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[91] Else Lasker-Schüler an Emil Raas

Ascona, Dienstag, 14. April 1936

Aktualisiert: 15. August 2025

* * *

Emil Raas
[1]

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3. Ostertag Abends.

Bitte verzeiht. Blei und Bogen.

Lieber Mill.

Ich schrieb Ihnen gestern einen Brief, den ich heute wieder zerriß; er paßte nur für gestern, konnte ihn nicht absenden wegen Marke. Nun versteh ich nicht, daß Sie das beste Bild fast oder von wenigen das mitbeste erst lernen müssen zu verstehen. Das Fixatif hat vielleicht einen Rand verursacht, der mit Warmwasser vorsichtig mit kleinem Schwamm zu entfernen ist. [2] Das Bild ist direkt Alexandrien Caféhaus und ich hätte es gern selbst behalten denn so was macht man einmal. Hier war die Schreiberin des inl. Briefs, die Nichte Prof. Liebermanns, die die rechte Hand (Handschuh) von Paul Cassirer Salon in Berlin war; heute mit Dr. Feilchenfeld Salon besitzt, das heißt nun im Ausland. Ich ließ nochmal die Bilder bewerten, bevor ich abreiste – lange noch vorher. Das muß man. Sie ist die größte Kennerin. [3] Verzeiht die kleine Eitelkeit, aber ich muß doch immer sehen zu verkaufen. Ich glaube es beginnt wieder. Habe zwei verkauft zu hundert jedes – eins zu 50. (das 2. hundert krieg ich noch. Ich habe viel auf den Schulterblättern [zwei Blätter mit Blüte] und send dann nach Berlin. Ich habe nun 4 Bilder fein gemalt, die verkauft in 8 Tagen sehr reiche Dame in Berlin; sie kauft sie sicher selbst, ihr Vater für Berliner die ich in Berlin angebe für 400 Mk. Nun wenn Sie nicht wissen wie schön mein Bild – so senden Sie [4] es bitte wieder; ich geb dann das fünfte mit und die furchtbar Armen bekommen 500 Mk. Wir haben wenigstens gute Luft und Ruhe vor Nazzilümmel. Wollen Sie die Palästinabilder sehen, so sende ich die 10 oder 11 Stück im Karton, dann senden Sie sie sofort wieder, Mill. Hören Sie, denn sie sollen fortgesandt werden.

1. Verleger gestern ½ 3 Uhr mein Buch 14 Seiten vorgelesen. Er brachte seinen Lektor mit. Ich glaube sehr entzückt – – Pardon! [5] Nahm Manuscript 170 Seiten mit; in 10 Tagen Antwort. Dr. Steinmarder macht die Sache. Sie sagten doch, es müsse ein Anwalt leiten, der diese Sache öfters schon geleitet. Ich kenne ihn schon Jahre. Bitte unter uns. Nur nicht [Landschaft mit Burg] Brunschwig sagen.

2. Was sagen Sie – ich soll noch nichts sagen – habe sogar Ehrenwort gegeben – nächste Saison Sept. November meine Wupper wird doch wahrhaftig aufgeführt. Bitte schweigt darüber.

[6] 3. Das letzte Schauspiel das [Krone mit Edelsteinen] (Simili) preisgekrönte gewiß auch.

7. Nationalrat Grimm hier mit Familie

8) 5 Tage über Ostern ohne Ctm. gewesen. Shampion geworden an Wirtschaftüberlegenheit; erst heute früh kamen Moneten. 5 Tage von Thee, Cacao und Kuchen, den ich bekam und Hasenchokolade.

[7] 9) Am 28. April sprech ich Teatro Materno.

10.) Ein Augenarzt [Gesicht mit Brille] macht Vorträge für mich und Schwester in Antwerpen, Brüssel Amsterdam

11) Verleger welcher hat Läden. Sehr günstig.

12. Ich habe 1 [Flasche] Flasche Cognac 1 Flasche Portwein bekommen.

[8] 12 Eier von Hühnern

1 Chokoladenei

1 Ente mit Eiern aus Chokolade

1 Riesenkuchen

1 Schachtel Cakes

Von Zürich von den Damen aus dem Papiergeschäft Chokoladenhasen

aus Bazar Storchen-Karte und Bonbons. Von den Damen Kaufhaus:

Ein paar weiße Glas Ohringe

[9] Es ist jetzt ½ 10 Uhr. Morgen sende Brief ab – da Post schon zu.

– So hart sind Sie ja gar nicht; nur ich muß immer büßen. Zu den glitzernden Kieselsteinchen sind Sie nicht hart. Aber zum Indianer. Aber bei mir: Missisippi!! Warum hart? Sie haben es doch so gut zu Haus. Denken Sie an uns wunde – Hunde am Hundekarren. Ich [10] glaub nicht mehr! Für die Jahre was soll man immer seine Adern verriegeln und so wichtig bin ich ja gar nicht. Ich wenigstens nicht. Immer das Getue. Ich legt es lange in die Truhe. Auch schreib ich gar nicht so mühelos. Große Mühe gerade beim letzten Buch gegeben. Trug Stein und Stein zusammen wie die lieben Karrawanen zum [11] Bauplatz. Soll ich Ihnen was sagen? Der Schweizer meint bei jedem Wort und bangt es könnt ihm einst zum Dokument werden. Alles Nonsense. Ich will nix von keinem Menschen mehr. Ich mag keinen Menschen mehr leiden. Habe genug vom Sadismus und so weiter. Beinah wäre ich verreckt – fragen Sie Erik, der hat mich vor dem Chaos gerettet. [12] Nun ess ich im Universum meine Suppe. Die Narbe auf der Zunge geheilt, ich sprech wieder viel und verscheuche die Affenleute.

Keine Angst ich pflanz keine Gerste auf Ihren Acker, auch keinen Weizen, auch keine Kornblumen. Vielleicht Josephs Träume.

Ich bin so froh mit der Wupper. Regisseur direkt hingerissen – Was sagen Sie? [13] Die Geschichte mit dem [Mond mit Gesicht]sichtigen Kind Lieschen. Heute kriegt ich 5 Frc.

Morgen 100 schon abgeschickt. Ich bezahl dann die Schulden. Heute habe ich alles wieder gewaschen und Boden aufgewischt; die Ratten kamen schon. Wir geben ein Fest in der Schule für die Kinder alle. Meine Conditorei und der Direktor und Frau und ich hatte die Idee. Lassen Karrossell bauen. [14] Die Kanasch sind wieder fort. Sehr liebe Menschen. Frau und Herr Dr. Bagotzky und Tochter und Sohn noch hier. Der Augenarzt ihr Freund schon abgereist. Nun alles Liebliche für Sie und liebe Grüße von Schnee zu Schnee. Man erfriert hier am See. Er kann sich, ich mich nicht erbarmen; wollte schreiben die Welt sich nicht erbarmen. Ich sprech so gern über Politik. Wir sprechen immer. Blumen Bin immer voll Unruhe. Ihre Dichterin

Ich weiß, auch Ihre Realität spielen Sie nur alles dichterisch aber warum immer gerad bei mir? Sonst tanzen Sie mit den Kieselsteinen herum.

Anmerkungen

Quelle: The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 67). Druck: Else Lasker-Schüler, Werke und Briefe. Kritische Ausgabe. Im Auftrag des Franz Rosenzweig-Zentrums der Hebräischen Universität Jerusalem, der Bergischen Universität Wuppertal und des Deutschen Literaturarchivs Marbach am Neckar hg. von Andreas B. Kilcher [ab Bd. 9], Norbert Oellers, Heinz Rölleke und Itta Shedletzky. Bd. 9: Briefe. 1933–1936, bearbeitet von Karl Jürgen Skrodzki, Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2008, S. 327–329. – Auf einem Aktendeckel: »Dem Liebsten Mill von der fernen Dichterin zu Ostern« (The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection [Arc. 4* 1821 03 121]).

Das Jahr ergibt sich aus Else Lasker-Schülers Hinweis, dass sie einem Verleger aus dem »Hebräerland« vorgelesen habe. – Alexandrien Caféhaus • Das Emil Raas geschenkte Bild ist beschriftet: »Egyptische Photographie | (In einem Café aufgenommen.) | Achmed Pascha, Weib, Sohn und Brüder«. Abbildung in: Else Lasker-Schüler 1869–1945, bearbeitet von Erika Klüsener und Friedrich Pfäfflin. Else Lasker-Schüler in den Tagebüchern von Werner Kraft 1923–1945, ausgewählt von Volker Kahmen (Marbacher Magazin 71/1995), Marbach am Neckar: Deutsche Schillergesellschaft, 1995, S. 268; Else Lasker-Schüler. Die Bilder, hg. von Ricarda Dick im Auftrag des Jüdischen Museums Frankfurt am Main. Mit Essays von Ricarda Dick und Astrid Schmetterling, Berlin: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2010, S. 106. – Auf einem Blatt mit zwei kleinen Zeichnungen, das Else Lasker-Schüler an Raas schickte, notierte sie am Rand: »Mein egyptisch Bild sofort retour!!« In der Mitte des Blattes zeichnete Else Lasker-Schüler zwei schreitende Männer mit Handstock und Fes, schräg daneben ein Gebäude, beschriftet: »Kloster bei Jerusalem«.

Emil Raas

The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 79). – die Nichte Prof. Liebermanns • Die Kunsthistorikerin und Kunsthändlerin Grete Ring, eine Nichte des Malers Max Liebermann. Sie hatte am 19. Januar 1929 (The National Library of Israel, Jerusalem, Else Lasker-Schüler Archive [Arc. Ms. Var. 501 05 6]) an Else Lasker-Schüler geschrieben, dass sie einen Preis von »200 bis 250 Mark« für eine Zeichnung von ihr für angemessen halte. – sehr reiche Dame in Berlin • Anni Oppenheimer. Siehe [Brief 94]. – für Berliner die ich in Berlin angebe • Gemeint sind der Schwager Franz, die Nichten Edda und Erika Lindner sowie das frühere Kindermädchen Hedwig Grieger. – die Palästinabilder • Die Zeichnungen für »Das Hebräerland«. Vgl. zu [Brief 48] (»viel dichtete auch über Jerusalem«). – Verleger • Emil Oprecht, der Verleger des »Hebräerlands«. – wahrhaftig aufgeführt • Eine Inszenierung der »Wupper« kam nicht zustande. – Das letzte Schauspiel • »Arthur Aronymus und seine Väter« wurde Ende des Jahres in Zürich aufgeführt. – das [Krone mit Edelsteinen] (Simili) preisgekrönte • Else Lasker-Schüler hatte zusammen mit dem österreichischen Schriftsteller Richard Billinger (1890–1965) im November 1932 den Kleistpreis für ihr Lebenswerk erhalten. Als »Simili« wird die Nachahmung eines Edelsteins bezeichnet. – Am 28. April sprech ich Teatro Materno. • Else Lasker-Schüler las am 30. Mai 1936 in Ascona im »Teatro San Materno«. Siehe [Brief 109]. – Zuvor hatte sie in Ascona am 22. Februar 1936 einen seit Dezember 1935 geplanten Vortrag gehalten. Siehe [Brief 75]. – Ein Augenarzt […] Amsterdam • Am 26. April 1936 schrieb der Antwerpener Augenarzt H. Birnbaum an Else Lasker-Schüler: »Hier Näheres über eine eventuelle Vortragsreise in Belgien und Holland: | In Belgien käme nur Antwerpen in Betracht, da in Bruxelles nur wenig Leute deutsch verstehen. Da aber Antwerpen wenig zahlt (20–30 schw Franken) würde sich diese Reise nur dann lohnen, wenn Sie zu gleicher Zeit in Holland einige Vorträge halten könnten. Die Holländer zahlen unter Umständen die Reisespesen und 20–25 holl Gulden (40–50 schw Fr) | Das liesse sich ganz gut machen, da Sie in Holland sehr gut bekannt sind. Im günstigen Falle kämen fünf Städte in Betracht. | Die einzige Schwierigkeit scheint mir, nachdem was mir meine zwei Schwestern, die darin Bescheid wissen, sagten, wäre der Inhalt Ihres Vortrages. Es dürfte nicht ausschliesslich ein Recital-abend werden. Sie müssten auch etwas sprechen. Das scheint mir doch in Ihrem Falle gar nicht schwer. Sie könnten doch über Palestina etwas sagen, was übrigens eine gute Reclame für Ihr Buch wäre (Ihre Bücher bringen Sie natürlich mit), Sie könnten auch etwas über Ihr Leben erzählen, auch wie Sie Göbbels aus Deutschland vertrieben hat und zum Schluss auch etwas lesen. Die besten Vorträge dauern doch nicht mehr wie eine Stunde. | Zeitpunkt der Vorträge, Spätherbst oder anfang Winter. Sind Sie inzwischen in Palestina bitte ich Sie sich an meine Schwester Frau Ehrenfeld in Jerusalem zu wenden. Van Friesland wird Ihnen ihre Adresse geben. Sie wird von dort aus die Sache in Holland besorgen und ich in Belgien. | Wenn sich Ihr Vortrag etwas eingehender mit Palestina beschäftigen sollte, so scheint es mir durchaus möglich dass Ihnen eines der zyonistischen bureaus in Jerusalem eine Vortragsreise durch Europa arrangieren würde? was dann sowohl für Ihre Bücher als auch für Ihre Tasche von Nutzen sein könnte. Näheres darüber bei meiner Schwester in Jerusalem.« (The National Library of Israel, Jerusalem, Else Lasker-Schüler Archive [Arc. Ms. Var. 501 05 84]). – Verleger welcher hat Läden. • Emil Oprecht betrieb eine Buchhandlung in Zürich in der Rämistraße 5. – Trug Stein und Stein […] zum Bauplatz. • Im »Hebräerland« (S. 116 f.) schreibt Else Lasker-Schüler: »Heute schleppen zum zweiten Male Karawanen fleißiger Kameele und Dromedare unermüdlich neues Material empor, von Stein zu Stein, von steinerner Terrasse zu steinerner Terrasse, von Pyramide zu Pyramide, herüber und hinüber zu überbrückten Gipfeln.« Vgl. Else Lasker-Schüler, Werke und Briefe […]. Bd. 5: Prosa. Das Hebräerland, bearbeitet von Karl Jürgen Skrodzki und Itta Shedletzky, Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2002, S. 109. – Erik • Erik Heilbronn. – Josephs Träume • Vgl. 1. Mose (Genesis) 41,22–36. – Die Geschichte mit dem [Mond mit Gesicht]sichtigen Kind Lieschen. • Siehe »Die Wupper« (1909) (S. 15 [»Ich hab immer blos in sein runden, roten Mond geguckt.«]), (S. 23 [»Das kleine Lieschen steigt leise mit geschlossenen Augen im Nachthemdchen aufs Dach«]) und (S. 100 [»Im Nachthemd spaziert es grad unterm Mond über die Dächer.«]). Vgl. Else Lasker-Schüler, Werke und Briefe […]. Bd. 2: Dramen, bearbeitet von Georg-Michael Schulz, Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 1997, S. 13, 19 und 71. – der Direktor und Frau • Richard B. und Lissy Matzig. – Man erfriert […] nicht erbarmen. • In Friedrich Schillers »Wilhelm Tell« (I,1; Vers 143 f.) heißt es: »Der See kann sich, der Landvogt nicht erbarmen, / Versuch es, Fährmann!«