Else Lasker-Schüler: Theben (1923)
Aktualisiert: 20. März 2024
[Bl. 2r]
Paolo Pedrazzini
dem Dogen von Locarno
[Bl. 3r]
Else Lasker-Schüler
Theben
Gedichte und Lithographieen
Querschnitt-Verlag
Frankfurt a/M-Berlin
1923
[Bl. 5r] Gebet
Ich suche allerlanden eine Stadt,
Die einen Engel vor der Pforte hat.
Ich trage seinen großen Flügel
Gebrochen schwer am Schulterblatt
Und in der Stirne seinen Stern als Siegel.
Und wandle immer in die Nacht .....
– Ich habe Liebe in die Welt gebracht! –
Daß blau zu blühen jedes Herz vermag,
Und hab ein Leben müde mich gewacht,
In Gott gehüllt den dunklen Atemschlag.
O Gott, schließ um mich deinen Mantel fest.
Ich weiß, ich bin im Kugelglas der Rest,
Und wenn der letzte Mensch die Welt vergießt,
Du mich nicht wieder aus der Allmacht läßt
Und sich ein neuer Erdball um mich schließt.
[Bl. 5v] Meine Mutter
War sie der große Engel,
Der neben mir ging?
Oder liegt meine Mutter begraben
Unter dem Himmel von Rauch –
Nie blüht es blau über ihrem Tode.
Wenn meine Augen doch hell schienen
Und ihr Licht brächten.
Wäre mein Lächeln nicht versunken im Antlitz,
Ich würde es über ihr Grab hängen.
Aber ich weiß einen Stern,
Auf dem immer Tag ist,
Den will ich über ihre Erde tragen.
Ich werde jetzt immer ganz allein sein
Wie der große Engel,
Der neben mir ging.
[Bl. 6r] Jussuf modelliert seine Mutter
[Bl. 6v] Jussuf und sein teurer Bruder Bulus im Tempel
[Bl. 7r] Versöhnung
Es wird ein großer Stern in meinen Schoß fallen …
Wir wollen wachen die Nacht,
In den Sprachen beten,
Die wie Harfen eingeschnitten sind.
Wir wollen uns versöhnen die Nacht –
So viel Gott strömt über.
Kinder sind unsere Herzen,
Die möchten ruhen müdesüß.
Und unsere Lippen wollen sich küssen,
Was zagst du?
Grenzt nicht mein Herz an deins –
Immer färbt dein Blut meine Wangen rot.
Wir wollen uns versöhnen die Nacht,
Wenn wir uns herzen, sterben wir nicht.
Es wird ein großer Stern in meinen Schoß fallen.
[Bl. 7v] Mein Volk
Der Fels wird morsch
Dem ich entspringe
Und meine Gotteslieder singe ....
Jäh stürz ich vom Weg
Und riesele ganz in mir
Fernab, allein über Klagegestein
Dem Meer zu.
Hab mich so abgeströmt
Von meines Blutes
Mostvergorenheit.
Und immer, immer noch der Widerhall
In mir,
Wenn schauerlich gen Ost
Das morsche Felsgebein,
Mein Volk,
Zu Gott schreit!
[Bl. 8r] Imre trägt die heilige goldene Schlange
[Bl. 8v] Der Bund der wilden Juden
[Bl. 9r] Senna Hoy
(Sascha.)
Seit du begraben liegst auf dem Hügel,
Ist die Erde süß.
Wo ich hingehe nun auf Zehen,
Wandele ich über reine Wege.
O deines Blutes Rosen
Durchtränken sanft den Tod.
Ich habe keine Furcht mehr
Vor dem Sterben.
Auf deinem Grabe blühe ich schon
Mit den Blumen der Schlingpflanzen;
Deine Lippen haben mich immer gerufen,
Nun weiß mein Name nicht mehr zurück.
Jede Schaufel Erde, die dich barg,
Verschüttete auch mich.
Darum ist immer Nacht an mir,
Und Sterne schon in der Dämmerung.
Und ich bin unbegreiflich unseren Freunden
Und ganz fremd geworden.
Aber du stehst am Thor der stillsten Stadt
Und wartest auf mich, du Großengel.
[Bl. 9v] Marië von Nazareth
Träume, säume, Marienmädchen –
Überall löscht der Rosenwind
Die schwarzen Sterne aus.
Wiege im Arme dein Seelchen.
Alle Kinder kommen auf Lämmern
Zottehotte geritten
Gottlingchen sehen
Und die vielen Schimmerblumen
An den Hecken
Und den großen Himmel da
Im kurzen Blaukleide!
[Bl. 10r] Marieë
[Bl. 10v] Prinz Jussufs Morgenmusik
[Bl. 11r] Ein alter Tibetteppich
Deine Seele, die die meine liebet,
Ist verwirkt mit ihr im Teppichtibet.
Strahl in Strahl, verliebte Farben,
Sterne, die sich himmellang umwarben.
Unsere Füße ruhen auf der Kostbarkeit,
Maschentausendabertausendweit.
Süßer Lamasohn auf Moschuspflanzenthron
Wie lange küßt dein Mund den meinen wohl
Und Wang die Wange buntgeknüpfte Zeiten schon?
[Bl. 11v] Ein Lied
Hinter meinen Augen stehen Wasser,
Die muß ich alle weinen.
Immer möcht ich auffliegen,
Mit den Zugvögeln fort!
Buntatmen mit den Winden
In der großen Luft.
O ich bin so traurig – – –
Das Gesicht im Mond weiß es.
Drum ist viel sammtne Andacht
Und nahender Frühmorgen um mich.
Als an deinem steinernen Herzen
Meine Flügel brachen,
Fielen die Amseln wie Trauerrosen
Hoch vom blauen Gebüsch.
Alles verhaltene Gezwittscher
Will wieder jubeln!!
Und ich möchte auffliegen
Mit den Zugvögeln fort!!
[Bl. 12r] Jussuf geht mit seinem Straus spazieren
[Bl. 12v] Schlôme
[Bl. 13r] Joseph wird verkauft
Die Winde spielten müde mit den Palmen noch.
So dunkel war es schon um Mittag in der Wüste,
Und Joseph sah den Engel nicht, der ihn vom Himmel grüßte,
Und weinte, da er für des Vaters Liebe büßte,
Und suchte nach dem Cocos seines schattigen Herzens doch.
Der bunte Brüderschwarm zog wieder nach Gottosten
Und er bereute seine schwere Untat schon,
Und auf den Sandweg fiel der schnöde Silberlohn.
Die fremden Männer aber ketteten des Jakobs Sohn,
Bis ihm die Hände drohten mit dem Eisen zu verrosten.
So oft sprach Jakob inbrünstig zu seinem Herrn,
Sie trugen gleiche Bärte, Schaum von einer Eselin gemolken.
Und Joseph glaubte jedesmal, sein Vater blicke aus den Wolken ...
Und eilte über heilige Bergeshöhn, ihm nachzufolgen –
– Bis er dann ratlos einschlief unter einem Stern.
Die Käufer lauschten dem entrückten Knaben.
Des Vaters Andacht atmete aus seinem Haare;
Und sie entfesselten die edelblütige Waare,
Und drängten sich zu tragen, Canaans Prophet in einer Bahre,
Wie die bebürdeten Kameele durch den Sand zu traben.
Ägypten glänzte feierlich in goldenen Mantelfarben,
Da dieses Jahr die Ernte auf dem Salbtag fiel.
Die kleine Karawane, endlich nahte sie dem Ziel.
Sie trugen Joseph in das Haus des Potiphars am Nil.
An seinem Traume hingen aller Deutung Garben.
[Bl. 13v] Gott hör ....
Um meine Augen zieht die Nacht sich
Wie ein Ring zusammen.
Mein Puls verwandelte das Blut in Flammen
Und doch war alles grau und kalt um mich.
O Gott und bei lebendigem Tage
Träum ich vom Tod.
Im Wasser trink ich ihn und würge ihn im Brot.
Für meine Traurigkeit fehlt jedes Maß auf deiner Waage.
Gott hör, in deiner blauen Lieblingsfarbe,
Sang ich das Lied von deines Himmels Dach.
Und wurde doch für deinen ewigen Hauch zu wach.
Mein Herz schämt sich vor dir fast seiner tauben Narbe.
Wo ende ich – o Gott! Denn in die Sterne,
Auch in den Mond sah ich in alle deiner Früchte Thal.
Der rote Wein wird schon in seiner Beere schaal
Und überall die Bitterniß in jedem Kerne.
[Bl. 14r] Jussuf geht zu Gott
[Bl. 15r]
Ich schrieb die Verse dieses Buches und zeichnete die Bilder dazu auf den Stein bei A. Ruckenbrod in Berlin, der das Buch in 250 Exemplaren für die Querschnitt-Verlags Aktiengesellschaft in Frankfurt am Main druckte. Die Zeichnungen der ersten 50 Bücher colorierte ich mit der Hand. Das Buch erscheint als
24. Flechtheim Druck.
Dieses Buch trägt die Nummer
[Stempel]
Else Lasker-Schüler
Anmerkung
[*] Die Zeichnungen sind dem kolorierten Exemplar Nr. 37 entnommen: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg.