Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Zürich, Dienstag, 27. Oktober 1936
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postlagernd Fraumünsterpost Zürich
27. Okt. 36
Lieber Mill.
Daß ich niemehr Pantoffel auf der Straße tragen soll – hat mir so lieb gefallen. Ja so ein besorgt Wort ist doch mehr, als alles was man sonst alltäglich schenken kann. Ich freue mich auch, da Ihnen meine liebe Ettingers so gefallen. Er ist so liebenswürdig und sehr begabt und Frau Ettinger wirklich sehr mütterlich was mir ganz fehlt. Ich bin ein Junge. Ich bin stolz darauf zum Donnerwetter!! Aber darum, weiß ich jetzt, darum ging ich so oft zu ihnen, als sie noch in St. Materna-Ascona unten wohnten in einem Garten Eden. [2] Nun ziehen sie wieder für den Winter hin. Vorgestern kam auch von beiden die erste Nachricht. Sie waren ganz beglückt über Bern, lieben Sie direkt. Können Karte lesen. – Ich hatte viel zu tun. Gestern Abend war ich eingeladen von Frau Generaldirektor Marianne Rieser zur Forelle im Kleinen Saal des Schauspielhaus: Ich soll im Theater in einer Matinée sprechen und wahrscheinlich kommt (unter uns zweien) mein Stück zur Aufführung. Sie sagte alle wären –stert! Wir waren bis 2 Uhr nachts zusammen; es kam nur Leopold Lindtberg eine Sekunde dazu: Nachher fuhr mich Direktor und Direktorin nach Hause. Gerade wollte man Seehof schließen, aber öffneten schnell wie sie das Riesenauto sahen. Außerdem habe ich eine neue sehr hübsche Schauspielerin angebracht – die Nichte Moissis. [3] So wäscht ein Handschuh den anderen. Ich aber bin sehr müde, möchte weiter wandern. Will auch kein Haus, kein Geld, aber wenn man Tage nichts hat, so denkt man an Kartoffelbrei
Und Hühnerei und mancherlei
Und darum und auch nebenbei
Macht ich vom Bildverkauf Geschrei.
Und ich glaubte, Sie freuen Sich darüber. Und doch kauf ich mal einen Palast und wohne allein mit einem Diener einen Somali mit spitzgefeilten Zähnen, wie ich früher hatte (Ossman) und auch im Buch Der Malik. Ich kann nicht immer herumstreifen, muß mal hinter meinen Zinnen stehen. ganz allein, denn mir sind die Menschen im Grunde schnuppe geworden. Verzeiht, ja (?) meine Ehrlichkeit: – (Der Halter kleckst immer, da billig 1,95 ctm. Kaufhaus. [4] Nun wieder Geld, davor die Schweizer fast alle – (Sie nicht!!) sich bücken. Gestern morgen erhielt ich 50 Frank. Als ich heim kam fehlten 5. Ich konnt doch nicht mit allem nach der Kajütte kommen. Kolllosssal schwer wenn man mal Fürst war: Ich wär so gern zu Ettingers Konzert nach Bern gereist, hatte beiden in der Hand versprochen. Aber Sie, eckelhafter Mensch, hätten geglaubt, ich käme Ihretwegen auf Umwegen. Wie soll ich immer handeln und ich weiß nit wie? »Nit?« sagt man in Süddeutschland. Lieber Mill, ich muß wieder fort ein Bild Geschenk an Dr. Kanarsch und seiner Ruth Post bringen. Ich hab kaum mehr Lust zu allen Dingen zu großen nicht und zu geringen. Etwas in mir gebrochen. Ich muß in die Puppenklinik vis à vis. Zuerst ein Mensch und dann ein Vieh und nun eine Puppe Und wollte doch erlöst werden einmal [Gesicht mit Fes] Jussuf
Anmerkungen
Quelle: The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 31).