Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Ascona, Mittwoch, 1. April 1936
Postfach 49 Hauptpost Ascona
1. April 36
Lieber Mill.
Danke Ihnen sehr.
Dr. med. Tomarkin: Kantonarzt in Bellinzona hat für mich gesprochen. Wenn er will, (bitte unter uns) kann er Verlängerung erlangen. So beliebt und mächtig ist er, alle tun, was er sagt. Und er versprach es mir! Ich mußte Pass und neu Attest. von Dr. Rom würde es von Zürich gesandt. Ich glaub ja sicher ich krieg Verlängerung. Ich würde lieber Herrn Nationalr. noch nicht bitten, sonst ist Dr. Tomarkin vielleicht beleidigt. Ostern kommt der Verleger aus Zürich – soll ihm vorlesen. Nun gerade günstig meine Palästinabuchbilder stehen so nett aus in einem Glaskasten, lauter Spielsachen, in einer Glasvitrine auf meiner Straße. Aber ich kann mich gar nicht freuen. Ich war auch nie so erschöpft an Leib und Seele. Heute habe mein Zimmer total aufgeräumt, eine solche Anstrengung. Koffer an der Seite und nun großer Raum. Eben Raum ohne Schaum und Traum. Ich bin so unglücklich und kann mich nicht mehr trösten. Aber was macht das im Weltgeschehen, – alle die armen Menschen in Deutschland und Italien und Abessinien. Ich werde nach Paris schreiben wegen Verlagsexemplare – sende Ihnen dann mit den ersten Seiten meines Hebräerlands. 27. März (am Vendredi) Pariser Tageblatt. Vielleicht werde ich morgen etwas operiert am Arm – wenn nicht bis morgen besser. Vielleicht ganz gut, da kann man mal hineingucken. Aber ich habe viel Salbe drauf und gut verbunden worden. Ich hoffe Sie erholen Sich bald etwas und überanstrengen Sich nicht.
Ich wollte noch zur Korrektur hierbleiben, dann über Paris Marseille nach Jerusalem. Reiserei ist so teuer und ich muß sehen auszukommen.
Jakob Goldschmidt der einstige Besitzer von der Danatbank hat mir geschrieben und auch ihm gehts nicht gut, aber so viel hat er doch, er sandte mir 50 Frc. dafür hab ich ihm das Weh der Zeit hier geklagt. Er hat von mir 104 Bilder. In Berlin sandte er mir immer noch Suppe mit allerlei drin sofort fertig. So gut war er zu mir und zu uns Künstlern. Richtige Bettler sind wir geworden, aber warum sollen nur die armen Bettler, Bettler ihr Leben sein. Ich kriege diesen Monat noch von paar Seiten, also genug und Mitleid überflüssig. Ich grüße Sie tausendmal, lieber Mill. Es ist so ein Sterben in der Luft und niemand sieht wie ich weine hinter meinen Augen. Haben Sie das gezeichnete Couvert bekommen vorgestern etwa? Bald schönes Bild zur Revanche.
Ich bin so gehemmt wie hinter Drähten immerzu.
Alles Liebe!
Ihre Dichterin
Für in ein Buch zu legen