[198] Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Zürich, Mittwoch, 3. [2.] Februar 1938
3. [2.] II 38
Lieber Mill.
Wenn man telephoniert, entkommt man der Antwort. Sehr gute Idee. Aber ich will ja gar nicht réponsen, ich träum so hin. Ich hab ja auch im Grunde nichts gefragt. Sie haben Furcht vor der Form in die Sie Ihre Gedanken gießen, incarnieren. Wie gelehrt!! – Warum? Ich bin doch keine Kokotte oder Coquotte oder ein klein wartendes Mägdelein, das wartet. Ich will ja nichts, keinen Anfang, kein Ende. Ich hab mal als Kind von 11 Jahren – ich erinnere mich genau – im Styl Heines, den ich bewunderte, gedichtet – und das Gedicht ich dann meiner direkt verduzten mir teuren Mama ins Album schreiben mußte: letzter Vers hieß so:
Was hat mit der Lieb’ die Saison zu tun?
Was sollen diese Possen!
Ich weiß mir sind im Januar
Schon die heißesten Thränen geflossen.
Ist das nicht zum Totlachen?
Dabei war ich so ein schüchtern Kind
Mit 14 Jahren liebte ich einen Engländer: John Halifax aus Manchester. Den begegnete ich immer zwischen Küche und Hausflur in Karlsruhe und wir sprachen nie. Aber einmal schrieb er mir einen Brief mit der Überschrift:
Dearest Sternlein.
Das habe ich nie vergessen und vielleicht darum meine Liebe zu Engländern. Auch besuchte ich eine englische Pensionsschule, als ich 14–15 Jahre alt war mit wunderschönen Engländerinnen. Wir alle trugen Matrosenkleider mit großen Ankern auf den Ärmeln gestickt. Das vergißt man nie.
Meine zweite Liebe war: James Crossby, er war was gewöhnlich. Dann liebte ich: Joy Hodgini einen Jockey, der war herrlich zu schauen. Trug immer einen steifen englischen Filzhut im Nacken geschoben. Wir nannten ihn: Das Traumbild. Mein lieber streichelustiger Papa ging mit uns Kindern immer in den Cirkus und kaufte uns spitze Düten mit Bonbons, ihm zuzuwerfen. Aber er tat so, als ob ers nicht merkte.
Ich muß so daran denken, vielleicht – da – es gerade ¼ vor 9 Uhr früh ist. Ich habe schon geturnt und geatmet und mich massiert wie die Indianer das zu tun pflegen. Ich habe sehr gut geschlafen und atmete gute frische Weinluft die Nacht. Nun schloß ich das Fenster und schon warm im Zimmer und gleich steh ich auf – reibe mich ab im nassen Tuch. Das ist sehr gesund. Tun Sie das! Aber erst lauwarm. Diese Dinge haben mich erhalten, mich Ekel. Es wär schön, Sie kommen mal wieder. Aber wie Sie Lust haben. Sie brauchen bei mir nicht »geschickt« noch ungeschickt sein. Ich meine ein Herz was fühlt, ist weder geschickt noch ungeschickt. Ich bin ungefährlich, ich will nichts, ich hab alles, was ich nicht will; und was sollen diese Prinzipien. Herz hat keine Prinzipien. Seien Sie doch froh und denken Sie die Welt steht Ihnen doch offen und so ein glatt dahinschleifendes Leben ist auch langeweilig. Ich bin wirklich ohne Geheimfächer. Ich steh offen ohne Sicherheitsschlösser – aber nicht mit Büchern gefüllt, aber mit Wolken. Sie waren so – gütig mir zu schreiben: »Das glaube ich wohl nicht, daß Sie oft an mich – denken?« Ich frage Sie, was hätten Sie schöneres zu tun? – Diese Gnade! Ich war direkt hingerissen. Lieber Mill, ich möchte ja nur Sie wären in Ihrer Beschäftigung zufriedener. Es kommen 2 sehr einflußreiche Männer hierher. Die müssen Sie juristisch (Bank etwa) nach Palästina rufen (wenn auch nur für ein Jahr) Da erholen Sie Sich. Der eine täts sofort.
Ich bin schon so abgesotten, ich will nur noch Ruhe und Rast. Gestern kams über mich, denken Sie!! (wieder doch!) Kaufte mir zu viel, aber Nötiges. Wollte Ihnen doch die 20 retournieren aber nächsten Monat. Habe 19,50 (7 Monate) für meinen Kopf Stadthaus bezahlen müssen. Aber Vortrag Mitte Februar. Habe noch genug bis 1. »Et kömmt ömmer pünktlich allet an.« Wupper I. Theil – (eiserne Faust) »Ich führ ein großes Leben!«
[im Bett liegende Gestalt] noch du[nkel] im Zi[mmer]
Die monarchistische Partei endlich erhebt sich.
Haben Sie gelesen?
Ist das nicht wunderschön? Fragen Sie René
Das Papier kaufte ich auch
[Frauenkopf im Profil mit Fes]
[Kuvert:]
Herrn Fürsprech
Emil Raas
Bern
Balmweg 7
Anmerkungen
Poststempel: Zürich, 2. 2. 38.