[71] Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Ascona, Freitag, 6. Dezember 1935
6. Dez. 35.
Lieber Mill Raas oder lieber Mill.
Ich weiss schon nicht mehr wie ich sagen soll? Ich hatte immer das Empfinden Sie sind ein Menschenkenner? Sogar dass Sie fähig, vieles zu erklären was man selbst nicht weiss. Ich habe immer nur gedichtet und bin über Menschen und ihre Länder geflogen mit Vogelaugen. Und bin jäh wie der Flug selbst. Und hab immer mein Herz versteckt aus Stolz und Hochmut dass nur niemand hinein sieht. Das wissen Sie! Sie wissen auch wie Sie mich zu behandeln haben. Behandeln – – – – ja das ist es ja eben dass Sie mit geschickt und ungeschickt operieren. Ich bin ja ein Waisenkind gegen Sie an Erfahrung. Ich hab aber nie solch Interesse an wirklichen Menschen je gehabt nur an Ausnahmen. Und ich liebte ja die Menschen dennoch so, dass ich enttäuscht sein muss. Gestern Abend ging es seelisch mit mir zu Ende – und dann unter so primitiv dumpffühlenden Menschen zu sein keine Kleinigkeit. Was soll ein Vogel singen unter Würmern. Darum zertret noch fress ich sie. Gerade von den Aermsten Leuten habe ich diese Art Menschen verabscheuen gelernt. Wie sie zu meinem treuen Mädchen schlecht waren, da sie weiter denken lernte. Ich habe in meinem neuen Buch geschrieben, Wachsein heisst adelig sein. Ich bin eben nicht gerade erkaltet, aber für mich in der Seele wieder allein und darum jammerte ich umgekehrt in meinen Briefen und doch empfinde ich eine Freude schon für Sie. Ich kann eben nun besser schreiben Liebe hemmt und die Fingerspitzen, schrieb ich an Sie, wurden Korallen. Nun bin ich wieder Jussuf sitze wenigstens gedanklich auf den Tron zu Theben und zwar einsam bei Thebens Ehre, auch gedanklich und schreibe wie an Sie schreiben würde wie als wenn wir uns nie gesehen. Ich bin eben unvernünftig rechne nie mache mir seelisch keine Vorstellungen und bin eben immer ich. Wie hätte ich mich gefreut wären Sie gerade immer in Zürich gewesen da hätte ich doch einen Menschen wenigstens eine lange Zeit gehabt. mit dem ich sprechen hätte können und alles erzählen. Aber Sie sind ein rechter Schweizer alles meinen Sie ist ein Dokument. Ich der Kaiser von Theben hätte nie Jemand bei seinem Wort genommen noch irgend wie Dinge hervorgesucht den Zweiten zu verpflichten. Aber doch niemals wo nichts da ist. Ich fliege schwebe eile stolpere meist, und Sie sitzen gemächlich in einer – Gondel da Sie ein Dichter, und betrachten die Dinge psychologisch. Mir liegt nichts an Psychologie noch Analysen zu stellen, sie sind ungenau und schwierig und launig. Und zerreissen wie Zwirn. Und wer nicht vermag die Seiten im Menschen wieder zuzukleben oder zuzukleben mit seinem Blut der tut ein Unrecht. Sie haben mir grosses Unrecht getan, denn ich meinte es königlich mit Ihnen noch heute. Meine Kraalindianer stehen immer zu Ihrer Verfügung. Ich gedachte nach Deutschland zu reisen, mich dort ungesehen da ich noch mehr wie herausgeworfen nicht hin darf. Es wollen mich hier mir liebe Frauen nicht fort lassen. Ich bin ja kein Mensch der flieht. Ich hab noch in der letzten Nacht gekämpft und wurde nur aus Erschöpfung feige hier im Lande. Ich habe hier sehr nette Menschen namentlich von der Schule den Dichterdirektor und seine Frau und noch paar Menschen. Auch eine Aerztin wir können über Politik sprechen so interessant. Ich war nie feige aber es fehlen immer Dinge und Undinge. Ich habe von der Polizei noch nichts weiter gehört, aber ich hoffe da Sie so viel für mich taten, ich bekomme weiteren Aufenthalt. Von hier aus sehe ich erst Verlag zu bekommen, Geld mich weiter zu bewegen in der Welt. Bitte lesen Sie inl. Brief. Er ist doch nett? In Bern soll ein Verlag Franke? sein. Wäre so gut sagte der noble feine Maler hier gestern der Maler Kohler. Vom Fenster aus seh ich in sein Atelier. Seine Frau ein Jude, schon darum ausser sich der Geschehnisse wegen. Soll Ich Franke anfragen ihm sagen dass dieses Buch das 18. wäre, ich 32 den Kleistpreis bekam und so weiter etc.
Soll ich anfragen? Und nun will ich Sie weiter nicht stören. Buch total fertig. Bauplatz schon abgeräumt ich häng in der Luft. Ganz leer geplündert, andere essen meine Melonen. Ich habe Herzklopfen warm scheint die Sonne und ich möcht sie draussen besuchen. Aber ich kann heute noch nicht. Ich möchte so gern nach Abessinien in die Hauptstadt. Der Negus soll ja auch ein Dichter sein und eine Indianernatur. Ich werde ihm schreiben. Habe immer Mussolini so gern gehabt und verstehe ihn jetzt nicht. Die Not in Berlin furchtbar und alles. Ich sage Ihnen nun Dank für alles Gute und grüsse Ihren lieben verehrtesten Papa und liebe René, alle verziehen Sie. Sie müssen sehr glücklich sein darum. Ich bin immer Ihre dankbare Dichterin
Else Lasker-Schüler
Ein Bild gemalt von mir kommt noch!