Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Bellinzona, Donnerstag, 16. April 1936
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Nun ist es morgen – nachmittag send ich ab, da dann Geld.
Ekelhaftes Geschöpf!
Senden Sie mir vorsichtig Bild retour und inl. Briefe im Couvert, das ich geschrieben und Marke drauf geklebt habe. Sofort! Denn ich behalte mein gutes Bild für mich!! Ich bin schon kitschig von vielem [2] Guttun und Wohltat. Man soll mir wohltun. Nun hab ichs satt. Also sofort retour!!! Ein [Eselskopf] bin ich nicht mehr, dem Sadismus ausgesetzt. Und über gefrorene Äcker renn ich auch nicht mehr. Ich lieb mehr Sümpfe woraus man Quabbenwasser trinkt. [3] Oder Bäche wo man sich Krüge Wasser holt. Ich bin müde geworden und kann nicht ausschlafen, ich bin verbrannt und find keine Pfütze meinetwegen, ich bin arm und muß immer geben. Ich möchte überlegen wegen Berlin und Niemand überlegt mit mir. Ich mag keinen Menschen mehr [4] sehen, wer zu mir reinkommt, kriegt eine Backpfeife, selbst –
So eingebildet so arrogant sind ja die Leute alle – so viel Getue mit sich! Auch Bescheidenheit ist ein Notiz nehmen von sich. Seid doch wie Ihr müßt. Die Sterne und der [Mond] geht genau so weiter und was macht es der Erde! [5] Aber daß ich verreckte – – tut ihr leid.
Vielleicht? Doch weiß ich es nicht ganz exakt,
Der Mensch besteht ja jeder nur aus Fleischextrakt.
Doch mancher, kann er schweben –? (Ich)
Schwebt und macht sich aus dem Staub.
Es wächst der Baum, die Beere und sein Laub.
Und alles geht so nach dem gleichen Takt
Seit Weltbestehen immer noch der selbe Akt.
Ekelhaftes Geschöpf! Mit Gruß
Jussuf.
[6] Am anderen Morgen: heute
Muß noch meinen Stall reinmachen!
Anmerkungen
Quelle: The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 71).