[49] Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Zürich, Samstag oder Sonntag, 26. oder 27. Januar 1935
26. oder 27. 1. 35
Mill.
Das Universum, mich wissentschaftlich ausdrückend ist so gross, und die vorangegangene Weltgeschichte und die noch kommende, da kommts gar nicht darauf an, ob so ein Indianer einem Weissgesicht schreibt oder nicht. Oder doch? Man weiss so gar nichts. Sie? Seitdem ich eine ungeheure Angst als kleines Kind hatte, am Abend immer, der Mond und seine goldenen Schäflein könnten herab fallen – – – mir gerade auf den Kopf, – seitdem kenne ich keine Angst mehr – und darum tu ich auch alles was mir einfällt. Unterlassungen – sind ja meist Aengstlichkeiten oder gar Sündigkeiten. Und ich bin nicht vom Bürger aus der Kommode zu holen, gar wegen Falschheit zur Rede zu stellen, vor Gericht abzuurteilen. Die Wolke wo ich her bin, bedeckt alles und unbewölkt bin ich ja nie, sehr sehr selten: Blau. Nun consultieren Sie sicher wieder, ich bin von schwindligmachenden Grössenwahn, immer wenn ich mit Selbstentwertung abwechsele? Das mag sein, denn ich muss mich doch oben halten. Denken Sie nur ich käm ganz vor dem Hund. Unten in den Niederungen der kleinsten Frau dem geringsten Mann bin ich nicht gewachsen und da ging es mir dann fatal. Ich erzählte ohne Ihren Namen zu nennen, ich betone das! einer klugen Frau hier, die ich sehr gern hab, unsere Streitigkeiten immerzu. Sie wollte durchaus Ihren Namen Ihre Adresse wissen, ja ich sollte das Couvert schreiben, sie wollte ohne Ihren Namen zu kennen, Ihnen über mich schreiben, als ich ihr erzählte, dass Sie mich falsch einschätzten trotz der vielen Geschichten und Gedichte und der Ehrlichen Briefe die ich Ihnen schrieb, Sie vermuteten: böswillig schreibe ich meine Maschinenschrift auf einmal! Sie doch nur meine Hände ablöst, die müde von vieler nächtlicher Schreiberei seien für Zeitungen und Bureauarbeiten, und Sie immer mich in Verdacht haben wie ich auch spreche. Als ich ihr dann noch dazu erzählte, ich habe unbegreiflicher Weise den schrecklichen Ausdruck für Kinder gebraucht, meinte sie wenn ich ihrs nit anvertrauen möchte, ich selbst an Sie schreiben soll schon damit Sie mir diesen Brief in Interesse meiner – – – grossen – – – Dichtung wiedersenden, denn ein Brief selbst in des Allerfeinsten Bewahr, könne doch in falsche Hände kommen, und das wäre ein riesiger Fleck die ich meiner Dichtung ewiger Zeit hinterlassen würde. Zumal ich immer gut und nie schlecht zu Kindern bin und war, früher noch mehr, und ausserdem sei dieser Ausdruck eine Unwahrheit. Und da will ich mir lieber das Herz nehmen, die ganze Wahrheit einzugestehn wieso mir das wie ein trüber Tropfen vom Dach auf die Schreibmaschine fiel. Erstens bin ich mal sehr eifersüchtig das sind alle Enkel von Spaniern. Mein Grossvater war Spanier das lesen Sie ja in meinem Buch Arthur Aronymus. Dann aber die Hauptsache die mich nicht wie sonst Dinge traurig machen, die mich sehr erbitterte, war die dass ich so in Not war, auch mir so lumpig vorkam, dass ich beschloss, meine Miete nicht mehr zur Hälfte anzunehmen, und auch Hunger kam dazu und der Schmerz über einen Schwindler, der mit meinem Namen sich grosse Summen erschwindelte in der Gemeinde, mir die Leute schrieben, ich hätte so viel bekommen und nun nicht mehr. Da kam alles heraus, und sie glaubten mir nicht da noch dazu der Schwindler, dem es sicher schlecht ging, nach Paris entfloh, da er noch Studenten, – – – seinen Freunden – – – – Geld aus der Manteltasche gestohlen oder aus dem Portemonnaies wenn die eben mal ihr Zimmer verliessen. Ich habe Ihnen das nie geschrieben, denn ein Mensch in Not richte ich nicht. Und ich kann Ihnen nur sagen, dass ich ihm noch das Billett besorgte zu fliehen. Da er menschlich immer zu mir war. Und die Studenten grosse Moralschreier mich zuerst mitbeschuldeten heimlich. Aber ich habe nie irgend eine Einladung des Geflohenen angenommen. Da hab ich mein Leben auf die Strasse geworfen. Stand manche Nacht – das wissen nur Sie jetzt – an Hotels, am Morgen hatte ich meist alles vergessen wie Trance. Und da ich der festen Ueberzeugung war oder es fühlte, dass eine seelische Schändung eine viel nachhalterende und tiefere sei, tröstete ich mich. Da war meine einzige Freude Ihre ehrlichen reinen Briefe, waren es auch Brocken, die Sie einem fürstlichen umhergetriebenen Hund hinwarfen. Stand nicht Dante an der Mauer und wartete auf den Stern. Diese Erniederung ist als erste Geste in den Himmel sehen zu können. Wer sich sofort auf eine Leiter stellt, guckt aufs Dach – allenfalls. Nun kam mein grosser Schmerz – mein Herz erkaltete für Sie. Das ist wie eine Operation. Die man nicht mehr plötzlich allein war, wird nach und nach die Welt zur Zelle. Glauben Sie bitte, dass ich ernst bin, nun da ich Ihnen dies schreibe. Aber fern liegt es mir Sie anzuklagen oder Sie je beschuldigt zu haben. Nur dass Sie mir manchmal Zucker sehr dürftig streuten oder glaubten streuen zu müssen und nicht freigebiger waren, ja geizten und doch nicht ganz mein Wort verlieren wollten. Ich fühle schon immer klar die Dinge und noch nie im Leben nahm ich mir was auf meinem Teller lag, geschweige was nicht auf meiner Schüssel lag und doch haben Sie mich stets zu den Bürgerlichsten gerechnet. Ich wollte instinktiv eine ganz strahlende Liebe 10 Meter hoch über den Erdboden, darauf so viele Banalitäten vorgehen. Ich muss sagen paradox: Sie glaubten den Sternen nicht da – – – – sie leuchten, Sie glaubten dem Wort nicht, da es klang. Und sind doch ein Dichter. Das zog mich vielleicht zu Ihnen damals – aber darüber dachte ich nicht. Habe Sie doch nie missbraucht in alltäglichen Dingen. Ich weiss noch nicht einmal, ob Sie Brüder haben, ob der Garten mit den Kastanienbäumen Ihnen gehört? Ob Sie noch Schwestern haben? Nichts weiss ich von Ihnen und dachte auch nicht Fragen zu stellen. Wenn man wie ich im Gedanken am River sitzt dann ist man eben entfernt von der Erde immerhin ich meine von der täglichen Situation. Meine Mama, hat so oft gesagt, ich sei ein gutes Kind. Das hat mich festgehalten. Da können andere Menschen meinen, was sie wollen. Ich habe darum schon eine besondere Gewissenhaftigkeit für Kinder, da sie alle eine Mama haben oder hatten. Aber ich habe zu sehr ein einziges Kind geliebt, um noch persönliches Interesse aufbringen zu können, nun noch für andere Kinder. Das kann und will ich Ihnen nicht erklären, aber indem ich von dem teurersten spreche zu Ihnen, bezeugt meine Hochachtung vor Ihnen. Ich muss Ihnen noch sagen, dass es mir jetzt gut mater. geht. Es haben sich für mich einige Leute darunter im Vertrauen Albert Steffen eingesetzt, und ich habe genügende Bilderbestellungen. Ich nehme sonst nichts an. Ich kann mich jetzt rühren und alles ändert sich gut. Auch bin ich in Behandlung von Dr Med. Rom und bitte darum kein Wort verschwenden. Wenn Sie mir schreiben auf inl. Bogen, nur: Zerrissen. Dann glaube ich Ihnen und weiss Sie haben den Brief mit der bitteren unbegreiflichen Aeusserung die sich tatsächlich gegen mich richtete, angedenk der schadhaften Mitternächte und Schlächterei Liebelosigkeiten Opferungen – – zerrissen. Ich habe jetzt hier einen lieben Menschen die Schwester meiner berliner Freundin Maria Moissi, die lieb zu mir ist, mich wieder auf den Damm brachte oder bemüht ist zu bringen, und mir die ich anders denke, die tägliche [?] Denkungsart erklärt. Ihr Name so wahr ich Jussuf bin, noch nie ihr genannt, noch von Ihnen gesprochen. Wir spielen manchmal Theater. Sie ist Schauspielerin und liebt mein letztes Theaterstück sehr. Und sie möchte dass es in Basel aufgeführt wird, da reisen wir bald hin. Auch lieben mich Frau Köllicker aus Argentinien und Frau Dr. Dunant und ein paar Menschen noch. Alle – – – – – Seriös! Nur ich nicht. Und wollen Sie mir die Briefe wieder ins Couvert legen? Ich send Sie Ihnen, dass Sie gewiss sein sollen, dass mich Menschen gern haben, auch ausser den netten Frauen und sehr lieben einzelnen Männern langgeschweiften Backenbärten hier. Und nie werde ich mich wieder verlieren im Herzen eines Einzigen und ich nicht mehr sehen kann und hören und entrückt bin und fast ehrlos.
Das schreibt Jussuf
Jussuf
Die Beichte
Wäre dankbar – wenn auch diesen meinen letzten Brief, retour ..