Aktualisiert: 18. April 2025
1. November. 37.
[Kopf im Halbprofil mit Fes]
Lieber Mill.
Mein Handgelenk ist wieder rostig. Das kommt gewiss von vielem Wallnussaufkrachen. Und dazu steht jetzt meine Maschine auf dem Tisch und ich brauch nur den Bogen eindrehen. Ich hatte die Wochen so viel zu tun, hoffe das bald alles besser wird. Ein Mensch hier, derselbe der die Caution für Jerusalem hinterlegte, hat mit mir eindringlich gesprochen. Wir warten ab wie die Abrechnung ausfällt Oprecht. Er rührt sich dann für mich Herr Guggenheim. Bitte Namen unter uns, Frau Farbstein hat mit ihm telephoniert da er stets nett zu mir war. Als ich ihm dann schliesslich mein neustes Gedicht vorlas, verschwand er und kam mit 75 wieder und erst tat ich so dann »sowieso« und dachte besser ich geh ins Cinema als dass es liegt in Cassassa bei ihm Punkt. Eben Miete bezahlt und ich kann wieder 14 Tage und Nächte wohnen. »Wer kennt euch nicht ihr dunklen Mächte.« Wir sind alle so ein bischen Appachen geworden. In Berlin hatten wir im Fall einer Mobilmachung Arzt und Anwalt. Sanitätsrat Magnus Hirschfeld fand dann immer was am Puls oder im Gehirne und Dr. Benn, der wieder umgekehrt, auch irgend ein Symtom Und Dr. Kalischer der Anwalt selbst ein Durchgänger der uns half. Selekt in der Regie ein Glück der Emigranten. Unser Wohnzimmer. Kurt Reiss alles unterschrieben. Er hat schon Reclame gemacht für mich, bevor unterschrieben. Das imponiert mir. Arnold Schönberg der grosse Musiker nun in Hollywood schrieb mir er will gern Music zu meinem Arthur Aronymus machen und gab mir Adresse an Regisseur. Nun schickt Reiss Buch zu ihm. A. Sch. War mir und meinen Dichtungen immer gewogen schrieb manchmal Grüsse aus Wien. Also vielleicht rapple ich mich rauf. Die Haare sind mir schon ausgefallen, aber die Büschel sind wieder gewachsen durch Klettenwurzelöl. Inl. die Zeitungsadresse etc Sie ist so dick gar nicht zum senden. Les nouvelles Litteraire heisst sie. von Samedi 9. Octobre 37. Die Kritik heisst: Else Lasker-Schüler et la Feerie de Jerusalem. Darunter als Überschrift Un poete du Temps et de L)Espace –
Vielleicht bekommen Sie die Zeitung in Bern. Franz Werfel hat gestern im Theater zu Marianne Rieser gesagt, der Aronymus ist mein Lieblingsstück und es muss wieder aufgeführt werden! Wir sprechen uns um 6 heute wieder. Ich kann das nur erzählen.
[2] Sein Schauspiel eine Fuge eine Traurigkeit, die zu schwer ist für Publikum. Ich danke Ihnen nochmals für Anruf. Man braucht nicht immer gewinnen mit seiner Rede, sie kann auch eben so gross sein wie die gewinnende. Man sollte oft ein Schaaf kommen lassen das verteidigt um Verständniss zu erzielen unter der Heerde. (Ich müsst verteidigen, mäeeeeen. Freue mich wenn Sie mal wieder kommen. Wär so schön Sie sagten vorher. Wir ässen dann bei mir oben lauter Allerlei und ich denke dann ich bin was zuhaus. Aber so was begreifen Sie wohl aber sind zu eng mir die Freude zu gönnen. Ich geb schon nicht zu viel aus. Bin Ihnen noch 20 Frank schuldig. Ich wart bis Sie – – – vergessen. Ich geh lieber dafür ins Cinema zu einem Stück das ich schon 10 Mal sah.
Ich bin dabei ein neues Buch zu schreiben, sende Ihnen sofort den Anfang 7 oder 8 Seiten sowie kommt. Auch das Gedicht. Soll ich es Ihnen Orginal Handschrift senden? Für einen Frank den ich dann abziehe von den 20? Oder nicht? Warum so eine traurige Karte? Ich empfand direct einen Schmerz auf der Post in der Frühe. Nun muss ich schliessen da ich bei Frl. Messerli sein muss 2 Uhr. Ich sende Ihnen liebe Grüsse wie stets lieber Mill und gedenken Sie meiner. Ihre Dichterin
[3] [Vase mit Blumen]
Dr. Oprecht sehr beglückt da sehr gute Besprechungen. Ich atme für ihn auf.
Anmerkungen
Quelle: The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 42). Druck: Else Lasker-Schüler, Werke und Briefe. Kritische Ausgabe. Im Auftrag des Franz Rosenzweig-Zentrums der Hebräischen Universität Jerusalem, der Bergischen Universität Wuppertal und des Deutschen Literaturarchivs Marbach am Neckar hg. von Andreas B. Kilcher [ab Bd. 9], Norbert Oellers, Heinz Rölleke und Itta Shedletzky. Bd. 10: Briefe. 1937–1940, bearbeitet von Karl Jürgen Skrodzki und Andreas B. Kilcher, Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2009, S. 88–90.
Auch das Gedicht. • Eventuell ist das Gedicht »Herbst« gemeint (Manuskript im Nachlass von Emil Raas erhalten):
»Herbst
Ich pflücke mir am Weg das letzte Tausendschön ......
Es kam ein Engel mir – mein Totenkleid zu nähen;
Denn ich muß andere Welten weiter tragen.
Das ewige Leben ›dem,‹ der viel von Liebe weiß zu sagen
Ein Mensch der Liebe kann nur auferstehen!
Haß schachtelt ein wie hoch die Fackel auch mag schlagen.
Ich will dir viel viel Liebe noch zum Abschied sagen.
Wenn auch schon kühle Stürme wehen,
In Wirbeln sich um Bäume drehen,
Um Herzen, die in ihren Wiegen lagen.
Mir ist auf Erden weh geschehen –
Der Mond giebt Antwort dir auf deine Fragen.
Er sah verhängt mich – auch an Tagen,
Die zaghaft ich beging auf Zehen.
Es rosten alle Blätter der Alleen .....
Und viele ihrer Früchte faulen auf den Seen.
Else Lasker-Schüler
Nur für Mill«
Im Brief an Emil Raas vom 17. November 1937 (s. [Brief 186]) kündigt Else Lasker-Schüler die Übersendung einer Gedichthandschrift für den folgenden Tag an.