gelogen) vom Bankdirektor Stern 1000 Mk bekommen; ich kenn den gar nicht und ich wäre nicht in Russland gewesen!!!

Denken Sie die Infamie! Dasselbe, als ob ich Waisenkinder Geld unterschlagen hätte; noch schlimmer wäre das. Ludwig Kainer hatte die Banausen auch reden hören. Nun weiss Pfemfert genau, ich bin in Russland gewesen. Auch zeigte ich sofort den Pass Theodor Wolff Berliner Tageblatt. Der war ausser sich über die Gesellschaft. Sie haben mir nur nicht gegönnt, dass ich unseren Freund besuche, da ich nicht die Ehre haben sollte. Ich schließe Pfemfert aus. Nun habe ich immer alle seine Freunde gebeten, sich an die Befreiung zu beteidigen sie weigerten sich alle mit fauler Interessenlosigkeit. Pfemfert bat ich auch so oft vergebens oder er spielte die Interessenlosigkeit. In den letzten Wochen freilich, als die Befreiung in Händen V. Richthofens war (er will nicht genannt sein) und Richthofen mit Mendelsohn gesprochen hatte, da riet ich Pfemfert, nichts zu tun öffentlich da seine Zeitung anarchistisch sei. Aber ich konnte ihn doch gar nicht abhalten im Grunde und vorher mal gar nicht. Er wollte nicht. Nun sagt er, ich glaube, es ist wahr, dass er jetzt erst Material von Dr. Buck und Dr. Thesing erhalten habe, das schon zwei Jahre in Händen dieser sogenannten Freunde sich befand. Es ist ja eine Schande, dass die beiden Subjekte sich nicht sofort an eine Zeitung mit dem entsetzlichen Material gewandt haben. Aber das plötzliche Besaufen Pfemferts das Lärmschlagen in den Vordergrund treten, schwimmend auf dem Blute eines toten Freundes sich selbst, als den Treuen ausrufend, das bringt mich zur Raserei. Karl Kraus, ich wollte nie genannt sein ich ging nicht nach Russland einer Sensation noch eines Geschäfts wegen. Ich hätte ja darüber schreiben können, aber ich wollte alles S. H. lassen, damit er selbst mit seiner herrlichen Stimme spräche. Ich tat es nicht einmal für den Himmel, ich tat es aus Ordnung. Es giebt noch was grandioseres wie Liebe, er war mein liebster Mensch; jede Schaufel Erde, die über seinen Sarg fiel, fiel auch über mein Gesicht. Ich empfand eine Lust der Gewalt dabei, als ob man sich selbst ins Gesicht schlägt. Auch sollte er nicht einsam begraben werden. Seine Mutter weinte schrecklich, seine Brüder waren viermal in Russland, die sind sehr mutig. Wenn Sie ein paar Worte von mir schreiben wollen, denn bitte das: Aus Gold seine Stirn war, süsser Todstrahl sein Haar, seine Lippen blühten am Altar.

Wenn Sie es übernehmen wollten, wie gross wie gütig und sanft wäre es von Ihnen. Der Wahnsinn über Sie in der Aktion darüber lachen Alle. Das Geschöpf kann Sie nicht beleidigen. Ich weiss, Sie empfinden denjenigen adelig der guten Wein in den Adern hat.

Wenn Sie es übernehmen wollen, bitte mich kaum erwähnen, ich würde traurig sein, ich würde nicht mehr stolz sein, dass ich ihn zuletzt sehen durfte. Denken Sie Sich wenn Jemand im Tode noch aussieht, dass viele aufschrieen vor Erstaunen! Nun hören Sie was ich tat:

Zuerst war Senna Hoy in Warschau in der Citadelle, vorher war er im Rathhaus. Ich ging dann vor 7 Jahren ungefähr zu Harden, der sagte er sei der kühnste Junge, den er kenne, aber er könne nichts für ihn tun. Gelogen! Ich hoffte dann immer, er befreie Sich selbst und aber ich dachte noch immer so hin und her. Dann kam er nach Moskau, und dann hatte ich immer andere Dinge, die ich ausführen wollte; keiner der Freunde wollte mir helfen. Der Kurtz war sein Freund der Dr. Buck und Dr. Thesing und der faule Schickele. Alles was ich begann, schlug fehl. Da lernte ich Marianne von Werefkin kennen, ihr Vater war Verweser beim Zaren Alexander gewesen. Sie versprach mir alles zu tun. Sie schrieb sofort an ihren Cousin in Petersburg Ministergehilfe von Dschunkowski und der versprach zu helfen. Gnadengesuch wurde wieder eingesandt, aber es kam kein Bescheid. Der Bruder fuhr nach Russland, sprach Dschunkowsky selbst, der liess dann mit ein paar Anmerkungen das Gnadengesuch an den Zaren abgehen. Ohne Erfolg. Wir gingen dann zusammen herüber; der Bruder von S. H. und ich. Dschunkowsky war nicht da er war zu Cur in Meran aber seine Schwester empfing mich und schickte mich ins Kriegsministerium; dort versprach man uns, dass wenn noch einmal ein Gnadengesuch eingereicht würde, es sofort durch das Kriegsministerium gehen solle, erst gar nicht durch die deutsche Gesandtschaft. Der Lucius ist ein Ekel ich war 2× bei ihm dort. Denken Sie, man phantasiete bei den Deutschen S. H. wollte den deutschen Kaiser töten darum verhielt sich die deutsche Gesandtschaft dagegen. Alle sind dort freundlich gewesen, ich hatte Richthofens Empfehlung, aber in Russland konnte nicht die deutsche Botschaft war dagegen. Das sagten die Russen, das sagte mir unter Discretion die Werefkin. Da sich nun Mendelsohn geweigert hatte, das heisst, er wollte noch alles erst untersuchen, (Ausrede) traf ich Professor Dr. Nicolai einen Arzt hier, ein prachtvoller Mensch, der mir immer beigestanden hatte, und damals schon dem Hofarzt Bechteret geschrieben hatte, dass man sich um S. H. kümmern solle. Prof. Nicolai hatte dann acht Tage vor S. H.s Tod die Idee dem Direktor privat von der Anstalt zu schreiben. Er wäre dann mit mir hingereist für sein Geld. Er gab mir auch für die Russenreise dazu. Dann schrieb S. H. er sei so krank er müsse sterben, vielleicht helfe noch Extrakt. Er wollte noch nicht sterben er dachte immer noch zu wirken. Er schrieb Dr. Buck aus dem Kerker für die hungernden Verbannten in Sybirien zu sammeln. Dr. Grossmann sandte Geld dorthin vom Verein. – Frau Osthaus in Hagen sandte, da ich ihr schrieb, 50 Rubel durch mich nach Moskau die kamen zu spät. Er hatte nie um Geld gebeten, seine Mutter sandte ihm monatlich ins Irrenhaus so viel wie sie konnte, sie ist arm. Ich habe ihm nie etwas geschickt Karl Kraus das ist auch eine Gemeinheit von mir.

Noch eh ichs vergesse, die Frau von Pfemfert hat sogar vor zwei Jahren etwa ganz heimtückisch auf S. H. geschimpft. Er hat sich dann immer früher von den bodenlosen Schlangen losgerissen. Auch störten sie ihn in seiner Arbeit. Aber das nur unter uns. Ich habe alles aufrichtig erzählt, lieber Cardinal, Sie tun das Herrlichste diesen Pharao zu verteidigen, aber nur so, dass allen Gelegenheit gelassen wird seine heilige Sache weiter zu führen. Aber gerade wenn Sie anfangen – Ihr armer, dankbarer Prinz von Theben.

Er lag zuletzt in der Gefangenen Abteilung des Irrenhauses in Metscherskoje 4 Stunden von Moskau

Ich hatte als ich eintrat meine Besinnung nicht ganz mehr. Wir mußten sein Bruder und ich durch 8 Tower zuerst hoch oben zwischen Gemäuer vor jedem Thor des Tower standen 8 bewaffnete Soldaten oder Aufseher. Neben seiner Zelle (er lag ungefähr 40 Grad Fieber Lungenentzündung) (furchtbar gebettet) tobende Irrsinnige Gefangene. Bitte nehmen Sie es nicht als Sentimentalität an der Wand hing mein Bild ganz allein. Er lag anbetungswürdig da ohne Klage nur König. Ich mußte immer seine Hände küssen, der Kuß den er mir auf der Stirn gab ist der unvergleichlichste Segen, der je auf mich niederfallen konnte. Ich kann diese Begebenheiten die 5 Bogen nicht anders schreiben als lallen.

Aber er ist doch wissend gestorben für seine Sache für diese pöbelhafte Menschheit, ein großer, gewaltiger Engel.

Glauben Sie es ist doch besser, ich lasse ruhen, vielleicht tut dann Pfemfert nicht mehr für S. H. weiter streiten? Das wäre schrecklich für mich.

Ich habe die Nacht über die Sache nachgedacht.

Bitte herzlich nur im Interesse von S. H zu handeln. Ich empfinde nur wie ein Krieger. –

Privat

Hochverehrter Cardinal diesen Brief bitte lesen Sie zuletzt. Ich möchte Ihnen noch schreiben, dass nun, da ich Ihnen alles nach meinem Wissen geschrieben habe, Pfemfert sich nur sehr gekränkt fühlte da Sie ihn nicht mögen, natürlich ist er etwas Schaf und vergisst immer wie die Sache liegt. Er möchte sich gerade mit Ihnen gut stehn. Er war immer sehr bescheiden und nett zu mir ehrlich. Er war traurig am Grab, er holte mich nachher vom Grab, als alle gegangen waren und ging mit mir über den Kirchhof. Er war sicher traurig. Er hatte sicher Reue. Ich möchte gerecht sein. Er verehrte Sie heimlich dünkt mich, sicher ich möchte schwören darauf. Er stritt einmal mit Lausbuben, die unruhig waren in einem Vortrag den ich hielt für mich in der Aktion. Mich schmerzt ein Angriff. Ich nahm ihm die Briefe und Bilder Fortsetzung, und da bitte ich Sie tun Sie mir das zu Gefallen – wenn Sie überhaupt etwas schreiben wollen dann im Interesse S. H.s der ein König war.

V. Maltzahn und ich schlossen Freundschaft, er liebt Sie unerhört, spricht immerfort von Ihnen. Er sagt, Sie seien der vornehmste Mensch, den er kennt. Schreiben Sie ihm doch mal!

Verehrende Grüsse

Ihr Prinz

Bitte denken Sie Sich nicht S. H. wie den weichlichen Ekel Ramus.

Anmerkungen

T (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158157). Datum von Helene Kann: »16. V. 14«. D: KA, Bd. 7, S. 39–44.

in der Fackel • Karl Kraus schrieb für die ›Fackel‹ vom 10. Juli 1914 einen Beitrag mit dem Titel ›Sehnsucht nach aristokratischem Umgang‹ (Jg. 16, Nr. 400–403, S. 90–95), in dem er zu den polemischen Bemerkungen Stellung nimmt, die am 9. Mai 1914 über ihn in der ›Aktion‹ geäußert worden waren (vgl. zu [142]). – Senna Hoy Nummer • Franz Pfemferts Nachruf ›Senna Hoy ist gestorben‹ bildet den Leitartikel der ›Aktion‹ vom 9. Mai 1914 (Jg. 4, Nr. 19, Spalte 399–403). Zudem druckte Pfemfert zwei Texte von Senna Hoy (vgl. zu [138]) ab: ›Verse aus dem Gefängnis‹ und ›Blutstropfen‹ (Spalte 411–418). – seiner heimlichen Unwahrheiten wegen • Else Lasker-Schüler hatte sich bereits am 12. Mai bei Karl Kraus beklagt, dass Pfemfert im Nachruf ihre Russlandreise nicht erwähnt (s. [142] und [143]). – von Senna Hoy veröffentlichen • Franz Pfemfert druckte lediglich zwei weitere Texte von Senna Hoy in der ›Aktion‹ ab: am 30. Mai 1914 ›Marusja‹ (Jg. 4, Nr. 22, Spalte 482–488) und am 17. April 1915 einen ›Essay‹ (Jg. 5, Nr. 16/17, Spalte 193–199) betitelten Beitrag über Else Lasker-Schüler. – Karl von Moor • Anspielung auf den Räuber Karl Moor in Friedrich Schillers Schauspiel ›Die Räuber‹. – Ein heiliger Feldherr • Vgl. zu [140]. – falsche Magdalenen • Maria Magdalena: im Neuen Testament eine der Zeuginnen für das Sterben und die Grablegung Jesu. Vgl. Matthäus 27,55–61. – Ihr Bild • Vgl. zu [132]. – Alexandra Ramm • Vgl. zu [142]. – mit ihrer Schwester • Maria Ramm (1890–1975), Übersetzerin. Sie war von 1913 bis 1923 mit dem Schriftsteller Carl Einstein (1885–1940) verheiratet. – Herwarth • Herwarth Walden. – St. Petrus Hille • Peter Hille (vgl. zu [38]). – Dr. Blei • Franz Blei (vgl. zu [132]). – Frau: Dr. Ischak • Frida Rubiner (vgl. zu [145]). – im Westen • Im Berliner ›Café des Westens‹. – Bankdirektor Stern • Julius Stern (1858–1914), Bankier, Kunstsammler und Mäzen in Berlin. – Ludwig Kainer • Ludwig Kainer (1885–1967), Maler, Grafiker und Bühnenbildner, von 1912 bis 1924 mit der Malerin Lene Kainer (vgl. zu [139]) verheiratet. Else Lasker-Schüler widmete ihm 1913 in ›Gesichte‹ den Essay ›Wenn mein Herz gesund wär –‹ (S. 143–149; KA, Bd. 3.1, S. 265–268): »In Verehrung für Ludwig Kainer«. – Theodor Wolff • Theodor Wolff (1868–1943), 1906–1933 Chefredakteur des ›Berliner Tageblatts‹. – V. Richthofens • Hartmann von Richthofen (1878–1953), deutscher Diplomat und Politiker, 1912–1918 Mitglied des Reichstags. Er hatte 1905 kurzzeitig der deutschen Botschaft in Sankt Petersburg angehört. – Mendelsohn • Franz von Mendelssohn (1865–1935), Bankier in Berlin. – Dr. Buck • Otto Buek (1873–1966), aus Sankt Petersburg gebürtiger deutscher Philosoph, Herausgeber und Übersetzer. – Dr. Thesing • Curt Thesing (1879–1956), deutscher Biologe und Sachbuchautor, Übersetzer. – jede Schaufel Erde • Vgl. zu [141]. – Aus Gold seine Stirn war • Vgl. zu [140]. – Wenn Sie es übernehmen wollten • Karl Kraus schrieb keinen Beitrag über Senna Hoy. – über Sie in der Aktion • Vgl. zu [142]. – Harden • Maximilian Harden (urspr. Felix Ernst Witkowski) (1861–1927), Publizist in Berlin, 1892–1922 Herausgeber und Hauptautor der Wochenschrift ›Die Zukunft‹. – Kurtz • Rudolf Kurtz (vgl. zu [57]). – Schickele • René Schickele (1883–1940), aus dem Elsass gebürtiger deutschsprachiger Schriftsteller. – Werefkin • Marianne Werefkin (1860–1938), aus Russland gebürtige Malerin. Sie zog 1896 nach München, 1914 in die Schweiz, wo sie sich 1918 in Ascona niederließ. 1922 veröffentlichte Else Lasker-Schüler das Gedicht ›Marianne von Wereffkin‹ (»Marianne spielt mit den Farben Rußlands malen«) (Der Querschnitt durch 1922. Marginalien der Galerie Flechtheim, Düsseldorf, Berlin, Frankfurt am Main, Köln: Alfred Flechtheim, 1922, S. 45; KA, Bd. 1.1, S. 219 f.). – beim Zaren Alexander • Alexander III. (Alexander Alexandrowitsch Romanow) (1845–1894), 1881–1894 russischer Kaiser. – Dschunkowski • Wladimir Fedorowitsch Dschunkowskij (1865–1938), 1908–1913 Generalgouverneur von Moskau. – an den Zaren • Nikolaus II. (Nikolaus Alexandrowitsch Romanow) (1868–1918), 1894–1917 russischer Kaiser. – Lucius • Hellmuth Lucius von Stoedten (1869–1934), deutscher Diplomat, 1911–1914 Botschaftsrat in Sankt Petersburg. – den deutschen Kaiser • Wilhelm II. (Friedrich Wilhelm Viktor Albert von Preußen) (1859–1941), 1888–1918 deutscher Kaiser. – Nicolai • Georg Friedrich Nicolai (1874–1964), Arzt und Pazifist, ab 1909 Oberarzt an der Berliner Charité, ab 1914 Militärarzt. Als Kriegsgegner floh er im Frühjahr 1918 nach Kopenhagen. Ab 1922 lebte er in Argentinien, später in Chile. – Bechteret • Wladimir Michailowitsch Bechterew (1857–1927), russischer Neurologe, Professor an der Militärmedizinischen Akademie in Sankt Petersburg. – Dr. Grossmann • Stefan Großmann (1875–1935), aus Wien gebürtiger Schriftsteller und Journalist. Er zog im Frühjahr 1913 nach Berlin und wurde Mitarbeiter der ›Vossischen Zeitung‹. – Frau Osthaus • Gertrud Osthaus (geb. Colsman) (1880–1975), Sammlerin und Mäzenin. Sie gründete 1902 zusammen mit ihrem Mann Karl Ernst Osthaus (1874–1921) das Folkwang-Museum in Hagen. – am Grab • Auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee. Dort war Senna Hoy am 11. Mai 1914 beigesetzt worden (s. [141]). – in einem Vortrag • Else Lasker-Schüler hatte am 25. April 1914 beim »8. Autorenabend der Aktion […] im Vortragssaal Austria, Potsdamer Straße 28«, gelesen. Die Veranstaltung war in der ›Aktion‹ vom 25. April 1914 (Jg. 4, Nr. 17, Spalte 376) angekündigt worden. – Briefe und Bilder • Vgl. zu [142]. – Maltzahn • Hans Adalbert von Maltzahn (vgl. zu [144]). – Ramus • Pierre Ramus (vgl. zu [140]).

[147] Freianzeige in der ›Fackel‹

ELSE LASKER-SCHÜLER | HEBRÄISCHE BALLADEN

Anmerkung

Die Fackel, Jg. 16, Nr. 399 vom 18. Mai 1914, Innenseite des vorderen Umschlags.

[148] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Grunewald, Samstag, 23. Mai 1914

[Frauenkopf im Profil, im Hintergrund eine Stadt mit Mondsichel und Sternen]

Hochverehrter Cardinal.

Undank für Ihren Brief! Aber Euer Wille sei Eure Unseligkeit.

Die Luft ist heute heiß ohne zu stechen alles voll Frieden. Bald hab ich eine goldene Gesichtsfarbe. Die Tyroler aus Innsbruck schreiben mir freundschaftliche Karten, aber alle lieben wohl meine Gedichte Niemand mein Herz. [im H ein Herz] Ich liebe wütend bis zum zartesten Überschwang. Goldblond nimmt nur meinen Hauch an. Aber ich liebe auch blühende Bäume und bunte Affen, ich allein bin unschuldig in Sodom geblieben. In den Cafés und Restaurants lauter üble Sodomiterspießer sie begehen an ihren Kalbscotelettes und Hammelrücken zwischen Zahn und Blombe Sünde. Was soll ich Ihnen antworten, da Sie immer abweisen was ich gut befinde? »Die blauen Thränen« gebe ich zu, sind mir verrutscht – die kann ich nur weinen. Mein Freund Sascha von Moskau hat nie geweint; und Werfel hab ich nie blaue Thränen weinen sehn. Auch meine sind getrübt. Immer schlägt Welle an mein Herz, immer muß ich über Gottes Grab. Ich glaub fast er ist tot und die Bibel ist seine Gedenktafel. Nach menschlichem Empfinden kann er nur wie Willkür wirken – wenn er lebt oder sich abgewandt hat. Ich bin ganz gottverlassen oder gerade zwischen seinen Geweiden eingeklemmt. Ich wünschte mir ein großes Feuer, Haus an Haus müßte brennen; ich brenne darauf den ganzen Kurfürstendamm zu zünden. Ich machte vor kurzem den Versuch der mißlang. Ich möchte nach Venedig – sagen Sie Hans Adalbert von Maltzahn, er soll mit mir nach Venedig Juni aber ich darfs nicht wissen – ich kann nur als Prinz mit einem Prinzen reisen. Er ist ein Prinz. Bitte empfangen Sie ihn, hochverehrter Cardinal, loben Sie mich und meine Launen, meine Gedichte, vor allen meine Seele, die trage ich vor mir wie eine Fahne.

Ihr Sie verehrender

Jussuf.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157920). Datum von Helene Kann: »23. V. 14«. D: KA, Bd. 7, S. 46 f.

Die Tyroler • Ludwig von Ficker (1880–1967) und Georg Trakl (1887–1914). – Goldblond nimmt nur meinen Hauch an. • Die erste Strophe des Gedichts ›O, ich hab dich so lieb‹, das im Juni 1914 im ›Brenner‹ (Jg. 4, Heft 17/18, S. 796; KA, Bd. 1.1, S. 174) erschien, lautet: »Dein Goldblond nimmt nur / Meinen Hauch an.« – Sascha von Moskau • Senna Hoy (vgl. zu [138]). In den drei Ausgaben der ›Gesammelten Gedichte‹ erschien ›Ein Trauerlied‹ (S. 142 f., S. 144 f., S. 144 f.; KA, Bd. 1.1, S. 118) mit der Widmung: »für Sascha den Prinzen von Moskau«. In ›Der Malik‹, der elften Folge der ›Briefe und Bilder‹, schreibt Else Lasker-Schüler: »Wir acht wilde Juden bilden nun eine Vereinigung, Ruben. Mit diesen wilden Meinen Juden ziehe ich über die Alpen nach Rußland. Sascha der Prinz von Moskau liegt dort in Ketten.« (Der Brenner, Jg. 4, H. 19 vom 1. Juli 1914, S. 860; KA, Bd. 3.1, S. 333.) – Immer schlägt Welle an mein Herz • Im Gedicht ›O, ich hab dich so lieb‹ (s. o.) heißt es: »Immer schlägt wilde Welle / An mein Herz. // Über dunkel Gestein / Und schweigende Erde / Muß ich, // Über Gottes Grab.« – Hans Adalbert von Maltzahn • Vgl. zu [144].

[149] Paul und Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Berlin, Samstag, 30. Mai 1914

[von Else Lasker-Schüler:]

Herrn Karl Kraus

Wien

Lothringerstr. 6.

(Östreich)

[von Paul Lasker-Schüler:]

Viele Grüsse Ihr Paul Walden.

[männliche Gestalt (Karl Kraus), die auf ein Kind blickt]

[von Else Lasker-Schüler:]

[Mondsichel]

Viele, viele Phingstwünsche vom Prinzen Jussuf

Paul zeichnet alles Ehrenwort aus dem Kopf. Wir sitzen hier Schreibraum Café d. Westens.

Paul Lasker-Schüler

Anmerkungen

H (Postkarte): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158190). Poststempel: Berlin, 30. 5. 14. D: KA, Bd. 7, S. 49.

Phingstwünsche • Der Pfingstsonntag fiel 1914 auf den 31. Mai.

[150] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Grunewald, Freitag, 12. Juni 1914

(Östreich)

Herrn Karl Kraus

Wien

Lothringerstr. 6

Cardinal, nun erscheint bald Ihre Zeichnung von mir und die Krönungsrede, die ich Ihnen widmete in den Briefen an Franz Marc. Brenner! erscheint nun mein neuer Briefroman. Haben Sie die Gedichte im Brenner gelesen. Die Reihe (im II. Gedicht) »meiner Träumerei« gilt nicht, ist unnötig. Nun wird Sutter die Briefe drucken, die St. Petrus Hille an mich schrieb und sein Bild von mir gezeichnet. Er giebt Monatshefte heraus wohnt München Klarstr. 12 – schrieb er hätte früher die Fackel (glaub ich) »gedruckt«? Oder wie? Ist der Sutter gut? Ich forderte, das Buch (klein) 500 Mk für alle Auflagen – er konnte nicht – nun 300 Mk für 2 Auflagen. Hat – bitte unter Discretion v. Ficker kein Geld? Oder wie?

Bitte lassen Sie mir mittheilen ja.

Ich grüße Sie verehrend Prinz von Theben.

Anmerkungen

H (Postkarte): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158195). Poststempel: Berlin, 12. 6. 14. D: KA, Bd. 7, S. 51.

in den Briefen • Die elfte Folge der ›Briefe und Bilder‹ erschien mit dem Titel ›Der Malik‹ am 1. Juli 1914 im ›Brenner‹ (s. [151]). – Gedichte im Brenner • Die Gedichte ›Meiner Mutter‹ und ›O, ich hab dich so lieb‹, die im Juni 1914 im ›Brenner‹ (Jg. 4, Heft 17/18, S. 796; KA, Bd. 1.1, S. 174) erschienen waren. – »meiner Träumerei« • Die dritte Strophe des Gedichts ›O, ich hab dich so lieb‹ lautet: »Die großen Blutbuchen / Meiner Träumerei / Färben meine Nächte.« – Sutter • Berthold Sutter (1886 – nach 1930), Verlagsbuchhändler in München. Er erwarb im März 1914 die Buchbestände und den Namen des finanziell angeschlagenen Verlags von Heinrich F. S. Bachmair (1889–1960) und gab die Zeitschrift ›Der deutsche Waffenstudent‹ heraus, die vom Juli 1914 bis zum Juni 1915 erschien. Sutter war an der ›Verlagsgesellschaft München‹ beteiligt gewesen, die vom Herbst 1908 bis zum Sommer 1909 in Deutschland ›Die Fackel‹ vertrieben hatte. – die St. Petrus Hille an mich schrieb • ›Briefe Peter Hilles an Else Lasker-Schüler‹. Das Buch erschien erst 1921 bei Paul Cassirer in Berlin. Else Lasker-Schülers Einbandzeichnung ist mit »St. Peter Hille« beschriftet. – Vgl. zu [38] (»Peter Hille«). – kein Geld? • Ludwig von Ficker (1880–1967) war Herausgeber der Zeitschrift ›Der Brenner‹. Else Lasker-Schüler dürfte sich für ihre beiden Veröffentlichungen dort ein Honorar erhofft haben (s. [152]).

[151] Else Lasker-Schüler, Der Malik. Briefe an den blauen Reiter Franz Marc [11. Folge der ›Briefe und Bilder‹; Auszug]

Der Malik. Briefe an den blauen Reiter Franz Marc

[…]

Lieber Ruben, gestern beriet Ich Mich wieder mit dem österreich-venezianischen Kardinal Karl Kraus. Von seinem Gemach aus freute ich Mich über Mein begeistertes Volk und warf ihm Kußhände zu und jubelte mit ihm eine Weile. Der Kardinal sagte, Ich bin leutselig, er meinte, Ich bin zu allerleutselig. Meine Unerfahrenheit aber in Leutseligkeiten tat seinem gütigen Herzen wohl. Seine letzte Haut ist ein Ornat.

Briefe und Bilder

[…]

Mein Bruder. Die Feierlichkeiten sind vorbei, aber noch verbinden Guirlanden die Häuser mit dem Palast. Meine Krönungsrede wird ausgegeben in den Straßen. Ich sah Dich am Fuße des Hügels stehen und weinen. Daniel Jesus Paul und Du küßtetest Euch – Ich wußte, daß Ihr entbrennen würdet in Wohlgefallen. Bei der Tafel aber ärgertest Du Dich einigemal über Deinen gekrönten Bruder. Ich vernachlässigte Meine Minister, um der Künstler willen, und gab den Frauen mutwillige Ratschläge. Sie sollten sich mit nichts anderem beschäftigen, als für ihren Malik zu schwärmen. Auch schien es Dir, Ich tanzte zu viel, und zu unbändig für einen Basileus. Aber Du kennst doch Meine Thebenmenschen noch nicht. Die freuen sich aller Ausgelassenheit und da nun Meine beiden Kaiseraugen auf »ernst« gestimmt sind, verbüße Ich keineswegs von ihrer Hochachtung. Volk darf sich nicht langweilen, Ruben. Dein Tiervolk sind eben andere Menschen ... Auch der Kardinal verließ die Stadt befriedigt, und kehrte nach Wien zurück. Grüße Mir Meinen neuerwählten Vicekaiser Daniel Jesus Paul, er möge Dich, Mein geliebter Bruder, und Dein lieb Weib noch lange in Meiner Zweithauptstadt Mareia süß beherbergen. Dein Jussuf Abigail.

Ruben, morgen halte ich Gericht. Jussuf.

[…]

Einige Fragen legten Mir die Thebenältesten nach alter Islamsitte vor: Was Mich in der letzten Zeit beleidigt hätte, Ich sagte, die albanische Fürstenfrage, daß Ich nicht zu Meinen drei Städten noch die albanische Regierung anvertraut bekommen habe. Mit bunt Volk muß man gold und lila sein, nicht schwarz, weiß, ziegelrot, das sind zu harte Farben.

Sehr delikat berührte man Meine in Aussicht gestellte Vermählung mit Enver Pascha. Ich erörterte die Bedenken des verehrten Kardinals von Wien gegen die Heirat mit Bey, und wir einigten uns, indem wir Aussicht nahmen auf eine eventuelle Verbindung Meiner kaiserlichen Hoheit und der abessinischen Hoheit des Menelik unseres Vetters von Abessinien. Ich finde ihn, unter uns Zwein, traut, sanft kindlich, mausgrau und levkojenfarbig getönt und hinreißend verliebt in Mich. Dein Jussuf.

[…]

Die Krönungsrede.

Karl Kraus dieses kaiserliche Schreiben in Verehrung

Mein süß Volk! Die großselige Mumie Meines Urgroßvaters, des Scheiks, liegt nun 100 Jahre im Gewölbe. Er konnte sein Herz in die Hand nehmen und es strömen lassen wie einen bunten Brunnen. Ich aber werfe es unter Euch, Meine süßen, bunten Menschen und Ihr werdet es pochen hören und Ihr sollt Euch spiegeln in seinem Glanz. Mein Herz wird Euch ein Garten sein, ruht unter seiner Palme Schatten. Mein Herz ist ein Weinberg, ein Regenbogen Eures Friedens nach dem Sturm. O, Mein Herz ist der Strand der Meere, Mein Herz ist der Ozean: Ich will den Gaukler tanzen fühlen über Mein rotes Rauschen und den Gestrandeten untergehn in Meiner Welle. Aber den Heimgekehrten wird Mein Herz einlassen durch sein Korallentor und dem Liebenden will es ein Mahl bereiten von seiner Beere. Mein Herz möchte sich aufrollen dem Frommen, ein Teppich der Gnade und Demut; dem Betsüchtigen soll Mein warmer Tempel eine Heimat sein. So lieb Ich Euch, Ihr Brüder und Schwestern Meiner Stadt Theben, und Ich bin Euer Vater, Eure Mutter, Euer Bruder und Euer König und Euer Knecht. Denn wer nicht gehorchen kann, kann nicht regieren und wer nicht regieren kann, rühme sich der Demut nicht. Ich, der Malik, bin das Schloß zu der Kette, die Ihr bilden sollt; daß Ihr Mir den Malik ehrt! Und er das goldene Amen Eurer Rede ist. Aber auch in Kriegszeiten soll »das Blutfließen einer Ader« bedeuten, den Schauer der Schlacht laßt uns einen Mantel um unsere Schultern legen. Wer seinen Freund verläßt, ist ein Fahnenflüchtiger, aber wehe dem, der sich dem Feinde des Sieges rühmt. Ich will Kaiser sein über Kaiser. Jeder von Euch, und ist’s der Ärmste, heißt Mein Kaiserlicher Untertan. Wir wollen uns küssen auf den Mund. Ich, der Malik, einen jeden, jeder von Euch den zweiten. So pflegt Mir die Worte Meiner Liebe zart, daß sie zwischen dem Brot Eurer Äcker blühen. Immer sah Ich auf zum Himmel, o, Ihr müßt Mich lieb haben, und Ich bringe Euch Mein Herz ganz sanft wie eine Großnarzisse. Abigail Jussuf I. Basileus.

Anmerkungen

Der Brenner, Jg. 4, H. 19 vom 1. Juli 1914, S. 852–862, Auszug S. 856, 858–860 und 862 (KA, Bd. 3.1, S. 328–334).

1919 in ›Der Malik‹ (S. 42 und 44–47; KA, Bd. 3.1, S. 466 und 468–470) sind die vier Abschnitte als ›Achtundvierzigster Brief‹ (ohne die mit »Karl Kraus« beschriftete Zeichnung), ›Zweiundfünfzigster Brief‹, ›Vierundfünfzigster Brief‹ und ›Die Krönungsrede‹ (ohne die Widmung) abgedruckt. Zudem änderte Else Lasker-Schüler im 48. Brief: »Karl Kraus« in »Karl«, im 52. Brief: »Minister« in »Thebetaner«, »sich nicht langweilen« in »nicht zum Nachsinnen kommen« und »Ruben« in »Botschaft: Ruben«, in der ›Krönungsrede‹: »Euer Vater, Eure Mutter, Euer Bruder und Euer König und Euer Knecht« in »euer Bruder und euer König und euer Knecht« und »Untertan« in »Bruder«. – Ruben • Ruben, der älteste Sohn Jakobs und Leas, hält seine Brüder von der Ermordung ihres Halbbruders Josef ab, der Jakobs zweiter Ehe mit Rahel entstammt und den Jakob mehr als die Söhne seiner ersten Frau liebt. Ruben schlägt vor, Josef in eine Grube zu werfen, und plant, ihn später wieder zu Jakob zurückzubringen: Josef wird jedoch von den anderen Brüdern nach Ägypten verkauft. Vgl. 1. Mose (Genesis) 37,12–28. – Daniel Jesus Paul • Paul Leppin (vgl. zu [62] und [114]). – Dein Tiervolk • Als Maler ist Franz Marc vor allem für seine Tierbilder berühmt. In ihrem Nachruf ›An Franz Marc‹ (Berliner Tageblatt, Jg. 45, Nr. 126 [Morgen-Ausgabe] vom 9. März 1916; KA, Bd. 1.1, S. 184–186 und Bd. 3.1, S. 413 f.) schreibt Else Lasker-Schüler: »Er war der, welcher die Tiere noch reden hörte; und er verklärte ihre unverstandenen Seelen.« – die albanische Fürstenfrage • Albanien war seit dem 15. Jahrhundert Teil des Osmanischen Reiches und wurde 1912 während der Balkankriege unabhängig. Im Frühjahr 1914 wurde Wilhelm Prinz zu Wied (1876–1945) Fürst von Albanien, der das Land aber bereits im September 1914 wieder verließ, weil es ihm nicht gelungen war, beim Volk und bei den albanischen Lokalherren Ansehen zu gewinnen. Wilhelms Schwägerin war Pauline Fürstin zu Wied, die 1913 zu den Unterzeichnern des Spendenaufrufs zugunsten Else Lasker-Schülers gehörte (s. [107]). – Enver Pascha • Enver Pascha (1881–1922), osmanischer General und Politiker. Er nahm 1908 eine führende Rolle bei der Jungtürkischen Revolution ein. 1909 wurde er Militärattaché an der osmanischen Botschaft in Berlin und setzte sich für eine militärische Partnerschaft mit dem Deutschen Reich ein. – Menelik • Menelik II. (1844–1913), 1889–1913 Kaiser von Äthiopien. – Meines Urgroßvaters, des Scheiks • Titelfigur der Erzählung ›Der Scheik‹ (vgl. zu [11]). – sein Herz in die Hand nehmen • Dieses Bild, das Else Lasker-Schüler auch in ihrem Essay ›Sterndeuterei‹ (Schluss des ersten Absatzes) gebraucht (s. [45]), ist in ›Der Scheik‹ nicht belegt.

[152] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Grunewald, Montag, 6. Juli 1914

Hochwerter Cardinal.

Ich hoffe Ihr Bildniß hat Ihnen gefallen. Hier in Berlin ist man sehr zufrieden damit.

Ich reise gleich nach München mit Sutter reden. Er nahm die Briefe damals, die St Peter Hille an mich schrieb, ich will nun wegen der Briefe Der Malik mit ihm reden. Giebt er mir mehr wie Schwabach, dann kann ich nicht zögern. Dieser Tage kommt der Prinz von Theben im Verlag die weißen Bücher Leipzig heraus. 25 Bilder von mir und 3 Bilder von Franz Marc sind darin. Ich schreib und schreib und verdien nichts oder so viel, daß ich eben leben kann. Mir gings in den letzten Monaten sehr schlecht. Mein Paul ist so begabt im Zeichnen, daß hier Kainer – Fritz Wolff sagen, er ist fertig. Unerhört zeichnet er und ist so lieb zu mir und er soll wenigstens eine nette Jugend haben. Ich bin so nervös, ich kann gar nicht schreiben, ich bin so über alle Maßen dahin nicht allein Geldsorgen auch andere Dinge, die sich sonst zwischen Himmel und Wolken abspielen, ergreifen mich. Diese innere Einsamkeit dabei kenne ich so nette Leute. Ich war in Leipzig von Maltzahn wieder eingeladen, den haben einige Studenten, die eifersüchtig waren auf unserer Freundschaft, scheints auch aufgehetzt. Ein feiner Mensch er schwärmt nur für Sie darum ladet er mich ein. Ein feiner Diplomat. Er möchte nur um Karl Kraus sein. Er versteht Sie. Seine Tanten sind hier am Hof sagte er mir v. Gersdorff etc. Rufen Sie ihn nach Wien. Aber erwähnen Sie mich bitte nicht. Ich bin fertig mit der Welt. Ich will Räuber sein, alles habe ich, alle meine Spielsachen verbrannt gestern, ich will jetzt durchaus verlumpen. Ich habe mich so bemüht immer kaum Erfolg.

Kann v. Ficker nicht bezahlen?

Dr. Musil ist reizend zu mir. Kennen Sie ihn. Ein feiner Dr. Blei. Ich sprach auch Werfel in Leipzig, er ist glaube ich schrecklich traurig wegen Ihrer. Karl Kraus bitte nichts davon Kete Parsenow der Venus schreiben. Aber wenn ich Sie frage, (wenn Sie den Brenner nun gesehn haben und das neue Buch in diesen Tagen – wollen Sie mir hundert Mark leihen? Und sind Sie nicht verstimmt ob meine hundsgemeine Bettelei? Darf ich Ihnen die 100 dann in einem Vierteljahr erst widergeben?

Verehrend

Ihr Jussuf Prinz von Theben.

Else Lasker-Schüler

Pension Führmann

München-Schwabing

Sind Sie böse?

V. Maltzahn wohnt: Leipzig Königsplatz 17

Wir sind nur befreundet Ehrenwort.

Verzeihung bitte Blei.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157912). Datum von Helene Kann: »6. VII. 14«. D: KA, Bd. 7, S. 54 f.

Ihr Bildniß • Else Lasker-Schülers mit »Karl Kraus« beschriftete Zeichnung war am 1. Juli 1914 im ›Brenner‹ erschienen (s. [151]). – Sutter • Berthold Sutter (vgl. zu [150]). – die St Peter Hille an mich schrieb • ›Briefe Peter Hilles an Else Lasker-Schüler‹. Das Buch erschien erst 1921 bei Paul Cassirer in Berlin. – Vgl. zu [38] (»Peter Hille«). – Briefe Der Malik • ›Der Malik‹, die überarbeitete und erweiterte Buchausgabe von Else Lasker-Schülers ›Briefen und Bildern‹, erschien 1919 bei Paul Cassirer. – Schwabach • Erik-Ernst Schwabach (vgl. zu [132]). Er hatte 1913 mit Kurt Wolff den ›Verlag der Weißen Bücher‹ gegründet, in dem im Sommer 1914 ›Der Prinz von Theben‹ erschien. – Mein Paul • Else Lasker-Schülers Sohn Paul (1899–1927). – Kainer • Ludwig Kainer (vgl. zu [146]). – Fritz Wolff • Fritz Wolff (1897–1946), Grafiker in Berlin. Über ihn schrieb Else Lasker-Schüler einen ›Fritz Wolff‹ betitelten Essay, der zuerst 1917 in den ›Gesammelten Gedichten‹ (S. 129 f.; KA, Bd. 3.1, S. 421 f.) erschien. In allen drei Ausgaben der ›Gesammelten Gedichte‹ widmete sie Fritz Wolff das Gedicht ›Die Stimme Edens‹ (S. 58 f.; KA, Bd. 1.1, S. 126 f.): »Dem lieben Fritz Wolff, dem Zeichner der Generäle und seiner Malerin mit vieler Liebe«. – Maltzahn • Hans Adalbert von Maltzahn (vgl. zu [144]). – Kann v. Ficker nicht bezahlen? • Siehe [150]. – Ein feiner Dr. Blei • Franz Blei (vgl. zu [132]) war mit dem österreichischen Schriftsteller Robert Musil (1880–1942) befreundet und förderte dessen Werk. – traurig wegen Ihrer • Karl Kraus hatte sich anfangs für Franz Werfels Dichtung eingesetzt (vgl. zu [98]), dann aber eine polemische Haltung Werfel und den Prager Lyrikern gegenüber eingenommen (vgl. zu [139]). Die Hintergründe des Zerwürfnisses von Karl Kraus und Franz Werfel sind ausführlich in der Dokumentation ›Karl Kraus – Franz Werfel‹ (2011) von Christian Wagenknecht und Eva Willms dargestellt.

[153] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Grunewald, Donnerstag, 9. Juli 1914

Sehr werter Herr Kraus,

da ich so viele Briefe ohne Unterschrift erhalte – weiß ich nicht, ob die Depesche nach hier aus Wien von Ihnen war? Wenn also – so danke ich Ihnen – ich habe Geld bekommen aus Elberfeld von dem Besitzer der rechnenden Pferde.

Ich grüße Sie,

Jussuf Abigail der Malik

von Theben.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157910). Datum von Helene Kann: »9. VII. 14«. D: KA, Bd. 7, S. 56.

Besitzer der rechnenden Pferde • Karl Krall (sen.) (1863–1929), Juwelier in Elberfeld, namhaft wegen seiner Experimente mit Pferden, insbesondere mit dem ›Klugen Hans‹. 1912 war von Krall die Schrift ›Denkende Tiere‹ (Leipzig: Engelmann) erschienen. In ›St. Laurentius‹ (Vossische Zeitung [Berlin], Nr. 248 [Sonntags-Ausgabe] vom 27. Mai 1928, [Beilage:] Das Unterhaltungsblatt Nr. 123; KA, Bd. 4.1, S. 155–158) berichtet Else Lasker-Schüler über die Prozession am Laurentiustag in Elberfeld. Sie schreibt: »Alle Einwohner unserer Stadt Elberfeld schienen auf den Beinen zu sein, nur der Karl Krall kam auf seinen ›klugen Hans‹ herbeigeritten, auf dem Rücken seines Pferdes, das rechnen konnte, wie ein mathematischer Professor.«

[154] Else Lasker-Schüler, Der Prinz von Theben [Widmung]
Erschienen im Sommer 1914

Die Erzählung ›Das Buch der drei Abigails. Abigail II.‹ (zweite Ausgabe: ›Abigail der Zweite‹) aus ›Der Prinz von Theben‹ (Leipzig: Verlag der Weißen Bücher, 1914) erschien mit der gedruckten Widmung: »Karl Kraus | dem Cardinal«. Die Widmung wurde auch in die zweite Ausgabe des Buches (Berlin: Paul Cassirer, 1920) übernommen.

[155] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Berlin, Dienstag, 27. April 1915

Hochverehrter Karl Kraus

Ich schreibe Ihnen nun doch diesen Brief, weil es wohl, nach meinem Gefühl zu beurteilen, sein muß. Ich wollte nie Zwist säen zwischen Menschen, die das Gleiche tun, wie ich, die also dichten, aber Sie tun ja gar nicht das Gleiche, das ist ja gar nicht wahr. Ich bin so allein hier in Berlin, auch im Café des Westens, manchmal nur kommt so etwas wie Concert zu Stande; vier, die zusammen am Tisch sitzen und doch fortfliegen irgend wohin in die Welt. [im W ein Stern] Ich bin schrecklich traurig, ich bin ganz stumm geworden, Aufstand ohne Trommel und bin doch im Mittelpunkt der Stadt, wohn an der Trommel der Stadt; aber das ist ja alles äußerlich und künstlich um mein Herz. Wenn doch Franz Marc aus dem Krieg wäre, der ist so unerhörte Herrlichkeit, das können Sie kaum glauben, daß das möglich ist, er ist der Einband der Bibel, er ist Ruben und was er aus dem Krieg schreibt das löst sich hier in meiner Hand wieder zu Blut oder zur Fahne auf oder so – [fünfzehn Sterne] Ich habe versucht zu ihm nach dem Westen zu ziehen, aber es ging nicht denn ich halte es hier in der Arche nicht aus. Solche Gehässigkeiten (unter den Schriftstellern namentlich) und Feigheiten und lautes Hervordrängen. Ich würde Ihnen jetzt in dieser Zeit des Todes nicht mit Kleinigkeiten kommen mit persönlichen Dingen, aber Sie müssen es wissen denn ich will bald ans Meer, ich will mich auf die Wellen legen um wieder frisch zu werden, meine Seele ist kaput. Gestern war ich wieder beim Justizrat wegen Dr. Kurt Hiller, so verfolgt er mich trotzdem ich meines Wissens diesem Menschen nie etwas tat noch ihn schädigte. Der junge Wieland Herzfelde, unser jüngster Dichter hier, hat ihn dann vor einem Monat ungefähr zweimal für seine unerhörten Gemeinheiten gegen mich geohrfeigt öffentlich im Café d. W. Aber erst seit gestern weiß ich eigentlich wie dieser lügenhafte, ehrgeizige Mensch von mir gesprochen hat. Denn der Wieland hatte mir nur Andeutungen gemacht, aber beim Justizrat mußte er alles sagen: Darum sehen mich die Leute auch (einige) so seltsam an im Café und ich wußte nie warum. Darum bekam Hans von Maltzahn fortwährend schmachvolle, anonyme Briefe, er sagte es mir nur und zeigte sie nie.

So sagte Dr. Hiller in Gegenwart (er soll aber immer so sprechen) von Wieland: Den Dr. Groß hätte man lieber nicht einsperren sollen, lieber die Lasker-Schüler, der Dr. Groß ist wenigstens nicht gemeingefährlich wie die Lasker-Schüler. »Sie, sagte er zu Wieland, vor 4 Zeugen Sie irren Sich nur im Stockwerk« und er sagte dann noch etwas, das ich nicht vor Schmutz wiederholen will, ich kann es nicht geschrieben von Mir dem Prinzen von Theben sehn. Der Inhalt aber ist der, daß er sagte wie zu allen jungen Dichtern, ich locke sie in mein Schlafzimmer, die jungen Leute für mich auf niedrigem Weg zu gewinnen zum Kampf. Ich könnt auch dichterisch nichts und der »Kraus« habe unerklärlich Partei für mich genommen. Und er würde (der Dr. Hiller) würde mich blockieren, das kein Mensch mich mehr kenne. Die feinen Menschen im Café benehmen sich ja gut, sie hassen Dr. Hiller, aber glauben, er könne sie protegieren und im Gnu lesen lassen und sind feige. Der Schriftsteller Kaiser hat sich als Zeuge gegen mich nennen lassen.

Ich hätte, sagte Dr. Hiller, den Besitzer des Cafés nicht gebeten, als er das Café verboten bekommen hätte, ihn wiederzuholen. Ich habe gar nicht eine Idee davon gehabt. Denken Sie, vor zwei Jahren kam eines Nachmittags Dr. Hiller zu mir in den Grunewald Humboldtstr. 13 und wollte mich direkt zwingen, Ihnen einen Brief von ihm diktiert zu schicken. Er wisse nämlich noch nicht genau zu wem er halten solle, wer stärker sei, Sie oder Kerr. Er hätte ja für Sie beide große Hochachtung. Ich sagte dann beleidigt, er solle den Brief selbst schreiben und war fertig mit ihm. Seitdem Karl Kraus, verfolgt er mich, und ich find keine Ruhe vor ihm. Ich hätte ihn schon geohrfeigt selbst, da Wieland so jung ist und sich schaden kann, aber ich kann nicht mehr kämpfen jetzt, ich bin gestorben im Wirrwarr der Welt in diesem Wildkrieg oder gerade nicht Wildkrieg, auf der Walze der Maschine des Kriegs. Wären doch auch statt Menschen nur Bleisoldaten. Ich muß immer dichten, aber ich werde immer zerrissen von den äußeren Dingen. Nun denken Sie, Leute, die mich gerade kannten, sagen mir Frechheiten oder Verleumdungen nach als ob sie mich als verrückt bezeichnen möchten: So: Ich hätte Frauen nach Holland Depeschen gesandt, ihre Verlobten seien irrsinnig hier angelangt. Und wenn die Frauen dann gekommen wären, hätte ich gesagt, es sei nur Spaß. Nur Kainers, Fritz Wolff, Wieland und sein Kreis halten mit mir fest. Aber mein Herz ist einsam ich muß immer weinen vor Einsamkeit, vor innerer Höhle. Niemand kann zu mir, ich kann zu Niemand. Senna Hoy tröstete mich im Kerker und was er war, sehen Sie in der Aktion; mag nun der Essay künstlerisch oder nicht geschrieben sein. Er war ja auch eigentlich ein Feldherr und so fromm, Karl Kraus, so ehrlich, Sie hätten geweint wenn Sie ihn gesehn hätten, auch dann als er noch nicht im Kerker war. Nur die seichten Freunde um ihn, die feige Rotte, die hat ihn trüb verschleiert. Er war auch immer allein. Sehen Sie wie ich hinging – das beweist eben, Meer muß nur zum Meer. Er hätte nie so eine Barbarei hier geduldet, er hätte sie erdrosselt mit seinen Armen. Aus dem Krieg schreiben mir feine Soldaten. Auch Werfel soll wieder im Krieg sein. Er ist kein Kommerzienrat mehr. Er leidet daran, daß Sie ihm bös sind. Der Herr Deutsch mußte immer von Ihnen erzählen. Lieber Karl Kraus, schicken Sie ihm ein Wort in den Krieg. Das wäre wie ein Tropfen Goldwasser ihm nun im Helm gefunden. Damals war ich offen gestanden empört über Franz Werfel und unsere Venus, die mich gern hat, die ich liebe, hat dann Ihnen alles erzählt was mir widerfahren. Auch Werfel gönnt man nicht sein Gedicht. Er ist viel, viel mehr wie die anderen. Der Landvogt hat mir enorm geholfen – Sie wissen das gewiß, Sie sind gewiß auch im Schilde. Ich ahn das. Viele Bilder hab ich gemalt – so 100 die sollen ausgestellt werden.

Meine schönsten Ceremonieen.

Jussuf

Kleiststr. 22. Berlin W (Pension Bayreuth) Else Lasker-Schüler.

Frhr. H. v. Maltzahn (Kriegsfreiwilliger) Res. Ers. Esk. Pasewalk (Pommern) ist glücklich, seelig wenn Sie ihm Karte senden. Er ist auch mein ehrlicher Freund

Er wollte Dr. Hiller schreiben.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157915). Datum von Helene Kann: »27. IV. 15«. D: KA, Bd. 7, S. 86–88.

Ruben • Vgl. zu [151]. – Justizrat • Hugo Caro (1871/72–1918), Rechtsanwalt in Berlin. Über ihn schrieb Else Lasker-Schüler den Beitrag ›Unser Rechtsanwalt Hugo Caro‹, 1920 in ›Essays‹ (S. 39 f.; KA, Bd. 3.1, S. 525 f.) erschienen. Darin heißt es: »Der Krieg brach aus, Rechtsanwalt Caro meldete sich freiwillig; er liebte Berlin, es war seine Wiege, seine Primanerliebe, sein Berlin trug seine rote Studentenmütze. […] Die jungen Soldaten seiner Kompagnie nannten ihn: Vater Justizrat. Weil er so gütig zu ihnen sprach, sie ermutigte.« – wegen Dr. Kurt Hiller • Die von Else Lasker-Schüler geschilderte Auseinandersetzung mit Kurt Hiller (1885–1972) wird auch von Wieland Herzfelde (1896–1988) bezeugt. Herzfelde berichtet, dass er Hiller vor der Tür des ›Cafés des Westens‹ »geohrfeigt« habe, nachdem dieser sich anzüglich über Else Lasker-Schüler geäußert hatte (Wieland Herzfelde, Else Lasker-Schüler. Begegnungen mit der Dichterin und ihrem Werk, in: Sinn und Form, Jg. 21 [1969], H. 6, S. 1294–1325, vor allem S. 1316). Weit weniger dramatisch stellt Hiller selbst den Vorfall im Rückblick dar: Wieland Herzfelde habe ihm »den Hut vom Kopf« geschlagen, weil er seine Bemerkung, Else Lasker-Schülers Lyrik sei »nicht ganz groß, sondern nur groß«, für »lästerlich und infam« gehalten habe (Kurt Hiller, Begegnungen mit »Expressionisten«, in: Der Monat, Jg. 13, H. 148 vom Januar 1961, S. 54–59). – Hans von Maltzahn • Hans Adalbert von Maltzahn (vgl. zu [144]). – Dr. Groß • Der Arzt und Psychiater Otto Gross (1877–1920), Sohn des Grazer Kriminologen und Strafrechtlers Hans Gross (1847–1915), war 1913 nach Berlin gezogen und im Herbst desselben Jahres von seinem Vater als Drogenabhängiger zunächst in der Privat-Irrenanstalt Tulln bei Wien, später in der schlesischen Landesirrenanstalt Troppau untergebracht worden. Der Fall erregte großes Aufsehen bei zahlreichen Literaten, die sich für Otto Gross einsetzten. Unter anderem erschien eine ›Sondernummer für Otto Groß‹ der Münchner Zeitschrift ›Revolution‹ (Nr. 5 vom 20. Dezember 1913), in der Else Lasker-Schüler mit dem Beitrag ›Aus dem Buch der drei Melochim. I. Abigail‹ (KA, Bd. 3.1, S. 366–368) vertreten ist. Im Sommer 1914 konnte Otto Gross seine Entlassung aus der Klinik erreichen. – im Gnu lesen lassen • Kurt Hiller hatte 1911 zusammen mit Ernst Blass (1890–1939) das literarische Kabarett ›Gnu‹ gegründet, das bis zum Februar 1914 bestand. – Kaiser • Der Dramatiker Georg Kaiser (1878–1945). – Sie oder Kerr • Karl Kraus hatte sich 1911 in der ›Fackel‹ kritisch gegen die journalistischen Praktiken Alfred Kerrs gewandt (vgl. zu [108]). Kurt Hiller hingegen war ein entschiedener Parteigänger Alfred Kerrs: Dazu bekannte er sich in seinem Beitrag zur Rundfrage über Alfred Kerr (vgl. zu [56]), der am 27. April 1911 in der ›Aktion‹ (Jg. 1, Nr. 10, Spalte 301–303) erschienen war, und zuvor schon in seinem ebenfalls in der ›Aktion‹ veröffentlichten Essay ›Ein besserer Mitteleuropäer‹ (Jg. 1, Nr. 6 vom 27. März 1911, Spalte 172–175). – Kainers • Lene (vgl. zu [139]) und Ludwig Kainer (vgl. zu [146]). – Fritz Wolff • Vgl. zu [152]. – der Essay • Am 17. April 1915 war in der ›Aktion‹ von Senna Hoy (vgl. zu [138]) ein ›Essay‹ (Jg. 5, Nr. 16/17, Spalte 193–199) betitelter Beitrag über Else Lasker-Schüler erschienen. – ein Feldherr • Vgl. zu [140]. – Kommerzienrat • Rudolf Werfel (1857–1941), Franz Werfels Vater, war ein wohlhabender Handschuhfabrikant in Prag. – leidet daran, daß Sie ihm bös sind • Vgl. zu [152]. – Der Herr Deutsch • Ernst Deutsch (1890–1969), Schauspieler, Jugendfreund Franz Werfels. – Venus • Kete Parsenow. – Landvogt • Ludwig von Ficker (1880–1967). In den drei Ausgaben der ›Gesammelten Gedichte‹ stellte Else Lasker-Schüler einem Zyklus von vierzehn Gedichten, die zuerst 1902 in ›Styx‹ erschienen sind, folgende Widmung voran: »Die Gedichte des Styx schenke ich Ludwig von Ficker, dem Landvogt von Tyrol und seiner schönen Schwedin« (S. 37, S. 38, S. 38). – enorm geholfen • Ludwig von Ficker hatte im Juli 1914 Ludwig Wittgenstein (1889–1951) kennengelernt und von ihm 100000 Kronen erhalten, die er an »unbemittelte österreichische Künstler« überweisen sollte (Wittgenstein an Ludwig von Ficker, Brief vom 14. Juli 1914 – Ludwig von Ficker: Gesamtbriefwechsel. Kommentierte Online-Edition; Nachlass Ludwig von Ficker, Signatur: 041-053-051-001). Das Geld stammte aus dem Erbe von Wittgensteins im Januar 1913 verstorbenen Vater Karl. Die Verteilung erfolgte im Herbst 1914 und um die Jahreswende 1914/15. Es erhielten unter anderem Georg Trakl und Rainer Maria Rilke je 20000, Oskar Kokoschka und Else Lasker-Schüler je 5000, Adolf Loos und Theodor Däubler je 2000, Richard Weiß 1000 Kronen. Am 13. Oktober 1914 teilte die Österreichische Credit-Anstalt, Innsbruck, Ludwig von Ficker mit, dass sie »an die Deutsche Bank, Berlin, zu Gunsten der Frau Else Lasker-Schüler« 5.000,10 Kronen (3.846,15 Reichsmark) überwiesen habe (Ludwig von Ficker: Gesamtbriefwechsel. Kommentierte Online-Edition; Nachlass Ludwig von Ficker, Signatur: 041-035-035-001). – Auf Ludwig von Ficker dürfte Wittgenstein durch eine Bemerkung von Karl Kraus über den ›Brenner‹ in der ›Fackel‹ vom 5. Februar 1913 (Jg. 14, Nr. 368/369, S. 32) aufmerksam geworden sein: »Daß die einzige ehrliche Revue Österreichs in Innsbruck erscheint, sollte man, wenn schon nicht in Österreich, so doch in Deutschland wissen, dessen einzige ehrliche Revue gleichfalls in Innsbruck erscheint.« – ausgestellt • Die Ausstellung fand im Dezember 1915 und im Januar 1916 in Berlin in den Räumen des Graphik-Verlags am Pariser Platz statt und wurde anschließend im April und Mai 1916 im Hagener Folkwang-Museum gezeigt (s. [161]).

[156] Else Lasker-Schüler, Briefe an den blauen Reiter [12. Folge der ›Briefe und Bilder‹; Auszug]

Briefe an den blauen Reiter

[…]

Der Fürst von Cana sandte seinem Bruder dem Basileus und seinem Heer, das aus der kleinen Zahl der Häuptlinge bestand, seine herzlichste, brüderliche Teilnahme. Ihn schmerzte, den kaiserlichen Bruder nicht vertreten zu können, in der Zeit seines kriegerischen Pilgerzuges. Auch der Kardinal Karl von Östreich sprach sich zwar gerührt über das Vertrauen des Maliks aus, aber empfahl seine gottalte Stadt der Obhut des jungen Herzogs Hans Adalbert von Leipzig. Und der Malik erklärte sich einverstanden mit dem abendländischen Vertreter aus wohlgerechten Gründen. Denn es gab in ganz Theben kein Atmender, der nicht Malik genug gewesen wäre, den Malik zu vertreten. – Die weltmännische, liebenswürdige Art des Herzogs von Leipzig gewann bald das Herz des Kaisers und die Laune seiner bunten Stadt. Seinem Bruder Ruben, dem blauen Reiter, teilte der Malik wörtlich mit: »Ich bin dem Kardinal Karl im höchsten Maße für den Anteil, den er an Meiner Stadt liebevoll nahm, verpflichtet. Ich und Mein Volk sind des Lobes voll über Hans Adalbert, dem Vizekönig von Theben. Er wird in der Zeit, in der Ich und Meine Häuptlinge den Schneeweg überschreiten, Meine Stadt würdig regieren, süß belustigen und sie bescheeren mit meinem Angedenken. Meinen treuen Knecht Somali Oßman habe ich im Verdacht des ganz kindlichen Schachers. Er wollte dem Herzog heimlich seine Würde als Kaiser verkaufen, die Ich ihm einmal im Jahre abzutreten versprach. Siehst du, so ernst nimmt er es damit. Aber was man so täglich vor Augen hat! Und du legtest Meiner Freigebigkeit so ernste Bedenken bei!«

[…]

Anmerkungen

Die Aktion, Jg. 5, Nr. 31/32 vom 7. August 1915, Spalte 394–396, Auszug Spalte 395 (KA, Bd. 3.1, S. 335 f.).

Auch 1919 in ›Der Malik‹ (S. 48 f.; KA, Bd. 3.1, S. 471–473) aufgenommen. Else Lasker-Schüler änderte: »gab« in »war«, »der nicht Malik genug gewesen wäre, den Malik zu vertreten« in »der nicht Malik war und der den Malik hätte vertreten können«, »teilte der Malik« in »teilte Jussuf«, »Knecht Somali« in »Somaliknecht« und »ernst« in »wichtig«. – Fürst von Cana • In einer Reinschrift der ›Hebräischen Balladen‹ (Deutsches Literaturarchiv Marbach [Zugangsnummer: 79.50]), die Else Lasker-Schüler etwa 1915/16 Lucie (Lucy) Georgine Leontine von Goldschmidt-Rothschild (1891–1977) schenkte, widmete sie das Gedicht ›Saul‹ (KA, Bd. 1.1, S. 175) dem »blauen Reiter Franz Marc Fürst von Cana«. Faksimile: Else Lasker-Schüler, Hebräische Balladen. Faksimile der Handschrift, hg. von Norbert Oellers (Marbacher Schriften 26), Marbach am Neckar 1986; Neuausgabe: Hebräische Balladen in der Handschrift von Else Lasker-Schüler, hg. und mit einem Nachwort von Norbert Oellers, Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2000. – Herzogs Hans Adalbert von Leipzig • Hans Adalbert von Maltzahn (vgl. zu [144]). – Ruben • Vgl. zu [151]. – Anteil, den er an Meiner Stadt liebevoll nahm • Karl Kraus hatte sich in der ›Fackel‹ für das literarische Werk Else Lasker-Schülers engagiert: durch Gedichtabdrucke, Stellungnahmen zu ihrem Werk und Freianzeigen für ihre Bücher. Zudem hatte er sie finanziell unterstützt und zu finanziellen Hilfen aufgerufen.

[157] Else Lasker-Schüler, Georg Trakl (Gedicht)

Georg Trakl

(Karl Kraus gewidmet.)

Seine Augen standen ganz fern;

Er war als Knabe einmal schon im Himmel.

Darum kamen seine Worte hervor

Auf blauen und weißen Wolken.

Wir stritten über Religion,

Aber immer wie zwei Spielgefährte;

Und bereiteten Gott von Mund zu Mund;

Im Anfang war das Wort.

Des Dichters Herz, eine feste Burg.

Seine Gedichte, singende Thesen.

Er war wohl Martin Luther.

Seine dreifaltige Seele trug er in der Hand,

Als er in den »heiligen Krieg« zog.

Dann wußte ich, – er war gestorben –

Sein Schatten weilte unbegreiflich

Auf dem Abend meines Zimmers.

Anmerkungen

Dem Brief an Karl Kraus vom 14. Oktober 1915 beigelegt (s. [158]).

H: Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158177).

›Georg Trakl †‹ erschien zuerst im Dezember 1915 in der Zeitschrift ›Zeit-Echo‹ ([Jg. 2], H. 3, S. 33; KA, Bd. 1.1, S. 180 f.). – Georg Trakl war am 3. November 1914 in einem Krakauer Militärhospital an einer Überdosis Kokain gestorben.

[158] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Berlin, Donnerstag, 14. Oktober 1915

Donnerstag 14. Okt. 15.

Sehr verehrter Cardinal

Mein Paul hat vierzehnjährig (gerade geworden) unseren Freund in Tyrol damals gezeichnet. Sehen Sie sich das Bild an. Nun zeichnet er fabelhaft. Ist eine Schönheit.

Prof Manzel Berlin sagte und Arnold in München etc alle so was von Begabung wie mein Paul alles auswendig auch Knochenbau richtig zeichnet, war nie dagewesen.

– Ich send Ihnen diese beiden Gedichte, sie sind an meine beiden toten Freunde, die ich tief verehrte. Auch der Ritter Hans Ehrenbaum ist gefallen, ich hab ein Gedicht an ihn in den weißen Blättern diese Oktobernummer. Druckfehler: Sonntagsglanz, nicht Sonnenglanz heißt es. Und da ich so viel noch davon spreche vom Lande »Dichten«, [als i-Punkt eine Mondsichel] das ich friedlich eroberte, muß ich es wohl über alles lieb haben, Cardinal. Ich schrieb an Adolf Loos: Giselastr 3. Hat der Gorilla meine Karte erhalten? Ich bat ihn meine Wupper aufzuführen. Hier will? auch Jemand dafür sorgen. Der Hoffmannsthal vom Stamme »Lehrer« wird wohl was dagegen haben? Den George hätte ich fast geohrfeigt auf der Straße, so enttäuscht war ich: Unechte Menschen!! Kunst soll nicht erziehen, aber bekränzen. Wie geht es dem Cardinal? Mir gehts augenblicklich sehr gut; ich bin nun ein prachtvolles Meer, sehr hohe Wellen – Mövenatem hab ich und liebe viele Menschen [dreizehn Sterne bis zum Zeilenrand]

Mein Paul studiert in München, Dr. Geheeb will ihm später einen Platz am Simpli geben.

Franz Marc ist Leutnant geworden; ich wollte an die Westfront, aber es geht nicht.

Bitte führen Sie mein Stück die Wupper auf, sonst stirbt mir vorher der olle Wallbrecker im Schauspiel, er ist 80 Jahre alt.

Ihr Prinz Jussuf von Theben

Hans v. Maltzahn kommt bald hierher.

Arbeite im Zeit Echo. Verdiene und Hans Ehrenbaum, unter uns, hat meinem Paul (mir) so viel Geld vermacht, daß Paul besser studieren kann. Denken Sie, Cardinal! Ich wollte es erst nicht annehmen. Ich fand es so schmerzlich.

Es war sein letzter Brief an seine Eltern, daß es mir gut gehn soll. Ist das nicht schmerzlich und ich muß wirklich weinen.

In Hagen sollen meine Bilder und hier ausgestellt werden. Auch in Wien? Und dem Kokoschka meinen Gruß und seiner Frau.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158155). D: KA, Bd. 7, S. 100 f.

unseren Freund in Tyrol • Georg Trakl (1887–1914). Pauls Zeichnung erwähnt Else Lasker-Schüler auch im Brief an Ludwig von Ficker vom 28. März 1915 sowie im Brief an Ludwig und Cäcilie von Ficker vom 19. April 1915 (vgl. KA, Bd. 7, S. 84 f.). – Prof Manzel • Ludwig Manzel (1858–1936), Bildhauer und Professor am Kunstgewerbemuseum in Berlin. – Arnold • Karl Arnold (1883–1953), Zeichner und Karikaturist in München, ständiger Mitarbeiter an der Zeitschrift ›Simplicissimus‹. – diese beiden Gedichte • ›Georg Trakl‹ (s. [157]) und das Gedicht ›Hans Ehrenbaum-Degele‹, das im Oktober 1915 in den ›Weißen Blättern‹ (Jg. 2, H. 10, S. 1282; KA, Bd. 1.1, S. 180) erschienen war. – Hans Ehrenbaum • Vgl. zu [88]. – nicht Sonnenglanz • Die zweite Strophe des Gedichts ›Hans Ehrenbaum-Degele‹ lautet im Erstdruck (s. o.): »Darum trugen seine Tage / Den lauteren Sonnenglanz.« In die Buchausgaben ihrer Gedichte übernahm Else Lasker-Schüler die Änderung in »Sonntagsglanz«. – schrieb an Adolf Loos • Am 13. Oktober 1915 (vgl. KA, Bd. 7, S. 99). – Gorilla • Vgl. zu [20]. – meine Wupper • Else Lasker-Schülers Schauspiel ›Die Wupper‹ wurde erst 1919 im von Max Reinhardt (1873–1943) geleiteten Deutschen Theater in Berlin uraufgeführt. – vom Stamme »Lehrer« • Über Hugo von Hofmannsthal (1874–1929) schreibt Else Lasker-Schüler in den ›Briefen nach Norwegen‹: »Was grub er doch alles Litterarische aus: Zuerst den Oedipus von Sophokles und nährte ihn mit Wiener Blut; die Elektra machte er zur dämonischen ›Lehrerin‹.« (Der Sturm, Jg. 2, Nr. 97 vom [10.] Februar 1912, S. 773; KA, Bd. 3.1, S. 247.) Sigismund von Radecki (Was ich sagen wollte, Köln und Olten: Jakob Hegner, 1952, S. 81) erinnert sich: »Sie hatte eine Abneigung vor allem Lehrerhaften. ›Sie ist eine Lehrerin‹, war eine ihrer schlimmsten Noten. ›Gott ist kein Lehrer, Gott ist ein großer Indianer‹, sagte sie.« – George • Über Stefan George (1868–1933) heißt es in den ›Briefen nach Norwegen‹: »Herwarth und Kurt! Ich muss Euch heute Nacht noch etwas ganz Seltenes erzählen, Stefan George ist mir in der Dunkelheit eben begegnet. Er trug einen schwarzen Samtrock, liess die Schulter hängen, wie müde von der Last des Flügels. Ich schrie ganz laut. Ich bin einem Erzengel begegnet, wie er gemalt ist auf den Bildern Dürers.« (Der Sturm, Jg. 2, Nr. 81 vom [14.] Oktober 1911, S. 646; KA, Bd. 3.1, S. 196.) – Mein Paul • Paul Lasker-Schüler (1899–1927) erhielt ab Herbst 1915 in München Privatunterricht bei Hermann Groeber (1865–1935) zur Förderung seiner künstlerischen Begabung (s. [180]). Else Lasker-Schülers Bemühungen, für ihn eine Anstellung als Zeichner zu finden, scheiterten. – Dr. Geheeb • Reinhold Geheeb (1872–1937), Chefredakteur der Zeitschrift ›Simplicissimus‹. – Hans v. Maltzahn • Hans Adalbert von Maltzahn (vgl. zu [144]). – Zeit Echo • Im Oktober 1915 war in der Zeitschrift ›Zeit-Echo‹ der später ›Fritz Huf‹ ([Jg. 2], H. 1, S. 9 f.; KA, Bd. 3.1, S. 412 f.) betitelte Essay erschienen. Im Dezemberheft erschien dort das Gedicht ›Georg Trakl †‹ (s. [157]). – ausgestellt • Vgl. zu [155]. – seiner Frau • Oskar Kokoschka war mit Alma Mahler (1879–1964), der Witwe des Komponisten Gustav Mahler (1860–1911), liiert gewesen. Alma Mahler hatte die Beziehung, die sie nach dem Tod ihres Mannes eingegangen war, bereits vor Beginn des Ersten Weltkriegs wieder beendet.

[159] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Berlin, etwa Ende Oktober 1915

In diesen Tagen meine Bilderausstellung bei Haas Heye Pariserplatz 7. Dann macht Haas-Heye meine Abende. [über dem A ein Stern]

Und was fängt Adolf Loos mit meiner Wupper an?

Bitte schreiben Sie, lieber Cardinal, Hansi Maltzahn ein paar Worte:

Freiherr Hans von Maltzahn

VII. A. K.

II. Garde Res. Div.

2. Res. Ul. Regt.

I. Esk.

Westen

Sehr unglücklich.

Jussuf

Im Sturm die Fie von Leehr schrieb genaue Reihen von mir gestohlen, mein Rhytmus im Sturm.

Auch Ihr Bild, Cardinal. Soll ich auch in Wien ausstellen?

Haas Heye sagte herrliche Bilder – Hab viel gemalen.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158186). D: KA, Bd. 7, S. 101.

Der vorliegende Brief dürfte schon bald nach den beiden Briefen an Adolf Loos vom 13. Oktober (vgl. KA, Bd. 7, S. 99) und an Karl Kraus vom 14. Oktober 1915 (s. [158]) geschrieben sein: Else Lasker-Schüler hatte Adolf Loos gebeten, in Wien ihre ›Wupper‹ aufzuführen. – Bilderausstellung • Vgl. zu [155]. – Haas Heye • Otto Haas-Heye (1879–1959), Modeschöpfer. Er leitete die Berliner Abteilung des Münchner Graphik-Verlags, in dem 1914–1916 die Zeitschrift ›Zeit-Echo‹ erschien. – meine Abende • Eine Lesung Else Lasker-Schülers in den Räumen des Graphik-Verlags ist für Mitte Januar 1916 bezeugt. Vgl. F. St., Else Lasker-Schüler, in: Vossische Zeitung (Berlin), Nr. 38 (Abend-Ausgabe) vom 21. Januar 1916. In dem Beitrag heißt es: Else Lasker-Schüler »las im Graphik-Verlag, in dem sich jetzt eine Ausstellung ihrer kleinen, anspruchslosen, aber sehr persönlichen Zeichnungen befindet, in einem verdunkelten Raume aus ihren Gedicht- und Prosabüchern vor. […] Wie eine Klage sprach sie zuerst Gedichte auf tote Freunde und hierauf hebräische Balladen, vollkommene Stücke wie den ›Tibetteppich‹ und Prosa, in der sie mit einem melancholischen Witz sich mit ihrer eigenen Existenz voll Not und Sehnsucht zu versöhnen sucht.« – Hansi Maltzahn • Hans Adalbert von Maltzahn (vgl. zu [144]). – Fie von Leehr • Im Jg. 6 (1915/16) des ›Sturms‹ erschienen die ersten Gedichte der aus Amsterdam gebürtigen Schriftstellerin Sophie van Leer (1892–1953): im August 1915 unter dem Obertitel ›Kinderland‹ die drei Gedichte ›Die Gespielin‹, ›Knabe‹ und ›Mädchen‹ (Nr. 9/10, S. 52 und 54), im September 1915 ›Gesang‹ und ›Meiner Liebe‹ (Nr. 11/12, S. 66), im Oktober 1915 ›Gedicht‹ (Nr. 13/14, S. 81), im November 1915 ›Unsere Stunden‹, ›Rausch‹ und ›Totenlied‹ (Nr. 15/16, S. 87), im Dezember 1915 ›Spielender Knabe‹ (Nr. 17/18, S. 107) und im Februar 1916 ›Fernes Lied‹ (Nr. 21/22, S. 129). – Ihr Bild • Vermutlich die mit »Karl Kraus« beschriftete Zeichnung, die Else Lasker-Schüler in ›Der Malik‹, der elften Folge der ›Briefe und Bilder‹, abdruckte. Diese war am 1. Juli 1914 im ›Brenner‹ erschienen (s. [151]). Karl Ernst Osthaus verkaufte das Bild 1916 an seine Kusine Elisabeth Harkort (s. [162]). Der Verbleib des Bildes ist nicht bekannt.

[160] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Berlin, etwa Ende Oktober 1915

[Komet mit Schweif]

Verehrtester Cardinal.

So seltsam – vorgestern dachte ich immer so durchgreifend, ich möcht doch wohl mal einen [Mondsichel] Abend mit dem Cardinal sprechen. Heute kam Ihre Karte, – ich freu mich [vier Sterne] So viele Menschen habe ich kennen gelernt, manche darunter sind Indianer und wir schlossen Bunde: Marsden Hartley Firebird Sioux und Prinz Tiba, Huf der Gorilla vom Rütli und Jussuf Zwie aus Galizien und der wilde Häuptling von Theben. So leben wir und wir drehen uns um uns selbst und dann um den Freund. [Frauenkopf im Profil, auf eine Hand blickend]

Unerhörte Opale tragen unsere Freundschaften, Felsen sind unsere Bunde oder Steinbrüche. Und wir lieben unsere Kameraden im Feld, sind immer froh und singen damit unser Lachen sie morgens auffrischt – immer wieder. Wir sind nicht nüchtern und leben gar nicht hier in der Arche wir wollen uns auch nicht aufsparen, wir sterben auch aber wie lauter Gesänge vertönen wir. So schön ist es hier nun bei uns. Cardinal kommen Sie doch nach hier!

Ihr Prinz von Theben

Jussuf.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157907). Jahreszahl von Helene Kann: »1915«. D: KA, Bd. 7, S. 101 f.

Else Lasker-Schüler erwähnt den amerikanischen Maler Marsden Hartley (1877–1943) außer im vorliegenden Brief nur noch in zwei Briefen an Franz Marc: Der erste Brief ist ebenfalls auf Ende Oktober 1915 zu datieren, der zweite stammt vom 14. November 1915. Zusammen mit Marsden Hartley und Ludwig Kainer schrieb Else Lasker-Schüler darüber hinaus am 4. November 1915 an Franz Marc. Vgl. KA, Bd. 7, S. 102 f. – Prinz Tiba • Else Lasker-Schülers Sohn Paul (1899–1927). – Huf der Gorilla vom Rütli • Fritz Huf (1888–1970), Schweizer Bildhauer und Maler. In ihrem Essay ›Fritz Huf‹, der zuerst ohne Titel im Oktober 1915 in der Zeitschrift ›Zeit-Echo‹ ([Jg. 2], H. 1, S. 9 f.; KA, Bd. 3.1, S. 412 f.) erschien, schreibt Else Lasker-Schüler: »Seine Kunst ist ein Gorilla, der ist nicht heiter, aber bösgreifend wie das Leben.« – Jussuf Zwie aus Galizien • Uri Zwi (Uri Zvi) Grünberg (Greenberg) (1896–1981), aus Galizien gebürtiger jiddischer und hebräischer Dichter. Er lebte ab 1923 in Palästina. In ›Das Hebräerland‹ (1937) schreibt Else Lasker-Schüler, Grünberg sei »der berühmte hebräische Dichter, der Sohn des innigen Wunderrabbiners von Lemberg«, der »vergötterte dichtende Wildfang der Palästinajugend« (S. 100 und 154; KA, Bd. 5, S. 94 und 144).

[161] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Berlin, etwa 2. Dezemberhälfte 1915

Hochwerter Karl Kraus.

Meine Bilder sind hier ausgestellt 75 – ehrwürdige Monstrums, süße wilde Juden – kommen Sie bitte sofort. Meine Nerven werden verkauft von den Wänden. Nehmen Sie sie alle! Ihr Bild auf einem Viereckberg – gegenüber Dehmel und die Angorakatzenblume Mechtild Lichnowsky, Leila die Venus von Siam und der Malik von Theben ein kaiserlich Krokodiltier betet für die Krieger im Krieg. Der Malik lernt von den Hirten stricken, seinem Halbbruder dem blauen Reiter Marc von Cana ein Tuch zu stricken für den Krieg. Lämmer weiden – goldene – ein Bach so blau und groß wurde das Tuch. Kommen Sie, nehmen Sie sofort meine Bilder mit nach Wien –

Jussuf

Graphik Ausstellung: Pariserplatz 7 Haas-Heye.

Carl Anton Reichel ist hier – ähnlich wie Benn.

Kommen Sie bitte sofort (vor Christi), auch Frau Venus von Siam

Marie von Nazareth, der Fakir mein Verein die Zebaothknaben werden verkauft.

Theben soll lieber verdursten.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157906). Datum von Helene Kann: »28. III. 1928« (Jahreszahl durchstrichen). D: KA, Bd. 7, S. 106.

Die Ausstellung in den Räumen des Graphik-Verlags am Pariser Platz (vgl. zu [159] [»meine Abende«]) wurde gegen Mitte Dezember 1915 eröffnet und dauerte bis zum 26. Januar 1916. Am 11. Dezember 1915 wiesen der ›Berliner Börsen-Courier‹ (Jg. 48, Nr. 580 [Abend-Ausgabe], S. 7) und das ›Berliner Tageblatt‹ (Jg. 44, Nr. 633 [Abend-Ausgabe]) in redaktionellen Mitteilungen auf die Ausstellung hin. Im ›Berliner Tageblatt‹ erschien am 22. Januar 1916 (Jg. 45, Nr. 40 [Abend-Ausgabe]) folgende Notiz: »Aus der Kunstwelt. […] Die Ausstellung der Werke von Professor Bosselt, Else Lasker-Schüler und Savary im Graphikverlag wird am 26. Januar geschlossen.« – 75 – ehrwürdige Monstrums • Im April und Mai 1916 wurde die Ausstellung im Hagener Folkwang-Museum gezeigt. Zwei Listen mit den Titeln der dort gezeigten Arbeiten befinden sich im Karl-Ernst-Osthaus-Archiv, Hagen (F2 467/3 und 5; abgedruckt: KA, Bd. 7, S. 411–413 und im Katalog ›Else Lasker-Schüler. Die Bilder‹ [Hg. von Ricarda Dick im Auftrag des Jüdischen Museums Frankfurt am Main. Mit Essays von Ricarda Dick und Astrid Schmetterling, Berlin: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2010, S. 288–290]). Die erste, maschinenschriftliche Liste verzeichet fünfundsiebzig Bilder und drei Buchtitel, wobei einzelne Positionen handschriftlich gestrichen und mit dem Zusatz »verkauft« versehen sind. Die zweite, handschriftliche Liste nennt zehn Arbeiten. – 1920 erhielt die Berliner Nationalgalerie 104 Zeichnungen Else Lasker-Schülers, überwiegend Illustrationen zu ihren Prosaschriften, von Freunden der Dichterin als Geschenk. Zu den Stiftern gehörte unter anderem ihr Berliner Verleger Paul Cassirer (1871–1926), der zuvor im Dezember 1919 eine Ausstellung mit Werken Else Lasker-Schülers veranstaltet hatte (vgl. zu [169]). Die Zeichnungen sind nicht einzeln katalogisiert worden und wurden 1937 von den Nationalsozialisten beschlagnahmt. Aus dem alten Bestand sind heute noch dreißig Zeichnungen sicher nachweisbar, die Ricarda Dick in ihrem Katalog ›Else Lasker-Schüler. Die Bilder‹ (s. o.) aufführt. Im Einzelnen handelt es sich um die Katalognummern 5, 6, 8, 9, 12, 14–20, 23, 25, 37, 38, 47–49, 51 und 68–77. – Ihr Bild • Vgl. zu [159]. – Dehmel • Ein Porträt Richard Dehmels war 1914 in der zehnten Folge der ›Briefe und Bilder‹ erschienen (s. [133]). – Mechtild Lichnowsky • Mechtilde Lichnowsky (geb. Gräfin von und zu Arco-Zinneberg) (1879–1958), Schriftstellerin. Sie gehörte zum Bekannten- und Freundeskreis von Else Lasker-Schüler und Karl Kraus. – Venus von Siam • Kete Parsenow. – Marc von Cana • Franz Marc (vgl. zu [156]). – Haas-Heye • Otto Haas-Heye (vgl. zu [159]). – Reichel • Karl Anton Reichel (1874–1944), österreichischer Grafiker und Maler. – Marie von Nazareth • Die drei Zeichnungen ›Der Fakir‹, ›Jussuf und einige der Zebaothknaben‹ und ›Marië von Nazareth und ihr Kindlein‹ waren 1914 in ›Der Prinz von Theben‹ abgedruckt worden.

[162] Karl Ernst Osthaus an Else Lasker-Schüler
Hagen, Dienstag, 9. Mai 1916

Pension Bayreuth,

Kleiststr. 22

Berlin

9. 5. 16.

Verehrte gnädige Frau Lasker-Schüler,

Wir teilen Ihnen mit, dass die beiden Bilder

Nr. 17 Karl Kraus 150/–

Jussufs Häuptlinge 50/–

heute verkauft worden sind. Wir bitten Sie, uns mitzuteilen, wohin wir die Ausstellung nach Abrüstung senden sollen.

Die Fürstin zu Wied ist leider nicht hier gewesen.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Anmerkungen

T (Durchschlag mit handschriftlichen Ergänzungen): Karl-Ernst-Osthaus-Archiv, Hagen (F2 465/6). D: KA, Bd. 7, S. 414

Karl Ernst Osthaus hatte die beiden Bilder an seine Kusine Elisabeth Harkort (1884–1936), eine Sammlerin und Mäzenin aus Wetter an der Ruhr, verkauft, wie aus ihren Briefen an Osthaus vom 18. April und vom 13. Mai 1916 sowie aus dessen Brief an seine Kusine vom 9. Mai 1916 hervorgeht (Karl-Ernst-Osthaus-Archiv, Hagen [P2 84/18–20]). – Karl Kraus • Vgl. zu [159]. – Fürstin zu Wied • Pauline Fürstin zu Wied (vgl. zu [71]).

[163] Else Lasker-Schüler, Der Malik (dem blauen Reiter Franz Marc) [13. Folge der ›Briefe und Bilder‹]

Der Malik (dem blauen Reiter Franz Marc)

Mein Ruben, lebe wohl! Der Rücken Meines Dromedars dient Mir als Pult, dir noch einen frommen Abschiedsgruß zu senden. Oben am Himmel glüht gezückt der gebogene, goldene Monddolch. Wir werden den Prinzen von Moskau aus seiner Gefangenschaft befreien, so wahr Ich Jussuf Abigail der Malik bin.

Das waren die letzten Worte, die der Basileus von Theben seinem Halbbruder, dem blauen Reiter Marc von Cana schrieb. Seitdem schimmerten seine Augen bunt wie der Fluß, an dem seine Stadt lag. Nachts verbrachte er in seinem Lieblingsgarten, reihte die roten Beeren der Astrantsträucher auf Schnüre oder bog wie ein Kind die Stengel der Pusteblumen wilder Wiesen zu Ringen und fertigte Ketten an. Lauter Spielerei. Osman holte dann den lächelnden Kaiser noch vor Sonnenaufgang in den Palast zurück, weil er einmal einen Stadtalten zu einem Stadtalten flüstern hörte von des Maliks plötzlicher Verblödung. Aber des Kaisers strahlendes Gesicht bürgte für seine Unbrüchigkeit. Für ihn regierte schon der Herzog von Leipzig, sich an das hohe Amt zu gewöhnen, das ihm der Basileus in seiner Abwesenheit, in der Zeit seiner großen Wallfahrt übertrug. Daß kindliches Spiel »schlummern« bedeute, äußerte der hohe Freund seinem feinen Gast. Und er müsse viel, viel schlummern vor seiner Reise, deren Sonne nicht untergehen dürfe. Nicht oft genug konnte Jussuf seinen treuen Neger befragen, ob er wohl (der Malik) dem feinen Gast gefalle? Über das Wasser des Brunnens seines Schlafgemachs neigte sich Jussuf Abigail oft heimlich auf Zehen, um manchmal enttäuscht zu brüten. Aber gläubig hingen seine Gedanken an dem Pilgerzuge, den er noch im selbigen Monat am Siebten des El Aschura zu unternehmen gedachte. Osman, der unersetzliche schwarze Knecht, verkürzte dem Kaiser die Zeit, indem er ihn belustigte, einen Kosaken nach dem andern, die sich ihnen auf der Wanderung feindlich in den Weg stellen würden, auffraß. Jedesmal eilte dann der Kaiser durch die Vorräume und Gemächer seines Hauses, den Hans Adalbert zu holen; so, daß er ihn oft in seinen Regierungsgeschäften störte. Der Herzog von Leipzig schrieb dann von der Spiellust seines thebetanischen, kaiserlichen Freundes ganz ergriffen dem Kardinal von Östreich. Der Malik ist mir der liebste Freund, den ich je besessen habe, darum bitte ich Eure Eminenz Ihren Einfluß geltend zu machen, den Malik an seiner todbringenden Expedition zu hindern. Der östreichische Kardinal warnte dann einige Male vergebens den Malik in seiner Sorge um ihn. Aber Abigail Jussuf antwortete dem Kardinal, indem er ihm die wundervolle Geschichte David und Jonathans in alttestamentarischen Buchstaben aufzeichnete, die aussahen wie lauter Harfen. Ergriffen von der Treue des asiatischen Herrschers, sandte Carl große Geldspenden für die fromme Reise. Damit war der Punkt erfüllt, den der junge, diplomatische Herzog, der Vizekaiser von Theben im Auge hielt; der hegte keinen Zweifel an Abigails Entschluß und er litt unsäglich unter der Tatsache, daß dem kaiserlichen Unternehmen ausreichende Barschaft fehle. Jussuf jedoch war heimlich enttäuscht, daß sich der Herzog mit der Reise nun über die kalte Schneeebene zufrieden zeigte! Seinem teueren Halbbruder hätte er jeden Einspruch in diesem Kriegszuge als Unterschätzung seiner Kraft übel genommen, auch die Liebesvenus von Siam, die er einst den Siamesen raubte, vertraute dem goldnen Stern seiner Wallfahrt. Es versammelten sich die Häuptlinge Stambul, Mêmed, Asser, Mâr, Calmus, Mordercheii, Gâd und Salomein vor dem Palast und schlugen auf ihren Kriegstrommeln eine Musik, die die schlummernde Stadt aufweckte. Auf ihre Dächer stiegen die Einwohner Thebens, sangen des Kaisers Namen, daß er anschwoll zu einem Konzert. Der Kaiser bestieg mit verhülltem Angesicht sein mächtig Tier, das Ossman führte bis vor die Tore der Stadt. Aber als die sich schlossen, wandelte Jussuf Abigail, der kaiserliche Häuptling barfuß zwischen seinen Häuptlingen, bis sie an den Fluß Abba kamen. Dort wusch sich die fromme Karawane den Staub von den Zehen. Marc von Cana, des Maliks teurer Halbbruder traf gerade in Theben ein, als Jussuf die Stadt verlassen hatte. In des Basileus Gemach saßen die beiden Fürsten Ruben Marc der blaue Reiter und der Herzog am liebsten und sprachen von dem kleinen Kaiser, der das große Theben morgens aus einer Schachtel nahm und es abends von seinem Ossman wieder hineinlegen ließ. Ruben war gemessener und milder; und gleichmäßiger pochte sein Emirherz, als das seines Bruders Jussuf. Auch äußerlich war Ruben von hohem Wuchs und stiller zärtlicher Majestät und gewaltiger, sonniger Schönheit. Seine Augen vom Brauholz der süßen Baumrinde. Und immer wieder erfreute es den Emir wie der junge Herzog das Spielherz seines Bruders verehrte. Die Leute im Palast erzählten Ruben, der Herzog sei immer um Abigail gewesen, als ob er ihn umspülte wie eine Insel. Solche Erzählungen trösteten den canaanitischen Fürsten, denn er glaubte, sein Bruder habe einsam vor seiner Wallfahrt gelebt. Eine ihm unerklärliche Ahnung weissagte ihm, daß er und sein Jussuf sich niemehr wiedersehen würden.

Anmerkungen

Neue Jugend. Monatsschrift, Jg. 1, H. 7 vom Juli 1916, S. 130 f. (KA, Bd. 3.1, S. 337–339).

Auch 1919 in ›Der Malik‹ (S. 50–52; KA, Bd. 3.1, S. 474–476) aufgenommen. Else Lasker-Schüler änderte: »Stambul, Mêmed, Asser, Mâr, Calmus, Mordercheii, Gâd und Salomein« in »Mordercheïi, Calmus, Gad, Asser, Mêmed und Salomein«, »Brauholz« in »Braunholz« und »immer wieder erfreute es den Emir« in »jedesmal wieder erfreute es den Großemir«. – Ruben • Vgl. zu [151]. – den Prinzen von Moskau • Senna Hoy (vgl. zu [148]). – Marc von Cana • Franz Marc (vgl. zu [156]). – Herzog von Leipzig • Hans Adalbert von Maltzahn (vgl. zu [144]). – Aschura • Aschura heißt der zehnte Tag des Monats Muharram, des ersten Monats im islamischen Kalender, und ist für die muslimischen Gläubigen ein Fasten- und Trauertag. – Geschichte David und Jonathans • Else Lasker-Schüler schrieb zwei ›David und Jonathan‹ betitelte Gedichte, die zuerst am 24. März 1910 im ›Sturm‹ (Jg. 1, Nr. 4, S. 27; KA, Bd. 1.1, S. 120 f.) und im Juli 1918 in den ›Weißen Blättern‹ (Jg. 5, H. 1, S. 11; KA, Bd. 1.1, S. 204 f.) erschienen. – Harfen • Ein von Else Lasker-Schüler häufig gebrauchtes Bild für die hebräischen Schriftzeichen. – große Geldspenden • Karl Kraus hatte Else Lasker-Schüler finanziell unterstützt und zu finanziellen Hilfen aufgerufen. – Liebesvenus von Siam • Kete Parsenow.

[164] Karl Kraus, Notizen [Auszug]

Notizen

[…] Daß der »gesunde Menschenverstand« kein Richter über die Lyrik ist, schließt den Wunsch nicht aus, seinem Henkeramt getrost und gern solche Sorte auszuliefern, die eben die Schuld trägt an jenen rationalistischen Übergriffen, durch welche der größte Lyriker des heutigen Deutschland, die Lasker-Schüler, gequält wird. Was die neuen Schwindler von den alten Dilettanten unterscheidet, ist Mangel an Zimmerreinheit. Die Mäcene dieser Qualität sind in jenem Berlin zuhause, wo der Betrieb nicht hinter dem Betrug zurückbleiben will.

[…]

Anmerkung

Die Fackel, Jg. 19, Nr. 454/455/456 vom 1. April 1917, S. 27–38, Auszug S. 37 f.

[165] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Berlin, Samstag, 19. Mai 1917

19. Mai 17

Lieber, verehrter Karl Kraus.

Sie schreiben mir nie und ich weiß kaum mehr Ihre Adresse, aber die muß stimmen. Denken Sie ich träumte sie eben denn ich war müde im hellen Tag, schlief ein und bin nun wieder wach und schreibe Ihnen. Schon lange [über dem g ein Stern] wollte ich es, aber Sie haben gar kein Interesse mehr für mich. Auch empfinde ich es fast für eine Beleidigung, daß Sie meinen geliebten Paul nicht leiden mögen, der der einzige Mensch hier in Berlin ist, fast der einzige, mit dem man über Kunst sprechen kann. Keiner so wie er hat Ihren Vortrag so künstlerisch gefaßt wie mein Paul, auch Ihr Gesicht. Verstehen Sie mich, Karl Kraus. Was in mir verwischt und verdorrt, verknorpelt ist unter der Härte im Kampf mit der furchtbaren, nüchternen Menschheit, blüht in Paul viel prachtvoller auf. Sie wissen doch von Kete Parsenow, daß Paul der Sohn von Alcibiades de Rouan ist; und ich muß ihn doppelt, wies mir eben möglich ist, halten. Ich kann nicht ertragen, daß mein Paul nicht mit Ceremonie behandelt wird; er ist eben vornehm denkend und stark und kein Äffchen. Glauben Sie es mir, da Sie doch sonst ein Blutkenner sind.

Karl Kraus, ich glaube nämlich Sie haben etwas gegen mich. Was? Haben Sie wirklich je meine Gedichte gern gehabt. Aber warum denn kümmert sich kein Mensch in dieser schweren Zeit um mich? Meine Seele ist zerrissen mein Körper (ich stehe im Sternbild: Skelett) kaput! Ich arbeite von früh bis spät. Schwabach im Krieg – die Leute, die mich einladen, gemeine Heraufkömmlinge, die protzen mit ihren Künstlern, die sie einladen, aber nichts tun für [zwei Sterne] sie. Bilder verkaufe ich ab und zu, Theodor Däubler versucht immer Leute zu interessieren. Lederstrumpf der George Grocz ist lieb zu mir, auch Franz Jung und die beiden Brüder Herzfeld. Karl Kraus soll ich in Wien mal ausstellen oder großen Abend halten wo ein paar tausend Mark einkommen oder tausend? Ich bin direkt verhungert, so schlecht geht es mir; bin wie ein Vogel. Sitz ich mal wo vor dem Fenster eines reichen Hauses, versteh ich das Girren nicht und die Pfoten werden mir eingeklemmt. Einmal schickte mir Lucie von Goldschmidt-Rothschild Geld, das mußte ich sofort bezahlen, Miete und dergleichen Schulden, die sind alle bezahlt. Was soll ich anfangen?

Jussuf.

Wissen Sie Jemand der Bilder kauft, Karl Kraus? Geschenkt mag ich nichts

Nichts unter Ehrenwort Venus sagen.

Wollen Sie mit Baron Spiegel sprechen? Ich glaube das wäre gut – Ich denke nicht an ein paar Mark, ich will meiner thebetanischen Ehre leben, ich will kein Schuster mehr sein mit dem was ich leiste und noch leisten könnte. Die Lucie v. G. R. ist die einzige Prinzessin unter den reichen Menschen

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157914). D: KA, Bd. 7, S. 137 f.

Ihren Vortrag • Karl Kraus hatte zuletzt am 7. Februar 1917 in Berlin gelesen. – Alcibiades de Rouan • Else Lasker-Schülers Sohn Paul (1899–1927) wurde in der Zeit ihrer Ehe mit Berthold Lasker (1860–1928) geboren. Um die Identität des Vaters hat Else Lasker-Schüler zeitlebens ein Geheimnis gemacht. Die Wahl des griechisch-französischen Mischnamens »Alcibiades de Rouan« für Pauls Vater muss als Teil dieser Mystifizierung der Vaterschaft betrachtet werden. Else Lasker-Schüler widmete das Gedicht »Meinlingchen« in den drei Ausgaben der »Gesammelten Gedichte« (S. 74; KA, Bd. 1.1, S. 59) »Dem Prinzen Alcibiades de Rouan«. – wirklich je meine Gedichte gern gehabt • Karl Kraus hatte die frühe Lyrik Else Lasker-Schülers, vor allem ihr Gedicht ›Ein alter Tibetteppich‹ (s. [39]), bewundert. Den Prosaschriften, insbesondere den ›Briefen nach Norwegen‹, stand Kraus kritisch gegenüber (s. [74] und [77]). – Schwabach • Erik-Ernst Schwabach (1891–1938) hatte 1913 zusammen mit Kurt Wolff in Leipzig den ›Verlag der Weißen Bücher‹ gegründet (vgl. zu [132] und [144]). – Theodor Däubler • Über den Schriftsteller Theodor Däubler (1867–1934) hatte Else Lasker-Schüler im November 1916 in der Zeitschrift ›Zeit-Echo‹ das Gedicht ›Theodor Däubler‹ ([Jg. 2], H. 14, S. 218; KA, Bd. 1.1, S. 184) veröffentlicht. 1920 nahm sie in ›Gesichte‹ den Essay ›Unser Spielgefährte Theodorio Däubler‹ (S. 99 f.; KA, Bd. 3.1, S. 526 f.) auf. – Die Dresdner Kunstsammlerin und Mäzenin Ida Bienert (geb. Suckner) (1870–1965), Förderin Theodor Däublers, hatte 1916/17 drei Zeichnungen Else Lasker-Schülers erworben: ›Mordercheï Jussuf Lederstrumpf‹ und ›Fürst von Triest | Mordercheï‹ sowie eine unbetitelte Miniatur. Die Zeichnungen befinden sich im Besitz der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett. Vgl. Else Lasker-Schüler. Die Bilder, hg. von Ricarda Dick im Auftrag des Jüdischen Museums Frankfurt am Main. Mit Essays von Ricarda Dick und Astrid Schmetterling, Berlin: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2010, S. 213 f. (Nr. 65–67). Theodor Däubler stammte aus Triest, wo er auch seine Jugend verbrachte. Der Schluss des Gedichts ›Theodor Däubler‹ (s. o.) lautet: »Und Evviva, dir, Fürst von Triest!« – Lederstrumpf • Über den Zeichner und Maler George Grosz (1893–1959) hatte Else Lasker-Schüler das Gedicht ›Georg Grosz‹ (Neue Jugend. Monatsschrift, Jg. 1, H. 8 vom August 1916, S. 154; KA, Bd. 1.1, S. 187 f.) veröffentlicht. Darin schreibt sie, er sei der »Held aus dem Lederstrumpf« – den ›Leatherstocking Tales‹ des amerikanischen Schriftstellers James Fenimore Cooper (1789–1851). – Franz Jung • Der Berliner Schriftsteller Franz Jung (1888–1963). Else Lasker-Schülers Gedicht ›Der Mönch‹ und ihre beiden ›Dem Mönch‹ betitelten Gedichte (KA, Bd. 1.1, S. 191 f. und 198 f.) erschienen 1917 in der ersten Ausgabe der ›Gesammelten Gedichte‹ (S. 123–125) jeweils mit der Widmung: »F. J.«. – Brüder Herzfeld • John Heartfield (1891–1968) und Wieland Herzfelde (1896–1988) (urspr. Helmut und Wieland Herzfeld). Else Lasker-Schüler nahm ihr Gedicht ›Es war eine Ebbe in meinem Blut‹, ursprünglich mit dem Titel ›Meine Blutangst‹ (KA, Bd. 1.1, S. 70) erschienen, in die drei Ausgaben der ›Gesammelten Gedichte‹ (S. 105, S. 106, S. 106) mit folgender Widmung auf: »Den lieben zwei Brüdern Helmut und Wieland Herzfelde«. – Lucie von Goldschmidt-Rothschild • Die Frankfurter Bankierstochter Lucie (Lucy) Georgine Leontine von Goldschmidt-Rothschild (1891–1977). Sie heiratete im Sommer 1917 den österreichischen Diplomaten Edgar Spiegl Edler von Thurnsee (1876–1931). Zur Verlobung schenkte Else Lasker-Schüler ihr eine Reinschrift der ›Hebräischen Balladen‹ (vgl. zu [156]). – Venus • Kete Parsenow.

[166] Else Lasker-Schüler, Die gesammelten Gedichte [Widmung]
Erschienen im Sommer 1917

Der einleitende Zyklus der ›Gesammelten Gedichte‹ (Leipzig: Verlag der Weißen Bücher, 1917) erschien mit der gedruckten Widmung: »Meine hebräischen Balladen | widme ich | Karl Kraus | dem Kardinal«. Die Widmung wurde auch in die zweite und dritte Ausgabe des Buches übernommen, die 1919 (Leipzig: Kurt Wolff Verlag) und 1920 (München: Kurt Wolff Verlag) erschienen.

[167] Karl Kraus, Notizen [Hinweis]

Karl Kraus berichtet über einen Beitrag Hermann Bahrs (vgl. zu [122]) im ›Neuen Wiener Journal‹. Else Lasker-Schüler wird in einem Zitat erwähnt: »Buschbeck kommt aus Berlin, war dort viel mit den Leuten vom ›Sturm‹, mit Theodor Däubler, dem südlich vielgestalten, bildgewaltigen Dichter des ›Nordlichts‹, mit der Lasker-Schüler, der einzigen heute, die vielleicht den reinen Lorbeer unserer Handel-Mazzetti sachte zu berühren in ihrer holden Herzenseinfalt würdig ist […].« (Hermann Bahr, Tagebuch, in: Neues Wiener Journal, Jg. 25, Nr. 8577 vom 16. September 1917, S. 5.) – An den Hinweis auf Else Lasker-Schüler schließt Hermann Bahr eine Charakterisierung Herwarth Waldens an, die Kraus nicht zitiert: »[…] würdig ist, mit Herwarth Walden, dem Cassirer der Expressionisten, […].« Der in Wien lebende Schriftsteller Erhard Buschbeck (1889–1960) gehörte zum Freundeskreis um Theodor Däubler (vgl. zu [165]). Enrica von Handel-Mazzetti (1871–1955) war eine österreichische Schriftstellerin, die vorwiegend historische Romane schrieb. Die Kritik, die Karl Kraus in der ›Fackel‹ vom 21. Juni 1912 (s. [96]) an Herwarth Walden und der von ihm veranstalteten Futuristenausstellung (s. [89]) geübt hatte, war einer der Gründe, die 1912 zum Bruch der Freundschaft von Kraus und Walden geführt hatten.

Die Fackel, Jg. 19, Nr. 462–471 vom 9. Oktober 1917, S. 88–94, Hinweis auf S. 90.

[168] Karl Kraus, Ich und das Ichbin [Auszug]

Ich und das Ichbin

[…] Diese Sprachkönnerschaft verfügt vornehmlich über zwei Tonarten: die hohe und die tiefe. Die tiefe ist erreicht, wenn der Sopran als Menschheitstriller durchs Grenzenlose in ein »erhabenes Wirrsal« übergeht, das aber den eben noch hingerissenen Hörer durchaus nicht chokiert. Denn es ist ein schon gut abgelegenes Mysterium, an dem sich keiner mehr den Kopf zerbricht, welchen im Gegenteil etwas metaphysischer Dampf angenehm einhüllt, zumal wenn der Stern der Weltfreundschaft immerzu hindurchleuchtet. Wie hoffnungslos unbegleitbar wirkt daneben die Sehnsucht des einzigen männlichen Lyrikers von heute, der Else Lasker-Schüler, »Ich will in das Grenzenlose, zu mir zurück.« […]

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 20, Nr. 484–498 vom 15. Oktober 1918, S. 93–114, Auszug S. 102 f.

Weltfreundschaft • ›Der Weltfreund‹ lautet der Titel des ersten Gedichtbuchs von Franz Werfel, das 1911 bei Axel Juncker in Berlin erschienen war. Zur Beziehung zwischen Karl Kraus und Franz Werfel vgl. zu [152] (»traurig wegen Ihrer«). – »Ich will in das Grenzenlose, zu mir zurück.« • Anfang des Gedichts ›Weltflucht‹, das 1902 in Else Lasker-Schülers erstem Gedichtbuch ›Styx‹ (S. 10; KA, Bd. 1.1, S. 34) erschienen war.

[169] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Zürich, Dienstag, 25. Februar 1919

Lieber, verehrter Karl Kraus

Sie kriegen sofort Ihren Brief retour, aber schreiben Sie mir Antwort. Zuerst Franz Werfel war hier in Zürich, hat sich direkt großartig zu mir gezeigt (ich mein nicht etwa mit Geld, hab ich seit Cassirer (nach Christi) selbst. Alle Bücher ist er im Begriff anzukaufen, herrlicher Mensch so gut zu mir und er giebt meine gesammelten Kotzebuswerke heraus und hören Sie alle meine Bilder. Er hat sich wahrhaftig drin verliebt. Ich hab unglaubliche Bilder gemalen, Karl Kraus Sie würden direkt wahnsinig solche Bilder. Ich flehe Sie an kommen Sie doch sofort mal oder wie???? [Stern] – Können Sie lesen? Nun hat sich Franz Werfel so wundervoll benommen in einer Klatschgeschichte gerade gegen Paulchen. Er hat sofort gesagt – alles Neid denn Paul ist so schön wie Sie noch nie gesehn. So schön – er ist doch halb Grieche und Sie glauben nicht wie vornehm der Junge ist – alle verlieben sich in ihn und da wüteten ein paar Literaten hier; werde Ihnen erzählen. Und etwas hab ich mit Franz Werfel erlebt in einer Familie, wir beide brachen direkt wie Meere [über dem Wort drei stilisierte fliegende Vögel] los, das konnte ihm schrecklich schaden, aber er mußte so handeln. Lieber Karl Kraus, Cardinal, ich bitte Sie des großen Friedens wegen, ich bitte Sie der Gerechtigkeit wegen, der Franz Werfel ist noch so jung gewesen, ich bitte Sie schreiben Sie ihm ein gut Wort, ja? Schreiben Sie mir für ihn, er ist nämlich in Davos wie lange weiß ich nicht. Ich geb ihm dann den Brief, ja? Und noch was, wann ist Frieden? Bitte Antwort. Wollen Sie nicht die Tyll Eulenspiegelrede halten? Soll ich zu Cardinal Hartmann fahren? Cöln? Ich könnte ihn vielleicht sprechen – soll ich? Ich wollte alles mit Ihnen besprechen. Und ich muß nochmals anfangen, der Franz Werfel hat rasend im Krieg durchgemacht, er schwor mir er wollte Sie nicht beleidigen damals, er erzählte mir den Fall. Ich hätte vielleicht dasselbe gesagt. Karl Kraus, ich glaube Sie irren. Tun Sie mir die Liebe schreiben Sie ihm ein Wort, ja? Ich finde die Gedichte auch so schön und eigenartig. Und noch was? Wollen Sie mir rasenden Gefallen tun. Sie, ich schwärme für Dr. Korrodi: Dr. Eduard Korrodi herrliche blaue Augen hat er, unerhört lieb zu mir gerade. Bitte, liebster Cardinal, schreiben Sie ihm ein schönes Wort, nix von mir. Er ist wundervoll prachtvolles Gesicht (unter uns). Er mag Sie so gern. Wenn Sie mir nie helfen, da schreib ich nit mehr. »Am Thore vor dem Brunnen« oder »in einem kühlen Grunde«. Oder die Husitten zogen vor Naumburg.

Ihr Prinz

[Frauenkopf im Profil]

Jussuf

Ich werde wahnsinig wenn Sie nicht wiederschreiben!

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157911). Datum von Helene Kann: »25. II. 19«. D: KA, Bd. 7, S. 166 f.

meine gesammelten Kotzebuswerke • Paul Cassirer (1871–1926) brachte 1919/20 eine zehnbändige Ausgabe der Werke Else Lasker-Schülers heraus, die in Anzeigen als ›Gesamtausgabe‹ beworben wird. Vgl. Die weißen Blätter, Jg. 6, H. 10 vom Oktober 1919, S. 481; Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel (Leipzig), Jg. 86, Nr. 269 vom 6. Dezember 1919, S. 13530. – Mit der Charakterisierung »Kotzebuswerke« spielt Else Lasker-Schüler auf den Dramatiker August von Kotzebue (1761–1819) an, den erfolgreichsten Bühnenschriftsteller der Goethezeit. – alle meine Bilder • Paul Cassirer veranstaltete im Dezember 1919 eine Ausstellung mit Zeichnungen Else Lasker-Schülers, die 1920 die Berliner Nationalgalerie als Geschenk erhielt (vgl. zu [161]). Im ›Berliner Tageblatt‹ erschien am 16. Dezember 1919 (Jg. 48, Nr. 601 [Abend-Ausgabe] [›Aus der Kunstwelt‹]) folgende Ankündigung: »Paul Cassirer veranstaltet in seinen Ausstellungsräumen, Viktoriastraße 35, eine Ausstellung der in seinem Verlag erschienenen Bücher und Graphik, insbesondere seiner wesentlichen Neuerscheinungen. Gleichzeitig werden Bilder und Zeichnungen von Else Lasker-Schüler gezeigt.« – halb Grieche • Vgl. zu [165] (»Alcibiades de Rouan«). – noch so jung gewesen • Vgl. zu [152] (»traurig wegen Ihrer«). – Franz Werfel griff Karl Kraus in einem Brief vom 25. November 1916 wegen dessen Spottgedicht auf den Prager Literaturbetrieb ›Elysisches. Melancholie an Kurt Wolff‹ (Die Fackel, Jg. 18, Nr. 443/444 vom 16. November 1916, S. 26 f.) scharf an. Zu seinem Gedicht und zu Werfels Brief nahm Kraus ausführlich in dem Essay ›Dorten‹ (Die Fackel, Jg. 18, Nr. 445–453 vom 18. Januar 1917, S. 133–147) Stellung, dem er als Einleitung Werfels Brief voranstellte. Werfel seinerseits erwiderte die Ausführungen von Karl Kraus in dem Beitrag ›Die Metaphysik des Drehs. Ein offener Brief an Karl Kraus‹, der am 3. März 1917 in der ›Aktion‹ (Jg. 7, Nr. 9/10, Spalte 124–128) erschien. – Cardinal Hartmann • Felix von Hartmann (1851–1919), Erzbischof von Köln, seit 1914 Kardinal. Er leitete die Deutsche Bischofskonferenz. – so schön und eigenartig • Else Lasker-Schüler hatte der Dichtung Franz Werfels ursprünglich kritisch gegenübergestanden (s. [98]). – Dr. Korrodi • Eduard Korrodi (1885–1955), Schweizer Literaturkritiker, Feuilletonredakteur der ›Neuen Zürcher Zeitung‹. In der ›Frankfurter Zeitung‹ vom 18. April 1919 veröffentlichte Else Lasker-Schüler ihren ›Brief an einen Schweizer Freund‹ (Jg. 63, Nr. 291 [Erstes Morgenblatt], S. 1 f.; KA, Bd. 3.1, S. 425–429), 1920 in ›Gesichte‹ (S. 101–108) mit dem Titel ›Brief an Korrodi‹ erschienen. – »Am Thore vor dem Brunnen« • »Am Brunnen vor dem Tore« lautet der erste Vers des Lieds ›Der Lindenbaum‹ aus Franz Schuberts (1797–1828) Zyklus ›Die Winterreise‹ nach Gedichten von Wilhelm Müller (1794–1827). – »in einem kühlen Grunde« • »In einem kühlen Grunde / Da geht ein Mühlenrad«: der Anfang des nach einer Volksweise gesungenen Gedichts ›Das zerbrochene Ringlein‹ von Joseph von Eichendorff (1788–1857). – die Husitten zogen vor Naumburg • ›Die Hussiten zogen vor Naumburg‹: berühmtes Bänkelsängerlied, 1832 von Karl Friedrich Seyferth (1809–1865) in Naumburg zum historischen Kirschfest verfasst.

[170] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Locarno, Mittwoch, 20. August 1919

Locarno 20. August 19

Hauptpostlagernd

Lieber Karl Kraus.

Ich bin in Locarno, es ist wie in Afrika, aber ich bin immer traurig, Frank krieg ich von America und auf Dollars lauer ich.

Bitte lesen Sie sofort diese freche Kritik vom August 19 letzte Nummer: Wiener Mitteilungen R. Lechner: Universitäts-Buchhandlung. Ich habe noch nie eine solche Frechheit gelesen über meine Tempeln. Ich bitte Sie lassen Sie den Lümmel Erich Schönwald fassen; ich kann nicht umhin meine gesammelten Gedichte wie ein Asien Paläste und Tempel zu empfinden und manchmal trösten sie mich über meine Traurigkeit. Der Mensch ein liter. Commis, wollte sich an Hoffmannsthal rächen, und glaubt Ihre Füße und Loos Füße zu salben indem er mich verhöhnt. Eine gemeine Karte bekam ich von Wien über die Überschrift Venus Kind K. P. das ich über die kleine asiatische Dichtung setzte. Ja, was ist da zu sagen?

Ihr Prinz Jussuf

Else Lasker-Schüler

Ich bin krank geworden nach dieser neuen Gemeinheit.

Reinhard war so lieb zu mir; die Wupper spielt er weiter. Er war rührend gut zu mir, er ist direkt so zart, Sie glauben es nicht und spielt nun ein neues Stück, aber ich bin ganz erdrückt vom Leben und immer maßlos traurig, verehrter lieber Karl Kraus.

Grüße an den Gorilla. Soll ich in Wien Herbst sprechen? Ich spreche auch wieder bei Reinhard Theater.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157913). D: KA, Bd. 7, S. 171 f.

Wiener Mitteilungen • Erich Schönwald, Else Lasker-Schüler, in: Wiener Mitteilungen aus dem Gebiete der Literatur, Kunst, Kartographie, Photographie, Jg. 31, Nr. 4 vom August 1919, S. 1–4. – Den Anfang des Essays ›Adolf Loos‹ (vgl. zu [20]) zitierend, merkt Schönwald zu den Beiträgen in Else Lasker-Schülers Buch ›Gesichte‹ (1913) an, dass es sich bei ihnen um »treffliche Charakteristiken« handele: »Diese sind als Ruhmesblätter gedacht, allein wenn eine mit den Worten beginnt: ›Von der Seite betrachtet, erinnert sein Kopf an den Totenschädel eines Gorillas; wendet mir L. langsam das Gesicht zu, prüfen mich scharf des Gorillas runde, hellbraunen Augen‹ – so sollte es uns sehr wundern, wenn der so gekennzeichnete Wiener Architekt – nicht jeder häßliche Kopf ist ein Sokrates – nicht ausgerufen hätte: ›Gott schütze mich vor meiner Freundin!‹« Aus ›Mein Herz‹, der Buchausgabe der ›Briefe nach Norwegen‹, zitiert Schönwald die kritischen Bemerkungen zu Hugo von Hofmannsthals ›Jedermann‹ (vgl. zu [80]): »Diese Äußerungen könnte man mutig nennen, wenn nicht das Geständnis nachhinkte, daß die eigentliche Veranlassung zu dem abfälligen Urteil Reinhardt gab, der zwar ›Jedermann‹ aufführte, aber nicht die Arbeitersage ›Die Wupper‹.« Schließlich heißt es über ›Der Prinz von Theben‹: »Ein verwirrender exotischer Zauber, der aus dem alten Egypten, Indien und Juda hergeholt ist, umfängt uns da; man möchte zunächst einen romantischen Maskenscherz annehmen. (Der Abschnitt Abigail II ist ›Karl Kraus dem Kardinal‹ gewidmet!) Aber wenn man ihre Ansicht über religiöse Dinge bedenkt, wie sie sie im Hinblick auf ›Jedermann‹ ausgesprochen hat, so darf man daraus, daß sie hier als ›Begebenheit aus dem Leben Abigail des Liebenden‹ auch eine altnazarenisch-hebräische Weise, die ›Geschichte der Maria von Nazareth‹ eingefügt hat – allerdings mit der geschmacklosen Widmung: ›Dem Venuskind als Käte Parsenow fünf Jahre alt war‹ – immerhin schließen, daß sich ihr ›Prinz‹ vielleicht doch des künstlerischen Ernstes nicht ganz begeben wollte.« – Erich Schönwald (urspr. Franz Christel) (1865–1931) war Lyriker und Stadtarchivar in Wien. – Venus Kind K. P. • In den beiden 1914 und 1920 erschienenen Ausgaben von ›Der Prinz von Theben‹ ist die Geschichte ›Eine Begebenheit aus dem Leben Abigail des Liebenden‹: »Dem Venuskind als Kete Parsenow fünf Jahre alt war«, gewidmet. – spielt er weiter • ›Die Wupper‹ war am 27. April 1919 im von Max Reinhardt (1873–1943) geleiteten Deutschen Theater in Berlin uraufgeführt worden. Insgesamt fanden sechs Aufführungen statt, die letzte am 6. September 1919. – Gorilla • Adolf Loos (vgl. zu [20]). – bei Reinhard Theater • Else Lasker-Schüler hatte am 11. Mai 1917 in den Kammerspielen des Deutschen Theaters gelesen. Erneut las sie dort erst wieder im Februar und im März 1921.

[171] Karl Kraus, Literatur [Auszug]

Literatur

[…]

Jene heurige Dichterschule der Zuchtlosigkeit, deren Angehörige einander unaufhörlich »Ethos« nachsagen, es infolgedessen zu haben vermeinen und auch dadurch von den Dilettanten früherer Jahrgänge abstechen, daß sie alle von einander behaupten, sie hätten »Ballungen«, sie zaubert mit der Surrogathaftigkeit, die auf dem dürren deutschen Boden Geld und Geist wie Mist vorrätig hat, wöchentlich eine neue Revue hervor. Seit den Zeiten, da die Literaten »nachdenklich«, hierauf »dynamisch« und dann »kosmisch« waren, ist insoferne ein bedeutender technischer Fortschritt erzielt, als die Baller umso mehr Papier zur Verfügung haben, je weniger es von diesem gibt. Sie bilden jetzt in allen Zentren des deutschen Verkehrs- und Umsturzlebens den Troß, der die soziale Revolution mit freien Rhythmen begleitet, die, weit billiger als Brombeeren und bloß aus der Unerschwinglichkeit des Reims entstanden, die einzige Auslandsware sind, die im Inland erzeugt wird, so daß es selbst dem Kenner schwer fällt, zwischen einem falschen Guilbeaux und einem echten Becher zu unterscheiden, und man zieht es umso eher vor, dieses ganze und immer nämliche Rudel von Freibeutern des Worts kollektiv verantwortlich zu machen, als doch jeder von ihnen nicht nur für sich wieder eine »Synthese« bildet, sondern immer die gleiche, und diese, nämlich die aus Walt Whitman, Tolstoi, Nietzsche, Dostojewski, Marx, Lao-tse und Wolfenstein immer den nämlichen Nichtskönner ergibt. Das erfahren wir nicht nur aus den Waschzetteln, die einer über den andern, sondern besonders aus jenen, die er über sich selbst schreibt, und darum kann der Eindruck nicht fehlgehen, umsoweniger als diese Waschzettel ebenso geballt sind wie jede andere lyrische Zeile, die sie schreiben. Wer Lyrik zu beurteilen vermag, hat nun sofort, aber auch bei längerem Nachdenken heraus, daß die dunkle Tiefe dieser Meister darin begründet ist, daß ihre klare Seichtigkeit keinen Sinn hat. Zwar kommt es in der Kunst gewiß nicht auf diesen an und vielmehr darauf, daß die dem Verstand scheinbar zugängliche Wortfügung erst hinter dieser Wirkung von einer unbegreiflichen Tiefe sei. Aber jene Antibanausen würden aus derselben Erwägung, aus der jedem andern Spießer ein Werk ob seiner Wüstheit mißfällt, es preisen; trotz seiner Fülle gefällt, es verwerfen. Sie würden einen Satz, der unter seiner Oberfläche erst atmet und wächst, »epigonenhaft« nennen und nicht begreifen, daß man eine Lasker-Schüler, der sie doch eine Wortstellung abgeluchst haben, für einen Dichter halten kann und sie nur für Diebe, und dies mit umso größerem Unrecht, als doch die Lasker-Schüler jeden von ihnen für einen Dichter hält. […]

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 21, Nr. 521–530 vom Januar (Umschlag: Februar) 1920, S. 65–88, Auszug S. 77 f.

Guilbeaux • Henri Guilbeaux (1884–1938), französischer Journalist, Pazifist und Kommunist, erster Biograf Lenins. – Der Druckfehler: »Gilbeaux« statt »Guilbeaux«, ist in der ›Fackel‹ vom Mai 1921 (Jg. 23, Nr. 568–571, S. 42) korrigiert. – Becher • Der Schriftsteller Johannes R. Becher (1891–1958). – Wolfenstein • Alfred Wolfenstein (1883–1945), Schriftsteller und Übersetzer. Er gab 1938 die Anthologie ›Stimmen der Völker. Die schönsten Gedichte aller Zeiten und Länder‹ (Amsterdam: Querido) heraus, in die er von Else Lasker-Schüler das Gedicht ›Abraham und Isaak‹ (S. 441 f.; KA, Bd. 1.1, S. 144) aufnahm, und schrieb zwei ›Else Lasker-Schüler‹ betitelte Beiträge zu ihrem vermeintlich sechzigsten und fünfundsechzigsten Geburtstag. Der erste erschien in der ›Jüdischen Rundschau‹ (Berlin) (Jg. 41, Nr. 12 vom 11. Februar 1936, S. 4), der zweite in der ›Jüdischen Wochenschau‹ (Buenos Aires) (Jg. 2, Nr. 44 vom 21. Februar 1941, S. 8). Else Lasker-Schüler gab ihr Geburtsjahr mit 1876 statt 1869 an.

[172] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
München, Freitag, 5. März 1920

München 5 III. 20

Liebverehrter Karl Kraus

Der Dichter Lasco, der sich doch wie ich hörte nie politisch betätigte, befindet sich in Ungarn und soll hingerichtet werden. Vielleicht können Sie für ihn was tun.

Ich bin hier in München, spreche heute bei Wolff, der trotz Charme doch einen sehr feinen betrügerischen schleichenden Zug im Gesicht hat. Ich irre mich leider nie. Meine Bilder hängen bei Thannhäuser und 14 sind schon verkauft.

5 hat die National Gallerie in Berlin gekauft. Wie geht es Ihnen? Sie haben herrlich in Berlin gesprochen.

Ich grüße Sie herzlich

Ihr Prinz von Theben.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158151). D: KA, Bd. 7, S. 180.

Lasco • Der österreichische Schriftsteller Andreas Latzko (1876–1943) war nach seiner Entlassung aus der österreichisch-ungarischen Armee 1916 in die Schweiz gezogen und hatte dort 1917 sein Antikriegsbuch ›Menschen im Krieg‹ (Zürich: Rascher) veröffentlicht. Dieses war von Karl Kraus am 9. Oktober 1917 in der ›Fackel‹ (Jg. 19, Nr. 462–471, S. 175) »nachdrücklichst« zur Lektüre empfohlen worden. – Das ›Berliner Tageblatt‹ hatte am 3. März 1920 (Jg. 49, Nr. 115 [Morgen-Ausgabe]) gemeldet, dass Latzko in Budapest verhaftet und zum Tode verurteilt worden sei, allerdings bereits am 4. März (Nr. 118 [Abend-Ausgabe], 1. Beiblatt) darauf hingewiesen, dass es sich um eine Falschmeldung gehandelt habe. – bei Wolff • Else Lasker-Schüler las am 5. März 1920 auf Einladung des Kurt Wolff Verlags im Saal des Georg-Hirth-Hauses. Anlass dürfte das Erscheinen der Neuausgabe der ›Gesammelten Gedichte‹ gewesen sein, die 1920 bei Kurt Wolff in München herauskam. Honorarabrechnung vom 3. März 1920: Deutsches Literaturarchiv Marbach (Zugangsnummer: 93.65.34). – Thannhäuser • Die Münchner Galerie Thannhauser veranstaltete im März 1920 eine Ausstellung mit Zeichnungen Else Lasker-Schülers. In den ›Münchner Neuesten Nachrichten‹ erschien am 3. März 1920 (Jg. 73, Nr. 94 [Abend-Ausgabe], S. 1) anonym eine kurze Besprechung, die mit den Worten schließt: »Die Freunde der Dichtkunst dieser Frau werden sich gern noch mit den literarischen Verknüpfungen dieser gezeichneten Notizen befassen. Im Durcheinander tauchen Physiognomien wie Albert Ehrenstein und Werfel auf.« – National Gallerie • Vgl. zu [161]. – in Berlin gesprochen] Karl Kraus hatte am 20., 21. und 22. Januar 1920 in Berlin jeweils aus eigenen Schriften, am dritten Abend zudem aus Gerhart Hauptmanns Drama ›Die Weber‹ gelesen.

[173] Karl Kraus, Ein neuer Mann [Auszug]

Ein neuer Mann

[…]

Der Feinsten einer, ein Gütiger, dessen Name in allen Literaturkreisen umgeht, wo der Adel des freien Menschentums mit Nachlaß der Syntax verliehen wird und jede Woche neue Lebensinhalte kreiert werden, ist ein gewisser Georg Kulka, mir seit etlichen Jahren aus Briefen als der verehrende Kulka geläufig, aber nun auch durch ein Buch gegenwärtig, das der eigens für solche Neuerungen gegründete Verlag Strache auf einem Papier gedruckt hat, das fürwahr keine erleseneren Sprachwunder hüllen konnte. Denn die Gedichte dieses Neutöners, gesammelt unter dem Titel »Der Stiefbruder, Aufzeichnung und Lyrik«, sind von Hölderlin, Nietzsche, Stefan George, Rilke, Lasker-Schüler, Trakl, Kokoschka, Werfel, Goethe, Ehrenstein, Wolfenstein, Lichtenstein, Einstein, Stramm, Benn und Becher, Goll und Gütersloh, Klopstock, Sonnenschein und sogar von meiner Wenigkeit, die sich in solcher Verwendung hinreichend zeitverwiesen vorkommt. […]

Schon beschlich mich der Verdacht, daß ein Erzbetrüger auf kaltem Weg einfach alles, was das neue Deutschland an echten und falschen Wortwerten hervorgebracht hat, sich beigebogen habe, indem er nicht nur in »so viele Himmel« der Lasker-Schüler einbricht, dort mit Ehrenstein Gott als »wunden Zwerg« anspricht und seine blauen Wunder sehen läßt, die von Trakl sind, sondern auch alle Neubildungen jenes kubischen Kosmos handhabt, in dem alles »sternt«, »gralt« und zumal sich ballt, womöglich blau ballt, und jeglich Ding, das von Natur anders will, »steil« ist – mit einem Wort ein Filou, der sein sprachliches Unvermögen geschickter als mancher seiner Vorbildner zum Ausdruck bringt. Da wurde ich durch eine schon auf dem Umschlag vermerkte Gebrauchsanweisung eines Besseren belehrt. Verfaßt vom Verlag Strache, als dessen Lektor der Kulka die Hinausgabe einer unrichtigen Charakteristik gewiß nicht zugelassen hätte. Danach wäre der Kulka »der Mensch« schlechtweg, der den Menschen, der nur der Stiefbruder Gottes ist, »zu Seiner Linken nur geduldet«, an seine Rechte ruft, damit er »der Lieblingsbruder des Menschen« werde. […]

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 22, Nr. 546–550 vom Juli 1920, S. 45–67, Auszug S. 46–49.

Georg Kulka • Der österreichische Schriftsteller Georg Kulka (1897–1929). Von ihm war 1920 als erste Buchveröffentlichung ›Der Stiefbruder. Aufzeichnung und Lyrik‹ (Wien, Prag, Leipzig: Verlag Ed. Strache) erschienen. – Wolfenstein • Alfred Wolfenstein (vgl. zu [171]). – »so viele Himmel« • ›So viele Himmel‹ lautet der Titel eines Gedichts in ›Der Stiefbruder‹ (S. 17). Das Gedicht schließt mit den Versen: »So viele Himmel rinnen in den Tag: / Ein fein gesponnener Baum durchkreuzt die Himmel.« – Gott als »wunden Zwerg« anspricht • Im Gedicht ›De Profundis‹ (S. 23) schreibt Georg Kulka: »Gott, du wunder Zwerg, / Spreng die Rüstung ab.« – auf dem Umschlag • Ein Exemplar, dessen Schutzumschlag noch erhalten ist, konnte nicht eingesehen werden.

[174] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
München, Mittwoch, 29. Dezember 1920

[Frauenkopf im Profil]

Ich spreche 9. Jan. Volkstheater. Wohne Hôtel Klomser. Prinz Jussuf.

Anmerkungen

H (Postkarte): ?. Faksimile der Rückseite: Briefe an Karl Kraus, nach S. 80. Datum von Helene Kann: »29. XII. 20«. D: KA, Bd. 7, S. 209.

9. Jan. Volkstheater • Else Lasker-Schüler las am 11. Januar 1921 im Wiener Volkshaus in der Stöbergasse aus Gedichten und aus dem Manuskript des ›Wunderrabbiners von Barcelona‹. Karl F. Kocmata schreibt in seiner ›Else Lasker-Schüler‹ (Ver! [Wien], H. 33 vom Februar 1921, S. 24) betitelten Besprechung: Else Lasker-Schüler »leitete den Vortrag mit einigen ihrer wunderbar melodischen Gedichte ein und brachte im Laufe des Abends auch jenes über Senna Hoy, den jungen Revolutionär der Vorkriegszeit, dem das zaristische Rußland ein grausames Ende bereitet hat. Else Lasker-Schüler, die Altmeisterin moderner Lyrik, hatte im Volksbildungshause begeisterten Enthusiasmus geweckt, – ein Zeichen, daß auch die Arbeiterjugend imstande ist wahre große Dichtung, auch wenn sie modern ist, mitzufühlen. ›Der Wunderrabbi von Barcelona‹ ein letztes ungedrucktes Manuskript, Prosa von herrlicher kompositorischer Architektonik, beschloß die Vorlesung.« Der Abend war in der ›Neuen Freien Presse‹ (Wien) vom 11. Januar 1921 (Nr. 20248 [Morgenblatt], S. 8) angekündigt worden.

[175] Karl Kraus, Zur Sprachlehre [Auszug]

Zur Sprachlehre

[…] In der neueren Wortkunst möchte ich dem »Tibetteppich« Else Lasker-Schülers einen das überhaupt nicht Vorhandene überragenden Rang einräumen. […]

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 23, Nr. 572–576 vom Juni 1921, S. 1–76, Auszug S. 70.

»Tibetteppich« • Siehe [39] und [54].

[176] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Berlin, Freitag, 8. Juli 1921

Am 7. Juli 1921 leistete sich die Weltbühne einen sehr niedrigen Streich: Else Lasker-Schüler von Hedwig Courths-Mahler. Ich kenne weder die angebliche Autorin noch sie kennt mich. Ein vorlauter hysterischer Jüngling, dessen Gedichte ich nicht imstande war, zu befördern, gedachte aber doch nun endgültig durch diesen dilettantischen pseudonimen Schriftfetzen zur »Kunst«-Welt zu kommen.

Else Lasker-Schüler.

Sehr verehrtlieber Karl Kraus. Haben Sie in der Weltbühne dieses kleine jüdische Witzchen gelesen? Der Sohn von Fritz Stahl: Reinhold Stahl, der mich fortwährend mit Versen traktierte während ich so mit ihm sprach, wie ein Freund ehrlich. Sie erlaubten ihn doch mal, durch mein Bitten, am Abend nach der Vorlesung, bei unserm Zusammentreffen Theil zu nehmen. Ja ich bin nun so müde, Karl Kraus, ich kann nicht mehr bei den großen Sorgen, die ich immer doch habe in allen Beziehungen. Nun schrieb ich den Wunderrabbiner, der wie eine Offenbarung über mich kam, ich wurde ganz zerschlagen und St Peter [über dem P ein Heiligenschein] Hilles Briefe sind an mich auf Wunsch Pauls Cassirer herausgegeben, die mich ärmsten Menschen ehren vielleicht unverdient ehren. Sie glauben nicht wie mich das Literarische aneckelt, das das Spiel, die Lieblichkeiten der Seele zerpflückt, plündert. Ich bin innerlich so allein so kahl; verachte jede Sensation jede Unbescheidenheit, kann den Artikel nicht übersenden.

Ich finde keinen Bogen vor Erregung.

Wann kommen Sie? v. Radecki schwärmt für Sie und Hansadalbert v. M. alle hier!!

Mein bester Freund Hansadalbert v. Maltzahn ist nach Brasilien, er wollte mich durchaus mitnehmen.

Mein Päulchen kommt als Zeichner hier an ein groß Theater.

Reinhardt hat für mich etwas getan, wenn es durchkommt fahre ich nur über alle Meere. Sie würden das von Reinhardt wirklich lieb finden. Er hat mir auch ein herrlich Kleid machen lassen für Vorträge.

Alle müssen am Theater so gut zu mir sein wenn der Prinz kommt, auch mußte ich immer Proben zusehn. Kete Venus war auch ganz entzückt von seinem Brief an mich und seiner Art und Weise. Ich könnte Ihnen erzählen was ich durchmache in meinem Fühlen und Denken, Sie glaubten es nicht.

Ich werde nicht fertig. Diese Klatschereien fortwährend, ja aus den Lüften gegriffen. Lieber Karl Kraus, ich möchte eine Lämmerheerde im Tessin besitzen und immer auf der Wiese sitzen. Wollen Sie Jacobsohn bitten, mich in Frieden zu lassen denn ich bin ein Hirte geworden.

Verstehen Sie das von Jacobsohn. Ich habe übrigens an Berliner Tageblatt und Zeitgeist gesandt.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158160). Datum von Helene Kann: »8. VII. 21«. D: KA, Bd. 7, S. 219 f.

Else Lasker-Schüler von Hedwig Courths-Mahler • Am 7. Juli 1921 hatte Reinhold Stahl, Sohn des Kunstkritikers Fritz Stahl (1864–1928), in der ›Weltbühne‹ die Parodie ›Else Lasker-Schüler‹ (Jg. 17, Bd. 2, Nr. 27, S. 16) mit der fingierten Verfasserangabe ›Hedwig Courths-Mahler‹ veröffentlicht. Zu diesem Beitrag schrieb Else Lasker-Schüler zwei Stellungnahmen, die im ›Berliner Tageblatt‹ vom 9. Juli 1921 (Jg. 50, Nr. 318 [Morgen-Ausgabe]; KA, Bd. 4.1, S. 21) und in der ›Weltbühne‹ vom 14. Juli 1921 (Jg. 17, Bd. 2, Nr. 28, S. 52; KA, Bd. 4.1, S. 21 f.) erschienen. Der im ›Berliner Tageblatt‹ veröffentlichte Text entspricht der Mitteilung, die Else Lasker-Schüler ihrem Brief an Karl Kraus voranstellt. – Wunderrabbiner • ›Der Wunderrabbiner von Barcelona‹ und ›Briefe Peter Hilles an Else Lasker-Schüler‹ waren im Frühjahr 1921 bei Paul Cassirer in Berlin erschienen. Cassirer hatte beide Bücher (»Soeben erscheint«) im ›Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel‹ (Leipzig) vom 12. Mai 1921 (Jg. 88, Nr. 109, S. 4991) angezeigt. – Peter Hilles • Vgl. zu [38]. – v. Radecki • Sigismund von Radecki (1891–1970), aus Riga gebürtiger Schriftsteller und Übersetzer. 1925 beteiligte er sich an einer Initiative zur Verleihung des Literaturnobelpreises an Karl Kraus. Vgl. Du bist dunkel vor Gold, S. 160–177. – Hansadalbert v. M. • Hans Adalbert von Maltzahn (vgl. zu [144]). – als Zeichner • Else Lasker-Schülers Bemühungen, für ihren Sohn Paul (1899–1927) eine Anstellung als Zeichner zu finden, scheiterten. – Reinhardt • Am von Max Reinhardt (1873–1943) geleiteten Deutschen Theater in Berlin war 1919 Else Lasker-Schülers Schauspiel ›Die Wupper‹ uraufgeführt worden. – Kete Venus • Kete Parsenow. – im Tessin • Dort hatte Else Lasker-Schüler sich im Frühjahr 1918 und im Sommer 1919 aufgehalten. – Jacobsohn • Siegfried Jacobsohn (1881–1926) war Herausgeber der ›Weltbühne‹. – Zeitgeist • ›Der Zeitgeist‹: Beilage zum ›Berliner Tageblatt‹, die bis 1917 erschienen war.

[177] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Berlin, Freitag, 15. Juli 1921

15. Juli 21

Lieber verehrtester Karl Kraus

Ich weiß nicht, ob ich Ihnen schrieb: Weltbühne Affaire – Der Autor noch so jung 18 Jahre: Reinhold Stahl Schwärmt wahnsinnig für Sie, ich bitte Sie verschweigen Sie die Sache, falls Sie wie immer in so unglaublich lieber Weise, ich weiß es, meine Partei nehmen. Aber ich glaube, es war wirklich Dummheit Jugendlichkeit von ihm; und Hastigkeit, wie immer so Junger Paul täte natürlich nicht. Denken Sie er ist auf der Straße im Kampf mit einem rohen Burschen, der seine Freundin beleidigte gestochen worden. War sehr krank. Ich reise gleich hin, möchte auch nicht, daß der Täter ins Gefängniß kommt, war vielleicht ein armes Kind früher

Ich habe keine Sinne mehr vor Aufregung gestern erfahren, fahre gleich Mannheim.

Wir wollen auch dem vorlauten Jungen R. St. vergeben.

Ihr Prinz

Jussuf

Er tut es nicht wieder.

Daß ich so viel schreibe nur zu verhindern, Event.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 157909). D: KA, Bd. 7, S. 221.

Weltbühne Affaire • Siehe [176]. – Paul • Else Lasker-Schülers Sohn Paul (1899–1927). – im Kampf mit einem rohen Burschen • Im ›Berliner Tageblatt‹ erschien am 20. Juli 1921 (Jg. 50, Nr. 337 [Abend-Ausgabe]) folgende Notiz: »Überfall. Der Sohn der Dichterin Else Lasker-Schüler, der junge Maler Paul Lasker-Schüler, ist in Mannheim von einem Manne durch mehrere Messerstiche verletzt worden, als er auf der Straße ein junges Mädchen gegen Belästigung hatte schützen wollen. Erfreulicherweise sind die Verletzungen nicht gefährlicher Natur.«

[178] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Berlin, Montag, 12. Dezember 1921

Hochverehrter Herr Kraus

Als ich Ihren ersten Vortrag besuchte, begnügte sich Prinz von Theben zu stehen denn trotzdem Sie für mich sicherlich einen Platz bestellten, bekam ich doch nur einen Stehplatz. Der junge Herr Sachs aber, sein Vater Robert ist tot, brachte mir jedoch einen Stuhl, den ich einer gebeugten Dame später überließ. Der Herr Kulla (Compagnon) ist ein erregter Büffel und ich kenne ihn vom Bureau aus. Er schrieb mir vor kurzer Zeit, ob ich in Breslau einen Vortrag für 1200 Mk annehmen würde, worauf ich einwilligte und den Vortrag zu 800 Mk. Herrn Bildhauer Bednorz, der ihn arrangieren wollte, absagte. Ich ging zu Herrn Kulla, Firma Sachs, und bat ihn meinen Vortrag auch in Berlin zu übernehmen, den ich mit zwei Schauspielern gab, der eine las: Trakl, der andere: Benn. Die infame Unhöflichkeit dieses Kulla hat mich schon immer empört aber der junge Sohn von Sachs der II. Compagnon von Kulla ist ein doppelt netter Mensch.

Ich war gestern so krank am Herzen, schleppte mich meine Verbundenheit zu beweisen, in die Secession, kam auch nur darum in Ihr Künstlerzimmer, weil Sie mirs sagten. Ich habe keine Lust mehr mich in die Ecken zu drücken, fürchte niemand etwa, revanchierte mich stets und bitte meine Demut nicht mit Speichelleckerei zu verwechseln. Wo in meiner Hand sitzt der Revolver. Meine Dichtung respektiere ist selbst aber ich wünsche daß man mein Hungerleben das ich führte sehr achtet und event. auch mein Räuberdasein. Ich hasse und verachte die Menschheit ohne Ausnahme. Tun Sie das Ihre – Sire mit Pathetik zu sprechen. Daß ich die 10–20 Personen im Namen Sachs einließ, kommt daher weil man mich auch nicht einlassen wollte und ich fest annahm, daß Sie den sehr fein aussehenden interessierten Leuten Einlaß bewilligt hatten wie mir. Außerdem bin ich von Natur gentle. Und noch was, ich hatte plötzlich ein unbezwingbares Gefühl die Leute einzulassen. 2 Söhne und Frau waren darunter vom früheren Minister von Sachsen Hausmann. Bitte mir alle Unkosten zusenden zu lassen. Ich habe jetzt Geld. Zu verschwenden macht mir hier an Ihrem Abend gewaltige Freude. Ich selbst gehe selbst an meinem Vortragabend lieber ehrlich gesagt ins Kino.

Ich habe das meine getan

Tun Sie das Ihre, Sire.

Jussuf Prinz Theben

[Mondsichel mit Stern]

Die Sache Gulka ist auch anders. Mir sandte ihn der totkranke Lampl damals ins Hôtel, mich holen. Jeder von Ihnen hatte eine Glassache für mich. Ich ahnte von Gulka nichts da mir Literatur schnuppe auch Dichtung wenns nicht meine ist, die mir auch erblaßte. So meine Wahrheit. Ich komm nie mehr.

Bitte schreiben Sie Venus ob dieser Brief an Sie abgegeben wurde.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158153). Datum von Helene Kann: »12. XII. 21«. D: KA, Bd. 7, S. 230 f.

Vortrag • Karl Kraus las im Winter 1921 am 8., 11., 20., 21. und 22. Dezember in der Berliner Secession. – Der junge Herr Sachs • E. Sachs war zusammen mit E. Kula Inhaber der Berliner ›Konzertdirektion Robert Sachs‹. – Bednorz • Robert Bednorz (1882–1973), Bildhauer in Breslau. In ›Das Plakat. Zeitschrift des Vereins der Plakatfreunde e. V. für Kunst in der Reklame‹ (Berlin) (Jg. 12, H. 11/12 [Sonderheft: Familiengraphik] von November/Dezember 1921, [Beilage:] Mitteilungen der Ortsgruppen) informiert die Breslauer Ortsgruppe über ihre Auflösung und teilt mit: »Vorträge waren im Dezember geplant von Herrn Friedländer-Mynona und Frau Lasker-Schüler.« – mit zwei Schauspielern • Else Lasker-Schüler hatte am 30. September 1921 zusammen mit Karl Hannemann (1895–1953) und Aribert Wäscher (1895–1961) im Berliner Meistersaal gelesen. In der ›Morgen-Ausgabe‹ des ›Berliner Tageblatts‹ (Jg. 50, Nr. 460) vom selben Tag war in der Rubrik ›Kleine Mitteilungen‹ folgende Ankündigung erschienen: »Heute abend liest im Meistersaal Else Lasker-Schüler den Wunderrabbiner von Barcelona. Karl Hannemann (Deutsches Theater) und Aribert Wäscher (Deutsches Theater) lesen Dichtungen von Georg Trakl und Gottfried Benn.« Über die beiden Schauspieler schrieb Else Lasker-Schüler die Gedichte ›Aribert Waescher‹ (Die Weltbühne, Jg. 19, Bd. 1, Nr. 4 vom 25. Januar 1923, S. 107; KA, Bd. 1.1, S. 220 f.) und ›Der Hannemann‹ (Berliner Tageblatt, Jg. 53, Nr. 271 [Morgen-Expreß-Ausgabe] vom 8. Juni 1924, 4. Beiblatt; KA, Bd. 1.1, S. 229). – Tun Sie das Ihre • Der Schluss von Friedrich Schillers ›Don Karlos‹ lautet: »Kardinal! Ich habe / Das Meinige getan. Tun Sie das Ihre.« – Gulka • Georg Kulka (1897–1929). Er war von Karl Kraus im Juli 1920 in der ›Fackel‹ des Plagiats beschuldigt worden (s. [173]). Kulka dürfte Else Lasker-Schüler gegen Mitte Januar 1921 aufgesucht haben, als diese sich in Wien zu einem Vortrag aufhielt (s. [174]). – Lampl • Fritz Lampl (1892–1955), Schriftsteller und Glaskünstler in Wien. – Venus • Kete Parsenow.

[179] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Berlin, Dienstag, 26. Dezember 1922

Else Lasker-Schüler

Berlin

Hôtel Koschel

Motzstr. 78

Herrn Karl Kraus

Wien

Lothringerstr 6

(Östreich)

26. Dez. 22.

Hochwerter Karl Kraus

In Prag sprach ich Ihren Essay mit großem Beifall. Ich bitte Sie meinem Paul doch viele Fackeln zu senden, er glüht dafür und liest hervorragend einfach Ihre Gedichte manche, auch Prosa mir immer laut vor. Er ist schön und kein Affe. Und Frl. Holzner (Prag.) möchte Ihnen so gern unglaubliche Sache schreiben. Sie war herrlich zu mir.

Ihr Prinz Jussuf.

[Stadt mit Palmen, in der Mitte stilisierter Weihnachtsbaum mit Stern an der Spitze]

schön [über dem h ein Stern] Weihnachten

Anmerkungen

H (Postkarte): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158173). Poststempel: Berlin, 27. 12. 22. D: KA, Bd. 7, S. 254.

In Prag • Else Lasker-Schüler hatte am 29. November 1922 in der Prager Produktenbörse gelesen. Über den Abend wird in einer mit ›Ss.‹ gezeichneten Besprechung im ›Prager Tagblatt‹ vom 1. Dezember 1922 (Jg. 47, Nr. 281, S. 4 [›Vorträge‹]) Folgendes berichtet: »Else Lasker-Schüler ist nach fast zehn Jahren nach Prag gekommen, um das einstmals literarisch interessierte Publikum mit ihren neuen Werken bekanntzumachen. Ihre Bemühung fand nur bei einer viel zu geringen Schar Gehör. Und sie: sie ist seit den zehn Jahren nicht älter geworden; ist jünger. Wieviel kindliche Begeisterung liegt in ihren Versen, die von Josephs Verkauf erzählen, von David und Jonathan. Wie aufrichtig spricht ihre Seele von allem, was sie bewegt, und naiv beschenkt sie die Männer, deren Genie sie erkannte, mit ihren eigenen Würden; der eine ist ihr König, der andere Papst. Und all diese Pracht sieht sie aus ihrem Spelunkenpalast. – Die Dichterin schloß den Abend mit ihrer Erzählung ›Der Wunderrabbiner von Barcelona‹. Ergriffen von der Kunst einer solchen Frau dankten die Zuhörer.« – Ihren Essay • ›Karl Kraus‹ (s. [24]). – meinem Paul • Paul Lasker-Schüler (1899–1927). – Holzner • Die österreichische Schriftstellerin Marie Holzer (geb. Rosenzweig) (1874–1924). Sie hatte am 21. Mai 1913 in der ›Aktion‹ den Beitrag ›Else Lasker-Schüler als Gast in Prag‹ veröffentlicht (vgl. zu [113]).

[180] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Berlin, Montag, 17. Dezember 1923

17. Dez. 23. Montagabend.

Hochzuverehrender Karl Kraus

Ich liege tatsächlich an Wundfieber im Bett, die Schwester ging eben fort. Ich kann nicht schlafen denn ich bin total vernichtet und ich habe sechs Wunden und zittere am ganzen Körper. Ich habe Adolf Loos auch eben geschrieben, aber wieder zerrissen, da er mich gar nicht mehr versteht und ich habe ihn doch mal meine Verehrung bewiesen. Ich sitze auf dem Bettrand, habe den Tisch ans Bett gezogen und schreibe Ihnen, Karl Kraus. Bitte denken Sie es ist vor dem Kriege, als Sie mir noch gewogen waren. Ich bin Kaiser geworden kein Prinz bin ich mehr aber ich bin Hirte geworden, wie ein Künstler religiös endlich auf dem Weg des Sterbens wird und nicht größenwahnsinnig wie die Frau, die meinen Paul aus eigenem Antrieb mit nach Wien nahm, tobend, keifend, schimpfend, lobend, entzückt etc. Ich bemühe mich, Ihnen die volle Wahrheit zu schreiben bei der Ehre meines Herzens. Ich habe so viel durchgemacht, daß ich sagen kann, bei der Ehre meiner Thräne und ihrer Reinheit. Ich war 8 Tage in der Schweiz, 3 Vorträge, um Franken zu verdienen, denn es ist sehr schwer zu leben hier und ich arbeitete Tag und Nacht – jahrelang – und es war doch nicht reichend. Ich noch mein Junge hatten genug zu leben, er gab sich alle Mühe, wurde apatisch, er ist ja auch noch so furchtbar knabenhaft seelisch und körperlich. Kam ich für ihn irgend zu einer Plakatfabrik oder Film, sagte man mir zu, er wurde aber den anderen Tag nicht empfangen. Genau so erging es früher Emanuel Reichers Jungen. Nun fand ich es ja bewillkommend, daß Paul nach Wien könnte, auch war er ja körperlich so herunter und ich war Frau D. Schwarzwald überaus dankbar; bitte, Adolf Loos soll sich alle meine Zeilen zeigen lassen an diese bitterböse Frau. Zu bald wußte ich, und äußerte es meiner Freundin mit größtem Schmerz, daß Paul in bösen Händen sei – eine Frau mit höllischem Feuer, die aber Gutes tun möchte nicht aus Demut der großen Erzengel, aber aus Eitelkeit, Machttrieben, Sensation, wie es auch solche Jüdinnen geben; aus kleinen Häusern sich heraufgeschwungen haben, oft durch Fleiß wie wohl hier. Ich will nichts nehmen. Aber, hochzuverehrender Herr Karl Kraus, mir sind diese unbescheidenen Menschen ein Graus und mein abgehetzter armer Junge gehörte in friedliche, [als Komma ein Herz] heimatliche gute schlichte Hände. Er ist ja gar nicht raffiniert, er ist ja keine Spur intelligent, er ist ganz künstlerisch. Sie wissen doch, er ist mein Junge und das Kind von Rouan, der gestorben ist. Ich wurde doch damals von Dr. L. geschieden. Ich hätte einen Tropfen meines Lebens gegeben, wenn Sie Sich einmal mit ihm unterhalten hätten mit diesem kleinen Jungen, der begeistert, so wahr ich Ihnen schreibe, von jedem Wort gewesen war in Berlin in Ihrem Vortrag damals. Wenn ich nicht seine Mutter wäre, Paul stände ganz anders, ich spräche mit ihm aus der Perspektive, so aber konnte ich nicht das erreichen, was ich bei diesem prachtvollen noblen Menschen erreichen hätte müssen. Ich schreibe mein Testament, ich bin so gebrochen von der Schmach von der Qual, die mir vor den hunderten Menschen in der Volksküche ohne jede Veranlassung, hochzuverehrender Herr Kraus, die Schwarzwald antat, ich bin still, ich bin leise wie ein Sterbender, so hat sie mich nun endgültig vorgestern mißhandelt, ihren Sadismus ausgelassen an einen Menschen, der gebunden ist, sie weiß, daß ich mir alles gefallen lassen werde um Paul. Er schrieb zuerst sehr traurig ich möchte Ihnen Seiten einlegen, und aber ich fühle, er dringt durch und wird selbstständig und ich ließ mir alles gefallen, auch wenn die Schwarzwald mir jedesmal die 20,000 Kronen vorwarf: Taschengeld. Ich habe meinem Kind 13 Dollars sehr bald gesandt für Mantel und Wäsche. Vor einigen Tagen wieder 10 Dollars!, trotzdem Frau Schw. mirs verbat damals, so wollte ich doch nicht ausnützen einen Menschen. Ich teile immer mein Geld mit allen die nötig haben; ich sage es Ihnen ganz einfach, damit ich es einem Menschen sage wie vor dem Tode. Nun sagte mir aber Hugo Simon hier, ich sollte ja Paul Taschengeld geben lassen denn das Geld gäbe die Casse Simon etc. Ja ich weiß ja nicht mehr hin und her. Ich flehte Frau Schw. so oft an, mir doch ein Wort über Paul zu schreiben. Nie! Als sie dann vor Wochen hier war, ging ich in die östreichische Gesandtschaft, wo sie wohnte. Als das Mädchen mich in ihr Zimmer lassen wollte, schrie sie schon wie tobsüchtig, da ihr Haar noch nicht frisiert war; dann sprachen wir uns im Salon, wo sie eiskalt zu mir war, ich erkannte sie nicht wieder, denn am ersten Tage in Berlin war sie geradezu überschwenglich zärtlich; ich konnte mich kaum retten vor ihren Umarmungen, da ich bei Frauen verlegen werde und unbeholfen. Sie schimpfte eigentlich nur über die Talentlosigkeit von Paul etc. Mein Paul war der Meisterschüler des größten Technikers Prof. Gröber: München. Karl Arnold der Simplicissimusmaler will jedem fragenden genaue Auskunft geben über Pauls Riesiges Talent. Die Käthe Kollwitz halte nichts von ihm wie sie früher auch über mein Geschmier lachte. Mein Junge liebt sich in Geduld bescheiden zu üben direkt Photographieen abzuzeichnen, Strich auf Strich. Niemals behauptet er es sei sein Original. Sie, Herr Kraus, würden ihn verstehn. Frl. Dr. Ring erste Lektorin (Cassirer) hält ihn so begabt, daß sie vor Jahren eine Ausstellung machen wollte, da antwortete mein Paul: Es sei noch nichts. Das gefällt mir. Er drängt sich nicht vor, hat Zeit. Möchte sogar mal 2 Jahre etwas anderes tun, wie ich das auch liebe. Wir beide denken egale; wie er, so wurde ich mal mißkannt, und mein Ansicht ist keine mütterliche blinde Ansicht. Ich kenne mein Kind. Ich weiß Sie wissen das nach einer Stunde, auch seine Schelmerie, seine Verachtung gegen alles Auffallene. Ich kenne auch seine Fehler. Aber diese beiden Frauen haben auf mich und auf mein Kind gehackt wo sie mich nur sahen. Nun war ich doch in der Schweiz 1 Woche, da hörte ich plötzlich (wie ich von Kind an den Engel Gabriel höre) seine Stimme im Innern meines Herzens, ich soll wieder nach Deutschland wegen meines Kindes und ich bin einen Tag und eine Nacht gefahren, da ich in Lugano privat sprach, und ging sofort in die Schloßküche, da ich wußte sie war dort. Und als ich Frau Sch. sah, sagte ich: Frau Dr. Sch. ich will jetzt sicher über alles schreiben (ich konnte es nämlich noch nicht weil ich die Frau direkt verachten gelernt hatte) darauf ließ sie mir die Räume zeigen, sie schritt mit breiten Schultern und erhobenen größenwahnsinnigen Kopf und Augen umher, tobend im Unwirsch und exaltiert und ich sah wie direkt Leute lächelten. Aber der Saal, darin Kinder saßen, die wie ich hörte nach Wien reisten, gefiel mir sehr gut, und ich machte mir direkt Vorwürfe noch nicht geschrieben zu haben. Dann aß ich, was ich bezahlen wollte, ich habe nie die Einladung von Simons angenommen, dann bat ich Frau Sch. daß ich sie eine Minute sprechen könnte. Sie schrie mich sofort an, »ich habe keine Zeit« – Ich wartete, da bat ich die Sekretairin der Frl. Doktor, die sehr unhöflich wie immer mir sofort Unverschämtheiten sagte,: sofort: Ihr Sohn kann nichts. Aber ich gab keine Antwort, ich sagte nur, er zeichnet Photographien ab, sich gewiß zu ernähren. Ich sagte dann scherzend, damit kein Zank kommt, »ich schreibe auch Gedichte ab«. Das war ihr Wasser auf der Mühle. So boshaftes Lachen sah ich nie, wie sie mit dem Kopf nickte. Ich machte zu Pauls Gunsten bei Thebens Ehre, ich mache nichts. Ich sagte Frau Schw. adieu – sie sprang auf und rief ohne Grund ich bin noch sprachlos vor allen Leuten: »Sie!! holen Sie Ihren Sohn und machen Sie, daß Sie herauskommen!! Sie!!!« – Sie winkte, zwei Herrn, grobe Kerle pufften mich mit Fäusten traten mich und ich weiß nur wie mir so rot vor den Augen wurden und die Studenten erzählten mir draußen, ich sei 5 Min. mindestens wie tot gelegen und sie hätten geglaubt, ich sei tot.

Als ich dann wieder dachte, wußte ich erst nicht wo ich war und fragte, die beiden Kerle zerrten mich, stießen mich, und ich sah die Schwarzwald Arme verschränkt sich freuen, da sprang ich mit letzter Kraft auf und rief: »Was habe ich getan, Sie lassen mich herauswerfen«! und gab ihr eine Ohrfeige wie unsichtbare Macht. Da sagte sie ganz zaghaft – zu versammelten Menschen 100te von mir: »Die ist eine schon lange bekannte geisteskranke Frau, ihren armen Sohn habe ich mit nach Wien genommen, ihn ernährt.« Ich sage Ihnen, Karl Kraus, seitdem weiß ich es giebt ein Geschick, das war der Pfeil, der mich nun doch endlich zu Tode traf. Kommen Sie sehen Sie sich die Wunden meines Körpers an, ich bin mit dem Auto heute mit Frau Elisabet von Schmidt-Pauli heimgefahren, ich kann nicht mehr schreiben.

Nur mein Paul ist eine großartige Adresse geschrieben worden, Jemand der ihm Arbeit schafft.

Ich flehe Sie an, daß die Schw. mich noch mein Kind nicht mehr, selbst im Munde trägt. So gerne hätte ich mich mit Adolf Loos verständigt, aber ich kann wegen meiner Lunge nicht immer sprechen – auf der Bühne weiß man nichts.

Meine Brochure wird Sie sicher interessieren sagt lieber Sigismund von Radecki, der sie abgöttisch verehrt

Karl Kraus, ich bitte Sie mir zu glauben. Ich wohne nun 10 Jahre hier, und oben Kajütte unterm Dach, habe nie irgend Streit. Die Frau ist direkt größenwahnsinnig (was ich ihr nicht sagte.) Ich freue mich nun daß mein Kind von ihr ab ist. So war es

Victor Blum ist furchtbar nett zu Paul

Pardon

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158154). D: KA, Bd. 7, S. 281–285.

meine Verehrung bewiesen • Im Essay ›Adolf Loos‹ (vgl. zu [7]). – mir noch gewogen waren • Vgl. zu [165] (»wirklich je meine Gedichte gern gehabt«). – die Frau • Eugenie Schwarzwald (geb. Nußbaum) (1872–1940), österreichische Schulreformerin. Sie hatte sich während der Inflationszeit in Berlin für die Gründung von Gemeinschaftsküchen eingesetzt. – meinen Paul • Paul Lasker-Schüler (1899–1927). – 3 Vorträge • Else Lasker-Schüler hatte am 2. und 3. Dezember in Basel und am 9. Dezember 1923 in Zürich gelesen. Die Vorträge waren am 30. November und am 7. Dezember 1923 im ›Israelitischen Wochenblatt für die Schweiz‹ (Jg. 23, Nr. 48, S. 6 und Nr. 49, S. 6) angekündigt worden. – zu einer Plakatfabrik oder Film • Else Lasker-Schüler bemühte sich vergeblich, für Paul eine Anstellung als Zeichner zu finden. – Emanuel Reichers Jungen • Ernst Erwin Reicher (1885–1936), der jüngere Sohn des Schauspielers Emanuel Reicher (1849–1924), war ebenfalls Schauspieler und Inhaber einer eigenen Filmgesellschaft. Er hatte das von Hermann Lietz (s. [90]) gegründete Landerziehungsheim in Ilsenburg im Harz besucht. – Kind von Rouan • Vgl. zu [165]. – Dr. L. • Der Arzt Berthold Lasker (1860–1928), mit dem Else Lasker-Schüler von 1894 bis 1903 in erster Ehe verheiratet war. – Vortrag damals • Vermutlich der Vortrag, den Karl Kraus am 7. Februar 1917 in Berlin gehalten hatte (s. [165]). – Simon • Hugo Simon (1880–1950), Bankier und Kunstmäzen in Berlin. Im November 1920 war von Else Lasker-Schüler in den ›Weißen Blättern‹ das Gedicht ›Gott hör ....‹ (Jg. 7, H. 11, S. 505; KA, Bd. 1.1, S. 215) mit der Widmung: »Hugo Simon dem Boas«, erschienen. – Gröber • Hermann Groeber (1865–1935), Maler und Professor an der Kunstakademie in München. Paul Lasker-Schüler hatte ab Herbst 1915 in München Privatunterricht zur Förderung seiner künstlerischen Begabung erhalten (s. [158]). – Karl Arnold • Vgl. zu [158]. – Kollwitz • Käthe Kollwitz (1867–1945), Grafikerin, Malerin und Bildhauerin in Berlin. – Frl. Dr. Ring • Grete Ring (1887–1952), Kunsthistorikerin. Sie wurde 1919 Mitarbeiterin im Kunstsalon und Verlag von Paul Cassirer (1871–1926) und übernahm nach dessen Tod zusammen mit Walter Feilchenfeldt (1894–1953) die Leitung. – Schmidt-Pauli • Elisabeth von Schmidt-Pauli (1882–1956), aus Hamburg gebürtige katholische Schriftstellerin. Sie schrieb vornehmlich über religiöse Themen. – Meine Brochure • ›Ich räume auf! Meine Anklage gegen meine Verleger‹. Else Lasker Schüler veröffentlichte ihre Schrift 1925 im Selbstverlag. – Sigismund von Radecki • Vgl. zu [176]. – wohne nun 10 Jahre hier • Else Lasker-Schüler wohnte seit Ende 1918 im Hotel ›Koschel‹ in der Motzstraße 78. Das Hotel wurde Mitte der zwanziger Jahre in ›Der Sachsenhof‹ umbenannt. – Victor Blum • Albrecht Viktor Blum (1888–1959), Schauspieler, Theater- und Filmregisseur. Er leitete 1934 die Filmaufnahmen einer Lesung von Karl Kraus in einem Prager Studio: ›Aus eigenen Schriften‹ (Herstellung: Prag-Paris-Filmgesellschaft, Prag), uraufgeführt am 29. April 1934 bei der Feier zum sechzigsten Geburtstag von Karl Kraus im Wiener Schwedenkino. Original: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Filmarchiv der media wien (208A).

[181] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Berlin, Mittwoch, 5. März 1924

5. März 24

Sehr werter Herr Kraus

Ich möchte Ihnen Näheres erklären: Die Klatschereien über meinen Jungen, der tatsächlich von Fiebern, die er durchmachte, schwer geschwächt noch heute ist, sind direkt übertriebene Brandmoralstiftereien, über ein armes Kind fallen. Ich habe mich indess sehr geändert durch die vielen Gemeinheiten, die wir ausgesetzt waren und Enttäuschungen. Ich glaubte, daß Sie, Karl Kraus, meinen Sohn wenigstens hätten einmal auch nur zu sich kommen lassen. So denk ich mir, ich der Malik von Theben, einen Cardinal. Nun handelt mein Brief aber von anderen Dingen: Sigismund von Radecki, der wohnt: Hospiz am Wedding Berlin-Wedding: Schönwalder Straße. Dieser Sigismund ein Edelmann und Edelbalte, ein St. Petersburger schwärmte so für Sie so unermäßlich ja sicher wie selbst für den Kaiser von Theben [Mondsichel mit Stern] der abendlich im Gespräch mit ihm ein Concert abgab. Dieser Sigismund, der Ihretwegen in Berlin blieb, Ihre Vorträge zu hören, Ihr Schauspiel zu erleben, haben Sie ihn schon gesehen, gesprochen? Er spielte in der Truppe schon eine kleine Rolle: Einen Pastor mit einer Eleganz und Charme, daß ich nicht fasse, warum er nicht auch in Ihrem Schauspiel spielt. Es hätte sein Glück ausgemacht.

Ja ich fasse so eine Schwärmerei nicht, ein solches Abweichen von sich, zumal ich mir nichts höheres denken kann für seine eigenen Verse zu schwärmen. Nun sprach Wüllner der Gypskalbskopf des Altmeisters Goethe Ihre Dichtungen, eine Schauferie von Vortrag und ich, der Kaiser von Theben riet S. v. R. sich mal die Sache anzuhören. Er, der wirklich begeistert ist, entflammt, entzückt ohne Brustton und vergoldeter Lerche im Herzen, der rannte zu ihm, zu fragen, ob er Ihre Erlaubniß habe, zumal Sie es ja schriftlich betonten, es dürfe niemand ohne Ihr Wissen lesen. Wollen Sie Waschlappen oder Wattebüschel um sich oder Menschen wie nie dagewesen an Liebe an Vornehmheit. Wie anders sind Sie geworden. Diese gemeingefährliche Welt wollten Sie doch einscharren und holen üble Tote hervor. Ich buhle um keines Menschen Gunst, ich bin ein Malik und ein Hirte ein Meer und eine kleine arme Wiese, aber an ihrem Rand rieselt ein Bach ein klarer darin ich mein entsetztes zerrissenes, bespucktes Gesicht spiegeln kann. Ich kenne jedenfalls die Wirkung dieser Welt und ihre Behandlung. Ich war immer in Sorgen, Ihr wart reich, ich habe immer gehungert Ihr habt gegessen und darum, da ich nicht verbittert bin, kann ich mich verlassen auf mein Urteil und ich fasse nicht, wenn Sie Sich von der Übelkeit von der Schmeichelei, von der Gemeinheit dieser Welt beeinflussen lassen und nicht den wahrhaft vornehmen Menschen Liebe [Herz] zuwenden. Die sind wirklich adelig und religiös. Ich werde Sie nie, ich der Malik je im Maulwerk des Spießers lassen auf Gefahr meines Lebens (?) hin, aber ich sage Ihnen was wären Sie, wenn Sie inniger wären. Ich spreche nur aus mir und ich gestehe ich habe oft einen Haß auf Sie, da Sie mir Gemeinheit unterlegen indem Sie mir nie wiederschrieben. Ich der Kaiser von Theben [Mondsichel mit Stern] mache keinen Unfug mit Briefen, nur Tiba existiert für mich und Jerusalem; spucken Sie mich ruhig in der Fackel aus, ich buhle nicht um Wort wie manche Leute um Sie – die Ihnen imponieren Äußerlichkeiten wegen. Da steht Karl Kraus aber auch da steht der Malik von Theben.

Da Sie mein Kind nicht einmal einluden, ja dafür hasse ich Sie und nichts in der Welt versöhnt mich. Sind wir nicht der Tunel unserer Dichtung. Sind wir nicht mehr wie die Dinge die durchfliegen oder eilen. Über meinen Buckel gingen so viele Geschöpfe er ist nun müde, sinkt ein und meine Dichtung läuft Gefahr. Aber ich bitte Sie für meinen Freund, er darf keine Trauer erleben darum schon, da er nicht zu enttäuschen in Karl Kraus ist und ich bitte Sie ihn spielen zu lassen in Ihrem Schauspiel und ihn zu erfreuen. Er ist der, mit meinen wundervollen zwei Freunden Arib Wäscher, [über dem Komma ein Herz] Wachholderkarl Hannemann am Theater, der Viertel versteht. S. v. R. sagte mir, er sähe aus oft wie ein Araberpferd

Jussuf. (Ich hasse Sie

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158152). D: KA, Bd. 7, S. 297–299.

meinen Jungen • Paul Lasker-Schüler (1899–1927). – Sigismund von Radecki • Vgl. zu [176]. – Ihre Vorträge • Karl Kraus hielt in der Zeit vom 21. Februar bis zum 21. März 1924 in Berlin im Lustspielhaus ›Die Truppe‹ insgesamt zwölf Vorträge. – Ihr Schauspiel • Die beiden Theaterstücke ›Traumtheater‹ und ›Traumstück‹ von Karl Kraus. Sie wurden am 25. März 1924 im Lustspielhaus ›Die Truppe‹ uraufgeführt, das Berthold Viertel (1885–1953) 1923 gegründet hatte. In einem ›Die Berliner Aufführung‹ betitelten Beitrag dokumentiert Karl Kraus in der ›Fackel‹ von Anfang Juni 1924 (s. [183]) ausführlich die Pressestimmen zur Inszenierung. – Wüllner • Ludwig Wüllner (1858–1938) hatte bereits im Herbst 1923 mehrfach Gedichte von Karl Kraus gelesen. Eine Anzeige der ›Konzertdirektion Robert Sachs‹ für einen Leseabend am 23. September 1923 in Berlin erschien in der ›Morgen-Ausgabe‹ des ›Berliner Tageblatts‹ (Jg. 52, Nr. 447) vom selben Tag. Für die Bewilligung der Vorträge hatte Karl Kraus ein Honorar erhalten, verzeichnet in der ›Fackel‹ von Mitte Januar 1924 (Jg. 25, Nr. 640–648, S. 113). – zwei Freunden • Aribert Wäscher und Karl Hannemann (vgl. zu [178]). – Wachholderkarl • Im Gedicht ›Der Hannemann‹ (Berliner Tageblatt, Jg. 53, Nr. 271 [Morgen-Expreß-Ausgabe] vom 8. Juni 1924, 4. Beiblatt; KA, Bd. 1.1, S. 229) schreibt Else Lasker-Schüler: »Zwischen Herz und Herzblatt / Trage ich Wachholderkarls Konterfei.«

[182] Karl Kraus an Else Lasker-Schüler
Wien, vielleicht unmittelbar nach dem 5. März 1924

Ich schätze Ihre Lyrik höher als Ihr Urtheil, Sie selbst höher als sämtliche deutschen, österreichischen und Schweizer Literaten, mit deren Herzensangelegenheiten mich nicht zu befassen ich Sie wiederholt und jetzt ein für allemal bitte.

Anmerkungen

H (Telegramm [Entwurf]): ? (nach ›Briefe an Karl Kraus‹ [S. 181]: Wienbibliothek im Rathaus, dort nicht nachweisbar). D: Briefe an Karl Kraus, S. 168.

Denkbar ist, dass Karl Kraus mit dem vorliegenden Telegramm auf Else Lasker-Schülers Brief vom 5. März 1924 (s. [181]) reagiert, in dem sie die Verlässlichkeit ihres Urteilsvermögens betont (»[…] kann ich mich verlassen auf mein Urteil […]«). Bei den »Herzensangelegenheiten«, auf die Karl Kraus hinweist, dürfte es sich um das Schicksal von Else Lasker-Schülers Sohn Paul handeln, über das im Brief vom 5. März 1924 und zuvor im Brief vom 17. Dezember 1923 (s. [180]) ausführlich berichtet wird.

[183] Karl Kraus, Die Berliner Aufführung [Hinweis]

Karl Kraus nimmt zur Berichterstattung über die Uraufführung seiner beiden Theaterstücke ›Traumtheater‹ und ›Traumstück‹ in Berlin (vgl. zu [181]) Stellung. Else Lasker-Schüler wird in einem Beitrag Alfred Döblins erwähnt, aus dem Karl Kraus zitiert: »Für mich seit 15 Jahren die erste Wiederbegegnung mit Worten von Kraus. Damals bemühte sich Kraus in Berlin um die Ausbreitung seiner Zeitschrift. Er war in Zusammenhang mit Walden, mit dem ich noch ein Jahrzehnt länger befreundet war. Frau Lasker-Schüler, die Lyrikerin, stand noch im Kreis, dann die vornehme, delikat-schöne Käte Parsenow, die jetzt in Frankfurt lebt. Neben Kraus Adolf Loos, der Architekt.« (Alfred Döblin, Chesterton und Karl Kraus, in: Prager Tagblatt, Jg. 49, Nr. 77 [Erste Ausgabe] vom 30. März 1924, S. 4.)

Die Fackel, Jg. 26, Nr. 649–656 von Anfang Juni 1924, S. 11–51, Hinweis auf S. 41.

[184] Karl Kraus und Else Lasker-Schüler (Mitunterzeichner), Amnestie für die Justizopfer!

Amnestie für die Justizopfer!

Gegen die Todesurteile des Staatsgerichtshofes

Unüberblickbar ist die Zahl der Zuchthausurteile, die im Laufe der letzten Jahre die deutsche Justiz wegen politischer Verbrechen gefällt hat.

Wenn die Angeklagten Ludendorff, Hitler, von Killinger hießen und wegen Hochverrats angeklagt waren, wurden sie freigesprochen oder zu lächerlich niedrigen Festungsstrafen mit Bewährungsfrist »verurteilt«. Heißen sie jedoch Mayer, Margies oder Schulz, standen sie links und waren sie unvorsichtig genug, den Faschisten auf eigene Faust inmitten des Chaos 1923 gegenüberzutreten, dann traf sie ein drakonisches Urteil.

Der Staatsgerichtshof zum Schutz der Republik in Leipzig, nach dem Morde an Walther Rathenau eingesetzt und vom Reichstag ausdrücklich zu keinem anderen Zwecke bestimmt, als um die Republik zu schützen, hat Prozesse zu führen gehabt fast ausschließlich gegen links, gegen revolutionäre Arbeiter. Illegal und legal durfte sich die Konterrevolution entwickeln. Ludendorff, Hitler, Ehrhardt, Arco laufen frei herum. Unsere Nerven sind abgestumpft infolge des Ungeheuerlichen der letzten Jahre. Und was tut jetzt der Staatsgerichtshof, gegen dessen Urteil es keine Berufung gibt? Er fällt ein allerschwerstes Urteil im sogenannten Tscheka-Prozeß über Verbrechen, die zwei Jahre zurückliegen aus einer innenpolitisch gespannten Zeit, über politische Verbrechen. Drei der Angeklagten werden zum Tode verurteilt! Die anderen Angeklagten zusammen mit fast 100 Jahren Zuchthaus bestraft. Wir reden hier nicht von den inkriminierten Fakten. Wir sind erschüttert über die fortgesetzt einseitige Urteilspraxis und im einzelnen über die Rechtsfindung in diesem Fall.

Unser Rechtsgefühl verbietet uns zu schweigen. Und die Pflicht des wirklichen Republikaners, des Freundes gleichmäßiger Gerechtigkeit, des noch nicht völlig abgestumpften Menschen befiehlt uns, das Bedrückende dieser Rechtsprechung, den kalten Formalismus, die Herzensträgheit, die politische Instinktschwäche dieser Justizbürokratie zu bekämpfen, und ihre Urteile – sie sind zum Schaden der Republik – abzulehnen.

Dr. Alfred Döblin. Dr. Hermann Duncker. Leonhard Frank. Wilhelm Herzog. Georg Ledebour. Alf. Paquet. Heinrich Vogeler, Worpswede. Prof. Heinrich Zille. Hauptmann Beerfelde. J. J. Becher. Rudolf Belling. Dr. med. F. Boenheim. Prof. H. Cornelius (Frankfurt). Dr. Artur Floesser. Egon Friedell. Johann Gaulke. George Grosz. Prof. Dr. Karl Grünberg (Frankfurt). Dr. Hugo Hecht (Universität Prag). Sanitätsrat Dr. Magnus Hirschfeld. Justizrat Dr. Herzfeld. Wieland Herzfelde. Hans Hyan. Dr. med. Jacobsohn (Erfurt). Ignaz Jezower. Dr. Siegfried Kawerau. Kurt Kersten. Karl Kraus (Wien). Wilhelm Lamszus (Hamburg). Else Lasker-Schüler. Rudolf Leonhard. Heinrich Mann (München). Herminia Zur Mühlen (Frankfurt). Dr. med. F. Rosenthal. Magnus Schwantje. Prof. Dr. W. Westphal. Karl Vetter. Justizrat Dr. Werthauer. Studienrat Willi Vieweg (Berka).

Moritz Lederer, Thea Sternheim, H. George, T. H. Pilartz, G. Hartung (alle aus Mannheim); Dr. Sophie Auweck-Schöfer und Franz Auweck (Weimar); Richard Scheid (München); Eduard und Grete Fuchs, Hans Land, Herwarth Walden, die Rechtsanwälte Dr. Bendix, Dr. Halpert, Theodor Liebknecht, Landgerichtsrat H. Löwenthal, Otto Lehmann-Rußbüldt, Meta Kraus-Fessel, Albert und Carl Ehrenstein, Alfred Wegler, Studienrat Dr. E. Schwarz.

Dem Protest gegen die tendenziösen Leipziger Todesurteile vom 22. April schließen sich an, verlangen Verhinderung der Vollstreckung der Justizmorde: Dr. A. Forel, ehemals Professor an der Universität Zürich; Otto Volkart, Schriftsteller, Zürich; Dr. Jeanneret Minkrus, Arzt, Lausanne; Dr. Franz Welti-Preiswerk, Rechtsanwalt, Basel; Dr. Strub, Basel; Dr. C. Hitz, Nationalrat, Zürich; Dr. Belmont, Nationalrat, Basel; Dr. med und phil. Max Tobler, Zürich; Fritz Brupbacher, Arzt, Zürich; Frau Dr. Minna Tobler-Christinger, Zürich; Otto Wyß, Rechtsanwalt, Zürich; Trostel, Redakteur, Zürich; Jakob Bührer, Schriftsteller.

Anmerkungen

Die Welt am Abend (Berlin), Jg. 3, Nr. 111 vom 13. Mai 1925.

Die ›Arbeiter-Zeitung‹ (Wien) übernahm den Aufruf in die Ausgabe vom 15. Mai 1925 (Jg. 37, Nr. 133 [Morgenblatt], S. 3 [›Gegen die Leipziger Todesurteile!‹]), das ›Tagblatt‹ (Linz) in die Ausgabe vom 17. Mai 1925 (Jg. 10 [29], Nr. 112, S. 2 [›Gegen die Leipziger Todesurteile!‹]). – Als ›Deutsche Tscheka‹ wird von der Justiz und der Presse der Weimarer Republik eine kommunistische Untergrundorganisation bezeichnet, die in den Jahren 1923/24 bestand. Sie ist nach der russischen Geheimpolizei Tscheka benannt, die 1917 im Anschluss an die Oktoberrevolution gegründet worden war. Der sogenannte Tschekaprozess gegen Felix Neumann und seine fünfzehn Mitangeklagten fand vom 10. Februar bis zum 22. April 1925 vor dem Staatsgerichtshof zum Schutz der Republik in Leipzig statt. Am Ende wurden drei der sechzehn Angeklagten zum Tode, die übrigen zu teilweise langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Die gegen den Hauptangeklagten Felix Neumann verhängte Todesstrafe wurde zunächst in lebenslange Haft umgewandelt und mehrfach durch Amnestien gemildert, 1930 schließlich aufgehoben. – Die liberale Presse brandmarkte das Verfahren als politischen Prozess, die ›Vossische Zeitung‹ sprach vom ›Leipziger Monstre-Prozeß‹. Vgl. Richard Brandl, Der Leipziger Monstre-Prozeß, in: Vossische Zeitung (Berlin), Nr. 190 (Morgen-Ausgabe) vom 23. April 1925. Im Einzelnen schreibt der Berichterstatter der ›Vossischen Zeitung‹: »In den Annalen der deutschen Strafrechtspflege dürfte man vergeblich nach einem politischen Prozeß suchen, der an Umfang auch nur annähernd dem gleicht, der heute vor dem Ersten Senat des Staatsgerichtshofes zum Schutze der Republik mit der Urteilsverkündung zum Abschluß gelangt ist. Bis gestern waren seit dem Beginn dieses Prozesses zehn volle Wochen mit insgesamt 47 Verhandlungstagen verstrichen. Wer von Amts oder Berufs wegen die ganze Hauptverhandlung miterlebt hat, kann nur mit höchstem Unbehagen daran denken, daß sich auf der Linie, auf der sich dieser sogenannte Tschekaprozeß abgespielt hat, bereits weitere Kolossalprozesse ankündigen. | […] Aber, wie dem auch sei: der Wortlaut des heutigen Erkenntnisses bedeutet für den Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik auf jeden Fall eine nicht zu umgehende Verpflichtung, künftighin Verbrechen von Rechtsradikalen mit der gleichen Schärfe zu ahnden, die er kommunistischen Angeklagten gegenüber anwendet.« – Mayer, Margies • August Mayer (1898–1969) und Rudolf Margies (1884–1937), zwei Mitarbeiter der KPD, die in Leipzig verurteilt worden waren. Mayer gehörte dem Zentralkomitee, Margies dem Nachrichtendienst der KPD an. – Schulz • Karl Schulz (1884–1933), Gründungsmitglied der KPD. Er gehörte bis 1924 dem Preußischen Landtag an und genoss in dieser Zeit parlamentarische Immunität. Wegen Hochverrats gesucht, floh er 1925 nach Moskau. – J. J. Becher • Der Schriftsteller Johannes R. Becher (1891–1958). – Jacobsohn • Julius Jacobsohn (1879–1943), Arzt in Erfurt. – H. George • Wohl der Schauspieler Heinrich George (1893–1946), der ab 1926 regelmäßig bei den Heidelberger Schlossfestspielen auftrat. – T. H. Pilartz • Der Bühnenbildner Theodor Caspar Pilartz (1887–1955).

[185] Karl Kraus, Notizen [Auszug]

Notizen

[…]

Seit Januar wurden die folgenden Beträge abgeführt:

[…]

Von dem Ertrag der Vorlesungen 14., 20., 25. Februar, 1., 6., 11., 20. und 25. März an das Kinderasyl Kahlenbergerdorf (Humanitas), das Blinden-Erziehungs-Institut Wittelsbachstraße, an den Bund für Mutterschutz, den soz.-dem. Bildungsausschuß Wien XV, die Vereinigte österr. Krankenkassen-Hilfe für tuberkulös gefährdete Kinder, für eine Ehrengabe an Else Lasker-Schüler zum 50. Geburtstag, zur Erneuerung der Schrift am Grabe Peter Altenbergs und an Bedürftige S 870·–.

[…]

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 27, Nr. 717–723 von Ende März 1926 (Umschlag: April 1926), S. 32–46, Auszug S. 38 f.

zum 50. Geburtstag • Zum vermeintlich fünfzigsten Geburtstag am 11. Februar 1926. Else Lasker-Schüler gab ihr Geburtsjahr mit 1876 statt mit 1869 an.

[186] Karl Kraus, Notizen [Auszug]

Notizen

[…]

Berliner Gedränge

Das Berliner Kunstleben unterscheidet sich von dem hiesigen auf den ersten Blick in die Blätter dadurch, daß hier die Schriftsteller in Hurenlokalen und die Schauspieler bei Schuh-Engrossisten auftreten, während die dortigen Intellektuellen im Hinterstübchen der Buchhändler aus ihren Schriften vorlesen, was auch nicht wenig ergötzlich sein dürfte. In der Vortragsrubrik des Berliner Tageblatts herrscht ein Gedränge wie auf dem Potsdamerplatz und es ist überaus drollig, wie großzügig hier im kleinsten Drucke die Wallungen und Ballungen dieser Sorte zusammengefaßt werden, der man einen Berliner Schutzmann die Worte zurufen hört: »Machen Sie sich hier nich unnütz!« […]

Über alle aber gebietet ein gewisser Hildenbrandt, Herr des Feuilletongs, der, weil er keinen deutschen Satz schreiben kann, in dieser sprachfernsten Zone als »’ne Nummer« angesehen wird. […] Daß freilich Else Lasker-Schüler, die durch einen kosmischen Zufall auf diesem Sandboden ausgesetzt ward, der ihr keine arabische Wüste vortäuschen kann – daß sie durch den Herrn Hildenbrandt zu Versen angeregt wurde, kann natürlich so wenig für ihn als gegen sie beweisen. Dergleichen hat noch Epigonen und zum fünfzigsten Geburtstag der Dichterin ballt einer wie folgt:

Eine Feier für Else Lasker-Schüler fand als Nachtvorstellung im Kleinen Theater statt. Ein Hymnus an die Dichterin wurde aufgesagt, eine literarische Doktorarbeit über sie gelesen. Aribert Wäscher rezitierte die Elberfelder Ballade und Else Lasker-Schüler sprach in ihrem seltsamen Tonfall ihre wundergesponnenen Lieder von Gott und von der Liebe. Als sie die Bühne betrat, tobte das Haus Beifall, als sie ging und wiederkam und ging und kam, war alles eine große Verehrung und Freude für sie.

Vor zwanzig Jahren noch wären solche Sätze in keinem Kindergarten und nicht einmal in einer Zeitung möglich gewesen. […]

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 27, Nr. 717–723 von Ende März 1926 (Umschlag: April 1926), S. 32–46, Auszug S. 43–46.

Hildenbrandt • Fred (Alfred) Hildenbrandt (1892–1963), Journalist, 1921–1932 Feuilletonchef des ›Berliner Tageblatts‹. Zum vermeintlich fünfzigsten Geburtstag von Else Lasker-Schüler (vgl. zu [185]) veröffentlichte Fred Hildenbrandt im ›Berliner Tageblatt‹ den Beitrag ›Liebe Else Lasker-Schüler!‹ (Jg. 55, Nr. 70 [Morgen-Ausgabe] vom 11. Februar 1926). – zu Versen angeregt wurde • Am 12. Februar 1926 war in der ›Literarischen Welt‹ (Jg. 2, Nr. 7, S. 2; KA, Bd. 1.1, S. 240 und Bd. 4.1, S. 120–122) Else Lasker-Schülers Besprechung von Fred Hildenbrandts ›Tageblättern‹ (Erster Band 1923/1924, Berlin: Landsberg, 1925), einer Sammlung von Feuilletonbeiträgen aus dem ›Berliner Tageblatt‹, erschienen. An eine kurze Einführung in Prosa schließt Else Lasker-Schüler ihr ›Fred Hildenbrandt‹ betiteltes Gedicht an. – ballt einer wie folgt • h., Eine Feier für Else Lasker-Schüler, in: Berliner Tageblatt, Jg. 55, Nr. 99 (Abend-Ausgabe) vom 27. Februar 1926 (die zweite Hervorhebung von Karl Kraus). – Der Abend war am 13. Februar im ›Berliner Tageblatt‹ (Jg. 55, Nr. 74 [Morgen-Ausgabe]) angekündigt worden: »Im Kleinen Theater findet am 26. Februar ein Else-Lasker-Schüler-Abend statt, an dem die Dichterin aus ihren Werken lesen wird. Friedrich Hollaender wird Kompositionen zu Dichtungen Else Lasker-Schülers spielen, Aribert Waescher die ›Elberfelder Ballade‹ sprechen und Heinrich Fischer die einleitende Rede halten.« – Aribert Wäscher • Vgl. zu [178]. – die Elberfelder Ballade • ›Ballade‹ (»Er hat sich«) (Styx, S. 57–59; KA, Bd. 1.1, S. 59–61). Das Gedicht erschien mit dem Untertitel ›Aus den sauerländischen Bergen‹. – Am Berliner Schillertheater war für die Spielzeit 1926/27 eine Inszenierung von Else Lasker-Schülers ›Wupper‹ geplant, die nicht zustande kam. Unter den Schauspielern wird Aribert Wäscher genannt. Vgl. Deutsche Allgemeine Zeitung (Ausgabe für Groß-Berlin), Jg. 65, Nr. 324 (Donnerstag Morgen) vom 15. Juli 1926 (›Das Programm der Staatl. Schauspielhäuser für die Spielzeit 1926/27‹).

[187] Karl Kraus, Korybantisches [Hinweis]

Karl Kraus berichtet über einen Artikel, der in einer Hamburger Zeitung erschienen ist und in dem eine »Mänade« die darstellerischen Leistungen einer Schauspielerin rühmt. Ein längeres Zitat aus der Zeitung lautet: »Wie es sich für so ein Fabelwesen gehört, wohnt sie hinter einer goldenen Mauer in einem verzauberten Haus, umgeben von verzauberten Kindern, die von ihrer Blumenstimme verhext sind, wie von der Flöte des Rattenfängers von Hameln. Liebeskranke Riesen glotzen das Sommerwölkchen mit traurigen Augen an und lassen hilflos die ungeschlachten Pranken hängen. Narren, Dichter, Buckelzwerge und Maler sind ihr Hofstaat. Wenn sie in den Garten kommt, fangen die Blätter zu singen an und die Springbrunnen läuten hoch und fein.« An das Zitat schließt Karl Kraus die folgende Bemerkung an: »Das kann die Mänade (falls sie nicht die Tagesblätter meint) der Lasker-Schüler erzählen, die daraus ein besseres Gedicht machen wird.«

Die Fackel, Jg. 28, Nr. 735–742 vom Oktober 1926, S. 107–110, Hinweis auf S. 108.

[188] Karl Kraus, Notizen [Auszug]

Notizen

[…]

Seit Oktober wurden die folgenden Beträge abgeführt:

[…]

Der volle Ertrag der Vorlesung 1. November (inkl. S 50·– Honorar Eduard Steuermanns, das er dem wohltätigen Zweck widmete) an das Israelitische Blinden-Institut Hohe Warte, an den Allgemeinen Schriftstellerverein Berlin, zu einer Sammlung für Else Lasker-Schüler und an Bedürftige S 591·19.

[…]

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 28, Nr. 743–750 vom Dezember 1926, S. 64–78, Auszug S. 74.

Sammlung für Else Lasker-Schüler • Siehe [185].

[189] Karl Kraus, Notizen [Hinweis]

In einem Verzeichnis der Schriftsteller und ihrer Werke, aus denen Karl Kraus seit 1910 an seinen Leseabenden vorgetragen hat, wird Else Lasker-Schüler in der Rubrik ›Lyrisches und andere Dichtungen‹ genannt. – Karl Kraus hatte das Verzeichnis aus Anlass seiner 400. Vorlesung am 20. November 1926 erstellt. Das Verzeichnis ist auch auf dem Programmzettel zur 400. Vorlesung abgedruckt (Wienbibliothek im Rathaus [H. I. N. 240114]): Else Lasker-Schüler wird dort allerdings nicht erwähnt.

Die Fackel, Jg. 28, Nr. 743–750 vom Dezember 1926, S. 64–78, Hinweis auf S. 78.

[190] Karl Kraus, Notizen [Hinweis]

In einem mit ›A. B.‹ gezeichneten Brief vom 11. Dezember 1926 (»Lawrence, The University of Kansas«) hatte der Verlag Jahoda & Siegel, bei dem ›Die Fackel‹ gedruckt wurde, die Anregung erhalten, einen »Gedichtband: Lyrik der Fackel, von Karl Kraus ausgewählt«, herauszubringen. Dieses lehnte Karl Kraus in seiner Antwort vom 28. Dezember ab (Georg Jahoda, der Miteigentümer und Vertraute von Karl Kraus war am 24. November 1926 gestorben): »In Anbetracht der Entwicklung, die gerade etliche unter jenen lyrischen Mitarbeitern als Erfolgsjäger und in die Journalistik leider genommen haben, könnte es sich höchstens um eine planmäßige Ausgabe von Beiträgen handeln, die in der Fackel zu Unrecht Platz gefunden haben. Dies gilt natürlich nur für einen Teil jener Beiträge, der doch aber in einer Ausgabe, wie Sie sie im Sinne haben, keineswegs fehlen dürfte. Mögen nun auch manche Leser der Fackel eine solche wünschen, der Herausgeber vermißt sie ganz und gar nicht. Wäre aber nur der rein buchhändlerische Standpunkt maßgebend (was er für eine Buchausgabe der Fackel in keinem Falle sein kann), so mögen Sie überzeugt sein, daß nicht hundert Leser für ein solches Buch in Betracht kämen, es wäre denn, daß man seine Verbreitung der Beliebtheit des Herrn Werfel danken sollte.« In einem weiteren mit ›A. B.‹ gezeichneten Brief vom 15. Januar 1927 wird unter anderem auf die Lyrik Else Lasker-Schülers hingewiesen: »Freilich könnte ich bemerken, daß mir bei dem Vorschlag wahrhaftig ganz andere Lyriker vorschwebten als die Herren Werfel und Ehrenstein (so sehr ich auch manche der Fackelarbeiten des Letztgenannten noch immer schätze – den Werfel konnte ich, selbst in seinen Anfängen, nie ausstehen), doch sehe ich jetzt ein, daß ich gerade an diese beiden talentierten Herren hätte denken müssen. Wohl ließ mich die Unmöglichkeit ihrer heutigen Aufnahme in eine Lyriksammlung der Fackel die Unmöglichkeit ihrer Absenz von einer solchen übersehen; wenn man aber Dichter wie Wedekind, Lasker-Schüler, Viertel, Margarethe Beutler im Sinne hat, ist man leicht (und gern) geneigt, jene anderen ganz zu vergessen – ein Moment, dessen Anführung nicht als Versuch einer Selbstverteidigung mißdeutet werden soll.«

Die Fackel, Jg. 28, Nr. 751–756 vom Februar 1927, S. 82–94, Hinweis auf S. 89–91.

[191] Vorlesung Karl Kraus [Programm, Auszug]
Wien, Samstag, 5. März 1927

ARCHITEKTENVEREINSSAAL, SAMSTAG, 5. MÄRZ 1927, 7 UHR | VORLESUNG KARL KRAUS | […] | II | […] | Else Lasker-Schüler: Ein alter Tibetteppich | […]

Anmerkung

Programmzettel: Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 240124).

[192] Karl Kraus, Der Reim [Auszug]

Der Reim

[…]

Doch mehr noch als Identität, mehr selbst als der Übereinklang des Reimes kann der eingemischte Nichtreim dem dichterischen Wert zustattenkommen. Von allen Schönheiten, die zu dem Wunder vom »Tibetteppich« verwoben sind (welches allein Else Lasker-Schüler als den bedeutendsten Lyriker der deutschen Gegenwart hervortreten ließe), ist die schönste der Schluß:

Süßer Lamasohn auf Moschuspflanzenthron

Wie lange küßt dein Mund den meinen wohl

Und Wang die Wange buntgeknüpfte Zeiten schon.

Der vorletzte Vers, dazwischentretend, hat nirgendwo in dem Gedicht, das sonst aus zweizeilig gereimten Strophen besteht, seine Entsprechung. Wie durch und durch voll Reim ist aber dieses »wohl«, angeschmiegt an das »schon«, süßes Küssen von Mund zu bunt, von lange zu Wange vermittelnd. Auf solche und andere Werte ist einst in einer verdienstvollen Analyse – von Richard Weiß in der Fackel Nr. 321/322 – hingewiesen worden, mit einer für jene Zeit (da zu neuem Aufschluß der Sprachprobleme wenig außer der Schrift »Heine und die Folgen« vorlag) gewiß ansehnlichen Erfassung der Einheit in Klang- und Bedeutungsmotiven, wenngleich vielleicht mit einer übertreibenden Ausführung der Lautbeziehungen, die im Nachweis der Gesetzmäßigkeit wohl auch der Willkür des Betrachters Raum gab. Achtungswert aber der Versuch, in jedem Teile den lebenden Organismus darzustellen und zu zeigen, wie »in jeder zufälligst herausgegriffenen Verbindung der mathematische Beweis höchster notwendiger Schönheit nur an der Unzulänglichkeit der Mathematik scheitern könnte«. Vielleicht auch an der Unzulänglichkeit des Kunstwerks, wenn der Autor diesen Versuch mit einem Gedicht von Rilke unternommen hätte, mit welchem er Else Lasker-Schüler verglich. Während bei ihr – in den männlichsten Augenblicken des Gelingens – zwischen Wesen und Sprache nichts unerfüllt und nichts einem irdischen Maß zugänglich bleibt, so dürfte die zeitliche Unnahbarkeit und Unantastbarkeit von Erscheinungen wie Rilke und dem größeren George – mit Niveaugeschöpfen und Zeitgängern wie den Hofmannsthal und Werfel nicht zu verwechseln – doch keinem kosmischen Maß erreichbar sein. Else Lasker-Schüler, deren ganzes Dichten eigentlich in dem Reim bestand, den ein Herz aus Schmerz gesogen hatte, ist aber auch der wahre Expressionist aller in der Natur vorhandenen Formen, welche durch andere zu ersetzen jene falschen Expressionisten am Werk sind, die zum Mißlingen des Ausdrucks leider die Korrumpierung des Sprachmittels für unerläßlich halten. Trotz einer Stofflichkeit unter Sonne, Mond und Sternen wahrhaft neue lyrische Schöpfung; als solche, trotz jener, völlig unwegsam dem Zeitverstand. Und wie sollte, wo ihm zwischen dem Kosmos und der Sprache keine Lücke als Unterschlupf bleibt, er anders als grinsend bestehen können? Selbst ein Auditorium, das meine kunstrichterliche Weisung achtet und jeder lyrischen Darbietung etwas abgewinnen kann, sitzt noch heute ratlos vor dieser Herrlichkeit wie eben vor dem Rätsel, das die Kunst aus der Lösung macht.

[…]

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 29, Nr. 757/758 vom April 1927, S. 1–37, Auszug S. 34–36.

»Tibetteppich« • Siehe [39]. – Richard Weiß • Vgl. zu [72]. – Fackel Nr. 321/322 • Siehe [54]. – »Heine und die Folgen« • Vgl. zu [54].

[193] Karl Kraus, Glossen [Hinweis]

Karl Kraus berichtet über den Eindruck (›Schöne Ostereier‹), den die Gedichte in der Osterausgabe der ›Neuen Freien Presse‹ (Wien) (Nr. 22482 [Morgenblatt] vom 17. April 1927 [das zitierte Gedicht auf S. 44]) bei ihm erweckt haben. Er zitiert die Anfangsverse des Gedichts ›Bergostern‹ (»Talab lärmt geschwätz’ger Menschenwille, / Ohnmacht zetert, Macht dröhnt stolz einher, / Oben ruht in gleichmuttiefer Stille / ER«) von Rudolf Jeremias Kreutz (1876–1949) und merkt dazu an: »[…] sehr schwer zu lesen, stark neugetönt, direkt lasker-schülerhaft.«

Die Fackel, Jg. 29, Nr. 759–765 vom Mai (Umschlag: Juni) 1927, S. 5–19, Hinweis auf S. 17.

[194] Karl Kraus, Notizen [Hinweis]

Übersicht über die Vorlesungen von Karl Kraus im Februar und März 1927: Karl Kraus hatte am 5. März 1927 im Wiener Architektenvereinssaal unter anderem von Else Lasker-Schüler das Gedicht ›Ein alter Tibetteppich‹ vorgetragen (s. [191]).

Die Fackel, Jg. 29, Nr. 759–765 vom Mai (Umschlag: Juni) 1927, S. 25–44, Hinweis auf S. 26.

[195] Karl Kraus, Epigramme [Widmung]
Erschienen im September 1927

›Epigramme‹ (Wien und Leipzig: Verlag ›Die Fackel‹, 1927) von Karl Kraus erschien mit der gedruckten Widmung: »Else Lasker-Schüler gewidmet«.

[196] Karl Kraus, Aus Redaktion und Irrenhaus [Auszug]

Aus Redaktion und Irrenhaus

[…] Nur auf den höchsten Gipfeln deutscher Lyrik, dort, wo Ruh ist; in wenigen Strophen von Claudius, Hölderlin oder Mörike, heute in Zeilen Trakls oder der Lasker-Schüler, ist, im erhabenen Einklang von Gesicht und Gehör, so Gestalt geworden, was ein Herz und die Natur einander zu sagen haben. […]

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 30, Nr. 781–786 von Anfang Juni 1928, S. 84–107, Auszug S. 97.

Karl Kraus druckt diesen Textauszug auch in seinem Beitrag ›Aus Redaktion und Irrenhaus oder Eine Riesenblamage des Karl Kraus‹ ab, der Anfang Februar 1929 in der ›Fackel‹ (Jg. 30, Nr. 800–805, S. 75–132, das Zitat auf S. 99) erschienen ist. – Anfang Juni 1928 hatte Karl Kraus in ›Aus Redaktion und Irrenhaus‹ drei Gedichte (›Einen Trunk der Liebe‹, ›Frühling‹, ›Junge Tänzerin‹) abgedruckt, die angeblich von einem geistig Erkrankten aus Czernowitz stammten, und diese unter anderem mit der Lyrik Georg Trakls und Else Lasker-Schülers verglichen. In einem Beitrag für die ›Vossische Zeitung‹ macht Otto Ernst Hesse (1891–1946) geltend, dass das Gedicht ›Junge Tänzerin‹ von ihm stamme. Vgl. Michael Gesell [d. i. Otto Ernst Hesse], Ich bin der größte lebende Lyriker, in: Vossische Zeitung (Berlin), Nr. 521 (Morgen-Ausgabe) vom 3. November 1928, [Beilage:] Das Unterhaltungsblatt Nr. 259. Auch abgedruckt in: Neues Wiener Journal, Jg. 36, Nr. 12558 vom 6. November 1928, S. 7; Czernowitzer Allgemeine Zeitung, Jg. 25, Nr. 7110 vom 7. November 1928, S. 5. Karl Kraus zitiert in ›Eine Riesenblamage‹ auf S. 107 aus Otto Ernst Hesses Artikel in der ›Vossischen Zeitung‹ folgende Textpassage: »Ich klammere mich an Karl Kraus. Ich verlange, daß er sein Urteil aufrecht erhält. Ich will in die Geschichte der deutschen Lyrik eingehen. Ich will, daß künftig neben Claudius, Hölderlin, Mörike, Trakl und Else Lasker-Schüler dem deutschen Volke der Name Michael Gesell eingehämmert wird.« Neben Otto Ernst Hesse erhob auch Paul Zech (1881–1946) den Anspruch, Verfasser des Gedichts ›Junge Tänzerin‹ zu sein, worauf Karl Kraus in ›Eine Riesenblamage‹ ausführlich eingeht.

[197] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus
Berlin, Donnerstag, 11. Oktober 1928

11. Okt. 28

Lieber verehrter Karl Kraus

vorriges Mal – zum ersten Mal (diesmal) als ich in Ihrem Vortrag war, kam mitten im Lesen der Saaldiener – ich sollt sofort vom Platz aufstehen: Loge. Herr Sachs sagte mir, ich sollte mich in die Loge setzen, also hat mir Jemand den Streich gespielt. Herrn v. Radecki würde ich es zutrauen, da er sich direkt schülerhaft einige Male – ohne Grund – gegen mich benahm. Er aß ein oder zwei Jahre jeden Abend bei mir. Ich will nicht damit vom Essen sprechen, meist oder stets brachte er seinen Imbiß mit, ich spreche nur oder beweise vielmehr –?! unsere Freundschaft. Dem Menschen traue ich die Organisation eines Pogroms zu, in damal. russischen Zeiten. Verzeiht, aber so streng habt Ihr mich nie reden hören über Menschen, ein talentvoller Scheinheiliger. Ich gebe zu, daß er begeistert von Ihnen ist. – Ich war dann noch etwas beleidigt; ich wollte Ihre Adresse nicht wegen etwaigen Besuchs wissen: Ich wollte Ihnen was schreiben. Ich habe keine Zeit, Besuche zu machen. Ich bin mit meinen Reisen nach Amsterdam, Paris, Marseille, London beschäftigt, überall von Ausländern zu Vorträgen eingeladen. Ich wollte Ihnen eine unerhörte Sache von Herw. Walden erzählen, daß Sie paff gewesen wären. Mein Anwalt hat alles in Händen, der ihm schrieb, es sei eine scheußliche That. Lesen Sie noch? Ich bin so vernichtet und traurig. Meine Nummer 17,09

Lützow

bis 10 Uhr früh und meist von 3 – 4 Uhr

Motzstr. 78

Sachsenhof

Berlin W.

herrliches Heißwasserhôtel, Heizung etc. hier hätte Sie niemand neulich gestört.

blaue Jaguar.

Ich sammle nie Autographen – nur Liebesbriefe.

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 158156). D: KA, Bd. 8, S. 203.

in Ihrem Vortrag • Karl Kraus las am 1., 2., 4., 7., 10. und 11. Oktober 1928 in Berlin. – Herr Sachs • Siehe [178]. – Radecki • Sigismund von Radecki (vgl. zu [176]). – mit meinen Reisen • Else Lasker-Schüler unternahm in der ersten Novemberhälfte 1928 eine – für sie enttäuschende – Reise nach Amsterdam und Paris. Vgl. KA, Bd. 8, S. 208 f. – Mein Anwalt • Karl Schönberg (1893–1943), Rechtsanwalt in Berlin. Er hatte 1927 den Aufruf ›Ein Verleger für Else Lasker-Schüler wird gesucht‹ (Berliner Tageblatt, Jg. 56, Nr. 519 [Abend-Ausgabe] vom 2. November 1927) veröffentlicht (s. [198]). Zu den Hintergründen des Aufrufs schreibt Schönberg am 28. Dezember 1926 an Gerhart Hauptmann (Staatsbibliothek zu Berlin [GH Br NL A: Else Lasker-Schüler, 1, 1]): »Frau Lasker-Schüler würde voraussichtlich die Möglichkeit haben, die derzeitigen Bestände ihrer Bücher nebst den Verlagsrechten vom Verlag Paul Cassirer, der wenig für die Propagierung ihrer Werke tut, zurückerhalten zu können. Sie legt nun grossen Wert darauf, einen in jeder Hinsicht seriösen Verleger zu finden, der ihr Sicherheiten dafür gibt, den angemessenen Ertrag ihrer Werke zur Verfügung zu erhalten. Sowohl Frau Lasker-Schüler, wie auch ich haben eine Verbindung mit dem S. Fischer-Verlag als besonders begrüssenswert angesehen. Ich hatte mich infolgedessen Ende November 1926 an Herrn Oskar Loerke gewandt und diesen um seine Intervention beim S. Fischer-Verlag gebeten. Indessen glaubte der S. Fischer-Verlag in einem Schreiben, das mir zur Zeit nicht vorliegt, da ich es Frau Lasker-Schüler nach Lugano gesandt habe, aus grundsätzlichen Erwägungen heraus ablehnen zu müssen.« – ›Konzert‹ und ›Arthur Aronymus. Die Geschichte meines Vaters‹ erschienen 1932 bei Ernst Rowohlt. Den Vertrieb der zuvor bei Cassirer erschienenen Bücher übernahm ›Hannemanns Buchhandlung‹ (Berlin), die am 6. Januar 1932 auf dem hinteren Umschlag des ›Börsenblatts für den Deutschen Buchhandel‹ (Leipzig) (Jg. 99, Nr. 4) folgende Anzeige veröffentlichte: »Wir übernehmen mit dem heutigen Tage die alleinige Auslieferung der im Paul Cassirer Verlag, Berlin, erschienenen Werke von | Else Lasker-Schüler. | Die Ladenpreise sind seit dem 1. Januar 1932 aufgehoben. | Lieferbar sind: Der Malik, Der Prinz von Theben, Die Nächte der Tino von Bagdad, Der Wunderrabbiner von Barcelona, Die Wupper, Hebräische Balladen, Die Kuppel, Mein Herz, Das Peter Hille Buch, Peter Hilles Briefe.«

[198] Karl Kraus, Der größte Schriftsteller im ganzen Land [Hinweis]

Karl Kraus nimmt zu den redaktionellen Praktiken des ›Berliner Tageblatts‹ Stellung und zitiert in einer Fußnote aus einer Zuschrift des Berliner Rechtsanwalts Karl Schönberg (vgl. zu [197]), die er erhalten hat: »Der Verfasser des Aufrufs ›Ein Verleger für Else Lasker-Schüler wird gesucht‹, Rechtsanwalt Dr. Karl Schönberg, schreibt: ›... Das Berliner Tageblatt hat den Aufruf im Feuilleton unter Voransetzung folgenden Satzes gebracht: ‚Wir erhalten folgende Zuschrift, die wir sehr gern weitergeben.‘ Der von mir angerötete Satz, der den Hinweis auf den Aufsatz des Herrn Karl Kraus im Aprilheft der Fackel enthält, ist im Berliner Tageblatt nicht mitabgedruckt worden. Eine vorherige Anfrage wegen der Fortlassung dieses Satzes an mich ist nicht erfolgt; vielmehr habe ich erst durch den Abdruck selbst von der Fortlassung Kenntnis erlangt.‹ | Originaltext: ›Die Aufführung des Schauspiels ‚Die Wupper‘ im Berliner Staatstheater erinnert eben an die Existenz der Dichterin Else Lasker-Schüler. Wer über die künstlerische Bedeutsamkeit ihres Werkes noch belehrt sein will, mag nachlesen, was Karl Kraus im Aprilheft der ‚Fackel‘ (Nr. 757/758) hierzu geschrieben hat. Es bleibt festzustellen, daß die Werke der Dichterin recht eigentlich brachliegen. – –‹ | Fassung des Berliner Tageblatts: ›Die Aufführung des Schauspiels ‚Die Wupper‘ im Berliner Staatstheater erinnert eben an die Existenz der Dichterin Else Lasker-Schüler. Es bleibt festzustellen, daß die Werke der Dichterin recht eigentlich brachliegen. – –‹« – In seiner Zuschrift weist Schönberg auf die Ausführungen von Karl Kraus in der ›Fackel‹ vom April 1927 (s. [192]) hin. Else Lasker-Schülers Schauspiel ›Die Wupper‹ war in Berlin im Staatlichen Schauspielhaus zum zweiten Mal inszeniert worden: Insgesamt fanden zwischen dem 15. Oktober 1927 und dem 1. März 1928 siebzehn Aufführungen statt.

Die Fackel, Jg. 30, Nr. 795–799 von Anfang Dezember 1928, S. 52–104, Hinweis auf S. 89 f.

[199] Karl Kraus, Notizen [Hinweis]

In einem Verzeichnis der Schriftsteller und ihrer Werke, aus denen Karl Kraus seit 1910 an seinen Leseabenden vorgetragen hat, wird Else Lasker-Schüler in der Rubrik ›Lyrische und andere Dichtungen‹ genannt. – Karl Kraus hatte das Verzeichnis aus Anlass seiner 500. Vorlesung am 29. April 1929 erstellt. Das Verzeichnis ist auch auf dem Programmzettel zur 500. Vorlesung abgedruckt (Wienbibliothek im Rathaus [H. I. N. 240214]).

Die Fackel, Jg. 31, Nr. 811–819 von Anfang August 1929, S. 30–48, Hinweis auf S. 39.

[200] Karl Kraus, Um Wildgans [Auszug]

Um Wildgans

[…] Aber es gibt auch eine erwachsene Lyrikerin, Else Lasker-Schüler, die keine Anwartschaft auf papiernen Ruhm hat, und doch müßten alle Literaten, die um den Unterschied wohl Bescheid wissen zwischen den Roßäpfeln ihres Pegasus und den goldenen Äpfeln dieser Hesperide, vor Scham vergehen über die Ehre, die sie als Mitlebende einheimsen. […]

Anmerkungen

Die Fackel, Jg. 33, Nr. 852–856 von Mitte Mai 1931, S. 67–75, Auszug S. 74.

Wildgans • Anton Wildgans (1881–1932), österreichischer Lyriker und Dramatiker.

[201] Karl Kraus, Der Kontakt [Hinweis]

Karl Kraus berichtet über einen Vortrag, den Max Reinhardt (1873–1943) am 24. Juni 1931 auf dem Rotarierkongress in Wien über Probleme der Schauspielkunst gehalten hat: Darin stelle sich Reinhardt als »der reine Schüler der Lasker und weit entfernt von den Dingen, die die Abendkasse betreffen«, dar. Ein Auszug aus dem Vortrag erschien in der ›Wiener Allgemeinen Zeitung‹ (›Sechs-Uhr-Blatt‹) vom 25. Juni 1931 (Jg. 52, Nr. 15918, S. 5). In dem Beitrag heißt es unter anderem: »Ich glaube an die Unsterblichkeit des Theaters. Es ist der glückliche Schlupfwinkel aller jener, die ihre Kindheit bei sich haben und mit ihr verbunden sind und weiter spielen bis zum Ende ihres Lebens. Aber Schauspielkunst ist zur gleichen Zeit ein Ausweg aus dem konventionellen Einerlei des Lebens. Denn die Aufgabe des Schauspielers ist nicht Verkleidung, sondern Enthüllung. Gerade der Schauspieler ist es, der nicht lügen kann; der bis zum Äußersten er selbst ist und die Tiefen seines Seins enthüllt, der des Lorbeerkranzes würdig ist. Die höchste Bestrebung des Theaters ist die Wahrheit; nicht die äußerliche naturalistische Wahrheit einer Alltagswelt, aber die tiefste Wahrheit der Seele.« – Im von Max Reinhardt geleiteten Deutschen Theater in Berlin war Else Lasker-Schülers Schauspiel ›Die Wupper‹ am 27. April 1919 uraufgeführt worden. Insgesamt fanden sechs Aufführungen statt, die letzte am 6. September 1919.

Die Fackel, Jg. 33, Nr. 857–863 von Ende Juli 1931 (Umschlag: August 1931), S. 40–47, Hinweis auf S. 41.

[202] Else Lasker-Schüler, Der Tibetteppich

Der Tibetteppich

Dem 16jährigen

Deine Seele, die die meine liebet,

Ist verwirkt mit ihr im Teppichtibet.

Strahl in Strahl, verliebte Farben,

Sterne, die sich himmellang umwarben.

Unsere Füße ruhen auf der Kostbarkeit,

Maschentausendabertausendweit.

Süßer Lamasohn auf Moschuspflanzenthron

Wie lange küßt dein Mund den meinen wohl

Und Wang die Wange buntgeknüpfte Zeiten schon.

Else Lasker-Schüler

z. Z. Jerusalem

[zwei Köpfe im Profil]

Prinz Jusuf von Theben

mit seinem Somali gratulieren

Anmerkungen

Dem Brief an Helene Kann vom 25. April 1934 beigelegt (s. [203]).

Stimmen über Karl Kraus zum 60. Geburtstag, hg. von einem Kreis dankbarer Freunde, Wien: Richard Lanyi, 1934, vor S. 7 (als Faksimile gedruckt).

[203] Else Lasker-Schüler an Helene Kann
Jerusalem, Mittwoch, 25. April 1934

25. IV 34 Jerusalem

Meine sehr Liebe.

Ich sende Ihnen inl. Gedicht für Dr. Jaretzki?? Er wollte eine Ehrung für Karl Kraus zum 60 und 16jährigen Geburtstag herausgeben. Denken Sie, ich verlor seinen I Brief und II. Brief. und Adresse. Ich bitte Sie herzlich, meine sehr Liebe, ihm inl. Gedicht mit liebem Gruß zu geben für das Album. Ich mach lieber die Zahl 16 wie 60. Paßt auch besser. Also ich hab mich nicht verschrieben. Das Gedicht ist K. K. Lieblingsgedicht; vielleicht freuts ihn. Mein Paul, mein Junge. sagen Sie K. K. hat mir innerlich gesagt, sofort heute den Tibetteppich abzuschreiben für K. K. den er bewunderte, der ihn wirklich verstand. Sagen Sie Karl Kraus bitte. Nun war ich erst in Alexandrien bei einer Betrügerin, einer reichen Griechenfrau, einer geb. Wiesbadenerin die Frau nun eines Grandseigneurs die mich schon 1 ½ Jahre hinlockte. Weder waren die 10 Vorträge gemacht noch Raum zu malen. Ich kann Ihnen nur und Julia erzählen. Schauer auf Schauer – Sklaven dort, die fast gepeitscht wurden. Reiste durch die Wüste von Egypten – schwerster Weg 3× nachts umsteigen etc etc. III. Classe. Nur zu erzählen. Nun hier – Riesige Wildniß von verrosteten Steinhöhen, Thälern, Kameel, Beduine, alle Art Juden. Unerhört – aber schwer. Ich erzähle alles. Wohne mitten in der Stadt. Nicht groß die bäumelose Stadt, aber mannigfaltig War in Bethlehem wie Bibel, war Garten Gethsemane war Weg nach Emaus, war Tel Aviv wo ich Freitag in 8 Tagen vortrage im Habimâhtheater. Hier in einem Kunstsalon. Großartige Malerei hier. Chazidim enorm ursprünglich.

Nun große Bitte!! Schreibt: Zürich Fraumünsterpost postlagernd wann Sie in Locarno mit Julia sind? Komme dann sofort hin! Soll ich über Triest heimfahren: Schweiz am 8. Mai ungefähr, nach Wien was kommen? oder, (denkt!!) nicht gut jetzt – – – (nach der Hitze?) hier. (Ich meins anders.) Ihr Brief hocherfreute mich. Dank!

Immer Ihre Else Lasker-Schüler meine sehr Liebe.

Julia soll großen entgültigen Anwalt. Ich las es kommt neu Buch von J. Wassermann heraus!

Zürich Fraumünsterpost postlagernd

40 Grad von 7 – 8 Uhr früh – abends 18 Grad

Himmel: dunkelbraun gelb lila abends

Jerusalem. [orientalische Stadt]

In die Sammlung (Amsterdam) kommt jetzt III. Gedicht von mir.

Mit den Vorträgen wirds nett hier.

Fahre heute Jericho Autoeinladung oder Tram

Anmerkungen

H (Brief): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 161941). D: KA, Bd. 9, S. 115 f.

inl. Gedicht • ›Der Tibetteppich‹ (s. [202]). – Else Lasker-Schüler schenkte Karl Kraus zudem die kolorierte Zeichnung ›Jussuf reitet durch die Wüste‹ (Forschungsinstitut Brenner-Archiv, Innsbruck [Karl Kraus – Sammlung Friedrich Pfäfflin]). Vgl. Else Lasker-Schüler. Die Bilder, hg. von Ricarda Dick im Auftrag des Jüdischen Museums Frankfurt am Main. Mit Essays von Ricarda Dick und Astrid Schmetterling, Berlin: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2010, S. 226 (Nr. 109). – Jaretzki • Karl Járay (1878–1947), Wiener Architekt und Mäzen, langjähriger Förderer von Karl Kraus. – zum 60 und 16jährigen Geburtstag • Zum sechzigsten Geburtstag von Karl Kraus am 28. April 1934. – Lieblingsgedicht • Siehe [39]. – Mein Paul • Paul Lasker-Schüler, der am 14. Dezember 1927 gestorben war. – Griechenfrau • Margret Pilavachi, die Else Lasker-Schüler im Frühjahr 1932 nach Alexandria eingeladen hatte. Else Lasker-Schüler hielt sich von Ende März bis Ende Mai 1934 zunächst in Ägypten, dann in Palästina auf. Ihre Begegnung mit Margret Pilavachi schildert Else Lasker-Schüler 1937 in ›Das Hebräerland‹ (S. 60–67; KA, Bd. 5, S. 57–63). – Julia • Julie Wassermann (geb. Speyer) (1876–1963), die erste Frau des Schriftstellers Jakob Wassermann (1873–1934). Die Scheidung 1926 war von jahrelangen Prozessen begleitet. Nach Wassermanns Tod am 1. Januar 1934 versuchte Julie, finanzielle Ansprüche gegenüber der zweiten Frau Marta Karlweis (1889–1965) geltend zu machen. – nach Wien • Ihre Rückreise von Palästina in die Schweiz unterbrach Else Lasker-Schüler in Wien, wo sie sich vom 4. bis zum 13. Juni 1934 aufhielt. Am 1. Juli 1946 schreibt Helene Kann an Werner Kraft (Werner Kraft-Archiv im Literatur- und Kunstinstitut Hombroich): »Mit Else L.-Sch. war ich im Jahr 33 in Locarno viel zusammen. Sie ist eine geniale Frau. Aber ihre Zerrissenheit und Unharmonie beängstigte mich oft. Später sah ich sie noch in Wien. Damals wollte sie bei Karl Kraus eindringen, am Nachmittag, wo er im tiefsten Schlaf lag. Sie hatte ihm eine bunte Papiermütze mitgebracht: ›Er is’n Junge. Er muss sie aufsetzen, wenn er arbeitet.‹ Mit dem Hausmeister, der sie abwies, kam sie fast ins Handgemenge. ›Ich bin der Prinz von Theben‹, schrie sie. ›Dös is mir alles ans, ob Sie der Prinz von Behmens san oder wos wass i. Jetzt könnens net zum Herrn Kraus‹, berichtete er dann diesem.« Vgl. Aus großer Nähe, S. 120 f. (der leicht abweichende Bericht Helene Kanns dort ohne zeitliche Einordnung). – neu Buch • Jakob Wassermann, Joseph Kerkhovens dritte Existenz, Amsterdam: Querido, 1934. – III. Gedicht • In der ›Sammlung‹ (Amsterdam) waren von Else Lasker-Schüler die beiden Gedichte ›Abendzeit‹ (Jg. 1, H. 2 vom Oktober 1933, S. 104; KA, Bd. 1.1, S. 261 f.) und ›Die Verscheuchte‹ (Jg. 1, H. 7 vom März 1934, S. 384; KA, Bd. 1.1, S. 262) erschienen. Im Juli 1934 erschien dort das Gedicht ›Hingabe‹ (Jg. 1, H. 11, S. 573; KA, Bd. 1.1, S. 263).

[204] Else Lasker-Schüler an Helene Kann
Ascona, Samstag, 13. Juni 1936

Postfach 49. Ascona. (Südschweiz)

Frau Dr. Helena Kann

Wien

Malerstr. 14

(Östreich)

13. VI 36

Liebe Verehrteste. Eben erfahren – erschütternd geradezu. In aller Eile die Karte: Bitte leget paar Blumen für mich auf Karl Kraus Hügel. Ich Einsende paar Kronen (leider nur) wenn noch Post offen, heute noch an Sie, meine liebe verehrte Frau Kann. Ihnen Tröstendes schreiben zu wollen – wäre taktlos, da ich weiß wie innige Freunde Sie waren.

Kommt hierher bitte!!

Wenn Sie Maria Moissi sehen – bitte Grüße.

Ihre Else Lasker-Schüler

Anmerkungen

H (Postkarte): Wienbibliothek im Rathaus (H. I. N. 171314). Poststempel: Ascona, 13. 6. 36. D: KA, Bd. 9, S. 366.

Eben erfahren • Karl Kraus war am 12. Juni 1936 in Wien gestorben. Sein Grab befindet sich auf dem Wiener Zentralfriedhof (Gruppe 5A, Reihe 1, Nr. 33/34). – Maria Moissi • Maria Moissi (geb. Urfus) (1874–1943), österreichische Schauspielerin. Sie war von 1910 bis 1918 mit dem Schauspieler Alexander Moissi (1879–1935) verheiratet und hatte nach 1910 in Berlin eine Schauspielschule gegründet.

[205] Else Lasker-Schüler an Emil Stein
Jerusalem, Donnerstag, 22. Januar 1942

Gew. Else Lasker-Schüler. c/o Weidenfeld Baït Hamaaloth (Mul Meschutaff.) Jerusalem

22. Jan. 42.

Adon.

Wie ich schon oben schreibe, ich bin Else Lasker-Schüler, die einen so selten »grünen« Nachmittag in Ihrem Garten erleben durfte bei Thee und Kuchen. Und seitdem hörte ich nur von Ihrem Offenbachabend, den ich so gern beigewohnt hätte. Aber es war mir nicht klar, ob Ihnen und lieben Gewereth und »jungen« Mutter recht. Ich mag Offenbach so gern, daß ich immer sage, wenn er lebte, ich direkt ihn besuchen würde, durch den Schornstein steigen würde, Ehrenwort! Eine ebenso kecke wie vornehme Musik erschuf er und Karl Kraus sang sie am Abend seiner Vorträge mit Vorliebe. Ich teleph. gestern und hörte, Sie seien mit Ihrer Familie bei Ihrem Bruder Karl. und ich möchte mir erlauben, Sie ungefragt von zwei großen Wünschen zu schreiben. Falls beide unmöglich, ich kann es bei dieser Zeit wohl verstehen wenn auch mit Herzleid, Adon. Nur bitte ich Sie, bitte, der 1. Wunsch bleibt ganz unter uns; ich würde mich schämen, namentlich vor Krakauers. Sie sind dort alle lieb zu mir. Haben ja stets schon lange wie ich zu kämpfen.

Adon, Sie erwarben ein Bild von mir vor längerer Zeit und ich muß annehmen, es gefiel Ihnen. Und ich bin in schwerster Bedrängniß momentan, da ich mir, da ich so fror, eine Decke kaufte und eine Matrazze für mein Harmonikabett. Es ist alles so traurig und ich spare noch am Nötigsten angesichts der kummervollen Not der allerärmsten, denen ich begegne auf den Straßen Jerusalems. Ich frage Sie nun (sehr weh mir – ) ob Sie mir auf ein von Sachverständigen gepriesenes Bild 2 sind – ich glaube – famos:

1. – Zauberer kommen in Alexandrien

2. – Kannibalen – auch famos! Und wild und ich bin ein Kannibale unter den dreien.)

Beide ganz bunte Bilder)

ob Sie mir, Adon, auf eines der Bilder 5 Pfund leihen würden oder kaufen oder für das 2. Jemand wissen? Aber ich könnte, handelt es sich um event. Leihen – erst in 4 Monaten zurückbezahlen. Können Sie es ohne Verlust oder wollen Sie es, Adon? Ich will nicht mehr sagen, als daß ichs nie vergessen könnt, Ihnen und Liebgewereth. Dr. med Eydington erwarb vor einem Jahr etwa, die Männer aus Bucharan von mir, und half mir aus der – Patsche – wie man sagt. Gerade über diese 2 Bilder schrieb die Zeitung. Ich malte hier auch auswendig: Adon Redakteur Swet vom Haaretz. (Entzückt ist man ja immer über seine eigenen Bilder –

Der zweite Wunsch: Ich habe einen Kraal (Indianer Ausdruck) gegründet: I. Abend erzählte Prof. Dr. Martin Buber vom Berdyczewer Rabbi – Wundergeschichten, unerhört schön erzählte Adon Buber. Am I. Abend schon kamen 76 Menschen wertvolle

Am 24. Jan. ½ 9 Uhr erzählt in meinem Kraal: Redakteur vom Haarez: Gershon Swet über die Juden in Sowjet Rußland. 16 schon zu erzählen, alle die ich bat, zugesagt. Nun möcht ich, Adon, Sie lesen und singen Offenbach – ja? Wo können wir darüber sprechen, Sie, Adon, Gewereth und ich? Ich käm gern paar Stunden, Fahrt würde mich direkt erfrischen (bei der Kälte) Ich las in Tel-Aviv mein II. Schauspiel, aber es war zu kalt bei Prof. Kestenbergs.

Gebt mir bitte (sofort?) Antwort und verzeiht die beiden Wünsche?? 2. Bitte.

Es lesen unter anderen noch:

(3 Dichter noch etc.)

Dr. Ernst Simon

Dr. Julius Simon

Dr. med. Lehmann: Ben Schemen vom Kinderdorf

Pfarrer Kappes

Leopold Krakauer (ich sein Vormund, da er nicht sprechen kann – meint Adon Kr.)

ein Reederer

Dr. Ollendorf – etc etc.

Ich habe so schwaches Handgelenk, so schwer trug ich einmal –

verzeiht bitte den Bleistift, Adon.

Ich lese den Brief nicht noch mal durch – der ersten schmerzlichen Bitte wegen. Versteht bitte! Adon.

Purim – kommen wir im Indianerkleid etc. Federn.

[Kuvert:]

Adon

Emil Stein.

c/o Adon Karl Stein

Kfar Schmarjahu.

bei Herzlia-Tel-Aviv.

Anmerkungen

H (Brief): The National Library of Israel (Jerusalem), Arc. Ms. Var. 501 (Else Lasker-Schüler Archive), File 4:71. Poststempel: Jerusalem, 22. 1. 42. D: KA, Bd. 11, S. 104–106.

in Ihrem Garten • Emil Stein (1895–1963) hatte in Wien als Kaufmann gelebt und war im November 1938 nach Jerusalem gekommen, wo er im Stadtteil Beit Hakerem Inhaber des Gartencafés und der Pension ›Eden‹ (›Brieger‹) wurde. Karl Kraus erwähnt Emil Stein in der ›Fackel‹ von Anfang Juni 1924 (Jg. 26, Nr. 649–656, S. 70 [›Notizen‹]): »Angeregt durch eine in Nr. 404 (Dez. 1914) erwähnte Sammlung, welche die Gründung eines phonographischen Archivs ermöglichen sollte und deren Ertrag dann für invalide Soldaten verwendet wurde, haben sich anläßlich des 50. Geburtstags Freunde der Vorlesungen (an ihrer Spitze die Herren Fritz Engl und Emil Stein) in der gleichen Absicht liebenswürdig bemüht und mitgeteilt, daß die Gemeinde Wien die Platten samt den Originalen in Verwahrung nehmen würde.« Vgl. auch Paul Engelmann, Zum Andenken an den Rezitator Emil Stein. Gesprochen am 16. Juni 1964, in: Der Alleingang (Wien), Jg. 2, Nr. 5 vom Juli 1965, S. 8–12. – Krakauers • Leopold Krakauer (1890–1954), aus Österreich gebürtiger Maler und Architekt. Er war mit der Malerin Grete Wolf (1890–1970) verheiratet. Am 12. Januar 1940 veröffentlichte Else Lasker-Schüler in der ›Jüdischen Welt-Rundschau‹ (Jerusalem) das Gedicht ›Leopold Krakauer‹ (»Himmelsgewölbe, die zur Erde gefallen«) (Jg. 2, Nr. 2, S. 6; KA, Bd. 1.1, S. 272 f.). – Eydington • Max Eitingon (1881–1943), Arzt und Psychoanalytiker in Berlin. Er emigrierte Ende 1933 nach Palästina und gründete 1934 in Jerusalem das später nach ihm benannte ›Palestine Institute for Psychoanalysis‹. – einen Kraal • Else Lasker-Schüler hatte im Herbst 1941 in Jerusalem die Vortragsvereinigung ›Der Kraal‹ gegründet. In der Zeit von Januar 1942 bis April 1944 organisierte sie insgesamt siebenundzwanzig Abende. Unter anderem sprachen Martin Buber (1878–1965), der Journalist Gershon Swet (1893–1968), der Arzt Julius Simon (1869–1944), der Pädagoge und Kulturphilosoph Ernst Simon (1899–1988), der evangelische Pfarrer Heinz Kappes (1893–1988) und der Sozialarbeiter Friedrich Ollendorff (1889–1951). – Sie lesen und singen Offenbach • Am 8. März 1942 hielt Emil Stein einen Gesangsvortrag in Else Lasker-Schülers Vortragsvereinigung ›Der Kraal‹. Auf einer von Emil Stein unterzeichneten Einladungskarte (The Central Zionist Archives [Jerusalem], S 7/2374) heißt es: »Vortrag der Operette ›Madame Archiduc‹ von Offenbach durch den Unterzeichneten (mit Klavier)«. Der Vortrag dürfte dem Textbuch von Karl Kraus gefolgt sein, der seine Bearbeitung von Jacques Offenbachs Operette ›Madame L’Archiduc‹ zuerst am 9. Oktober 1927 in Wien vorgetragen hatte. – mein II. Schauspiel • Else Lasker-Schüler hatte am 3. Januar 1942 in Tel Aviv bei Grete (1881–1969) und Leo Kestenberg (1882–1962), dem Generalmanager des ›Palestine Symphony Orchestra’s‹, ihr Schauspiel ›Arthur Aronymus und seine Väter‹ vorgetragen. Vgl. KA, Bd. 11, S. 91. – Lehmann • Siegfried Lehmann (1892–1958), aus Berlin gebürtiger Arzt und Erzieher. Er war 1926 nach Palästina eingewandert und hatte im Jahr darauf das bei Lod gelegene Kinderdorf Ben Shemen gegründet, das nach 1933 zur führenden Stätte der Aufnahme von Kindern und Jugendlichen aus Deutschland wurde. Ein Vortragsabend mit Siegfried Lehmann kam nicht zustande. – ein Reederer • Walter Turnowsky (1897–1959), Direktor des Reisebüros ›Palestine & Egypt Lloyd‹ in Jerusalem. Er sprach am 28. März 1942 im ›Kraal‹ über das Thema ›Wanderung durch den Nahen Osten im Krieg‹.

Nachwort

Im Juni 1909 reiste Herwarth Walden, mit dem Else Lasker-Schüler seit 1903 verheiratet war, für einige Tage von Berlin nach Wien. Vermutlich wollte er dort Mitarbeiter für die Zeitschrift ›Das Theater‹ gewinnen, deren Schriftleitung er kurz zuvor übernommen hatte. Bei dieser Gelegenheit dürfte es – wahrscheinlich durch Vermittlung Peter Altenbergs – zu einer ersten persönlichen Begegnung von Herwarth Walden und Karl Kraus gekommen sein. Am 2. Juli 1909 schreibt Herwarth Walden dann an Karl Kraus: »Ich halte Sie nun definitiv für den besten deutschen Schriftsteller.« (1) Weiter heißt es: »Sie müssen nicht glauben, daß ich mit derartigen Anwürfen um mich schmeiße.« Er empfiehlt Heinrich Mann, »der die künstlerischsten Romane schuf«, und Else Lasker-Schüler, den »größten Lyriker«: »Daß ich sie nachher heiratete ändert an der Tatsache nichts.« Am 28. Juli notiert Else Lasker-Schüler auf einer Postkarte Herwarth Waldens einen kurzen Gruß für Karl Kraus [1] (2), am 17. August folgt ihr erster längerer Brief [2]. Er ist an Karl Kraus in Scheveningen gerichtet, der seine Anreise am 10. August in Berlin unterbrochen hatte. Else Lasker-Schüler legt einige Gedichte bei und hofft, dass Karl Kraus sich entschließt, diese in die ›Fackel‹ aufzunehmen. Dort erscheinen am 11. Oktober 1909 die beiden Gedichte ›Siehst du mich –‹ und ›Und suche Gott‹ [5]. Im November 1909 kam Karl Kraus erneut nach Berlin. Er begleitete Adolf Loos, der am 11. November auf Einladung Herwarth Waldens im ›Verein für Kunst‹ die vermutlich erste Fassung seines Essays ›Ornament und Verbrechen‹ vortrug [6]. Zwei Monate später kam Karl Kraus zu seiner ersten Vorlesung nach Berlin, die am 13. Januar 1910 ebenfalls im ›Verein für Kunst‹ stattfand. Else Lasker-Schüler ihrerseits las erstmalig am 11. März 1912 in Wien an einem nur mäßig besuchten Vortragsabend, über den Karl Kraus am 31. März in der ›Fackel‹ in einem ›Razzia auf Literarhistoriker‹ betitelten Beitrag berichtet [87].

Karl Kraus, den Else Lasker-Schüler als »Cardinal«, als »Dalai Lama« und als »Herzog« ansprach, schätzte vor allem ihre frühen Gedichte. Als Muster moderner Lyrik betrachtete Kraus ihr Gedicht ›Ein alter Tibetteppich‹, das er – nach dem Erstdruck in Herwarth Waldens ›Sturm‹ vom 8. Dezember 1910 – am 31. Dezember in die ›Fackel‹ aufnahm und in einem kurzen Kommentar erläuterte [39]. Mehrfach wies er in den Jahren danach auf die Bedeutung des Gedichts hin, zuletzt in der ›Fackel‹ vom April 1927 [192]. 1911 erschien von Else Lasker-Schüler die Sammlung ›Meine Wunder‹, in der die erste Buchausgabe des Gedichts ›Ein alter Tibetteppich‹ enthalten ist. Seine Wertschätzung brachte Kraus in fünf Freianzeigen [50] zum Ausdruck, mit denen er 1911 in der ›Fackel‹ für ›Meine Wunder‹ warb. Den späteren Werken Else Lasker-Schülers stand er eher kritisch gegenüber. Insbesondere den ›Briefen nach Norwegen‹, die 1911/12 in Fortsetzungen im ›Sturm‹ erscheinen, begegnete er mit Unmut: Else Lasker-Schülers Schilderungen aus dem Leben der Berliner Boheme fehle das literarische Niveau, sie erinnern ihn an die Sensationshascherei der populären Kioskliteratur. Am 12. Oktober 1911 – am 7. Oktober war die dritte Folge der ›Briefe‹ im ›Sturm‹ erschienen – schreibt er an Herwarth Walden: Ob »dem Dichter E[lse] L[asker]-Sch[üler] mit der Drucklegung dieser Sachen ein Dienst erwiesen wird, scheint mir zweifelhaft.« (3) In seiner Antwort vom 14. Oktober bemüht Herwarth Walden sich um eine Rechtfertigung. Er schreibt: »Ich finde die Briefe außerordentlich. Unerhört dichterisch und gestaltet. Die aktuellen Begebnisse sind ganz gleichgültig, ich meine, daß sie benutzt wurden. Sie werden durch die Behandlung meines Erachtens gradezu unaktuell.« (4) Waldens Versuch einer Rechtfertigung bestärkt Kraus in seinem Urteil und lässt ihn in einem undatierten Antwortbrief auf seinem Standpunkt beharren: »Mein Urtheil über die norw. Briefe, die natürlich den Dichter, der sie geschrieben hat, nicht verleugnen, bedaure ich nach wiederholter Lektüre nicht zurücknehmen zu können. […] Ich habe eben die Empfindung, daß hier keine einzige der kleinen Thatsächlichkeiten, deren Aktualität natürlich nie in Betracht kommen kann, durch die Macht des Dichters unaktuell geworden ist. Ich weiß mit ihnen nichts anzufangen: und bei schwereren Werken ist es mir doch schon öfter gelungen.« (5) Ende 1915 kommt die Korrespondenz von Else Lasker-Schüler und Karl Kraus vorübergehend gänzlich zum Erliegen, Else Lasker-Schüler schweigt fast eineinhalb Jahre. Erneut wendet sie sich an Karl Kraus am 19. Mai 1917 [165]. Sie hofft, durch seine Hilfe eine finanzielle Unterstützung gewinnen zu können. Zugleich klagt sie Kraus an, sowohl ihrer Person als auch ihrem Werk kein Interesse mehr entgegenzubringen: »[…] Sie haben gar kein Interesse mehr für mich.« Weiter heißt es: »Karl Kraus, ich glaube nämlich Sie haben etwas gegen mich. Was? Haben Sie wirklich je meine Gedichte gern gehabt.« Am 17. Dezember 1923 [180] schreibt Else Lasker-Schüler ihren drittletzten Brief an Karl Kraus und bittet ihn, ihren Sohn Paul zu unterstützen, der auf der Suche nach einer Anstellung als Zeichner ist. Mit ihrer Bitte verbindet sie die Hoffnung, noch einmal an frühere Zeiten anknüpfen zu können: »Ich sitze auf dem Bettrand, habe den Tisch ans Bett gezogen und schreibe Ihnen, Karl Kraus. Bitte denken Sie es ist vor dem Kriege, als Sie mir noch gewogen waren.« Ihre Hoffnungen erweisen sich als trügerisch. Nach einer Lesung von Karl Kraus in Berlin schreibt sie ihm am 11. Oktober 1928 [197] zum letzten Mal. Sie entschuldigt sich, dass sie sich nach seinem Hotel erkundigt habe: »[…] ich wollte Ihre Adresse nicht wegen etwaigen Besuchs wissen: Ich wollte Ihnen was schreiben.« Sie fügt hinzu – ob kleinlaut oder gekränkt, kann letztlich nicht entschieden werden –: »Ich habe keine Zeit, Besuche zu machen.«

Am 25. April 1934 übersandte Else Lasker-Schüler aus Jerusalem an Helene Kann eine Reinschrift ihres Gedichts ›Der Tibetteppich‹ als Geschenk für Karl Kraus zum sechzigsten Geburtstag am 28. April [202, 203]. Auf der Rückreise von Palästina in die Schweiz hielt Else Lasker-Schüler sich vom 4. bis zum 13. Juni 1934 zum letzten Mal in Wien auf. Ob es bei dieser Gelegenheit zu einer persönlichen Begegnung von Karl Kraus und Else Lasker-Schüler gekommen ist, muss offenbleiben. Bekannt ist lediglich eine Anekdote, die Helene Kann 1946 in einem Brief an Werner Kraft berichtet. Danach habe Else Lasker-Schüler Karl Kraus zur Zeit der Mittagsruhe besuchen wollen, wurde aber vom Hauswart abgewiesen. Am 13. Juni 1936, einen Tag nach dem Tod von Karl Kraus, bittet sie Helene Kann, ihm Blumen aufs Grab zu legen [204]. Die Wertschätzung, die Else Lasker-Schüler Karl Kraus seit 1909 entgegenbrachte, überdauerte allen Verdruss, den sie zeitweilig für ihn empfand, und ist noch für ihre letzten Lebensjahre in Jerusalem bezeugt. Am 8. März 1942 veranstaltete sie in der von ihr gegründeten Vortragsvereinigung ›Der Kraal‹ einen Abend zur Erinnerung an Karl Kraus [205]. An diesem Abend trägt Emil Stein, ein aus Wien stammender Kaufmann und Rezitator, aus Jacques Offenbachs Operette ›Madame L’Archiduc‹ vor, deren Text Karl Kraus bearbeitet und selbst vorgetragen hatte. Zuletzt erwähnt Else Lasker-Schüler Karl Kraus in ihrem Brief an Werner Kraft vom 18. Juli 1944, sechs Monate vor ihrem Tod am 22. Januar 1945. Noch einmal betont sie die Spannungen, die ihre Beziehung zu Karl Kraus geprägt haben: »Ich weiß K. K. ein großer Mensch. schrieb er auch schön von meinen Versen, so hätten sich unsere Dichtungen nie verlobt.« (6)

Else Lasker-Schülers Briefe an Karl Kraus sind 1959 im Verlag Kiepenheuer & Witsch zum ersten Mal veröffentlicht worden. Hierbei handelt es sich um die erste Ausgabe eines Konvoluts von Briefen Else Lasker-Schülers überhaupt. Die Herausgeberin Astrid Gehlhoff-Claes, selbst Lyrikerin und 1953 mit einer Studie über Gottfried Benn promoviert, hat – damals nicht unüblich – die Briefe durch Streichungen einzelner Wörter und ganzer Passagen ›geglättet‹ und war bemüht, einen ›zeitgemäßen‹ Lesetext zu erstellen. 1970 legt Gilbert J. Carr einen Aufsatz mit ›Korrekturen‹ zur Ausgabe von Astrid Gehlhoff-Claes vor. (7) Erstmals kritisch editiert werden die Briefe dann in der zwischen 1996 und 2010 im Jüdischen Verlag erschienenen Ausgabe der ›Werke und Briefe‹ Else Lasker-Schülers, die 100 Briefe an Karl Kraus enthält. Weitere vier Briefe Else Lasker-Schülers [1, 28, 31, 53] veröffentlicht George C. Avery 2002 in der Ausgabe des Briefwechsels zwischen Karl Kraus und Herwarth Walden. Die vorliegende Dokumentation enthält neben den 104 überlieferten Briefen Else Lasker-Schülers an Karl Kraus 101 weitere Texte, die in die Chronologie der Briefe eingereiht sind: insbesondere Auszüge aus dem literarischen Werk Else Lasker-Schülers, in denen Karl Kraus erwähnt wird, ihre Veröffentlichungen in der ›Fackel‹ sowie Stellungnahmen von Karl Kraus zu ihrem Werk, die er in der ›Fackel‹ abdruckte. Daneben werden auch die in der ›Fackel‹ erschienenen Freianzeigen für die Bücher Else Lasker-Schülers mitgeteilt, ferner die Ankündigungen für die beiden Lesungen, bei denen Karl Kraus 1911 und 1927 Texte von Else Lasker-Schüler vortrug [61, 191], und der Spendenaufruf zugunsten Else Lasker-Schülers, der im Januar 1913 in der ›Fackel‹ erschien [107]. Vollständig aufgenommen ist zudem ein Essay, den Richard Weiß 1911 nach dem Erscheinen von Else Lasker-Schülers Gedichtbuch ›Meine Wunder‹ in der ›Fackel‹ veröffentlichte und der die weitere Rezeption ihrer bis dahin erschienenen Gedichte in nicht unerheblichem Maße beeinflusste [54]. In seinem Essay analysiert Richard Weiß ausführlich das von ihm wie von Karl Kraus besonders geschätzte Gedicht ›Ein alter Tibetteppich‹. Darüber hinaus enthält die vorliegende Dokumentation zwei Aufrufe, die Else Lasker-Schüler mit unterzeichnet hat. 1910 veröffentlichte Karl Kraus in der ›Fackel‹ einen Aufruf zugunsten Herwarth Waldens, der als Redakteur der Zeitschrift ›Das Theater‹ entlassen worden war [13]. Zusammen mit Karl Kraus und weiteren prominenten Intellektuellen unterzeichnete sie 1925 eine Stellungnahme, die sich gegen die Praktiken der Rechtssprechung des Leipziger Staatsgerichtshofes richtete [184]. Den Schluss der Dokumentation bilden zwei Briefe an Helene Kann [203, 204], die langjährige Vertraute von Karl Kraus, und ein Brief an Emil Stein [205] in Jerusalem. Stein hatte sich bereits Mitte der zwanziger Jahre in Wien für das Werk von Karl Kraus engagiert.

Die meisten Briefe Else Lasker-Schülers an Karl Kraus, insgesamt 92 Schriftstücke, stammen aus den Jahren 1909–1915. Karl Kraus war in dieser Zeit für Else Lasker-Schüler ein zentraler Ansprechpartner. Sie suchte bei ihm Unterstützung nicht nur in literarischen Fragen – Ratschläge etwa, wenn sie sich um Veröffentlichungsmöglichkeiten bemühte –, sondern auch in persönlichen Dingen: Hingewiesen sei auf ihr Engagement für den Publizisten Senna Hoy, der 1914 in russischer Haft starb und über dessen Schicksal sie in den Briefen an Karl Kraus ausführlich berichtet. Deutlich werden aber auch die Differenzen in der Kunstauffassung, die Else Lasker-Schüler und Karl Kraus trennen und die schließlich zum Erlahmen der Korrespondenz in den Jahren nach 1915 führen. Sie nimmt Partei für Herwarth Walden, als dessen Futuristenausstellung 1912 den Unmut von Karl Kraus erregt; sie engagiert sich für die Publizisten Alfred Kerr und Franz Pfemfert, für deren Auffassung von Journalismus Kraus wenig Verständnis zeigt; sie wirbt für die Prager Literaten – für Franz Werfel, aber auch für den weniger bekannten Paul Leppin –, denen Kraus nach anfänglicher Begeisterung für Werfels erstes Gedichtbuch ›Der Weltfreund‹ mit deutlicher Distanz begegnet. Betrachtet man allein den Umfang der Korrespondenz, lässt sich die Bedeutung, die Karl Kraus als Ansprechpartner für Else Lasker-Schüler hatte, mit der Rolle vergleichen, die später zunächst der Schriftsteller und Kritiker Marcel Brion, dann der Pädagoge und Kulturphilosoph Ernst Simon übernahmen. An Brion sind insgesamt 96 Briefe überliefert, die Else Lasker-Schüler ihm in den Jahren 1926–1939 vornehmlich aus Berlin und aus Zürich nach Marseille schickte, an Ernst Simon 142 Briefe, die sie in Jerusalem zwischen 1940 und 1945 schrieb: Die Themen und Inhalte der Briefe unterscheiden sich – bedingt vor allem durch Veränderungen der Lebensumstände – allerdings deutlich voneinander. Weitaus umfangreicher ist nur Else Lasker-Schülers Korrespondenz mit dem Berner Rechtsanwalt Emil Raas, an den, beginnend 1933 mit dem Exil in der Schweiz, 261 Briefe gerichtet sind. Nicht erhalten sind – mit Ausnahme von vier Telegrammen [25, 43, 58, 182] – die Briefe, die Karl Kraus an Else Lasker-Schüler schrieb: Diese sind wie nahezu alle an Else Lasker-Schüler gerichteten Briefe aus den Jahren vor 1933 verloren. Kraus selbst äußert sich zu den Briefen Else Lasker-Schülers gelegentlich gegenüber Herwarth Walden, mit dem er bis zum Sommer 1912 korrespondierte.

Else Lasker-Schülers Briefe an Karl Kraus sind nicht nur Zeugnisse einer schwierigen, zumindest ungewöhnlichen Dichterfreundschaft, sondern auch Dokumente des literarischen Lebens der Zeit, an dem beide Korrespondenzpartner lebhaften Anteil genommen haben. Insbesondere die literarischen Zeitschriften spielten eine wichtige Rolle, wenn es darum ging, neues Gedankengut vorzustellen oder Kritik daran zu üben. Karl Kraus gab in Wien ›Die Fackel‹ heraus und schrieb ab Dezember 1911 alle Beiträge selbst. Else Lasker-Schüler veröffentlichte ab 1909 in der ›Fackel‹, ab 1910 dann im ›Sturm‹ Herwarth Waldens und ab 1911 in der von Franz Pfemfert herausgegebenen ›Aktion‹, den beiden führenden Zeitschriften des Expressionismus, die in Berlin erschienen. Sie war darüber hinaus eine eifrige Leserin sowohl der ›Fackel‹ als auch des ›Sturms‹ und der ›Aktion‹ und las regelmäßig die Tageszeitungen, die in den Caféhäusern auslagen. Karl Kraus seinerseits nutzte ›Die Fackel‹ für Presseschau und Pressekritik. Else Lasker-Schüler und Karl Kraus kannten sich im literarischen Leben der Zeit aus und verfolgten aufmerksam das Tagesgeschehen, an das Else Lasker-Schüler in ihren Briefen immer wieder anknüpft. Vieles, was für Karl Kraus als Leser selbstverständlich war, ist für den heutigen Leser der Briefe Else Lasker-Schülers erläuterungsbedürftig. Die Anmerkungen verweisen auf eine Vielzahl von Zeitschriftenbeiträgen, die für das Verständnis einzelner Briefstellen hilfreich sein könnten. Diese Hinweise können auch gegebenenfalls als Anregungen für interessierte Leser dienen, die sich intensiver mit dem literarischen Leben der Zeit beschäftigen möchten. Im Unterschied zu Buchveröffentlichungen, die in einem gewissen zeitlichen Abstand erscheinen, reagieren Zeitschriften meist unmittelbar auf das Tagesgeschehen. Dabei sollte nicht übersehen werden, dass sich in der Debatte über literarische Themen auch grundlegende politische Fragen spiegeln. Dieses zeigt sich nicht zuletzt im Engagement Else Lasker-Schülers für den in Russland inhaftierten Publizisten Senna Hoy und im gemeinsamen Eintreten von Else Lasker-Schüler und Karl Kraus für eine humane Rechtssprechung.

* * *

Anmerkungen

(1) Feinde in Scharen, S. 15.

(2) Die Ziffern in eckigen Klammern verweisen auf die in die vorliegende Publikation aufgenommenen Briefe und Dokumente, teilweise auch auf die in den zugehörigen Anmerkungen mitgeteilten Informationen.

(3) Feinde in Scharen, S. 372.

(4] Feinde in Scharen, S. 373.

(5) Feinde in Scharen, S. 373 f.

(6) KA, Bd. 11, S. 334.

(7) Gilbert J. Carr, Zu den Briefen Else Lasker-Schülers an Karl Kraus, in: Literatur und Kritik (Salzburg), Jg. 5 (1970), S. 549–556.

Zur Textgestalt

Helene Kann hat bei der Ordnung der Korrespondenz von Karl Kraus die Daten der Poststempel am Kopf der Briefe notiert und die zugehörigen Kuverts vernichtet. Diese Daten wurden im Allgemeinen für die Einordnung der Briefe Else Lasker-Schülers ohne nähere Begründung übernommen. In Einzelfällen enthalten die Brieftexte Hinweise, dass die Absendung des Briefes nicht unmittelbar nach der Niederschrift erfolgte oder Helene Kann das Datum des Poststempels verlesen hat. Die Einordnung des Briefes wird in diesen Fällen kurz erläutert.

Siglen

H: Handschrift

T: Typoskript

t: Typoskript von fremder Hand (bei Telegrammen verwendet)

D: Druck

Literatur

Karl Kraus

Die Fackel (1899–1936) Die Fackel, hg. von Karl Kraus, [Jg. 1,] Nr. 1 von Anfang April 1899 bis Jg. 37, Nr. 917–922 vom Februar 1936. – ›Die Fackel‹ wird nach der digitalisierten Ausgabe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zitiert.

Sprüche und Widersprüche (1909) Karl Kraus, Sprüche und Widersprüche, München: Albert Langen, 1909.

Heine und die Folgen (1910) Karl Kraus, Heine und die Folgen, München: Albert Langen, 1910.

Rundfrage über Karl Kraus (1917) Rundfrage über Karl Kraus, [hg. von Ludwig von Ficker,] Innsbruck: Brenner-Verlag [1917]. – Die Beiträge waren zuvor in drei Teilen im ›Brenner‹ (Jg. 3, H. 18 vom 15. Juni 1913, S. 835–852; H. 19 vom 1. Juli 1913, S. 898–900; H. 20 vom 15. Juli 1913, S. 934 f.) erschienen.

Traumstück (1923) Karl Kraus, Traumstück, Wien und Leipzig: Verlag: ›Die Fackel‹ [1923].

Traumtheater (1924) Karl Kraus, Traumtheater. Spiel in einem Akt, Wien und Leipzig: Verlag ›Die Fackel‹, 1924.

Epigramme (1927) Karl Kraus, Epigramme, Wien und Leipzig: Verlag ›Die Fackel‹, 1927.

Madame L’Archiduc (1927) Madame L’Archiduc. Operette in drei Akten. Musik von Jacques Offenbach. Text nach Albert Millaud von Karl Kraus, Wien: Richard Lányi, 1927.

Stimmen über Karl Kraus zum 60. Geburtstag (1934) Stimmen über Karl Kraus zum 60. Geburtstag, hg. von einem Kreis dankbarer Freunde, Wien: Richard Lanyi, 1934.

Karl Kraus. Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs (1999) Karl Kraus. Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs im Schiller-Nationalmuseum Marbach, Ausstellung und Katalog: Friedrich Pfäfflin und Eva Dambacher in Zusammenarbeit mit Volker Kahmen (Marbacher Kataloge 52), Marbach am Neckar: Deutsche Schillergesellschaft, 1999.

Feinde in Scharen (2002) »Feinde in Scharen. Ein wahres Vergnügen dazusein«. Karl Kraus – Herwarth Walden. Briefwechsel 1909–1912, hg. von George C. Avery (Veröffentlichungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, 79. Veröffentlichung), Göttingen: Wallstein Verlag, 2002.

Aus großer Nähe (2008) Aus großer Nähe. Karl Kraus in Berichten von Weggefährten und Widersachern, hg. von Friedrich Pfäfflin (Bibliothek Janowitz, hg. von Friedrich Pfäfflin [Bd. 16]), Göttingen: Wallstein Verlag, 2008.

Karl Kraus – Franz Werfel (2011) Karl Kraus – Franz Werfel. Eine Dokumentation, zusammengestellt und kommentiert von Christian Wagenknecht und Eva Willms (Bibliothek Janowitz, hg. von Friedrich Pfäfflin [Bd. 18]), Göttingen: Wallstein Verlag, 2011.

Du bist dunkel vor Gold (2011) »Du bist dunkel vor Gold«. Kete Parsenow und Karl Kraus. Briefe und Dokumente, hg. von Friedrich Pfäfflin (Bibliothek Janowitz, hg. von Friedrich Pfäfflin [Bd. 19]), Göttingen: Wallstein Verlag, 2011.

Erinnerung an den einen Tag in Mühlau (2017) »... Erinnerung an den einen Tag in Mühlau ...«. Karl Kraus und Ludwig von Ficker. Briefe, Dokumente 1910–1936, im Auftrag des Forschungsinstituts Brenner-Archiv der Universität Innsbruck hg. von Markus Ender, Ingrid Fürhapter und Friedrich Pfäfflin (Bibliothek Janowitz, hg. von Friedrich Pfäfflin [Bd. 24]), Göttingen: Wallstein Verlag, 2017.

Else Lasker-Schüler

Styx (1902) Else Lasker-Schüler, Styx. Gedichte, Berlin: Axel Juncker, 1902.

Der siebente Tag (1905) Else Lasker-Schüler, Der siebente Tag. Gedichte, Berlin: Verlag des Vereins für Kunst, Amelangsche Buchhandlung, 1905.

Das Peter Hille-Buch (1906) Else Lasker-Schüler, Das Peter Hille-Buch, Stuttgart und Berlin: Axel Juncker, 1906.

Die Nächte Tino von Bagdads (1907) Else Lasker-Schüler, Die Nächte Tino von Bagdads, Berlin, Stuttgart, Leipzig: Axel Juncker, 1907.

Die Wupper (1909) Else Lasker-Schüler, Die Wupper. Schauspiel in 5 Aufzügen, Berlin: Oesterheld & Co., 1909. – Uraufführung: Deutsches Theater in Berlin, 27. April 1919.

Meine Wunder (1911) Else Lasker-Schüler, Meine Wunder. Gedichte, Karlsruhe und Leipzig: Dreililien-Verlag, 1911.

Briefe nach Norwegen (1911/12) Else Lasker-Schüler, Briefe nach Norwegen, in: Der Sturm, Jg. 2, Nr. 77 vom [16.] September 1911, S. 615 f.; Nr. 78 vom [23.] September 1911, S. 622; Nr. 79 vom [30.] September 1911, S. 631; Nr. 80 vom [7.] Oktober 1911, S. 637–639; Nr. 81 vom [14.] Oktober 1911, S. 645 f.; Nr. 82 vom [21.] Oktober 1911, S. 654; Nr. 83 vom [28.] Oktober 1911, S. 662 f.; Nr. 84 vom [4.] November 1911, S. 671; Nr. 85 vom [11.] November 1911, S. 677; Nr. 86 vom [18.] November 1911, S. 685; Nr. 87 vom [25.] November 1911, S. 693; Nr. 88 vom [2.] Dezember 1911, S. 702; Nr. 89 vom [9.] Dezember 1911, S. 710 f.; Nr. 90 vom [16.] Dezember 1911, S. 718 f.; Nr. 91 vom [23.] Dezember 1911, S. 725 f.; Nr. 92 vom [6.] Januar 1912, S. 733 f.; Nr. 93 vom [13.] Januar 1912, S. 743 f.; Nr. 94 vom [20.] Januar 1912, S. 751 f.; Nr. 95 vom [27.] Januar 1912, S. 758–760; Nr. 96 vom Januar [3. Februar] 1912, S. 765; Nr. 97 vom [10.] Februar 1912, S. 773 f.; Nr. 98 vom [17.] Februar 1912, S. 782; Nr. 99 vom [24.] Februar 1912, S. 788 f.; Jg. 3, Nr. 113/114 vom [8.] Juni 1912, S. 68.

Mein Herz (1912) Else Lasker-Schüler, Mein Herz. Ein Liebesroman mit Bildern und wirklich lebenden Menschen, München und Berlin: Heinrich F. S. Bachmair, 1912. – Buchausgabe der ›Briefe nach Norwegen‹ (1911/12).

Hebräische Balladen (1913) Else Lasker-Schüler, Hebräische Balladen (Lyrische Flugblätter), Berlin-Wilmersdorf: A. R. Meyer, 1913. – Erschienen Ende Oktober oder Anfang November 1912.

Gesichte (1913) Else Lasker-Schüler, Gesichte. Essays und andere Geschichten, Leipzig: Kurt Wolff Verlag, 1913.

Briefe und Bilder (1913–1917)

Else Lasker-Schüler, Briefe und Bilder (Briefe), in: Die Aktion, Jg. 3, Nr. 36 vom 6. September 1913, Spalte 854–859; Nr. 38 vom 20. September 1913, Spalte 906 f.; Nr. 41 vom 11. Oktober 1913, Spalte 963 f.; Nr. 42 vom 18. Oktober 1913, Spalte 992–994; Nr. 44 vom 1. November 1913, Spalte 1031–1033; Nr. 46 vom 15. November 1913, Spalte 1081 f.; Nr. 52 vom 27. Dezember 1913, Spalte 1207–1209; Jg. 4, Nr. 4 vom 24. Januar 1914, Spalte 85 f.; Nr. 7 vom 14. Februar 1914, Spalte 145; Nr. 8 vom 21. Februar 1914, Spalte 170 f.

Else Lasker-Schüler, Der Malik. Briefe an den blauen Reiter Franz Marc, in: Der Brenner, Jg. 4, H. 19 vom 1. Juli 1914, S. 852–862.

Else Lasker-Schüler, Briefe an den blauen Reiter, in: Die Aktion, Jg. 5, Nr. 31/32 vom 7. August 1915, Spalte 394–396.

Else Lasker-Schüler, Der Malik (dem blauen Reiter Franz Marc), in: Neue Jugend. Monatsschrift, Jg. 1, H. 7 vom Juli 1916, S. 130 f.; H. 8 vom August 1916, S. 157–159; H. 9 vom September 1916, S. 176–179; H. 11/12 von Februar/März 1917, S. 219–225.

Hebräische Balladen (1914) Else Lasker-Schüler, Hebräische Balladen (Lyrische Flugblätter), 2., vermehrte Aufl., Berlin-Wilmersdorf: A. R. Meyer [1914].

Meine Wunder (1914) Else Lasker-Schüler, Meine Wunder. Gedichte, Leipzig: Verlag der Weißen Bücher, 1914. – Titelauflage der Ausgabe von 1911.

Gesichte (1914) Else Lasker-Schüler, Gesichte. Essays und andere Geschichten, 2. Aufl., Leipzig: Verlag der Weißen Bücher, 1914. – Titelauflage der Ausgabe von 1913.

Der Prinz von Theben (1914) Else Lasker-Schüler, Der Prinz von Theben. Ein Geschichtenbuch. Mit 25 Abbildungen nach Zeichnungen der Verfasserin und 3 farbigen Bildern von Franz Marc, Leipzig: Verlag der Weißen Bücher, 1914.

Die gesammelten Gedichte (1917) Else Lasker-Schüler, Die gesammelten Gedichte, Leipzig: Verlag der Weißen Bücher, 1917.

Die gesammelten Gedichte (1919) Else Lasker-Schüler, Die gesammelten Gedichte, 2. Aufl., Leipzig: Kurt Wolff Verlag [1919].

Die Wupper (1919) Else Lasker-Schüler, Die Wupper. Schauspiel in 5 Aufzügen, Berlin: Paul Cassirer, 1919.

Der Malik (1919) Else Lasker-Schüler, Der Malik. Eine Kaisergeschichte mit Bildern und Zeichnungen, Berlin: Paul Cassirer, 1919. – Überarbeitete und erweiterte Buchausgabe der ›Briefe und Bilder‹ (1913–1917).

Das Peter Hille-Buch (1919) Else Lasker-Schüler, Das Peter Hille-Buch. Mit einer Einbandzeichnung der Verfasserin, 2. Aufl., Berlin: Paul Cassirer, 1919.

Die Nächte der Tino von Bagdad (1919) Else Lasker-Schüler, Die Nächte der Tino von Bagdad. Mit einer Einbandzeichnung der Verfasserin, 2. Aufl., Berlin: Paul Cassirer, 1919.

Essays (1920) Else Lasker-Schüler, Essays. Mit einer Einbandzeichnung der Verfasserin, 2. Aufl., Berlin: Paul Cassirer, 1920.

Gesichte (1920) Else Lasker-Schüler, Gesichte. Mit einer Umschlagzeichnung der Verfasserin, 2. Aufl., Berlin: Paul Cassirer, 1920.

Der Prinz von Theben (1920) Else Lasker-Schüler, Der Prinz von Theben. Ein Geschichtenbuch. Mit 13 Abbildungen nach Zeichnungen der Verfasserin, 2. Aufl., Berlin: Paul Cassirer, 1920.

Hebräische Balladen (1920) Else Lasker-Schüler, Hebräische Balladen. Der Gedichte erster Teil. Mit einer Einbandzeichnung der Verfasserin, Berlin: Paul Cassirer, 1920.

Die Kuppel (1920) Else Lasker-Schüler, Die Kuppel. Der Gedichte zweiter Teil. Mit einer Einbandzeichnung der Verfasserin, Berlin: Paul Cassirer, 1920.

Mein Herz (1920) Else Lasker-Schüler, Mein Herz. Ein Liebesroman mit Bildern und wirklich lebenden Menschen, 2. Aufl., Berlin: Paul Cassirer, 1920.

Die gesammelten Gedichte (1920) Else Lasker-Schüler, Die gesammelten Gedichte, Sechstes bis zehntes Tausend, München: Kurt Wolff Verlag, 1920.

Der Wunderrabbiner von Barcelona (1921) Else Lasker-Schüler, Der Wunderrabbiner von Barcelona, Berlin: Paul Cassirer, 1921.

Briefe Peter Hilles an Else Lasker-Schüler (1921) Briefe Peter Hilles an Else Lasker-Schüler. Mit einer Einbandzeichnung der Verfasserin, Berlin: Paul Cassirer, 1921.

Ich räume auf! (1925) Else Lasker-Schüler, Ich räume auf! Meine Anklage gegen meine Verleger, Zürich: Lago-Verlag, 1925, Alleinvertrieb für Deutschland: Reinhold Stahl, Buchantiquariat. Berlin W 50, Regensburger Str. 10. – Die fiktive Verlagsangabe ist in den meisten erhaltenen Exemplaren durchstrichen und durch wechselnde Hinweise auf die Hoteladresse Else Lasker-Schülers oder einen Stempel mit dem Hinweis ersetzt, dass Bestellungen postlagernd an das Postamt Berlin-Schöneberg zu richten seien.

Das Hebräerland (1937) Else Lasker-Schüler, Das Hebräerland, Zürich: Oprecht, 1937.

Briefe an Karl Kraus (1959) Else Lasker-Schüler, Briefe an Karl Kraus, hg. von Astrid Gehlhoff-Claes, Köln und Berlin: Kiepenheuer & Witsch [1959].

Hebräische Balladen (1986) Else Lasker-Schüler, Hebräische Balladen. Faksimile der Handschrift, hg. von Norbert Oellers (Marbacher Schriften 26), Marbach am Neckar 1986; Neuausgabe: Hebräische Balladen in der Handschrift von Else Lasker-Schüler, hg. und mit einem Nachwort von Norbert Oellers, Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2000.

Else Lasker-Schüler 1869–1945 (1995) Else Lasker-Schüler 1869–1945, bearbeitet von Erika Klüsener und Friedrich Pfäfflin. Else Lasker-Schüler in den Tagebüchern von Werner Kraft 1923–1945, ausgewählt von Volker Kahmen (Marbacher Magazin 71/1995), Marbach am Neckar: Deutsche Schillergesellschaft, 1995.

KA (1996–2010) Else Lasker-Schüler, Werke und Briefe. Kritische Ausgabe [KA]. Im Auftrag des Franz Rosenzweig-Zentrums der Hebräischen Universität Jerusalem, der Bergischen Universität Wuppertal und des Deutschen Literaturarchivs Marbach am Neckar hg. von Andreas B. Kilcher [ab Bd. 9], Norbert Oellers, Heinz Rölleke und Itta Shedletzky. Bd. 1.1: Gedichte, Bd. 1.2: Gedichte. Anmerkungen, bearbeitet von Karl Jürgen Skrodzki unter Mitarbeit von Norbert Oellers, Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 1996; Bd. 2: Dramen, bearbeitet von Georg-Michael Schulz, Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 1997; Bd. 3.1: Prosa. 1903–1920, Bd. 3.2: Prosa. 1903–1920. Anmerkungen, bearbeitet von Ricarda Dick, Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 1998; Bd. 4.1: Prosa. 1921–1945. Nachgelassene Schriften, Bd. 4.2: Prosa. 1921–1945. Nachgelassene Schriften. Anmerkungen, bearbeitet von Karl Jürgen Skrodzki und Itta Shedletzky, Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2001; Bd. 5: Prosa. Das Hebräerland, bearbeitet von Karl Jürgen Skrodzki und Itta Shedletzky, Frankfurt am Main im Suhrkamp Verlag: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2002; Bd. 6: Briefe. 1893–1913, bearbeitet von Ulrike Marquardt, Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2003; Bd. 7: Briefe. 1914–1924, bearbeitet von Karl Jürgen Skrodzki, Frankfurt am Main im Suhrkamp Verlag: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2004; Bd. 8: Briefe. 1925–1933, bearbeitet von Sigrid Bauschinger, Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2005; Bd. 9: Briefe. 1933–1936, bearbeitet von Karl Jürgen Skrodzki, Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2008; Bd. 10: Briefe. 1937–1940, bearbeitet von Karl Jürgen Skrodzki und Andreas B. Kilcher, Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2009; Bd. 11: Briefe. 1941–1945. Nachträge, bearbeitet von Karl Jürgen Skrodzki und Andreas B. Kilcher, Berlin: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2010.

Die Bilder (2010) Else Lasker-Schüler. Die Bilder, hg. von Ricarda Dick im Auftrag des Jüdischen Museums Frankfurt am Main. Mit Essays von Ricarda Dick und Astrid Schmetterling, Berlin: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2010.

Namenregister

Adler, Karl: [18]

Alexander III. (Alexander Alexandrowitsch Romanow): [146]

Altenberg, Peter: [14] [37] [44] [51] [55] [62] [63] [72] [117] [120] [122] [135] [136] [145] [185]

Andersen, Hans Christian: [36]

Angelus Silesius (urspr. Johannes Scheffler): [54]

Arco auf Valley, Anton Graf von: [184]

Arnold, Karl: [158] [180]

Auernheimer, Raoul: [87]

Auweck, Franz: [184]

Auweck-Schöfer, Sophie: [184]

Bachmair, Heinrich F. S.: [74] [89] [91] [93] [101] [103] [119] [150]

Bahr, Hermann: [122] [167]

Baron, Erich: [123]

Barrison, Gertrude: [72]

Baum, Peter: [38] [68] [70] [72] [74] [117] [120] [123]

Bebel, August: [145]

Becher, Johannes R.: [171] [173] [184]

Bechterew, Wladimir Michailowitsch: [146]

Bednorz, Robert: [178]

Beerfelde, Hans-Georg von: [184]

Belling, Rudolf: [184]

Belmont, Albert: [184]

Bendix, Ludwig: [184]

Benn, Gottfried: [79] [119] [161] [173] [178]

Berend-Corinth, Charlotte: [13]

Bermann, Richard Arnold → Höllriegel, Arnold

Beutler, Margarete: [190]

Bie, Oskar: [1] [92]

Bienert, Ida: [165]

Bithell, Jethro: [9]

Blass, Ernst: [66] [68] [123] [155]

Blei, Franz: [68] [132] [143] [146] [152]

Blix, Ragnvald: [117]

Blum, Albrecht Viktor: [180]

Blümner, Rudolf: [1] [6] [7] [13] [41] [82] [108]

Boccioni, Umberto: [89]

Boehlau, Helene: [81]

Boenheim, Felix: [184]

Brandl, Richard: [184]

Broch, Hermann: [117] [120]

Brod, Max: [68]

Bruce, Elizabeth (Bessie): [7]

Brupbacher, Fritz: [184]

Buber, Martin: [205]

Buek, Otto: [146]

Bührer, Jakob: [184]

Busch, Paul: [91]

Buschbeck, Erhard: [167]

Caro, Elfriede: [69]

Caro, Hugo: [69] [155]

Carrà, Carlo D.: [89]

Cassirer, Paul: [30] [78] [129] [150] [152] [161] [167] [169] [176] [180] [197]

Christel, Franz → Schönwald, Erich

Claudius, Matthias: [196]

Cohn, Siegbert: [70]

Cooper, James Fenimore: [165]

Cornelius, Hans: [184]

Courths-Mahler, Hedwig: [176]

Dallago, Carl: [117] [120]

Däubler, Theodor: [155] [165] [167]

Dehmel, Richard: [60] [85] [101] [103] [107] [112] [117] [120] [123] [126] [133] [161]

Delle Grazie, Marie Eugenie: [81]

Destinn, Emmy: [4] [10] [70]

Deutsch, Ernst: [155]

Döblin, Alfred: [13] [72] [183] [184]

Dostojewski, Fjodor: [171]

Drey, Arthur: [68]

Dschunkowskij, Wladimir Fedorowitsch: [146]

Duncker, Hermann: [184]

Dürer, Albrecht: [30] [38] [158]

Durieux,Tilla: [10] [70]

Ehrenbaum-Degele, Hans: [88] [89] [90] [158]

Ehrenstein, Albert: [71] [72] [98] [117] [120] [123] [172] [173] [184] [190]

Ehrenstein, Carl: [184]

Ehrhardt, Hermann: [184]

Eichendorff, Joseph von: [96] [169]

Einstein, Carl: [146] [173]

Eitingon, Max: [205]

Eloesser, Arthur: [118]

Engelmann, Paul: [205]

Engl, Fritz: [205]

Enver Pascha: [151]

Ewers, Hanns Heinz: [87]

Eysenbarth, Johannes Andreas: [45]

Feilchenfeldt, Walter: [180]

Ficker, Cäcilie von: [155] [158]

Ficker, Ludwig von: [24] [72] [112] [117] [120] [148] [150] [152] [155] [158]

Fischer, Heinrich: [186]

Floesser, Arthur: [184]

Forel, August: [184]

Fox, Albert Claughton: [42]

Frank, Leonhard: [184]

Fränkel, Bernhard: [53]

Fridolin, Samuel (urspr. Fritz Guhlke): [31]

Friedell, Egon: [184]

Friedländer, Salomo: [13] [68] [117] [120] [178]

Fröhlich, Max: [42]

Fröhlich-Parsenow, Charlotte (Lotte): [42]

Fuchs, Eduard: [184]

Fuchs, Grete: [184]

Gaulke, Johannes: [184]

Geheeb, Edith: [91]

Geheeb, Paul: [91]

Geheeb, Reinhold: [158]

Gehlhoff-Claes, Astrid: [33]

Gehrke, Hans: [139]

George, Heinrich: [184]

George, Stefan: [158] [173] [192]

Geyer, Emil: [92] [100]

Goethe, Johann Wolfgang von: [10] [37] [39] [45] [75] [100] [122] [123] [127] [173] [181]

Goldschmidt-Rothschild, Lucie (Lucy) Georgine Leontine von: [156] [165]

Goll, Yvan (Iwan): [173]

Greenberg, Uri Zvi → Grünberg, Uri Zwi

Groeber, Hermann: [158] [180]

Gronemann, Sammy: [126]

Gross, Hans: [155]

Gross, Otto: [155]

Grossberger, Herbert: [68]

Großmann, Rudolf → Ramus, Pierre

Großmann, Stefan: [146]

Grosz, George: [165] [184]

Grünberg, Karl: [184]

Grünberg (Greenberg), Uri Zwi (Uri Zvi): [160]

Grünewald, Matthias: [30]

Guhlke, Fritz → Fridolin, Samuel

Guilbeaux, Henri: [171]

Gütersloh, Albert Paris: [173]

Gutmann, Emil: [72] [84] [85] [89] [90] [94] [95] [97] [98] [101] [108]

Haas, Willy: [100] [101] [117] [120] [144]

Haas-Heye, Otto: [159] [161]

Hadrian: [114]

Halbe, Max: [60]

Halpert, Bodo David: [184]

Handel-Mazzetti, Enrica von: [167]

Hannemann, Karl: [178] [181]

Hardekopf, Ferdinand: [13] [21] [41] [68] [89]

Harden, Maximilian (urspr. Felix Ernst Witkowski): [146]

Hardt, Ernst: [62]

Harkort, Elisabeth: [159] [162]

Hartley, Marsden: [160]

Hartmann, Felix von: [169]

Hartmann von Aue: [137]

Hartung, Gustav: [184]

Hatvani, Paul: [83]

Hauer, Karl: [117] [120]

Hauptmann, Gerhart: [75] [172] [197]

Heartfield, John (urspr. Helmut Herzfeld): [165]

Hecht, Hugo: [184]

Hegemann, Alice: [20]

Hegemann, Werner: [20]

Heimann, Moritz: [91] [92]

Heine, Albert: [13]

Heine, Heinrich: [13] [38] [39] [54] [56] [75] [127] [192]

Heinemann, Hugo: [53]

Heinrich, Karl Borromäus: [117] [120]

Hennings, Emmy: [21] [41] [60] [62]

Herzfeld (Justizrat): [184]

Herzfeld, Helmut → Heartfield, John

Herzfelde, Wieland (urspr. Wieland Herzfeld): [132] [155] [165] [184]

Herzog, Wilhelm: [184]

Hesse, Otto Ernst: [196]

Heym, Georg: [68]

Hildenbrandt, Fred (Alfred): [186]

Hille, Peter: [38] [45] [54] [70] [74] [75] [146] [150] [152] [176]

Hiller, Kurt: [66] [68] [114] [118] [123] [155]

Hiller, Paul: [114] [118]

Hirschfeld, Magnus: [184]

Hitler, Adolf: [184]

Hitz, Christian Albert: [184]

Hoddis, Jakob van: [123]

Hoffmann, Heinrich: [38]

Hofmannsthal, Hugo von: [80] [100] [158] [170] [192]

Hölderlin, Friedrich: [173] [196]

Hollaender, Friedrich: [186]

Höllriegel, Arnold (urspr. Richard Arnold Bermann): [109]

Holz, Arno: [44]

Holzer, Marie: [113] [179]

Hoy, Senna (urspr. Johannes Holzmann): [138] [140] [141] [142] [143] [145] [146] [148] [155] [163] [174]

Huf, Fritz: [158] [160]

Hyan, Hans: [184]

Ichenhäuser, Auguste: [59] [60]

Jacobsohn, Julius: [184]

Jacobsohn, Siegfried: [3] [18] [69] [74] [176]

Jahoda, Georg: [190]

Janowitz, Franz: [100]

Járay, Karl: [203]

Jelusich, Mirko: [25]

Ježower, Ignaz: [184]

Jung, Franz: [165]

Kafka, Franz: [113]

Kahane, Arthur: [80]

Kainer, Lene: [139] [146] [155]

Kainer, Ludwig: [139] [146] [152] [155] [160]

Kaiser, Georg: [155]

Kalischer, Siegmund: [13]

Kann, Helene: [3] [4] [7] [11] [17] [19] [20] [21] [41] [42] [49] [56] [57] [59] [60] [62] [76] [85] [100] [108] [123] [129] [132] [137] [138] [140] [146] [148] [152] [153] [155] [160] [161] [169] [174] [176] [178] [202] [203] [204]

Kappes, Heinz: [205]

Karlweis, Marta: [203]

Kawerau, Siegfried: [184]

Keller, Philipp: [60]

Kerr, Alfred: [56] [57] [60] [70] [108] [145] [155]

Kersten, Kurt: [184]

Kestenberg, Grete: [205]

Kestenberg, Leo: [205]

Kienböck, Viktor: [124] [125]

Killinger, Manfred von: [184]

Kisch, Egon Erwin: [113]

Kleist, Heinrich von: [127]

Klimt, Gustav: [30]

Klopstock, Friedrich Gottlieb: [173]

Knoblauch, Adolf: [70]

Kobus, Kathi: [60] [89]

Kocmata, Karl F.: [174]

Kohl, Karl: [135]

Kokoschka, Oskar: [25] [26] [27] [28] [29] [30] [31] [37] [38] [41] [44] [57] [59] [62] [65] [67] [69] [70] [72] [73] [78] [89] [90] [117] [120] [155] [158] [173]

Kollwitz, Käthe: [180]

König, Moritz: [88]

Kornfeld, Paul: [139]

Korrodi, Eduard: [169]

Kotzebue, August von: [169]

Kraft, Werner: [203]

Krakauer, Grete: [205]

Krakauer, Leopold: [205]

Krall, Karl: [153]

Kraus, Richard: [74]

Kraus-Fessel, Meta: [184]

Kreitner, Leopold B.: [113]

Kreutz, Rudolf Jeremias: [193]

Kronfeld, Arthur: [68]

Kula, E. (Inhaber einer Konzertagentur): [178]

Kulka, Georg: [173] [178]

Kurtz, Rudolf: [13] [57] [60] [146]

Lagerlöf, Selma: [36] [107] [126]

Lampl, Fritz: [178]

Lamszus, Wilhelm: [184]

Land, Hans (urspr. Hugo Landsberger): [184]

Lantz, Adolf: [89]

Lanz von Liebenfels, Jörg (urspr. Adolf Joseph Lanz): [117] [120]

Lao Tse (Laotse): [171]

Lasker, Berthold: [165] [180]

Lasker-Schüler, Paul: [2] [4] [22] [33] [37] [90] [91] [108] [109] [123] [139] [149] [152] [158] [160] [165] [169] [176] [177] [179] [180] [181] [182] [203]

Latzko, Andreas: [172]

Ledebour, Georg: [184]

Lederer, Moritz: [184]

Leer, Sophie van: [159]

Lehmann, Siegfried: [205]

Lehmann-Rußbüldt, Otto: [184]

Lenau, Nikolaus: [96]

Leonhard, Rudolf: [184]

Leppin, Henriette: [114]

Leppin, Paul: [62] [113] [114] [151]

Lessing, Gotthold Ephraim: [127]

Levisohn: [15]

Lichnowsky, Mechtilde Fürstin: [161]

Lichtenstein, Alfred: [145] [173]

Lieban, Julius: [41] [44] [70]

Liebknecht, Theodor [184]:

Lietz, Hermann: [90] [180]

Lindau, Paul: [95] [97] [118] [138]

Lindner, Annemarie (Anna): [38]

Lindner, Franz: [41]

Loerke, Oskar: [197]

Loos, Adolf: [6] [7] [10] [20] [21] [22] [30] [37] [41] [44] [62] [69] [70] [72] [88] [89] [90] [97] [101] [107] [117] [120] [126] [155] [158] [159] [170] [180] [183]

Lothar, Rudolf: [96]

Löwenthal, H. (Landgerichtsrat): [184]

Lucius von Stoedten, Hellmuth: [146]

Ludendorff, Erich: [184]

Ludwig II.: [59]

Luther, Martin: [57] [157]

Mahler, Alma: [158]

Mahler, Gustav: [158]

Maltzahn, Hans Adalbert von: [144] [146] [148] [152] [155] [156] [158] [159] [163] [176]

Mann, Heinrich: [39] [78] [184]

Mann, Thomas: [39] [117] [120]

Manzel, Ludwig: [158]

Marc, Franz: [112] [113] [119] [133] [139] [148] [150] [151] [152] [155] [156] [158] [160] [161] [163]

Marc, Maria: [112] [119] [139] [151]

Margies, Rudolf: [184]

Marinetti, Filippo Tommaso: [96]

Marx, Karl: [171]

Maupassant, Guy de: [70]

Mayer, August: [184]

Meier-Graefe, Julius: [20]

Mendelssohn, Franz von: [146]

Menelik II.: [151]

Meyer, Alfred Richard: [101]

Michaëlis, Karin: [36] [107] [126]

Michalski, Hans: [117]

Michel, Wilhelm: [78]

Minkrus, Jeanneret: [184]

Moissi, Alexander: [204]

Moissi, Maria: [204]

Mombert, Alfred: [117] [120]

Morand, Paul: [107]

Mörike, Eduard: [96] [196]

Mühlen, Hermynia zur → Zur Mühlen, Hermynia

Mühsam, Erich: [7] [60] [62] [68]

Müller, Georg: [70]

Müller, Wilhelm: [169]

Musil, Robert: [152]

Nansen, Peter: [107] [126]

Natonek, Hans: [72]

Neimann, Kurt: [31] [67] [69] [70] [158]

Neumann, Felix: [184]

Nicolai, Georg Friedrich: [146]

Nietzsche, Friedrich: [75] [171] [173]

Nikolaus II. (Nikolaus Alexandrowitsch Romanow): [146]

Nissen, Hermann: [6] [7] [8] [13] [43]

Oesterheld, Erich: [70]

Offenbach, Jacques: [205]

Ollendorff, Friedrich: [205]

Oppenheimer, Felix Hermann: [87]

Oppenheimer, Max: [62] [78] [145]

Osthaus, Gertrud: [146]

Osthaus, Karl Ernst: [146] [159] [162]

Otto, Walter F.: [83] [95] [107] [108] [110] [117] [120] [126]

Pagel, Gerhard: [108] [112] [113]

Paquet, Alfons: [184]

Parsenow, Kete: [9] [10] [11] [12] [14] [15] [17] [19] [20] [33] [42] [52] [53] [56] [57] [65] [69] [71] [80] [89] [91] [94] [95] [97] [98] [101] [108] [109] [112] [123] [152] [155] [161] [163] [165] [170] [176] [178] [183]

Parsenow, Marie: [42]

Parsenow, Wilhelm: [42]

Pfemfert, Franz: [23] [33] [56] [60] [132] [142] [143] [145] [146]

Pilartz, Theodor Caspar: [184]

Pilavachi, Margret: [203]

Plietzsch, Eduard: [66]

Pollak, Fritz: [139]

Przybyszewski, Stanisław: [89] [97]

Radecki, Sigismund von: [158] [176] [180] [181] [197]

Ramm, Alexandra: [142] [143] [145] [146]

Ramm, Maria: [146]

Rampolla del Tindaro, Mariano: [114]

Ramus, Pierre (urspr. Rudolf Großmann): [140] [146]

Rathenau,Walther: [184]

Rattke (Ratke): [41] [44]

Ray, Marcel: [117] [120]

Reibnitz, Kurt Freiherr von: [49]

Reichel, Karl Anton: [161]

Reicher, Emanuel: [180]

Reicher, Ernst Erwin: [180]

Reinhardt, Max: [80] [158] [170] [176] [201]

Reisner, Victor von: [31]

Richthofen, Hartmann von: [146]

Rilke, Rainer Maria: [54] [155] [173] [192]

Ring, Grete: [180]

Rittner, Thaddäus: [117] [120]

Rodin, Auguste: [38]

Rommel, Otto: [117] [120]

Rosenthal, F. (Arzt): [184]

Roslund, Nell: [67] [98] [99] [119]

Rossin-Rosenfeld, Hedwig: [41]

Rössler, Carl: [96]

Roth (Rechtsanwalt): [53]

Rowohlt, Ernst: [64] [75] [114] [197]

Rubiner, Frida: [145] [146]

Rubiner, Ludwig: [13] [59] [68] [145] [146]

Russolo, Luigi: [89]

Sachs, E. (Inhaber einer Konzertagentur): [178] [197]

Sachs, Robert: [178]

Salten, Felix: [87]

Scharf, Ludwig: [60]

Schaukal, Richard: [117] [120]

Scheffler, Johannes → Angelus Silesius

Scheid, Richard: [184]

Schennis, Friedrich von: [74]

Scheu, Robert: [71] [117] [120]

Schickele, René: [13] [68] [146]

Schiller, Friedrich: [37] [80] [127] [146] [178]

Schleich, Carl Ludwig: [52]

Schmidt-Pauli, Elisabeth von: [180]

Schnitzler, Arthur: [122]

Schönberg, Arnold: [107] [117] [120] [126]

Schönberg, Karl: [197] [198]

Schönwald, Erich (urspr. Franz Christel): [170]

Schubert, Franz: [169]

Schüler, Alfred Jacob: [144]

Schüler, Aron: [38] [45] [95] [97]

Schüler, Jeanette: [24] [38] [45] [75] [95] [97]

Schüler, Maximilian Moritz: [144]

Schüler, Paul Carl: [144]

Schulz, Karl: [184]

Schwabach, Erik-Ernst: [121] [123] [132] [139] [144] [152] [165]

Schwantje, Magnus: [184]

Schwarz, E. (Studienrat): [184]

Schwarzwald, Eugenie: [90] [180]

Severini, Gino: [89]

Seyferth, Karl Friedrich: [169]

Shakespeare, William: [17] [30] [60] [80] [89] [122]

Sichel, Nathaniel (Nathanael): [38]

Silcher, Friedrich: [119]

Simon, Ernst: [205]

Simon, Hugo: [180]

Simon, Julius: [205]

Slevogt, Max: [13]

Soergel, Albert: [81]

Sokrates: [170]

Solomonica, Alexander: [80]

Sonnenschein, Hugo: [173]

Sophokles: [158]

Soutzo, Hélène Prinzessin: [107] [126]

Spiegl Edler von Thurnsee, Edgar: [165]

Spiro, Mario: [13]

Stahl, Fritz: [68] [176]

Stahl, Reinhold: [176] [177]

Stein, Emil: [205]

Stern (Konzertagent): [121]

Stern, Julius: [146]

Sternheim, Thea: [184]

Steuermann, Eduard: [188]

Stoessl, Otto: [117] [120]

Stössinger, Felix: [13]

Stramm, August: [173]

Strindberg, August: [89]

Strobl, Karl Hans: [87]

Strub: [184]

Sutter, Berthold: [150] [152]

Swet, Gershon: [205]

Tesar, Ludwig Erik: [72] [117] [120]

Thannhauser, Heinrich: [62] [78] [172]

Thesing, Curt: [146]

Tobler, Max: [184]

Tobler-Christinger, Minna: [184]

Tolstoi, Leo (Lew): [171]

Trakl, Georg: [117] [120] [135] [148] [155] [157] [158] [173] [178] [196]

Trostel, Willi: [184]

Turnowsky, Walter: [205]

Uhland, Ludwig: [119] [127]

Ullmann, Ludwig: [85]

Valetti, Rosa: [56]

Vetter, Karl: [184]

Viertel, Berthold: [181] [190]

Vieweg, Willi: [184]

Vogeler, Heinrich: [184]

Vogt, Karl: [89]

Volkart, Otto: [184]

Wagner, Hermann: [117] [120]

Walden, Herwarth: [1] [2] [6] [7] [8] [10] [11] [13] [14] [15] [17] [18] [20] [21] [22] [23] [25] [28] [30] [31] [33] [34] [35] [36] [38] [41] [42] [43] [44] [46] [47] [49] [53] [56] [57] [58] [59] [60] [61] [62] [64] [65] [66] [67] [68] [69] [70] [71] [72] [74] [75] [76] [78] [79] [80] [82] [83] [84] [86] [89] [95] [96] [98] [99] [100] [101] [114] [119] [145] [146] [158] [167] [183] [184] [197]

Waldoff, Claire: [41]

Wäscher, Aribert: [178] [181] [186]

Wassermann, Jakob: [203]

Wassermann, Julie: [203]

Wauer, William: [56] [66] [70]

Wedekind, Frank: [112] [117] [120] [190]

Wedekind, Tilly (Mathilde): [112]

Wegler, Alfred: [184]

Weidenfeld, Leokardia: [205]

Weiß, Richard: [54] [62] [72] [83] [88] [155] [192]

Welti-Preiswerk, Franz: [184]

Werefkin, Marianne: [146]

Werfel, Franz: [68] [98] [105] [113] [115] [117] [120] [129] [132] [133] [139] [144] [148] [152] [155] [168] [169] [172] [173] [190] [192]

Werfel, Rudolf: [155]

Werthauer, Johannes: [184]

Wertheimer, Paul: [87]

Westphal, W. (Professor): [184]

Whitman, Walt: [171]

Wied, Pauline Fürstin zu: [71] [107] [118] [126] [151] [162]

Wied, Wilhelm Prinz zu: [151]

Wiener, Oskar: [112]

Wildgans, Anton: [200]

Wilhelm II. (Friedrich Wilhelm Viktor Albert von Preußen): [146]

Witkowski, Felix Ernst → Harden, Maximilian

Wittels, Fritz: [53]

Wittgenstein, Karl: [155]

Wittgenstein, Ludwig: [72] [155]

Wolfenstein, Alfred: [171] [173]

Wolff, Fritz: [152] [155]

Wolff, Kurt: [41] [70] [89] [91] [93] [94] [101] [108] [114] [121] [123] [132] [144] [152] [165] [169] [172]

Wolff, Theodor: [146]

Wormser, Martha Theresia: [38]

Wüllner, Ludwig: [181]

Wyss, Otto: [184]

Zech, Paul: [37] [68] [196]

Zille, Heinrich: [184]

Zur Mühlen, Hermynia: [184]

Zweig, Stefan: [117] [120]

Verzeichnis der Briefe und Dokumente

[1] Herwarth Walden, Rudolf Blümner und Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 28. Juli 1909

[2] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 17. August 1909

[3] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 19. August 1909

[4] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 22. August 1909

[5] Else Lasker-Schüler, Gedichte (›Siehst du mich –‹, ›Und suche Gott‹), ›Die Fackel‹ vom 11. Oktober 1909

[6] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, etwa Anfang November 1909

[7] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 8. Dezember 1909

[8] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, wahrscheinlich 19. Dezember 1909

[9] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 19. Januar 1910

[10] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 20. Januar 1910

[11] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 25. Januar 1910

[12] Else Lasker-Schüler, Gedichte (›Die Königin‹, ›Heimweh‹), ›Die Fackel‹ vom 31. Januar 1910

[13] Else Lasker-Schüler (Mitunterzeichnerin), Erklärung, ›Die Fackel‹ vom 31. Januar 1910

[14] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 2. Februar 1910

[15] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, kurz nach dem 2. Februar 1910

[16] Else Lasker-Schüler, Gedichte (›Ich bin traurig .....‹, ›Nun schlummert meine Seele ....‹), dem Brief an Karl Kraus vom 8. Februar 1910 beigelegt

[17] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 8. Februar 1910

[18] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 12. Februar 1910

[19] Else Lasker-Schüler, Ein Lied aus Gold, dem Brief an Karl Kraus vom 27. Februar 1910 beigelegt

[20] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 27. Februar 1910

[21] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus und Adolf Loos, 2. März 1910

[22] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 27. März 1910

[23] Else Lasker-Schüler und Herwarth Walden an Karl Kraus, 17. April 1910

[24] Else Lasker-Schüler, Karl Kraus (Essay), ›Der Sturm‹ vom 19. Mai 1910

[25] Karl Kraus an Else Lasker-Schüler und Herwarth Walden, 19. Mai 1910

[26] Karl Kraus, Meine Wiener Vorlesung [Hinweis], ›Die Fackel‹ vom 31. Mai 1910

[27] Freianzeige in der ›Fackel‹ vom 31. Mai 1910

[28] Herwarth Walden, Oskar Kokoschka und Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 23. Juni 1910

[29] Freianzeige in der ›Fackel‹ vom 20. Juli 1910

[30] Else Lasker-Schüler, Oskar Kokoschka (Essay), ›Der Sturm‹ vom 21. Juli 1910

[31] Herwarth Walden, Else Lasker-Schüler, Kurt Neimann, Oskar Kokoschka, Samuel Fridolin und Victor von Reisner an Karl Kraus, 21. Juli 1910

[32] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 6. Oktober 1910

[33] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, wahrscheinlich unmittelbar nach dem 6. Oktober 1910

[34] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, wahrscheinlich unmittelbar nach dem 6. Oktober 1910

[35] Freianzeige in der ›Fackel‹ vom 31. Oktober 1910

[36] Else Lasker-Schüler, Gedichte (›Weltende‹, ›Johann Hansen und Ingeborg Coldstrup‹, ›Streiter‹), ›Die Fackel‹ vom 31. Oktober 1910

[37] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, wahrscheinlich um den 22. November 1910

[38] Else Lasker-Schüler, Handschrift, ›Der Sturm‹ vom 24. November 1910

[39] Else Lasker-Schüler, Ein alter Tibetteppich, ›Die Fackel‹ vom 31. Dezember 1910

[40] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 2. Januar 1911

[41] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 5. (oder 12.) Januar 1911

[42] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, unmittelbar vor dem 21. Januar 1911

[43] Karl Kraus an Else Lasker-Schüler, 21. Januar 1911

[44] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, unmittelbar nach dem 21. Januar 1911

[45] Else Lasker-Schüler, Sterndeuterei, ›Die Fackel‹ vom 26. Januar 1911

[46] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, wahrscheinlich 27. Januar 1911

[47] Else Lasker-Schüler und Herwarth Walden an Karl Kraus, 8. März 1911

[48] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, vielleicht unmittelbar nach dem 8. März 1911

[49] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 13. März 1911

[50] Freianzeige in der ›Fackel‹ vom 31. März 1911

[51] Freianzeige in der ›Fackel‹ vom 31. März 1911

[52] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 22. April 1911

[53] Herwarth Walden und Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 26. April 1911

[54] Richard Weiß, Else Lasker-Schüler (Essay), ›Die Fackel‹ vom 29. April 1911

[55] Freianzeige in der ›Fackel‹ vom 29. April 1911

[56] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 30. April 1911

[57] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 4. Mai 1911

[58] Karl Kraus an Else Lasker-Schüler, 5. Mai 1911

[59] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 5. Mai 1911

[60] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 13. Mai 1911

[61] Vorlesung Karl Kraus [Programm, Auszug], 15. Mai 1911

[62] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, wahrscheinlich 17. Mai 1911

[63] Karl Kraus, Notizen [Auszug], ›Die Fackel‹ vom 18. Mai 1911

[64] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 21. Mai 1911

[65] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 4. Juni 1911

[66] Else Lasker-Schüler, William Wauer, Ernst Blass, Eduard Plietzsch, Kurt Hiller und Herwarth Walden an Karl Kraus, 1. August 1911

[67] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, wahrscheinlich Mitte September 1911

[68] Else Lasker-Schüler, Briefe nach Norwegen [2. Folge; Auszug], ›Der Sturm‹ vom [23.] September 1911

[69] Else Lasker-Schüler, Briefe nach Norwegen [4. Folge; Auszug], ›Der Sturm‹ vom [7.] Oktober 1911

[70] Else Lasker-Schüler, Briefe nach Norwegen [5. Folge; Auszug], ›Der Sturm‹ vom [14.] Oktober 1911

[71] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 14. Oktober 1911

[72] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 14. Oktober 1911

[73] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus und Oskar Kokoschka, 21. Oktober 1911

[74] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, etwa Anfang November 1911

[75] Else Lasker-Schüler, Briefe nach Norwegen [9. Folge], ›Der Sturm‹ vom [11.] November 1911

[76] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 11. November 1911

[77] Else Lasker-Schüler, Briefe nach Norwegen [12. Folge; Auszug], ›Der Sturm‹ vom [2.] Dezember 1911

[78] Karl Kraus, Notizen [Auszug], ›Die Fackel‹ vom 30. Dezember 1911

[79] Else Lasker-Schüler, Briefe nach Norwegen [17. Folge; Auszug], ›Der Sturm‹ vom [13.] Januar 1912

[80] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, wahrscheinlich kurz nach dem 22. Januar 1912

[81] Karl Kraus, Razzia auf Literarhistoriker [Hinweis], ›Die Fackel‹ vom 27. Januar 1912

[82] Else Lasker-Schüler, Briefe nach Norwegen [22. Folge; Auszug], ›Der Sturm‹ vom [17.] Februar 1912

[83] Else Lasker-Schüler, Karl Kraus, Walter F. Otto und Richard Weiß an Herwarth Walden, 12. März 1912

[84] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, vermutlich Mitte März 1912

[85] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 21. März 1912

[86] Freianzeige in der ›Fackel‹ vom 31. März 1912

[87] Karl Kraus, Razzia auf Literarhistoriker [Auszug], ›Die Fackel‹ vom 31. März 1912

[88] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 12. April 1912

[89] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 20. April 1912

[90] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 24. April 1912

[91] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, wahrscheinlich bald nach dem 24. April 1912

[92] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, wahrscheinlich bald nach dem 24. April 1912

[93] Freianzeige in der ›Fackel‹ vom 27. April 1912

[94] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 13. Mai 1912

[95] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 20. Mai 1912

[96] Karl Kraus, Notizen [Auszug], ›Die Fackel‹ vom 21. Juni 1912

[97] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 21. Juni 1912

[98] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 5. Juli 1912

[99] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 18. Juli 1912

[100] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 21. August 1912

[101] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, gegen Ende September 1912

[102] Else Lasker-Schüler, Hebräische Balladen [Widmung], erschienen Ende Oktober oder Anfang November 1912

[103] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, wahrscheinlich kurz nach dem 9. November 1912

[104] Freianzeige in der ›Fackel‹ vom 12. Dezember 1912

[105] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, unmittelbar nach dem 12. Dezember 1912

[106] Karl Kraus, Notizen [Hinweis], ›Die Fackel‹ vom 11. Januar 1913

[107] Pauline Fürstin zu Wied, Hélène Prinzessin Soutzo, Selma Lagerlöf, Karin Michaëlis, Richard Dehmel, Peter Nansen, Karl Kraus, Walter F. Otto, Adolf Loos, Arnold Schönberg, [Spendenaufruf zugunsten Else Lasker-Schülers], ›Die Fackel‹ vom 11. Januar 1913

[108] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, wahrscheinlich 26. Januar 1913

[109] Else Lasker-Schüler, [Offener Brief an das ›Berliner Tageblatt‹], ›Berliner Tageblatt‹ vom 12. Februar 1913

[110] Karl Kraus, Notizen [Auszug], ›Die Fackel‹ vom 5. März 1913

[111] Freianzeige in der ›Fackel‹ vom 5. März 1913

[112] Else Lasker-Schüler, Oskar Wiener, Karl Kraus, Frank und Tilly Wedekind, Kete Parsenow, Gerhard Pagel, Ludwig von Ficker, Franz und Maria Marc an Richard Dehmel, 31. März 1913

[113] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, etwa 10. April 1913

[114] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, wahrscheinlich unmittelbar vor dem 7. Mai 1913

[115] Freianzeige in der ›Fackel‹ vom 8. Mai 1913

[116] Freianzeige in der ›Fackel‹ vom 16. Juli 1913

[117] Freianzeige in der ›Fackel‹ vom 16. Juli 1913

[118] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 11. September 1913

[119] Else Lasker-Schüler, Briefe [2. Folge der ›Briefe und Bilder‹], ›Die Aktion‹ vom 20. September 1913

[120] Freianzeige in der ›Fackel‹ vom 13. Oktober 1913

[121] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 16. Oktober 1913

[122] Karl Kraus, Er ist doch ä Jud [Auszug], ›Die Fackel‹ vom 29. Oktober 1913

[123] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 31. Oktober 1913

[124] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 5. November 1913

[125] Karl Kraus, Unbefugte Psychologie [Hinweis], ›Die Fackel‹ vom 17. November 1913

[126] Karl Kraus, Notizen [Auszug], ›Die Fackel‹ vom 17. November 1913

[127] Karl Kraus, Notizen [Auszug], ›Die Fackel‹ vom 15. Dezember 1913

[128] Karl Kraus, Nachts [Auszug], ›Die Fackel‹ vom 15. Dezember 1913

[129] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 18. Januar 1914

[130] Freianzeige in der ›Fackel‹ vom 21. Januar 1914

[131] Karl Kraus, Notizen [Hinweis], ›Die Fackel‹ vom 21. Januar 1914

[132] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 12. Februar 1914

[133] Else Lasker-Schüler, Briefe und Bilder [10. Folge; Auszug], ›Die Aktion‹ vom 21. Februar 1914

[134] Karl Kraus, Notizen [Auszug], ›Die Fackel‹ vom 28. März 1914

[135] Karl Kraus, Notizen [Hinweis], ›Die Fackel‹ vom 28. März 1914

[136] Karl Kraus, Notizen [Auszug], ›Die Fackel‹ vom 28. März 1914

[137] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 31. März 1914

[138] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 15. April 1914

[139] Franz Werfel an Else Lasker-Schüler, nach dem 21. April 1914

[140] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 30. April 1914

[141] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 12. Mai 1914

[142] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 12. Mai 1914

[143] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 12. Mai 1914

[144] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 12. Mai 1914

[145] Franz Pfemfert an Else Lasker-Schüler, 14. Mai 1914

[146] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 16. Mai 1914

[147] Freianzeige in der ›Fackel‹ vom 18. Mai 1914

[148] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 23. Mai 1914

[149] Paul und Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 30. Mai 1914

[150] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 12. Juni 1914

[151] Else Lasker-Schüler, Der Malik. Briefe an den blauen Reiter Franz Marc [11. Folge der ›Briefe und Bilder‹; Auszug], ›Der Brenner‹ vom 1. Juli 1914

[152] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 6. Juli 1914

[153] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 9. Juli 1914

[154] Else Lasker-Schüler, Der Prinz von Theben [Widmung], erschienen im Sommer 1914

[155] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 27. April 1915

[156] Else Lasker-Schüler, Briefe an den blauen Reiter [12. Folge der ›Briefe und Bilder‹; Auszug], ›Die Aktion‹ vom 7. August 1915

[157] Else Lasker-Schüler, Georg Trakl (Gedicht), dem Brief an Karl Kraus vom 14. Oktober 1915 beigelegt

[158] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 14. Oktober 1915

[159] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, etwa Ende Oktober 1915

[160] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, etwa Ende Oktober 1915

[161] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, etwa 2. Dezemberhälfte 1915

[162] Karl Ernst Osthaus an Else Lasker-Schüler, 9. Mai 1916

[163] Else Lasker-Schüler, Der Malik (dem blauen Reiter Franz Marc) [13. Folge der ›Briefe und Bilder‹], ›Neue Jugend. Monatsschrift‹ vom Juli 1916

[164] Karl Kraus, Notizen [Auszug], ›Die Fackel‹ vom 1. April 1917

[165] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 19. Mai 1917

[166] Else Lasker-Schüler, Die gesammelten Gedichte [Widmung], erschienen im Sommer 1917

[167] Karl Kraus, Notizen [Hinweis], ›Die Fackel‹ vom 9. Oktober 1917

[168] Karl Kraus, Ich und das Ichbin [Auszug], ›Die Fackel‹ vom 15. Oktober 1918

[169] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 25. Februar 1919

[170] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 20. August 1919

[171] Karl Kraus, Literatur [Auszug], ›Die Fackel‹ vom Januar 1920

[172] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 5. März 1920

[173] Karl Kraus, Ein neuer Mann [Auszug], ›Die Fackel‹ vom Juli 1920

[174] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 29. Dezember 1920

[175] Karl Kraus, Zur Sprachlehre [Auszug], ›Die Fackel‹ vom Juni 1921

[176] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 8. Juli 1921

[177] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 15. Juli 1921

[178] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 12. Dezember 1921

[179] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 26. Dezember 1922

[180] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 17. Dezember 1923

[181] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 5. März 1924

[182] Karl Kraus an Else Lasker-Schüler, vielleicht unmittelbar nach dem 5. März 1924

[183] Karl Kraus, Die Berliner Aufführung [Hinweis], ›Die Fackel‹ von Anfang Juni 1924

[184] Karl Kraus und Else Lasker-Schüler (Mitunterzeichner), Amnestie für die Justizopfer!, ›Die Welt am Abend‹ (Berlin) vom 13. Mai 1925

[185] Karl Kraus, Notizen [Auszug], ›Die Fackel‹ von Ende März 1926

[186] Karl Kraus, Notizen [Auszug], ›Die Fackel‹ von Ende März 1926

[187] Karl Kraus, Korybantisches [Hinweis], ›Die Fackel‹ vom Oktober 1926

[188] Karl Kraus, Notizen [Auszug], ›Die Fackel‹ vom Dezember 1926

[189] Karl Kraus, Notizen [Hinweis], ›Die Fackel‹ vom Dezember 1926

[190] Karl Kraus, Notizen [Hinweis], ›Die Fackel‹ vom Februar 1927

[191] Vorlesung Karl Kraus [Programm, Auszug], 5. März 1927

[192] Karl Kraus, Der Reim [Auszug], ›Die Fackel‹ vom April 1927

[193] Karl Kraus, Glossen [Hinweis], ›Die Fackel‹ vom Mai 1927

[194] Karl Kraus, Notizen [Hinweis], ›Die Fackel‹ vom Mai 1927

[195] Karl Kraus, Epigramme [Widmung], erschienen im September 1927

[196] Karl Kraus, Aus Redaktion und Irrenhaus [Auszug], ›Die Fackel‹ von Anfang Juni 1928

[197] Else Lasker-Schüler an Karl Kraus, 11. Oktober 1928

[198] Karl Kraus, Der größte Schriftsteller im ganzen Land [Hinweis], ›Die Fackel‹ von Anfang Dezember 1928

[199] Karl Kraus, Notizen [Hinweis], ›Die Fackel‹ von Anfang August 1929

[200] Karl Kraus, Um Wildgans [Auszug], ›Die Fackel‹ von Mitte Mai 1931

[201] Karl Kraus, Der Kontakt [Hinweis], ›Die Fackel‹ von Ende Juli 1931

[202] Else Lasker-Schüler, Der Tibetteppich, dem Brief an Helene Kann vom 25. April 1934 beigelegt

[203] Else Lasker-Schüler an Helene Kann, 25. April 1934

[204] Else Lasker-Schüler an Helene Kann, 13. Juni 1936

[205] Else Lasker-Schüler an Emil Stein, 22. Januar 1942