Klara Zappler: Else Lasker-Schüler
Aktualisiert: 26. März 2021
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Else Lasker-Schüler
Wir tranken Tee und lauschten.
Ich wußte, es war die Stunde, die Else Lasker-Schüler am meisten liebte, und schwieg. Das leise Dämmerspiel, das das Mysterium der Tagwende anzukündigen pflegte, umgaukelte uns; mit leichten, behutsamen Schritten nahte sich die Nacht, breitete ihre warmen, dunklen Flügel über alles Grelle und Unerbittliche des Tages und spann uns in ihre Zauber.
»Der Tag ist eine Köchin, die Nacht ist eine Königin«, rief Else Lasker-Schüler plötzlich in ihrer leidenschaftlichen Art und schwieg wieder.
Ich hielt mich still und wartete, wußte ich doch, daß in dieser Stunde der Trieb zum monolog-schöpferischen in ihr am stärksten war. In einer dieser selten-reichen Geberlaunen, in denen ihr stark dichterisches Talent, wie eine elementare Gewalt nach Ausdruck drängt, sagte sie denn auch einmal sinnend: »meine Mutter war Dichterin, ich bin nur eine Sagerin«. Und ihre Improvisationen wirken darum auch, wie ihre Vorlesungen, unmittelbar.
Dieser Abend, der zu meinen stärksten Erlebnissen gehört, begann mit einem halblaut gesprochenen arabischen Wortspiel.
»Sie wissen doch, daß ich als Kind nach Afrika durchgebrannt bin, daß ich jahrelang im Araberviertel gelebt habe und meinen Eltern als Araberjunge kahlgeschoren wiedergebracht wurde?«
Sie wartete eine Antwort gar nicht ab und fuhr wie im Selbstgespräch fort: »Es war morgens und ich erwartete auf dem Dache eines Araberhauses die Sonne. Da sah ich zwei Männer sich nahen. Sie hatten einen dritten in ihrer Mitte, den sie auf die Erde betteten, ihm Nase, Mund und Ohren verklebten, ihn in einen Zinnbehälter taten und ihn schließlich begruben. Schweigend, wie sie gekommen, schweigend, wie sie ihr Tun beschlossen, schweigend und feierlich schritten sie davon. Ich hatte dieses Erlebnis in mich aufgenommen, wie ein Kind, tief und stark, aber ohne zu fragen, warum. Nach Tagen kamen die Männer wieder, gruben ihren Dritten (!) aus, öffneten ihm wieder die Luftwege und schritten wieder schweigend und feierlich davon.«
»Ein ander Mal. Ich war auf der Landstraße mitten in der prallsten Sonne eingeschlafen. Ein Fakir raste durch die Straßen, da hob mich jemand und trug mich in den Schatten eines Hauses. Ich erwachte und sah in das milde Gesicht eines Priesters, der manches gütige Lächeln für den armen Araberjungen gehabt«, und die glutvollen dunklen Augen in dem dunklen Gesicht der Dichterin und Sagerin leuchten auf …
Else Lasker-Schüler schwieg, und ihr Schweigen war beredt und spann die Fäden weiter und weiter … Und den Raum füllten plötzlich Gesichte, die alle das Antlitz Else Lasker-Schülers trugen, das Antlitz der Dichterin vom Ich, und Alle sangen das gleiche Lied und rührten in die Saiten der Seele, dieser Harfe Gottes. Ich, ich im Lockruf des »Prinzen von Theben« … Ich, ich mit der Herrschergeberde »Tino von Bagdads«, und »in ihrer Stimme tönten venetianische Glasblumen, und echte Spitzen aus den Palästen knisterten unter ihren Worten« (siehe »Mein Herz«, ein Liebesroman mit Bildern und wirklich lebenden Menschen von Else Lasker-Schüler).
Auch im Schellengewande, aber mit klingendem Spiel reicht sie Szepter und Krone dem »Selbst«. In fast auto-erotischem Rausch erklingt nun ihr »Hohelied vom Ich«. Der Lebenswille wird zum Dom und die Lebenssehnsucht läßt in Wunsch und Werbung alle Glocken läuten. »Auf deiner blauen Seele setzen sich die Sterne der Nacht« … »Immer schüttelst du Gold über mich«.
Und selbst in der Deutung der Umwelt behält Else Lasker-Schüler das Werbekleid und die zärtliche Geberde des Ich-Bezwingers. Kurze impressionistische Momentaufnahmen. Ein lauschendes Ohr, ein Mensch gewordenes Auge, und Alles wird farbig und licht. Ein Zeigefinger wird zum Imperatif und gebietet Meeren, Flut und Ebbe. Eine herabhängende Schulter, und sie rüttelt. Und sieh, Alles ist Liebe, Alles ist Ich!
In ihrer Poesie liegt die Schwermut und die Kraft alter und ältester morgenländischer Musik beschlossen, aber auch das Bekenntnis Mensch, das Bekenntnis des Gott und die Welt und das Wunder umfassenden Ichs.
Klara Zappler.
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Aus: Davoser Revue. Jg. 2, Nr. 8 vom 15. Mai 1927. S. 22 f.
Die »Davoser Revue« war 1925 von Jules Ferdmann gegründet worden. Ihr hohes journalistisches Niveau ließ sie weit über Davos hinaus Beachtung finden. Ursprünglich eine Monatsschrift, erscheint die »Davoser Revue« heute vierteljährlich. – Paul Lasker-Schüler, der an Tuberkulose erkrankte Sohn Else Lasker-Schülers, kam Ende 1926 zur Kur nach Davos. Else Lasker-Schüler selbst hielt sich bis Mitte Mai 1927 abwechselnd in Zürich und Davos auf. Am 15. August 1927 veröffentlichte die »Davoser Revue« von ihr die Erzählung »Der Uhu« (Jg. 2, Nr. 11. S. 17–19).