Else Lasker-Schüler ist die jüdische Dichterin. Von großem Wurf. Was Deborah!
Sie hat Schwingen und Fesseln, Jauchzen des Kindes, der seligen Braut fromme Inbrunst, das müde Blut verbannter Jahrtausende und greiser Kränkungen. Mit zierlichbraunen Sandälchen wandert sie in Wüsten, und Stürme stäuben ihre kindlichen Nippsachen ab, ganz behutsam, ohne auch nur ein Puppenschühchen hinabzuwerfen. Ihr Dichtgeist ist schwarzer Diamant, der in ihrer Stirn schneidet und wehetut. Sehr wehe.
Der schwarze Schwan Israels, eine Sappho, der die Welt entzwei gegangen ist. Strahlt kindlich, ist urfinster. In ihres Haares Nacht wandert Winterschnee. Ihre Wangen feine Früchte, verbrannt vom Geiste.
Sie tollt sich mit dem alterernsten Jahve, und ihr Mutterseelchen plaudert von ihrem Knaben, wie’s sein soll, nicht philosophisch, nicht gefühlsselig, nein – von wannen Liebe und Leben kommt, aus dem Märchenbuch.
Else Lasker-Schüler ist von dunkelknisternder Strähne auf heißem, leidenschaftstrengem Judenhaupte, und so berührt so etwas wie deutsche Volksweise, wie Morgenwind durch die Nardengassen der Sulamith überaus [8] köstlich. Wie auch Heine einen Einschlag von deutschen Fäden im Blute hatte, wohl noch stärker als Prinzeß Tino. So daß es bei ihm zu Kampf, fast zur Auflösung kam.
Else’s Seele aber steht in den Abendfarben Jerusalems, wie sie’s einmal so überaus glücklich bezeichnet hat.
Jüdische Dichter, schöpferische Dichter aus Judäerblut sind selten. Die Glut einer entlegenen Urseele ursprünglich, stark und bei Schmähungen ungereizt zu erhalten, ist nicht leicht. Heinrich Heine hat zu viel kleinliche Gehässigkeit, zu viel geriebenes Feuilleton unter seinen Werken.
Ein zweiter Gedichtband ist im Druck. Auf Wiedersehen, Tino!
Tino ist der unpersönliche Namen, den ich für die Freundin und den Menschen fand, die flammenden Geist und zitternde Welt wie mit Blumenkelchen umfangende Seele.
Nach der Schule trafen wir uns auf der Wiese und legten dort mühsam Balken quer übereinander. Zwei meiner Spielgefährten setzten sich auf das eine Ende der Schaukel. Willy Himmel und ich aber bestiegen das lange Steckenpferd hoch in der Luft. Die beiden gegenüber flogen dann plötzlich jauchzend in die Höhe, immer wieder, wenn wir zwei, der Willy und ich, Rücken an Rücken gelehnt, den Balken mit unseren kleinen Körpergewichten herabdrückten. Sanken dann wie durch unsere eigenen Hüllen in das Gras des Sommers übergrünt hinein; immer wie ein warmer Faden zog’s durch unsere Leiber. Wenn wir genug von diesem Spiel hatten, streckten wir alle die Zungen heraus, wer die längste habe, Alfred Baumann beteiligte sich sehr überlegen an solchem »Unsinn«. Er war gelehrt, las die »Mappe« und wollte Professor werden. Und Pülle Kaufmann hatte immer eine belegte Zunge, aß seine Suppe nie, denn er lutschte viel Süßholz. Aber oft streckte er seine Zunge schwarz aus dem Mund; das kam vom Lakritz. Willy Himmel aber hatte ein rosiges Zünglein wie ein Engelchen, auch blickte ich neugierig oft in seine goldenen Augen, die waren gar nicht angestrichen wie die meinen und die der anderen Jungens.
[30] In der Früh fielen vom Birnbaum eines fremden Gartens mächtige Birnen herunter in unsere kleine Gasse, in Schülers Gasse. Manchmal schlich ich leise auf bloßen Füßen über die Treppe durch den Hausflur an zwei Amoren vorbei und sammelte die dicken Birnen in mein Nachtkittelchen. Einmal traf ich den Pülle, dem ich im Vertrauen von unserer Schlaraffenlandgasse erzählt hatte. Der Pülle Kaufmann trug heute keine Watte in den Ohren wie sonst; er war nämlich auch heimlich von zu Hause ausgerückt, und ich bemerkte sofort seine leeren Ohren und machte ihm einen Vorschlag und betonte dann ganz ernstlich auf die weitabstehenden Löffel weisend:
»Heute mußt du aber gehört haben, Pülle!«
»Wa?« antwortete Pülle genau wie mit den Wattebüscheln in den Höhlen. »Wa?«
»Pülle,« rief ich ungeduldig, »wenn du mir sagst, was ich dir eben anvertraute, schenk ich dir meine Knopfsammlung.« Ich war nämlich müde, immer alles zu wiederholen.
»Wa?« Aber dann sich überstürzend fragte er: »Die ganzen Knöpfe?«
Ich nickte zögernd, mein Angebot reute mich schon. »Du, ich schenk dir unsere große, rosa Muschel aus unserem Gartenzimmer, Pülle, wenn du mir sagst, was ich dir eben sagte.«
Als Bestätigung fiel jedesmal eine reife Birne vom [31] Baum, wir jauchzten dann erschreckt auf. Da bekannte denn endlich der Pülle, er habe genau gehört, daß ich gesagt habe, wir wollen uns zwei ein Häuschen bauen in der kleinen Gasse, darin wir uns verstecken könnten vor den Hunden und vor dem Gewitter.
Mein Vater guckte plötzlich aus dem Fenster, er konnte auch nicht schlafen, wenn die großen Birnen fielen. »Wollt ihr wohl herauf kommen, ihr ungezogenen Kinder, ihr bekommt ja die Windpocken!« Überhaupt, er konnte furchtbar wettern, unsere niedlichen Körper drohten fast einzustürzen; im Grunde aber wollte er selbst ein paar Birnen verzehren, und wir brachten ihm die allerfettsten; dafür durften wir mit seinen bunten Manschettenknöpfen und allerhand Krimskrams in einer Holzschale spielen. Auch drehte er uns seine Kreisel und Blechenten auf, und wir mußten seine großen Stiefel anziehen. Der Pülle sah dann aus wie der Zwerg mit den Meilenstiefeln.
Am Sonnabend aber brachte mein Vater in seinen Tausendtaschen Knallbonbons mit nach Haus. Am Morgen schon mußte ich meinen sechsjährigen Kameraden holen und wir marschierten mit Herrn Schüler durch seine Marienstadt, die lag hoch auf einem Hügel. Aber bevor wir abgezogen, ließen wir die Bonbons knallen; für jedes der Kinder lag in Seidenpapier behutsam eine Kopfbedeckung eingewickelt. Alle die armen Kinder an den Häuserecken beneideten uns; waren wir [32] eigentlich doch nichts anderes als vier Hündchen in bunten Helmen, die Herrn Schüler die Waren tragen mußten für die armen Leute der Marienstadt.
Nachmittags spielten wir dann meist bei Kaufmanns im Garten Soldaten. Aber mit dem Alfred Baumann hatten wir fast jedesmal unsere liebe Not. Er mußte zum Mitspielen gezwungen werden; namentlich zum Kriegsspiel, und gerade bei diesem Spiel ergötzten wir uns am meisten. Pülle und Willy besaßen wirkliche Ulanenmützen, aber der Willy lieh dem Alfred seine, den Freund zu interessieren, ihn anzuwerben. Wir fertigten uns aus Papier welche an, aber ich mußte Feind sein, weil ich ein Mädchen war, zur Strafe. Sonst bemerkte ich nie von seiten meiner Spielgefährten irgendeine Geringschätzung mir gegenüber und ich fügte mich drein, freiwillig ein französischer General zu werden, denn die Feinde behaupteten, sie könnten dann besser richtig schimpfen, da ich unter meinen Röckchen eine weite, rote Flanellhose trage »Franzos mit der roten Hos«. Nun war ich gereizt genug, den Angriff zu wagen.
Doch vorher rief uns Pülles Mutter, die Seraphine, zum Kaffee in die Stube zu kommen. Sie saß kerzengerade auf ihrem Sessel und strickte, und Kaufmann, Pülles Vater, saß ihr gegenüber und schlief im Sitzen. Wir staunten ihn alle an, bis ihn Seraphine, girrend auf die hohe Wanduhr zeigend, ermahnte: »Kaufmann, [33] wache auf«. Aber heute konnte Pülles Mutter nicht mit uns gemeinsam schmausen, sie müsse Pülle ein Ohrenspritzchen besorgen gehn. Wir beneideten ihn alle drei darum, aber die alte Köchin nickte mitleidig mit ihrem Warzengesicht, strich dann mein gesticktes Kleidchen zurecht und legte mir Zucker in die Tasche, weil ich ein Mädchen sei. Die Jungens aber konnten ihren Neid nicht mehr unterdrücken, und da die Mutter Seraphine schon ihr Haus verlassen hatte, ließen sie ihre Wut an mir aus. Der Baumann vergaß seine Gelehrsamkeit so weit, daß er in meinen süßen Kaffee spuckte; Willys gelbe Augen zogen sich zusammen wie bei unserer Katze, und der Pülle trat die alte Köchin mit seinem Fuß gegen den Schwammbauch. Immer fielen große Regentropfen aus meinen Augen auf den Boden, und die greise Köchin schnäuzte mein Näschen, daß es aussah wie ein Radieschen. Aus meinem Taschentuch fiel der grüne Zuckerfrosch, den ich wie ein Heiligtum bei mir trug; den opferte ich den kleinen Barbaren, die waren dann bereit, wieder Frieden zu schließen. Willy Himmel, der den Kopf des Frosches schon verzehrt hatte, und das Blättchen, worauf das Zuckertier gesessen hatte, erwischte, schlich dankbar an mich heran und küßte mich auf den Mund.
Wir spielten Domino mit Korintheneinsatz. Jedem Kind schüttete die gutmütige Alte ein Häufchen Korinthen auf den Tisch. Der Baumann hatte sich ganz [34] dreist fast alle stibitzt. Das Murren richtete sich diesmal gegen ihn. Aber er imponierte uns doch im großen ganzen; leiden mochten wir ihn alle nicht; aber er trug eine Hornbrille. Er erklärte uns, die Affen der Urwälder, die hätten – er habe es gerade in der Gartenlaube gelesen – auch einen Nabel wie die Menschen, aber – er hielt inne – an dem Nabel der Affen wüchsen die kleinen Affen wie Blättchen, dann wie Blüten, dann wie Früchte, bis sie einen Schwanz hätten, zum Abpflücken. Wir kreischten vor Vertraulichkeit, saßen plötzlich im Kreis, unsere Gesichter legten sich zusammen zu einem Bukett aus Rotbacken. Die einschlafende Köchin knurrte aus dem Schlaf: »Kenger, öhr mößt önk nich so unanständig erzählen.« Wir rückten aber nur noch näher zusammen, und der Pülle fragte kichernd, ob Mädchen auch wohl einen Nabel hätten? Er habe einmal ein Märchen gelesen – er log –, darin wäre vorgekommen, eine Königstochter habe einen Nabel gehabt wie ein Brunnen so hohl und tief in den Leib herab, und da hätten die Leute der Stadt ihre Wäsche drin gewaschen.
Die drei Ulanen machten viel Feinde zu Gefangenen; ich wurde in die Küche gesperrt und mußte so tun, als ob ich ein ganzes Regiment gefangener Franzosen wäre, die sich aus dem Turm zu befreien versuchten und die Deutschen verhöhnten. Alfred Baumann war am hitzigsten, der Sieg hatte ihn überwältigt, er war Feldmarschall [35] geworden, damit er die Lust nicht verliere; er war furchtbar zu schauen; mein Herz sprang wie die Feinde, die von der Anhöhe des Gartens auf ihren Rossen ins Tal sprengten. Feldmarschall Baumann stand schon vor meinem Turmverließ; ich stemmte mit übermenschlicher Anstrengung verzehntausendfacht meinen kleinen Körper an das dröhnende Holz. Mein Röckchen wehte aufgehißt als Fahne im Wind am Fenster. Ich vergaß meinen militärischen Generalsrang, und schrie »Mama, Mama!!« Ganz still wurde es von draußen, man hörte auch nicht mehr das leise Kichern; die Feinde hatten sich, scheint’s, zurückgezogen. Aber das war eine List des Marschalls Baumann gewesen; sein Adjutant Himmel, der mußte verharren; vor der Turmtür leise Wache stehen. Zögernd öffnete ich auf einmal mit einem Ruck meinen Küchenturm; ich sah die goldenen Augen Willys schmelzen von Schmerz, an einem Fetzen baumelte sein Zeigefinger an der Hand und färbte dann die Steine der Hausflur dunkelrot. Den ohnmächtigen Verwundeten trugen die Kameraden auf Seraphinens Kanapee; in der Zeit nahm ich die Flucht.
Seit dieser Niederlage verfolgten mich die kleinen deutschen Spielsoldaten mit ihrem Haß, standen oft an der Ecke der Austraße noch mit einem Heer verbündeter Jungens, rissen mir den Schulranzen vom Rücken, warfen mich zur Erde und traten und pufften mich: [36] »Franzos mit der roten Hos! Franzos mit der roten Hos!« Einmal kam Pülles Mutter gerade vorbei, im Sonnenschein und mit ihrem grünen Sonnenschirm; wie die Suppenkasparmutter sah sie aus, als sie den Mund ermahnend ganz rund öffnete: »Pülle –!« Ich wagte gar nicht mehr allein auszugehen, auch hatte ich den Ziegenpeter bekommen und das deutsche Heer geriet in große Scheu vor mir: ich sei verhext von einer bösen Zauberin; aus den Nebengassen nur hörte ich noch manchmal ganz leise das böse Liedchen: »Franzos mit der roten Hos!«
Ich liebe dich zauberisch wie im Spiegel des Bachs
Oder fern im wolkengerahmten Blau.
[126] Dem Mönch
Ich taste überall nach deinem Schein.
Suchst du mich auch?
In meiner Stirne leuchtet
Der erblaßte Stern wieder,
Und sehe dich nur in der Welt,
Dein Lächeln immerfort.
Unsere himmelweißen Herzen
Erglühen im Schlaf.
O wir möchten uns küssen,
Aber es wäre wie Mord.
Ich stehe ganz bunt am Granatbaum
In einem Bilderbuch.
Manchmal schaust du auf mich –
Dann singen die Junivögel.
[127] Dem Mönch
Meine Zehen wurden Knospen.
– Sieh, so komm ich zu dir.
Du bist am Rand über dem Tal
Die leuchtende Großkornblume;
Mit deinem Glück färbt sich
Der Himmel die Wangen blau.
Immer öffnet sich mein Wesen –
– Bin eine glitzernde Nische,
Aber du kommst nie zu deiner Anbetung,
Und morgen ist ewige Nacht.
Meine Sehnsucht ist im Sturm meiner Augen
Lange schon verwittert,
Die Korallen in meinem Blut
Sind ganz erblaßt.
Zwischen Dunkelheit verlischt mein Leben
Im scheidenden Antlitz des Mondes.
[128] Ein Lied
Hinter meinen Augen stehen Wasser,
Die muß ich alle weinen.
Immer möcht ich auffliegen,
Mit den Zugvögeln fort;
Buntatmen mit den Winden
In der großen Luft.
O ich bin so traurig – – –
Das Gesicht im Mond weiß es.
Drum ist viel samtne Andacht
Und nahender Frühmorgen um mich.
Als an deinem steinernen Herzen
Meine Flügel brachen,
Fielen die Amseln wie Trauerrosen
Hoch vom blauen Gebüsch.
Alles verhaltene Gezwitscher
Will wieder jubeln,
Und ich möchte auffliegen
Mit den Zugvögeln fort.
[129] Rudolf Schmied
In seinem Knabenbuch »Carlos und Nicolà« namentlich der Nicolà sieht ihm auf ein Haar ähnlich. Also ganz genau der Nicolà ist der Rudolf Schmied selbst. Ich höre ihn im alten Café des Westens und in München im Stephanie ebenso argentinisch sprechen wie in seinem Buch die beiden Knaben, die man herzen möchte, so lieb hat man die. Rudolf Schmied ist aus Argentinien, er spricht, wenn es auch Deutsch ist, immer spanisch, ganz wild spanisch. Und dazu raucht er eine Zigarette nach der anderen; seine Augen, seine Nase, sein feiner Mund spielen im Gesicht. Ein Zuruf – und Rudolf Schmied jagt auf seinen Gedanken, lauter Indianerpferde, losgelassen, über die Herzen der Freunde hinweg; frisch und frei ist er, seine Seele trägt einen bunten Federschmuck. Als Knabe nannte er sich, erzählte er mir, den roten Jaguar. Damals lebte er noch in seiner Heimat in Argentinien und war der kleine Nicolà, der er geblieben ist. Sein Buch ist ein Kunstwerk, das sich »ewig« erhalten wird, immer werden all die Süßigkeiten frisch bleiben. Er hat das Buch mit altem Wein geschrieben. Rudolf Schmied ist aus edlem Geschlecht, er ist ein aristokratischer Bohême, er hat Kultur und herrliche Laune, lauter erfrischende Sturzbäche überstürzen sich in seinem Roman »Carlos und Nicolà«. Die beiden kleinen Helden seines Buches [130] sind selbst zwei helläugige Mississippis. Mein Junge, der ein Freund der Indianer ist, hat Rudolf Schmied gezeichnet, wie er so dasitzt und von sich wundervoll erzählt.
[131] Fritz Wolff
Ich schrieb einmal aus der Ferne an den Zeichner: Sie und Ihre Frau behalten immer eine Silberquaste meiner blauen Seele in der Hand zurück, und darum bin ich nie ganz und gar abwesend aus Berlin, wenn ich längst die Stadt verlassen habe. – Sonntags kommt manchmal auch der dänische Märchenerzähler zu Wolffs – nur seinen Namen kann ich nicht behalten. Aber über unserm Beisammensein hängt eine nickendtickende Uhrgroßmutter; zu jeder Stunde schenkt sie uns ihren tieftönenden, einlullenden Segen. Ich bin dann plötzlich ganz klein, wir vier werden Kinder – lauschen … und unsere Gedanken springen sorglos über die Geleise des Alltags. Wir spielen den Ulk aus Fritz Wolffs farbigen Bilderbogen, die hinter den Ladenfenstern auf die Straße lachen. Und wenn nicht »das Mädchen«, wie der Fritz Wolff seine Frau nennt, uns hinterrücks mit einem riesenrosinenknusperigen Kriegskuchen überfiel, den wir bewältigen müssen, so würden wir selbst nicht an diese »süße« Wirklichkeit erinnert werden. Die himmelhelle und die grassaftig angestrichene Stube tragen Schmachtlöckchen, und im dritten Stübchen, darin viel und weißgeblümter Batist rauscht, hängt sein Selbstbildnis im Rosenrahmen zwischen Fritz Wolffs lächelnder Ahnin und ihrem wohllöblichen Vetter aus Alt-Berlin im Bratenrock und steifem Vatermörder. Aber [132] auf einem Wandtischchen stehen aus buntem Schaumzucker ein paar heilige Tiere: das Lamm trägt ein Glöckchen um den leckeren Hals und ist besonders fromm und altmodisch immer neu für meinen verehrten Fritz Wolff und seinem guten Mädchen gebacken. Auch meine Freude für allerlei Tand teilen meine beiden liebsten Menschen in Berlin, und wir bringen uns auserlesene Spielereien mit von Reisen aus großäugigen Welten. Dieses Glück haben wir uns auch im Kriege zu bewahren gewußt, wenn auch unser Zeichner Fritz Wolff fern auf hartem Boden im Osten Soldatenbilder zeichnete und die Köpfe vieler Generäle und Obersten der Schlachten. Die Spitze seines Stifts taucht er in sein feines, künstlerisches Blut, so daß seine Zeichnungen wie auf Seide gezeichnet wirken. Irgendwo aber in seinem übervollen Herzen setzt ein Schelm auf einem schwanzausgerissenen Steckenpferdchen über alle steife Zeremonie hinweg wie die Maxmoritzschlingel, deren Streiche er so schön zu illustrieren versteht.
Bevor wir Abschied nehmen für diese Woche, muß der – Andersen der – Texiere noch die Geschichte der Eidechse und der Prinzessin vortragen. Und dann »hinaus mit uns zwei in die Nacht!«
Senna Hoy ging vor zehn Jahren nach Rußland. Er war damals zwanzig Jahre alt. Während der Revolution wurde er in einem Garten gefangen genommen, ganz grundlos, wie damals solche Verhaftungen nach Gutdünken der Polizei stattfanden. Auf dem Termin wurden Zeugen, die Senna Hoy angab, nicht zugelassen und er kam vom Rathaus in die Warschauer Festung. Aber bald wurde er in das entsetzliche Gefängnis (Katorga) nach Moskau gebracht, wo er, da er sich stets gegen die Mißhandlungen der Mitgefangenen einsetzte, selbst fast zu Tode gepeinigt wurde. Durch die Hilfe des Leibarztes des Zaren gelang es, Senna Hoy, nachdem er sieben Jahre im Kerker zu Moskau geschmachtet und zweimal versucht hatte, sich das Leben zu nehmen, in die Gefangenenabteilung des Krankenhauses nach Metscherskoje, fünf Stunden über die Ebene von Moskau entfernt, zu bringen, wo er, der schönste, blühendste Jüngling, der auszog, für die Befreiung gepeinigter Menschen zu kämpfen, selbst erlag, zwischen totkranken, irrsinnigen Gefangenen. »Wohl ein heiliger Feldherr«, meinte selbst der Direktor der Anstalt.
Senna Hoy
Seit du begraben liegst auf dem Hügel,
Ist die Erde süß.
Wo ich hingehe nun auf Zehen,
Wandele ich über reine Wege.
O deines Blutes Rosen
Durchtränken sanft den Tod.
[148] Ich habe keine Furcht mehr
Vor dem Sterben.
Auf deinem Grabe blühe ich schon
Mit den Blumen der Schlingpflanzen.
Deine Lippen haben mich immer gerufen,
Nun weiß mein Name nicht mehr zurück.
Jede Schaufel Erde, die dich barg,
Verschüttete auch mich.
Darum ist immer Nacht an mir,
Und Sterne schon in der Dämmerung.
Und ich bin unbegreiflich unseren Freunden
Und ganz fremd geworden.
Aber du stehst am Tor der stillsten Stadt
Und wartest auf mich, du Großengel.
[149] Richard Dehmel
Aderlaß und Transfusion zugleich;
Blutgabe deinem Herzen geschenkt.
Ein finsterer Pflanzer ist er,
Dunkel fällt sein Korn und brüllt auf.
Immer Zickzack durch sein Gesicht,
Schwarzer Blitz.
Über ihm steht der Mond doppelt vergrößert.
[150] Peter Baum
Er war des Tannenbaums Urenkel,
Unter dem die Herren zu Elberfeld Gericht hielten.
Und freute sich an jedes glitzernd Wort
Und ließ sich feierlich plündern.
Dann leuchteten die beiden Saphire
In seinem fürstlichen Gesicht.
Immer drängte ich, wenn ich krank lag,
»Peter Baum soll kommen!!«
Kam er, war Weihnachten –
Ein Honigkuchen wurde dann mein Herz.
Wie konnten wir uns freuen!
Beide ganz egal.
Und oft bewachte er
Im Sessel schmausend meinen Schlummer.
Rote und gelbe Cyllaxbonbons aß er so gern;
Oft eine ganze Schüssel leer.
Nun schlummert unser lieber Pitter
Schon ewige Nächte lang.
[151] »Wenn ich euch alle glücklich erst
Im Himmel hätte –«
Sagte einmal gläubig zu den Söhnen
Seine Mutter.
Nun ist der Peter fern bewahrt
Im Himmel.
Und um des Dichters Riesenleib auf dem Soldatenkirchhof
Wächst sanft die Erde pietätvoll.
[152] Paul Zech
Sing Groatvatter woar dat verwunschene Bäuerlein
Aus Grimm sinne Märchens.
Der Enkelsonn ist ein Dichter.
Paul Zech schreibt mit der Axt seine Verse.
Man kann sie in die Hand nehmen,
So hart sind die.
Sein Vers wird zum Geschick
Und zum murrenden Volk.
Er läßt Qualm durch sein Herz dringen;
Ein düsterer Beter.
Aber seine Kristallaugen blicken
Unzählige Male den Morgen der Welt.
[153] Karl Vogt
Der ist aus Gold –
Wenn er auf die Bühne tritt,
Leuchtet sie.
Seine Hand ist ein Szepter,
Wenn sie Regie führt.
Den Trauerspielen Strindbergs
Setzt er Kronen auf,
Aus den Dichtungen Ibsens
Holt er die schwarzen Perlen all.
Er kann nur selbst den König spielen
Im Spiel.
Morgen wird er König sein –
Ich freu mich.
[154] Franz Werfel
Ein entzückender Schuljunge ist er.
Lauter Lehrer spuken in seinem Lockenkopf.
Sein Name ist so mutwillig:
Franz Werfel.
Immer schreib ich ihm Briefe,
Die er mit Klecksen beantwortet.
Aber wir lieben ihn alle
Seines zarten, zärtlichen Herzens wegen.
Sein Herz hat Echo,
Pocht verwundert.
Und fromm werden seine Lippen
Im Gedicht.
Manches trägt einen staubigen Turban.
Er ist der Enkel seiner eigenen Verse.
Doch auf seiner Lippe
Ist eine Nachtigall gemalt.
Mein Garten singt,
Wenn er ihn verläßt.
Freude streut seine Stimme
Über den Weg.
[155] Albert Heine – Herodes V. Aufzug
(Berliner Theater)
Hinter deiner stolzen, ewigen Wimper gingen wir unter.
Schwermütige Sterne brannten auf deinem Lide.
Deine große Hand beugte das Meer
Und brach ihm die Perlen vom Grund.
Die Wüste war dein Schild
In der Schlacht.
An dich dürfen nur Dichter und Dichterinnen denken,
Mit dir nur Könige und Königinnen trauern.
Alle Leiber der Stadt ringeln sich
Giftig um deinen Leib.
Deine Schwester bespie den Traumstein deiner Liebe.
Du, ein beraubter Palast,
Judas schwankende Säule,
Völker bedrohend.
So arg mag nur ein Schöpfer lichtmitten
Seiner Reiche zerbersten.
[157]
Meinem reinen Liebesfreund
Hans Ehrenbaum-Degele
Tristan kämpfte in Feindesland;
Viel Lieder hatte er heimgesandt
Bis der Feind brach seinen Leib.
[159] Hans Ehrenbaum-Degele
(Dieses Gedicht seiner weinenden, jungen Mutter)
Er war der Ritter in Goldrüstung.
Sein Herz ging auf sieben Rubinen.
Darum trugen seine Tage
Den lauteren Sonntagsglanz.
Sein Leben war ein lyrisches Gedicht,
Die Kriegsballade sein Tod.
Er sang den Frauen Lieder
In süßerlei Abendfarben.
Goldnelken waren seine Augen,
Manchmal stand Tau in ihnen.
Einmal sagte er zu mir:
»Ich muß früh sterben.«
Da weinten wir beide
Wie nach seinem Begräbnis.
Seitdem lagen seine Hände
Oft in den meinen.
Immer hab ich sie gestreichelt,
Bis sie die Waffe ergriffen.
[160] Als ich Tristan kennen lernte –
O,
Du mein Engel,
Wir schweben nur noch
In holden Wolken.
Ich weiß nicht, ob ich lebe
Oder süß gestorben bin
In deinem Herzen.
Immer feiern wir Himmelfahrt
Und viel, viel Schimmer.
Deine Haare sind Goldnelken,
Heiligenbilder deine Augen.
Sage – wie ich bin?
Überall wollen Blumen aus mir.
[161] An den Gralprinzen
Wenn wir uns ansehn,
Blühn unsere Augen.
Und wie wir staunen
Vor unseren Wundern – nicht?
Und alles wird so süß.
Von Sternen sind wir eingerahmt
Und flüchten aus der Welt.
Ich glaube wir sind Engel.
[162] An den Prinzen Tristan
(Unserem Freund dem Hutten: Wilhelm Murnau)
Auf deiner blauen Seele
Setzen sich die Sterne zur Nacht.
Man muß leise mit dir sein,
O, du mein Tempel,
Meine Gebete erschrecken dich;
Meine Perlen werden wach
Von meinem heiligen Tanz.
Es ist nicht Tag und nicht Stern,
Ich kenne die Welt nicht mehr,
Nur dich – alles ist Himmel.
[163] An den Ritter aus Gold
Du bist alles was aus Gold ist
In der großen Welt.
Ich suche deine Sterne
Und will nicht schlafen.
Wir wollen uns hinter Hecken legen
Uns nie mehr aufrichten.
Aus unseren Händen
Süße Träumerei küssen.
Mein Herz holt sich
Von deinem Munde Rosen.
Meine Augen lieben dich an,
Du haschst nach ihren Faltern.
Was soll ich tun,
Wenn du nicht da bist.
Von meinen Lidern
Tropft schwarzer Schnee;
Wenn ich tot bin,
Spiele du mit meiner Seele.
[164] An den Ritter
Gar keine Sonne ist mehr,
Aber dein Angesicht scheint.
Und die Nacht voll Wunder,
Du bist mein Schlummer.
Dein Auge zuckt wie Sternschnuppe –
Immer wünsche ich mir etwas.
Lauter Gold ist dein Lachen,
Mein Herz tanzt in den Himmel.
Wenn eine Wolke kommt –
Sterbe ich.
[165] An Tristan
Ich kann nicht schlafen mehr,
Immer schüttelst du Gold über mich.
Und eine Glocke ist mein Ohr,
Wem vertraust du dich?
So hell wie du,
Blühen die Sträucher im Himmel.
Engel pflücken sich dein Lächeln
Und schenken es den Kindern.
Die spielen Sonne damit
Ja …
[166] Heinrich Maria Davringhausen
(Seinem Freunde Wieland)
– Wie er daherkommt –
Trojanischer junger Priester
Auf grabaltem Holzgefäß.
Zwei Nachtschatten schlaftrinken
In seinem Mahagonikopf,
Seine Lippen küßte ein Gottmädchen hold.
– Wie er gefalten aufstrebt –
Immer tragen seine Schultern
Ehrfürchtigen Samt.
Seine Füße schreiten
Nur über gepflegte Wege,
Stolperten nie über Gestrüpp.
– Wie er gottverhalten ist –
Aus jedem Bild, das er malt,
Blickt allfarbig der Schöpfer.
[167] Georg Groß
(Seinem Freunde Theodorio)
Manchmal spielen bunte Tränen
In seinen äschernen Augen.
Aber immer begegnen ihm Totenwagen,
Die verscheuchen seine Libellen.
Er ist abergläubig –
– Ward unter einem bösen Stern geboren –
Seine Schrift regnet,
Seine Zeichnung: Trüber Buchstabe.
Wie lange im Fluß gelegen,
Blähen seine Menschen sich auf.
Mysteriöse Verlorene mit Quappenmäulern
Und verfaulten Seelen.
Fünf träumende Totenfahrer
Sind seine silbernen Finger.
Aber nirgendwo ein Licht im verirrten Märchen
Und doch ist er ein Kind,
Der Held aus dem Lederstrumpf
Mit dem Indianerstamm auf Duzfuß.
[168] Sonst haßt er alle Menschen,
Sie bringen ihm Unglück.
Aber Georg Groß liebt sein Mißgeschick
Wie einen anhänglichen Feind.
Und seine Traurigkeit ist dionysisch,
Schwarzer Champagner seine Klage.
Er ist ein Meer mit verhängtem Mond,
Sein Gott ist nur scheintot.
[169] Theodor Däubler
Zwischen dem Spalt seiner Augen
Fließt dunkeler Golf.
Auf seinen Schultern trägt er den Mond
Durch die Wolken der Nacht.
Die Menschen werden Sterne um ihn
Und beginnen zu lauschen.
Er ist ungetrübt vom Ursprung,
Klar spiegelt sich das blaue Eden.
Er ist Adam und weiß alle Wesen
Zu rufen in der Welt.
Beschwört Geist und Getier
Und sehnt sich nach seinen Söhnen.
Schwer prangen an ihm Granatäpfel
Und spätes Geflüster der Bäume und Sträucher,
Aber auch das Gestöhn gefällter Stämme
Und die wilde Anklage der Wasser.
Es sammeln sich Werwolf und weißer Lawin,
Sonne und süßes Gehänge, viel, viel Wildweinlaune.
Und Evviva, dir, Fürst von Triest!
[171]
Gottfried Benn
Der hehre König Giselheer
Stieß mit seinem Lanzenspeer
Mitten in mein Herz.
[173] Doktor Benn
Er steigt hinunter ins Gewölbe seines Krankenhauses und schneidet die Toten auf. Ein Nimmersatt, sich zu bereichern an Geheimnis. Er sagt: »tot ist tot«. Dennoch fromm im Nichtglauben liebt er die Häuser der Gebete, träumende Altäre, Augen, die von fern kommen. Er ist ein evangelischer Heide, ein Christ mit dem Götzenhaupt, mit der Habichtnase und dem Leopardenherzen. Sein Herz ist fellgefleckt und gestreckt. Er liebt Fell und er liebt Met und die großen Böcke, die am Waldfeuer gebraten wurden. Ich sagte einmal zu ihm: »Sie sind allerleiherb, lauter Fels, rauhe Ebene, auch Waldfrieden, und Bucheckern und Strauch und Rotrotdorn und Kastanien im Schatten und Goldlaub, braune Blätter und Rohr. Oder Sie sind, Erde mit Wurzeln und Jagd und Höhenrauch und Löwenzahn und Brennesseln und Donner.« Er steht unentwegt, wankt nie, trägt das Dach einer Welt auf dem Rücken. Wenn ich mich vertanzt habe, weiß nicht, wo ich hin soll, dann wollte ich, ich wäre ein grauer Samtmaulwurf und würfe seine Achselhöhle auf und vergrübe mich in ihr. Eine Mücke bin ich und spiele immerzu vor seinem Angesicht. Aber eine Biene möcht ich sein, dann schwirrte ich um seinen Nabel. Lang bevor ich ihn kannte, war ich seine Leserin; sein Gedichtbuch – Morgue – lag auf meiner Decke: grauenvolle Kunstwunder, Todesträumerei, die Kontur annahm. Leiden reißen ihre Rachen [174] auf und verstummen, Kirchhöfe wandeln in die Krankensäle und pflanzen sich vor die Betten der Schmerzensreichen an. Die kindtragenden Frauen hört man schreien aus den Kreissälen bis ans Ende der Welt. Jeder seiner Verse ein Leopardenbiß, ein Wildtiersprung. Der Knochen ist sein Griffel, mit dem er das Wort auferweckt.
– Du denkst an mich – es bleiben alle Sterne stehn.
Und wie der Mond von Gold dein Leib
Dahin so schnell
Von weit er scheint.
[198] Alice Trübner
(Ihrem lieben Jungen)
Ihr Angesicht war aus Mondstein,
Darum mußte sie immer träumen.
Durch die Seide ihrer Ebenholzhaare
Schimmerte Tausendundeinenacht.
Ihre Augen weihsagten.
Ein goldenes Bibelblatt war ihr Herz.
Sie thronte einen Himmel hoch
Über die Freunde.
O sie war eine Sternin –
Sonnengold streute sie von sich.
Eine Herzogin war sie
Und krönte den armseligsten Gast.
Manchmal aber kam sie vom West:
Ein Wetter in Blitzfarben;
Die sind gefangen über Burgzacken
Im harten Rahmen.
Ihre Bilder alle,
Pietätvolle, bunte Briefe;
[199] Viele aufbewahrt unter Glas
An den Wänden.
Aber auch Gläser und Gräser
Malte Alice Trübner.
Irgendwo zwischen sitzt ein Schelm,
Ein altmodisch dicker Puppenporzellankopf.
Oder sie malte huldvoll die Köchin
Als Frau Lucullus gelassen im Lehnstuhl.
Verwandelte strotzende Früchte in Rosen
Auf weißem Damast.
O, sie war eine Zauberin.
[200] Dem Barbaren
Deine rauhen Blutstropfen
Süßen auf meiner Haut.
Nenne meine Augen nicht Verräterinnen,
Da sie deine Himmel umschweben;
Ich lehne lächelnd an deiner Nacht
Und lehre deine Sterne spielen.
Und trete singend durch das rostige Tor
Deiner Seligkeit.
Ich liebe dich und nahe weiß
Und verklärt auf Wallfahrtzehen.
Trage dein hochmütiges Herz,
Den reinen Kelch den Engeln entgegen.
Ich liebe dich wie nach dem Tode,
Und meine Seele liegt über dich gebreitet –
Meine Seele fing alle Leiden auf,
Dich erschüttern ihre schmerzlichen Bilder.
Aber so viele Rosen blühen,
Die ich dir schenken will;
[201] O, ich möchte dir alle Gärten bringen
In einem Kranz.
Immer denke ich an dich
Bis die Wolken sinken;
Wir wollen uns küssen –
Nicht?
[202] Dem Barbaren
Ich liege in den Nächten
Auf deinem Angesicht.
Auf deines Leibes Steppe
Pflanze ich Zedern und Mandelbäume.
Ich wühle in deiner Brust unermüdlich
Nach den goldenen Freuden Pharaos.
Aber deine Lippen sind schwer,
Meine Wunder erlösen sie nicht.
Hebe doch deine Schneehimmel
Von meiner Seele –
Deine diamantnen Träume
Schneiden meine Adern auf.
Ich bin Joseph und trage einen süßen Gürtel
Um meine bunte Haut.
Dich beglückt das erschrockene Rauschen
Meiner Muscheln.
Aber dein Herz läßt keine Meere mehr ein.
O du!
[203] Wilhelm Schmidtbonn
Er ist der Dichter, dem der Schlüssel
Zur Steinzeit vermacht wurde.
Adam den Urkäfer trägt er,
Ein Skarabäus im Ring.
Wilhelm Schmidtbonn erzählt vom Paradies;
Reißt den verlogenen Nebel vom Baum:
Stolz blüht die Dolde der Erkenntnis.
Sein markisches Gesicht strömt immer
Zwei dämmerblaue Kräfte aus.
Er ist aus Laub und Rinde,
Morgenfrühe und Kentauerblut.
Wie oft schon ließ er sich zur Ader
Seine Werke zu tränken.
Sein neustes Versspiel stiert aus Einauge.
[204] Milly Steger
(Ihrer Mutter)
Milly Steger ist eine Bändigerin,
Haut Löwen und Panther in Stein.
Vor dem Spielhaus in Elberfeld
Stehen ihre Großgestalten;
Böse Tolpatsche, ernste Hännesken,
Clowne, die mit blutenden Seelen wehen.
Aber auch Brunnen, verschwiegene Weibsmopse
Zwingt Milly rätselhaft nieder,
Manchmal schnitzt die Gulliverin
Aus Zündhölzchen Adam und hinterrücks sein Weib.
Dann lacht sie wie ein Apfel;
Im stahlblauen Auge sitzt der Schalk.
Milly Steger ist eine Büffelin an Wurfkraft.
Freut sie sich auch an dem blühenden Kern der Büsche.
[205]
Hans Adalbert von Maltzahn
Der Freiherr mußte Vizemalik sein
In meiner bunten Thebenstadt,
Als ich nach Rußland zog,
Prinz Sascha zu befrein.
[207] An Hans Adalbert
Wenn du sprichst
Blühen deine Worte auf in meinem Herzen.
Über deine hellen Haare
Schweben meine Gedanken schwarzhin.
Du bist ganz aus Süderde und Liebe
Und Stern und Taumel.
Ich aber bin lange schon gestorben.
O, du meine Himmelsstätte …
[208] Dem Herzog von Leipzig
Deine Augen sind gestorben;
Du warst so lange auf dem Meer.
Aber auch ich bin
Ohne Strand.
Meine Stirne ist aus Muschel.
Tang und Seestern hängen an mir.
Einmal möchte ich mit meiner ziellosen Hand
Über dein Gesicht fassen,
Oder eine Eidechse über deine Lippen
Liebentlang mich kräuseln.
Weihrauch strömt aus deiner Haut,
Und ich will dich feiern,
Dir bringen meine Gärten,
Überall blüht mein Herz bunt auf.
[209] Aber deine Brauen sind Unwetter …
In der Nacht schweb ich ruhlos am Himmel
Und werde nicht dunkel vom Schlaf.
Um mein Herz schwirren Träume
Und wollen Süßigkeit.
Ich habe lauter Zacken an den Randen,
Nur du trinkst Gold unversehrt.
Ich bin ein Stern
In der blauen Wolke deines Angesichts.
Wenn mein Glanz in deinem Auge spielt,
Sind wir eine Welt.
Und würden entschlummern verzückt –
Aber deine Brauen sind Unwetter.
[210] Traum
Der Schlaf entführte mich in deine Gärten,
In deinen Traum – die Nacht war wolkenschwarz umwunden –
Wie düstere Erden starrten deine Augenrunden,
Und deine Blicke waren Härten –
Und zwischen uns lag eine weite, steife
Tonlose Ebene …
Und meine Sehnsucht, hingegebene,
Küßt deinen Mund, die blassen Lippenstreife.
[211] Unser Liebeslied
(Ihrem kleinen Zeno in Zärtlichkeit)
Unter der Wehmut der Esche
Lächeln die Augen meiner Freundin.
Und ich muß weinen
Überall wo Rosen aufblühn.
Wir hören beide unseren Namen nicht –
Immer Nachtwandlerinnen zwischen den bunten Jünglingen.
Meine Freundin gaukelt mit dem Mond,
Unserm Sternenspiel folgen Erschrockene nach.
O, unsere Schwärmerei berauscht
Die Straßen und Plätze der Stadt.
Alle Träume lauschen gebannt hinter den Hecken
Kann nicht Morgen werden –
Und die seidige Nacht uns beiden
Tausendmalimmer um den Hals geschlungen.
Wie ich mich drehen muß!
Und meine Freundin küßt taumelnd den Rosigtau
Unter dem Düster des Trauerbaums.
[212] Du machst mich traurig – hör
Bin so müde.
Alle Nächte trag ich dich auf dem Rücken
Auch deine Nacht,
Die du so schwer umträumst.
Hast du mich lieb?
Ich blies dir arge Wolken von der Stirn
Und tat ihr blau.
Was tust du mir in meiner Todesstunde?
[213] Fritz Huf
(Seiner lieben Mutter und seinem Vater Hans Sachs)
In Frankfurt am Main saßen wir uns gegenüber beim Maler Starke. Nach dem Abendschmaus boxten wir uns. Er trug, seiner holländischen Freundin zuliebe, Sackhosen wie die Fischer im Hafen von Rotterdam, ich meinen Arbeiterkittel. In der Frühe saß ich ihm zu meinem Tonbild, aus mir den thebetanischen Prinzen zu holen, steinhart, unentwegt, souverän, fromm, Sternstichel auf der Stirn. Wir sprachen nie, feierten diese Sitzungen. Doch einmal sagte einer von uns beiden: Kunst ist der Zustand nach dem Tode. Der andere von uns antwortete da: Oder vor dem Leben.
Dann kamen von Ober-Ursel ein paar große Kunstkenner, seine neuesten Werke zu betrachten und ihn, den Bildhauer selbst. Die Hände in den weiten Taschen. Braun glänzten seine Augen wie Herzkirschen. Und seine kindliche Freude über jedes Lob! »Herr Professor, essen Sie Mohrrüben, Mohrrüben; ganz Indien hat keinen Wurm mehr seitdem.« Jedem Abschiednehmenden reichte er mit auf den Weg ein Buch von seinem weisen Indier und Fakir Mazdaznan.
Nun wohnt Fritz Huf in Berlin schon zwei Jahre. In seinem Atelier stehen, nicht mehr aus Ton oder Terrakotta, schlanke Rosenweiber oder heilige Dreimädchengestalt und dazwischen mein prinzliches Gebild. [214] Hufs wundervolles Spiel wurde bewußte, starke Arbeit; er selbst ein Kind, wurde Geschöpf. Fritz Huf ist ein Geschöpf, das nicht wandelbar ist, aber das sich verwandeln kann. Seine Kunst ist ein Gorilla, der ist nicht heiter, aber bösgreifend wie das Leben. Mitleidslos reißt er an dem Stein, daß er Fleisch werde, und verzaubert den Menschen zu Stein. Auf einem breiten Block steht Wegeners Kopf: kecke Wucht, böser Fastnacht. Die blonde Frau mit den Tigeraugen und den süßherben Brombeerlippen ist die dichtende Fürstin Mechtild Lichnowsky. »Und hier«, erklärt mir Fritz Huf geheimnisvoll, »der ist ein großer Arzt.« Und da – der Kopf des Doktor Blei hinter dem Vorhang wirkt: Reptil aus grausam grauem Glas.
Gestern schrieb ich Fritz Huf: Gorilla vom Rütli (er ist nämlich Schweizer), kommen Sie hierher ans Meer, hauen Sie mir ein steinernes Etui für dies unendliche, rauschende Perlengeschmeide.
Immer Ihr Prinz.
Fritz Huf entpuppte sich nach einer reichen Heirat als ein Emporkömmling.
[215] An zwei Freunde
(Dem Duc)
Ich blicke nachts in euren stillen Stern.
Es schwimmen Tränen braun um meinen Mandelkern
Und meine Schellen spielen süß am Kleiderrand.
Ich trage einen wilden Kork im Ohrlapp,
Und Monde tätowiert auf meiner Hand.
Versteinte Käfer fallen von der Schnur ab.
Ich liebe euer glitzernd Zackenland,
Und sehne mich nach goldnem Edelpunsche,
Aufglimme unsichtbar in eurem Wunsche.
[216] Laurencis
Ich gab dir einen Namen
Wie eine fromme Guirlande.
Darum will ich ihn
Nur immer liebend rufen.
Du siehst mich golden schimmern
Durch mein Abendherz.
Und nicht so trübe
Wie der Nebel es staubfällig färbt.
Meine Seele spielte Auferstehn,
Wenn Augen wie schlafende Täler lagen.
Und ich kenne alle Engel,
Denen habe ich von dir erzählt.
Es blüht die Aster meines Mundes
Mit deiner Lippen Rittersporn.
Und ich wache vor unserer Liebe
Denn ihre Küsse sollen Knospen bleiben.
[217] Savary Le Duc
(starb bei Lausanne 1918 schön und jung)
Seinem brüderlichen Freund Hans Siemsen, den er im Tod noch liebt.
Wie Perlen hängen seine Bilder
Schaumleicht an seidenen Wänden aufgereiht.
Mit goldenem Harz der Hagebutten
Und Rosenseime,
Malt er der Prinzen Liebeskleid.
Um ihre zarten Schultern tragen sie
An Ketten – Souvenir – im Medaillon
Verzückt des Freundes Paradeis.
Und ihre Hände spielen mit den Bächen
Und feinen Blumenstengeln
Und dem jungen Reis.
Und necken gern den Ziegenbock.
Glasäugig lauscht die graue Geiß.
Und ihre Leiber lieben sich
Wie süßgeblühte Bohnenstöcke,
Die sich bewegen kaum in ihrer Adeligkeit.
[218] Abschied
Aber du kamst nie mit dem Abend –
Ich saß im Sternenmantel.
… Wenn es an mein Haus pochte,
War es mein eigenes Herz.
Das hängt nun an jedem Türpfosten,
Auch an deiner Tür.
Ich färbte dir den Himmel brombeer
Mit meinem Herzblut.
Aber du kamst nie mit dem Abend –
… Ich stand in goldenen Schuhen.
[219] O ich möcht aus der Welt!
(Meinem Doktor Benn)
Dann weinst du um mich.
Blutbuchen schüren
Meine Träume kriegerisch.
Durch finster Gestrüpp
Muß ich
Und Gräben und Wasser.
Immer schlägt wilde Welle
An mein Herz;
Innerer Feind.
O ich möcht aus der Welt!
Aber auch fern von ihr
Irr ich ein Flackerlicht
Um Gottes Grab.
[220] Franz Marc
Der blaue Reiter ist gefallen, ein Großbiblischer, an dem der Duft Edens hing. Über die Landschaft warf er einen blauen Schatten. Er war der, welcher die Tiere noch reden hörte; und er verklärte ihre unverstandenen Seelen. Immer erinnerte mich der blaue Reiter aus dem Kriege daran: es genügt nicht alleine, zu den Menschen gütig zu sein, und was du namentlich an den Pferden, da sie unbeschreiblich auf dem Schlachtfeld leiden müssen, Gutes tust, tust du mir.
Er ist gefallen. Seinen Riesenkörper tragen große Engel zu Gott, der hält seine blaue Seele, eine leuchtende Fahne, in seiner Hand. Ich denke an eine Geschichte im Talmud, die mir ein Priester erzählte: wie Gott mit den Menschen vor dem zerstörten Tempel stand und weinte. Denn wo der blaue Reiter ging, schenkte er Himmel. So viele Vögel fliegen durch die Nacht, sie können noch Wind und Atem spielen, aber wir wissen nichts mehr hier unten davon, wir können uns nur noch zerhacken oder gleichgültig aneinander vorbeigehen. In dieser Nüchternheit erhebt sich drohend eine unermeßliche Blutmühle, und wir Völker alle werden bald zermahlen sein. Schreiten immerfort über wartende Erde. Der blaue Reiter ist angelangt; er war noch zu jung zu sterben.
Nie sah ich irgendeinen Maler gotternster und sanfter malen wie ihn. »Zitronenochsen« und »Feuerbüffel« [221] nannte er seine Tiere, und auf seiner Schläfe ging ein Stern auf. Aber auch die Tiere der Wildnis begannen pflanzlich zu werden in seiner tropischen Hand. Tigerinnen verzauberte er zu Anemonen, Leoparden legte er das Geschmeide der Levkoje um; er sprach vom reinen Totschlag, wenn auf seinem Bild sich der Panther die Gazell vom Fels holte. Er fühlte wie der junge Erzvater in der Bibelzeit, ein herrlicher Jakob er, der Fürst von Kana. Um seine Schultern schlug er wild das Dickicht; sein schönes Angesicht spiegelte er im Quell und sein Wunderherz trug er oftmals in Fell gehüllt, wie ein schlafendes Knäblein heim, über die Wiesen, wenn es müde war.
Das war alles vor dem Krieg.
Franz Marc, der blaue Reiter vom Ried,
Stieg auf sein Kriegspferd.
Ritt über Benediktbeuern herab nach Unterbayern,
Neben ihm sein besonnener, treuer Nubier
Hält ihm die Waffe.
Aber um seinen Hals trägt er mein silbergeprägtes Bild
Und den todverhütenden Stein seines teuren Weibes.
Durch die Straßen von München hebt er sein biblisches Haupt
[21] »Saul« • Manuskript: Deutsches Literaturarchiv Marbach, Zugangsnummer: 81.192. Auf der Rückseite des Blattes farbige Zeichnung, zwei Köpfe im Profil (Jussuf mit Diener), darunter: »Ich komm bald«. Else Lasker-Schüler dürfte das Gedicht im Februar oder März 1915, unmittelbar nach dem Erscheinen in den »Weißen Blättern«, zusammen mit einem undatierten Brief an Franz Marc übersandt haben.
[80] »Heimweh« • Zwei Manuskripte: 1) Wienbibliothek im Rathaus, H. I. N. 158176. 2) Deutsches Literaturarchiv Marbach, Zugangsnummer: 82.273. Am unteren Rand des Blattes farbige Zeichnung, beschriftet: »Die Stadt Theben mit dem Sternentempel des Prinzen«. Das Blatt ist auf Karton aufgeklebt. Auf der Rückseite des Kartons Widmung: »ming lewen / on / guden / Heemathfrönd / däm Paul Zech / van sing tröhe / Else Lasker-Schüler / Theben-Elwerfeld-Berlin. / 17. Okt. 12«.
[97] »Nun schlummert meine Seele –« • Manuskript: Wienbibliothek im Rathaus, H. I. N. 158179. Zusammen mit dem Gedicht »Ich bin traurig« dem Brief an Karl Kraus vom 8. Februar 1910 beigelegt.
[118] »Georg Trakl« • Manuskript: Wienbibliothek im Rathaus, H. I. N. 158177. Widmung: »Karl Kraus gewidmet«. Dem Brief an Karl Kraus vom 14. Oktober 1915 beigelegt.
[190] »Ich bin traurig« • Manuskript: Wienbibliothek im Rathaus, H. I. N. 158179. Zusammen mit dem Gedicht »Nun schlummert meine Seele –« dem Brief an Karl Kraus vom 8. Februar 1910 beigelegt.
[195] »Nur dich« (zuerst 1913 mit dem Titel »An den Herzog von Vineta« erschienen) • Manuskript: Deutsches Literaturarchiv Marbach, Zugangsnummer: 81.193. Mit dem Titel: »Wie soll ich dich rufen –«.