Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Zürich, Donnerstag, 6. Oktober 1938
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6. Okt. 38
Lieber Mill.
Ich hatte so viel zu tun. Zuerst eine fürchterliche Grippe zu verjagen und dann kamen fortwährend Wiener, die ich kenne – besondere Menschen. Und große Freude machen sie mir. Bekümmern sich was. Ich werde nach Gerusalemme fliegen. Bezahlen die alle, da ich ihnen von der Notwendigkeit sprach. [2] Sie glauben mir. Man soll, wenigstens ich – muß tun, was ich tief fühle. Mich bestärkt David und Jonathan. Ich wäre schon fort, aber der Sohn meiner treuen Frieda muß erst da sein, sie wäre fassungslos und ich, wie Sie sehen, habe doch noch eine sentimentale ausgerupfte Stelle im Flügel. Ich bin sonst voll Errötung vom vielen Allmosennehmen, die ich doch verlangen könnte. Denken Sie, ich bin seit Tagen ausgebürgert in Deutschland. Warum? Weiß niemand. Aber schon gehandelt. Aber ich will ja gar keinen Vorzug. Nun ist in London, der erregten Zeiten wegen, vielleicht auch der Eier wegen, [3] des kriegerischen Friedens wegen, noch kein Bild verkauft. 18 Bilder 2000 Frc. (lasse ich.) Kunsthändler einverstanden, aber es dauert. Aber nun machen es die Wiener 2 Freunde hier und London. Heute 5 Uhr Aussprache, wie wirs unternehmen. Auch sollen meine 21. Bücher wieder gedruckt werden in gesammelten 3 Bänden. Und Theaterstück gesandt nach New-Jork an bekannten Direktor. Vielleicht glückt was und das Allmosen hört auf. Die Wiener, entzückende Leute hier, auch Anwälte.
Vorgestern besuchte mich frühere Ministerfrau, stand vor meiner Tür mit Sohn und dessen Freund – aus Treue zu mir. So hat sie die Ausbürgerei entsetzt. Wir waren immer treue Freunde. Ihr [4] Mann war der ehemalige Wirtschaftsminister. Bitte unter uns, ich könnte schaden. Sie reiste sofort am Abend wieder ab nach Deutschland.
Benesch: wirklich ein Gentleman.
90 Prozent sind gegen H. dort. trotzdem! – Die neue Bestimmung hier des Einlasses jüd. Emigranten, – ist das antisem. hier? Oder warum? Bitte (unter uns Antwort) Ich lese immerzu. Lieber Zeitung als Weckly mit Mohn.
Ist Ihr Buch heraus?
Theater wird herrlich gespielt.
[5] Ich grüße Sie viele Male, Ihr Prinz Jussuf
[Frauenkopf im Profil mit Fes, rauchend]
Im St. Gotthard Hôtel überfiel mich beim Essen einer Bouillon mit Ei, ein nett aussehende Blondine. Aber etwas zu dringlich. Ich erschrak. Kannte sie nicht. Ob ich nicht E LSch sei? »Nein« sagte ich. aber Prinzessin Feiruk Mohamed die Frau des Königs Feiruk. Ich ließ Sie grüßen, Ich kenn sie nicht.
[1] Sie sehen ich bin wieder die »berühmte« E LSch. (Ich hatte mich wieder einmal spielend schwärmerisch auf die Wiese begeben. Aber ich sah ein: Es geht nicht!! Man bleibe, was man ist: Malik unnahbar.
Darf ich noch was sagen ohne zu beleidigen?? Schweine!!
Anmerkungen
Quelle: The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 51).