Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Zürich, Samstag, 8. Oktober 1938
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8. Okt 38
Lieber Fürsprech.
Ich hatte Ihnen einen Brief geschrieben, aber der Unleserlichkeit wegen nicht abgeschickt. Ich teleph. gestern, eigentlich Sie zu bitten, Sich, um einen Freund, der momentan in Bern, zu kümmern. Er ist doch extra nach Bern gereist von Wien, seinen Freund zu retten, einen Professor der Universität. (Jude) Ich wollte Sie bitten, da er [2] vergaß, mir seine Adresse in Bern zu schreiben, sie mir zu besorgen, indem Sie Job Matuschkas Adresse zu erfahren versuchen im Bundeshaus, wo er, wie ich annehme, vorgesprochen. Wenn Sie ihn mal zu Sich in Ihr Bureau bitten, Sie könnten ihm raten. Daß er der erste Tennisspieler – verschweigt er. Er war mit der Frau des Professors später verheiratet. Seine [3] Mutter, er und ich waren immer treuste Freunde. Auch war ich 10 Tage bei Ihnen im Haus in Breslau. Dann waren wir in Berlin und München, reisten auch nach Elberfeld und so weiter.
Erkundigen Sie Sich bitte: Graf (Franz Joseph) (Job genannt) Matuschka, der wegen eines Gesuchs eines Freundes Professor E. im Bundeshaus? war. Job ist ein Dichter und wir duzen uns und haben viel zusammen durchgemacht. Er haßte [4] stets den Antisemetismus. Er hat einen kleinen Sohn. – Ich versprach ihm, mich dort an Sie zu wenden, aber er vergaß seine Adresse zu schreiben. Er wohnt bei Freunden bei Meilen.
Ich bitte Sie auch mir den Namen und Adresse der Frau zu schreiben, die wirklich sich erlaubte, zu Ihnen zu eilen. Ich kenne doch die Schwabinger Mädchen, überall hoffen sie einen Ehemann einzufangen. Wahrscheinlich die auch. Sie überfiel mich an meinem [5] Tisch Hôtel St. Gotthard ich bekam direkt, im Gedanken versunken, ein Schock ersten Ranges. Ich weiß ihren Namen noch nicht mal, kenne sie nicht! Wie heißt sie, wo arbeitet sie in welchem Rönthgologeninstitut? Immer kamen sie an uns heran die Geschöpfe, nicht – (zu mir wenigstens nicht,) meiner ureigensten Person wegen, aber der Aussicht wegen.
Schmeißen Sie sie heraus! Ich habe hier viele und vielerlei Bekannte, auch die Wiener, die mir was helfen. Ingenieur [6] Ich konnte nun ordentlicher essen, wenig kann ich sowieso essen, und mir paar Sachen kaufen. Und für die Reise kriege ich. Flugreise. Ich bin immerhin soldatisch angelegt; ich habe gute Tage geteilt in Gerusalemme, nun auch leidende. Ich hab nichts zu verlieren. Ich habe wirklich nie heimlich Vorhaben gehabt im Leben. Aber was ich ergreife, lebt stark in mir, ja bis zur Besessenheit – Liebe und Haß. Aber wenn ich befreit, dann bin ich befreit. Sie erlebten alles Schöne: leidend, aber ich [7] liebe die Liebe und die wägt nicht hin und her, läuft auch in keinen Hafen ein.
Sie liefen keine Gefahr, aber ich bin von der Art und Weise Ihrer sehr unnotwendigen Vorsicht und philiströsen Geschicklichkeit, die Sie anwenden hätten sollen bei Bedienerinnen und engagierten Haustöchtern (wie man hier Kellnerinnen zu nennen pflegt) stark depremiert Emil Raas. Sie sind nie Mill gewesen; Ihr Name avanziert durch mich, durch meine Blindheit. Ja es geben Stunden, Verzeiht. wo ich Sie hasste direkt. Sie wagten mich in ein Niveau herabzuschrauben, das ich kaum [8] kannte. Ich, die irgend etwas wieder gesunder an Leib und Seele, werde im Gedanken rot, wie Sie wagten mit mir nach Herzenslust zu spielen wie mit einem Hampelmann oder einer Porzellanpuppe vom oller. Ihre Briefstudien lau, Wetterberichte langweilten mich. Briefe die voll liter. Eitelkeit strotzten, die Sie noch 3–4 Mal durchlasen auf liter. Fehler hin. Ich hatte einen zerquetschten Rücken – Wunden an der Magenwand, ein gewaltätig verdrehtes Handgelenk und eine verwundete Seele. Ich war arm, ich war zerrissen, ich war hungerig – aber am Meisten auf [9] liebe verzärtelnde Worte, wie die Wiener für mich haben, die doch wissen, daß die Dichterin E. LSch. ich sei mehr wie wert und am zu Grunde gehen im Begriff. Mit lieben Worten geizen ist der untergeordneste Geiz. Sie wiegen sie auf der Colonialgeschäft-Waage, ja Sie sparen noch an Vertrauen. Warum sandten Sie mir Bilet, (das ich zurückgab,) und behandelten mich kranken Menschen unter Cochon – ja fast ehrlos; wollten Sie mich verschachern, als Sie betonten, Herr Bundesrat, sei nicht verheiratet? [10] Aber das kann Zufall sein. Um dann wieder zu sagen – »Kommt ein Brief von Ihnen an mich ist Sommer, kommt keiner ist Winter.« Und so weiter. Aber wir wollen nicht alles auffrischen. Sie predigen Askese und der Genuß steht in Ihrem Gesicht wie in den Séparées eines Tanzbodens. Sie tanzten jede Nacht und hurten herum – – und predigten Askese. Wirklich ich hätte Sie nicht anders behandelt im Zimmer, wenn wir nicht auf dem Corridor zum letzten Mal gesessen, zur Spottbelustigung des Matrosenhôtels hier. Und – [11] zum Schaden für mich, da ich am anderen Tage zu schwach vom Wachen, für die Opération. Ich kann keinen Unterschied finden zwischen Zimmer sein am Tag oder in der Nacht. Ich bin wauwau Stubenrein. Auch war es nie mein Sinn, so einen kleinen unschuldigen Jungen wie Sie an mein Leben zu heften, erstens liebe ich nur Gymnasiasten (sehr kluge) oder ganz erfahrene Reederer, Herzöge, Consule von Cuba oder Habanna. Im Sternenmantel trete ich ein wenn ich komme. [12] Weitgereiste erfahrene Menschen, die helfen mein Geschick zu tragen in einer einzigen Hand. Die erkennen, daß hinter der Maske des Appachen ein trauriger einsamer sehr weichherziger Prinz steht. Die meinen Namen nennen, die mich verwöhnen, die mich beruhigen, die mich trösten, die mit mir über den Dorn der Erde gehen. Sie nennt sich Prinz von Theben, sagte der Dichter Franz Jung um den Hinweis zu verwischen Mann u. Frau. Ich liebe die Liebe!!
Das wollte ich Ihnen lange schon schreiben, aber ich bin gehetzt gewesen und Sie wurden mir täglich entfremdeter. [13] Ich wünsche Ihnen natürlich Glück. Gründen Sie, (ich hätte beinah gesagt einen Hühnerstall) eine Familie. Kinder zum Erziehen oder tyrannisieren, da nichts wirklich argloses Kindhaftes in Ihnen ist selbst, das Sie bewegt, das Sie vertraut unnachdenklich zum Anderen.
Warum ich Ihnen immer schreiben sollte? Ich fürchte den Grund zu wissen. Aber wie auch, ich wünsch Ihnen glückliche Zukunft.
Prinz Jussuf
[14] Ich habe ehrlich geschrieben. Gerne hätte ich Geschehnisse aufgeworfen, Ihnen zu beweisen, aber es dauerte zu lange.
[Turmuhr, die 12 Uhr anzeigt, darüber Mondscheibe]
[1] Ich vergaß immer, Herrn Messinger (jun) und Frl. Donja wiedergrüßen zu lassen
Anmerkungen
Quelle: The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 51).