Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Zürich, Donnerstag, 24. Februar 1938
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24. II. 38
Lieber Mill.
So wie Sie das Bedürfniß haben über die Berge zu sprechen, und nochmal ihren Brief fertig durchlesen entzückt – so, genau so, hatte ich den warmen Wunsch, Indianer zu spielen, damals in den vertriebenen wunden Jahren. Ich bin sicher keine Schöngeistin und keine Backfischpoesie. – Ich fand niemand! Ich bin doch immerhin ein Mensch, [2] der nicht nötig hat, sich häuslich zu bergen; mein Spiel unschuldig und hold, bringt keinen Zweiten in Gefahr; wirft wohl Lasso, aber fesselt nicht. In Deutschland meine Freunde wären alle darauf eingegangen vom Arbeiter bis zum Erbprinzen Reuss, der mich hoch ehrt. Ich muß Ihnen mal so schreiben, denn Sie tappen immer zwischen Größenwahn [3] und Entwertung Ihrer Person, zwischen Affentrotzigkeit und Kühnheit. Ich bin krank, ich bin getroffen von vergifteten Pfeilen. Jeder Tellepigone durfte abzielen. Sie hatten und haben keine Ahnung von Jussuf und aber es entwickelte sich eine häßliche Stimmung zwischen uns. Sie beneiden mich unbewußt und freuen Sich doch sicher mit mir; hab ich Glück! Sie schreiben keine Briefe (meist) aber [4] poetische Wetterfarbenberichte – manchmal sind sie dichterisch, aber ich will nicht, daß Sie Sich üben in Briefen an mich dem Prinzen von Theben, der ich doch mal bin; außerdem geadelt, da ich der Fürstin v. W. adeligster Mensch einst begegnete und vorkam. Ich glaube Sie ahnten nicht, was ich äußerlich verlor. Ich bin aber nie bequem gewesen, ich bin im Grunde der einfache Matrose. [5] Wenn im Selekt, wo die Bengels von uns erzogen werden, sie eine Bornirtheit sprechen, kriegen sie eine »geistige« Backpfeife. – Lieber Mill, es tut mir leid, aber ich muß mal sprechen; Sie lieben ja Aufrichtigkeit?!
Wenn Dr. Bristitzky kommt, großer herrlicher Bibelredner und Dichter, bitte führen Sie ihn. Ich glaube, er mag mich – leiden und wenn Sie sagen, wie es ja ist, wir sind befreundet, [6] ist gutes Einvernehmen zwischen Ihnen. Ich freue mich wenn Sie Sonntags Sky oder Ski laufen; aber ich habe ein wehes Herz, den Berg von unten angesehen, macht mir schon Beschwerde. Die Hauptsache, eine nie je schwerere Erinnerung bewegt mich so, daß ich schwindelig auf der Höhe werde und innerlich weine.
Das Meer weiß es, und stürmt mit mir vor Schmerz. Aber es freut sich auch, wenn [7] ich auf dem Schiff bin, in der Nacht es bewundere. Für Sie ist doch Palästina nichts – zu heiß, zu wenig Grün und weiß und abstrakt in der Landschaft. – Ich bitte Sie, mir meinen Brief zu entschuldigen; ich bitte Sie mich nicht zu besuchen. Ich bin viel unterwegs und die Reise nicht nah.
Danke Ihnen aber sehr für guten Willen.
Reiss will durchaus mein Stück vertreiben. Sende Ihnen gern die Karte – rührende. In die [8] Neue Zürcher Z. erscheint bald von mir wieder was. Mein Vortrag erst 20. März Sonntag Matinée. Ich bin doch getröstet wegen Östreich – Schuchnigg enorm mutig. Ich glaube Karthago stürzt bald. Und die Generäle – denken Sie die so viele geflüchtet!
Mein neues Buch wird – glaube ich – schön.
Haben Sie Mut und da [9] die Welt weit und breit vor Ihnen liegt – gucken Sie durch das magische Glas vor Ihrer Welt.
Kleine Kinder sind pussierlich, aber immer kleine Ableger der Eltern. und werden meist so.
Große Kinder, weit reiner; ich meine solche Menschen, die noch in ihrer Ursprünglichkeit stecken, deren Schläfen eben die Gläser sind durch die man in ein Feenreich sehen kann oder über eine lila Wiesenschaumkrautwiese; oder in den Urwald
Der Indianer mit lieben Grüßen
Anmerkungen
Quelle: The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 45).