Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Zürich, Sonntag, wahrscheinlich 22. November 1936
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Sonntag
Lieber Mill.
Ich habe da so einen unerhört materiellen Brief von S. Fischer Verlag, darin Dr. Maril scheints nicht mehr arbeitet, bekommen, morgen gehe ich sofort zum Anwalt hier. Ich glaube sie haben gar nicht mehr das Recht nach 4 Jahren den Vertrieb – zu halten, da der Vertrieb gewechselt. Sagten mir nichts. Das wird auch Dr. Rosenbaum hier sagen. Ich fragte Sie ja nur an, nicht um zu sparen, hier fordert Niemand von mir. Aber mit Ihnen wollt ich teilen. Ich bin – Ihnen nicht Idealistin genug – und ich wäre wirklich gespannt [2] noch eine – ja – fast verbrecherisch größere kennen zu lernen. 19 Bücher, arm wie eine Kirchenmaus. 2 Schauspiele – und allein 84 Bilder in der Else L-Sch Mappe Kronprinzenmuseum Berlin und erst – Millionenreich! Gedankenstrich. Und dazu die 100 Frc. die man mir wehmütig oder ich wehmütig acceptiere – nicht ganz behaltende muß ich doch Krämerin sein! Donnerwetter noch mal, dreimal unterm Tisch gespuckt! Aber Sie behaupteten ja direkt nie so was, aber doch durch eine Birnenblume manchmal die Askese, die der oder Jener treibt. Zu Ihrer Beruhigung um das Heil meiner Seele muß ich Ihnen doch nun beichten, daß die Reise nach Mailand so ungef. 37 Frc. kostete oder 38 und die ganze [3] Fahrt, so an 50 Frc. Und ich hatte von den 100 schon vorher Miete 14 Tage bezahlt 30 Frc. und von 20 Frc. lebte ich oder – bis vorgestern. Daß ich sehr zugenommen brauch ich doch nicht sagen – nur malen konnt ich nicht, denn dazu gehört unbewußte Kraft. Aber ich klagte ja nicht und, – ich verbitte mir jede Condulation. oder do? Es geben Emigranten, die leben von rohen Kartoffelschaalen. Heine, sei doch auch verhungert, gab mir eine Tante hier zur Antwort. Ich klage nicht, aber fast die ganze Menschheit sind Nazis ohne – Beschäftigung. Ich bin, da ich ein Herz behielt nur zu Dr. Curty gegangen, ich mußte zu Fuß gehen, da ein guter Engel an mein Herz pochte. [4] Auch spricht die heilige Kabalah von der Unterlassungssünde. Ich will keine Sensation noch mich vortun. Auch möchte ich nimmermehr froh werden, ja schon der Wunsch wäre eine Gemeinheit von mir. Aber ich möchte einen Gedanken haben und hatte einen, der nun schon länger gerissen ist, der mich unter einem – »Wurzelmenschen« brächte, an dessen Zweigen liebe Dinge wachsen wie – Speculatius, vergoldete Nüsse und vergoldete Äpfel und Apfelsinen. Mehr wollte ich nicht. Was sollen die Geschäftscouverts. Sie liegen Ihnen ja nicht – darum frage ich. Auch fürchte ich, Sie lesen meine Briefe Ihrer Geliebten (häßlich Wort) vor. Und den Prinzen von Tiba [Mondsichel mit Stern] kann man nicht ins selbe Etui oder Portefeuille mit irgend einem Zweiten oder einer Zweiten legen.
[5] Ich schrieb eben Dr. Gafner Karte, von der Annahme meines Stücks, das er liebt. Hat er Sie noch nicht gerufen?
Und vielleicht können Sie Dr. Curty assistieren in Chur? Antwort!
Wie Sie wollen?
Dr. Curty liebt meine Gedichte, und würde hören.
[Frauenkopf im Profil mit Federschmuck]
Oscar Grün sandte 2 Proben aus meinem Buch.
Am 1. Dez. läuft sicher Contrakt: Dr. Oprecht.
Ich habe gestern 20 bekommen für Gedicht.
War im Golem – 2 × hintereinander.
Herrlich! Zustand Berlins ähnlich.
Erkälten tue ich mich fast nie, da ich von Kind an Abreibungen kalt u. Fichtennadelextrakt morgends und abends heiß. Und mich der Regen ganz gern hat.
[4] Ich bin müde – sehr! Trotzdem alles im Gang, gerade darum!
Mein Buch im Druck! Mein Schauspiel in der Werkstatt. Bin heute wieder Theater eingeladen
Anmerkungen
Quelle: The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 68).