Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Zürich, Montag, 12. Dezember 1938
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12. Dez. 38.
Lieber Mill.
Verzeihen Sie aber ich vergess immer, dass ich am Telephon steh ich hab nämlich immer bis jetzt sogar noch gesprochen was ich dachte, obs auch 100 Menschen hören. Ich kann nicht mehr ertragen aber, wenn man mich fragt wies mir geht etc. Das erlaub ich keinem Menschen, die mir ja doch nie halfen noch helfen würden noch geholfen haben. An Geld denk ich nicht. Verweigerte ja das Bilet nach Bern dass Sie mir damals sandten. Uns arme Subjekte immer wieder zu fragen, wie es uns geht macht nicht allein mich rasend aber alle die wir flüchten mussten. In Ascona hat ein Schriftsteller einem reichen deutschen Einwohner ins Gesicht geschlagen darum. Sie der so von sich entzückt nicht anders verstehen kann als ob die Madame Absichten der monsieur etwa fressen will, dürfen mich auch nicht mehr fragen wann ich reise? Verbiete Ihnen aber Sich zu erkundigen denn der Tag meiner Abreise geht nur mich an. Und ich leide unter dem Warten. Erkundigen Sie Sich vorsichtig bitte, wie oft ich auf der Fremdenpolizei? Und wie oft brit. Consulat bei Miss Hertel. Ich komme fort, die anderen kommen überhaupt nicht fort. Hier im Lande habe ich Unglück oder ich bin genötigt Consessionen zu machen. Das liegt mir nicht. Ich bin müde und innerlich vereinsamt unter den hiesigen keineswegs grosszügigen Leuten und auch die meisten Emigranten sind fast alle kleinlich. Ich bin froh wieder nach Jerusalem zu kommen. Ja ich kanns nicht erwarten. Ich hab nichts hier zu verlieren, aber die Schweiz weiss nicht wer in ihren Bergtoren war. Das ist mein Ernst. Ich bin zu Grunde gegangen vor innerer Einsamkeit. Wohl begegneten mir feinere Menschen, aber uns trennte das Schicksal in Verkleidung eines Verleumderischen Costume. Ein Costume trennte uns, fand ich eine Wiese mal. Wenn Sie Job sehen, er soll mich sofort besuchen, da ich ihm Neues erzählen muss. Ich dachte er sei gerade bei Ihnen gewesen. Ich komm [2] niemehr in die Schweiz. Verleidet ist sie mir und seine kleinlichen Menschen. Einer gönnt den Zweiten nichts.
Ich glaube nicht dass mich ein paar Freunde in Gerusalemme weiter das Bettelleben führen lassen, mit Leuten dort sprechen falls ich heil bleibe. Ich hab einen schönen Vers gedichtet der schützt mich wie eine Mauer:
Und es stehn zu meinen beiden Seiten,
David und zur rechten Jonathan.
Ich habe eine grosse Arbeit morgen fertig, die liess mich auch spät am Abend keine Zeitung lesen. Aber weiss doch. Es schnellt, bellt aus der Luft. Man fühlt schon die Situation. Aber die Menschen der Welt sind verloren. man kann ihr Gemüt nicht mehr zählen es ist eingedrocknet. Oder nur hier, Sie hatten nie eine Ahnung von mir und oft wunderte ich mich. Ich grüsse Sie
Ich wollte immer nur – die Liebe und dieser schöne himmlische Wunsch, ist mir auch verblüht. Da soll man nicht die Menschheit hassen.
Anmerkungen
Quelle: The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 53).