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Else Lasker-Schüler: Aus den Entwürfen zu »Das Hebräerland« (1934/35)

Aktualisiert: 10. Dezember 2023

Inhaltsübersicht

Aus den Entwürfen zu »Das Hebräerland« (1934/35) [*]

Anmerkungen [*]

Aus den Entwürfen zu »Das Hebräerland« (1934/35) [a]

Entwurf [1] [b]

Das Hebräerland

[1; 2:157 594] Ihr aber sollt mir sein ein Reich von Priestern, eine heilige Nation.

Das Hebräerland.

(Meinen teuren Eltern und meinem geliebten Sohn Paul in Liebe.)

Aus der Höhe Jerusalems stürzt der Geyer und ordnet sein Gefieder, bevor er sich in einer Grube niederlässt. Feder auf Feder glättet er sorgfältig, als ging es zum Festflug. Nie sah ich einen Menschen, der, im Begriff sich auszuruhen, mit glorreicherer Geste sein Gewand betrachtete. Ich erinnere mich gerne der mächtigen Tiere, die uns so oft durch die Wüste, auf der Fahrt im Autoomnibus eine Strecke nach Tel-Aviv begleiteten, kühn und voll Unternehmungslust. Unwillkürlich legt die besorgte Mutter fester um ihr Schooskindlein ihren Arm. Heute fahr ich wieder nach unten ans Meer. Neben mir sitzt ein Beduine im gestreiften langen Kleide, den Kopf in ein gelbes Tuch gehüllt. Wir sprechen englisch zusammen, auch ein paar Worte arabisch, die ich wohl auf der Strasse aufgefangen, aber deren Sinn ich nicht verstehe. Darum auch lachte der bunte Mitreisende verstohlen, und ich wusste warum. Im Grunde versteht man sich im heiligen Lande, ohne was zu sagen. Die Sonne scheint ja so hell durch die Sinne der Geschöpfe und duftend durch alle Herzen und verteilt an den geringsten Menschen, und dem kleinsten Feigenbaum auf vergessenem Schutthaufen gewissenhaft ihr Gold. Und darum wundert man sich, wenn sein Dorn einen [2; 17:12 89] der Einwohner Palästinas in den Nacken sticht. Um fünf Uhr morgens pflegt die Sonne am heissesten zu scheinen und begrüsst den Zulangschläfer mit einem goldenen Kuss. Der Araber legt sich schon um die Nachmittagsstunde zur Ruhe, der arabische Jude, kaum ist es Abend. Mich brachte der Mond, als unwiederruflich letzte oft knurrend heim.

Will man von Palästina erzählen, geschmacklos sich einen Plan zu construieren; ganz Palästina ist eine Offenbarung und es getreu wiederzugeben, ist man nur im stande, indem man es dem Andern – offenbart. Man muss gerne vom Bibellande erzählen, das wir ja alle schon in der kleinen Schulbibel besuchten. Dazumal wäre es selbst den Historiker nicht eingefallen, wissenschaftlich oder den Wirtschaftler – ökonomisch über das Gelobte Land zu reden.

[3; 17:12 90] Palästina ist das Land des Gottesbuchs; Jerusalem ... Gottes verschleierte Braut. Ich kam von der Wüste aus, reiste zur heiligen Hochzeit. Eingeladen zur Feier, die immer Jerusalem umgibt. IMMER ist Hochzeit unter dem Baldachin seines Himmels. Gott hat Jerusalem lieb, Er hat es in sein Herz geschlossen, Er hat diese ewige Stadt der Städte erwählt. Und jeder Gast, der in diese Stadt kommt, wechselt sein Kleid mit der Weihe des Gewands. Diese fromme Wandlung verpflichtet den Menschen in Jerusalem sich artig und feierlich zu benehmen, die andächtige Stimmung der erhobenen, auserlesenen Stadt nicht zu erschrecken. Ich muss sagen, ich habe nie ein überlautes Wort, nie einen schrillen Ton in Jerusalem vernommen, weder in den Strassen, noch in ihren Häusern und Palästen. – Man hört darum deutlicher Gott atmen. Überwältigt von Seiner Nähe beginnt [4; 2:157 595] der Mensch zu beben. Man muss sich an Gott gewöhnen. Es tut gut sich zu reinigen, immer besser zu werden. Die Seele wird von tiefer Furcht ergriffen. Beginnt zu brennen. Manchmal hätte ich mich gern vor Gott versteckt. – Nicht alle Menschen, die in das Land Palästina reisen, leben dort im Bewusstsein ihrer Aufgabe. Palästina verpflichtet!! Sich erholen, namentlich im seelischen Sinne, ist gerade Jerusalem der rechte Ort, das heilige Bad der Seele. Denn die Stadt segnet, den Menschen, der sich nach dem Segen sehnt, die fromme Stadt tröstet den, der getröstet werden möchte. DIE STADT IST DER VORHIMMEL DES HIMMELS. In dieser himmlischen Schöpfung wurde der erste Tempel gebaut.

Nach greisen Zeiten war es: »HERZL«, der tote Melech, der lebendige Wegweiser, »Theodor Herzl«, der auf seines Herzens Papyros den Wiederaufbauplan Jerusalems entfaltete: Die ehrwürdige, ehrfürchtige Mumie auszugraben. Amen. Ich verweile andächtig ....... Jerusalem ist gedanklich die fernste Stadt der Welt. Ich wollte ja nur feststellen, ob man überhaupt wieder auf die Erdkugel zurückkommen könne, – und reiste ab. Mir ist noch immer so, ich bin auf einem anderen Stern gewesen. [5; 2:157 596] Mich bringt Niemand von diesem Glauben ab: Am allerwenigsten der Geograph. Ich reiste nach Europa zurück. Auf dem schönen Schiff: JERUSALEM. Wenn nicht am Morgen und am Abend die kindlichen, hebräischen Kolonnisten auf Deck ihre rührenden Volkslieder gesungen, hätte ich mich, trotz der vielen Mitreisenden, einsamste Passagierin empfunden. Wie hätte auch jemand den Grund meiner Rückfahrt verstehen können, ich, die ich doch endlich meine verlorene Heimat gefunden hatte. Unschlüssig verliess ich in Triest arriviert, den mächtigen hebräischen Lloyd: JERUSALEM. Ach ich hätte ihn mir so gern in der Hafenstadt zum Andenken als Enveloppe an mein Armband gehängt! Er zeigte uns Griechenland und Ithaka; sahen Zeus – auf dem Olymp sitzen – und hörten aus blaublauen Wasser – Sirenen singen. – Oft tanzten auf unserem Schiff die kernigen Judenbauern mit ihren bildhübschen Bäuerinnen unter freiem Himmel. Die Söhne und Töchter wohlhabender Judenfamilien Europas pilgerten nach Palästina, verließen das Elternhaus und seine Verwöhnung, sich der Erde des heiligen Landes zu weihen, die Sümpfe Tiberias auszutrocknen, ja ihr Leben zu opfern [6; 2:157 597] mit Freuden hinzugeben dem Dienst des Herrn. Denn Palästina ist Seine Wohnung. Mit grosser Bewunderung und Verehrung begegnete ich diesen heiligen Mitreisenden, den Helden, ihren Söhnen und Töchtern den mutigen Pionieren des Bibellandes. Schon in Palästina verstummte mein Mund vor Hochachtung, als ich in einer der nächstliegenden Kolonien den fleissigen, schlichten Bauern und Bäuerinnen begegnete. Rügte auch die kleine Reisegesellschaft, der ich mich am Morgen zum Ausflug ins Emek angeschlossen, meine Oberflächlichkeit in wirtschaftlichen Dingen. Meine Unerfahrenheit im Dunst, allerdings im gesunden der grosszügigen Kuhställe der Kolonie. Wetteiferten in Ratschlägen, die sie dem gewissenhaften, sachverständigen Verwalter zu erteilen sich erlaubten. Die kleinen ein- und zweijährigen Judenkosaken auf ungesattelten Pferden galoppierten zwischen den Hecken der Colonie – sie hatten es mir angetan! Am Schabattabend dürfen die Kinder der Kolonnisten reiten. Es ruht vom Hauch des Feiertags noch lässig die Arbeit. Zu zweien, zu dreien sitzen die glücklichsten jüngsten Adonis und die zauberhaft lieblichen Geweretts [7; 2:157 598] auf die Rücken der lieben geduldigen Pferde, die ihre kleinen Reiter und Reiterinnen lieben und mitmachen! Über die hebräische Pussta jauchzend und schnaubend sausen sie über Stock und Stein. Ich gestehe, schon auf dem Schiff empfand ich eine Sehnsucht sondergleichen zurück nach unserem lieben Heiligen Lande. Nach Jerusalem namentlich, wie nach einem von mir verlassenen Urverwandten versteintem Geschöpf. Ein Skarabäus ist Palästina! Ein jeder Jude ist mit seinem Erzstoff geimpft. Neu wird gekleidet vom Judenvolke von Jahrhundert zu Jahrhundert, Palästina das biblische Land; im neuen Einband Gott gereicht. Gerade die Juden, die neu in das Land kamen, entdeckten seine Brüchigkeiten und Vergilbtheiten. Die Eingeborenen, die vom Ahnher nie die rote blutgeronnene Erde verliessen, wohnen zufrieden zwischen den Steinspalten der alten Stadt. Viele in den Kammern ihrer Bazare oder auf den Höhen zwischen Schlucht und Schlucht. Oder wie die wilden Juden – vor Jerusalems Tore – anspruchslos und einträchtig mit ihren arabischen Brüdern in Zelten. Es sind die Schlechtesten nicht. – Man bewegt sich keineswegs zwischen einzelnen Menschen in den Hängen und Gängen Zions, [8; 2:157 599] aber zwischen Völkern. Die sich gefundenen Stämme Judas ruhen methodisch geborgen, jeder einzelne Stamm, bunte Blöcke, im Stadtviertel Seines Bilderbaukastens. Um diese bunten Stammbausteine bewegen sich die verschiedenartigsten Völker und Religionen. Und doch geht Jude und Christ und Muhammedaner Hand in Hand. Das heisst, ein Jeder begegnet dem Andern mit Verantwortung. Und es ziemt sich nicht, hier im heiligen Lande, Zwietracht zu säen. Griechische Mönche, abessinische Mönche und abessinische Judenpriester verbindet eine besondere Innerlichkeit. Die Priesterwürde vererbt sich vom hebräischen Abessiniervater auf den Sohn. Sie tragen lange schwarze Gewänder feierlich wallend über ihre hochgewachsenen Gestalten, schwarze hohe Turbane auf stolzen Häuptern. Sie sind die schönsten Juden im Liladunkel ihrer Haut. Auch sah ich selten schönerere Gesichtszüge und edelgeschnitterere wie die aus atmendem Ametist. Keusch und tiefliegend ihre Augen, schmal und ernst die schweigenden Lippen. Ich denke an das – Hohe Lied in dem König Salomon die Nase seiner Myriam heiligt. [9; 2:157 600] Auch des Abessiniers Nase steht gen Osten gerichtet. Das heißt: Die sanften bebenden Nüstern wittern immer Gottes Hauch.

Die Städte Palästinas sind räumlich alle kleine Städte, aber ihr Inhalt – tausendfältig. Dafür überbieten die Dimensionen der Landschaften an Weite und unübersehbarer Ausdehnung, an Mass, die Umgegend der Städte und Dörfer anderer Länder jedes Erdteils. Ich baue keine Kulissen und glaube doch die grenzenlosen Fernen betonen zu müssen, eine annehmbare Vorstellung von der Umgebung des unvergleichlichen Zauberlandes zu ermöglichen. Denn klein ist Jerusalem Gottes auserwählte Braut im Lande Palästina; und doch an Gestaltung so ungeheuer im steinernen Kleide. Eine kleine Stadt und hebt sich auch Stein und Stein empor umrahmt vom Gestein. Palästina ist mit keinem Lande der Erde zu vergleichen. Palästina ist nicht ganz von dieser Welt. Grenzt schon ans Jenseits und ist wie die Himmelswelt nicht zeitlich und räumlich zu messen. Mögen Etliche auch die – Übertreibungen – !?! einer Dichterin, geklügelt wenn auch wohlwollend hinnehmen. Aber eine Dichterin musste kommen das gebenedeite Land zu feiern ... [10; 2:157 601] Nur der dichtende Mensch, der sich bis auf den Grund versenkende, zugleicher Zeit sich zum Himmel aufrichtende, erfaßt inspiriert aus begnadeter Perspektive, Palästina das Hebräerland. Und teilt mit dem Herrn die Verantwortung Seiner Schöpfung. Vor allem das hebräische Bauernvolk, das Dichtung zur Wahrheit machte, seine Pioniere hoben das Land, einen Becher – empor! Füllten ihn mit der Rebe ihres Bluts; opferten ihr Leben Gott – es neu zu gewinnen – in höherer Form. Die Pioniere sind es, die das Fieber der trüben Wasser auf sich nahmen. Etliche starben. Sie gruben nicht nach Gold, aber nach Gott. Sie Alle die ihr junges Leben liessen und die, die lebengeblieben, sind die Fürsten des Landes. Und doch bewegen sie sich, sie, die die Äcker bestellen und die Frucht reifen lassen, mit Bescheidenheit zwischen den Brüdern und Schwestern der Städte. Stolz ist der Stein, blüht zwischen ihm und dem andern ein kleiner grüner Busch, und ruht unter ihm rastend ein müder Pionier.

Wenig grün und bunt wächst auf den Bergen um Jerusalem; der März- und der Aprilmonat besticken um so fleissiger die Teppiche des Landes mit unvergleichlichen Blumen. Auf den Höhen pflegt der Wanderer ab und zu kleinen Mohn, in sich rotversunkene verklungene Urahnen der entfalteten Mohnblume Europas zu begegnen. Ich könnte so eine Urblume nicht abpflücken, aus Übermut keinesfalls.

[11; 2:157 602] Und doch brach ich einige von den eben aufgeblühten roten Blumen auf Golgatha, ein paar fromme Christen in Europa zu erfreuen, zwei meiner lieben Freunde. Ich hatte mir Golgatha eigentlich anders vorgestellt. Stand ich doch einmal im Traum mit Spielgefährten auf der einsamen Anhöhe, zu wachen die Nacht, nachzuholen, was unbezwingbare Müdigkeit nicht vermochte. Drei Hügel stritten noch vor Kurzem über ihre Echtheit. Bis man vor einigen Monaten auf der zerfallenen Landstrasse, unterhalb des einsamen kleinen Berges, auf dem ich gegenwärtig stand, im Begriff ein neues Häuserviertel anzulegen, grabende Juden auf ein gestorbenes Tor stiessen, auf das »Stadttor« unterhalb der Hügelstätte der ewigen Stadt Jerusalems. Das bis dahin schlummernde Tor wurde, nachdem man es wiederum einbalsamiert hatte, zurück in seiner Erde bestattet. Das von Mohnblumen bewachsende Golgatha misst nicht höher wie eine Trauerweide. Und ich machte mir schon Sorgen, wie ich den – »Fels« (!) – ersteigen könne? Die urwüchsigen alten Quergassen der Jaffa-Road-Street stellten täglich neue Aufgaben an mein Herz. Nun stand ich allein auf dem Hügel der Trauer und blickte hinab ins Tal.

[12; 2:157 604] Dominikanermönche wandeln schweigend über die Wege des Gartens noch, denn der Abend ist hell, der Himmel hat nicht mit Licht gespart. Mir den Weg nach Emaus nicht entgehen zu lassen, versprach ich den milden Mönchen. Wir sagten uns noch manche religiöse Aufmerksamkeit, die uns gegenseitig wohltat. An Kaktushecken vorbei und Steinen, überall Steine, Steine, die den angelangten Juden, erzählt die Sage in Palästina, bei ihrer Ankunft im heiligen Lande, vom Herzen gefallen sind. An Riesengesteinen, vorsintflutigen Felsungeheuern, ja, Steinichtosauren fuhr ich vorbei spähend nach der Strasse, die der edle Jude mit seinen treuen Jüngern erstieg. Unten in der vorweltlichen Schlucht versteinter Rachen, reisst sie sich ab zur Höhe fahrend in die heilige Stadt. Der aufwirbelnde Staub einer weissen Karawanne wehte fast meinen kleinen Wagen vom schmalen Pfad in die Tiefe. [13; 2:157 605] Zwei, drei dunkelhäutige Kinder sitzen auf jedem Rücken der geduldigen Tiere; lässig auf dem nachtrabenden Esel in weissen Tüchern gehüllt eine Frau. »Schalom«! Rufen wir uns gegenseitig zu und mit Entzücken folgen meine Augen dem friedlichen Ausflug. Nun befand ich mich wieder mitten in Jerusalem und die holde Stille tat mir wohl. Man muss in Palästina leben oder eine Weile gelebt haben, sich von der Wahrheit unserer gebenedeiten Bücher zu überzeugen. Der Aufenthalt, vor allen Dingen in Jerusalem, stärkt den Glauben an Gott, an die »Ruhende Gottheit«. Jerusalem an »Seiner« Wange gelehnt – aus gleicher Haut gährender, geronnener Erde und Sonne gewebt.

Ich fragte die lieben Talmutschüler, ob sie mir wohl sagen könnten, wie alt Gott sei? Diese Frage, meinten sie, würde mir auch der Raw nicht beantworten können, aber ich sollte den Großrabbiner Kook fragen oder seine kleine zweijährige Enkelin Zipora, da Adoneu nicht nur der Älteste der Ältesten, auch der Jüngste der Jüngsten sei nach Seinem eigenen Wort: »Ich bin, Der ich sein werde!« Unaufhörlich umschwebt der Schmelz zukünftiger Ewigkeit den Herrn. Ein beistimmendes Murmeln schallte aus einem der dämmernden Winkel der Talmutstube zu uns plaudernden Schülern herüber. Die baten mich, ihnen eine mir liebste Ballade meiner hebräischen Gedichte [14; 2:157 606] [c] vorzutragen.

Mein Volk.

Mein Volk wird morsch, dem ich entspringe,

Und meine Gotteslieder singe.

Jäh stürz ich vom Weg! –

Und riesele – ganz in mir ....

Allein, fernab – über Klagestein

Dem Meer zu!

Hab mich so abgeströmt

Von meines Volkes Mostgegorenheit –

Und immer immer noch

Der Wiederhall in mir –

Wenn schauerlich gen Ost,

Das morsche Felsgebein,

Mein Volk – zu Gott schreit!!

Ich wollte mich bei Gott einschmeicheln riefen meine lieben Zuhörer. Eine wertvollere Kritik konnten sie mir nicht spenden. Immer sitzen etliche fleißige hebräische Mönche im kleinen Synagogenraum in neuaufsprudelnden Weisheiten der Gottesbücher versunken. Und immer wieder streichelt in der Erinnerung eine Rührung [15; 2:157 607] über diese sanftstreitenden Menschen wehmütig mein Herz. Ein liebreiches Lächeln scheint aus ihren mandelförmigen Augen und läßt keine Bitterkeit ein. Er habe verlassen Vaters und Mutters Garten und sein Bächlein im Sauerland, wo auch meine Wiege stand, – anvertraute mir der jüngste der Talmudisten. Dafür mussierte frischer Fanatismus in seinem Blut. Ich aber wandte mich, denn ich mußte weinen bitterlich, da er mich an unser längst verfallenes Haus an Krücken erinnerte und an seinen greisen Turm, einst stolz zu seiner Rechten. Die kleine Zipora sauste nur so durch die kleinen Vorräume der alten Synagoge, darin ich von den Gottesmännern mancherlei Frommes lernte. Zipora ist wild wie der kleine Reiter und die kleine Reiterin in den Kolonien. Auch trägt Zipora seitlich gescheiteltes, kurzgeschnittenes Haar, kohlpechrabenschwarzes. Sie will zum Grosspapa Kook, erklärt mir ihr Vater, ebenfalls ein Geistlicher, doch noch jung, kaum umbartet. Seine liebevolle Höflichkeit tut dem Fremdhingereisten nach dem heimgefundenen Lande, wohl. Munter und spielerischer wie sein Grossschwiegervater erinnert er mich an einen mir lieben geistlichen Freund in Berlin, dessen Eltern fürchteten bei seinem Entschluß sich dem Studium der Theologie zu widmen, es fehle ihm der genügende Ernst. Worauf er [16; 2:157 608] seine gewissenhaften Eltern beschwichtigte: Der liebe Gott muss doch auch einmal einen lustigen Knecht haben. Gibt es einen fröhlicheren Beweis und eine ungetrübtere Freude, als der Tanz am Pfingstmorgen im Tempel? Die erwachsenen greisen Gottesdiener beweisen dem Vater die Dankbarkeit ihrer auferstandenen Herzen. Knaben werden sie mit wallenden Bärten, schwarzen, rostigroten, und weissen noch weißer wie der Jerusalemjasmin, der so gern auf dem Gipfel des Sinaï wächst. König David selbst im Zuge tanzte vor der Bundeslade! In den Synagogenstuben Kooks weile ich mit Vorliebe; in seinem Empfangsraum bin ich, der Wahrheit zur Ehre, einige Male eingebrochen. Mein Besuch entzückte ihn keineswegs. Das Impulsive stört Ihn in Seiner Gleichmut; verriet mir schonend des Raws Schwiegersohn, den im Gegensatz zu seinem mächtigen Schwiegervater und Lehrer meine Art und Weise, sei ich auch ein Sturmwind und riss die Fugen der Türen aus ihren Angeln, zu beleben schien. Demungeachtet kam ich doch über die Stufen der einfachen Eisentreppe geläutert, in aller Wetterstille des Herzens – die steile Gartentreppe, die zu Cooks Haus führt, gestiegen, schüchtern ein kleines Geschenk für den grossen bescheidenen Rabbuni im Arme tragend. Immer traf ich den Rabbi im ärmsten aller Röcke und nie im prunkenden Kaftan, auf dem sinnenden Kopf den Brokatturban, wie ich mir das so vorgestellt. [17; 2:157 609] Ohne auch nur der äussersten Pose, empfängt Jerusalems Großpriester sich nicht überhebend, den ihn geistlich Consultierenden. Mit besonderer Geduld doch – »Seine« Juden, seine Landsleute aus dem Osten Europas gereist; opfert ihnen seine letzten Piasterstücke. Hat man Glück, so trifft man im Konferenzzimmer den Grossrabbi am schweren Tisch plaudernd und überlegend mit den Freunden; schliesslich der »grosse, weise« Freund Rat schafft. Dann gleicht der vertraute Kreis, treu zu einander haltenden Schulkameraden in struppigen Bärten. Man liebverehrt dann den Grossrabbiner Kook. Vornehm in der Schlichtheit engerer Familientreue, zu der alle seine Brüder zählen mit den leiernden frommen Locken, einfältig zu ihrer breiten Hüte beiden Seiten, schliesst der Raw wahrlich nur aus vergilbten Folianten belehrt, die Juden und Hebräer westlicher Himmelsgegenden Europas stammend in sein Gebet. Und bindet mit heimlicher Überwindung die Zweige der anverwandten Spezies, misstrauisch, missmutig, doch gewissenhaft mit der Faser seines Herzens zu dem göttlichen Strauss seiner teuren gottesfürchtigen Geschöpfe Galiziens. Er selbst liebt es, nicht hervorzustechen. Um den Kreis der sich wiedergefundenen Freunde nicht zu incommodieren lege ich den Zweig eines wilden Oleanderbaums dem [18; 2:157 610] Doktor Kook blitzschnell dicht neben seine feinen gefalteten Hände auf den Tisch. Brachte dennoch fremde Witterung über die harmonische plaudernde Geselligkeit. Ich erkannte unter den Männern, einige Väter der schüchternen scheuen Kleinen aus der [     ] in Jerusalem-Recharia. Immer tragen sie wie ihre frommen Papas Mützchen auf dem Kopf, das Haupt vor dem Herrn demütig bedeckt – nach Vorschrift ihres strengen Dogmas. Als es heisser wurde, spielten die artigen ostjüdischen Kinder entfesselt ihres Kaftans in ihrer anspruchslosen Gasse der Kolonie. Ich freute mich mit ihnen. Der Väter Leid und Bangniß vor den Verfolgern des verlassenen Landes, zitterte noch zaghaft aus ihrem fremden Wesen; verschmähen jede Zuckerfreude anzunehmen, selbst von uns ihnen unbekannten Juden. Ein kaum merklich sich erhebender Hügel trennt Recharia von dem [     ]. Ein winziges Weltchen für sich, ein ganz kleines Jerusalem. Am Abend kommen viele viele Lichter herüber über den karg mit Gras und Kraut bewachsenen buckeligen Damm [19; 2:157 611] zu uns nach Rechavia. Oft rastet Beduine und Esel oder ein lederndes Drommedar auf dem Hügelrücken. Vom Garten meiner Freundin konnte man so schön die Sternchen von nebenan am Himmel und den roten Mondnachen am Abend betrachten. In früher Wüstenstunde besuchten wir beide tags darauf den kleinen Ableger der Palästinawelt. Hand in Hand kletterten wir über die peinlich gesäuberten steinigen Gassen und Pfade. Ohne Kopfzerbrechen leert der Bewohner dieses Jerusalemviertels die Eimer mit Gemüsen und Obstschalen und anderen Speiseresten einfach ins grosse Reservoir: Draussen. Um, bevor der Schabbatt naht, Strasse, Hof und Haus fast vor übertriebener Reinlichkeit blinken zu lassen. Diese beiden hygienischen Tage bewahren ihn vor Epidemie. Auf den untersten Stufen einer steinernen Treppe sitzen Kinder und betreuen einen fünfjährigen Heiligen. Zwei braune Samtsterne blicken uns friedlich an und streifen dann still über die Wege des sonderbaren Orts. Die Kinder in [     ] nicht verängstigt wie die in der Quergasse Recharias, beglücken wir zwei jüdische Nicolasse mit jeder einzelnen leckern Überraschung. Und sie umklammern dankbar und zärtlich unsere Schösse. [20; 2:157 612] Es sind die echten eingebornen hebräischen Kinder Palästinas und verliessen wie ihre Ahnen niemals das heilige Land. Anders, die mit ihren Eltern eingewanderten Knaben und Mädchen; oder nach der Eltern Einwanderung in der Stadt Jerusalem zur Welt gekommenen Kinder, die gemeinsam mit Recharia noch in Sandwindeln lagen.

In der Rambam-Street wohnt der Kabalist [     ] und neben ihm Hugo Bergmann der Universität Jerusalems feiner Bibliothekar und Professor. Nebeneinander zwei gleichgebaute Häuser, Zwillinge, sie gucken mit den Dachluken über den Erdboden; erst einige Treppenstufen abwärts schlüpft man in die innere Behausung zu ihren beflügelten Menschen. Die zogen vor vielen Jahren an einem Herbstnachmittage mit den Zugvögeln nach Asien. Unter dem heiligen Schabbattleuchter segnet der Adoni Hugo seine Kinder. Der jüngste der beiden Söhne spricht die Gebete in hebräischer Sprache auswendig, fast hätte ich gesagt – so am Schnürchen. Das Nesthäkchen der Bergmannfamilie der Wildfang. An Alltagen tummelt er sich mit seinen Spielkameraden unbekümmert im Sand der Kolonie. Und seine Mama, die blauäugige dichtende Pragerin nimmt für ihren Kleinsten, [21; 2:157 613] sich an eigene Streiche erinnernd, Partei. Hingegen bringt sie meinem Säumen auf den Strassen, meinem Verweilen vor den Schaufenstern und Lauschen vor den arabischen Grammophonläden weniger Geduld entgegen. Das ewige Luken durch die Teppichspalten der Bazare am Jaffator macht sie nervös; und vor allem der Schrei meines Entzückens beim Herannahen jeder Karawanne bringt Gewerett Else außer Fassung. Im zweiten Geyerneste bereichert sich an der Lehre der Kabala der jugendliche Kabalist [     ] und mein Besuch unangekündigt, scheint ihm gerade heute in der eifrigen Lektüre nicht zu beglücken. Doch ich verbleibe! Reichlich Mühe gibt er sich, an mir Rache übend, mir mit dem Gifte der Logik die Legenden des Heiligen Israels zu enthimmeln. Zuguterletzt den Papyros auf dem die erste Sage steht, zu entwurzeln. Wunder mit Logik zu vereinen, erlaubte ich mir zu bemerken, bedeute: Mesalliance. Ich schob ungehalten ab. Aber wir begegneten uns nach einiger Zeit an einer der Haltestellen des hebräischen Omnibus’; beide in der Absicht, in die City Jerusalems zu fahren. [22; 2:157 614] [     ] nahm neben mir auf dem freigewordenen Sitz Platz. Die nicht von Büchern tapezierte Natur steht ihm, dachte ich, die unbrochierte Natur gut zu Gesicht. Wir begannen herzlich über unseren religiösen Disput zu lachen. Ich zeigte über die grandiose Landschaft hoch zum Himmel auf und versicherte dem gutgelaunten Gelehrten, aus dem tiefen Wolkenlila des himmlischen Bilderbuchs lese ich in Originalschrift die Geschichten der Propheten unseres Volkes.

Auf den Berg El Kantara bei Safed, wo noch die Ruine des Tempels der Leuchte Israels steht, strömen Züge von fackeltragenden Frauen und Männern Palästinas aus allen Gegenden mit Söhnen und Töchtern und Kindeskindern, sich zur Feier zu begeben zum lieblichen Tanz. [24; 2:157 615] In den Tälern erwacht die Cymbel, – es beginnt zu singen das alte hebräische Instrument zum extatischen Spiel durch die dem Heiligen zugedachte festliche Nacht. Um den frommen Berg unter dem Frieden des längst verstorbenen Tempels erfaßt die greise Hand die blühende zum Tanz. Die hebräischen Knaben von Bucharan aus Samarkant opfern dem gefeierten heiligen Rabbi ihre Zöpfe; die verglühen in den hochlodernden Feuergarben. Die zwölfjährigen Samarkantländer, die ich ihrer langen vielfach geflochtenen Haare wegen, die bis zu den Lenden reichten, für Prachtexemplare hebräischer Mädchen einschätzte, lud ich in einen Spielwarenladen in der Ben Yehuda-Strasse ein, für sie Puppen zu kaufen. Etwas heidnisch mutet einen dieses monumentale Freudenfest an im nächtlichen Dunkel tanzender Männer und Frauen, Jünglinge und Mädchen; vor allem am offenen Feuer die wie in Vorzeiten schmorrenden Widder. Bewegten sich auch die Jubelnden um unschuldige Altäre, die dem einzigen, [25; 2:157 616] einigen Gott dienen. Der gnädig auf das tanzende Hebräertum seine Kinder blickt. Früh am Morgen nach schlafloser Nacht der heiligen Tanzfeier lagern sich zur Ruhe im Mohn an der Wandung des vornehmen Felsens müde die Festgäste. Rings um Gestein – Menschenodem und Schlummer.

Asiens Palästina heiligt den Schlummer und nimmermehr würde sich ein Jude noch ein Araber getrauen den Schlafenden zu wecken, die ausströmende Ruhe einer Lappalie wegen zu unterbrechen. Darum wohl auch bleiben die Thore der Häuser und Gaststätten gerade im geweihten Jerusalem Tag und Nacht geöffnet, dem müden Wanderer den Schlaf nicht vorzuenthalten in Gottes Lieblingswelt. Auch verwirft wahrscheinlich aus dem Grunde der Araber und der arabische Jude den Einbruch. Über seinem Balkon pflegt der Haremsbesitzer einen Teppich fast bis zum Boden des Weges auszubreiten, zur Kenntnißnahme seiner Abwesenheit; an den Freund, der sich verpflichtet fühlt, das ihm anvertraute Hab und Gut des Abwesenden zu schützen, vor allem die Frauen und Kinder in respektvoller Distanz zu betreuen.

Einmal vernahm ich zur Mitternacht leise, leiernde Karawanenmusik und dumpfe Trommel. [26; 2:157 617] An meinem interessanten Gasthaus Nordia vorbei zog eine Karawanne. Es war die erste nächtliche Karawanenreise, die ich durch Jerusalem ziehend, erlebte. Ich sprang von meinem Bett sofort auf den Balkon, die bunte Reisegesellschaft und ihre Trampeltiere ganz nah zu betrachten. Der Wächter der Bank gegenüber meines Gasthauses rief mir, »good morning« zu! Mitten in der Geisterstunde. Aufatmend hatte ich ihn schon vor paar Abenden bemerkt hinter dem vergitterten Fenster und – ich brauchte nur – im Fall einer Mobilmachung, »Help« rufen. Ich gedenke nicht mit meinem Mut zu prahlen, litt ich doch in den ersten Nächten in meinem Raum im neurenovierten langen, langen Korridor einsam, in dem erst früh der Geschäftsbetrieb begann, geradezu entsetzlich. Bis die Treibhauszimmer, wie ich sie zu nennen pflegte, die nicht zur Praxis dienten oder als Modesalons, am Tage, vermietet waren. Und doch hätte ich nicht getauscht mit einem des King Davids Hôtels Prachtzimmer. – Vor der Post angelangt begann die reitende Gesellschaft die Rücken ihrer Wüstentiere zu verlassen um sich auf dem weiten Steintritt auszuruhen. Bei Tage diente er den jüdischen und arabischen Gepäckträgern zum Warten auf den Wink der Abreisenden. Die dunkelhäutigen Karawanenmänner heben ihre Frauen und [27; 2:157 618] entzückenden Kinderlein liebkosend aus weichen Polstern. Es gähnen die wohlbeleibten Gattinnen. Vom Araberviertel dem unterm Stadtteile gelegenen Viertel vernahm die obere Stadt schon das Klingen der Tausendglöckchen der ledernen Zügel und den träumenden Singsang der Nubier. Mein Gasthaus glich wieder einem interessanten Panorama täglich auf ein – Bild mehr! Jeder Augenblick, den ich versäumte von meinem Balkon auf die Straßen Jerusalems zu schauen, galt mir ein verlorener. So entgingen mir darum nicht die fremdartigen Geschehnisse der ewigen Stadt. Daß mir zu gleicher Zeit der Balkon zum Trocknen meiner Wäsche, aber auch meiner Rosatücher diente, amüsierte mich oft. Ebenso wenn ich mir durch sie die Liebe des Jerusalemvolkes erwarb, »Rosa« ist Trumpf in Jerusalem. Aus rosa Seide ein Kleid, besitzt, für den höchsten Festtag, Mutter und Tochter im Volke, aber auch einen rosagestreiften Kaftan: Vater und Sohn. Wenn auf meinem steinernen Herd im Krug mein Wasser zum Zähneputzen kochte, stand ich auf, es war 5 Uhr früh. So lebte ich ein Wildostleben in Jerusalem. Auch sei ich fleissig und vor allem gewissenhaft, lobte mich die reizende Beamtin am Freimarkenschalter gegenüber in der Post. Ich schloß Freundschaft mit der jungen jüdischen Araberin, die mir behilflich meine Briefe nach Europa zu frankieren. Später fragte sie mich, ob ich an der Post angestellt sein möchte, sie habe schon ihr Möglichstes veranlasst. Der Dichter [28; 2:157 619] geschweige die Dichterin ist dem Araber und dem arabischen Juden irgend wie heilig. Jedem von den liebenwürdigen Postbeamten schenkte ich zum Abschied eines meiner Bücher. Bevor ich auf das Postamt mich begab, nachzufragen nach Brief oder Karte, trank ich unten im hebräischen Shop, in unserm Hause, ein Glas des paradiesischen Mitz (reinen Orangensaft mit der süss-bitteren Blume der Crapefrucht gewürzt, und erhöht im Geschmack) und heil von der Post zurückkehrend ein zweites Glas und oft ein Drittes. Ein viertes Glas gefüllt hätte nur 5 Mils (5 Pfennige) mehr gekostet. Mit Vorliebe kaufen die Leute, gerade in dieser apetitlichen entzückenden Mitzbar sich zum Frühstück ein Brod u. Butter u. Käse. Auch laben sich die jungen Schottensoldaten hier so gern an der Orange. Vor meinem Spiegelschrank konstatierte ich bald, dass die Farbe meines Gesichts mit der mondfarbenen Frucht nicht mehr zu unterscheiden. Dasselbe bestätigten mir auch aufmerksame Besucher, die mir für meinen Treibhausraum eine kleine Feigenpflanze oder einen Kakteenigel im Topf oder einen Pfefferzweig mitbrachten. Dem Charakter des Treibhausraums anpaßten sich ohne Zwischenfall – seine Möbel, die elfenbeinweissemaillierte Eisenbettstelle zwischen den vier ebenfalls elfenbeinweiss geölten Wänden und der elfenbeinweißgestrichene schöne Spiegelschrank. Den schlichten Waschständer in gleichem Farbenelfenbein, belegte ich jeden neuen Tag mit einem zur Nuanze der Möbel passenden neu ihm spendierenden Bogen, den ich in der Nähe unseres Hôtel [29; 2:157 621] Nordias kaufte im Papierabteil des in zwei Hälften geteilten kleinen Ladens. In der zweiten Hälfte eröffneten gerade zwei ungarische jüdische himmelblonde Brüder in der Tracht ihrer Väter ihr Bankhaus. Diskutierten sanft über den Platz ihres gemeinschaftlichen Wechseltisches in Rücksicht auf kommende Kundschaft. Einigten sich schließlich ihn zu plazieren seitlich hinter dem Eingang der Ladenpforte. Am Abend als ich mir einige Farbstifte im Papeterieteil des Ladens holte, lagen auf der neuen Fransendecke der beiden rührenden Banquiers, einige internationale Scheine und auf einem Tellerchen: palestinäsisches Kleingeld. Selbst im Märchen des Nordens der Welt bin ich nie Augen in dem Ebenblau der Kornblume begegnet. Das es so etwas giebt! Mir wollte es vor allem nicht in den Sinn, daß vier Wunderaugen, den Tag über auf die Bilder von Kassenscheinen zu schauen verurteilt sind. Hörte dann viel erzählen der Vater der beiden Bankleute, habe sie nicht auf die Kunstschule judenfeindlicher Großstädte senden wollen.

[29/2; 2:157 620] Am Nachmittag begab ich mich zu Fuss oder per Omnibus auf meinen üblichen Ausflug, immer wieder zur eigenartigen Kolonie Recharia. Zu laufen vom Mittelpunkt der City aus, etwa in 15 Minuten, mit dem Gefährt in sieben Minuten zu erreichen. Recharia hängt nach Muster einer Geyerschwinge an der heiligen Stadt. Der Fremdling glaubt die Wüstenwinde haben die Straßen der Colonie terassenförmig übereinander gefegt. Seine Bauten gesäet. Diese Träumerei bedeutet immerhin grösstes Lob für den Erbauer. Noch arbeiten jüdische und arabische Arbeiter in manchen der Streets, bauende Gärtner [30; 2:157 623] einträchtig zusammen. Gewöhnlich mekkert angebunden am Zaune eines Vorgärtleins eine junge Geis; nicht lange lässt der durstige Besitzer auf sich warten. Sein kleiner Krug mit frisch schäumenden herben weissen Wein stärkt ihn. Ich überstehe sehr schwer der Versuchung, am Hilfsgebäude, am ersten Prachtbau der Rechariacolonie, ohne seine Fluren zu betreten, vorbei zu ziehen. So ganz nach meinem kühnsten Geschmack, schlicht aus bunten Mosaikblumen, und doch im Purpur des Steins begrüßt den Eintretenden der bogenförmige Palast. Von einem weiten Platz, der in die verschiedenen Eingänge der Stockwerke führt, erreichen die jüdischen Flüchtlinge die hilfsbereiten Organisationen der Urheimat: Den Kerem-Hajesod, den Keren Kajemed und die noch anderen Keren. Ich hatte die besondere Freude den Generalverwalter und Direktor des Palais anzutreffen den gentleman, Doktor Ruppin. Er bestätigte mir mit meinen hebräischen Balladen nicht untätig am seelischen Aufbau des Landes gewesen zu sein und ich, leichtgläubig wie ich mal bin, freute mich, dass die Dichterin – etwas gilt in ihrem Vaterlande. [31; 2:157 624] Diese reizenden orientalischen einfachen träumerischen Häuser aus Schaumsand an deren Seiten man irgendwo Flügel vermutet gleichen sich »auf ein Sandkorn!« Die ganze Kolonie, würde man mir morgens erzählt haben, sei in den Himmel geflogen, hätte mich nicht in zu grosses Erstaunen versetzt. Hold betont schienen mir in all ihren Farbenkleidern die Blumen der Gärten. Blühende Spielsachen stehen sie geordnet nebeneinander in ihrem rötlichem Erdreich, sanft umweht von Jerusalemliebe. Und gepflegt von friedlieben Menschen der Arm in Arm säumenden Häuserreihen eines mit dem andern gepaart. Ein Häuserkörper der Liebe. Man findet in seinem Herzen noch biblische Gastfreundschaft. Ich denke an die Nachmittagsstunden und innigen Abenden in den lieben einfachen Stuben einiger mir lieben Familien. Nicht auf Parkett ruhen unsere Füsse wie in europäischen Salons, doch auf hellem Grauasphalt, darauf der Maler im Monde, Mondschein malt.

Von der Kolonie Recharia aus, um exakt zu berichten und ohne Übertreibung, gelangt man, hat man Mut, sofort [32; 2:157 625] zu ihm auf den guten goldenen Mond. Von morgen an, constatierten wir, nimmt er wieder ab und dann kann man bald einsteigen in seinen gelbgestrichenen Nachen ..... Wagrecht fährt die Mondsichel in Palästina am Rand des Himmels entlang. Ihr horizontales Vorwärtsbewegen habe »geographische Ursache«, die den Sternographen zu erfahren sicher mehr interessiere wie mich eine Dichterin. In Palästina giebt es keine Dämmerung. Also auch vom Kosmos her keinen »Einbruch« bleischwer in den lichten Tag. Wahrlich eine große Überraschung, da der liebe Gott ausschaltete im heiligen Lande das Grau auf der Palette des Universums. Mit zauberhafter Schnelligkeit wechselt das Hell des Tages mit dem Dunkel der Nacht. Und die Schwermut der Dichter und ihre Weltangst, entfalten andere Ursachen als das schleichende Erbleichen des Tageslichts. Von unermesslichem Gestein umgeben, akrobatisch gehalten empor, zu gleicherzeit hart gefangen und wieder von unübersehbaren Abgründen und Bergestiefen gerufen, ja, magisch gelockt, [33; 2:157 626] glaubt man vor Furcht und Weh aufschreien zu müssen; man sehnt sich nach dem Schooß der Mutter. In den Nächten pflegen viele der neuen Ankömmlinge zu träumen, sie fallen aus den Höhen erbarmungslos zur Erde herab, den üblichen Fliegertraum. Und doch hält Adoneu Seinen starken Arm, unübersteigbare betreuende Mauer, um Israel. Schliesslich schliesse ich mit dem kleinsten, ebenso mit dem gewaltigsten Stein der Grüfte, und mit jedem Sandkorn der Wüstenpfade Freundschaft. Wir duzen uns. Darf man doch zu Gott – mit der Zeit allenfalls »du« sagen. Ein intimes literarisches Verhältnis versucht geschmacklos nur der »geklügelte« Jude mit – dem Herrn der Welt – anzubahnen, der feilschende duzt Ihn – der wirklich gläubige oder ringende verharrt andächtig auf der Stufe – vor Gott. Voll Ehrfurcht und zu gleicher Zeit mit Entzücken betrachte ich nach jedem der Gottesdienste in den kleinen Synagogen Jerusalems die in Sammt gekleideten Thoraïm hinter schützendem Vorhang im Tragkleid. Eine von den Thoraïm, mit dem Schellengeschmeide um den Hals, pflegt der Diener Adoneus besonders behutsam im Arme zu halten, ein Tragkind, den Juden geschenkte Augenweide. Der gute Hebräer wacht [34; 2:157 627] aus seiner himmelblauen Augenferne über den Schatz des Herrn. Ja etliche Hirten der Juden fasten ihr Leben lang. Wie der Wunderrabbiner von Galizien, ein Fels in Israel umbraust von hebräischen Gewässern, der Raw Friedmann. Im vorigen Jahre nahm ihn Gott zu Sich. Die Ostjuden nannten ihn: Den »zweiten Moses.« Errichteten ihrem Heiligen einen goldenen Palast, über dessen Verlust der Gottesmann nicht wehklagte; aber über die zum Opfer gefallenen gottalten ihm teuren Reliquien weinten seine [     ]. [35; 2:157 628] Am Pfingstmittag erinnerte mich ein betender wunderbarer Gottesmann am Stein der Klagemauer an den selighingeschiedenen Raw. Der einst wie dieser hebr. Prometheus sein Gebet schleuderte zu Gott. Wahrheit, die nach einem Jahrhundert zur Legende wird im heiligen Herzen Palästinas. Der noch erhaltene Teil der Klagemauer aus Gesetztafeln verwitterter Gottesgesetze, vermörtelt. Küßt der Jude inbrünstig. Ich sah die vereinten einigen Chassidimväter, achtzig ehrfürchtige Rabbiner, ein einziges Schaubrot ein heiliger einiger gebenedeiter Leib, den Jaffa road – in Synagogentüchern und mit den heiligen Lederriemen geschmückt den Jaffa road herab zur Klagemauer schreiten. [36; 2:157 632] Von ferne sehe ich die hebräischen Bauern und ihre Bäuerinnen und höre ihr ergreifendes holdes Lied an Israel. Sie haben heute ihr Emek verlassen, ihre Colonieen mit den Stämmen zu beten an der frommen Stätte. Und immer wie Kastagnettenschlag ihr Schritt. Die ineinander verschlungenen Arabesken meines kleinen Teppichs über das Gelände meines Balkons gebreitet, grüßen meines spanischen Großvaters Landsleute den Vater meiner angebeteten schönen Mutter. Als die letzte Pilgerin folge ich den verschiedenartigen Prozessionen, die steil endende Jaffa-Road-Street hinab. Am Jaffator schlummerte ein arabischer Verkäufer lässig am weichen Berg seiner Orangen gelehnt. Aufgestapelt, tatsächlich ein haushoher Hügel wartet jede dieser herrlichen Früchte auf den Durstenden. Höher noch wie die saftige Anhöhe, rauchen in einem Kaffeehaus im Stil eines viereckig gebauten Turms, schach- und würfelspielende Araber. Bevor ich meinen Weg in die Bazargasse einschlage, überblicke ich noch einmal das interessante orientalische [37; 2:157 633] Rondell. Gerade fährt ein Omnibus nach Bethlehem; wäre nicht Pfingsten heute, würde ich mich hineinsetzen. – Treppab, stufab und immer wieder ab zwischen halbverschimmelten Buden und Bazaren uralten Jahrmarkts, spaltet der sich ab u. zu in drei Reihen. Es kommt aus einer Schmiedewerkstatt ein Maler, den ich am Tag vorher im Kunstladen der beiden lieben Brüder Steimatzki kennen gelernt, in seinen Bildnissen und in Wirklichkeit kennen gelernt. Er habe seinen alten lieben Freund besucht den Schmied; Jahrzehnte wäre der nicht, erzählte Maler David, aus seiner Höhle herausgekrochen. Zur Seite rechts und links lauter Kammern und Werkstätten von fleissigen Juden, Schuhflickern, »man kann darauf warten«, zerrissene Sandalen zu heilen. Budenauslagen punktierter gestreifter geblümter Stoffe, wechseln ab mit Spielwaren und Krimskrams in Jemen fabriziert. Es preisen Neger ihre Waaren an, die unseren Glauben angenommen haben vor Jahrhunderten schon. Es ergreift mich sehr das Geschick armer Frauen und Kinder, die wie wir, treppab von einer zur andern holperigen Treppe wallen. [38; 2:157 636] Noch tiefer das Bewußtlose der kleinen verwahrlosten Araberkinder sich heimlich in die Winkel der Buden kauernd; in den Wimpern ihrer Augenspalte hausen Insekten und schläfern ihre kleinen Träger ein. Der armen Mädchen Kopfhaar, eine einzige Kruste. Ein reicher englischer Jude, Montefiore, der sich einige Monate in Jerusalem aufhielt, machte der frommen Stadt den Vorschlag das halbverweste Viertel abzubrechen, bis zum Eingang der Klagemauer und neue hygienische Wohnungen aufzubauen. Doch der Vorschlag des Phylantropen wurde nicht acceptiert und zwar von denen, die im schimmeligen Dunkel ihrer Höhlen von Luft vergessen hausen, aus Gründen der reinsten Pietät. Zum Leidwesen des Wunsches der Einwohner des oberen Jerusalems, die den geöffneten Gräbern Ruhe gönnen und bestattet wissen möchten. Der Fremdling auf dem Weg zur Klagemauer versucht den Atem einzuhalten, unter den Dächern der Hallen und Höhlen. Aber die Armut liebt ihr armes Nest wie der Wohlhabenheit es schwer wird sich von ihrem reichen Elternhaus zu trennen. Sie würden jammern die ärmsten Handwerker und ärmsten genügsamsten Händler, die armseligen Araber und arabischen Juden sie würden miteinander jammern, führe man sie aus ihre dunklen Kammern und löse man sie ihnen mit geräumigen Wohnungen ein, durch deren [39; 2:157 640] Fenster die Sonne scheinen könnte. Die letzte zerfallene Steintreppe schreiten Adon David und ich gemeinsam hinan, und verweilen eine Weile vor den mit hellstem Licht geweissten Torbogen zum Eingang der Klagemauer. An einem Tisch sitzt ein englischer Soldat und neben ihm an einem Stand verkauft ein englischer Händler Kerzen. Ich kaufe eine brennendweiße und zünde sie an für Adoneu, für meine teuren Eltern und meinen teuren Sohn, geliebten Geschwistern im Himmel. Aber auch für alle meine Freunde und Freundinnen, die ich verließ in Europa, die wir einander gedenken in Innigkeit. Ich betete für alle meine unvergesslichen Spielgefährten die ihr Leben liessen im furchtbaren Weltkriege, für meine unvergesslichen Spielgefährtinnen, die so früh von dieser Erde gerufen wurden. Ja, ich bat Gott alle Menschen auf Erden zu beschützen, auch die, welche nicht auf hellem Wege wandeln, sich verirrten in der Finsternis ihrer Herzen. Von der uralten Klagemauer kann man, wenn man aufmerksam lauscht, Weisheit u. Güte lernen, und ich staunte – ist sie doch nicht gewachsen. Hoch gewachsen hatte ich mir die Klagemauer vorgestellt, höher wie die Wände eines gut gebauten Zimmers. Mit den obersten Steinen hat man, um die greisen zu erhalten, die heilige Mauer blombiert, schützend die jungen Steine auf die erzalten gepflastert. Die Länge der Klagemauer, dünkt mich an Mass [40; 2:157 641] nicht länger wie ein Korridor an dem etwa sieben Räume liegen. Ich konnte das mit einiger Genauigkeit in Ruhe feststellen, denn die Betenden hatten sich, außer des elementaren Raws, schon zum Tempelplatz weiterbegeben. Ein paar Bettler »verhelfen« den Besuchern der Gottesmauer »Gutes« zu tun und halten ermutigend ihre armen Hände hin; der heilige Priester aber riss an Gottes steinern Gewand; es schmilzte der Stein. – Ich bin stolz an der Klagemauer gewesen zu sein, beinahe so sehr, als ob ich bei Gott gewesen bin. – Langsam und andächtig schritten mein Begleiter und ich durch den lichtlichten Torbogen zurück über Stufe und Stufe, zurück die vielen ausgehöhlten Steintreppen empor wie aus einer Gruft ins Freie. Schon war der Abend da und manchmal streckten noch Väter und ihre Frauen und Kinder ihre Köpfe aus dem Spalt ihrer Buden, genau wie Fische, die nach Atem schnappen. Es begegneten uns noch einige abessinische Hebräer mit grossem Anstand und Würde. Und ich legte meine Hand auf Stirn und Herz. So grüsste ich sie. Am Ausgang des Bazarviertels sass auf seinem weissen Pferde ein Policeman, ein [41; 2:157 642] Gentleman wie die englischen Polizisten ein jeder, oft hoch zu Ross sich angeborener Finesse erfreuen; taktvoll bemüht den Frieden der Stadt zu betreuen. Die schottischen Soldaten in ihren karrierten Beinkleidern und die Avancierten in karrierten kurzen Faltenröcken, entzückende golden boys erfrischen mit ihren heiteren blauäugigen Gesichtern in Jerusalem den Begegnenden. Dass ich ganz nett englisch reden kann, kommt mir zu statten.

In mein Nordia zurückgekehrt, band ich mein schönstes Rosaseidentuch um den Hals, zu Ehren der Pfingstfeier. Setzte mich an meinen Tisch und zeichnete die ewigen, ehrwürdigen Altväter der Chassidim. Um 4 Uhr beabsichtigte ich das Pfingstgottesdienstende in einer der kleinen Synagogen zu besuchen. – Im Flur am weitgeöffneten Hoteleingang gelehnt, sassen ein paar müde Frauen aus Jemen und ruhten sich. Die eine streichelte in ihrem Schoss ein schwarz Schäflein und sprach ihm zu. Ich eilte in mein Zimmer zurück, ihm Zucker zu holen, auch hatte ich vergessen meinen Krug mit Wasser zu füllen: für die Morgenwaschung. Der Zahnarzt auf der Seite meines Korridors und ich, versorgten uns selbst mit Wasser und überboten uns in der Verwaltung unserer Räume. Und die Oserett wie auch ihr kraushaariges Töchterlein staunten so oft über eine fleißige Gewerett und über des Doktors Hausarbeit. [42; 2:157 643] Gaben uns treuherzig zu verstehen, daß sie nicht nur für die Reinhaltung der Böden der gemieteten Räume, auch für das gut zu standehalten des Möbelars etc. vom Wirt engagiert. Kindlich betrachteten sie mit Vorliebe die blendend weißen Gebisse hinter dem Glas des ärztlichen Schrankes, bevor sie das frische Wasser ihrer Eimer über den Stein der Böden des Arzt und Wartezimmer entleerten, einmal, zweimal, auch in meinem Raum dieselbe Prozedur. Es erweiterten sich die Öffnungen ihrer zierlichen Nasen, duftete mein Zimmer nach dem Flieder meiner Lieblingsseife, in der Zeit der ausgegossene Quell still stromabwärts floß in die Scheuertücher. Die jüdisch-arabische Mutter fragte nach getaner Arbeit: gudd? Ob sie alles gut erledigt? ich zufrieden sei? Das »Gudd« hatte sie wahrscheinlich aufgefangen im Zimmer einer Familie aus dem Litauen im kleinern Corridor von dem meinen unpersönlichen durch den Treppenflur getrennten familiärern. [42/2; 2:157 644] Sie fragte das »Gudd?« mit solcher Treuherzigkeit und Hingebung, daß man sich nie getraut hätte, ihr gudd – nicht mit innigem Dank zu bejahen. Aber auch für einen guten Morgengruss wünschten wir uns »gudd!« Ebenso für »gute Nacht!« Und für alles was man so redet vom Wetter und sich wünscht den Tag über. Das Gudd umfaßte ihren ganzen europäischen Wortschatz. Begegneten wir uns Beide und jammernde Beduinen warteten vor des Zahnarztes Sprechzimmer, wies sie mit dem vielsagenden Wörtchen: »gudd« ... auf die heulenden Männer mit umbundendem Gesicht. Nie vergesse ich den wildschnaubenden Wüstenmenschen [43; 2:157 645] im lila Seidenkaftan zart durchleuchtend durch die sternbesäete Gaze eines Mantels doch mit umbundenen rabenschwarz bärtigem Angesicht. Dann nach einigem Zögern auf den Weg zur Zange. Zahnziehen, entspricht einer Kriegsfeierlichkeit wie jede Operation, die den Beduinen veranlasst, sich zu schmücken. Heute aber bleibt das Sprechzimmer geschlossen, heute zieht der Doktor keinen Zahn. Heute ruht die Arbeit in ganz Palästina, kein Jude arbeitet an den Pfingsttagen, auch ruhen die Gebäude, das schlichteste Judenhaus wie des Juden Palast. Blumen lachen hinter den Bögen der Fenster. Und auch der Café und Speisehäuser. Ich sass am liebsten an einem der weiten Fensterscheiben im bekanntesten hebräischen Restaurant: Färberoff und verspeiste meinen gebratenen Fisch inmitten gedämpfter geschabter Mohrrüben und rotem Rettich in der Zeit die verschiedenartigsten Menschen, weisse, goldgelbe, gebräunte, aber auch schwarze, meinen Tisch passierten um draussen im entzückenden Speisegarten unter Palmen to dinner. Mich fragte man schon gar nicht mehr brachte mir einfach den üblich gebratenen Meerfisch zwischen frischen Gemüsen. – – Falls ich mich enthielt der verlockenden Chokoladenspeise, bezahlte ich 5 Piaster ungefähr für mein Mittagbrot. [44; 2:157 646] Man sollte sich des compakteren Fleischessens enthalten im Orient, und sich genügen lassen mit den geopferten nichtahnenden fröhlich schwelgenden Flossentieren des Wasserreichs. Die Mohrrübe u. der Rettich die wohlschmeckensten, bewahren Darm und Niere vor Schmarozzern.

Vor mir teilt sich die grosse Strasse in zwei Hälften, in die aufwärts steigende Ben Yehuda Street, in der ich mir im Buchshop des liebenswürdigen Don Ben Israel – morgens die Zeitung hole, und den sich schmälernde ebenfalls emporstreifende Jaffa Road; beide Strassen führen nach Recharia. Mit freudiger Überraschung bemerke ich Plakate des farbenreichen Tel-Aviver Habimâh-Theaters, angebracht an den Säulen des Cinemas: Zion. Schon morgen spielen sie dort den Dybuk. Juden und Araber eilen an die Theaterkasse, sich zeitig Billetts zu besorgen. Denn wenn die Habimâh ihre Gastspiele anzeigt, schäumt der kunstdürstende Teil Jerusalems. Hier in der Stadt Gottes fließt nicht über, gar zerreisst die grosse Freude, ob göttliche oder weltliche, auch nur eine der alten Silbernähte des Ziongewandes. Wie eine [45; 2:157 647] Ehrung nimmt man Gereichtes hin in Würde – wie bei einer Hochzeitsfeier. Schäumend credenzt der Schauspieler der Habimah dem Zuschauenden sein Blut und möchte es hochzeitlich genossen wissen. Fehlt die dargereichte geheimnissvolle, unsichtbare Essenz der Psyche, bleibt leerer Schall selbst bei gewaltigster Form.

Ich sass dicht vor der Bühne und bewunderte die großen Künstler ein jeder, eine jede des Ensembles. Ich fasste den »endgültigen« Entschluss, Schauspielerin zu werden. Die Frau des Direktors Adon Joschuahs meinte, wenn ich die hebräische Sprache lernen wolle, stehe meinem Engagement nichts im Wege. Wenn ich auch wegen Störung von unserem Rabbiner in den Religionsstunden dazumal Strafarbeiten zu schreiben bekam, so lobte er doch stets meine Fortschritte. In vier Stunden konnte ich die hebräischen Gebete lesen. Und das ehrwürdige Gottgebet: »Schema« – galoppierte nur so auswendig [46; 2:157 648] über meine Lippen verspielt. Und gefährdete die ernste Aufmerksamkeit der Mitschülerinnen. Dann drohte Doktor Zacharias Auerbach ermahnend mit dem Finger, der bescheidene wohlerzogene geistvolle Geistliche und Freund meines Elternhauses. Heimlich lächelnd würdigte er mich zuguterletzt – gerührt – eines Lobes.

Die Araber lieben wie die Juden Theater und Theaterspiel und wie die Cinemavorstellungen besuchen vor allem die reichen Haremsbesitzer mit ihren Damen die Abende des unvergleichlichen Habimâhspiels. Ein Wunderensemble. Meskin trägt das geöffnete Tor allabendlich auf dem Nacken das Publikum schwebt in den phantastischen Theaterraum. Des großen Schauspielers Spiel krönt die Bühne und Rosawinas kostbare Spitzenhand unterzeichnet den Adel des Spiels. Ein neuer Judenstamm bunter Geschwister der sich an die [47; 2:157 650] noch vorhandenen und bestehenden Judenstämme der Hebräer nachträglich anreiht. Unter dem Kronleuchter des Sternenhimmel begegne ich am liebsten die Menschen Palästinas; die leuchtende Farbe von oben steht so gut zu ihren gebräunten Gesichtern. Manche Antlitze glitzern wie die Nacht schon am Tage. In himmlischer Beziehung wird der Verwöhnteste noch verwöhnt vom Zauber Palästinas überrascht, und bescheidet sich in weltlichen Dingen. Wir befinden uns doch in Jerusalem in der Stadt Gottes und nicht in einem Badeort der Riviera oder in einem Delikatessen bratenden Schlaraffenland. Man reise im Bibelland, um im lebendigen Testament nicht nur zu blättern, aber seine heiligen Begebenheiten zu erleben.

Bescheidenheit und Demut und Hingebung sind liebliche Schwestern so heissen eines kleinen Eseltreibers drei weisse Eselinnen. Auf diesen drei lebendigen [48; 2:157 651] Lehren reitend, durchstreife ich manchmal Gottes einzige einige Lieblingsstadt.

Ich bin eingeladen in Talpioth in einem Vorort Jerusalems, den Schabattabend zu feiern im Hause des liebreichen feinen Dichters Agnon. Als ich aus meinem Gasthaus trat, lag der untere Teil Jerusalems wieder im magischen Feuerschein. Man fand sich zusammen schon in der Frühe zur Feuerwerk Generalprobe zum morgigen arabischen Feiertag. Die Araber lieben, grosse Kinder, bengalische Beleuchtung, Feuerwerk. Dabei schien die Sonne gerade noch tausendmal bunter wie die schimmernden Lichtchen über das gelobte Land. »Beirut«! Rief ein arabischer Arbeiter warnend auf dem Damm, schwenkte ein kleines Fähnchen hin und her; wir Passanten warteten geduldig auf den Donner der sich auseinandersprengenden Felswand. Beständig baut man in den Städten Palästinas und auf seinen roten Äckern wird gesäet und gepflanzt. Ich stieg in den hebräischen Auto-Omnibus; vor mir auf den Sitzen konferierte Herr Professor Weitzmann der Präsident des Hebräerlands, mit seinem englischen Gast. Im kleinen Raum des Wagens herrscht immer grosse Jerusalemsstille. Man kann so ungestört im Auto-Omnibus für sich denken ein Teil der Wüste entlang. Zwischen Urvätergestein urvertraut und beschirmt. Wir kamen an das gebenedeite Grab der Rahel vorbei, der Lieblingsfrau Jakobs. Er diente zweimal sieben Jahre um diese holde Frau. [49; 2:157 652] Sieben Jahre und noch einmal sieben Jahre freite unser junger Erzvater um Labans zweite Tochter, bevor sie sein Eigen wurde. Aber das Volk Israel dient nun schon Jahrtausende um sein Palästina, wohl unter dem Segen des Himmels, aber immer wieder bedroht von Nebenbuhlern.

Der feine Dichter Agnon und seine feine Gewerett erwarteten mich an der Omnibushaltestelle in Talpioth und wir gingen gemeinsam das kleine Ende der leichtsteigenden Chaussée in sein weisses Haus. Es liegt an einer Wiese, einer nackten Wiese, die ich mir im grünen Graskleid mit kindlichen Blumen geschmückt hätte gut vorstellen können. Eine Hütte steht am Rand des Wiesenplatzes; vielleicht – wohnt der liebe Gott öfters in ihr um den Kindern beim Spielen zuzusehen? Er hört ja auch so gerne wenn am Freitagabend die Kleinsten der Eltern zu Ihm die Gebete sprechen. Aus ihren rührenden unschuldigen Händen empfängt der liebe große Adoneu bewegt Seine Ihn preisenden Psalmen. [50; 2:157 654] Wir sassen so nebeneinander: neben dem artigen schlanken Schwesterlein sass der helläugige Bruder und zwischen ihren Kindern die liebe Gewerett die Mutter Teresa, dann kam ich, neben mir, der andere Gast ein schüchterner aber ebenso fanatischer Talmudmönch und neben ihm der liebe Dichter Agnon. Auf dem Tisch brannte der siebenarmige Silberleuchter. Sieben weisse Lichter blühten aus silbernen Kelchen; es gibt wohl kein Judenhaus in der Welt in dem ein solcher Schabattleuchter nicht irgendwo in einer Gegend der Räume auf den Schabattabend wartet. Mit lauter Demant bestrahlten die herben Gebete die kindlichen jungen Gesichte am festlichen Tisch. Agnon füllte meinen Becher mit der herrlichen Palästinarebe und ich trank von ihr auf das Glück seiner Kinder. Der Talmutgelehrte lächelte überlegen, ein bischen verächtlich über meine Charmanterie und Unkenntnis des himmlischen Schabbatts.

[50/2; 2:157 655] In jedem Hirne eingebrannt in der Initiale der Harfen und Cimbel und dem ehernen Hieroglyph Gottes – überlebt das Schema die von Gott erschaffende Welt. Als wir uns gute Nacht wünschten, die Kinder Agnons schlummerten schon, kam mein mich rügender frommer Tischnachbar auf das »Schema Jisroel« zu reden zu mir, das ich wohl einigermaßen wörtlich dem Herrn dargebracht aber nicht ohne Bühnenkünste gesprochen habe, die wohl den Habimahspielern imponieren könnten, aber Seinem Herrn nicht. Ich sei eine große Dichterin, ob er das nicht wisse – verteidigte [50/3; 2:157 656] mich Agnon und seine Frau und ich Gott erfreut habe mit den vielen hebräischen Balladen meiner Dichtung.

[52; 2:157 657] Gewerett Agnon brachte mich zu Bett und behauptete in mir schlage ein Herz von tausendundzwei Jahren, dem Märchen überschritten. Wenn ich, als Buch zur Welt gekommen wäre, würde sie mich an Feiertagen lesen. Und ich dachte zum ersten Mal darüber nach in der Nacht, wie ich wohl ende? Überblickte immer wieder von meinem Bett aus, die sich erhebende Platzeinsamkeit vor meinem Fenster, den blumenlosen Paradiesfleck neben des Dichters Haus. In der Hütte sass Gott. Und ich schrie vor Angst der Gottesnähe! »Er sieht doch so gern dem Spiel der Kinder zu.« Beschwichtigte mich die zarte Gewerett. Sein Gehör neigt sich am Schabattabend den von den Kleinen gesprochenen Psalmen zu. Sie verstehen die Gebete der Harfenschrift in Schlichtheit dem Herrn zu reichen. Bald schlief das ganze liebe Agnon Haus bis aus Nacht Morgen ward, der geleitete den jüdischen Mönch zur Stadt; vielleicht schon sass er in der Synagoge in Jerusalem, grübelnd über ein Heiliges Buch. Die beiden Sternenkinder [53; 2:157 658] des Dichters und seiner Gewerett hatten sich nach Kinderart auf der höchsten Stufe der Treppe plaziert die zu der oberen Terrasse führte. Wir drei Agnon Teresa und ich aber saßen um einen runden Tisch in biblischer Vergessenheit um eine kleine Libanonholzinsel auf der Mannah wuchs und Milch und Honig floß. Ein Hirte lockte auf der Landstraße seine Herde herbei mit dem Gezwitscher seiner Bambusflöte. Es nahten die lieben Tiere vertraulich und ein jüngstes Zieglein legte seinen Kopf in des Hirten sanften Schoss. Im Anblick dieses guten Bildes verloren, begann sich wieder ohne Bangniß zu erheben mein Herz zu Gott. Schweigend träumten wir drei nebeneinander und sagten uns doch so viel. Auf die gelbbraunen Dromedarrücken, auf die Bergbuckel zeigte der Dichter unten im Tale noch hinter des toten Meers bleichen Streif – kaum ahnend wie er mich mit der Kunde überraschte: »Es sind die Berge von Moab«. Die Einbände der Bibel schlossen sich fast um meine Schläfen .... Ich weiss nur, da ich plötzlich zwischen den Tassen und Krügen und Tellern mitten auf des Tisches Insel stand, fast – zum Himmel aufgefahren! [54; 2:157 659] Hand in Hand streiften Gewerett und ich später durch die blühende Chaussée Talbioths, die mit dem Hause Agnon aufhört oder anfängt, es kommt drauf an von wo man es erreichte. Es begegnen uns junge Arabersöhne in vornehmen europäischen Anzügen, aber den Kopf und Nacken von einem arabischen weissseidenen Shal, vor dem Fieberstich schützend, gehüllt. Schwarze quastenendende Seidenschnüre, um Stirn und Schläfe umspannt. Man könnte sich in diese fürstlichen Studenten, in ihrer Ferienzeit in Jerusalem weilend, enthusiasmieren. Ich setzte mich ans Fenster des Omnibusses zur Fahrt in die heilige City zurück. Am Himmel zogen sich Wolken zusammen zu einem einzigen mandelförmigen, schmachtenden Auge u. wir alle warteten wortlos auf erlösende Tränen. Seit dem Gewitter am Tage meiner Ankunft hatte es noch nicht wieder geregnet. Es klirrten die Fenster damals im kleinen verwitterten Wildosthaus meiner Freundin die mich bei sich beherbergte die ersten Tage und Nächte. Wir auf unseren Lagern schwammen fort mit dem Gewitterwasser. Ähnlich lautete meine östliche Robinsonade an liebe Europäer. Ihr Haus, im kleinen biblischen Garten, das letzte in Recharia-Jerusalem; über der niederen Mauer sieht man weit über die Wüste und gerade kam eine [55; 2:157 660] Karawanne von Eseln trabend durch den Sand. Auf dem letzten sass so ein heiterer arabischer kleiner Bengel als Nachtrab. Zwischen der Stämme tiefgrünem Cypressenbaldachin kam der älteste Sohn auf der Schulter saß sein kleiner Gabriel. In der City Jerusalems befreite er mich aus halsbrecherischer Situation. Eins, zwei, drei exotische Kutscher trieben das nette Pferdchen vom Bahnhof mit mir in der Kutsche ziellos die Steine der Jaffaroad herauf und herunter. Schließlich die streitenden Lenker deren Verwandtschaft sich verdoppelte auf dem Bock meine Reisetasche und mein Playd, auf mein Bitten und Gestikulieren meine Bagage in den Buchshop des Mr. Ben ? brachten in dessen Obhut ich sie einstweilen unterbrachte. Ich ließ alles geschehen denn es träumte noch in mir Egypten.

[56; 2:157 663] Es war im April, als ich von der schönen schweizer Hauptstadt Zürich kommend, durch den St. Gotthard-Tunnel über den Tessin von Lugano nach Genua reiste. Die Nacht und den kommenden Tag verbrachte ich in der Stadt Fiescos in der Stadt feingesponnener stiller Intrigue, der Stadt aus Filigran. Am Abend besuchten mich aus St. Margeritta der große ritterliche Dramendichter, Fritz von Unruh und seine blonde Señora. Sie beneideten mich ob meiner höchst versprechenden Reise. In Meilenwasserstiefeln hatte ich schon als Kind im Traum gestartet Weltreisen: von Europa nach Afrika zunächst, dann von Afrika über das Mittelländische Meer hinüber nach Asien. Von einem Merkur und seiner Dichterin eingeladen nach Alexandrien in ihr griechisches Haus, beglückte mich sehr. Und ich verdanke ihnen sozusagen Afrika und das gelobte Land. Am Schalter des Triestiner Lloyds wartete schon einige Tage die Schiffskarte von Pilavachis dediziert. Gerade verliess die italienische Dichterin, Margarita Fassaty das Büro der Reederei, als ich es betrat. Ich suchte sie in der ganzen Stadt zuletzt auf der interessanten Strasse, [57; 2:157 664] die vom Hotel Britania aus fast senkrecht in den Mittelpunkt Genuas führt. Am andern Morgen beförderte mich und mein Gepäck das Hotelauto zum Hafen. Auf den ersten Blick hatte ich mich verliebt in den weissgekleideten Luxusdampfer Espéria. Des Spätlenzes Stürme wiegten weich unser kleines schwimmendes Luxushotel über die Kornblumen der Wellen. Ich fühlte mich wieder in meiner Wiege liegend, unbekümmert auf dem Ozean. In der Frühe des ersten Meermorgens ruhte unsere Espéria fünf Stunden an Neapels Strand. Die Passagiere des wundervollen Lloyds schlossen sich in Gruppen zusammen und fuhren durch die herrliche feuerspeiende Stadt; es rauchte der Vesuv, ein italienischer Inkashäuptling und qualmte. Neapels Menschen glühen, es leuchten die Früchte der Palmen und der Schmetterling, der sich auf meine Hand setzte; nie werde ich diesen schwebenden feurigen Napoli vergessen. Das Schiffscinema weigerte sich [58; 2:157 665] ohne seine aufmerksamste Zuschauerin, mich, der begeistertsten Kinoniterin zu beginnen. Nach der Aufführung spazierten wir über die schönen frischen Wege auf Deck gemeinsam oder einsam zwischen Sternen und Gewässer. Oder man atmete von der Blume des Ozeans noch einen vollen Pokal auf seinem Liegestuhl säumend. Und ich bedauerte fast, mein Reiseziel: Egypten erreicht zu haben. Mit Fernrohren und Operngläsern beobachteten des Schiffes Gäste das Heranwachsen des mächtigen Hafens von Alexandrien. Kleine Segelboote bewillkommen unsern Lloyd, feiern seine Menschen; sprudelnd und überschäumend der Verlobte die Braut. Es stehen Eltern am Ufer der grossen Handelsstadt und erwarten ihre Söhne, Studenten die in Italiens Universitäten studieren. Wie ein bunter Ameisenhaufen emsig, lauter drängende Träger, Araberjungen erreichen die Espéria und dann uns Passagiere. Drei der dunkelhäutigen Knaben zugleich drängen sich um mich und fordern meinen Gepäckschein; im Nu stand meine große Reisetasche auf ihren Schultern. Sie überwältigen einen in ihrem Eifer, doch nicht [59; 2:157 666] ohne schalkhaftes Lachen und Charme. So brachten sie mir später am Ufer nach meiner Gastgeberin spähend »lebendig« die Madame Pilavachi. »Ich bin nicht hässlich, ich bin nicht schön«, so schrieb sie mir. – Die kleinen Koffereffendis schwangen sich zur rechten und zur linken Seite unseres Autos und der schnellste sprang auf den Bock neben dem chauffierenden Syrier. Auf einmal plumpsten sie alle in eine kleine Grube mitten auf dem Weg. Zwischen Grieche und Griechin und ihrem Griechenknaben Pitt verlebte ich meine alexandrinische zehntägige Zeit. Jeden Vormittag fuhren Margaret Pilavachi und ich durch die Strassen der Alt und Neustadt; durch die geheimnisvollsten Viertel Alexandriens und über die wundervollen Palmenplätze zurück am Meeresstrande vorbei in ihr Haus; der Garten blühte wundervoll. Wenn die Muhamedaner der Moscheen zum Gebet hoch von der Kuppel rufen hüte sich der an ihrem Allahtempel vorbeischreitende Fremdling, auch nur mit der Spitze seines Fusses den ausgebreiteten heiligen Teppich vor der Pforte des Heiligtums zu berühren. Trotzdem ich ganz gewiss den üblichen pietätvollen Bogen um die heilige Kostbarkeit der gewebten Reliquie gezogen, schalt mich der Wächter der Entweihung seines ihm anvertrauten Heiligtums. [60; 2:157 667] Frauengesichte hinter durchsichtigen in verschiedenen Farben wallenden Schleiern entzücken mich sehr, deutlich erkennt man die tätowierten Verzierungen der Wangen und des Kinns. Mit Henna bemalt enden ihre schlanken Finger in Korallenspitzen; und Glück bringt ihnen und ihren Kindern auf innerer Handfläche – der Hennafleck. Eine gelbmetallene Spange, delikatsexueller Stilisierung, die, sie, die Ehefrau, wo sie auch geht und steht und in welcher Lage sie sich befinden mag, an die unwandelbare Treue zum Gebieter erinnert, droht zwischen Braue u. Braue. Dieses strenge pharaonenalte Ornament zwischen Nasenwurzel und Scheitelanfang hält den Schleier der Frau und lässt nur das schimmernde Jett ihrer Augen unverhüllt. Die stolze Gangart der schreitenden Egypterin verdankt sie ihrem Kruge, den sie nach biblischer Sitte wie die Asiatin aufrecht unter einem Kleinen ruhend auf dem Kopfe trägt und aufgerichteten Gang erfordert. Schon Jahrtausende füllten sie das Wasser der Brunnen in ihre Tongefäße. Jede eine der vorbeischreitenden ägyptischen Araberinnen erinnerte mich an die Königinnen egyptischer Höfe. Sitzen auch die jüngsten Kinder auf den Schultern der Mütter oder stämmen sie um ihre Hüfte hartnäckisch sich. Aber auch die, in ihre Kinder verliebten Väter pflegen die Kleinen in ihren Armen zu tragen; die jüngstgeborenen schaut man oft plaziert auf den roten Thron [61; 2:157 668] ihrer steifen Fez’s. Der Ägypter liebt sein Kind geradezu zärtlich, wie das allgemein in den südlichen Ländern der Fall. Der Koch im Hause meiner gastlichen Griechenfamilie, ein Nubier von Geburt, aber lange schon ein asimilierter Alexandriner, schenkte mir seine Bildkarte, neben ihm steht sein sechsjähriges Söhnchen, ebenfalls im Fez. Nicht nur besorgt er der Küche Heerd, er serviert auch seine mannigfachen wohlschmeckenden Speisen mit Gewandtheit und Artigkeit. Ich äusserte oft zu Madame Pilavachi, die Gemüse der Schüsseln liegen geordnet wie blühende Felder – nebeneinander in Eintracht. Als ob sie gesät worden wären – auf dem Silberfelde. Einmal traf ich im Garten der Villa die lieben Kinder unseres syrischen Chauffeurs, dessen erfahren-sicher Lenken und sicher Fahren man sich wohl anvertrauen konnte. Beglückt verliessen die syrischen Kleinen mit Süssigkeiten beschenkt die weiße Villa nahe am Meer. Sehr überraschte und erfreute mich die Begegnung mit dem Neffen Leoncavallis, ihn begleitet immer das Echo der schwermütigen Bachazzoouverture. Nicht weniger bedeutet für mich die Begegnung vieler [62; 2:157 669] französischer in Alexandrie lebender Dichter und Dichterinnen, Maler und Malerinnen. Zum ersten Mal schmerzte mich dann auch mein, noch dazu längst vergessenes Schulfranzösisch, ebenso schienen die Dichtergefährten sehr zu bedauern, sich nicht in deutscher Sprache mit mir anzubefreunden. Wir sassen im Kreise, in einem Möbelrahmen von Ebenholz gehalten: zwischen den feinen Wänden des gastlichen Wohnhauses des Signore Messiqua. Ein Stillleben – ich gewann alle, welche mit mir im Stern der Dichtung gereiht nebeneinander sassen, wirklich lieb.

Die Vorträge, die ich in den deutschen literarischen Gesellschaften der grossen Hafenstadt zu halten eingeladen, mussten aus »rassigen« rasselnden Gründen unterbleiben. Alexandrien gleicht Berlin mit seinem Pariserplatz und seinen Linden ins Exotische übersetzt. Alexandriens Meer hinter hoher Steinmauer, man möchte immer darüber im Bett blicken über die schäumende Unendlichkeit. Und mit Vorliebe sitzen die Mitglieder des Khedivenklubs auf den weiten Verranden; von dort übersieht man den Riesenhafen [63; 2:157 670] mit den überseefahrenden Lloyds nahe am Strande liegen. Georgi Pilavachi zählt zu den berühmten und mächtigen Grosskaufleuten Alexandriens. Seine Frau Margarita pflegte am Nachmittage den grosshandelnden Merkur von der Baumwollbörse abzuholen. Wir warteten auf ihn auf dem Börsenplatz zwischen den Autos ägyptischer Rockefeller und anderen Baumwollmagnaten. Auch alleine erlebte ich im Auto in der Neustadt Alexandriens das berauschende Getriebe wenn meine Gastgeberin Geschäfte absolvierte. War denn so recht imstande die fremdartigen Menschen exakter zu betrachten, die mir ihre Ware feilboten. Auch kamen Kamele mit Früchten vorbei und Esel, zu beiden Seiten ihres Körpers in Körben Orangen tragend. Bäcker in weißen engen Beinkleidern, umzingelten mein Auto, sich repräsentierend mit ihren Brettern. In die Mehltasche, die der Bäcker nie vergißt in den wohlschmeckenden Teig zu backen, steckt der einfache Ägyptersmann u. sein Weib seine grosse Wurstschnitte hinein einen rötlichen mit Fett und Knoblauch gespickten Cervelat. Eine entzückende ägyptische Händlerin verführte mich beinahe, ein Armband aus Golddrähten geflochten, zu kaufen. Passierte unser Auto die [64; 2:157 671] Hauptstrassen der City; liebte es die Griechin wenn wir zusammen die apparten Kleidermagazine in der französischen Strasse anschauten, ich ihr ein perlgesticktes Kleid aussuchte für die Feier des Familientags der Griechenfamilie Pilavachis. Rechts und links entlang der Wände hängen zum Aussuchen, Kleid neben Kleid, Seide neben Seide und alle Farben Samt auf Bügeln. Uns zu erfrischen, besuchten wir beide nach der Anstrengung die grösste Konditorei in derselben lebhaften Gegend, der rue de Paris. Dort trafen sich alle Völker aller Erdteile an kleinen Tischen und ihre Feze bildeten eine Mittelschicht zwischen Boden und Decke. Manchen Gaukler hätte es gelüstet über diesen beweglichen roten Fezboden zu tanzen. Am andern Morgen machte ich im Khedivenklub die Bekanntschaft spanischer und portugiesischer Juden. Margrets Halbgott nahm als Oberhaupt an einer Sitzung in Cairo teil. Am fünften Tage meines Verweilens in Alexandrien, kamen wir in der Abendstunde an einem kleinen Nilarm vorbei, einem mir unvergesslichem glühendem bangem Onkel Toms Hütten-Bild. Es hätte nämlich ebensogut zwischen dunkelgrünen Negerblattbüschen hängen können im ehemaligen primitiven naiv betonten Farbengeglüh. [65; 2:157 672] Und auch unseren Besuch im Volksfrauenbad rechne ich zu den interessantesten Ereignissen meines Lebens. Im Vorraume des eigentlichen Bades warteten Familien mit ihren nächsten Freundinnen, Mütter mit ihren sämtlichen Kindern und deren mähenden Babylämmchen auf das Freiwerden einer der Brunnen, schmausend beisammen sitzend auf hohen Tritten. Auf Springbrunnen unter den Strahlen sitzen die Badenden rund nebeneinander. Gerade fiel Regen auf eine nubische Nymphe. Entzückend kleideten sie die gelbglänzenden Armspangen und die schimmernden Ketten um den Hals zu dem Gold ihres Körpers. Vierzig Grad Hitze zeigte das Thermometer; die graue Steinwand schwitzte; wir konnten kaum mehr atmen. – Am Nachmittag besuchten wir die Katakomben, Herrn und Frau Sphinx, denn der Sphinx heiratet und keine Sphinx ist sie noch so rätselhaft, bleibt unverehelicht. Eine unterirdische Treppe führt zu den Mumien.

[66; 2:157 674] Es läutete Seine Eminenz der Grossrabbuni von Alexandrie Dr. Prado ein gebürtiger Italiener bei Pilavachis telephonisch an – am Abend beginne der Juden Pessâh und er erwarte die Dichterin heiligst in seinem Hause zum Pessâhmahle. Mich beglückte sehr diese Auszeichnung und ich erwartete die Zeremonie mit Herzpochen. Noch ehe der erste Stern am Himmel stand, brachte mich Pilavachis syrischer Chauffeur in das eben so fromme wie gastliche Haus mitten in der Stadt Alexandriens gelegene Rabbunihaus. In den lieben kindlichen reinen Osterkreis feiernder Menschen. Vom wundervollen Lloyd: Esperia her erkannte ich auf dem hellen Flur, der zu den Räumen der österlichen Zimmer führte, den Sohn des Hohenpriesters den Studenten Signore Prado. Von Mailand wo er die Universität besucht kommend, zur Pessâhfeier gereist ins Elternhaus. Er war mir der rätselhafteste der Passagiere der Espéria gewesen. Einer von den Passagieren, mit dem ich gerne geplaudert hätte im Sturm und im Sonnenschein der Schiffstage. Er trabte wie das edle Tier der Wüste, stolz und mit lässiger Nonchalanze über [67; 2:157 675] des Schiffes Wege und durch seine weiten Räume. Aus dem hebräischen Wohnzimmer trat sein herrlicher Vater der Großrabbuni, ein Grande und bewillkommete den Gast. Führte mich zu seiner jugendlichen munteren Ostergesellschaft, die reihte sich im Kreis, eine Kette lauter rieselnde fröhliche Perlen im frommen Etui der mit einem Psalm Davids signierten Wände geschrieben in Harfenschrift, in der Hebräischen Sprache. Ich gab mir innige Mühe, mich dem glücklichen Frieden anzupassen. Beseligt sass ich beim Mahle zwischen den wunderschönen feiernden grossen Osterkindern, ass von den kindlich zubereiteten Speisen und trank den süssen Osterwein. Meine Augen wanderten von Gesicht zu Gesicht wie ein Falter von Beet zu Beet; nie im Leben war mir vergönnt, eine solche mannigfaltige Augenweide. Der Grosspriester Prado psalmodierte aus dem Osterbüchlein: der Hagâdah. Der braune Diener im weissen Feierhemd, blauumgürtet, artig und voll Ehrfurcht und Liebe, hält es seinem frommen Herrn hin. Schon im Buch der Kabala vernahm ich des singenden Zadiks Stimme, sie schwoll zu einem Lied. Von der entgegengesetzten Seite der Ostertafel [68; 2:157 676] begleitete des Sohnes reiner heller Sang den weichen Bariton des Vaters. Einem der Ostergäste bereitete es eine spielerische und zugleich heilige Freude mit dem zierlichen Eislöffel auf dem Krystall seines Glases eine Begleitung zu dem gebenedeiten Duett zu spielen. Fast automatisch ertönte ein Echo von der Scherbe meines durchsichtigen Bechers. Mein Auftauchen aus meiner Versunkenheit und meine Mitwirkung am Konzert, tat sichtlich dem grossen Rabbuni wohl, bewies mir das freundliche Zuneigen seines grosszügigen Angesichts. Eminenz Prado, von Geburt italienischer Jude, betreute die herrliche Synagoge Mailands, bevor er dem Ruf der Juden nach Alexandrie Folge leistete.

Es brodelten die Weine im Glas und bröckelten die ungesäuerten Brote und ich sass wieder, zehn Jahre alt, zwischen meinen Brüdern und Schwestern am Ostertisch in meinem lieben Elternhaus neben meiner angebeteten Mama die Jüngste ich; bekam zu guterletzt heimlich noch extra ein paar Makronen oder Schokoladen in mein Kleidertäschchen gesteckt. Um unsern runden Ostertisch bewunderte ich doch einmal schon ebenso liebliche Mädchen und Jünglingsgesichter wie hier am Priestertisch. [69; 2:157 679] Hier am Ostertisch entfaltete sich wieder mein Lebensblatt zwischen der Guirlande liebreizender Blumen und Knospen.

Am zehnten Tage meines Aufenthaltes in Alexandrien wandelten Madame Margaret und ich noch einmal durch den Garten ihrer Villa. Ich hörte die grosse Mutterschlange im Nebengarten zischeln; vielleicht wünschte sie mir, in ihrem Tonfall, Glück auf die Reise ins Hebräerland. Auf dem Hügel, der Griechenvilla gegenüber, vorher musste man die Augen über einen weiten Wiesenplatz spazieren lassen, versuchte ich oft durch ein Glas die schwarzen Skorpione zu entdecken, die noch giftiger wie der Giftzahn der Schlange stechen. Schon ihr Geruch legte sich wie Aquariumdunst in meine Nase am Abend. Der Portier im rosa Atlasturban bewegte sich aus seiner Loge geradezu majestätisch aufgerichtet und wies nur auf die Zeiger seiner großen Uhr. Die dunkle alte griechische Dienerin kam über die Stufen der Treppe mit meiner Reisetasche. Es war Zeit! Ich hätte so gern, bevor ich Ägypten verlassen mußte, seine Hauptstadt Cairo besucht, vor allem aber meine eigene Stadt, die Stadt meiner Bücher: Theben. Nannten mich doch, schon als Kind, meine Mitschülerinnen neckend: Joseph; da ich »so exotisch in die Ferne gucke«; träume von: »Joseph von Ägypten!« [70; 2:157 680] Hauptsächlich in der Religionstunde versetzte es meine Schulkameradinnen ins Lachen hatten wir gerade die Josephgeschichte zu lernen aufbekommen, mich mit allerlei Zeichen zu necken – noch dazu ich sie auswendig gelernt schwärmerisch hersagte.

Ich bereue nicht die Strapaze der Eisenbahnreise nach Palästina auf mich genommen zu haben. Der Syrier wartete auf dem Perron mit gekreuzten Armen auf seine Herrin, in der Zeit wir Abschied nahmen. In mein Coupé stieg eine Nymphe – und – doch nicht nymphisch im Wasserbusen ihr Herz! Auch versetzte sie meiner Handtasche mit ihrem Fuß und nicht mit einer Flosse einen gewaltigen Stoss an den richtigen Platz! Um wider Erwartens, eine Reckin, meine Bagage zu befördern wohin sie ordnungsgemäß gehöre genau über mein unschuldig Haupt. Es stänke im Wagen! Sie schaffte Gegenzug. Auf dem Hauptbahnhof Alexandriens in der City mitten, stieg eine ägyptische Mutter mit ihrer Tochter zu uns beiden in den Waggon mit [71; 2:157 681] Kisten und Kesseln, darin ich lebende Fische vermutete aber, wie ich mich später selbst überzeugte, Proviant enthielt; vom Arzt verordneten sogar für einen Monat Erholung für Mutter und Tochter in Jerusalem mit der unvergleichlichen Temperatur. In 800 Meter Höhe gelegen zwei Meere liegen in der Tiefe ihm zu Füßen u. fächeln die Zedern duftende Stadt. Draussen vor der Coupéetüre setzten sich auf dem Boden die braunen Bedienten der Egypterinnen, nachdem sie die Tochter der Ägypterin, die mir zu verstehen gab, bevor ich sie betrachten konnte, dass ihr krankes unglückliches Kind ein äusserst gutherziger Mensch sei und keinem was zu Leide tue, sorgsam in die andere Ecke meiner Bank plaziert und ihre Arme auf Kissen stützten. Die wund geöffneten, gutmütigen Augen des an Elefantitis erkrankten Mädchens aber lächelten schon beim Anblick meines Proviants. Dankbar rückte sie schwerfällig näher an meine Seite, unter den guten braunen Augen, blähend die plattgedrückten Höhlen der Nasenlöcher. Ihre verdickten Waden plazierte sie auf meinen Schoss. Am furchtbarsten erschrak ich über die Form ihrer Hände, deren Handrücken [72; 2:157 685] sich nicht spalteten in Fingern, aber an den Randen in rundlichen Zacken ausliefen. Ihre unbeherrschte Kaltherzigkeit mit der sich die kühle Nymphe vom Anblick der Kranken beleidigt abwandte vereinte die aegyptischen Frauen und mich. »To you speek english Lady? Oder gar spanisch?« fragte mich die arabische noch sehr schöne Mutter. Ich sähe aus wie eine Spanierin. Es stellte sich denn heraus, dass unsere beiden Grossväter, Spanier gewesen waren, worüber wir beide nicht wenig stolz. Von der von Höhen und von Meerwinden gereinigten und gestärkten Luft Jerusalems, erhoffte die Emirin, Erholung für ihr Kind. Wir mussten umsteigen. Unser Zug hielt. In einer Sänfte trug man Mutter und Tochter zu dem Auto, das sie am Bahnhof erwartete, sie weiter beförderte zum Suezkanal. Wir Eisenbahnreisende aber warteten in tiefer Nacht eine Stunde auf den nächsten Zug, um nach kurzer Weiterfahrt dieselbe Prozedur durchzumachen und zu guterletzt wechselten wir den Wagen in El Kantara den Suezkanal der Afrika und Asien verbindet zu überqueren. Diesmal teilte [73; 2:157 687] mit mir eine italienische Mutter und ihr Sohn handelnde Kaufleute aus Padua das Coupé. Doch bald hätte sich nicht mehr ein Zwerg rühren können im bunten Menschengehege des engen Raums. Ein Mann raste draussen, lamentierend an der Strecke des langen Zuges entlang: »Meine liebe Schwester! Meine liebe Schwester!« Und noch einmal und immer wieder rief er ermutigend, »meine liebe Schwester! Ich bin es ja, Dein Bruder in Israel«! Ob er mir geschickt? Überlegte ich, da Margret Pilavachi mir die Grenzschwierigkeiten Pass und Kofferkontrolle gern erspart. Klar! Ich fragte ihn erst gar nicht, legte mein Geschick in seiner Hand. »Hier bin ich«! rief ich entschlossen. Und Sie sind sicher von Pilavachis beauftragt. Schalôm meine liebe Schwester in Israel. [74; 2:157 688] Beteuerte der zuvorkommende Mann, nahm mich wirklich wie ein Bruder bei der Hand und stieg mit mir, sorglich wie mit einer Schwester, über die nächtliche hohe Treppe über ihre Stufen auf und wieder nieder zum Kanal. Mit Freuden überließ ich ihm die Regelung meines Passports. Schon lange am Griff hielt er meine Reisetasche. Von Pilavachis verpflichtet, beglücke es ihn mich der Kontrolle meines Gepäcks zu entbinden. Das Floss lag, von den Reisenden bestiegen am Ufer der Nacht; ein Himmel aus purem Sterngold mit ein paar blaufinsteren Strichen und Punkten in der Nähe des Horizonts, wahrscheinlich hatte die gelbe Füll ein paar Sterne verspritzt mitten in der himmlischen gelbgelbgelb Zeichnung. So gross sind die Sterne über dem Suez und erst der funkelnde Hieroglyph des Mondes – ich vergass alles Überige in der Welt. Erst der Ruf zur Abfahrt brachte mich zur Raison. Ja ich fing an zu schreien. Ein Beduine zog mich in letzter Minute auf das schon vom Strande abstossende Wrack, zwischen Säcken und Bagagen fand ich meine geöffnete kleine Reisetasche, allerdings erleichtert und auf meinem Hilferuf hin in einem der Halbschuhe – meinen Pass. [75; 2:157 692] Ich stand am Rücken des lagernden Kamels gelehnt und erlebte den Märchenkanal in meinen Büchern. Schon zeigte ein Araber auf das entgegengesetzte Ufer, mich nebenbei aufmerksammachend auf meine geöffnete Koffertasche mit den Worten: »Ganeff!« (Dieb). Der Beduine war ein Jude in grün und gelbpunktiertem Atlaskaftan und gab mir zu verstehen, den Diebstahl zu melden. Aber dieser Diebstahl füllt eine Lücke vielleicht später auf dem Papier einer Reise und er schien mir angesichts des Abenteuers nach und nach nicht mehr der Rede wert. Angelangt am entgegengesetzten Suez, bestiegen wir die »endgültige« Eisenbahn, die uns direkt in die gelobte Stadt befördern würde durch die Wüste im ersten Morgengrüssen.

Mir gegenüber unterhielten sich ein europäisch gekleideter Ägypter und sein Freund, ein dem Aussehen nach begüterter Beduine und dessen Söhnchen Achmed. Außerdem – ein paar schwarze Lämmchen teilten mit uns vieren den Wagen niedliche Tierlein mit wolligen Flaumlöckchen an den Oberbeinen und ganz ganz hellen ebengeborenen Augen unter der Stirn. [76; 2:157 693] Es begann die Wüste .... Meine Mitreisenden auf der Esperia waren mit dem schönen Luxusgalalloyd sofort über Alexandrien weitergereist nach Haifa nach Palästinas grandiosen Hafen. Sie hatten es sich bequemer gemacht wie ich mir, mit der sofortigen Hinreise in das gelobte Land. Dafür habe ich Ägyptenlande gesehn die Großstadt Alexandrien, auch würde ich die sehr anstrengende Eisenbahnfahrt von Alexandrien über den Suezkanal über den Sandweg vielleicht noch einmal wagen denn nun weiss ich von einem wirklichen Abenteuer zu erzählen, von der Erde zu einem andern Stern – immer rund immer rund um einen Wüstenfels in dem stählernen Leib der Eisenbahnschlange sitzend. Sie hielt an einer kleinen Oase an. Zierliche Araberdämchen in seidenen langen Kleidern werfen Sträusse in jedes der Coupés, Blumen, ähnlich der Immortellen und der bunten Strohblume. Und der aegyptische Gentleman lässt sich nicht nehmen, mir so ein Wüstensträusschen zu dedizieren. Wagerecht gleitet der goldene Kahn durch das Wolkengewässer und verschwindet plötzlich auf dem Grund der Welt. Nun war Morgen, so schnell geht das im Morgenlande hintereinander: Nacht! Tag! Ich sprach schon einmal darüber, keine Dämmerung erschwert das Nahen [77; 2:157 694] der Nacht. Ich suche nach der verschleierten Braut Gottes, .... Wüste um mich Wüste unter mir weiche Stille und stärker vernimmt man das Zischen des Eisenbahnzuges. Ich wechselte wohl plötzlich die Farbe denn der Ägypter betonte andächtig hoch oben am Himmel auf die Burg Zions zeigend: Jerusalem ........

[78 (56); 2:157 695] Ich befand mich schon einen Monat in Jerusalem. Vor dem Postamt stand schon früh ein Trampeltier mit seinem bunten Reiter auf dem Rücken. Heute unterhielt der sich mit einem Freund und machte ihn auf mich aufmerksam (vier Augen betrachteten mich aufmerksam, fast aufdringlich). Der folgte fußgängig mir und meinte verschmitzt lächelnd in englischer Sprache, aber immerhin in taktvoller Art und Weise es sei außergewöhnlich warm to day. Vor einem Laden mit Apothekerwaren blieben er und ich stehen; auf das immer heftigere Reden des fremden Araber sammelten sich Menschen um uns, wie um Gaukler auf den Plätzen in Jaffa. Die Umstehenden, im Glauben er streite mit mir, überzeugen sich doch sehr bald, es handelt sich um eine delikate Privatangelegenheit, und belauschen in einiger Entfernung gespannt unser Gespräch. Soviel wurde mir u. den gespannt lauschenden Leuten klar – der heiratslustige Sheik auf dem Kameel beabsichtigte mich zu seiner sechsten Gemahlin zu machen und gab mir listig durch seinen Freund zu verstehen, dass im allgemeinen der Beduine höchstens nur vier Frauen heimführe; so beleuchtete der wahrscheinlich interessierte Freund mit der Reichlichkeit des Freundes Ehe dessen aussergewöhnlichen Reichtum. Ausserdem beschwätzte er mich weiter, glaubend meinen Gaumen zu kitzeln mir würde es an aussergewöhnlichen Speisen nicht mangeln ebenso wie an [79 (57); 2:157 696] Lustbarkeiten und selten Freuden im Palast des reichen arabischen Freiers; betonte er immerzu; und es gäbe wohl keine Stadt im Palästinalande in der er nicht einen Wohnsitz besitze. Wieso gerade seine Wahl auf mich gefallen sei? fragte ich den Vermittler. Wieder das verschmitzte Lächeln um bebarteten Mund und in den schwarzen Augen ein bunter Funke. Ich ahnte schon es ging um meine Jaguarmütze. Die ganze Jaffaroad (nicht er allein) hatte sies angetan. Den ansteigenden Weg rannte ich empor, bog rechts ein und weiss nicht wie und wieso, aber ich stand plötzlich vor der Pforte des alten Museums. Durch die Luft begleitete mich ein Geyer, mir schien er war seinem Weibe fortgeflogen, denn er verschwand sich kaum merklich, aber desto geschwinder umblickend, blitzschnell hinter dem Horizont. Das alte Museum Israels in Jerusalem muss man schon lieb gewinnen, seiner verständnisvollen Betreuer wegen, die den Besucher mit geduldigster Hingebung durch die Gänge der tausendjährigen Reliquien führen. Ich interessierte mich besonders für die verschiedenartigsten Schabattleuchter, auch erinnerten sie mich an die meines Elternhauses Enkel auf dem Marmor unseres Buffets im gelben Saale. Jedes [80 (58); 2:157 697] dritte Jahr liess mein Papa den Boden mit einem neuen Teppich belegen, soviel wurde auf ihm auf den Maskenbällen getanzt. Die fanden unter dem Protektorat ausgelassenster Schuljungenlaune meines Vaters statt. Die Schönste der Masken war jedes Mal meine angebetete Mama mit blonden Zöpfen im spanischen Spitzenkleide gehüllt, bewunderte ich, überhaupt alle die geladenen maskierten Gäste meine wundervolle Mutter als Micaëla. Meine älteste 15jährige Schwester Martha Theresia bot als entzückendes Blumenmädchen einen Korb mit allerlei Blumenarten am Arme tragend, den Eingeladenen ihre blühende Ware feil. Meine zweite Schwester Annemarie als Matrosin verkleidet, warb Menschen für eine Reise nach Palästina. Ich weiß es noch ganz genau. Zwei meiner drei Brüder Moritz Maximilian und Paul Karl Schüler befanden sich im Pensionat in St. Goarshausen. Ich lag schon frühzeitiger wie sonst in meinem Bettchen wie meine beiden Schwestern annahmen längst im festen Schlaf. Glaubten mich darum nicht zu wecken, da sie auch meinen Raum benutzten, ein weiteres Feld für ihre Verkleidung zu schaffen sich zu kostümieren. Unten im Saale eine Etage tiefer stimmten die Musiker schon ihre Instrumente; es zwitscherte nur so wie im frühesten Morgenwald genau wie sich zunächst die Vögel stritten und sich dann wieder einigen oben im Walde daran am [81 (59); 2:157 698] Fuss unser Haus lag. Meine beiden Schwestern ganz vorsichtig schoben hintereinander, dass ich nur nicht aufwache, auf Fussspitzen durch die Zimmertür ab. Ich bemerkte wohl durch den Spalt meiner Augenlider wie sie mich noch einmal leise kichernd betrachteten, dann verschwanden und ich ihre weichen Schritte noch von der untersten Treppe vernahm .... ganz träumerisch. Ach ich träume immer rügte mich der Lehrer fast täglich in der Schule und die Folge davon wäre daß ich untenan sässe. Meine schwärmerische teure schöne Mama meinte zwar, dass Träumen etwas Seltenes wäre; auch Joseph habe ja soviel geträumt, sogar Träume gedeutet dem Pharao. Joseph und seine Brüder war meine Lieblingsgeschichte, ich mußte, wie ich schon erzählte sie in der Religionsstunde lesen. Das bewog mich auch mein Bettchen zu verlassen mich als Jakob’s Sohn zu verkleiden und gerade als der Maskenball sich wieder im Tanz drehte ich doch tatsächlich im Mittelpunkt des Saales stand in einer schönen weissen Spitzenhose meiner ältesten Schwester, die bis zur Erde reichte, und in meinem blauen Samtjäckchen das ich zum Geburtstag bekommen hatte und um das ich eine breite bunte Schärpe gewunden quer über die Schulter gelegt hatte. Ich sah ganz genau, dachte ich, mich schon oben im Spiegel musternd wie [82 (60); 2:157 699] Joseph aus allerdings als er schon Brotverweser war und sich seinen Brüdern, die ihn verkauft hatten, zu erkennen gab. Die Gäste waren alle so gerührt die grüne Pappnase meines Vaters weichte von seinen Tränen auf mit dem Schwämmchen der Schiefertafel das aus seinem Schulranzen herabbaumelte tupfte er sie ab. Wieder war mein »grosser Papa« verkleidet als Schuljunge. Ja ich schämte mich vor all den Gästen. Am allergerührtesten aber berührte meine Anwesenheit meine wunderbare Mama sie eilte in ihr Wohnzimmerchen schnell neben dem grossen Saal und verweilte eine Zeitlang zwischen den Elfenbeinbildchen an der Wand ihrer Mama so früh entschlafenen Dichterin: Johanna Kopp und ihrem spanischen Papa in Koralle geschnitzt. Ich erinnerte mich all der früheren glücklichen Geschehnisse im Elternhaus uneingebüsst und unverblichen zwischen den Mumien und den Antiquitäten und altem Gestein einstiger Tempelsynagogen im Ausstellungshause. Und doch verspürte ich etwas Hunger es hüpfte die goldgelockte Mittagsonne im punktierten Kleidchen zusammen mit einem kaum merklichen Wind in die Räume und bemalte die graumelierten Ahnenschätze. Draussen auf dem Wege zu Färweroff begegnete mir der bekannte Schriftsteller: Ben Gabriel. Warum ich mich nicht sehen lasse, es habe mir doch so gefallen in seinem alttestamentarischen Garten. Ich erlebte [83 (61); 2:157 700] mit Ben Gabriel und seiner Bibelfrau Stunden zurückgekehrter Bibelabende zwischen hohen Cakteenbäumen am Brunnen hinter seinem Hause. Mir zu Gesellschaft aßen der Schriftsteller und seine Frau mit mir am Tage darauf in Färweroff im Garten. Um einen einladenden Tisch zwischen schattigen Bäumen setzten wir uns ich zum ersten Mal denn mir machte es besondere Freude vom Fenster des Lokals die Strassengänger in ihren bunten Trachten zu beobachten. Wenn ich bekannte Europäer oder Europäerinnen erkannte, winkte ich ihnen, ob sie wollten oder nicht, in das schönste Speisehaus Jerusalems hereinzuspazieren. Ein Glas Miz (Orangensaft) kann man immer trinken, »je goldener wird der Teint.« Um die Mittagsstunde findet man so leicht keinen selbständigen Tisch mehr an dem man alleine in Gemütsruhe sitzen und speisen kann; man setzt sich sozusagen dazu, das heisst an einen Tisch an dem schon andere Menschen Platz genommen haben und speisen. [84 (62); 2:157 701] Wenn die Jerusalemiter Einlaß begehrten in das noch versperrte Cinema Zion manche von ihnen sogar ungeduldig rüttelten an sein noch geschlossenes Tor, wußte ich stets, daß in paar Tagen die Habimaïter aus Tel-Aviv kommen und Theater spielen werden in den Hauptrollen Rossawina die Jungfrau und Meskin den blinden Hochzeitsgeist. Nie kam ich zeitig genug an die Casse, mir ein Billett nach meinem Geschmack zu kaufen, die erste Reihe, aber auch die zweite und die dritte, manchmal auch die vierte und fünfte »total ausverkauft«! Einmal sogar einigten eine Jüdin aus Persien und ich mich einen Platz in der I. Reihe im Parquet vor der Bühne zu teilen. In Jerusalem einigt man sich selbst in Theaterangelegenheiten ja man würde es sich instinktiv zur Sünde anrechnen die heilige Stadt zu erschrecken mit einem lauten Wort. Jerusalem schlummert sanft wie ein Lamm, darum flüstern seine Einwohner oder legen ihre Worte auf Samt. Jerusalem ist das blaue Himmelbett die ruhende Ewigkeit. Dies meinte der Nazarener, als er zu dem Geheilten sagte, stehe auf und nimm dein Bett. Ich freute mich auch [85 (63); 2:157 702] wie ein Geburtstagskind auf das Geschenk der wundervollen Schauspieler und Schauspielerinnen am Abend. Ich wurde eingeladen an einem Mittwoch im Mai in der Habimah im kleinen der beiden Theatersääle meine hebräischen Balladen vorzutragen und aus meinem Prinzen von Theben. Ich reiste schon am Montag im Autoomnibus in die Wüstenmeerstadt, durchstreifte am Abend Tel-Aviv nicht allein nur in sein brausendes Wasser unterzutauchen auch in seinen Strassen und auf seinen Plätzen. Man läuft Gefahr auf dem Lande, das heißt in den Citys Tel-Avivs seekrank zu werden wie auf dem Schiff in den Tagen des hohen Wellengangs im Sturm. Es ebbt und flutet in dieser Wüstenstadt. Menschen kommen, zweigen ab vom Weg und sammeln sich wieder am Ziel. Wie kräftigt dieses elementare Stürmen nach dem Vorbild des Ozeans. Wie Milch so weisse Muscheln sammle ich am Abend mit Gewerett Brandstätter [86 (64); 2:157 703] in allerlei Formen am eben gewaschenen vom Meerwasser Tel-Aviver-Strand. Spät am Abend wandeln wir heim in ihre wohltuende Pension. Am Dienstag besuchte ich Professor Doktor Georg Mosczitz den berühmten Arzt aus Berlin, den ehemaligen Oberarzt des grossen jüdischen Krankenhauses. Am Abend sassen in meinem Vortrag unter den Zuhörern er und seine schöne Frau eine Ruth mit Ähren auf dem Hute. Ich begann mit meiner hebräischen Ballade:

Mein Volk.

Der Fels wird morsch,

Dem ich entspringe

Und meine Gotteslieder singe .....

Jäh stürz ich vom Weg

Und riesele ganz in mir

Fernab, allein über Klagegestein

Dem Meer zu.

Hab mich so abgeströmt

Von meines Blutes

Mostvergorenheit –

Und immer, immer noch der Widerhall

In mir,

Wenn schauerlich gen Ost

Das morsche Felsgebein,

Mein Volk,

Zu Gott schreit!

[65; 2:44 91–97] [d] dann sagte ich mein Gedicht:

Jakob.

Jakob war der Büffel seiner Heerde.

Wenn er stampfte mit den Hufen

Sprühte unter ihm die Erde.

Brüllend liess er die gescheckten Brüder.

Rannte in den Urwald an die Flüsse,

Stillte dort das Blut der Affenbisse.

Durch die müden Schmerzen in den Knöcheln

Sank er vor dem Himmel fiebernd nieder,

Und sein Ochsgesicht erschuf das – Lächeln.

dann:

Esther.

Esther ist schlank wie die Feldpalme,

Nach ihren Lippen duften die Weizenhalme

Und die Feiertage, die in Juda fallen.

Nachts ruht ihr Herz auf einem Psalme,

Die Götzen lauschen in den Hallen.

Der König lächelt ihrem Nahen entgegen –

Denn überall blickt Gott auf Esther.

Die jungen Juden dichten Lieder an die Schwester,

Die sie in Säulen ihres Vorraums prägen.

[66; 2:44 99–105] und dann:

Abraham und Isaak.

Abraham baute in der Landschaft Eden

Sich eine Stadt aus Erde und aus Blatt

Und übte sich mit Gott zu reden.

Die Engel ruhten gern vor seiner frommen Hütte

Und Abraham erkannte jeden;

Himmlische Zeichen liessen ihre Flügelschritte.

Bis sie dann einmal bang in ihren Träumen

Meckern hörten die gequälten Böcke,

Mit denen Isaak opfern spielte hinter Süssholzbäumen.

Und Gott ermahnte Abraham!!

Er brach vom Kamm des Meeres Muscheln ab und Schwamm

Hoch auf den Blöcken den Altar zu schmücken.

Und trug den einzigen Sohn gebunden auf den Rücken!

Zu werden seinem grossen Herrn gerecht –

.... Der aber liebte seinen Knecht.

Saul.

Über Juda liegt der grosse Melech wach,

Ein steinernes Kameeltier trägt sein Dach

Die Katzen schleichen scheu um rissige Säulen.

Und ohne Leuchte sinkt die Nacht ins Grab ....

Sauls volles Auge nahm zur Scheibe ab.

Die Klageweiber treiben hoch und heulen.

Vor seinen Toren stehen kriegerisch die Cananiter!

Er zwingt den Tod, den ersten Eindring nieder!

Und schwingt mit fünfmalhunderttausend Mann die Keulen.

[67; 2:44 107–113] David und Jonathan

O Jonathan, ich blasse hin in deinem Schoss ....

Mein Herz fällt feierlich in dunklen Falten.

In meiner Schläfe pflege du den Mond,

Des Sternes Gold sollst du erhalten.

Du bist mein Himmel mein, du Liebgenoss.

Ich hab so säumerisch die kühle Welt

Fern immer nur im Bach geschaut ......

Doch nun, da sie aus meinem Auge fällt

In deiner Liebe aufgetaut ......

O Jonathan, nimm du die königliche Thräne,

Sie schimmert weich und reich wie eine Braut.

O Jonathan, du Blut der süssen Feige,

Duftendes Gehang an meinem Zweige,

– Du Ring in meiner Lippe Haut.

Jakob und Esau.

Rebekkas Magd ist eine himmlische Fremde,

Aus Rosenblättern trägt die Engelin ein Hemde

Und einen Stern im Angesicht.

Und immer blickt sie auf zum Licht,

Und ihre sanften Hände lesen

Aus goldenen Linsen ein Gericht.

Jakob und Esau blühn an ihrem Wesen

Und streiten um die Süssigkeiten nicht,

Die sie in ihrem Schoss zum Mahle bricht.

Der Bruder lässt dem jüngeren die Jagd

Und all sein Erbe für den Dienst der Magd –

Um seine Schultern schlägt er wild das Dickicht.

[68; 2:44 115–121] nach diesen:

Moses und Josua.

Als Moses im Alter Gottes war,

Nahm er der wilden Juden Josua

Und salbte ihn zum König seiner Schaar.

Da ging ein Sehnen weich durch Israel –

Denn Josuas Herz erquickte wie ein Quell.

Des Bibelvolkes Judenleib war sein Altar.

Die Mägde mochten den gekrönten Bruder gern –

Wie heiliger Dornstrauch brannte süss sein Haar;

Sein Lächeln grüsste den ersehnten Heimatstern, ......

Den Mosis altes Sterbeauge aufgehn sah,

Als seine müde Löwenseele schrie zum Herrn!

Ein Zuhörer rief aus dem Publicum ich dürfe meine hebräische Ballade: Der Versöhnungstag nicht vergessen vorzutragen.

Der Versöhnungstag.

Es wird ein grosser Stern in meinen Schoss fallen .....

Wir wollen wachen die Nacht,

In den Sprachen beten,

Die wie Harfen eingeschnitten sind.

Wir wollen uns versöhnen die Nacht –

So viel Gott strömt über .....

Kinder sind unsere Herzen,

Die möchten ruhen müdesüss.

Und unsere Lippen wollen sich küssen,

Was zagst du?

Grenzt nicht mein Herz an deins –

Immer färbt dein Blut meine Wangen rot.

Wir wollen uns versöhnen die Nacht

Wenn wir uns herzen, sterben wir nicht.

Es wird ein grosser Stern in meinen Schoss fallen.

[91 (69); 2:157 704] Viel Heiterkeit rauschte leise durch den Saal bis zu mir auf die Bühne als ich aus meinem Tagebuch die hebräische Ballade vortrug: Hing an einer goldenen Lenzwolke.

Im Anfang.

Hing an einer goldenen Lenzwolke,

Als die Welt noch Kind war

Und Gott noch junger Vater war.

Schauckelte hei!

Auf dem Ätherei

Und meine Wollhärchen flitterten ringelrei.

Neckte den wackelnden Mondgrosspapa,

Naschte Sonne der Goldmama,

In den Himmel sperrte ich Satan ein,

Und Gott in die rauchende Hölle.

Die drohten mit ihren grössten Finger

Und haben »klumbumm, klumbumm« gemacht,

Und es sausten die Peitschenwinde.

– Doch Gott hat nachher zwei Donner gelacht

Mit dem Teufel über meine Todsünde.

Würde 10000 Erdglück geben,

Noch einmal so gottgeboren zu leben,

So gottgeborgen und offenbar.

Ja – – – – – – – – –

Als ich noch Gottes Schlingel war!

Nach einer Pause erzählte ich meinen Zuhörern aus meinem Prinzen von Theben die Gespenstergeschichte: Der Scheik. Eine wahre Begebenheit in die hebräischen und arabischen Sphären übertragen aus dem Hause meines Urgrossvaters der Oberpriester gewesen war in religiösen [92 (70); 2:157 705] wie in diplomatischen Angelegenheiten in Westfalen. Zum Geisterpochen diente mir die dumpf schallende Holzplatte des Tisches geradezu täuschend allem Gespenstigen noch überbietend vorzüglich. Das aufmerksame Publikum lauschte schliesslich mit dem Gesicht die vier Wände des Saales absuchend zuguterletzt die hohen Einlasstüren mit den Blicken prüfend ja überall von wo, aus welcher Richtung die Unheimlichkeit herkomme ob überhaupt von unserer Erde und herrühre. Es ist doppeltschön im eigenen Lande im Lande seiner Urväter und Urmütter seine Gedichte vorzutragen, gelobt zu werden von Mund zu Mund und gerne sprach ich zum zweiten Male in Jerusalem selbst. Die beiden netten künstlerischen Brüder Steimatzki hatten mich zum Vortrag in ihrem Salon eingeladen. Auf einem der Ausstellungstische lagen ausgebreitet viele der allerbesten Zeichnungen, Originale auch in Journalen reproduzierte nicht vergessen die von der Berliner Nationalgallerie angekauften meines geliebten Sohnes Paul. Ich wusste die Bilder nun gesegnet. Am Morgen vorher traf Dr. Steimatzki die Auswahl der Zeichnungen. Wie er mir noch später gestand, tief erschüttert vom frühen Hinscheiden meines selten überaus begabten Jungen.

[Davidstern]

[93 (71); 2:157 706] Die Menschen in Tel-Aviv durchschreiten nicht wie die Einwohner anderer Städte die Strassen der Stadt wellenförmig kreisen sie bis an ihr Ziel an das sie gelangen wollen und man wundert sich, wie alle sich den flutenden und wieder verebbenden Charakter der Stadt bald anpassen. Im Süden Amerikas gleicht diese Tel-Aviv Stadt den Goldgräberstädten auch im Bau. Es fehlt selbst nicht die Straße der Magnaten in New Jorker Styl nicht die Blumenbeete zwischen Damm und Trottoir. Wohl tut es einem am Mittag in Ruhe die Luft des Ozeans zu atmen nachdem die kleinen Tische der Bars am oberen Strande entlang gesäubert werden von Schüsseln und Tellern und Gläsern und die Menschen die gespeist haben alle auf Liegestühlen nebeneinander am warmen Strande ruhen. Über dem Sand kommt auf seinem weissen Araberpferd von Jaffa her ein Beduine geritten vor ihm ein Knäblein im Sattel. Wir atmen tiefer den schmackhaften Salzgeruch des Ozeanwassers ein; ungeheuerlich beschirmt vom Geyer der Erzlandschaft steinernen Flügel. Es weiten sich die Pupillen der Augen fast schmerzhaft dünkt es einem denn das Auge muss eine niegekannte und geahnte Landschaftgestalt umfassen. [94 (72); 2:157 707] Diese Vorstellung des gewaltigen Eindringens der übergrossen Perspektiven verursacht das Unbehagen der Angekommenen in der ersten Zeit im heiligen Lande. Der Strand von Tel-Aviv wird dem Badenden fast ein kleiner Schlaraffenstrand. Auf eines Gerüstes Anrichte werden Speisen und Getränke verkauft; der Orangensaft fliesst einem nur so in den Mund. Ich liege so gerne im warmen Sande des Tel-Aviverozeans bis zum Abend immer vom gleichen Lichte beschienen, denn es gibt ja wie ich schon schrieb in Palästina keine Dämmerung. Tag – Nacht und umgekehrt. Die Melancholie findet in dem Lande keinen Boden und im Herzen des Menschen keinen Raum. So leicht wird keiner der Bewohner des heiligen Landes von schwermütiger Stimmung befallen. Damit will ich nicht sagen, es gäbe keine Traurigkeit und kein Trauriger in den Städten gebenedeiten. Im Gegenteil, doch aus anderen Ursachen die mit dem Trübwerden der Welt nichts zu tun haben, nicht von ihr abhängen. Die Wirkung der unzählbaren Steine, eine Welt etwa von verkalteten Sternwelten umspannen das Land der Länder mit nicht zu öffnenden Steingürtel belasten und verdüstern den Neuankömmling im Lande zu gleicher Zeit mit schwermütigen Angstempfindungen. Aber mit dieser kurzen ernsten Epoche fasst er Wurzel in der roten Erde und saugt [95 (73); 2:157 708] die Erinnerung und das wahre Verständnis palästinesischer Jahrtausende ein. Der kleine arbeitende Araberjunge wie sein Bruder der kleine jüdischarabischer Arbeitersohn schaffen unermüdlich auch hier in der Stadt Steine aufladend in die Körbe zu beiden Seiten seiner Eselherden. Auf der unaussprechlich interessanten Allenbystreet überfiel mich eine so grosse Müdigkeit ich ging einfach in ein Haus und klopfte im ersten Stockwerk an die Tür. Eine Gewerett kam und hinter ihr standen zwei Kinder ein Knabe und ein Mädchen wie sie mir später sagte: ihr Amiel und ihre Eviva ich fragte die Mutter ob ich mich etwas ausruhen könne? Sie lächelte und führte mich sofort in ihre schönste Stube und ich musste mich setzen in einen weiten bequemen Ruhestuhl. Ich schlief ein als ich die Augen öffnete blickte ich in die verwundertsten und liebsten Gesichte in die ich bis dahin in Tel-Aviv geblickt hatte. Sie küssten mich bevor sie wussten, ich eine Dichterin er ein Dichter mit seiner Frau und seinen anmutigen Kindern. Vom Balkon aus übersah ich die ganze Street Allenby auf und nieder sofort über den Damm aufs Meer. Aber ich rastete bis spät am Abend bei meinen neuen Dichterfreunden in der Allenbystreet 19 und es wurde auch nicht auf die Uhr gesehen dem Künstler schlägt ja nur die eine vom Turm des Universums, was machten uns also einige Stunden im liebreichen Gespräche [96 (74); 2:157 709] im Grunde aus, wie der Welt nicht tausend Jahre. Ausserdem rechnet der wahre Dichter nicht mit Zeit und Raum wie schaal und kühl erlebte er so manche Lenze in allerjüngsten Jahren und wie glühend folgten junge Sommer oft sparsamem Blühen längst vergessenen erster Jugendzeit. Der Künstler ist eben der Zeitüberwinder und Raumüberwinder. Der Künstler lebt eben darum in zwei Welten in dieser und in der jenseitigen ewigen Himmelswelt von der aus, aus deren Materie sich irdischvergängliche Welt zeitliche und räumliche abstösst. In Palästina namentlich in Jerusalem frägt man sich oft bin ich denn noch in »dieser« Welt, ich meine auf der Erde. Es muss wohl geographisch wie man es in den Schulstunden gelehrt bekam da etwas nicht stimmen. Jedenfalls ist Palästina wenn auch noch eine weltliche Stadt, doch als Vorstadt der Himmelswelt gedacht. So oft hätte ich gerne durch dieses Land gerufen: bleibt einfach erhebt euch nicht einer vor dem andern, baut nicht so hoch damit das Verständnis bestehen bleiben kann. Wie freut sich Gott über der Kolonnisten der schlichten tiefen Bauern und Bäuerinnen Pflanzungen über die duftenden Orangenplantagen über die vielen kleinen gelben Monde die zwischen Grünblatt an den Zweigen der Büsche hängen. Dort wird immer Bibel sein eine pflanzliche Beteuerung Gottes. Auf den [97 (75); 2:157 710] ergreifenden Landschaften eingerahmt an den Wänden des bekanntesten Kunstsalons des Doktor Pulvermachers wiederholen sich von begabtesten Malern gemalt im Bild der Kolonnisten Produktion. Ganz spät war ich wieder in Jerusalem eingetroffen ein Stern malte hoch am Himmel Sterne zu den wirklich vorhandenen und es reichte das Bild bis zur Erde der Zionstadt. In dieser Einfältigkeit des phantastischen Gedankens ruhte meine Seele von dem Tag aus.

Von meinem Hotel Nordia eine kleine Strecke abwärts tritt man sofort in den Shop der Reederei des Palästina-Lloyds. Seitwärts führt eine Treppe zu den Büros. Den Direktor Dr. Turnowsky bemerkte ich schon beim Herabsteigen des kleinen Weges wie er mich aufmerksam machte auf das Herannahen einer kleinen Karawanne von seitwärtiger Strasse. Oberprimaner noch von der Außenseite beide einen Streich im Augenwinkel, schütteln wir uns gegenseitig die Hände wie im Schulzimmer. Trotz seiner bekannten Tüchtigkeit wünschte er doch chevalereske wie er mal ist, einer Dichterin deren Gedichte er auswendig hersagen könne (ich räusperte mich) sich mit Freifahrten ins heilige Land Palästina zu revanchieren. In den Korridoren des Palestine und Egypte-Lloyd befindet sich das Office des Mister B. Barkay und Sandmann. Dort verhandle ich jeden meiner Vorträge [98 (76); 2:157 711] in den Kolonien. Vom Lloyd aufwärts gelangt man zum imposanten Hotel: King David wolkenkratzerisch nach New Yorker Muster gebaut mit luxuriösem Geschmack. Ich aber sehne mich nicht dort zu wohnen. Verzeihung! es passt sich nicht für mich in der heiligen Stadt im Luxus zu tagen und zu nächten. Es hat mich so gefreut immer wieder namentlich bei den Eingeborenen Palästinas grosse Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit festzustellen, die Zufriedenheit im Genügsamen.

Palästina ist das Land des Originals alle andern Länder sind als Ebengebilde des heiligen Landes erdacht und geschaffen. Wer in Palästina sündigt, versündigt sich zwiefach. Wer in Palästina an Güter denkt, nach Reichtum trachtet ist Gott nicht wohlgefällig, man verschließe das Tor der Sünde zur sündlosen Braut Gottes: Zion. In Jerusalem entsprangen und münden die Sechsunddreissig Gerechten die Sechsunddreissig Engel auf die Erde gesandt der Welt. Darum beugen wir uns vor einem dieser 36 Engel der grossen gütigen Gestalt Herzls des nun toten Melechs.

[99 (77); 2:157 712] Denselben Weg den ich hinwanderte zum Lloyd betrete ich wieder um heimzuwandeln in meine Treibhausstube gegenüber dem Postamt. Bleibe an dem kleinen schon graumelierten Friedhofgärtchen stehen betrachte die schon halbverfallenen verwitterten Denkgesteine bis ich die kleinen niedlichen bangen Araberkindlein auf den Armen ihrer Mütter rufen höre nach mir und meiner Schokolade. Zwei Bettlerinnen leicht verschleiert, könnte ich doch entziffern die Hyrogliefen auf Stirn und Wangen und in der Grube ihres Kinns. Nach vier Uhr traf ich meine Freunde im Café Vienna zur Musik. Es spielen dort begabte Musikanten englische und schottische Lieder und asiatische. Es ist das Café und der Treffpunkt der englischen und schottischen Soldaten, aber auch aller anderen Ausländer Jerusalems. Man trifft dort die Juden aller Länder, spanische, persische, Juden aus Sarmakant aus Bucharam. Ich konnte nie fortkommen wenn ich einmal in den Räumen sass. An einem Tisch in roten Fez’s spielen Ägypter aus Cairo Würfel. Oberhalb des Caféraumes winken mir Mr. Reiner der Büchergesandte vom englischen Consulat und seine mädchenhafte Frau. Ich freue mich an einem der Tische neben mir [100 (78); 2:157 713] waren gerade eingeborene arabische Kaufleute dabei festzustellen dass die Rückkehr der Juden in das Land Palästina den Arabern nicht zum Schaden gereiche denn der Araber der zur Bauarbeit herangezogen, endlich in die Lage versetzt sei seine Familie zu ernähren. Dem Juden liegt es am Herzen des semitischen Stiefbruders Finanzen, zum Wohl seiner Familie zu ordnen. Will man die Urnachkommen Ismaels kennen lernen, gehe man vor die Stadt. Wilde Jsmaeliten leben einträchtig mit den wilden Juden; mir waren diese noch nicht mit der Kultur beleckten, pflanzlichen Asiaten fast die grösste Überraschung und Interessanteste aller der Einwohner Palästinas. Schliesslich fühlte ich mich auch befreit von jedem Widergefühl ihrer salopen Äusserlichkeit. Genau wie der Gärtner Wurm und Schnecke und schlammige Erde an der Wurzel der Pflanze überwindet, sie sogar liebreich zwischen seine Hände nimmt, so betrachtete ich mein Urvolk und seinen Stiefbruder. Diese wilden Juden stehen noch mit ihrem Gemüt in der Erde zwischen Ameise Erdextrakt und Raupe, tropisch wild hingegeben. Diese Naturwissenschaft ist nur im Lande selbst in Palästina zu begreifen.

[101; 2:157 714] Dafür entdeckte ich in einem kleinen Winkel des Hauptzeltes der wilden arabischen Juden vielleicht noch von der Bibel her Gürtel aus Muscheln und Koralle und Perlmutt und Schellengehänge für den Knöchel des Fusses und den Gelenken der Hände auch Ketten mit seltsamen Steinen »aus des Melechs Davids Kronhyazinthen«. Ich legte den Gürtel an und stimmte die Schellen und sagte von den klingenden Tönen begleitet der kleinen Gemeinschaft der noch wilden Juden die Ballade des Josephs, der nach Ägypten von seinen Brüdern verkauft wurde in hebräischer Sprache.

Die Palmenblätter spielten müde mit den Winden noch

so dunkel war es schon am Mittag in der Wüste.

Und Joseph sah den Engel nicht, der ihn vom Himmel grüsste

und weinte da er vor des Vaters Liebe büsste

und suchte nach dem Kokos seines Herzens doch.

Der bunte Brüderschwarm zog wieder nach Gottosten

und er bereute seine schwere Untat schon

und auf den heissen Sandweg fiel der schnöde Silberlohn

die fremden Männer aber ketteten des Jakob’s Sohn

bis ihm die Häute drohten zu verrosten.

[102; 2:157 715] So oft sprach Jakob inbrünstig mit seinem Herrn

sie trugen gleiche Bärte, Schaum von einer Eselin gemolken .....

Und Joseph glaubte jedesmal – sein Vater blicke aus den Wolken.

Und eilte über heilige Bergeshöhen ihm nachzufolgen,

Bis er dann hinsank trostlos unter einem Stern.

Ägypten glänzte feierlich in allen Mantelfarben

da die Ernte auf den Salbtag fiel.

Die kleine Karawanne – endlich nahte sie dem Ziel.

Sie brachten Joseph in das Haus des Potiphars am Nil

..... an seinem Traume hingen aller Deutung Garben.

[103 (79); 2:157 716] Die ganze Nacht wieder wiegte mich aus der kleinen Araberbar neben Hôtel Nordia der Urschreiton des arabischen Gesangs. Ich träumte in der Nacht von den beiden versöhnten Wildvölkern in den Zelten vor Jerusalem, sie lauschten die händeklatschend meine Vorträge zu besuchen pflegen, dem Rythmus meiner Sprache hingegeben. Ihr Tadel hätte mein Herz verschüttet. Nach einigen Tagen schon sprach ich meine Gedichte und Erzählungen vor »gezähmten« Menschen in der ewigen Stadt. Die beiden künstlerischen lieben Brüder Steimatzki hatten mich eingeladen zu einem Vortrag in ihren Ausstellungs-Räumen. Auf einem der Ausstellungstische lagen sorgsam ausgebreitet Zeichnungen meines geliebten Sohnes Paul (Paul Lasker-Schüler). In den letzten Jahren seines Lebens [104 (80); 2:157 717] gezeichnet voll der vielen Tragik dieser Welt. Aber auch Heiterkeit auf anmutigen Mädchengesichten und Liebe und Liebe. [Davidstern] Er suchte durch alle Herzen stürmisch »die Eine«. Ich war sehr glücklich über die ehrliche Begeisterung Steimatzkis; oft selbst, in seiner Begleitung durch die Hallen der Gemälde schreitend, von seiner treffenden Kritik überzeugt bin. Dass die hochbegabten Originalbilder und die, welche schon in Journalen reproduziert, gerade in der Heiligen Stadt ausgestellt, beruhigte mich geradezu über alle Maßen und vor allem der Gottessegen der nun doppelt auf ihnen ruht. Ich schritt an meinen Vortragstisch zu dem steinernen Altar. Seine Kerzen brannten ihr wächserner Leib begann sich leuchtend zu opfern; weiße Perlen tropfen nacheinander auf die steinerne graue Tischplatte u. weich auf den Rücken meiner Hand. Und vor mir eine zart atmende Gemeinde so still um mich und auferstehend. [105 (81); 2:157 718] Gegenüber vom Kunstsalon Steimatzkis befindet sich der Kunstsalon [     ]. Oft bewunderte ich vor seinem Schaufenster und auch im Innern seines Salons interessante Gemälde und Plastiken. »Mein Salon, dein Salon«! Teilen sich die Maler und Bildhauer im Spiel, im Hazardspiel der bildenden Künste; »denn Glück muss man haben zu verkaufen die Produktion.«

Zum dritten Mal trug ich in einem Mädchenseminar von jerusalemitischen lieben Backfischen meine Dichtungen vor, vor braunen gelbgoldenen jungen Geweretts, auch eine kleine jüdische Negerin sass da auf der Bank neben einer ganz hell nüancierten niedlichen angehenden Studentin der Stadt. Mein Honorar bestand aus einem Säckchen gelblicher, rosiger und rostiger Muscheln versteinter Fischflügel vom Strand des Tiberiassees. Nun umspülen sie meine Schabattkerze meine feuerspeiende schlanke Wachssäule am Abend vor dem Ruhetag allwöchentlich. Komm ich zurück ins heilige Land, eile ich vorerst in die Kolonnien der edlen [106 (82); 2:157 719] Bauern und edlen Bäuerinnen meine Bibellieder vorzutragen; denn der Dichter soll mit dem König gehen. Seine Söhne und Töchter will ich preisen und ehren, des toten Melechs Theodor Herzl junge Nachkommenschaft. Sein Blut zauberte Palästinas Erde wieder rot. Das heisst er wusch den Schatten der Vergängnis von ihrer staubfälligen Decke. Sein Glaube an Gott und an das Land des Herrn ebnet den Weg.

Manchmal sass ich nahe am Balkon an meinem Tisch in meiner Nordiastube um zu dichten oder mit meinen bunten Stiften zu zeichnen, also noch zu verzaubern den Zauber meiner bunten Eindrücke, schließlich aber schlich ich mich immer wieder betroffen davon und aus dem Hause; einfach löste sich das Rätsel der Ursache meiner Unfähigkeit im Lande selbst zu produzieren. Es mußte sich erst wieder eine Perspektive erstrecken zwischen dem Zauberlande und mir. So zeichnete ich die ehrwürdigen Chassidimpriester die am Pfingstmorgen über die Jaffaroad zur Klagemauer zogen in dem zurückgekehrten Schweizerlande zwischen Zürchersee und Alpen. In Blut u. Kraft war das mächtige Heiligenbild der Väterrabbiner in mir übergegangen ich hatte es gewaltig in mir eingesogen.

[107 (83); 2:157 720] Des von mir liebverehrten Professor Bergmann’s Frau blauäugige holte mich ab nach Bethlehem. Wir säumten so die abgleitende Jaffastreet bis ans Jaffator bergab denn immer drängte ich meine sich »opfernde« Begleiterin an den alten Läden vor den alten Auslagen mit mir zu rasten zu ihrem Verdruss. Erreichten trotz der vielen Aufenthalte in etwa sieben Minuten das Jaffator; unser Omnibus wartete schon auf die Einsteigenden zur Geburtskirche. Ein Mann im stolzen Fez versuchte uns beide Geweretts in deutscher Sprache zu überreden mit ihm ein Privatauto zu besteigen zu drei Thalern. In der Hälfte der Zeit versicherte er, würden wir Bethlehem erreichen. Gewerett Else saß schon im Innern des Omnibusses, winkte mir sofort einzusteigen. Allabendlich versucht der Hochstapler, unentgeltlich nach dem lieben Bethlehem zu gelangen und oft noch seiner wartenden Frau galant ein schmuckes Täschchen mitzubringen. Herrlich durch die Wüste zu fahren wieder zwischen all den fremdartigen Menschen über den ewigen Sand gemeinsam zu reisen. In 20 Minuten waren wir da!! Und ich hatte mir Bethlehem die viel umsungene kleine Bibelstadt genau so vorgestellt wie ich sie nun kennen lernte. Zuerst besuchten wir beide [108 (84); 2:157 721] am Eingang des lieben Orts die zwei Bazare, kauften uns jeder eine Kette aus Rosenholzperlen und Armringe aus Achad. Dann schritten wir über einen viereckigen weiten Platz von einer Mauer umgürtet, und als wir zum Himmel sahen, sammelten sich die Sterne zum Spiel – noch wie zarte Elfen hinter dem Milchglas hellgelblicher Wolken. Heiss wars am Tage gewesen und die Nachmittagsstunde in Bethlehem sollte uns erfrischen. Die Geburtskirche ist eine Gemeinde von Kirchen verschiedener Völker. Wir betrachteten die kostbaren Altargemälde hinter dem russischen Altar. Vom russischen Kirchenabteil besuchten wir die rumänische Kirche, die griechische und wandelten immer wieder geheimnisvoll durch die frommen Gänge, von einem der Altäre zum andern verschiedener Länder. Nun wieder zurückgekehrt auf dem weiten stillen Hofe durchstreiften wir die morschen seltsamen Sträßlein und Gässchen, mumienalte, begleitet von artigen braunhäutigen Kindern. Jedes dieser Kleinen schleckte an einem roten oder einem gelben oder einem feingestreiften Bonbon von uns beiden Geweretts gespendet. Auf einmal standen wir vor einer breiten stolzen Freitreppe, die – wahrscheinlich in die Seligkeit führe? meinte ich. Es nahten über die breiten Stufen eine Anzahl [109 (85); 2:157 722] bethlehemitische Frauen in ihren purpurnen blumgepressten Samtjacken und dem hohen Kopfschmuck und grüssten uns fremde Geweretts; ihre kleinen Söhne mussten uns die Hand küssen. Noch wie zur Zeit der Kreuzritter fällt über ein hohes Gestell von ihrem Kopfe herab ein weisser Gazeschleier, zartfliessender Milchschaum. Vornehme orientalische Ritterinnen geläuterte, aus der Geburtsstadt des heiligen hebräischen Kindes. Doch auch hier hungerten noch arme Kinder – ob eine einzige oder eine Frau nur von den Judenchristen in den Strassen oder auf den Plätzen, liebreich die Kindlein zu sich kommen lässt? Sie sitzen auf einer der Steinstiegen und singen:

Gedicht

Es war noch in aller Frühe doch dünkte es mich an keinem Tage habe die Sonne es so gut gemeint und intensiv wie heute; meiner Hôtelwirte schlanke Söhne den Scheitel an der Seite 10 und 12jährig und ihr reizendes Schwesterchen spielten heimlich schon mit Murmeln auf dem Korridor, dessen Räume nun an Gäste vermietet, und verrieten mir, heute streiken die Kolonnisten. [110 (86); 2:157 723] Rasch warf ich die Decke von meinem Leibe und erfrischte mich in meinem im Wasser durchnäßten Badetuch. War im Nu angezogen. Auch im unteren Teile Jerusalems in welchem ich Wohnung gefunden, befanden sich heute die Strassen fast menschenleer; auf mich aber wartete eine Sitzgelegenheit ein einzelner Stuhl, den niemand gelüstete die Zeit meines Aufenthalts in der Stadt Jerusalem in sein Haus zu tragen. Ich teilte mit einem Beduinen den Platz an Europe gelehnt. Der haftet an der Wand des Café Europes. Einmal er einmal ich blickten ungeduldig auf zu den Höhen des steiler werdenden Jaffaroad und der sich von ihm abzweigenden Ben Yehuda Street selbständigen Arm. »Von dort mussten sie kommen«. »Wer?« fragte ein neuangekommener an uns vorüberschreitender Jude. »Die revolutionierenden Colonisten«! Der Mann schien vollends genug vom Revoltieren zu haben, nahm achselzückend Zuflucht. [111 (87); 2:157 725] »Ich will nichts mehr davon hören«! betonte müde der eben angekommene Europäer verschwand in ein neu erbautes Pensionshaus. Ich aber war stolz auf unsere tapfersten Juden. Der Beduine und ich rückten unsere gemeinschaftliche Sitzgelegenheit noch näher an die Wand des Caféhauses. Die englische Polizei rückte zu Pferden an und ein kleines Regiment Schotten in ihren fröhlich karrierten Beinkleidern zu Fuss, ihr Commander trägt einen kurzen Faltenrock aus selbigem rotgrünlila Karo, der reicht ihm bis zum Knie. Von uns zwei Zuschauern nahmen sie weiter keine Notiz. Auf den Anhöhen wurde es lebendig und jäh stürzten zwei Giessbäche anschwellendes erzürntes Menschenmaterial herab ungehemmt bis auf den Zionsplatz fast überschäumte ihre Erregung das kleine Heer der Britten und uns zwei Menschen ihres Bluts. Von einem Aufstand der sich abspielte ohne den Pfeffer von üblicher Brutalität geschweige Blutvergießen und Einigung der Parteien davon bringt Kunde eine Dichterin. Uralte geklärte Kultur zweier Völker ermöglichte den ruhigen Umriss höchster Leidenschaft. [112 (88); 2:157 726] Es geht um die weitere ungehinderte Einreise unserer hebräischen Brüder und Schwestern in das uns von Gott zuerteilte heilige Land.

Noch monumentaler wie das Herabstürzen der tapferen vornehmgesinnten Kolonisten von der Höhe ins Tal, bewunderte ich das wieder jähe Hinauftreiben heiligster Ebbe über die beiden Strassenwege zur Höhe. Hinter den Hebräern edelsten, die englischen Polizeisoldaten auf ihren Rossen hinter ihnen kleine Schwadrone der Schotten. Wir, der Beduine und ich erhoben uns von unseren Plätzen ehrerbietig und beobachteten den gentlen Kampf auf oberer Lage mit den gentelsten Waffen ausgefochten: mit den Waffen des Worts und endgültiger Verständigung. Wir reichten uns die Hände Hebräer und Araber zwei Scheiks, verschiedener Stämme zweier orientalischer Völker er hielt mich meines Silbergürtels wegen nicht für eine Frau. Der Beduine begab sich der inneren City zu, ich wanderte nach Recharia, zu meinen lieben Freunden, ihnen die Ereignisse des Morgens zu berichten. Es war nämlich untersagt den Einwohnern Jerusalems und Umgegend sich auf die Strassen am heutigen Tage in den Frühstunden zu begeben. Nur aus den beiden Caféhäusern Europe und dem aparten Vienna drangen Stimmen, diskutierend hinter den Mullgardinen der Fenster. An den kleinen Tischen frühstückten [113 (89); 2:157 727] eine Anzahl Gäste. Ich erkenne aus dem internationalen Café Vienna tretend am Arm seine mädchenhafte Mistres Sweet Heart – Mr. Reiner den literarischen Attaché des englischen Konsulats. Sein Haus scheint mir das orientalischste mit seinen Mosaikböden und Nischen versehen, der unvergleichlichen Stadt Jerusalem.

Mein Freund der berühmte hebräische Dichter Uri Zwi die wir beide uns in Berlin vor Jahren erkannten und – vorrübergehend von elektr. Flammen angezündet im Strohfeuer des Rom. Cafés entbrannten, hatte sich am Dienstag am Gericht in Jerusalem zu verteidigen. Wegen Ruhestörung – nahm ich mit Sicherheit an. Ging hin nicht weit von meinem Hotel entfernt, fünf Minuten höchstens durch den kleinen Garten sofort gegenüber durchs Tor. Die russische Kirche hinter den Cypressen läutete. Er hatte mir schon in Tel-Aviv von der Vorladung gesprochen. Immer wieder schlossen wir Waffenstillstand, respektierend seinen hochverehrten stillen Vater den Wunderrabbiner von Lemberg. Juden und Araber eilen durch die Gänge des Jerusalemergerichtshof, plaidieren [114 (90); 2:157 728] und befleissen sich grosser Gerechtigkeit in den Gerichtssälen. Des öfteren fällt ein heiteres Wort sogar auf die Waagschale des Angeklagten und die Verteidigung wird schmackhaft dem Richter gereicht. Ich erinnerte mich an die Termine zu denen die Berliner zu strömen pflegten, an die Verteidigungsreden des Advokaten Dr. Hugo Caros des im Kriege erstickten Mannes meiner Freundin Elfrieda, die mit Jubelhymnen endeten, selbst im strengsten Gerichtsraum. Hier übertriebe meine Wiedergabe wollte ich behaupten der Termin Uri Zwis habe sich in Musik aufgelöst, noch weniger aber in einem feierlichen Psalm, einigten sich auch die Parteien. Und ich war die einzige die ihm dem Wildfang etwas skeptisch am Gelände der Treppe hangend und bangend gratulierte. Das Bild des munteren Advokaten Hugo Caros aus Berlin hängt an der elfenbeinern gestrichenen Wand der Stube seiner angebeteten schönen Sulamith. Auf den Schmelz ihrer Bibelaugen pflegte er jeden Besucher aufmerksam zu machen. Wir zünden ihm eine Kerze an Sulamit und ich ...... Auf seinem Hügel pflanzten seine Söhne seinen Lieblingsbaum, daran der Flieder üppig liladunkel und zart im Frühjahr wächst.

[115 (91); 2:157 729] Hier zu heiligem Lande ruhen überall zwischen Palästen und Häusern auf einem kleinen auserwählten Erdfleck, Menschen gestorbene in Gräbern auf den Friedhöfen der Araber, ruhender Stätten zwischen sich bewegender Stadt. Tod und Leben gehen Hand in Hand. Oft rastete ich eine kleine Andachtsweile vor der Hecke des kleinen morschen Friedgartens, schritt ich die Strasse seitwärts meines Gasthauses herab ins arabische Viertel. Die unter den hohen schon ergrauten Gräbern, wusste ich auferstanden zu Allah. »Allah« ist Gott und Muhammed sein »Prophet« lehrt der Araber. Auch die Seelen der Begrabenen auf den monumentalen Abhängen »stillen Gärten« in roter Erde zwischen Gestein und Talgrüften, haben heimgefunden zu Adoneu. Fern und spät lebt und stirbt inmitten der andern Völker von Alters her das Volk Israel und seine Priester brechen ihren gebenedeiten Leib und reichen ihn: zum Osterbrot ihrer Gemeinde. Vor einer Woche am Pfingstnachmittag ging ich so für mich hin, durch die schmalen Gassen des Jaffaroads. Wie Rippen zweigen sie ab von einer starken alten Wirbelsäule. Aus jedem Hause der bebauten Pfade rauschte leise Synagogenmusik und ich sah durch die niedren Fensterscheiben, den geöffneten [116 (92); 2:157 730] der heiteren Zeremonie zu. Wie sich späterhin herausstellte betrat ich eine in Schule vorübergehend gerichtete Synagoge in eine Schule verwandelten Gottesraum. Wunderte mich die Frauen sitzen zu sehen zwischen Männern. Die Frauen pflegen doch von den Männern getrennt hinter engen Gittern zu stehen unter sich zu beten. Und ich acceptierte gern den mir dargebotenen Platz der mich einladenden Signora. Ihre Nase, die ich ab und zu bewunderte, glich einem kühnen Hieroglyph, noch kühner wie die der antiken hebräischen Señors. Auf der Bank hinter der unsern träumten sich wiegend ab u. zu die Kinder grössere und die kleinsten der serphadischen Juden. Auf der Bank vor uns die Väter mit ihren Söhnen. Ein kleiner Zwischenraum trennte den zur Pfingstfeier erkorenen spagniolischen Raw und seine Zuhörer. Im rosaeingefassten silbergrauen Feierkleid und märchenhaften Turban in der Farbe des blasslila Himmels erzählte der Hohe Priester die Phingstgeschichte seinen jüdischen Spagniolen. Ihm zur rechten und linken [117 (93); 2:157 731] zwei ruhende Abrahame müde schlummernd auf pfingstgekleidetem Divane. Ruhten des weiten Weges aus den sie der besonderen Feiertage wegen zurückgelegt. Der neunzigjährige Erzvater vertiefte sich aufwachend in einem grossen Fulliant um wieder ab und zu mit Andacht einzuschlafen. Neben ihm lagernd der hundertundvierjährige Gottesknecht, sein weisser Wolkenbart zog weise über seine Brust senkte sich dann zur Erde den ewigen Schlaf bedeckend schon im Leben seines Schläfers. Ich eilte nach Beendigung der heiteren Pfingstpredigt über das Geröll der steinigen Synagogengasse und holte aus einem hebräischen Shop einen Kristall voll des Palästinaweins und brachte ihn, mit beiden Händen haltend zurück in die hebräische Schule der Spanier die in der kurzen Zeit meiner Abwesenheit sich wieder in eine kleine Synagoge verwandelt hatte und mir, einer Frau den Eintritt in den Raum der Männer verweigerte. Ihn dennoch als Truchsess des herrlichen Priesters erzwang; »Gott wird mir verzeihen!« ihm den Trunk des gelobten Landes credenzte. [118 (94); 2:157 732] Wie schon ich sagte ist es jeder Frau streng verboten den Raum der betenden Männer während des Gottesdienstes zu betreten. Doch mit der Geste eines spanischen Grandis, aber auch voll Ergriffenheit leerte der spanische Raw den feingeschliffenen Pokal. Seit der Inquisition leben diese Spanier verarmt in verbrämten kleinen Häusern zwischen Synagogen und Synagogen; Leid malte die Züge ihrer Gesichter zu Antlitzen. Vergebens suchte ich Tage und Tage nach dem Pfingstfest den zederalten und doch blütenjungen Wunderrabbuni auf den Strassen und Wegen der heiligen Stadt aber auch, fuhr ich nach Tel-Aviv, spähte ich aus nach ihm durch Ramle und Jaffa fahrend. Ich wäre gerne aus meinem Omnibus in diesen beiden arabischen Städten ausgestiegen, mich getrennt von den Mitreisenden um in den arabischen Bars die berühmten Bauchtänzerinnen und tanzenden Eunuchen zu erleben. Und die vielen Gaukler und bunten Akrobaten. Kehre bald wieder urheim ins heilige Zion Versäumtes nachzuholen, besonders in den Quellen Tiberias zu baden meine gehetzten Glieder. Scheu hintreten werden meiner verfolgten Füsse Wild an den Hügeln der Heiligen. Um Karpanaums alte Tempelruine [119 (95); 2:157 733] wächst die Unschuld in Sternenblumen. In Nazareth die Flügel der kleinen Engel Gottes. Ach so oft im Traum kommt bevor ich erwache gerade wieder mein Schiff sofort mit mir in Haifa an, eine kleine Arche, darin ich eine Eingängerin war. Denn nach Palästina mag ich nur einsam ziehen, hinaus über den endlosen Ozean! Als ich vor einem Jahre nach Europa zurückreiste, fünf Stunden von Jerusalem aus mit dem hebräischen Autoomnibus nach der bunten Hafenstadt fuhr, brachte mich am Abend ein Gefährt auf den Berg Carmel allerdings nur seinen grünen Fuss! in das Haus Hermann Strucks des berühmten Zeichners und Radierers. Leider begegneten wir uns nur in seinen Bildern, er selbst befand sich gerade in den Bergen an der Grenze Syriens. In seinem Garten aber bewillkommten mich sieben eben aufgeblühte Königinnen der Nacht. Durch die Strassen Haifas zu wandeln mit der Aussicht zum [120 (96); 2:157 734] Meer so ganz alleine wie ich, nicht reden zu brauchen in der Hitze – schien ich mir beneidenswert. Wie Jerusalem baute auch die Hand des Herrn Haifa glühend und lieblich in Terrassen auf wie fast alle die felsigen Berge Pyramiden aufstreben zur Höhe. Ich wanderte das untere Haifa am folgenden Tage auf und ab, heftiger, geräuschiger wie Jerusalem, auch nicht zu vergleichen mit seinem holden fächelnden Klima, zog ich doch immer vor, in der heiligsten Hauptstadt selbst zu wohnen. Die Massa-Stimmung der Stadt Haifa begegnete ich schon ebenso original gemalt und wildbunt blätternd in alten Geschichtsbüchern zwischen Ozean und grossen und kleinen Schiffen und finsteren Bäumen schmachtenden Blattpflanzen in Onkel Tom’s Hütte. Es kommen Männer vorbei, meist europäische Abenteurer, breitschultrig, ihre entblößten Schultern drohen zwischen den nackten dunklen Männern. Man frägt sich: Was wollen Unholde im heiligen Lande Palästina? Und doch – gehören sie zur Dekoration des Hafens und seines Märchenbuchs. Dafür berauscht desto süsser und frommer das Innere Haifa’s das Carmelherz mit seinem duftenden Pochen. Meine Freude war übergross als ich meine Freunde aus Recharia die geliebten Krakauers ihn den Architekten seine Frau Malerin ihr Töchterchen und den Architekteleven auf mich wartend in einer Laube des Caféhauses am Ozeansstrand erblickte. [121 (97); 2:157 735] Wir umarmten uns, bestiegen ein Auto, es war Mittagszeit, und fuhren bis auf die Spitze des biblischen Berges Carmel dort zu dinieren im »wundervollen Erholungshotel« wie ich nie im Leben ein schöner gelegenes erlebt habe. Das konnte ich bestätigen. Wir kamen an einem persischen Garten vorbei im kostbaren Gewande spazierte der Besitzer über seine Wege. Ich guckte gespannt über die mittelhohe Mauer auf allerlei mathematisch systematisch angelegten langgezogenen Beeten. Genau wie man sie auf verbrämten bunten persischen Bildern schon betrachtet hat; genau wie man das Korn der Felder zu ordnen pflegt, einteilt in verschiedenes Brot. Immer fuhren wir um den Pfad des Carmels wie um ein grünes Knäuel im Umwickeln der Höhe. Man bepflanzte den Carmel mit Nadelbaum zwischen Johannisbrotbaum und anderen Laubarten. Wir wußten alle im Auto wie gern wir dazumal in den Schulen am leckern Johannisbrot versteckt hinter den Pulten knabberten. Wir waren auf der Spitze des Carmel angelangt wir atmeten alle ganz tief begaben uns auf die weite Veranda des Hauses auf der sich die Männer und Frauen in geflochtenen Stühlen ruhend fächelten. Wir aber verspürten [122 (98); 2:157 736] grossen Hunger und bevor wir das Innere des lichten Hauses betraten, setzten wir uns an einem uns bekränzten Tisch und blieben sitzen bis wir die letzte Speise den gekühlten Schokoladenpudding verzehrt. Es belebte sich auch um die anderen Tische vor und hinter uns mit jerusalemitischen Juden arabischen, eine englische Familie nahm ganz in der Nähe von uns Platz. Im Begriff meine Speisen zu bezahlen, beichtete der liebenswürdige Farmelus des Meisterarchitekten die Besitzer des Hotels seien seine Eltern. Ich musste mir jedes Zimmer jeden Raum oben und unten in der Kellergegend anschauen und dann gingen wir eingehakt eine lange Reihe Freunde durch die Wälder des Carmel, pflückten die Früchte wie Kinder wenn auch noch etwas unreif. Ich sah ein Haus eigentlich einen Palast aus Kupfer ein paar Schritte weiter das Haus des liebevollen grossen Dichters Arnold Zweigs. Wir riefen ihn im Chor, zu Fünf aus einem Munde, aber er war verreist nach Tel-Aviv zu meinem Kummer. Wir freuten uns und lachten beständig bis es vom Meeresstrande heran zu [123 (99); 2:157 737] pfeifen begann. Die Schiffsirene ertönte – da legte sich ein dunkler Schleier um unser Gemüt und dann stand ich bald vor der waghalsigen Treppleiter meines Lloyds ganz allein denn bis dahin darf sich kein Nichtmitfahrender versteigen. Überhaupt, und wäre man nie eine Stiege gestiegen auf den Schiffen lernt mans, auf den Schiffen übers Meer in die weite weite Welt. Ich sah wieder einen riesengrossen Geyer zum Strande hinsteuern, so gewaltig, dessen Nahen selbst der Kapitän der »Jerusalem« durch sein Fernrohr betrachtete. Dann steuerte unser Lloyd in die offene See, ich aber stand noch auf Deck, als die Reisenden ihre Kabinen besichtigten, meinen Freunden den kleinen Punkten am Ufer des Meers zuwinkend.

[124 (100); 2:157 739] Wenn ich in Tel-Aviv bin, kommt der liebe Spielgefährte der Rechtsanwalt Dr. Andreas Meyer dazumal in Görlitz in Schlesien aus Rechovod mich besuchen. Klappt seinen kleinen Papierkorb, ich meine seinen kleinen Papeterieladen, einfach zu wie einst in Görlitz seine Kanzlei. Er liess Gerichtsaal, Gerichtsaal sein mit einer Selbstverständlichkeit zu der nur ein treuer ritterlicher Freund befähigt. Rechovod ist ungefähr von Tel-Aviv aus in einer Viertelstunde zu erreichen und umgekehrt. Er zieht aus seiner Westentasche das Geschäftsbuch seines Papierhauses; wir durchblättern es nebeneinander im Strande-Sande sitzend. Zwischen Aufträgen und zusammengezogenen Zahlen, und Privatnotizen: ein Paar Manchettenknöpfe = 5 ½ Piaster, ein Paar Strandschuhe = 2 ½ Shilling ein Paar Socken = 3 ½ Piaster, eine Tasse Kaffe vis-à-vis = 15 Mils 2 Stück Orangenkuchen mit Schlagsahne = 3 Piaster. Dann kommt auf derselben Seite ohne Zwischenraum die Zeit des Rendez-vous mit seiner geschiedenen Frau. Ich erlaube mir zu fragen, was beide zusammen reden unter so einem geheimnissvollen Olivenbaum? Und ob »er« es weiß. »Er« bedeutet der jetzige Mann, sein Nachfolger. »Er macht doch jetzt in Honig, ist Imker geworden verrät mir Andreas und sie meine ehemalige Frau, befleißigt sich seine Königinnen zu rühmen«. [125 (101); 17:11 139] Ich kaufe ihm vom [     ] überwältigt einen seiner Musterbleistifte grosszügig einen blau und weißgestreiften in unseren Landesfarben ab. Daß so ein Blei mit einem Gummi auf der Kehrseite geradegut für eine Illustration der ersten Bücher sei betonte der Kaufmann, bequem für eine Illustratorin. Der Andreas und ich waren auf den ersten Blick Spielgefährten geworden hatten uns nichts zu verheimlichen und darum nur noch Neues zu sagen. Sind noch schwärmende Menschen auf Erden. Irgendwo im Winkel liegt noch zwischen seinen Herzwänden ein Liebesroman wenn auch ein unkartonnierter – kitschiger. Ich kenne sie alle, man schmilzt in ihrer sentimentalen Stratosphäre, da ich ihn trotzdem bewerte. Dem Andreas!!! Der zweite mir liebe Freund, ein nachträglich spätgeborener Jünger des Propheten Jessaya, Israels’ grossen Prophetendichters ist ein Dichter. Aus seiner Behausung aus Hustad Rut Haowim bringt mir der liebe Henrik Landau Grüsse von seiner ihm geliebten, mir hochverehrungswürdigen Mama. Sie zog mit ihrem begabten Sohne in die asiatische Welt. Auch begegnete mir manchmal am Strande in Tel-Aviv die reizende hebräische Dichterin Bat Myriam in ihrer Maiglockenwangenhaut. Heute war sie gerade photografiert worden vom begabtesten Photographen der Jetztzeit – [126 (102); 17:11 140] Hjalmar Lersky. Schon in Europa krönte seine Photographie die Kunst der Photographie. Nicht weit vom Gewässer entfernt, so eben vom Strand über den Damm kehre ich in meine liebevolle Pension der hübschen hellhaarigen Gewerett Brandstetter zurück an der vornehmen Bar: Hallo vorbei. Des Vaters des bekannten Schauspielers Fritz Feld und Theaterdekorateur Feld. Im jüngsten Sohne Fritz begrüsse ich meine Riesendame Rosa aus meinem erstgeborenen Schauspiel: Die Wupper. Im Kriege im Deutschen Theater zu Berlin ihre Erstaufführung erlebte. Fritz Feld als Riesendame sammelte von meinem Kopf damals die Lorbeern der Kränze. Die Wupper heisst der Fluss an dem meine Heimat liegt: Elberfeld im Wuppertale. Eck wärde schimmelig er versteht, (ich meine: cynisch) – sage ich im Wupperthaler Dialekt zu Fritz der ehem. Riesenminni, öwerkömmt et meck, dat eck aus sing Bett getrieben. An einem der überraschend gedeckten Tische im Vorgarten erkenne ich den bekannten ehm. berliner Architekten Harry Rosenthal mit seiner jungen hellhaarigen kleinen Frau. Er und ich verhandelten vor Jahren mit dem Besitzer über eine rauschende zerfallene Badeanstalt in Pommern an der Ostsee. Mit den Holzlieferanten einig geworden [127 (103); 17:11 141] überraschte mich der Baumeister ich könne mit Zeichnungen doch die verschiedenen Materiale zur Restaurierung der schon wackelnden Badeanstalt begleichen. Ich machte dem jungen wenn auch erfahrenen Baumeister den Vorschlag die vielen engen Kabinen in drei Räume zu vereinen, darin ich mich ausweiten und im Notfall bei hohem stürmischen Wellengang des Meeres wenigstens baden könne in Glückseligkeit. Ich liebe das Meer, jedes Meer! Ob die Ostsee oder die Nordsee, das Mittelländische Meer das mich herüberbrachte ins Land der Länder, das Tote Meer, von dem ich bis jetzt nur eine schweflige Welle am Horizont des Strandes erblickte um auszulöschen und dann zu verkrusten am Ufer.

Im Garten der Universität von Jerusalem auf dem Ölberg stehen Hugo Bergmann’s Gewerett und ich auf einer der Anhöhen und bewundern tief in der Schlucht das amphitheatralisch gebaute Theater. Wie hat mich je ein Theater und seine Bühne so gefesselt wie dieses Theater und seine Bühne vor den emporwachsenden Steinbänken. [128 (104); 17:11 142] Würde mich doch Gott einladen, dachte ich so für mich, Ihm – im Felstheater meine hebräischen Balladen vorzutragen! Als die Gewerett und ich uns wieder mitten im Universitätsgarten befanden, setzten wir uns auf eine Bank, über die die Zweige eines asiatischen Jasminstrauches träumten, die Schönheit der Bäume und der hochgewachsenen anderen Sträucher und Büsche in Ruhe zu betrachten die wallenden Zweige. Und auch die vielen seltenen Blumen der Wiesen und Hänge beglückten mich. »Wollen Sie mal ein Gedicht von mir hören über diesen Garten?« Ich nickte und Gewerett Else sagte mir eines ihrer schönsten Gedichte das Gedicht des Gartens der Universität, das sie hier im Dufte nahm ich an, eingeatmet. Nach einer Weile meinte die Dichterin Hugo Bergmann’s Frau, ich müsse nun unbedingt den Direktor Professor Magnes der Universität kennen lernen. Ebenfalls alle die Buchschätze der Bibliotheken, die Adon Hugo betreue. Aber den unaussprechlichen Himmel gerade an jenem Nachmittage mit dem allerkünstlerischsten Plafond zu vertauschen konnte ich mich nicht entschliessen, »heute nicht!« Man tut oft wohl der Farbe des Himmels zu folgen. [129 (105); 17:11 143] Neben Bergmanns besuchte ich wieder den Kabalisten Scholem eigentlich ungewollt – aber die beiden Häuser Bergmann und das des Kabalist gleichen sich auf einen Sandstein, ja man möchte sagen es sind Zwillingshäuser zwei wilde Mandeln in einer Schale. Doch am Abend gleichen die beiden Villen graumeliert, wie ich schon erwähnte, Geyernestern am Abhang des Wüstenthals. Ungefähr mit kleinem Garten gemessen 5 der Vorgärten weiter wohnt der nette Dramatiker Brenner; mit Frau und herzigem Söhnchen. Ich fragte es wie alt es sei – da spreizte es einfach die 5 Finger seiner Patschhand. Als ich da noch im Umzug inscenierte er intime heitere Familienscenen. Kam ich in Recharia in sein lieb Häuschen, war immer Schokoladenvisite. [130 (106); 17:11 144] Oft kam der Architekt mit seiner Frau zu Brenners eben mal herüber, dann besuchten wir ein Cinematheater, meist Eden. Unser Weg führte uns am schon aufgerichteten Gerüst des Zeltes vorbei und den syrischen Zirkusleuten. Auf einem buntgemalten Holzschemel sass der Jockey der Manege und beriet mit seinem syrischen Kollegen eine neue Attraktion. Auf der Ben Yehuda Street erfrischten wir uns, bevor wir uns in den angezeigten Urwald zu den federgeschmückten Indianern auf der Filmseide begaben. Die Rothäuter tief im Kraal nahe am River schmokend. Araber, arabische Hebräer aus dem Volke der Stadt pflegen dieses unübersehbare Kinohaus mit Erwartung zu besuchen. Aus ihren romantischen Bergstädten heruntergeklettert kommen die Bergbeduinen. Handelt es sich noch dazu um die bunten Vögel Paraquays. [131 (107); 17:11 145] In Cinema Zion, im Mittelpunkt Jerusalems, sass ich oft hinter einer Haremfamilie und freute mich über die zierlichen braunen babys der Haremsfrauen und ihre Wickelkinder neben sich auf Stühlen plazierte. Sie schlummerten friedlich weiter. Und keinem fremden Besucher wäre es eingefallen lautete auch das Eintrittsbillett gerade auf die Nummer des zur Wiege verwandelnden Platzes, ihn geräumt zu verlangen des Kindes Schlummer zu stören. Der Jerusalemiter überhaupt der Araber nascht gerne im Cinema, er kann sich denn so recht süss den Bildern hingeben, aber die Düten mit Bonbons gefüllt, wandern von seinem Nachbar zum Nachbar und so die Reihe durch und man würde den Spendierenden beleidigen, greift man nicht zu. Vor den Cinemas aus einem Karren, verkauft ein Araberjunge kleine Bunde von Sträuchern daran schmackhafte knusperige Kerne hängen. In den Cinemapausen aber auch oft während des Spiels begleitet der Raspelnde talentvoll mit Aufknacken der Frucht groteskharmonisch die Grammophonplatte. Das Cinematheater Zion ist weit und luftig gebaut orientalischer noch das Cinema Eden mit seinem interessanten Spektakel. In hebräischer, englischer, arabischer und französischer [132 (108); 17:11 146] Sprache verständigt das Publikum mit die Konversation der spielenden Schauspieler. Auch in Alexandrien besuchte ich mit Madame Pilavachi das grösste Filmtheater. Es war kein Platz mehr frei vor noch hinter uns in dem Riesenraum. Auch dort spielt man mit Vorliebe Wildwestschauspiele. Es giebt weder in Europa noch in Afrika noch in Asien ein Kino, das mir nicht ans Herz gewachsen; auch erinnert es mich immer wieder an der Aula der Schulzeit; das heisst hätte es solch eine ideale Aula gegeben. Mich dünkt selbst der liebe Gott gab dem Cinema seinen Segen; es gibt ja keinen Raum des absoluten einfacheren Zuguckens, der die Menschen kindlicher verbindet wie das Cinema auch spart der Himmel Licht. Es behauptete auch jemand mal: Das Kino sei das Paradies der Leute: ein Paradiesfleck selbst in trostlosesten ärmsten Gegenden der Städte.

Ich weiss wenn ich wieder in Palästina sein werde, ich keine Furcht mehr verspüre selbst nicht vor den höchsten Steinriesen um Jerusalem sie sollen mich nicht mehr einschüchtern – vor allem will ich mich nicht mehr fürchten vor Gott dem Herrn. Er will ja nur [133 (109); 17:11 147] die Liebe, die kindliche hingebende Liebe Seines Menschen und aller Seiner Geschöpfe. Und Er wußte von meiner grossen Sünde, da ich ankommend – in die Heilige Stadt – erschöpft geflucht habe. Eigentlich hatte mein urwüchsiger Papa Schuld an meinem Fluchen – denke ich daran wie er um die Wette mit dem ihm besuchenden westfälischen Heimatbauern zu donnerwettern pflegte. Am Abend schon bereute mein Vater diese Sünde: »Verdammt nochmal, der Fluch soll mich treffen, wenn ich noch einmal fluchen werde!« Uns Kindern beruhigte das Gefühl, der liebe Gott nimmt es nicht zu streng mit unserem Papa. »Mir« wollte er es aber nicht verzeihen, und ich machte mir grosse Gewissensbisse und konnte vorerst gar nicht froh werden in unserm lieben Hebräerlande, als mir eines Morgens meine angebetete liebe Mutter erschien, sich über meine Kissen beugte so deutlich wie in der Zeit, als ich noch als jüngstes Kind bei Tische neben ihr sass und sie mir an den Sonntagen ein Stück Torte mit der grössten verzuckerten Kirsche auf mein Tellerchen legte und mich anlächelte wie nur meine Wundermutter – meine – anzulächeln vermochte. Nun wusste ich auch, da mir Gott vergeben.

[134 (110); 17:11 148] Zu Fuss eilte ich schon um sechs Uhr in der Frühe nach Recharia und mit einem Wüstenruf der Beduinen glücklichsten Stämme: »Chamachalaha!« verkündete ich meinen lieben Freunden in ihren Häusern und auf dessen Dächer meine Anwesenheit. Die lieben Förders, gerade im Begriff von ihrem Wasser zu schöpfen aus den Kesseln oben hinter den Zinnen ihres Dachs, baten mich mit ihnen Eselsmilch zu trinken und zeigten mir einen großen Bretzel dazu der fast so groß wie ihr Häuschen bis zur Erde fast reichte. Nur die Sulamith überschüttete mich Frühaufsteherin mit Vorwürfen. Sie guckte aus dem noch schlaflieben Fenster ihres Schlafraums. Ihr Herz poche nun mal so schnell aus tiefem Schlummer jäh geweckt. Meine Architektenfamilie winkte mit gelbfarbiggestreiftem Orangentuch von ihrem Balkone über den Platz desgleichen die arabischen und jüdischen Arbeiter mit den Enden ihrer langen gescheckten Kaftane. Die Wüstenkolonie selbst schlug ihren weichen Morgenschleier erschreckt zurück aber ich machte mir keinen Vorwurf der Störenfried der noch träumenden asiatischen Koloniestadt zu sein. Rosen, Astern, Georginen und Teppiche voll Vergissmeinnicht waren dabei ihr dunkles Nachtgewand wieder zu wechseln mit buntem Kleide. In den schmalen Verbindungspfaden von Street zu Street blühten die Hecken in allen Nuancen morgenrötlich. Ich begegnete der feinen [135 (111); 17:11 149] stolzen Mutter meines Priesterfreundes und großen Dramendichters Emil Bernhard aus Berlin. In Tel-Aviv spielte man gerade sein bedeutendes Schauspiel: Das Lamm Gottes. Immer hatte er der gütigste und tolleranteste Freund eine Absolution für mich in der Tasche. An den Freitagabenden wird er jedesmal wieder zum Kinde sitzt zwischen seinen drei Kindern singend und plaudernd und erzählt ihnen und seiner geliebten schlanken Frau Gottmärchen. Seine jüngste Schwester Lotte Cohn ehrt man und lobt man als Baumeisterin in ganz Palästina. Jerusalem bildet sich und baut sich auf hingezaubert – wo auch, in welchem Lande – auch oft durch ein einziges heiliges reines Wort. Es versetzt, wie oft eine Gemeinde ein paar sich findende Menschen um einen Tisch zwischen den Tischen er sich auch befindet, in den Zustand: Jerusalem. Aber einmal wenigstens muss man doch in seinem greiflichen Körper incarniert gewesen sein, eine Weile wenigstens in der gebenedeiten Stadt gelebt haben – nimmermehr weicht von einem der Odem Jerusalems. Ich bin nie hochmütig gewesen, aber nun fällt mir oft auf ich überhebe mich tatsächlich halb unbewusst über die Menschen die nicht im heiligen Lande gewesen sind ja, fast noch hochmütiger über die welche wieder gekommen sind in ihr Geburtsland als ob sie eine Badereise [136 (112); 17:11 150] hinter sich haben. Man muss sich eben hingeben, Jerusalem fassen lassen in Palästina vom Herrn wie der Edelstein sich im Ring fleckenlos und strahlend dem Schmied anvertraut. Grundlos bleibe ich seit meiner Wiederkehr aus dem gelobten Lande manchmal mitten auf der Strasse stehn oder vor einem Magazin in der schönen Bahnhofstrasse in Zürich in der Schweiz, nicht etwa die Kleider betrachtend oder die Manteaux aber wundere mich, wenn ich dem oder der neben mir Stehengebliebenen und Auslagen im Schaufenster Betrachtenden anvertraue, »ich bin in Jerusalem«. Nie habe ich bis jetzt – »diese Perle vor die Säue geworfen«. Ich bin in Jerusalem gewesen, im Herzen der Bibel auf des himmlischen Sternes Flur im Vorjenseits. Manchmal kommen Kinder aus der Schule her an mir vorbei und flüstern sich zu: »sie ist in Jerusalem gewesen«.

Als ich von Triest über Wien kommend durch die internationale schweizer Hauptstrasse bis an den See spazierte wusste ich selbst nicht, dass ich mich nach der Melodie Jerusalems vorwärts bewegte. Genau wie sich in meiner ersten Zeit in Palästina meine Augenpupillen sich zu erweitern begannen die ungeheueren Weiten und Fernen und Gestaltungen aus Gestein um Jerusalem imstande fassen zu können so zog sich hier fast schmerzhaft wieder das Gefäss meiner

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[138 (114); 17:11 151] Ich will vom Garten Gethsemane erzählen. Es blühen zwischen Gräsern die schlichtesten Blumen um das Andenken des Nazarener und neugepflanzte Sträucher zwischen verstorbenen Laubkörpern. Ausgehöhlte Greisenbäume wieder eingeschrumpft, klein geworden und graufarbig stehen sie beieinander auf dem betreuten Rasenplatz. Sie tragen Flor ob aller Irrtümer. Gerne bauen die Vögel in der wenn auch schon uralten Geräumigkeit der Stämme ihr Nest. Wenn ich mir auch von Gethsemane ein anderes Bild gemacht habe, so hat mich keineswegs der überlebende Garten des Nazareners und seiner tiefen Judenjünger enttäuscht; unzählige goldene Blüten wie die Sterne am Abendhimmel unzählig grünten an den Zweigen des jungen Ölbaums und beleuchteten die Worte die der edle Jude seinem ältesten Jünger Simon-Petrus ans Herz legte: »Hüte meine Schafe im Hause Israel«.

[139 (115); 17:11 152] Unendlich liebreich berührte es mich wenn ich erwachsene Menschen einträchtig so Hand in Hand über die Strassen und Wege in Jerusalem gehen sehe. Arabische und arabischjüdische Studenten in den Ferien daheim. Äusserlich und auch in den Zügen kaum zu unterscheiden ist beider Verhältnis brüderlich. Auch die halbwilden Bergvölker schliessen Freundschaft mit den jungen Judenbauern deren neuangelegten Kolonien sie noch vor Jahren überfielen, verhetzte Raubscharen. Doch immer wieder todesmutig setzte sich die edle hebräische Bauernschaft den grossen Gefahren von Neuem aus. Aber wenn die Orangen reif und golden waren, luden sie die arabischen Bergbeduinen in ihre reifen Kolonien ein und es entstanden wirkliche Freundschaften zwischen ihnen. Bepackt mit den Früchten und selbstgebackenen Broten der Judencolonieen kehrten die Geladenen Stiefstämme von den hebräischen Feldern in ihr Bergstädtchen heim. Der Jude ebenso fürsorglich und weise, sucht den arabischen Arbeiter neben dem jüdischen im Bau der Häuser zu beschäftigen, aber ihn auch für seine Arbeit gewissenhaft und gebührend zu lohnen. Die Einwanderung der Juden in Palästina kommt in Wirklichkeit dem Arabervolke zustatten. Aber auch die Beteidigung am Aufbau [140 (116); 17:11 153] mannigfacher neuen Wüstenstädte reut den jüdischen Baumeister keineswegs. Manch einer unter ihnen ging in die Schule arabischer Architekten und viele von denen schmückten das Land mit geradezu künstlerischen kostbaren Bauwerken. Oft passiert man einen Hofstaat von diesen kleinen Palästen im Vorbeifahren im Auto tief unten im Tal zwischen durchbrochenem Gestein. Es sind Künstler diese arabischen Bildhauer, sie können eben nicht anders als königlich bauen. Und gerade auch diesen von der Muse der Malerei bevorzugten Freund den Wiener Bildhauer in Recharvia kommt sein ebenso grosses Maltalent wie Bildnertalent im Bau seiner Bauten zu statten. Er ist eben ein grosser Künstler ein Schöpfer, seinen Bauten, er bläst ihnen Odem ein. Seine Häuser leben! Jeden Nachmittag komme ich am grossen Hilfsgebäude am ersten Hause Recharvias vorbei um weiter das Innere der Kolonie zu erreichen. Ich kann denn so in aller Ruhe mit gutem Gewissen eine Zeitlang verweilen und es immer wieder von Neuem betrachten, halb bogenförmig umarmt es einen Vorhof in dem und an dem vor einem Jahre noch gekalkt und gekehrt und weiss ich was noch [141 (117); 17:11 154] gearbeitet wurde. Das Gebäude selbst wie alle die kleinen Paläste in Recharia wie aus dem Erzsande gewachsen, ein gewaltiges Geäst eines ehrfürchtigen versteinenden Baumes, ein auferstandener betreuender hartnäckiger versteinerter Rabbi. In seinem Herzen befindet sich der Raum des Keren Hayessod und der Keren Kayemed zwei fromme Vereinigungen hilfsbereit jedem Fremdling der in das Land Palästina gereist. Ich hatte die grosse Freude den Gentleman den Präsidenten des Hilfsgebäudes Doktor Ruppin anzutreffen. Er bestätigte mir ich habe am Aufbau Palästinas geholfen mit den Dichtungen meiner hebräischen Balladen. So gelte ich also eine Dichterin etwas im Vaterlande. Mein Vater baute mit Vorliebe, ob seine alte Bank in der Lage oder nicht, er baute zum Segen der armen Bevölkerung nah an kleinen Wäldern der sauerländischen Berge in den Rheinlanden luftige Häuser. Wer in seinen Bauten wohnte, wohnte auch in seinem Herzen. Und er scheute sich von den Armen die Mieten einziehen zu lassen; ja ich und meine kleine Schulfreundin mussten meinem Papa Körbe mit Proviant nachtragen, den er unter den bedürftigen Familien verteilte. Doch manchmal merkten wir [142 (118); 17:11 155] Kinder wie die bescherten Mütter den Vätern zuzwickerten, sich das Lachen verbissen; auch rochen wir oft von der Küche her den Duft knuspriger Bäckereien. Mit mancher klagenden dicken Mieterin weinte mein Papa över die »schleiten Tieten« – und legte den Kindern einen Taler in die Sparbüchse. Als mein Vater starb, steckte sein Vermögen in den vielen Häusern denn meinem Papa wars schliesslich nur ums Bauen zu tun. An unserem eigenen Hause liess er einen Turm aufrichten der alle Dächer bedrohte; das oberste Stockwerk musste wieder abgerissen werden dafür wehte aber eine umsolängere Fahne mit einem Adler auf seinem Tuch gemalt über alle Strassen der Stadt Elberfeld und seiner Wupper ja, bis über den Rhein hinweg. »Der Till Eulenspiegel in Elberfeld ist in der Nacht gestorben« ..... Meldeten die Zeitungen eines Morgens. Mein armer lustiger Papa!

Der kleine Friedhof auf dem meine teuren Eltern ruhen in Frieden, und meines jüngsten schönen Bruders, der ein Heiliger gewesen, aber darum doch so prachtvolle Eisenbahnen bauen konnte, gebrochene Marmorsäule vor einem sanften Strauche steht, bedeutete für mich ein kleines Jerusalem und heute erst recht, da ich die Stadt Gottes gesehen und erlebt habe. Jeder Garten der ewigen Rast beschirmt Gott und Seine Engel wie Jerusalem denn er ist aus der Substanz Jerusalems aus seinem heiligen Stoffe. Ich zage fast zu erzählen dass mir die Engel in zweierlei Gestalten im gebenedeiten Garten [143 (119); 17:11 156] des Friedens kurz nach dem Tode meines geliebten Jungen erschienen sind. Dieses letzte Geheimnis dürfe man nicht verraten, meinte der Grosspriester von Berlin Doktor Baeck, dessen Wort ich gern befolge. Dieses Buch aber dünkt mich heilig genug, wenn auch nur vorüberziehend wie eine unsägliche Wolke, dieses mir von Gott geschenkte Gesicht zu erwähnen. Jahre sind seitdem vergangen trauervolle Jahre und immer sah ich vom Hügel meines teuren Kindes, meines jungen Sohnes, nach den Engeln aus, die mir vergönnt waren von Gott, zu schauen in zweierlei Gestalt. Es war im März die Kälte war aussergewöhnlich stark lautlos um mich und Einsamkeit.

Den Kindern im Kinderdorf: Ben Schemen und ihrem wundervollen hebräischen Pestalozzi will ich von den Engeln erzählen komme ich im Herbst in ihr Städtchen. Als vor einigen Jahren von böswilliger Hand das Pogrom über die ratlosen Juden, eine Hyäne losgelassen wurde über unschuldige Menschen herfiel sie biss, schützte ein arabischer Scheik mit seinem Herzen, denn er liebte das Kindervölkchen in Ben Schemen, schirmte mit seinem Leibe ihr Leben. Seitdem lieben ihn die Juden und vor allem Gott.

[144 (120); 17:11 157] Meine Freundin die Frau des Advokaten der im Kriege gefallen und ich sassen so gern auf dem niederen Steintreppchen unter der Seitentüre ihres Hauses ihrer ersten Wohnung in Palästina welche sie mit mannigfachsten Bewohnern, verschiedenen Menschen, verschiedener Erdteile verträglich teilte. Wir beide spielen mit der Sonne; sie kommt manchmal so herüber geflogen von der Wüste in unseren Schoss. Anders weiss ich die liebreiche Stunde nicht zu beschreiben. Als ich sie kennen lernte hatte ich sie bald lieb gewonnen fast wie eine Schwester, da sie meine Mutter im Himmel liebte und verehrte auf der weissen Seite meiner Erinnerung. Manchmal fragte sie mich, berieten wir schwierige persönliche Fragen, was hätte Ihre Mama getan? Wegen dieser Frage wurde sie mir immer teurer und teurer. Auch bewunderte ich schon in Berlin ihre ausgesprochene Gastlichkeit, »wie man sie nur«, betonte ich stets, »im Morgenlande erleben soll.« In ihrem Hause im Häusermeer der Grossstadt begegnete man, kam man wann man wollte, irgend einen aufgenommenen Wanderer am Tische sitzend, mitspeisend. Der Teppich der Wüste lag vor uns gebreitet und geebnet, wir wunderten uns warum nicht Jakob mit seinen Söhnen noch immer nicht von der Landschaft Gad komme [145 (121); 17:11 158] zu besuchen die heilige Stadt. Früher wie sonst verliess ich Recharia; meine Architektfamilie begegnete mir der Häuserbauer und seine Malerin die mich bis in mein Gasthaus Nordia brachten. Zwischen Recharia und Jerusalem nahe dem grossen Sportplatz darauf noch unzählige Jungens und Mädchen turnten, endlich war der Zirkus aufgebaut. Diesmal saß der syrische Jockey gestikulierend auf seinem Tambourett er schien eine neue Attraktion mit seinen Kollegen zu besprechen es hinderte sie aber nicht daran einige gelbe und rote Zettel an uns und andere Passanten zu verteilen. Wir versprachen ihnen wieder mächtig viele Leute in ihre Vorstellungen zu schicken, die wie wir, Kunstreiter in ihrem Zirkus lieben.

Heute zum ersten Male in Jerusalem konnte ich nicht erwarten unter meinen Playds in aller Müdigkeit einzuschlafen. Auch war es mir darum zu tun den Schabattabend mal in Tel-Aviv zu verleben. Mit Förders hatte ich mich verabredet schon um acht Uhr im Büro der hebräischen Omnibüsse mich zu treffen denn wir wollten zusammen den Schabatt in einem Hause von Freunden Förder am Meer verleben. Doppelt schön vollzog sich uns Ausflügnern durch die Wüste reisend der Aufenthalt in der bunten schaukelnden Seestadt. Wir saugten jeder auf seinem Platz im [146 (122); 17:11 159] Wagen auf der Fahrt die Süssigkeit der Orangenplantagen mit Wonne ein wie die Bienen den Saft der Blumenkelche. Schon dieser holden Orangenanlagen wegen sollte man diese Fruchtbauern verherrlichen. Auch heute schwang sich wie ich das schon allein erlebte in einer Felsschlucht diesmal einige Araber wildasiatisch sich auf ihre Pferde in weissen Mänteln, die Füsse in grellen Sandalen. Beinahe das schönste morgenländische Gemälde, das ich bewunderte und blickten uns noch lange nach den fantastischen Reitern mit Gewehren über den Rücken geschnallt, fast schon Ramley erreicht, geradeswegs mit Bewunderung um. Unser Omnibus begann sich gemächlicher zu bewegen, Tel-Aviv erreicht. An funkensprühenden Schmieden durch eine Gasse fahrend kommen wir vorbei, über einen Platz in die Avenue Rotschild, in die Hauptstrasse der Meeresstadt deren City erbaut, nach nordamerikanischem Muster. Das gilt: soweit ich mich erinnere, nur für die Avenue die Strasse der Wohlbemittelsten. Mir sagen ja die mathematisch angelegten Blumenbeete zur Seite der schmalen Trottoire nur unecht Geflüstertes. Und ich atmete auf als wir die Almbystreet erreicht hatten die leicht hinab wie ich schon erwähnte an das grosse Gewässer führt. Ich habe mich eben [147 (123); 17:11 160] in die unbeschreibliche Ostweststadt sterblich verliebt, sie erinnert mich an Mexikos und an Perus Goldgräberstädten, Kowboy-Dörfer und ihren Indianern, meiner Jugendlektüren und gedanklichen Aventuren bis zu dem Plunder verrosteter Geschmeide hinter den Schaufenstern viele der Läden und Auslagen auf Samtkissen kleiner Bazare. Und dazwischen ladet wieder eine Speisebar zum Imbiss ein; man ruht gern etwas aus in dem genialen Labyrinth. Mir fällt ein modernes Schaufenster auf mit erstklassigen Bildern und Statuetten. Es ist der Kunstsalon Doktor Pulvermachers. Wir schreiten über den Damm zwischen zwei Häusern von Hecken getrennt hintereinander, denn gerade hinter diesem umzäunten Pfad befindet sich ein Frühstückgarten und wir nehmen an einem nett gedeckten der Tische Platz denn wir hatten Hunger, Milch und Brot Butter und Honig noch einige Bienen, die wahrscheinlich noch einen Tropfen des süssen Saftes in die Glasschüssel dazu beabsichtigten gab einem Gelehrten am Nebentisch Gelegenheit uns eine kleine naturwissenschaftliche Abhandlung zu halten über die Honigtiere die welche ihn bereiten und Faulenzer sind. Vor allem verherrlichte er die Königin Biene bis wirklich ein kleines Orchester von Musikanten mit Dudelsack und Bläsern und Trommlern an unserem erfrischenden [148 (124); 17:11 161] Garten vorbeizog begleitet vom Meeresrauschen. Ach, wir ungezogenen nichtslernen wollende grosse Kinder lachten so. Hier vernimmt man nicht zu Tel-Aviv am Meere den ewigen Harfenton und das Klingen der Zimbeln. Immer wieder bleiben Bekannte an der Mauer des Restaurants uns wieder erkennend von Europa her überlegend stehen. Wenn sie auch unser Bild nur im Traum gesehen haben mal. Manche von ihnen eilen in den Wirtschaftsgarten denn ich war schon tot gemeldet ein Jahr bevor ich nach Palästina reiste in allen Zeitungen und Sprachen zunächst wurde ich »tief gerührt« eine Auferstandene betrachtet das merkte ich wohl am Erblassen einiger Berlinerfreunde. Was so hinter dem Rücken einem geredet wird gerade dann wenn der Kampf um das Dasein im Zenith steht. Tel-Aviv ist eine Hebräerstadt es wohnen nur Juden in seinen Bauten der Bürgermeister ist Jude die Bürgermeisterin, die Vice-Bürgermeisterin Yoschana die noch dazu sich literarisch beschäftigt. Der Soldat ist Jude, der robusteste Polizist den ich doch nicht beneide Ordnung halten zu müssen bei dem ungeheuerlichsten Verkehr – London eine Waisenstadt dagegen – von Autos und Privatauto Omnibussen in den schmalen Street und bewegten Plätzen der City, ja dazu gehört [149 (125); 17:11 162] eine übermenschliche ausströmende Autorität von Kraft. Diese Stadt treibt vorwärts und rückwärts von der Erde getrieben in ewiger Wellenbewegung, es wechselt Ebbe mit Flut. Im Sandbeet auf dem Strande aber ruht man sich besonders immer wieder aus wie in Jerusalem und allen Städten Palästinas ist dem Orientalen das Gastrecht ebenso der Schlummer seines Gastes heilig. Die Gastfreundschaft krönt den Hebräer wie seinen Stiefbruder den Araber schon seit Testamentzeiten. Auch in der Umgegend der Goldgräberstadt Tel-Aviv wie ich sie der Ähnlichkeit mit Südamerika Riverstädten zu nennen pflege beschäftigen sich jüdische Bauern und Bäuerinnen in ihrem Emeck mit Feldarbeit und mühseliger Zucht der Wolltiere. Die gelben Monde die an den Orangensträuchern wachsen, widmen sie dem Handel, der Münze, die verwendet wird zum immer weiteren Ankauf des ihnen vermachten heiligen Landes. Selbst geniessen sie fast asketisch nichts von der Ernte der heiligen rötlichen Erde des Herrn. Schon den Abend vor dem Ruhetag höre ich sie vielstimmig singen das Lied Israels durch die Strassen Jerusalems und wieder am Abend des beendeten Schabbats hold und stark Abschied nehmend ins Emeck zurück dieselbe Melodie. Manche kleinen bildschönen jüdische [150 (126); 17:11 163] Bäuerinnen betrachteten im Religionsunterricht in der Schule Europas mit Sehnsucht die Bilder ihrer kleinen Bibelfibeln; erblickten schon in ihrer jüngsten Jugend gezeichnet das gelobte Land; ahnten aber nicht ihre Auserwählung einmal selbst Gott und seiner Lieblingserde zu dienen, sie tragen ihr Haar ähnlich wie Europas Bäuerinnen im geblümten Tuche. Es fällt auf da die Kinder, namentlich in den Kolonien deren Kinder im Hebräerland geboren wurden mindestens zur Hälfte blondhaarig sind und aus himmelblauen Augen gucken. Die ungarischen Juden in schwarzen langen Kaftanen fielen mir wegen ihrer hellblonden Bärte auf geschoren den Kopf dafür legen sich an jeder Seite über die Schulter oft bis zur halben Brusthöhe lang je eine gepflegte goldene Locke die der Besitzer pflegt geradezu mit eitler Gewissenhaftigkeit, oft überraschte ich jüngere ungarische jüdische Jünglinge sich im Begriff die sich lösenden Locken im Spiegel eines dunklen Marmors zu ordnen mit grosser Musse. Über den geschorenen Kopf aber trägt er den üblichen Hutdeckel. Man beginnt worüber man sich manchmal etwas ärgerte in den Judenvierteln Europas diese Juden in der Tracht alt vererbter Pietät und Schur und Locke zu ehren. [151 (127); 17:11 164] Um zu verstehen das künstlerische Wohlgefallen und den andauernden Trieb der sehr bekannten Zeichner und Radierer: Hermann Struck und Jakob Steinhardt muss man beginnen für die Juden des Ostens sich zu interessieren. Nie vergesse ich vom Jaffator herkommend einen etwa 16jährigen Jüngling ein Galizianer den Kopf von der Milde des Lammes, das Schaukeln seiner Ohrlocken und – seine fürstliche Armut. Denn er trug seine Arme und seiner Hände Perlmutt mit einer Vornehmheit in der Hülle längst zu kurz gewordenen verblichenen Ärmel seines Rockes. Es kommt einem das Gleichnis in den Sinn das den Juden symbolisiert mit dem Lamme. Verwundete Schäflein, – man erschrickt – spielen die kleinen Kinder neu assimilierter armen Juden des Ostens wie ich schon von Rechavia erzählte überall schüchtern in den Gassen Jerusalems. Sie schliessen Freundschaft mit den drolligen kleinen Araberkindern es ist ihnen verboten ungekocht das Wasser zu trinken aber dem Araber dürstet es mit Vorliebe nach dem einfachen Trunk der Quelle ob sie von den Bergen herab oder aus künstlich gegrabenem Flussbett das Wasser liefert. Gefeit gegenüber Ruhr schadet es nicht im Mindesten den eingesessenen Juden und Araber sich am

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[153 (129); 17:11 165] Nur müssten sie liebevoller zu ihrer ja schreienden und määähenden Herde sein. Ich liess mich von den treibenden dunklen Bengels nicht einschrecken war ich Zeugin einer grausamen Behandlung der fleissigen Tiere sie tragen in Körben und beiden Seiten ihres Leibes Steine zum Bau der Häuser herbei. Die jungen Araber versprachen mir jedesmal ihre lieben armen Tiere mit ihren Stöckchen nicht mehr zu plagen und ich legte sie im voraus belohnend in ihre ausgestreckten Hände ein paar Piaster die sie mit drolligem und schlauem Lächeln waren sie aus meiner Augensphäre einsteckten. Bis mir einmal ein Priester Allahs begegnete und wir uns in englischer Sprache oben in Recharia über diese jagenden jugendlichen Arbeiter unterhielten. Denn wieder war so ein Schelm in Sicht lässig liegend auf dem Rücken eines weissen Esels dessen Brüder voraus trabten. Am Abend holte ich mir noch einen Brief auf dem Postamt ab gegenüber meines Hotels kaufte Marken am Schalter der jüdisch arabischen Postbeamtin eines ebenso liebenswürdigen wie reizenden Wesen. Sie sprach englisch auch etwas deutsch und wir unterhielten uns des öftern. Ihr habe ich einige meiner [154 (130); 17:11 166] Bücher dediziert worauf mich fast alle Beamten der Post [     ]. Die Araber und jüdischen Araber lieben die Dichter und erst – die Dichterinnen und noch besonders meine Gedichte und Erzählungen, sie seien so recht aus dem Morgenlande her. »Ob ich Lust habe, komme ich wieder nach Jerusalem auf der Post zu arbeiten?« Sie habe sich schon versicherte die nette Beamtin mir mit der Postbehörde über ein etwaiges Engagement besprochen. Sie lobte nämlich noch meinen Fleiss und würdigte meine Gewissenhaftigkeit mit dem Angebot.

Noch liegt mir mehr daran die bunten Menschen auf dem Wege und Kamele und Drommedare zu zeichnen und Gedichte aufzuschreiben. Am Abend war Vollmond und dann wusste ich schon werden keine Lichter in Jerusalem angezündet; es ist ja so hell viel heller wie an den angezündeten Abenden. Man kann in seinem Zimmer vom Lichte der mondkristallenen Kugel beleuchtet die kleingedrucktesten Bücher lesen und unten auf den Strassen sehe ich Fussgänger ihre Zeitungen studieren. Ich möchte den Vollmond die prangende Blüte des grossen Sternes gerne mal nach der Kolonisten getanener Arbeit im Emeck erleben; über den Heckenrosen und die Legenden unseres alten Volkes von ihnen erzählen hören. Sie warfen mir zum Abschied einen Strauss

Entwurf [2] [g]

[1; 2:157 4] Das Hebräerland.

(Meinen geliebten Eltern und meinem teuren Sohn Paul in Liebe)

Aus der Höhe Jerusalems stürzt der Geyer und ordnet sein Gefieder, bevor er sich in einer Grube niederlässt. Feder auf Feder glättet er sorgfältig, als geht es zum Festflug; nie sah ich einen Menschen, der, im Begriff sich auszuruhen, mit glorreicherer Geste sein Gewand betrachtete wie der edle Raubvogel. Ich erinnere mich gerne der mächtigen Tiere, die uns so oft durch die Wüste kühn und voll Unternehmungslust auf der Fahrt im Omnibuss eine Streckewegs nach Tel-Aviv begleiteten. Unwillkürlich legt die besorgte Mutter fester um ihr Schosskindlein ihren Arm. Heute fahre ich wieder unten ans Meer. Neben mir sitzt ein Beduine im gestreiftem langen Kleide, den Kopf in ein gelbes Tuch gehüllt. Wir sprechen englisch zusammen, auch ein paar Worte arabisch, die ich wohl auf der Strasse aufgefangen, aber deren Sinn ich nicht verstehe. Darum lachte der bunte Mitreisende verstohlen, und ich wusste schon warum. Im Grunde versteht man sich im Heiligen Lande, ohne was zu sagen. Die Sonne bringt hier alles an den Tag; sie scheint so hell durch die Herzen und Sinne der Geschöpfe, vergisst ihr Gold nicht am geringsten Menschen, [2; 2:157 6] am winzigsten Tierlein und dem kleinsten Feigenbaum auf vergessenem Schutthaufen gewissenhaft zu verteilen. Und man wundert sich jedesmal wieder, wenn ihr Dorn einen Einwohner Palästinas in den Nacken sticht. Um fünf Uhr morgends pflegt die Sonne am heissesten zu scheinen und weckt den Zulangschläfer mit einem goldenen Kuss. Denn der Araber legt sich schon um die Nachmittagstunde zur Ruhe, der arabische Jude, kaum ist es Abend. Mich brachte der Mond als unwiederruflich letzte oft knurrend heim.

Will man von Palästina erzählen, – geschmacklos, sich einen Plan zu construiren. Ganz Palästina ist eine Offenbarung; es getreu zu schildern, ist man nur im Stande, indem man es dem zweiten – offenbart! Man muss gerne vom Bibellande erzählen, wir kennen es ja alle schon von der kleinen Schulbibel her. Nicht wissenschaftlich, nicht ökonomisch, – Palästina ist das Land des Gottesbuchs; Jerusalem ...... Gottes verschleierte Braut. Ich kam von der Wüste aus, reiste zur heiligen Hochzeit; eingeladen zur Feier, die immer Jerusalem umgiebt. Immer ist Hochzeit unter dem Baldachin seines Himmels. Gott hat Jerusalem lieb. Er hat es in Sein Herz geschlossen, Er hat diese ewige Stadt der Städte erwählt. Jeder Gast, der in diese Stadt kommt, wechselt sein Kleid mit der Weihe des Gewands. Diese fromme Wandlung verpflichtet den Menschen in Jerusalem, sich feierlich und artig zu benehmen, die andächtige Stimmung der erhobenen, auserlesenen Stadt nicht zu erschrecken. Ich muss sagen, ich habe nie ein überlautes Wort, nie einen schrillen Ton in Jerusalem vernommen, weder in seinen Strassen, noch in ihren Häusern und Palästen. Man hört darum deutlicher Gott atmen. Überwältigt [3; 2:157 8] von Seiner Nähe, beginnt der Mensch zu beben. Man muss sich an Gott gewöhnen. Man tut gut sich zu reinigen, immer besser zu werden. Die Seele wird von tiefer Furcht ergriffen, beginnt zu brennen. Manchmal hätte ich mich gerne vor Gott versteckt.

Nicht alle Menschen, die in das Land Palästina reisen, leben dort im Bewusstsein ihrer Aufgabe. Palästina verpflichtet!! Sich erholen, namentlich im seelischen Sinne, ist gerade Jerusalem, Palästinas Hauptstadt der rechte Ort, das heilende Bad der Seele. Denn die Stadt segnet den Menschen, der sich nach dem Segen sehnt, die fromme Stadt tröstet den, der getröstet werden möchte. Jerusalem ist die Sternwarte des Jenseits, der Vorhimmel des Himmels. In dieser himmlischen Schöpfung wurde der erste Tempel gebaut.

Nach greisen Zeiten war es Herzl, der tote Melech, der lebendige Wegweiser, Theodor Herzl, der auf seines Herzens Papyrus den Wiederaufbauplan des Hebräerlands entfaltete. Er begann die ehrwürdige, ehrfürchtige Mumie auszugraben. Amen ....... Ich verweile andächtig.

Palästina ist gedanklich das fernste Land der Welt. Ich wollte ja nur feststellen, ob man überhaupt wieder auf die Erde zurückkomme – und reiste ab. Mir ist, ich bin auf einem anderen Stern gewesen. Mich bringt niemand von diesem Glauben ab! Am allerwenigsten der Geograph.

Ich reiste nach Europa zurück auf dem herrlichen Schiff: Jerusalem. Wenn nicht am Morgen und am Abend die kindlichen, hebräischen Colonisten auf Deck ihre rührenden Volkslieder gesungen, hätte ich mich, trotz der vielen Passagiere, einsamste Passagierin gefühlt. Welcher Jude wäre auch fähig gewesen, den Grund meiner Rückfahrt zu verstehen. Unschlüssig verliess ich, in Triest arriviert, [4; 2:157 10] den mächtigen hebräischen Lloyd: Jerusalem. Ach ich hätte ihn mir so gern in der Hafenstadt zum Andenken als Enveloppe an mein Armband gehängt. Er führte uns an Griechenland vorbei, an Ithaka. Er zeigte mir Zeus auf dem Olymp tronend und aus blaublauem Wasser hörte ich die Sirenen singen.

Es tanzten auf unserem Schiff die kernigen Judenbauern mit ihren bildhübschen Bäuerrinnen unter freiem Himmel. Die Söhne und Töchter wohlhabender Judenfamilien Europas pilgerten nach Palästina ins Gebenedeite Land. Verliessen Elternhaus und seine Obhut, sich der Erde des Heiligen Landes zu weihen, die Sümpfe Tiberias auszutrocknen, ja ihr Leben zu opfern, mit Freuden hinzugeben für den Dienst des Herrn. Denn Palästina ist Seine Wohnung. Mit grosser Bewunderung und Verehrung begegnete ich diesen heiligen Reisegenossen, den mutigen Pionieren des Bibellandes, den Helden; es verstummte mein Mund vor Hochachtung, da ich in einer der nächstliegenden Colonieen den fleissigen, schlichten Menschen begegnete. Rügte auch die kleine Reisegesellschaft, der ich mich am Morgen zum Ausflug ins Emek angeschlossen, meine »Oberflächlichkeit« in wirtschaftlichen Dingen. Besonders meine Unerfahrenheit im Dunst, allerdings im gesunden der grosszügigen Kuhställe der Kolonie. Wetteiferten ausserdem in Ratschlägen, die sie dem gewissenhaften, sachverständigem Verwalter zu erteilen sich erlaubten. Die kleinen ein und zweijährigen Judenkosacken auf ungesattelten Pferden hatten es mir angetan. Sie gallopierten zwischen den Hecken der Kolonie. Am Schabbattabend ist es den Kindern erlaubt [5; 2:157 12] sich herumzutummeln mit ihren wiehernden Lieblingen. Es ruht vom Hauch des Feiertags noch lässig die Arbeit. Zu Zweien, zu Dreien sitzen die glücklichsten jüngsten Adonis und die zauberhaft lieblichen Geweretts auf den Rücken der lieben, geduldigen Tiere, die ihre kleinen Reiter und Reiterinnen lieben und – mitmachen! Über die hebräische Pussta jauchzend und schnaubend sausen sie über Stock und Stein. Ich gestehe, schon auf dem Schiff wieder nach Europa, empfand ich eine brennende Sehnsucht sondergleichen zurück nach unserem lieben Heiligen Lande. Nach Jerusalem namentlich, wie nach einem von mir verlassenem Urverwandten versteintem Geschöpf. Ein Skarabäus ist Palästina! Ein jeder Jude ist mit seinem Erzstoff geimpft!

Neu wird gekleidet vom Judenvolke von Jahrhundert zu Jahrhundert, Palästina das biblische Land; im neuen Einband Gott gereicht. Gerade die Juden, die zurück in das Land kommen, entdecken seine Brüchigkeiten und Vergilbtheiten. Die Eingeborenen, die von ahnher nie die rote blutgeronnene Erde verliessen, wohnen zufrieden zwischen den Steinspalten der alten Stadt. Viele in den Kammern ihrer Bazare oder auf den Höhen zwischen Schlucht und Schlucht. Oder wie die wilden Juden – vor Jerusalems Tor, anspruchslos und einträchtig mit ihren arabischen Brüdern in Zelten. Es sind die Schlechtesten nicht.

Man bewegt sich keineswegs zwischen – einzelnen Menschen in den Hängen und Gängen Zions, aber zwischen Völkern! Die sich gefundenen [6; 2:157 14] Stämme Judas ruhen metodisch geborgen, jeder einzelne Stamm der bunten Blöcke, im Stadtviertel seines Bilderbaukastens. Um diese gewaltigen Stammbausteine bewegen sich die verschiedenartigsten morgenländische und abendländischsten Völker und Religionen. Und doch geht hier Jude und Christ, Muhamedaner und Buddhist Hand in Hand. Das heisst, ein Jeder begegnet dem Nächsten mit Verantwortung. Es ziemt sich nicht, hier im Heiligen Lande, Zwietracht zu säen.

Griechische Mönche und abbesinische hebräische Mönche, verbindet eine besondere Innerlichkeit. Die Priesterwürde vererbt sich wie in ehemaligen Zeiten vom Judenpriester Abessiniens auf den Sohn. Sie tragen schwarze Gewänder, feierlich wallend über ihre hochgewachsenen Gestalten, schwarze hohe Turbane auf stolzen Häuptern. Sie sind die schönsten der Juden im Liladunkel ihrer Haut. Auch sah ich selten schönere Gesichtszüge und edelgeschnittenere wie die aus atmenden Amethist. Keusch und tiefliegend der dunklen Rabbis Augen, schmal und ernst ihre schweigenden Lippen. Ich citiere das Hohe Lied in dem König Schlôme die feinen Muscheln der Nase seiner Myriam besingt. Auch des Abessiniers hebräische Nase steht gen Osten gerichtet. Das heisst: Die sanften, bebenden Nüstern wittern immer Gottes Hauch.

Die Städte Palästinas sind alle räumlich kleine Städte, aber ihr Inhalt, tausendfältig. Dafür überbieten die Dimensionen der [7; 2:157 16] Landschaften an Weite und unübersehbarer Ausdehnung, an Maas die Umgegenden der Städte und Dörfer aller anderen Länder aller Erdteile. Ich baue keine Kulissen, und doch glaube ich die grenzenlosen Fernen mit ihren Felspyramiden und schwindelnden Abhängen noch betonen zu müssen, eine annehmbare Vorstellung, dem, der nie Palästina mit seinen Augen sah, von dem Zauberlande zu ermöglichen. Das Wort reicht nicht, es mit ihm zu messen. Jerusalem selbst ist klein an Wuchs, Gottes auserwählte Braut im Lande Palästinas; und doch an Gestaltung so ungeheuer im Mantel ihrer Lilahimmel und steinernem Schluchtenkleide. Eine kleine Stadt, eine liebliche Burg – Sein Zion; hebt sich auch Stein und Stein empor, umrahmt vom Gestein. Palästina ist mit keinem Lande der Erde zu vergleichen. Palästina ist nicht ganz von dieser Welt. Grenzt schon ans Jenseits und ist wie die Himmelswelt nicht zeitlich und räumlich zu messen. Mögen Etliche auch die »Übertreibungen«? einer Dichterin wohlwollend hinnehmen, – aber eine Dichterin musste kommen das gebenedeite Land zu feiern.

Nur der dichtende Mensch, der sich bis auf dem Grund der Welt versenkende, zugleicherzeit sich zum Himmel emporrichtende, erfasst inspiriert, von begnadeter Perspektive aus, Palästina das Hebräerland! Und teilt mit dem Herrn die Verantwortung der Lieblingsschöpfung.

[8; 2:157 18] Der hebräische Pionier erweckte Palästina aus seinem tausendjähr. biblischen Sagenschlaf. Er hob das verlorene Gelobte Land, einen Becher empor! Füllte ihn mit der Rebe seines Blutes; opferte sein Leben Gott, es neu zu gewinnen – in höherer Form. Die Pioniere, die ersten Kolonisten sind es, die das Fieber der trüben Wasser auf sich nahmen; etliche starben. Sie gruben nicht nach Gold, aber nach Gott! Sie alle, die ihr junges Leben liessen und die, die lebengeblieben, sind die Fürsten des Landes! Und doch bewegen sie sich, sie die die Äcker bestellen und die Frucht reifen lassen, mit Bescheidenheit zwischen den Brüdern und Schwestern der Städte. Stolz ist der Stein, blüht zwischen ihm und dem anderen ein kleiner grüner Busch, ruht unter ihm rastend ein müder Pionier. Ein Bergbeduine lockt sein Kameel zärtlich: »Anâ hatu inahà anà!! lálálá lá .... lálálá lá .....«

Wenig Grün und bunt wächst auf den Bergen um Jerusalem; der März und der Aprilmonat besticken um so fleissiger die Teppiche des Landes mit unvergleichlichen Blumen und Gräsern. Auf den Höhen pflegt der Wanderer ab und zu kleinen Mohn, in sich rotversunkene, verklungene Urahnen der entfalteten Mohnblume Europas zu begegnen. Ich könnte so eine Urblume nicht abpflücken; aus Übermut keinesfalls. Und doch brach ich einige von den eben aufgeblühten roten Blumen auf Golgatha, ein paar fromme Christen an der Spree zu erfreuen, zwei meiner lieben Freunde. Ich hatte mir Golgatha ganz anders vorgestellt. Auch [9; 2:157 20] stand ich einmal im Traum mit Spielgefährten auf der einsamen Anhöhe – zu wachen die Nacht, nachzuholen was unbezwingbare Müdigkeit nicht vermochte. Drei Hügel stritten noch vor kurzem über ihre Echtheit. Bis man vor einigen Wochen auf der zerfallenen Landstrasse, unterhalb des einsamen kleinen Berges, auf dem ich gegenwärtig stehe, im Begriff ein neues Häuserviertel anzulegen, grabende Juden auf ein verstorbenes Tor stiessen, auf das »Stadttor« unterhalb der Hügelstätte der ewigen Stadt. Das bis dahin schlummernde Tor wurde, nachdem man es wieder einbalsamierte, zurück in seine Erde bestattet. Golgatha von Mohnblumen bewachsen, misst nicht höher wie eine Trauerweide. Und ich machte mir schon Sorgen wie ich den »Fels« ersteigen könne? Die alten urwüchsigen Quergassen der Jaffa Road stellten schon täglich neue Aufgaben an mein Herz. Nun stand ich mühelos, aber sehr bewegt und sinnend über unaufgeklärtes Geschehniss, auf dem Hügel der Trauer und blickte hinab ins Tal. Dominikanermönche wandeln schweigend über die Wege des Gartens noch, denn der Abend ist hell, der Himmel hat nicht mit Licht gespart. Mir nur nicht den Weg nach Emaus entgehen zu lassen, versprach ich den heiligen Männern. Sie gaben mir noch manche religiöse Aufmerksamkeit mit auf dem Weg, für die ich ihnen dankte. An Kaktushecken vorbei und Steinen, überall Steine, Steine, die den [10; 2:157 22] angelangten Juden, erzählt man in Palästina, bei ihrer Ankunft im heiligen Lande, vom Herzen gefallen sind, an Riesenkrallen vorsinthflutiger Felsungeheuern, ja, Steinichtosauren fuhr ich vorbei, spähend nach der Strasse, die der edle Jude mit seinen Jüngern erstieg. Unten in der vorweltlichen Schlucht versteinter Rachen, reisst sie sich ab zur Höhe, fahrend in die Heilige Stadt. Der aufwirbelnde Staub einer weissen Karawane wehte fast meinen kleinen Wagen bis unten in die Tiefe. Zwei, drei dunkelhäutige Kinder sitzen auf jedem Rücken der geduldigen Tiere; lässig auf dem nachtrabenden Esel, in weissen Tüchern gehüllt, eine Frau. »Schalom«! Rufen wir uns gegenseitig zu und mit Entzücken folgen meine Augen dem friedlichen Ausflug. Nun befand ich mich wieder mitten in Jerusalem und die holde Stille tat mir wohl. Man muss in Palästina leben oder eine Weile gelebt haben, um an die Wahrheit unserer gebenedeiten Bücher nicht mehr zu rühren. Der Aufenthalt im gelobten Lande, vor allen Dingen in Jerusalem stärkt den Glauben an Gott, an die »Ruhende Gottheit«. An ihrer Wange lehnt Jerusalem. Ich fragte die lieben Talmutschüler, ob sie mir wohl sagen könnten wie alt Gott sei? Diese Frage, meinten sie einstimmig, möchte mir wohl selbst ihr grosser Raw nicht zu beantworten wissen, aber ich möge persönlich den Rabbiner Kook fragen oder – seine [11; 2:157 603] kleine zweijährige Enkelin Zipora, da Adoneu nicht nur der älteste der ältesten, auch der jüngste der Jüngsten sei nach Seinem eigenen Kundtun. »Ich bin, der ich sein werde.« Unaufhörlich umschwebt der Schmelz zukünftiger Ewigkeit den Herrn. Ein beistimmendes Murmeln schallte aus einem der dämmernden Winkel der Talmutstube zu uns plaudernden Schülern herüber. Die baten mich, ihnen eine meiner mir liebsten Balladen meiner hebräischen Gedichte vorzutragen.

Mein Volk. [h]

Mein Volk wird morsch, dem ich entspringe,

Und meine Gotteslieder singe.

Jäh stürz ich vom Weg

Und riesele ganz in mir

Allein, fernab über Klagegestein

Dem Meer zu!

Hab mich so abgeströmt

Von meines Volkes Mostgegorenheit –

Und immer immer noch

Der Widerhall in mir

Wenn schauerlich gen Ost,

Das morsche Felsgebein,

Mein Volk zu Gott schreit!!

Ich wollte mich bei Gott einschmeicheln riefen meine lieben, lieben jungen Zuhörer. [12; 2:157 26] Eine wertvollere Kritik konnten sie mir nicht spenden. Immer sitzen etliche fleissige hebräische Mönche im kleinen Vorraum, aber auch in der Synagoge selbst, in neuaufsprudelden Weisheiten der grossen Gottesbücher versunken. Innige Rührung streichelt in der Erinnerung an diese sanftstreitenden Menschen, wehmütig mein Herz. Ein liebreiches Lächeln scheint aus ihren mandelförmigen Augen und lässt keine Bitterniss ein. Er habe verlassen Vater und Mutters Garten, »sein frisches Bächlein« erzählte mir der jüngste der Talmudisten aus Deutschlands Sauerlanden hergepilgert, wo auch meine Wiege stand. Dafür aber mussierte heiliger Fanatismus in seinem Blut. Ich aber wandte mich, denn ich musste weinen, mich an unser längst verfallenenes Haus an Krücken erinnernd und an seinen greisen Turm einst stolz zu seiner Rechten.

Die kleine zweijährige Zipora sauste nur so durch die schlichten Vorräume der alten Synagoge, in denen ich von den Gottesmännern mancherlei Frommes lerne. Zipora ist so wild wie die niedlichen Reiter und Reiterinnen in den Kolonieen. Auch trägt Zipora seitlich gescheiteltes kurzgeschnittenes kohlpechrabenschwarzes Haar. Sie will zum Grosspapa Kook, erklärt mir ihr Vater; ebenfalls wie sein heiliger Schwiegervater ein Geistlicher, doch noch jung, kaum umbartet. Seine liebevolle Höflichkeit tut den Fremdhingereisten nach dem Gelobten Lande, wohl. Munter und spielerischer wie sein Grossschwiegerpapa, erinnert er mich [13; 2:157 28] an einen mir lieben Freund in Berlin, dem jungen hervorragenden Caplan Bernardo, dessen Eltern sich nicht einverstanden erklärten mit seinem Entschluss: Katholischer Geistlicher zu werden. Er sei zu lustig für einen Caplan. Damals habe er seinen guten Eltern geantwortet, »der liebe Gott muss doch auch einmal einen ›lustigen‹ Caplan haben.«

Giebt es einen fröhlicheren Beweis, einen ungetrübteren, als der Tanz der erwachsenen greisen Gottesdiener im Tempel? Mit ihrem Jauchzen beweisen sie Adoneu immer wieder die Dankbarkeit ihrer auferstandenen Herzen. Knaben gewordene Männer mit wallenden Bärten, schwarzen, rostigroten und weissen, weisser noch wie der Jerusalemjasmin, der so gern auf dem Gipfel des Sinaï wächst! Wie ein Bräutigam, der die Braut einholt, tanzte König David dem Zuge der Bundeslade voraus.

In den Synagogenstuben Rabbi Kooks weile ich mit Vorliebe. Meine Besuche, die so oft ihm allein galten, habe ich eingestellt. Mein Erscheinen entzückte dem allzusehr beschäftigten Oberhaupt der Juden Jerusalems keinesfalls. Das Impulsive störe ihn in seiner Gleichmut. Verriet mir schonend des Raws Schwiegersohn, den im Gegensatz zu seinem mächtigen Lehrer und Schwiegervater, meine Art und Weise, sei ich auch ein Sturmwind und reiße die Fugen der Türen aus den Angeln, zu beleben schien. Demungeachtet kam ich doch über die Stufen der einfachen Eisentreppe geläutert in aller Wetterstille des Herzens noch einmal gestiegen, ein kleines Present für den grossen, bescheidenen Rabbi schüchtern in Arme tragend. [14; 2:157 30] Immer traf ich den Rabbuni im ärmsten aller Röcke, nie im prunkenden Kaftan oder den feinen Kopf im brochatnen Turban; so pauvre bekleidet, hatte ich ihn mir nicht vorgestellt. Es enttäuschte mich sogar fast; doch auch ohne innere Pose empfängt Jerusalems Grosspriester, sich nicht überhebend, den ihn geistlich Consultierenden. Mit besonderer Geduld – seine Landsleute, seine Juden aus dem Osten Europas gereist; opfert den bedürftigen seine letzten Piasterstücke. Hat man Glück, trifft man den Grossrabbi mit ihnen versammelt am schweren Tisch im Conferenzzimmer plaudernd und mit jedem einzelnen Geschick des Freundes kämpfend. Schliesslich, er, der weise Freund – Rat schafft. Dann gleicht der vertraute Kreis: Treu zueinander haltenden Schulkameraden in struppigen Bärten. Man »liebt« dann den Grossrabbiner Kook. Vornehm in der Schlichtheit engerer Familientreue, zu der alle seine Brüder zählen mit den leiernden, frommen Locken, einfältig zu ihrer breiten Hüte beider Seiten, schliesst der Raw murrend die »gesetzvergessenen« Juden und Hebräer westlicher Himmelsgegenden Europas in sein Gebet. Bindet mit heimlicher Überwindung schier die Zweige der anverwandten Spezies, misstrauisch, missmutig, doch gewissenhaft mit der Faser seines stämmigen Herzens zu den göttlichen Strauss seiner teuren, gottesfürchtigen Geschöpfe Galiziens. Die herzliche Harmonie der plaudernden Geselligkeit respektierend, legte ich den Zweig eines wilden Oleanderbaums dicht neben seine feingegliederten Hände. [15; 2:157 32] Ich erkannte unter den Vätern einige Väter der schüchternen Kinderlein aus der Vater Lewonestreet. (Ich taufte diese Straße fürsorglich nach dem goldenen Hirten in den Wolken.) Wie ihre frommen Väter tragen die kleinsten Söhne »kleine« Väter schon, den Kopf bedeckt, schwarze Käppchen auf ihre braunen, vor der Heiligkeit des Herrn demütigst nach alter Vorschrift geschorenen Haare; die zwei rührenden Löckchen, Lammöhrchen, baumeln sanft bis auf ihre zarten Schultern herab und bangen bei jedem fremden Ton. Als es aber heisser wurde, spielten hier die artigen, ostjüdischen Kleinen entfesselt ihres Kaftans, in der anspruchslosesten Gasse der Kolonie Recharia. Ich freute mich mit ihnen. Der Väter Furcht vor den Verfolgern des verlassenen Landes, zitterte noch zaghaft aus ihrem scheuen Wesen. Ja die lieben Kinder verschmähen jede Zuckerfreude anzunehmen, selbst von uns Juden in den neumodischen Kleidern.

Ein kaum merklich sich erhebender Hügel trennt Recharia von dem kleinsten Örtchen, das ich je im Leben gesehen habe. Einem winzigen Weltchen einem ganz kleinen Jerusalem für sich. Das war mir genug zu wissen und ich fragte nicht nach dem Namen des plötzlich entdeckten Erdteils. Am Abend kamen viele, viele Lichter herüber zu uns nach Recharia über den karg mit Gras und Kraut bewachsenen Höcker des Damms. Oft rastete ein Beduine und sein Esel oder sein ledernes Dromedar auf dem Hügelrücken. Vom Garten meiner Freundin konnte man so schön die Sternchen von nebenan am Himmelszelt und ihren roten Mondnachen am Abend beschauen.

[16; 17:11 10] Tagsdarauf besuchten wir beide Hand in Hand wie Kinder neugierig das kleinste der arabischen Judenvierteln angrenzend Recharias. Es hatte längst selbst in den Jahrtausenden seinen Namen vergessen. Wir kletterten über seine gesäuberten Schabbattstrassen. Es liefern Gässchen und wilde Pfade dem kleinen Erdkörper zur Befestigung Schlamm, Mörtel und Öl der Wegkräuter. Mit naiver Selbstverständlichkeit leert sein Bewohner die Behälter der Gemüse und Obstschaalen ins grosse Reservoir: Draussen. Um, bevor der Schabbattabend naht, Strasse Hof und Haus und seiner Pforte Treppe, darauf sich die Kinder plazieren, vom Unrat zu säubern. Diese beiden hygienischen Tage bewahren den Bewohner des Orts vor Epedemie. Spielende Knaben und Mädchen betreuen einen fünfjährigen Heiligen und küssen und streicheln ihn. Seine säumenden Sammtsterne blicken uns beide friedlichsinnend an und streifen still über den Sand der Wüste. Heute malt eine gelbe Wolkenkinderhand sie ganz ganz sonnig. Diese Kinder fliehen uns nicht wie die verängstigten Kleinen aus der, von mir fürsorglich benameten: Mutter Rahelstreet; nach Jakobs Rahel. Die ahnungslosen nie bedräuten Kinder des kleinsten Jerusalems nähern sich uns zwei hebräischen Nikolassen zutraulich, umklammern dankbar unsere Schösse. Es sind die echten eingeborenen hebräischen Kinder Palästinas; verliessen wie ihre Ahnen niemals das Heilige Land. Anders verhält es sich um die mit ihren Eltern eingewanderten Geschöpfchen vertriebener Ostjuden oder nach der Eltern Einwanderung geborenen Knaben und Mädchen, die zu gleicher Zeit noch mit der Jungen Vorstadt-Colonie Recharia in Sandwindeln lagen.

[17; 17:11 1] Auf der untersten Terasse Recharias in der Rambamstreet besuche ich manchmal den netten liebreichen Professor und Bibliothekar der jerusalemer Universität und seine dichtende Gewerett und ihren Nachbar den Kabalisten. Der Bau ihrer Zwillingshäuser Ähnlichkeit verdanke ich die Bekanntschaft des Gelehrten. Vor langen langen Jahren an einem Herbstnachmittag, zogen die beflügelten Menschen und ihre Familien mit den Zugvögeln nach Asien.

Nur mit den Dachlucken gucken die beiden zusammengewachsenen Häuser über den Erdboden, einige Stufen abwärts, schlüpft man ins Innere.

Unter dem heiligen Scheine des Schabbattleuchters segnet der liebreiche feine Professor und Bibliothekar seine Kinder, zuerst den Ältesten, dann das wunderschöne Töchterlein, zuletzt seinen Wildfang. Der spricht, so ist es Sitte in den Judenfamilien, am Schabbatt die Gebete zu Gott dem Herrn. Er gallopiert, hätte ich beinahe gesagt, auf dem Schabbattgebet um den bestrahlten Tisch, über seine mohnsamenbestreuten Brode und Schüsseln und Teller und Gläser, zuguterletzt über unsere Köpfe. An Alltagen tummelt er sich mit seinen Spielgefährten unbekümmert im Sand der Collonie herum und seine blauäugige Mama, die sich in ihrem kleinsten sich wiedererkennt, labt sich an den eigenen Streichen ihres ausgelassenen lieben Jungen. [18; 17:11 3] Hingegen bringt sie meinem Säumen und Träumen auf den Strassen, meinem Verweilen vor den interessanten Schaufenstern, meinem Lauschen vor arabischen Grammophonläden weniger Geduld entgegen. »Dieses ewige Blinzeln durch die Teppichspalten« der Bazare am Jaffator, spannt ihre Nerven; vor allem erschrickt sie mein Entzücken selbst verhaltenstes beim Herannahen einer Karrawane.

Im Zwillingsgeyerneste Nebenbau bereichert sich an die Lehre der Kabala der Kabalist. Mein irrtümlicher unverschuldeter Besuch – ich verwechselte die Pforten wieder – scheint den jungen Gelehrten heute nicht in der Lektüre zu beglücken. Doch ich bleibe! Reichlich an meinem Beharren Rache übend, bemüht er sich mit dem Gifte der Logik mir die Legenden des heiligen Israels zu enthimmeln. Zuguterletzt den Papyros, auf dem die erste Initiale unseres Volkes steht, zu entwurzeln. Das Wunder, sage ich, mit der Logik zu verehelichen, ergebe eine Messe-Allianceehe. Schob ungehalten ab. Aber es kreuzten sich nach einiger Zeit unsere Wege; beide warteten wir auf den Omnibus an einer der Haltestellen in Recharia, in die City der Jerusalemstadt zu fahren. Wir setzten uns nebeneinander auf die noch unbesetzten Sitze. War mein Nachbar besser gelaunt oder wirkte die nicht von staubigen Foliant vermauerte Natur auf sein Gemüt günstig? Verjüngt begann er über unserem, wenn auch religiösen Disput, zu scherzen; machte den Vorschlag: Wir beide uns niemehr erhitzen wollen über das Leben unserer Heiligen. Ich zeigte über die [19; 2:157 40] grandiose Landschaft und dann hoch zum Himmelsgewölbe auf und versicherte dem aufgetauten jugendlichen Gelehrten: Aus dem Buch der himmlischen Bilderfibel lernte ich im Originaldruck die Geschichten der Propheten unseres Volkes kennen.

Auf dem Berg El Kantara bei Safed, wo noch die Ruine des Tempels »der Leuchte Israels« steht, strömen Züge von fackeltragenden Männern und Frauen Palästinas – aus allen Gegenden, mit Söhnen und Töchtern und Kindeskindern, sich zur Erinnerungsfeier Simeon Ben Jossays zu begeben. Es erwacht die Cymbel, das sinaïalte Instrument der Hebräer und begleitet den extatischen Tanz. Um den frommen Bergrücken im Frieden des Tempelgebeins, erfasst die blühende Hand – die greise zum Reigen. Den jüdischen Knaben aus Bucharan, von Sarmakant gereist mit Vater und Mutter werden die herrlichen Zöpfe, die ihnen bis zu den Knieen gewachsen, zur Opfergabe abgeschnitten und in einer Feuergarbe dem Geiste Simeons der Leuchte Israels gereicht. Tage vor dem Feste, begegnete ich diesen bucharischen Knaben, die ich für Prachtexemplare hebräischer schöner Kosakenmädchen – immer wieder bewunderte. Etwas heidnisch mutet einem diese qualmende Freudenfeier an, bewegen sich auch die Jauchzenden um unschuldige Altäre des »Einigen Einzigen Gottes«. Und doch – Ein urwildes Überbleibselfest aus Baal und Astarte Zeit, als das Volk Israel noch in Kindersandalen aus Fellen, in Rudeln, ein noch kindlich lallendes Volk, Wüsten durchstreifte in der sich ihm noch nicht offenbarten Welt. Seltsam erinnern an unser ursprüngliches Heidentum die schmorenden Widder im wehendem Feuerschein beleuchtetem Dunkel. Früh am Morgen der heiligen Tanzfeuer lagern sich zur Ruhe im Mohn müde [20; 2:157 42] an die Wandung des vornehmen Felsens gelehnt, die Festgäste. Rings um Gestein: Menschenodem und Schlummer.

Asiens Palästina heiligt den Schlummer und nimmermehr würde sich ein Jude, noch ein Araber getrauen, den Schlafenden zu wecken, ausströmende Ruhe einer Lappalie wegen zu unterbrechen. Ungefährdet schlafen ihren Schlaf bei unverschlossenen Toren und Türen die Bewohner der Häuser und die Gäste der Gaststätten; vor allem dem müden Wanderer, der Einlass und Lager sucht, die wohltuende Rast in Gottes Lieblingswelt nicht vorzuenthalten. Es weiß der Araber und der arabische Jude nichts vom Einbruch und seinem Diebstahl. Über seinem Balcon pflegt der Haremsbesitzer einen Teppich, fast bis zum Boden des Weges auszubreiten, zur Kenntnissnahme – seiner Abwesenheit. Dieses mit kostbaren Arabeskenzeichen gewebtes Schreiben an den Freund, verpflichtet diesen, des abwesenden Freundes Hab und Gut zu schützen, vor allem seine Frauen in respektvoller Distanz zu betreuen.

Einmal vernahm ich um Mitternacht leise, leiernde Karrawanenmusik und dumpfe Trommel. An meinem interessanten Gasthaus Nordia vorbei, zog eine nubische Karrawane. Es war die erste nächtliche Karrawanenreise, die ich in Jerusalem zu sehen und hören erlebte. Ich sprang aus meinem Bett sofort auf den Balkon, die bunte Reisegesellschaft und ihre Trampeltiere ganz nahe zu betrachten. Der Wächter gegenüber meines Hauses, wünschte mir: »good morning«, mitten in der Geisterstunde. Aufatmend entdeckte ich ihn schon vor paar Abenden hinter dem vergitterten Fenster des Bankgebäudes. [21; 17:11 5] Ich brauchte nur – im Fall einer Mobilmachung, »help«! zu rufen. Und ich will mich nicht mutiger zeigen wie ich bin; litt ich doch in den ersten Nächten in meinem Raum im neurenovierten langen, langen Corridor ungeheure Angst. Erst in der Frühe begann in den Stuben neben der meinen der Geschäftsbetrieb. Und ich blieb der einsame nächtliche Gast, bis das übliche Hotelwesen einsetzte, Zimmer vorübergehend oder auf Wochen bewohnt wurden. Und doch hätte ich meinen Treibhausraum nicht mit einem der Prachtzimmer des Hotels: King Davids vertauscht.

Vor dem Postamt angelangt, begann die Karrawanengesellschaft die Rücken ihrer Wüstentiere zu verlassen. Die dunkelhäutigen Männer hoben ihre Frauen und ihre entzückenden noch träumenden braunen Kinderlein, liebkosend aus weichen Polstern und tragen sie auf den mit Fellen belegten weiten Steintritt. Am Tage dient er den arabischen und jüdischarabischen Gepäckträgern auf den Wink der Abreisenden zu warten. Als ich die liebenswürdige Besitzerin das, ihr zum kleinen Modesalon umgewandelte Hotelzimmer, aufschliessen hörte und des Zahnarzts Praxis begann, außerdem die verschiedenartigen, fremdländischen Kaufleute ihre Hotelbureaux betraten, war der nächtliche Reiterspuk über die Berge, vielleicht schon am Ziel angelangt. Es gähnten die nubischen, wohlbeleibten Gattinnen, als die obere Stadt Zions schon das Klingen der Tausendglöckchen der vielen geschmückten Zügel und den säumenden Singsang vom unteren Araberviertel vernahm. – [22; 17:11 6] Jeden Augenblick, den ich versäumte von meinem Balkon auf die Strassen Jerusalems zu schauen, galt mir ein verlorener. Mein Gasthaus entpuppte sich mir als eines der herrlichsten, grosszügigsten Panoramas und glich einem solchen Landschaftstheater täglich auf ein Bild verwechselnder: Dass mir zu gleicher Zeit mein Balkon zum Trocknen meiner Wäsche diente, verschuldeten meine Verhältnisse. Aber weder Luft noch Sonne, als ob sie Kenntniss meiner Finanzen, bleichten meine rosafarbenen Halstücher keineswegs mit derem holden Rosenrot ich mir die Liebe des jerusalemitischen Volkes erwarb. »Rosa ist Trumpf in der holdseligen Stadt.« Aus rosafarbener Seide – ein Kleid, besitzt für ihren grossen Feiertag fast jede jüdischarabische und jede arabische Mutter und ihr Kind. Jeder Vater der beiden semitischen Völker und sein Sohn erfreuen sich eines rosa und rosagestreiften Kaftans.

Wenn im Krug auf dem steinernen Heerd meines Balkons das Wasser zum Zahnputzen und zur Fusswaschung zu kochen begann, zeigte der Zeiger meiner Uhr auf sechs. Ich erhob mich und machte meine übliche Badereise in ein von mir ausgewundenes Badetuch. Tagsüber dufteten seine Kräuterextrakte noch aus der Feuchtigkeit des trocknenden ausgebreiteten Leinens. In der Morgenfrühe nach der Asiennacht erfrischte mich die kühlende Prozedur.

Immer die erste besuchte ich die Post, gegenüber meines Hôtel Nordias, stand ich am Schalter der Post. Mein Fleiss – und meine – Gewissenhaftigkeit begann der charmanten arabischen Beamtin zu imponieren. Ich kam immer zuerst, nachdem ich mich im Hause Nordias vor dem sauberen hebräischen Trinkshop mit einem Glase Mitz (Orangensaft) gelabt. Die Beamtin fragte mich, ob ich wohl auf der Post arbeiten möchte? Der Dichter ist dem arabischen Volke ein Symbol, dem jüdischen Volke bedeutet er eine [23; 17:11 12] Erinnerung an König Salomos Hohes Lied. Es bangte sich die liebreiche Araberin um mein Wohlergehen in der Heiligen Stadt. Kehrte ich von dem Postamt, eben über den Damm, auf die Jaffaroadseite meines Gasthauses zurück, leerte ich ein »zweites Glas« edelsten Orangensafts auf das Wohl meiner Beschützerin. Ein paar Tropfen von der Crapefrucht mit der Blume des Mitz vermischt erhöhte den Wohlgeschmack. Mit einer Fruchtpresse pflegt der Trinkshopbesitzer die Quelle der goldenen Früchte zu leiten in den gläsernen Becher. Und es machte mir viel Freude ebenso den anderen sich Erfrischenden den gewandten Händen zuzuschauen. Die heiteren schottigen Soldaten geben sich mit Vorliebe in der Bars kleinem Raume dem Trunk der Orangenbeere hin. Vor meinem Spiegel konnte ich die Farbe meiner Haut nicht mehr unterscheiden mit der mondfarbenen Frucht. Ja, ich beschien direkt mein kleines Treibhaus. Hinein kam niemand ohne eine Pflanze mitzubringen: Ein klein Feigenbäumchen, oder einen winzigen Pfefferableger der Pfeffermutter oder einen stachligen Kakteenigel im Topf.

[24; 17:11 13] Zwischen meinen vier hellen Wänden fühlte ich mich wohl. Auch schlief ich ausgezeichnet in meinem lichten Bettgestell. Doch manchmal ruhte ich im weiten Rohrsessel, auch in der Nacht von der warmen Luft, die mich einhüllte, eingeschläfert. Für »Indenschlafsingen« sorgten schmeichelnde Melodieen eines arabischen Tanzhauses, holdmonotone Lieder. Blieben die Wiegenweisen aus, strampelte ich unzufrieden wie ein Wickelkind. Sehr erfreute mich mein einfacher »ungeschminkter« Tisch in seiner natürlichen letzten Holzhaut nur von der Rinde befreit; unpoliert und unangestrichen, als ob er gerade so vom Wald abgepflückt in meine Stube spaziert. Er lebte, atmete auf mit mir namentlich nach einer Arbeitspause. Und doch bangte mir jeden Tag vor meinem Vers wie vor meiner Malproduktion. Ob mein Vers sich gestalte zu einem Geschöpf oder nicht, ob meine Zeichnung würde? Um diese Cardinalfrage – drehte sich mit mir getreu mein Tisch. Ja er wurde mein allerbester Freund in Jerusalem. Nur König David hätte diese Gemeinschaft Mensch und Tisch begriffen, der anzunehmen seine Gottespsalme auch an einem Tische dichtete, sie aufzeichnete der Welt auf lebendigem Holz.

Ich bin noch nicht mit der Aufzeichnung des Mobilar meines Raumes in dem ich mich am Tage so manche Stunde aufhielt, und in den Nächten ausruhte, zu Ende. Um die Emaille meines Waschständers zu erhalten, kaufte ich in einem in zwei Hälften geteilten Shop, jeden Tag einen neuen Bogen besterntes Papier, darin der Verkäufer die Commissionen seiner Kunden einzuwickeln pflegte, zum Belegen der Emaille Plateau. Als Kind habe ich mich manchmal gefragt, giebt es auf anderen Sternen auch silberne Sternchen? (Das wußte ich nun erst nach all den Jahren) [25; 17:11 15] In der zweiten Hälfte des Papeterieladens waren »momentan« Brüder, ungarische Juden, im Begriff, sich ein »Bankhaus« einzurichten. Ich hörte sie sanft über den besten Platz ihres gemeinschaftlichen Wechseltischs discutieren – in Rücksicht auf kommende Kundschaft. Einigten sich dann schliesslich, ihn zu plazieren, seitlich hinter dem Eingang der Ladenpforte. Als ich mir am Abend Bleistifte im Papeterieabteil des Shops holte, lagen auf der neuen Fransendecke einige internationale Scheine und auf einem Porzellantellerchen: Kleingeld. Und die beiden himmelblonden Brüder in ihren langen Schläfenlocken betrachteten gerade die Bildchen auf den neuen Cassenscheinen mit ihren blauen Augen und mit einer Sanftmut wie nur Lämmer gucken können. Ich hörte dann später einen Witzbold erzählen, der Hammel habe seine Söhne schon gerne auf die Kunstschule schicken mögen und nur die judenfeindlichen Grossstädte gefürchtet.

Noch eine Stunde ungefähr und es beginnt der Abend; ich aber habe grosse Sehnsucht nach Recharia und ich begab mich zu Fuss in die Colonie. In zwanzig Minuten, geht man noch so gemächlich, ist man dort. Mit dem Omnibus vom Mittelpunkt der City aus: Ungefähr in sieben Minuten. Ich fand im Sand in der Nähe eines Gartens ein niedliches Poesiebuch; hob es auf und las auf der ersten Seite hinter dem bunten Einband: Ruth. Es gehörte anzunehmen, einem Kinde mit Namen, Ruth. Auf der darauffolgenden Seite – hatte eine kleine Mitschülerin ihre Puppe [26] gemalt mit Wasserfarben. Doch wie eine Königin gekleidet und um sie herum der Hofstaat ebenfalls in Prachtgewändern. Ich erkannte sofort in der reinen Frau mit der Krone auf den Flechten die Esther auf dem Wege zu Pharao ihrem Gemahl. Ach liebe Esther komm nur näher an den Thron, was du auch bittest, ich gewähr’ es schon. In Freundschaft. Sulamith

Auf die dritte Seite schreibt eine andere Freundin ins Album der Ruth: Ein Kameel und eine Ziege liegen zusammen in einer Wiege zum ewigen Andenken an Myriam.

Es folgen einige Aufzeichnungen scheints von der kleinen Besitzerin des wertvollen Albums: Der Ölberg ist viel höher wie die Schweiz wo wir waren schon bereits. Im Ölberg unter seiner Kruste fanden wir mit Onkel Meskin heute Achad und Hyazinth. (Ich weiss also wem ich dieses entzückende Büchlein zu senden habe, damit es wieder in die Hände des Kindes kommt.) Auf den letzten Seiten des Buches las ich mit spritzender Feder eine unschuldvolle kleine Beichte der Ruth niedergelegt darauf Schweigverbot vielleicht steht. Das zu respektieren der jüngste Mensch beanspruchen darf. Später erfuhr ich wenn auf der Habimahbühne ein Kind benötigt wird, holt man die kleine Ruth herüber nach Tel-Aviv. Darum klagt ihre Mama ist sie auch nun, erst vor einem Jahr in die Schule gekommen, »sitzen geblieben«.

[27; 17:11 17] Ich trabe weiter durch die Kolonie Recharia; der Ausflug dorthin bedeutet täglich für mich ein neues Geschenk. Der Ärmste wird die fünf Mils erschwingen im Autoomnibus den Weg und für zweite fünf Mils die Fahrt zurückzulegen. Für fünf Mils und für fünf Mitz erhalte ich eine Autoomnibusfahrt und ein grosses Glas Orangensaft. Ich bin nicht und du bist nicht Ermüdung und dem Durst ausgesetzt; in keiner einzigen Stadt und keinem einzigen Dorf Palästinas. Es glauben so viele Menschen man halbverdurste des Wassermangels wegen im Gelobten Lande. Wem das Wasser einen Trunk bedeutet, überzeuge sich selbst. Denn auch das Wasser wird jedem der Einwohner Palästinas von der Städte Organisation zuerteilt. Auf dem Dach des Rechariahauses bergen Wasserkessel wie das Fass den Most, den Strom der Quelle. Hoch im Fels legt man neue gewaltige Röhren, in den vor kurzer Zeit entdeckten weise angelegten Canalisationsleitungen König Schlomes und sucht den verstummten Quellenmund wieder zu lösen. Ich erfuhr bevor ich mich selbst von der interessanten Ausgrabung überzeugte, und begonnenen Arbeiten, darüber in Recharia. Der Architekt und seine Frau Malerin, meine lieben Freunde in Recharia, die beide vor Schwindel gefeit, zeigten mir auf weiten Blocks, Abbildungen des salomonischen Fundus. Wie eine im Begriff sich ausbreitende Geyerschwinge von ihrer untersten Federreihe betrachtet hing heute Recharia an Jerusalems mächtiger Schulter. Die kleinen Häusertempel kamen mir alle vor aus hellgelblichen Sandflaum eines jungen aber ansehnlichen Edelgeyervogels. Noch arbeiten jüdische und arabische Arbeiter gemeinsam in manchen der Streets. Gewöhnlich mekkert angebunden am Zaun eines Vorgärtlein eine Gais; nicht lange lässt der durstige Besitzer [28; 17:11 19] der Maurer auf sich warten. Sein Krug mit frischschäumenden weissen Wein stärkt den Arbeitsmann.

Recharias königliches Hilfsgebäudes blumige Mosaikfluren zu umgehen überstehe ich schwer der Versuchung seine Kammern zu betreten. Man gewöhnt sich nach und nach den sichern Schritt des erfahrenden Wüstentiers an. Mit Melechwürde bewillkommet der schlichte, in silberweissen Mantel bogenförmige Palast, ein steinerner Rabbi, den Fremdling jedes Volkes. Von einem weiten Vorhof, der in die verschiedenen Eingänge jedes Stockwerks führt, erreichen die Besucher die Räume der Organisationen: Den Keren Hajesod und den Keren Kayemed und die weiteren hilfsbereiten Einigungen. Ich hatte die besondere Freude den Präsidenten, den gentleman und Direktor des gottwohlgefälligen Hauses anzutreffen. Grüsse brachte ich ihm von den Söhnen-Keren schweizer Städte. Ich habe am Aufbau Palästinas beigetragen, durch die Dichtungen meiner hebräischen Balladen und nicht untätig am Gotteswerke gewesen, bestätigte mir der galante aber ernste Weltmann. Und – leichtgläubig wie ich mal bin, freute ich mich, da die Dichterin etwas gilt im Vaterlande.

Zwischen den sogenannten herrschaftlichen Villen und mir entwickelte sich, namentlich hier im Heiligen Lande Fehde. Nie regte sich in mir je eine ähnliche Aversion wie vor diesen geschmacklosen in ihren Arabeskenlocken stehender Wohnetui und wie vor denen vom Dach herab plauschenden Amoretten, wie in Palästina.

[29; 17:11 21] In der Stadt Gottes – man denke – »eine herrschaftliche Villa«! Diese affektierten, arrabeskenverzierten, ungeschlachten Kasten mit ihren Steinschnurrbärten und – husch, husch – unter den Dächern hervoräugelnden Amoretten auf – gleicher Ebene schlichter aus Sandstein, von Meeresstrande her, angewehten lieben frommen Wohnhäuschen. An ihren Rücken vermute ich kleine Flügel. Ginge die Kunde durch Jerusalem: Recharia sei in den Himmel geflogen, wundern würde es mich nicht. Jeden Tag beschaute ich die Blumen mit ihren farbigen Herzen. Sie stehen genau geordnet, wie dazumal mein Kinderspielzeug auf den mit Linoleum belegten Boden zu Hause im anderen Erdteil. Dort giebt es keine rote Erde wie hier ein purpur belegtes Erdreich. Auch keine sprechenden blühende Spielsachen auf Beeten umweht von Jerusalemliebe. Oft kommen zwei Winde vom Tale her, der eine vom Mittelländischen der andere vom Toten Meer und schauckeln ein bischen die Kletterrosen, die so gerne in die Fenster der Menschen sehen. Hinter den kleinen Spielgärten reihen sich amphiatralisch empor, Arm in Arm, Haus und Haus gepaart, zu einem Häuserkörper der Eintracht. »Ziehe doch einmal auf einem Bogen zehn Linien und lasse die untere in einen Kreis enden, in einen leeren Vollmond, und überschreite ihn, falls du auch an Platzangst leiden solltest.« Arbeitende Juden und Araber wirst du höchstwahrscheinlich auf Neubauten mauern und zimmern sehen. Grüsse im unvergesslichen Häuschen jenseits des Platzs, meine geliebten Freunde den Architekten und die Gewerett beider Töchterchen und den Farmelus. Recharia du Lächelndes Jerusalem, an dich muss ich immer denken ......... Oft ruhten wir auf den silbergrauen Steinen flacher Dächer von der Luft geliebkost aus.

[30; 2:157 62] Von der Kolonie Recharia, hat man Mut, kommt man sofort, um exakt zu berichten und ohne falsche Zeitangabe, auf den Mond! Von Ende der Woche an, nimmt er beträchtig wieder ab, dann kann man einsteigen in seinen goldenen Kahn. Wagrecht fährt die Mondsichel in Palästina am Rand des Himmels entlang. Ihr horizontales Vorwärtsbewegen habe »geographische Ursache«, die den Sternographen zu ergründen, »sicherlich mehr interessiere als eine Dichterin«. In Palästina giebt es keine Dämmerung. Also vom Ursprung der Welt her, keinen Einbruch bleischwer in den lichten Tag. Wahrlich ein universales Zeugniß für die Erzheiligkeit Palästinas auf dem Plan der Schöpfung! Die Liebe Gottes ausschaltete das Grau auf der Palette beim Malen des auserwählten Landes. Mit zauberhafter Schnelligkeit wechselt das Hell des Tages mit dem Dunkel der Nacht. Und die Schwermut der Dichter und ihre Erdangst, erzeugen andere Ursachen, als das schleichende Erbleichen des Tagelichts. Von unermesslichem Gestein umgeben, akrobatisch gehalten empor, zu gleicher Zeit hart gefangen und wieder von unübersehbaren Abgründen und Bergestiefen gerufen, ja magisch gelockt, glaubt man zuerst vor Furcht und Weh aufschreien zu müssen. Man sehnt sich nach dem Schooss der Mutter. In den Nächten pflegen viele der Neuangekommenen in Palästina den üblichen Fliegertraum zu träumen. Auch ich fiel so oft im Traum erbarmungslos aus allen Höhen zur Erde herab. Und so hält Adoneu Seinen starken Arm, unübersteigbare betreuende Mauer – um Israel. Endlich schliesse ich mit dem kleinsten, ebenso mit dem gewaltigsten Stein der Klüfte und mit jedem Sandkorn der Wüstenpfade, Freundschaft. Wir duzen uns, wenn wir allein sind. Hingegen darf man zu Gott mit der Zeit – allenfalls »du« sagen. Ein intimes [31; 17:11 23] »literarisches« Verhältniss versucht geschmacklos nur der geklügelte Jude mit – dem Herrn der Welt anzubahnen, der feilschende – duzt – Ihn. Der wirklich gläubige und ringende Jude verharrt andächtig auf der Stufe vor Gott. Voll Ehrfurcht und im selben Grade voll Entzücken, betrachte ich in den kleinen Quergassen in den seraphidischen und aschkenadischen Synagogen nach dem Gottesdienste die Thoraïm, das Gesetz in ihrem sammtnen und weissen Tragkleide. Eine von den Thoraïm, mit einem Schellenhalsband um den Hals, trug ein Diener Adoneus mit besonderer Obhut, das Wundertragkind zurück in den Heiligen-Schrein. Der gute Hebräer wacht über den Schatz des Herrn über Seine Gebote und Gesetze. Etliche Judenpriester fasten ihr Lebenlang. Wie der Raw der vertriebene Wunderrabbiner von Galizien der grosse Fastende, »der zweite Moses«. So nannten ihn seine galizischen Juden. Er war ein Fels in Israel, umbraust vom hebräischen Gewässer. Im vorrigen Jahre 1934 nahm ihn Gott zu sich. »Der Verlust meines goldenen Palastes, den mir die Juden Galiziens gebaut«, vertraute er mir an, habe ihn nicht geschmerzt, »aber die zum Opfer gefallenen, unersetzlichen ihm teuren Reliquien – nach ihnen sehnt sich mein Herz.« Mich beglückte, da ihm dem leiblichen Urenkel des Balchem, dessen Gebenedeiten Kleider gerettet im Bluttaumel des Pogroms.

Der betende Gottesmann am Phingstnachmittag an der Klagemauer, krallender Schmerz fraß sein Herz, erinnerte mich an den selighingeschiedenen Grosspriester von Galizien. Der schleuderte wie der ringende hebräische Prometheus vor dem Heiligen Tempelstein – sein Gebet zu Gott. Eine Wahrheit die nach Jahrhunderten zur Legende wird im Volke Israel.

[32 (30); 17:11 24] Von der Klagemauer heimgekehrt, band ich mir mein schönstes rosa Seidentuch um den Hals. Oberhalb auf einer der vier Ecken, blühte eine in das Tuch gesponnene Heckenrose von dunklerem Rosa wie das Rosa des zarten Tuchs selbst, ich machte mir Vorwürfe es nicht umgelegt zu haben schon auf dem Gang zur Heiligen Mauerstätte, denn ich besuchte doch – den lieben Gott. Ihm zu danken in einer der kleinen Synagogen in den Gassen der Jaffa Road der fürstlichen Wüstenstraße für die fromme Stunde an seines Tempels spätem Gebein. Im Flur unseres weiten Hoteleingangs gelehnt, ruhten sich aus ein paar müde Frauen aus Jemen. Die eine streichelte in ihrem Schoos ein schwarz Schäflein und sprach ihm zu. Ich beneidete es und dachte an meine teure Mama, die sich so viele Sorge um mich machte, denn so ausgelassen ich den tagüber auch war und kaum zu bändigen, so schlief ich doch ab und zu mit weitgeöffneten Augen und hatte Gesichte. Und der Mensch der Gesichte habe, meinte unser berühmter Hausarzt, stehe zwischen Leben und Tod. Aber fern und spät stirbt von Alters her das Volk Israel inmitten fremder Völker; und seine Priester brechen ihren gebenedeiten Leib und reichen ihn, Osterbrot ihrer Gemeinde. Ich ging so säumend vor mich hin über den starken uralten Knochen des Jaffa Roads, über die Wirbelsäule balanzierend; wie Rippen zweigen sich die Gassen der ältesten Synagogen vom Rücken rechts und linkerseits. Aus jeder der antiquen Häuser rauschte unsere liebe Synagogenmusik. Ich blieb vor manchen der Bogenfenster stehen, guckte durch seine geöffneten Scheiben – und so von einer Gasse zur anderen – und besuchte die allerkleinste aus der ich spanisch predigen [33 (31); 17:11 25] hörte. Wie sich dann später herausstellte, befand ich mich in einer zur Schule hergerichteten Synagoge. Ich hätte mir das selbst denken können, denn die Frauen sassen im Raum der Männer was beim Synagogendienst streng untersagt. Und ich acceptierte den, von einer schönen Señora mir dargebotenen Platz; betrachtete die Spagnolin, die von ihren Ecksitz abgerückt sich weiter in die Reihe der Synagogenbank begab. Ich fühlte mich sofort aufgenommen in der Gemeinde der Phfingstseraphiden, in der Gemeinde der vor Jahrhundert vertriebenen spanischen Juden der Inquisition. Um des erhaltenen kühnen Hieroglyphen inmitten des Antlitzes der Donna und seiner spannenden Enträtselung zwischen Augen und Mund, würde mich mancher Sprachforscher beneidet haben. Auf der Bank vor uns beteten die Señors die Männer und älteren Söhne der Mütter; hinter uns in Reih und Glied ihre jungen Kinder die kleinsten der Familien. Eine der zartesten Senoritas holte hinter den weissen Mausezähnchen ab und zu ein immer dünner werdendes Bonbon hervor, gemeinschaftlich mit dem – lieben Gott zu constatieren, wieviel noch von dem süssen Rest übrig? Es sind immer so »liebe« Dinge, die sich in den kleinen Tempeln abspielen zwischen altertümlichsten Ernst; doch der Liebe Gott ist ja selbst ein Kind, immer wieder mit jedem Menschen der aufwächst, aufwachend und erinnert sich immer wieder seiner jüngsten Jahre. Doch irgendwo muß sich der Jude zu Hause fühlen. Das beweist die Heiterkeit der Phfingstpredigt des herrlichen Wunderrabbiners auf der mit seidenen Kissen belegten, [33/2 (32); 17:11 26] zum Märchendiwan erhobenen Priesterbank. Eine durchsichtige Wolke trennte uns Lauschende von des Hohen Priesterlichkeit feingeäderten Stirne Turbans Lila, der Farbe des Abendhimmels! Ich beneidete zu seiner Rechten seines Bruders, zur linken Seite seiner Schwester jungen Sohn, die ab und zu – ein Amen zur wundervollen Feiertagerzählung dem heiligen Oheim darbrachten. »Seine Geschwister Kinder, seine leiblichen Verwandten«, verständigte mich im gebrochenen Deutsch die Spagniolin. Zwei Abrahame ruhten getrennt auf selbiger Diwan-Seidenflur, von der der heitere Geistliche in der Sprache Spaniens den jubelnden Tag bewillkommte umfeierte. Einer der beiden Erzväter bemühte sich, versunken in den Sprüchen seines alten Synagogenbuchs, nach kurzem Eindämmern aufzuwachen den nicht zu Ende gelesenen Psalm von Neuem zu erhaschen. Hingegen der weltalte der beiden schon zum Engel sich häutenden Pilger, der von weit her mit seinem Schwager Isaak von der Grenze Asiens zu Phfingsten in die heilige Stadt Jerusalem gekommen; der hundertjährige Gottesknecht, im weissen Wolkenbarte, übte sich, schon weise im ewigen Schlaf. Nach der Phfingstpredigt eilte ich durch die schmale Gasse über ihr Geröll, der so vieler sich wieder befreiten spitzen und rundlichen Steine, aber leicht wie ein Wild über alle Hindernisse. [40 (33, 36); 17:11 28] Es galt für mich eine gute Handlung zu vollbringen, einen Dürstenden zu erfrischen, »Seinen« Ihn preisenden Wunderdiener und – Freund. Mit einem Crystall zwischen meinen Händen, gefüllt mit dem holden Schaum der Beere Palästinas, kehrte ich zurück zur Stätte der Gottesliebe, in den, wieder zur Synagoge sich umgekleideten frommen Raum. Mit Entsetzen erfüllte mein hartnäckiges Vordrängen die im Vorhofe sich befindenden Männer, und die schon in der Synagoge psalmodierenden Rabbiner in smaragdgrünen und hyazinthbraunen Feierkleidern; hoben drohend ihre stolzen Angesichte: aber Gott würde mir die Sünde verzeihen ... ja ich fühlte es, als ich gewaltsam eindrang im Betsaal der Männer, wider das Gebot, Seinem unschuldigsten Priester in Lammschuhen das stärkende Rebenblut der Weinstöcke Noahs credenzte.

Seit der Inquisition leben die seraphidischen Juden, meist alle ihre Familien in grosser vergrämter Armut in ihren kleinen sonnenverbrämten Häusern, Wohnungen marrokanischen Styls, hinter vergitterten Fensterchen und verrosteten Gitterbalkonen zwischen Synagogen und Synagogen. Leid malte ihre Gesichte zu Antlitzen. Vergebens versuchte ich noch Tage und Tage nach dem Phfingstfest den zederalten und doch blütenjungen Wunderrabbiner in den Synagogen oder auf den Strassen Jerusalems zu begegnen. Ich fand ihn auch in Tel-Aviv nicht, auch nicht irgendwo auf einer kleinen Pyramide in den Grüften der Wüste sitzend, oder in einer Karrawane zwischen den Buckeln eines Kameels ruhend. In jedem [41 (34); 17:11 29] kleinen Garten suchte ich nach dem glitzernden Phingstrabbiner. So sucht ein Osterkind nach einem herrlichen Osterei, ein Waisenkind nach seiner Mutter, eine Mutter nach ihrem ihr von dieser Welt genommenen Kind. Wie ich – nach meinem unvergesslichem lieben schönen jungen Sohne ..... Überall und allerwegen.

»Wie ist es in Palästina«? Höre ich mich viele Menschen fragen. »Anders wie in einem Lande dieser Welt.« Aber wie auf dem Bibelstern. Ich bin auf dem Bibelstern gewesen, von dem Gott den Stein brach zu allen anderen Welten. Ich erzähle oft dem Kinde im Menschen diese Begebenheit.

Ich habe Verlangen meine Glieder in den Quellen Tiberias zu baden. In den Häusern Nazareths warten die Dichter auf mich. Unschuldiges Wild sollen hintreten meine Füsse an die Hügel der Heiligen. Den alten Tempel in Karpanaum verlangt mich zu schmücken mit den Violen meines Gebets.

[42 (35); 17:11 30] Es war wieder Morgen aus Nacht. Er glich einem Falter orangenfarben, genau – glühend, gelbrot, wie die Frucht der Jerusamlemsonne gemalt. Wie ein jeder der kleinen gelben Jakobbrunnen, die uns Menschen laben. Es meldet sich von neuem der Alltag, der zur Arbeit ruft. »Sechs Tage sollst du arbeiten, aber am siebenten Tage sollst du ausruhen.« Spricht der Herr. Es bestellen die fleissigen erdtreuen Bauern und die vielen Schwestern der Rut, ihre Äcker im Emek. In den Hainen tränken die Pflanzer die Pflanzungen. Die Kinder der Collonisten lernen das Abc ihrer hebräischen Muttersprache. In Palästina wird hebräisch gesprochen, hebräisch war und ist das ehrwürdige tausendjährige ewigblühende Gewächs des Gelobten Landes.

Aber auch unsere Hände regen sich wieder auch zu alltäglichsten Arbeiten. Die in meinem Gasthause angestellte Oserett befremdet eine arbeitende Gewerett und erst ihr zartes Töchterlein. Ebenso des Zahnarztes Selbstversorgung an den Hähnen der Wasserleitung, und sie geben uns treuherzig zu verstehen, sie beide bestellt sind vom Herrn des Hauses die Arbeit zu verrichten. Jeden Morgen kamen beide mit ihren beiden Eimern ihren Emaillefreundinnen zu gießen die frischen Ströme über die schräg gleitenden Steinböden zwei dreimal einen Fluss. In Scheuertüchern mündend. [43 (36); 17:11 31] Die Oserettmutter pflegte nach getanener Arbeit zu fragen ob »Gudd«? Ob alles gut erledigt oder ich die Gewerett noch einen Wunsch habe? Das Wörtchen: Gudd, vermutlich im Zimmer der breslauer Judenfamilie aus Europa aufgefangen, diente der guten strahlend den Tagüber, sich mit den Gästen zu verständigen. Gudd, bedeutete für Hagar der ganze Wortschatz einer fremden Sprache. Sie fragte das Gudd mit solcher Treuherzigkeit, man hätte sich nicht getraut ihr nicht vielfach zu danken für ihre Dienstleistungen. Zugleicher Zeit entbot sie mit dem Begriff Gudd den Morgen und Abendgruss. Begegneten wir beide uns vor den Warteräumen des Zahnarztes und es wartete im geöffneten Wartezimmer ein Beduine oder ein vor Schmerz sich krümmender Jerusalemiter oder von der Umgegend ein Zahnschmerzler, pflegte sie mit der Miene des Mitleids auf die Heulenden zu zeigen doch nicht ohne ihr Allerweltswörtchen: Gudd zu vergessen. Nie vergesse ich Oseretts: Gudd – sich beziehend auf den wildschnaubenden Wüstenmenschen mit umbundenen rabenschwarzbärtigem Angesicht, aber im hellseidenen Kaftan in der Hülle eines gläserndurchsichtigen sternenbesäeten Mantels. Oserett zeigte auf ihn mitleidig ohne doch nicht ihr Wörtchen Gudd auch hier anzuwenden. Er sich schliesslich nach einigem Zögern begab auf den Weg zur Zange. »Zahnziehen« entspricht einer Kriegsfeierlichkeit wie jede Operation bei einigen der Beduinenvölker. Es veranlasst sie Feiertagskleidung anzulegen.

Heute Abend bleibt das Sprechzimmer des Zahnarztes geschlossen heute zieht der Doktor keinen Zahn. [44 (37); 17:11 32] Auch ich lasse, am siebten Tag der Woche, Zimmer Zimmer sein, die gliederstärkende Arbeit, die mir Turnen ersetzt. Kein Jude arbeitet am Ruhetag des Herrn. Auch ruhen die Gebäude, das schlichteste Haus Palästinas wie auch sein glänzester Pallast. Unter den Bögen der Fenster blühen Blumen, lächelnde Cakteen in Töpfen; auch die Gaststätten – lieblich alle bekränzt. Ach, dass man sich aber an den Mord der Tiere so gewöhnt hat, – nur – um sie zu verspeisen. Ich werde Gott einmal meine Sünde beichten. Aber wie soll ich den Mut hernehmen, zumal ich mich des Tierfleisches nicht entwöhnen kann oder will? Esau war ein Jäger, Jakob vom Vater bevorzugt ..... Ob Erzvater Isaak sich nur von den Früchten der Erde nährte, und das muntere Tier zu geniessen sich enthielt? Als ob es gestern gewesen – im Paradiese das erste Menschenpaar mit mir Gotteskäferchen – spielte, mich über ihre Handrücken laufen liess, und beide sich freuten wenn ich nachts leuchtete über ihr Lager. Könntest du ein Leuchtkäferchen schlachten und es essen? Alle sagen: Nein! an meinem Tisch. Die weisshäutigen, braunhäutigen und die Menschen schwarz umhäutet, ihnen ersetzte Gott die Dunkelheit ihres Angesichts oft mit einem schneeweissen Herzen. Es war einer Negerin kleine Tochter, die ich als Mitschülerin ihres reinen Frohsinns am meisten von allen Kameradinnen bewunderte.

[45 (38); 17:11 33] Enthielt ich mich der sündlosen Chokoladenspeise, bezahlte ich for the dinner: fünf Piaster. Verliess ich aber das wohlschmeckende, berühmte Färweroffsche Speisehaus mit meiner Lieblingsspeise im Magen, zart in einer Schlagsahnwolke gehüllt, bezahlte ich sieben Piasterstücke. Ich trug die Nickel durch ihre Gucklöcher wie durch große Perlen auf einer Schnur gereiht, eine Nickelkette über meinen Kittel meine Schultern.

Sättigt nicht das uns unverwandtere schwimmende Flossentier? Fleisch sollte man überhaupt nicht verzehren, nichts das uns begegnet, das an uns vorbeischreitet zum Schlachthof allein aus moralischen Gründen wegen; schon aus gesundheitlichen Massnahmen im Süden der Welt nicht. Überhaupt sollte man sich befleissigen, recht mässig alle Speisen zu sich zu nehmen; die Canäle des Körpers nicht zu verstopfen, den Schmarotzern vor schädlichen Keimen ein Asyl zu bieten. Leider rate ich den Lesern sich nach meinen »Worten«, nicht nach meinen Untaten zu richten. Ich esse mit Vorliebe Fleisch, ertappe mich oft, mit offenen Augen träumend von der weissen Lende eines Kalbs, ja, ich will mich nicht besser machen, es geben vielerlei Dunkelheiten in meinem Leben gesteigert in der Emigrantenhungersnot, da ich wie meine Jaguarmütze, pardon: wie ein Jaguar, in meiner kühnsten Vorstellung zwischen Rohren lauerte auf Wild. Aber richtet euch nur getrost nach meinem unbeflecktem Wort, es schritt unantastbar durch meine vielen vielen Bücher über die frommen Pfade der Seiten, schwebte so oft zum Himmel empor, ein stilles Gebet. Richtet euch nach meinem Worte, es konnte mir niemand nehmen, im blutigsten Kampfe nicht, kein Listiger entlocken, kein Liebender abschmeicheln.

Der Mitz (Orangensaft) verhindert die Ruhr. Eine vorrübergehende blutige Darmrevolution, selbstverschuldet. Ich lernte schon früh meinen Körper zu regieren, meine Eingeweide erfreuen sich eines erfahrenen Regina.

[46 (39); 17:11 35] Gerne mit Heiterkeit sein Brod essen, erhöht die reine Freude am kindlichen Mahl. Gott will, der jedes Korn der Ähre – buchte, wir uns freuen an der geniessbaren Frucht Seiner Welt. Mit einem kindlichen Menschen, ob der noch klein oder schon gross warum sollte der liebe Gott nicht mit ihm von einem der Kirschbäume einladenen Zweig, die Herzkirsche geniessen? Den lieben Gott von den Freuden Seiner Natur auszuschliessen – diese gestrenge Magisterehrfurcht vereinsamt den Herrn; man verleidet Ihm Seine Natur. Unser liebreicher Priesterdichter im berliner Europa, lehrte uns: die Laubhütte des Laubhüttenfestes verbinde die Erde mit dem Himmel; die Seele des Menschen mit der Seele Gottes. Es erwarten wir Juden in der bewillkommenden, geschmückten Laube, über den Blumenteppich, mit Jerusalemherzpochen den Herrn Adoneu.

Ich erblicke hinter dem weiten Glas des Färweroffschen Speisehauses, über den Damm des Jaffa Roads, am Pfeiler das neue Plakat des Cinema Zions. Es handelt sich um einen abenteuerlichen Wildwestfilm mit pfeilabschiessenden Indianern. Ich teile mit den palästinesischen Kinobesuchern die Sympathie für die Rothäuter; aus einem wundervollem Indianerbuch, von einem 148jährigen Inkas und seinem deutschen Freunde geschrieben, den er später den Häuptlingtitel verlieh weiß ich, und möchte den Inhalt dem Lesenden erzählen, dass der Indianer das Tier verschont, das er nicht zum Mahle. Pampa raubte aus einem Felsenneste mit Todesgefahr einen noch ganz jungen Geyer, pflegte und erzog ihn, als ob er dessen Vater sei und sandte späterhin den gezähmten Raubvogel auf die Jagd. Immer kehrte er in den Kraal mit der Beute zurück, nicht mehr aber auch nicht weniger, wie die Inkasfamilien am Tage benötigten zur Kräftigung ihrer Glieder. Wie wenig abenteuerlich erfuhr ich von der immerhin – Menschlichkeit des Inkas, der das Tier nicht aus Lust zur Jagd tötet. Und er erledigt sparsam, nicht ohne Weh für sein Mahl.

[47 (40); 17:11 36] Die Stadt taufte eine der Hälften der Jaffastreet: Ben Jehudastreet, den anderen Strassenteil liess man seinen alteingesessenen conservativen Namen: Jaffa Road. Der Chef einer Buchhandlung in der Ben Jehudastreet nahm sich bei meinem Einzug in Jerusalem meiner Bagage in gastlicher Art und Weise zuvorkommend an, ja er verhalf mir aus schwieriger Situation. Ich würde wahrscheinlich heute noch in der arabischen Carosse sitzen, mit meiner Reisetasche hin und hergeschauckelt werden, hätte mein Reisegepäck nicht in seinem gastlichen Shop Unterkunft gefunden. Drei Tage wartete mein mit bunten Hotelmarken beklebtes Köfferchen in aller Gemütsruhe unter dem Argusauge des Ladeninhabers. Sie trug nie daran schuld, stolperte ein Kunde über ihr Pappleder. Niemand, selbst dem Chef kam es in den Sinn, den lieben ihm anvertrauten Störenfried vom Eingang der Librairie in eine der Ecken hinter dem Büchertisch zu transportieren. Über das Knurren meiner Jaguarmütze in der Hutschachtel amüsierte sich der nette Chef sogar, blieb der Käufer den Einkauf schuldig oder fiel es irgend einem Literaten ein, sich über mich ihre Trägerin ein verständnissloses Urteil zu fällen. Mützen aus Fellen nehmen ihre dichtenden Trägerinnen immer in ihrer Hut. Mit dieser Äusserung zahlte ich die Pensionskosten reichlich. Ich hörte den mir wohlgesinnten, späteren guten Freund, noch lachen, als ich die Türe seiner Bücherplantage hinter mir geschlossen. Jeden Morgen lagen immer wieder neue Romanerscheinungen zum Verkauf in blätterverzierten Einbänden auf der Teke oder aufgelegt auf Tischen.

Morgen spielt die Habimah den Dybuk.

[48 (47, 40); 17:11 37] Juden und Araber begeben sich zur Vorstellung. Zeitig zu erscheinen, hat noch keinen Zuschauenden gereut. Wenn die Habimah ihre Gastspiele anzeigt, schäumt die Freude des kunstdürstenden Publikums Jerusalems. Aber immer mit Maas der Würde der Heiligen Stadt angemessen. Hier in der Stadt Gottes reißt die Freude nie, ob weltliche noch unirdische an die gottalten Nähte ihres Gewands. Denn Jerusalem feiert immer Hochzeit und schreitet zum Altar im Brautkleid. Freude und Leid nimmt man hin gemessen. Der Schauspieler reicht dem Zuschauer auf der hochzeitlichen Bühne die ernste Rolle. Nie fehlt dem dargereichten Geschenk die unsichtbare Essenz des Psyche, bleibt leerer Schall, selbst bei gewaltiger Form. Allen Künstlern des Habimâhensemble verlieh die Fee der Schauspielkunst, beides: Seele und Begabung. Ein Wunderensemble fürwahr! Meskins Allgegenwart trägt am Abend das Schauspiel auf den starken Nacken; Rowinas kostbare Spitzenhand unterzeichnet das adelige Spiel. Die Araber lieben wie die Juden das Theater; bewundern den Künstler. Beide Völker: Juden und Araber im höchsten Grade fähig sich zu begeistern. Ist doch der Zuschauer der Vermittler der phantastischen Theaterwelt und der wirklichen Welt, der er Kunde bringt. Der Kritiker ihr Postillon.

Unter dem glitzernden Kronleuchter des Sternenhimmels, begegne ich mit Vorliebe den Menschen Jerusalems. [49 (48); 17:11 38] Die leuchtende Farbe von Oben steht so gut ihren gebräunten Gesichtern. Doch manche Antlitze schimmern wie die Nacht schon am Tage. Im himmlischen Sinne wird der Mensch sehr verwöhnt im Gelobten Lande, immerwieder vom Zauber der Gegenden bescheert, und von seinen Lüften spazieren getragen. Darum denkt man gerade in Jerusalem – an seine erste Kindheit, an die man sich gar nicht mehr bis da, erinnern konnte. Darum sollte man sich bescheiden in weltlichen Dingen, fürlieb nehmen mit dem, was einem als Kind erfreute. Wir befinden uns in Jerusalem mitten in der Bibel und nicht an der Riviera, einem mondänen Badeort. Wir reisten in das Bibelland, ins lebendige Testament. Nicht wie der eifrige Literat zunächst im Buche blättert; ich erlebte Genügsamkeit und Demut und Hingabe seine drei heiligen Eigenschaften. Es sind drei Schwestern; nach ihnen heißen eines kleinen Fendis Eselinnen. Auf diesen drei lebendigen Lehren reitend weissen Eselinnen, manchmal widerspenstig sich trotzig sträubenden, durchstreife ich öfters Gottes einzige einige Lieblingsstadt.

Ich bin eingeladen in Talpioth in einer der Vorstädte Jerusalems, den Schabbattabend zu verbringen im Hause eines liebreichen feinen Dichters. Als ich aus meinem Gasthaus trat, lag der untere Teil Jerusalems, hauptsächlich von arabischer Bevölkerung bewohnt, im magischen Feuerschein bei helllichten Tageslicht. Um eine Generalprobe handelte es sich – des höchsten Feiertags des Muselmannes, der in diesem Jahre mit unserm Schabbatt zusammen fiel. Der Araber liebt Feuerwerk über alles. Und bemerkte selbst heute die bunte Sonne nicht über der Gelobten Stadt. – »Barut!« Warnte ein arabischer Arbeiter auf dem Damm der höheren Strassenterasse der Jaffastreet [50 (42); 2:157 108] und schwenkte ein kleines Fähnchen hin und her zum Zeichen: Es wird gesprengt. Wir Passanten warteten geduldig auf den Donner der auseinander sich brechenden Steinwände. Beständig baut man in den Städten Palästinas neue Häuser und auf seinen roten Äckern wird gesäet. Ich besteige den hebräischen Omnibus, der mich in die Vorstadt Talpiott bringt. Vor mir auf den Bänken sitzen griechische Mönche von grosser Schönheit. Die ältesten tragen ihr Haar unterhalb des Kopfes zu einem Knoten gewunden. Der jüngeren braunes Lockenhaar ist gleichmässig gerundet, wie die der griechischen Marmorjünglinge der Museen. Im kleinen Raum des Wagens herrscht immer grosse Jerusalemstille. Man kann so ungestört im Autoomnibus der Wüste entlang, dem Urvätergestein anvertraut, sinnen. Wir kamen an das gebenedeite Grab der Rahel vorbei, der Lieblingsfrau Jakobs. Er diente zweimal sieben Jahre um diese holde Frau. Sieben Jahre und noch einmal sieben Jahre, freite unser junger Erzvater um Labans zweite Tochter, bevor sie sein Eigen wurde. Aber das Volk Israel dient nun schon Jahrtausende um sein Palästina, wohl unter dem Segen des Himmels, aber immer wieder bedroht von Nebenbuhlern.

Der Dichter und seine liebe Gewerett erwarteten mich an der Wagenhaltestelle ihrer Colonie und wir gingen gemeinsam noch das kurze Ende, die leichtsteigende Chaussee empor in sein weisses Haus. Das liegt an einer Wiese, einer ganz nackten, die ich mir im grünen Graskleid hätte gut vorstellen können; mit kindlichen lila Glöckchen und Butterblümchen geschmückt und Schaafgarben. Eine Hütte steht am Rand des Platzes. Und es kam mir unvermittelt und unvermutet der Gedanke:

[51 (43); 17:11 39] Vielleicht wohne der liebe Gott in der schlichten Laube; den Kindern beim Spielen zuzusehen. Er hört ja auch so gerne wenn am Freitagabend die Kleinsten der Eltern zu Ihm die Gebete sprechen. Aus ihren rührenden unschuldigen Händen, empfängt der liebe grosse Adoneu bewegt Seine Ihn preisenden Psalmen. Wir lehnten so aneinander bei Tische; neben dem helläugigen kleinen Bruder das braunäugige Schwesterlein. Neben dem Töchterchen der dichtende Vater und neben dem 11jährigen Sohn die Mutter. Dann kam ich, mir zur Seite der andere schlichte Feiertagsgast. Vom Pfeiler des Fensters bemerkte ich schon den kostbargegossenen Silberbecher mit meinen Blumen eingebrannten Tellern stehen. Ihn war gerade im Begriff der Dichter zu füllen; nach der Ceremonie trank ich aus ihm – auf das Glück seines Hauses. Ein strafender Seitenblick traf mich überraschend aus dem Auge des frommen Schabbattmönchs. Meinen Gastgebern entging, der mich zurechtweisende stumme Tadel nicht und er und die Gewerett meinten beide mich verteidigend, für eine gefeierte Dichterin werde das Schabbatmahl noch zu einem – souper. Der schüchterne Talmutmönch aber zerrte verlegen, für Gott dem Herrn des Schabbatts beleidigt an die Schöße seines Kaftans und er gab sich Mühe mich zu ignorieren. Aber ich blickte in die kleinen reinen Feuer der sieben weissen Kerzen im Kelch des Silberleuchters mitten auf dem gedeckten Tisch gestellt, denn es gebe keinen Tisch des Schabbats in den jüdischen Häusern ohne einen Schabbatleuchter, wenn auch unangezündet. Heute brennen alle sieben Kerzen in den Silberkelchen und ich wandte mich zu meinem stillen Nachbar und sagte, »es lebe und doch verbrenne jede der sieben selbstständigen weißen Kerzen nach ihrer eigenen Flamme.« Also wollen wir unsere Dichterin leben lassen wie sie ist beendete des Dichters liebreiche Gewerett [52 (44); 17:11 40] den kleinen religiösen Disput. Der stumme Tadel des jungen Gottesmannes traf mich gerecht und wieder nicht; Gott ist ja kein spiessiger Geistlicher. Unser Dichter verteilte, nachdem er die sonntäglichen Gebete gesprochen an uns jedem an der Tafel das sonntäglichgebackene Brot, bestreute ein jedes der gebrochenen Teile mit Salz und psalmodierte den zu der Handlung von alters her üblichen Spruch. Die reizenden, artigen Kinder sangen ihre hebräischen Weisen. Ab und zu schaute ich durch das Dunkel der Abendfenster verstohlen auf den graslosen Wiesenplatz herüber – ob auch der liebe Gott die beiden singen höre?

»Hat die Dichterin den Text der Psalme verstanden?« Erkundigte sich der Adoni. Gerne hätte mich der Talmude meiner schlechten Judenhaft gerügt und es gährte in mir, ungeladener Gast, ihn Lügen zu strafen. Das ehrfürchtigste Gebet der Juden, wohlwissend dem Tische des Schabbatts nicht einverleibt, brauste plötzlich über der Düne meines Mundes wie ein aus seinem Bette getretener Strom. Gerade den Beifall den ich so überaus erntete von Seiten des Dichters und seiner Gewerett und die Frage der beiden an den Gelehrten ob ich nicht das »Schma« vorbildlich zum Herrn gesprochen, veranlasste den heiligen Gast, aus sich herauszutreten und mit überwundener Schüchternheit einzuwenden, die Art und Weise der Darbietung des grossen Schmas wie ich, nehme er an besten Willens, das ehrerbietige Gebet dem Herrn gereicht, beleidige ja kränke Ihn durch alle Himmel. Der Herr Adoneu läge nicht Gewicht wie der Regisseur der Habimah auf künstlerische Aussprache und Klangfarbe Seiner Gebete an Ihn, Gott. Und ich ein Truchsess war doch so stolz gewesen das wunderbare Gebet der Gebete fehlerlos Ihm gereicht zu haben. Ja ich meinte dann etwas gereizt, noch von dem mich verteidigenden lieben Dichterpaar ermutigt, in einem Gleichniss, [53; 17:11 41] Es war einmal eine Hirtin im Volke Israel die wenn sie nicht die Lämmer hütete, Verse dichtete an den Herrn. Eines morgends dürstete sie sehr und sie neigte sich tief über einen Brunnen um zu trinken. Als ein Tropfen Wassers der unzähligen Tropfen empor stieg bis über den Rand der Quelle ein lebendiger Demant in dem sich die ganze Schöpfung und der Schöpfer spiegelte. Und die Hirtin ging eine Schale zu suchen für die unaussprechliche Kostbarkeit – aber sie fand nicht eine einzige weder in den Gärten der Paläste noch im Vorhof der Tempel. Da spann sie aus den durchsichtigen klaren Fäden ihrem andächtigen roten Herzen einen gläsernen Kelch klingend im Klang und stark in dunkler Holdheit und legte die kleine Ewigkeit zwischen seinen Wänden das Echo der Welt.

[53 (45); 17:11 42] Das Schma das Exlibris auf der Uridee des Schöpfungplanes, überlebt die Welt.

Die lieben Kinder des Dichters lagen schon im Schlummer als mich ihre Mutter die feine Gewerett, da mir so bange, mich wie ein Kind zu Bette brachte. Ich hatte Angst vor dem lieben Gott auf dem nackten Platz hinter unserem Hause; schämte mich, es der Frau des Dichters zu gestehen. »Ist es denn nicht traulich hier in der Stube«? Tröstete die Liebe mich; aber das war es ja! – Der grosse Gegensatz von innen und dem Draussen erzeugte das ungestüme Gefühl. Ich denke an die Worte des letzten Prophetendichters dessen Name uns Jüngern auch allen ein Fels bedeutete, und »versetzt« wurde von Gott, der an ihn glaubte, in die Himmelreiche. In seinen Psalmodien steht: Gott ist nicht gemütlich, Gott ist Gemüt. Und ich wäre lieber zu Ihm in die Hütte getreten und zu seinen Füssen geschlummert .... Dass morgen wieder ein heller Morgen käme schön wie noch nie! Mit dieser Erwartung schlief ich schliesslich ein. – Der Talmudschüler sass gewiss schon wieder in Jerusalem in seiner Synagoge, grübelnd über schwierige Gottesstellen in Talmudbüchern. Die beiden Sternenkinder des Dichters aber hatten sich nach Kinderart auf der höchsten Stufe der Treppe plaziert, die zur oberen Terasse führt. Und auch wir drei, der Dichter seine Gewerett und ich und die lichteste Morgenfrühe in biblischer Vergessenheit um die kleine Insel des runden Gartentischs auf der Mannah aus Körben wuchs und Milch aus Krügen floss und aus Gläsern Honig. Ein Hirte lockte mit dem Gezwitscher seiner Bambusflöte auf der Landstrasse seine Heerde herbei. Es nahten die lieben Tiere vertraulich und das [54 (46); 17:11 43] jüngste Zieglein legte seinen Kopf in des Hirten sanften Schooss. Im Anblick dieses guten Bildes verloren, begann sich ohne Bangniss zu erheben wieder mein Herz zu Gott. Stumm träumten wir Freunde neben einander gereiht und sagten uns doch so viel. Auf die Bergbuckel hinter dem Streif des Toten Meeres zeigte der Dichter, unten im Tale auf die gelbbraunen Dromedarrücken, kaum ahnend wie mich plötzlich seine Kunde überraschte: »Es sind die Berge von Moab meine liebe Dichterin!« Der Einband der Bibel presste sich erstickend um meine Schläfen. Die Wirklichkeit der Bibel, die mir zum Märchen in all den Jahren wurde, offenbarte sich märchenhaft in ihrer Wirklichkeit. Ich legte meine Hand über meine Augen, die zitterte wie vom Blitz getroffen und brannte. Später erzählten mir meine neuen Freunde, ich habe plötzlich auf der kleinen Insel, mitten zwischen den Tellern und Tassen und Kannen gestanden – sei zum Himmel – aufgefahren.

Hand in Hand streiften Gewerett und ich durch die blühende Chaussee Talpioths, die mit dem Dichterhaus endet in den lieben noch unbegrasten Platz mündet oder anfängt; es kommt darauf an von welcher Richtung aus man den Dichter zu erreichen gedenkt. Es begegnen uns junge Arabersöhne vornehmer Araberfamilien, Studenten in modernen europäischen Anzügen und seidenen weiss und schwarz gestreiften Kopftüchern, deren Fransen auf ihre lässigen Schultern fallen. Man könnte die knabenhaft gebauten Siddis für Fürstensöhne halten. Auf die Universitäten Italiens pflegen die wohlhabenden Araber und Beduinen ihre Söhne zu schicken die ihre Ferien in der Heimat verbringen. Der arabische Vater folgt den Beispiel [47 (54); 2:157 649] des hebräischen selbst eine Hochschule für die Söhne des Arabervolkes zu errichten im Lande Palästina. Vielleicht interessiert es den Leser meines Buches – ich mich etwas verliebte in einen der arabischen Studenten, der, als der Cirkus in Jerusalem spielte, mir in der letzten Nummer beim Tanz der stolzen Araberpferde, sein Kopftuch im Halbdunkel besonders zart um die Schulter legte.

Heute sitzen einige Bäuerinnen in einfachen Leinenkleidern hinter mir sie haben ihre Eltern in Talpioth besucht, entnehme ich ihrem Gespräch, trotzdem sie sich im Allgemeinen hebräisch unterhalten. Am Himmel zogen sich ernste Wolken zusammen zu einem einzigen finsteren Auge; ach wenn es doch regnen wollte ...... hörte ich die eine der netten Bäuerinnen sagen, sie dachte gewiss an ihre Saat im Emek. Aber nur alle sieben Jahre, heißt es, kommt ein Gewitter gezogen über Palästina, eine Wolkenkarrawane von rotfunkelnden wilden Blitzen und Donnern. Wie in der ersten Nacht nach meiner Ankunft im heiligen Jerusalem. Und die Jerusalemiter fürchteten mit Magd und Vieh in den Fluten fortzuschwimmen. Sieben Jahre hatten sich die Menschen in Palästina ein entgültiges aber »segenbringendes« Unwetter herbeigewünscht. Ich hatte es nun mitgebracht zum Present dem Lande; wie meine Freundin behauptete: In meiner Hutschachtel. Vermag doch auch ein Zauberer eine Taube aus einem Pappwürfel schweben zu lassen und da sollte es mir nicht gelingen es blitzen und Donnern und in Strömen regnen zu lassen, ein Gewitter zu zaubern zwischen den 4 Wänden einer Hutschachtel.

[56 (48); 17:11 44] Im letzten der Häuser Rechavias, im biblischen Garten wohnte vor einem Jahre noch meine Freundin die teure morgenländische Frau des im Weltkriege gefallenen berliner Advokaten mit ihren Kindern; und gemeinsam mit einer Anzahl verschiedener fremder Mieter, die teils im oberen Stockwerk gegenüber der unbebauten Wüstenaussicht bescheidene Unterkunft gefunden, und in den kleinen Dependanzen parterre in Zweizimmerwohnungen. In Südamerika würde man so ein frei ausgesetztes Liebbretterhaus ein Wildwesthaus nennen, darin die Goldgräber wohnen und kurzen Prozess, einfach von der Brüstung der Balkone auf den Strand der Goldströme in einem Satz springen. In der ersten Nacht klirrten die kleinen Fenster des abenteuerlichen Heimes meiner Freundin, sie verstopfte die Ohren sündhaft gegen die Elemente, und wunderte sich als uns das gewaltige Gewitter umspülte mit Bett und Kissen. Am Morgen aber trockneten wir uns beide über die steinernen Stufen der kleinen Treppe des Hauses Seiteneingang gebreitet in der blanken Sonne. Über die niedere Mauer überblicken wir die ganze Wüste. Karrawanen weisser Esel nahen auf dem letzten liegt hingegossen sorglos so ein munterer arabischer Bengel. »Kommt nun endlich Jakob und seine Söhne?« Frag ich. Wir kehren wieder in meiner Freundin Räume zurück in einem Korbstuhl sitzt ihr ältester Sohn und lässt auf seinen Knieen seinen kleinen süssen Gabriel reiten. Der gleicht des jugendlichen Vaters Vater dem berühmten gefallenen Doktor jur. auf ein Haar. Gabriels Näschen noch ein winziges Bonbon, noch nicht disputable, ebenso das zarte Kinn mit dem Bachgrüblein erst angedeutet in der Contur.

[57 (49); 17:11 45] Nachdem ich meine Bagage im Laden des liebenswürdigen Besitzers abgeladen, folgte ich vorgestern ihrem Erstgeborenen in das Haus seiner Mutter, die mirs ewig »verübeln« würde, falls ich nicht – zunächst unter ihrem Dach verweile. Ich liess alles nach Gutdünken mit mir geschehen; es träumte noch Egypten in mir von dort ich gekommen. Es war im April, als ich aus der schönen schweizer Hauptstadt Zürich abfuhr, in der ich ein Jahr als Emigrantin lebte, abreiste durch den St. Gotthardtunnel nach dem Tessin, von dort über Lugano nach Genua fuhr in die Stadt aus Filigran in die Stadt der feingesponnenen Intrigue Fiescos. Noch am Nachmittage holte ich mir vom Bureau des italienischen Lloyds meine mir von einem griechischen Ehepaar dedizierte Schiffkarte nach Alexandrie. Die Übersetzerin einiger meiner hebr. Balladen »Schönsten« Balladen, so schrieb mir die griechische Dichterin: Margret Pilavachi aus heiterem Himmel nach der Schweiz, erwarte mich in binnen 14 Tagen in Egypten, sie stände am Hafen; Erkennungszeichen? Ich bin nicht schön, ich bin nicht hässlich, und ich wusste nun genau Bescheid, es wartet eine schöne Frau auf mich fern am Strand des Mittelländischen Ozeans. Ich verbrachte einen Tag in Genua, in der wundervollen abenteuerlichen Stadt, und inmitten der überaus artigen Bevölkerung in jedem der Stadtviertel. In einem kleinen Coiffeurladen, [58 (50); 17:11 46] gleichzeitig Manicüresalon, liess ich mir die Nägel meiner Hände manicuren von der italienischen Manicure, die jeden meiner Finger wie ein baby behandelte, und dann, ebenfalls Friseurin, meine Haare zurecht und grade schnitzelte. Am Abend besuchten mich aus St. Marguerita kommend, eine Stunde von Genua entfernt, der mutige Ritter und grosse Dramatiker Fritz von Unruh und seine blonde Dame. Beide beneideten mich, ob meiner höchst versprechenden Reise. In Meilenwasserstiefeln überschritt ich oft im Wunsche die Meerhorizonte von Europa nach Afrika von Afrika nach Asien. Und ich verdanke die Erfüllung einem griechischen Halbgott und seiner Frau. Am Schalter des triestiner Lloyds erfuhr ich, habe vor einigen Minuten sich die grosse italienische Dichterin Margeritta Fasaty ein Bilet nach Amerika gelöst; und ich suchte sie, die im Traum gesehene in der ganzen italienischen Stadt. Am anderen Morgen beförderte das höfliche Hotel Britania mich und mein Gepäck im Hôtelauto zum Hafen. Auf den ersten Blick verliebte ich mich in meinen weissgekleideten Luxuslloyd Espéria; [59 (51); 17:11 47] konnte nicht erwarten mit ihm durchzugehen. Spätlenze wiegten meinen Meisterschwimmer über die Kornblume der Welle. Ich lag wie im Moos unbekümmert in meiner Kabine doch auf dem ewigen Meer. Von Ferne sahen wir Passagiere, die Rauchwolken des Vesuvs grau in die graue Dämmerung steigen. In Neapel lagerte unser Schiff fünf Stunden am Land; wir Reisende aber schlossen uns in Gruppen zusammen und besichtigten die herrliche feuerspeiende Vesuvstadt. Es qualmte der dämonische Berg, ein alter schmokender italienischer Inkashäuptling, der die Gegend ab und zu unsicher macht. Neapels Menschen glühen, es leuchten die Früchte der Palmen und der Schmetterling, der sich auf meine Hand setzt. Nie werde ich diesen schwebenden, feurigen Napoli vergessen.

Das Kino auf der Espéria weigerte sich, ohne mich im Zuschauerraum, zu beginnen. Es wusste schon am ersten Tag unserer Fahrt, es beherbergt eine echte Kinoniterin. Nach den Lichtspielen spazierten wir Seefahrer und Seefahrerinnen gemeinsam über die frischen Wege auf Deck. Oder wir atmeten auf unseren Liegestühlen zwischen Luft und Wasser von der Blume des Ozeans. Und ich bedauerte in drei Tagen schon mein Reiseziel erreicht zu haben. Mit Fernrohren und Operngläsern beobachten die Gäste der Espéria das Heranwachsen des mächtigen Hafens von Alexandrien. Kleine Segelboote bewillkommen unseren Lloyd, feiern seine Menschen; sprudelnd und überschäumend mancher Verlobte – die Braut. [60 (52); 17:11 48] Es stehen Eltern ungeduldig am Ufer der weltberühmten Handelsstadt und erwarten ihre geliebten Studenten, die von den Hochschulen Europas ihre Ferien in Alexandrien verleben. Emsige arabische junge Gepäckträger überfallen die Passagiere wie Mückenschwärme. Es beginnt ein regelrechter Kampf, allerdings ein drolliger auf unserm Schiff. Schliesslich bemächtigt sich der gewichtigste der Araberjungen meines Gepäckscheins trägt ihn zwischen seinen Zähnen hin und her wippend, in den Kofferraum und kehrt zurück mit drei, vier Brüdern, alle beteidigend allesamt an dem Transport meiner Handtasche, etc. Am Hafen brachten mir die flinken Fendis: Madame. Sie kennen sie alle schon und sie belagern noch ein Stück Wegs die Trittbrette ihres Autos. Zwei schwingen sich auf den Bock des Chauffeurs, plumpsen aber bald in einen Graben nicht allzuhart. Zwischen Griechen und Griechen und Griechenknaben verbrachte ich meine alexandrinische Zeit. Jeden Vormittag besuchten wir die Gegenden der Alt und Neustadt, doch immer führte unser Ausflug am Mittelländischen Meer vorbei, von wo ich gekommen. Beim ersten Ruf hoch von der Kuppel der Moscheen, besuchten wir, über kostbare Palmenplätze in die Altstadt fahrend, die geheimnissvollen Viertel der Allahhäuser.

[61 (53); 17:11 49] Hüte sich der vorbeischreitende Europäer auch nur mit der Spitze seines Schuhs des heiligen Teppichs Franse zu berühren. Denn mir wär es schlecht bekommen, die ich nicht einmal ein einziges Haar der Fransen zerzauste mit der Hand, geschweige mit dem Fuß. Meiner arabischkundigen Begleiterin und ihrem Chauffeur aber gelang es dem Wächter des Heiligtums meine Unschuld zu beweisen. Mit pietätvollsten Bogen um den heiligen Teppich verließen wir drei den Ort.

Die fremden Frauengesichte hinter den durchsichtigen, in verschiedenen Farben wallenden Schleiern entzücken mich sehr. Deutlich erkennt man die tätowierten Ornamente ihrer Wangen und ihrer Kinn. Mit Henna gemalt enden ihre schlanken Finger in Korallenspitzen; und Glück bringt ihnen und ihren Kindern auf innerer Handfläche der Hennafleck. Eine gelbmetallene Spange, delikatester Stilisierung, die die Ehefrau an die unwandelbare Treue zum Gebieter erinnert, wacht zwischen ihre Braue und Braue. Dieses strenge pharaonenalte Ornament, zwischen Nasenwurzel und Scheitelanfang, hält den Schleier der Frau und lässt nur das schimmernde Jett ihrer Augen unverhüllt. Die stolze Gangart der schreitenden Egypterinnen verdankt sie ihrem Kruge. Schon seit Jahrtausenden füllten sie in ihre Tongefässe das Wasser der Brunnen und trugen sie auf dem Scheitel hochaufgerichtet heim. Wie auch die Frauen Asiens – schon in der Bibel; man erinnere sich an Rebbeka am Brunnen, an Hagar, und an die vielen Mütter und Töchter Israels, die Wasser aus den Quellen schöpften. Sie gleichen, schon der Majestät ihres Ganges wegen, [62 (54); 17:11 50] antiquen Königinnen. Sitzen auch die Nesthäckchen der Kinderschaaren auf den Schultern ihrer Mütter oder sie stämmen sich hartnäckig um ihre Hüften. Doch auch die, in ihren Kindern verliebte arabische Väter pflegen ihre Kleinen in ihren Armen zu tragen; die jüngstgeborenen erblickt man, nicht zu selten, plaziert auf den roten Trone der steifen Fez! Der Egypter liebt sein Kind geradezu zärtlich wie das allgemein in den südlichen Ländern der Fall. Der nubische Koch im Hause meiner gastlichen Familie, schenkte mir seine Bildkarte; neben ihm steht der kleine Nubier, sein sechsjähriges Söhnchen wie er, der Papa im Fez verewigt. Er besorgte nicht nur gewissenhaft die Angelegenheiten der Küche, er servierte uns auch seine mannigfachen bunten Speisen mit grosser Gewandtheit und Aufmerksamkeit. Ich äusserte mich oft über die Art der Anrichtung der wohlschmeckenden Gemüse, die geordnet auf den Schüsseln, nebeneinander, ähnlich wie Felder verschiedener Saat in Reih und Blüte lagen. Öfters traf ich im Garten die Kinder der Angestellten, auch die nette wohlerzogene Kinderschaar des Syrischen Chauffeurs, dessen erfahrendes sicheres Lenken man sich wohl anvertrauen konnte. Beglückt verliessen jedesmal nach ihrem Besuch die Kleinen, mit Spielsachen und Süssigkeiten beschenkt, die griechische weisse Villa am Meer.

Sehr beglückte mich die Begegnung mit dem Neffen des herrlichen Tondichters: Leoncavallos, ihn begleitete die schwermütige Bajjazzaouverture seines Oheims Maestro. Ein besonders feiner Kreis von französischen Dichtern und Dichterinnen und französischen Malern und Malerinnen, schmückt die berühmte Handelsstadt: Alexandrie und spendet ihr Duft. Im liebreichen Haus des chevaleresken Dichters: Messica et ses tantes gentiles, lernte ich in Begleitung der Athene – wie ich meine Gastgeberin ihres Kampfes mit der Literatur zu nennen pflegte, die dichtenden Corypheen kennen. [63 (55); 17:11 51] Es tat mir zum ersten Mal im Leben leid, nicht einigermassen wenigstens Französisch parlieren zu können, in der Jugendschulblüte nicht besser in der französischen Stunde aufgepasst zu haben und zu Hause meiner geliebten Mama fliessendes Französisch wohl bewunderte, aber mir keine Mühe gab, mir ein Exempel an ihrem Französisch zu nehmen. Nun gab ich mir nachträgliche Mühe mich mit den liebenswürdigen Dichtern und Malern zu verständigen. Dass meine geliebte Mama für ihren Kaiser Napoléon sehr, ja sehr geschwärmt habe, glaube ich deutlich und in Gutfranzösisch berichtet zu haben. Ausser ihrer Napoleonsammlung, besass meine teure Mama eine Gedichtsammlung, eigene Verse, selbst gedichtet und geschrieben: An Bonaparte betitelt; in einem Büchlein, das sie abschloss und in ihrer Rosenholzkommode verwahrte. Gerührt sassen wir lange im Kreis ohne etwas zu sagen, aber uns gegenseitig liebgewonnen, beieinander. Ein Stillleben zwischen feinen taubenblauen seidigen Wänden. Vorträge, die ich den deutschen literarischen Gesellschaften der grossen Hafenstadt zugesagt, mussten aus rassigen rasselnden Gründen unterbleiben. Ein grosser Jammer bedeutete dieser Umstand für mich, denn ich kam wie – das Mädchen aus der Fremde – auch nicht einen Rappen mitgebracht aus dem Schweizerlande, hinüber in ein noch fremderes Land und ich verdankte dem Merkur die zweite Reise, die Fahrt nach Palästina.

Alexandrien gleicht Berlin mit seinem weiten Pariserplatz, allerdings ins Excotische übersetzt; und den Linden ins palmische übertragen. Wenn das Meer gerade mal nicht sehr rauschte, hätte hinter der hohen Mauer, die See und Strand trennt, auch die bewegte wundervolle Havel fliessen können. Doch vom Khedivenclub, von der hohen Terasse aus, überblickt [64 (56); 17:11 52] der an den Vormittagen sich abkühlende Egypter, die unvergleichliche schäumende Unendlichkeit am Riesenhafen der Baumwollenmagnatenstadt.

Auf Donnerstag Ende der Woche, fällt der Familientag der Pilavachis. Ich rate zu einem weissen Atlaskleide. Wir fahren früh am Vormittag in ein bekanntes Kleidermagazin in der »französischen Strasse«. Rechts und links den Wänden der Confektion entlang, hängen Kleider auf Seidenbügeln und Costumes aus feinsten Stoffen und Spitzen und Gazen in allen Ballfarben, nebeneinander zum Aussuchen. Wie ich mir das für meine Gastgeberin festliche Kleid gedacht, so entdecke ich endlich das atlasweisse besondere Gewand, und es passt auch – wie angegossen. Noch einige lukullische Commissionen, die ich bitte, ohne mein Beisein zu erledigen, benutze ich die Zeit lieber, [65 (57); 17:11 53] die fremdartige, feilbietende Waare der Händler von der Loge des Autos aus auf den Strassen zu betrachten. Vor allem sie selbst in ihren bunten Trachten, auf den Kameelen meinen Lieblingstieren, und herrlichen schlanken lieben Pferden, sie tragen glücksbringende blaue und gelbe Kettchen um die Nacken. Und ich bedauerte jedesmal dass mein unvergesslicher Spielgefährte und heiliger Tiermaler der blaue Reiter nicht mehr auf Erden weilte, der mir und meinem Kinde solche Zauberpferde gemalt. »Es darf Sie Euch Niemand nehmen?«

Esel mit Früchten, in beiden Körben um Rücken und Leib geschnallt, representieren mir auf Geheiss ihres Herrn, die saftige Waare. Und Brotbäcker auf den Schultern die üblichen arabischen Brode in Form unserer Osterbrode »feilbietend«, in jedes eine Tasche hineinzulegen mit Zwiebel und Knoblauch gespiekte Cervelat geschickt eingebacken. Eine entzückende egyptische Händlerin versucht mich zum Kauf eines aus Golddrähten geflochtenen Amulette zu verführen; ich sie, ihren Schleier zu lüften. Ich möchte ihre Pharaoninnennase und ihren Pharaoninnenmund betrachten. Madame begab sich wieder in den Wagen und fragte mich nach meinen Strassenerlebnissen. Ihr war ja das alles nichts Neues mehr; dreizehn Jahre schon Bürgerin Alexandries. Nun musste ich zuguterletzt die grösste Conditorei in der interessanten Stadt Egyptens kennen lernen, wo die Menschen aller Erdteile sich zu treffen pflegen, sich einladen zum Rendez-vous. An kleinen Tischen schlürfen, sagte ich leise zu meiner Nachbarin, Schnurrbärte den Mokka. [66 (58); 17:11 54] Ich bemerkte tatsächlich nur dicke Schnurrbärte zunächst, brauner und schwarzer egyptischer wohlhabender Bourgeois. Nach ruhigerer Beobachtung, schöne egyptische Jünglinge, lässige, Cigaretten rauchende neben modernen Töchtern der Weltstadt. Aber auch kleine vornehme Haremsdamen in Begleitung des Eunuchen. Die Fezs bildeten eine Mittelschicht, einen sich wiegenden Boden zwischen moderner Deckenarchitektur und Teppichen. Manchem Gauckler hätte es gelüstet, über diesen gefahrvollen Fezboden zu spazieren und zu tanzen.

Zuguterletzt holten wir den griechischen Baumwollmagnaten von der Baumwollbörse in sein Haus. Ein unvergessliches glühendes Erlebniss bleibt mir ewig die Fahrt an einem der Nilarme vorbei. Ich sah als Kind so ein dunkles Flußbild schon im schwarzen Urwald in meinem Buch: Onkel Toms Hütte. Genau zwischen grünschwärzlichen Negerblattbüschen im primitiven naiven Farbengeglüh; auch dieselben Männer mit nackten Körpern in farbigen Booten sitzend.

Eine zweite Überraschung dedizierte mir meine Gastgeberin mit dem Besuch des Frauenbads der Nubierinnen im Volksviertel Alexandriens. Es warteten im Vorraum des eigentlichen Baderaums aus den Vororten der Hafenstadt nubische Mütter mit Töchtern und den Kleinsten der Söhne auf ihr Bad am Rande der Brunnen. Unter den mannigfachen Strahlen erfrischen sich reinigend die badenden Nubierinnen und ihre Kinder. Gerade fiel Regen rund herum auf eine nubische goldgebräunte Nymphe. Bezaubernd kleidete sie der lange Ohrring mit dem roten Granat und die Armspangen um Arm und Fußgelenk. 50 Grad Celsius zeigte das Termometer, selbst die graue Steinwand schwitzte. Am Nachmittag fuhren wir [59 (66); 2:157 673] zu den Katakomben, zum Ehepaar Sphinx. War mir ganz neu, und ist sie noch so rätselhaft – die Sphinx heiratet; kapert? sich einen Sphinx. Keine bleibt unverehelicht. »Solche Spiesserei! Schon im Altertum«! Die unterirdische Treppe hinabzusteigen zu den Mumien, über deren Erddecke wir schritten, sträubte ich mich. Mich gereute aber der ernste unterlassene Besuch später.

Es läutete seine Eminenz der Grossrabbiner von Alexandrien bei Pilavachis an, die Dichterin einzuladen zum Pessahabend in sein Haus. Mich beglückte diese Auszeichnung sehr und ich erwartete den heutigen Osterabend mit Herzpochen. Noch ehe der Mond dem Himmel die Sterne brachte fuhr mich der Syrier der Griechen in das ebenso fromme wie gastliche Osterhaus mitten in der Stadt in den lieben, kindlichen, reinen Osterkreis feiernder Menschen. Ich erkannte auf dem erleuchteten Hausflur den Sohn des Priesters den Studenten Signore Prado vom Lloyd Espéria wieder; den rätselhaften Passagier des Schiffes, mit dem ich geplaudert hätte im Sturm und Sonnenschein. Er trabte, ein edles Tier der Wüste stolz und mit der Nonchalanz eines Grandes durch die Räume der Espéria und am Meer vorbei, gedämpft und gleichmütig auf Deck. Aus dem hebräischen Wohnraum trat die hohe Gestalt seines herrlichen Vaters, der Rabbuni, der Duce des Rabbinats und begrüsste mich, die Dichterin, deren hebräische Balladen ihm einige bekannt, in französischer Übersetzung. Er führte mich zu seiner munteren jugendlichen Ostergesellschaft, eine [68 (60); 17:11 55] Kette strahlender Sterne. Mit Schmerz empfand ich mich nur als ihr Schloss. Es geben Menschen, die am Rücken Gottes lehnen geschützt ihr Lebelang; und es geben Menschen, die sitzen auf der Stufe vor dem Herrn; das sind die, die an den Abenden schwermütig werden und untergehen mit der Dämmerung; aber sie schauen Gott im Leben schon. Ich fühlte eine Unruhe in mir; es revolutionierte jeder Blutstropfen aufständig in meinem Herzen und strömte über meinen Weg. Und zwischen den frommen Wänden des Osterzimmers mit einem der Psalme Davids beschrieben, beherrschte ich mich krampfhaft, mich dem glücklichen Frieden anzupassen. Zwischen den grossen schönen Osterkindern, hebräischen Italienerinnen u. Italienern die Ihrem verehrten Priester in den anderen Erdteil gefolgt, mit Egypten Italien vertauschten, besänftigte sich mein Murren gegen Gott der mich immer wieder in den Kampf wider mich sandte als wäre ich ein unversöhnlich Zwillingsvolk. Und meine Augen schwebten besänftigt von Angesicht zu Angesicht von Beet zu Beet. Nie im Leben umschwärmten sie eine mannigfachere Weide. Aus der Hagada dem Osterbüchlein psalmodierte der Grossrabbiner einige Gebete, die wurden zum Lied. Ihm zur Seite hielt der Braune Diener im weissen Feiertaghemd ehrfürchtig wie vor einem Altar seinem Herrn den Foliant. Es perlte das Lied mit hellerem Bariton vermischt des Sohnes. Und wir feierten den herrlichen singenden Zadek wie einst die Schüler den Singenden Zadek aus der Kabala. Einer der Ostergäste erfand eine Melodie dem unschuldigen Gesange angemessen und spielte sie.

[69; 17:11 57] Eminenz Prado betreute die berühmte Synagoge Milanos, bevor er den Ruf der Juden an den mächtigen Tempel Alexandriens im Egypterlande Folge leistete. – Es brodelten die Weine im Glase, es bröckelten die ungesäuerten Brode ...... Ich sass wieder zehnjährig neben meiner angebeteten Mama, zwischen meinen Brüdern und Schwestern, und im eleganten Anzug – oben an der Tafel Anfang mein Papa; und bekam zuguterletzt als Jüngste – von meiner Mama eine Chokoladenüberraschung in mein Kleidertäschchen gesteckt, manchmal ein grüner Zuckerfrosch. – Ja ich sass doch schon einmal im Leben zwischen gleichen schönen Jünglingen und anmutigen Schwestern fröhlich von den »prachtvollen« Speisen naschend. Und bewunderte ab und zu mit meiner feinen Mama gemeinsam ihre ältesten Kinder. Mich weich erinnernd entfaltete sich von Neuem am Zweig meines Herzens ein Lebensblatt zwischen der Guirlande liebreizender Knospen und ihrer goldenen Blätter.

Am zehnten Tage meines Aufenthalts in Alexandrien, wandelten Madame und ich noch einmal zusammen durch den Garten ihrer Villa. Ich hörte die Mutterschlange nebenan im Gebüsch zischeln sie wünschte mir vorsichtig im giftverhaltenen Ton Glück – auf meine Reise ins Hebräerland. Eigentlich hatte ich immer Angst vor ihr in der Nacht, sie roch auch so nach Aquarium. Viel weniger fürchtete ich die gefährlicheren schwarzen Skorpione die ich oft mit dem Fernrohr vom Fenster des Griechenhauses beobachtete. [70 (69); 17:11 58] Der Geruch der Reptilien stieg an heissen Abenden wie lauwarmes Gift in meine Nase.

Der Portier im weissen Atlasturban kam aus seiner Loge und meldete, es sei Zeit zum Aufbruch. Er spricht mit Vorliebe, französisch. In jungen Jahren diente er in der Legion. Antigone die kraushaarige Zofe, importiert aus Athens Negerviertel, brachte meine Reisetasche und half ihrer Herrin und mir ins Auto steigen.

Cairo liegt eine Stunde von Alexandrien. Wir überlegen noch in letzter Stunde, ob wir nicht vor meine Reise ins Gelobte Land die egyptische Hauptstadt besuchen wollen? Von dort auf meinem Kameel Amm, das stolze Trampeltier dürfte den Lesern bekannt sein aus meinem Buche Theben, und dem Roman: Der Malik, um über den Sand der Wüste mit aller Gemütsruhe in meine Stadt Theben einzuziehen. Mein ist Theben schon seit Joseph her; rechtgültig mir vererbt, suchten seine Himmel mich Jahrtausende, seine Säulen sangen davon, bis sie verstummten.

Ich gucke so exotisch, fanden meine Mitschülerinnen und rückten von mir bange ab.

Der Syrier wartete mit gekreuzten Armen auf dem Perron, in der Zeit seine Herrin mit mir noch einmal vor der Abfahrt, die guten Ratschläge und Weisungen durchnahm. Die man befolgen müsse, betonte sie ausdrücklich – bei der Grenzüberfahrt. In mein Coupé stieg eine Europäerin, sie constatierte, ich sitze nicht auf meinem rechtmässigen Sitz. Schon ergreift sie meine Reisetasche und hebt sie mir zu Häupten auf das Brett. Es – stänke im Wagen; schon schafft sie Gegenzug. Ich gab ihr den Rat, sich zu beherrschen, ihren Missmut, damit er sich verzuckere, zu den Süssigkeiten in das Esskörbchen zu legen, als auf dem Hauptbahnhof in der City Alexandriens eine egyptische Mutter mit einem gewissen Embonpoint und ihre noch wuchtigere Tochter von sorglichen Dienern in unserem Abteil geschafft wurden. [71 (70); 17:11 59] Die Bagage folgte von den übrigen schwarzen Knechten angeschleppt es folgten unter keuchenden Atemzügen zwei Waschkessel wir hielten die Mordsbehälter für Gaskessel, die unseren Füssen vorübergehend freien Lauf nahmen. So glich unser Coupé einem erst ebenbezogenem Raum in dem noch alles kunterbunter wie Kraut und Rüben den Weg versperrt. Ich musste mir das Lachen verbeissen, in meiner Visavis aber wuchs die naive »rücksichtslose« Angelegenheit zu einer anzeigbaren Kathastrophe. Über die Misswirtschaft drohte sie dem Schaffner, falls er nicht Ordnung schaffe, würde sie sich bei der Eisenbahndirektion beklagen und die internationale Presse informieren. Sie nahm aus einem Juchtenetui ihre Visittenkarte, reichte sie dem gebräunten Beamten, ihn nur noch weiter zu verwirren; im Dialekt arabisch begann er sich zu entschuldigen. Aber mir entging, dicht vor meiner Nase gereicht der Name meiner Vis à vis auf der eleganten Karte nicht. Draussen vor unsere Wagentüre hatten es sich die beiden Somali der Egypterinnen häuslich eingerichtet, sassen mit verschlungenen Füssen auf ihrem Reiseteppich und ihre spitzgefeilten Zähne blinckten. Die Kissen brachte der hagerste des Personals, nachträglich in unseren Wagen; schob das größte sorgsam unter den Vollmond der Emirin und um das zweite noch gewissenhafter zwischen Lehne und Rücken der Tochter zu schieben; mein Schrei des Entsetzen erstickte im bittenden Auge der Mutter die mir beteuerte, sie ist ein gutes Kind das Niemandem was zu leide tut. Die Journalistin holte ihre beiden Lederkoffer aus dem Netz, kroch in die Ärmel ihres Reisemantels und setzte wieder ihre zu ihm aus gleichem Stoff bräunliche Reisemütze auf das zu Berge gestiegene gelbe Lockenhaar. Mit einer an Elephantisis erkrankten Person reise sie unter keiner [72 (71); 17:11 60] Bedingung in einem Coupé. Mich musterten die schwermütigen Gorillaaugen der ungetümen Nachbarin; die Sagengestalt rückte nah an mich heran, die in ein Tier verzauberte Kranke; auf meine Kniee breitete sie ihre wuchtige zur zackigen Fleischmasse verdickte Hand. Ich hätte das arme Geschöpf so gern gestreichelt, machte mir innerlich Vorwürfe mich nicht überwinden zu können, doppelt angewidert vom unbeschreiblichen Fettansatz ihrer Waden und des sich immerwährend wälzenden Körpers. Ich steckte ihr eine Frucht aus dem Garten der Griechen zwischen die Lippen, zwischen den Äffinnenmund. Die mundeten der Patientin und kauernd kroch sie fast unter mein Schulterblatt. Ich verwünschte ehrlich gestanden meine Situation, aber die gute egyptische Mutter lächelte dankbar beglückt, wenn die Höhlen der plattgedrückten Nasenlöcher meiner neuen anhänglichen Freundin sich blähten. Ein Zeichen ihres Wohlbefindens. Von der gereinigten, und heilsamen Extrakten geschwängerte Luft Jerusalems, erhoffte die geschlagene Mama Erholung für ihr Kind. Ich konnte ihr so nachfühlen, sie wußte es, wie sie leise in englischer Sprache mir versicherte, »ein Kind bleibt für die Mutter so alt es auch wird, immer noch ein Kind. Handelt es sich noch um ein krankes.« Ich erfuhr auch nun was alles die Wasserkessel verbargen. Verordnete Speisen und Getränke von den Ärzten vorgeschrieben, und dem berühmten Magir Cairos. Ob ich nie von ihm gehört? Die Mutter Egypterin öffnete einen der Kühlräume, steckte in die Mehltaschen in jeder der arabischen runden Riesenbrödchen eine Zwiebel und knoblauchgewürzte Cervelat, reichte mir mit grosser Charme den Imbiss; dass ich momentan – nicht hungerig hielt sie für eine bescheidene Geste. Aber den bettelnden in die Hände klattschenden dunklen Dienern, reichte die Emirin von der Speise und dazu Maiswein in Krügen für ihren Durst. Aus welchem Grunde sie mit ihrer Tochter fürlieb nahm mit der Schlichtheit unseres Coupes wurde mir klar auf der I. Umstiegsstation.

[73 (72); 17:11 61] In einer Sänfte getragen auf weicherem Polster erreichten unsere egyptischen Damen ihre Karosse, die sie zum Suez beförderte. Sie winkten mir beide noch lange zu mit wehenden Tüchern und wünschten allen Reisenden mit mir gemeinsam eine gute Reise. Darauf wir ungeduldig spähten durch die Nacht, den neuen Zug herbeisehnten, der uns endlich bringe zur Grenze nach El Kantara. Mit einer Mutter aus Padua und ihrem erwachsenen Sohn teilte ich weiter durch die Nacht fahrend meinen Wagen, bald aber hätte nicht mehr ein Zwerg in einem Winkel ein Plätzchen gefunden; verdrängte Insassen überfüllter Nebencoupés, flüchteten sich in unserem Raum.

El Kantara! Ein klingender stürmender Name! Ich konnte kaum erwarten ihn vom Ziel rufen zu hören. Der artige Signore hob meine Bagage aus dem Netz und stellte sie auf meinem Sitz. »Die Formalitäten an der Grenze erfordern eine Menge Zeit.« Wir verabschiedeten uns herzlich, im Fall wir uns am Strande der Überfahrt verlieren sollten. Es ertönte eine wohllautende Stimme durch die Geisterstunde der Mitternacht wie eines Vogels Lockruf, weich melodisch, ja zärtlich, ein Bruder suchte seine Schwester. Immer den Perron auf und ab rannte ein Mann: »Wo bist du meine liebe Schwester, meine liebe Schwester, es sucht dich Dein Bruder.« Dass ich nur nicht auf den Schwindel hereinfallen soll, warnte mich ein Engländer, wahrscheinlich ein Gedankenleser. [74 (73); 17:11 64] Ja, ich lächelte über sein Misstrauen, mich an die, wenn auch später nicht mehr die Rede davon gewesen, Absicht Margrets Pilavachis erinnernd, den Triester Lloyd zu benachrichtigen mir in El Kantara einen Fremdenführer zu bestellen, der für mich die üblichen Grenzschwierigkeiten erledige. Sie hatte sicher Versäumtes nachgeholt. Ich war ihr so dankbar, angesichts der für mich geradezu unübersteigbaren Stufen zum Neuen Erdteil der Landarm, der Afrika mit Asien halsbrecherisch verbindet. Ich rief morgenländisch: Hier bin ich, lieber Bruder. Der Fremdenführer küsste mich auf beide Wangen, bemächtigte sich meiner Bagage, selbst der Bonbonniere, »viel zu klein noch für die Zuckersachen des Heiligen Landes«, taxierte er sie messend. Und ein seidenes Tüchlein führte er mich über die Stufen »der Himmelsleiter« stufauf und oben angelangt, stufab wieder zu den »bösen Menschen«, liebe Schwester in Israel. Ohne zu argwöhnen reichte ich ihm aus meiner Manteltasche den Passport, »dein Tagebuch« liebe Schwester. Schon als meine Mitreisenden die Barke bestiegen, wartete ich noch vertrauungsvoll auf Karfunkel – oder Ferrunkel, meinen brüderlichen Beschirmer, und ignorierte das dringende Rufen das Floss schleunigst zu betreten. Ich verdanke einem energischen jüdischen Sohn der Berge meine Überfahrt, der mich einfach auf das schon schwimmende Brett zog. [75 (74); 17:11 65] Er machte mich auf meine geöffnete Reisetasche an die ich gar nicht mehr gedacht, aufmerksam. Der Paß lag zwischen meinen Taschentüchern aber mein Seidenrock und meine sammtne Vortragsjacke mit roten Schnüren fehlten, und ich dankte den Beduinenfrauen für ihre große Teilnahme. Beider Gatte begann mich in englischer Sprache zu trösten: König Salomon kauft neue Kleider. Im Sinn vieler Araber im Volke lebt unser reicher, weiser Melech noch; wo konnte ich nie erfahren. Aber von dieser Sage ausgehend, überschätzt der Bewohner selbst oder gerade des Morgenlandes die Finanzen des Juden. Nun sitze ich gegenwärtig wieder zwischen Coupévierwänden mitten im Wüstenmeer, mir gegenüber ein gentler Egypter neben ihm, anscheinend ein Freund, dessen kleines Söhnchen immer reiten will auf seinem Knie. Mit den schwarzen zwei Lämmchen soll es spielen vor kurzem erst geborene mit blödlieben hellen Augen und wolligem Flaum an den Oberbeinen. Der Mustertiere wegen, begnügten sich gewiß die Mitreisenden mit dem uncomplizierten Waggon. Die Schiffsgefährten der Espéria unterbrachen damals nicht ihre Reise ins Heilige Land in Alexandrien verbleibend. Waren lange schon in Haifas verheissungsvollsten Hafen angelangt. Sie erreichten bequemer wie ich das Hebräerland. Dafür lernte ich Egypten kennen und seine Sphinx. Unser Wüstenzug hält an einer Oase. Zierliche Araberdämchen in langen gemusterten zarten Gewändern werfen uns Blumensträusse ins Coupe Blumen so ähnlich wie die Immortelle und Strohblume bienensüss duftende. Der Egypter im Fez lässt sich nicht nehmen, mir so ein bewillkommendes Oasenbouquetchen zu dedizieren. Trotz der grossen Anstrengungen der Eisenbahnfahrt schon der Wechsel der Züge mit sich brachte, möchte ich doch diese Fahrt von Egypten nach Palästina nicht ungewagt und unterlassen von mir wissen. [76 (75); 17:11 66] Von Afrika nach Asienfahren unter sternengemalter Himmelsdecke, gemeinsam auf einem Floss mit Beduinen und Kameelen, geöffnetem Koffer und seines beraubten Josephrockes, weiss man von einem wirklichen Abenteuer zu erzählen: Wie ich gelangte – vom Stern der Erde über den Suez zu einem anderen Stern. Wagerecht gleitet die goldene Sichel, ein Nachen durch das Wolkengewässer und verschwindet plötzlich auf den Grund der Welt. Wir aber kreisen gefangen im Zuge immer rund um eines Wüstenfelsens sandige Lenden. Es naht die Morgenfrühe eine asiatische Tänzerin in lilasilbrigem Schleier gehüllt noch ein wenig vom Schattengrau im Haare, und wirft uns Kusshände in die Wüste. Wüste, nur Wüste um uns und weiche Stille. Es ist ganz hell geworden mit einem Mal. In Palästina giebt es keine Dämmerung, kein bleiches Morgenlied vor dem Einzug – keine graue Ouverture vor dem Auftreten des Sonnendichters. Hell! dunkel! Ich suche Jerusalem, die Braut Gottes. Der Egypter bemerkt andächtig wie ich die Farbe meines Gesichts wechsele, aussetzt mein Herz, ich erlebe wie der träumende Himmelsschlüssel im Pflanzendasein, meines Lebens berauschenstes Erlebniss: Zion! Der Arabische Mitreisende betonte ergriffen auf die Burg am Himmel zeigend: Jerusalem .............

Ich befand mich nun schon einen ganzen Monat in Palästinas Hauptstadt Jerusalem. Vor seinem Postamt wartete mit seinem Reiter ein Dromedar. Auf wen wusste niemand. Heute sah ich den Beduinen von meinem Balkon aus im Gespräch mit einem zweiten Bergbewohner sich echauffieren über eine anscheinend ihm am Herzen liegende Angelegenheit. Oft begegnete ich diesem immer lächelnden schmiegsamen zweiten Bergbewohner in der unteren Araberstadt, man kennt ihn schon überall in seiner Geschäftigkeit. Immer gegenwärtig Unaufhaltsames zu erledigen erwiederte er abwinkend jede Einladung zu rasten im Gespräch. [76/2; 2:157 691] Der schmunzelte. Vor einem Laden mit Apothekerwaaren, in dessen Fensterscheibe ich deutlich die begonnene Scene von Visàvis verfolgte, beobachtete ich den, wie sich herausstellte, bevollmächtigten Beduinenfreund sich immer entschlossener sich mir nähern. Es entwickelte sich zwischen uns ein Flirten an das sich das Publikum der Straße schließlich beteidigte. Passanten drängten sich durch die sich angestauchten Menschenhaufen, im Glauben es handele sich um eine Vorstellung fremdländischer Gauckler und nicht um einen Ehevermittler und seinem Opfer. Um eine »delikate« Angelegenheit, die man üblich im Hause der Braut zu erledigen pflegt – wiederholte beständig der Muselmann und ich konnte nicht anders, als die artige Art und Weise seiner Brautwerbung mir gegenüber bewundern. Die Zahl der Frauen seines wohlhabenden Freundes hoch zu Kameel tadellose Grundstücke, drückte sich der Kuppler aus sprächen von seinem Reichtum, der mich zu seiner siebenten seiner Lieblingsfrau seiner Frauen zu erheben gedenke und mich durch ihn den Freund in aller Form um mein Jawort anhalte. Dass im allgemeinen der Beduine es nur bis auf vier Gemahlinnen bringe, dürfe mir bekannt sein aber aus diesem Umstand meinte listig der gute Freund vermöge ich mir ein Bild vom Reichtum seines Jugendfreundes zu machen. [78; 17:11 67] Beim Propheten Mohamed, an delikaten Speisen werde es »der Lieblingsfrau«, er überschaute mich verheißungsvoll, nicht beim Mahle fehlen. Geschwinder noch als ein Hexenmeister, griff er nach meinem Jaguar und schon hielt er die Pelzmütze streichelnd ein Kätzchen im Arm, das er zum Beweis meiner Einwilligung dem überglücklichsten Sohn der Berge einzuhändigen gedenke. Ein bunter verschmitztaufflackernder Funken sprühte aus seinen schwarzen Augen über die Köpfe der lauschenden Menge das Publikum zog sich enger um uns Diskutierende, mischte sich interessiert nun in unsern Handel. Es erriet des Antrags Lösung, es ging um meine Jaguarmütze das gelbliche Wildkatzenfell mit den tiefschwarzen Punkten und Zeichen. Manch einer wollte sie mir entlocken oder einen Tauschhandel ihretwegen mit mir eingehen, für ihren Besitz sein prachtvolles Gramophon mit arabischen Platten. Jeden Morgen verursachte die mir liebe Mütze Kopfschmerzen war sein Herz doch für mich verendet das schöne Tier einst von des Jägers Hand. Und vermochte doch nicht mich wieder zu trennen. Ich rannte nur so fort und entkam. Verdutzt gestikulierte der naive Kuppler nach Hilfe, zwang mich durch die Menschenmaurung die schon am Abbröckeln begriffen vor Lachen, stand plötzlich vor dem alten Museum.

Das alte Museum Jerusalems muss man schon lieb gewinnen seiner [79; 17:11 68] verständnissvollen Betreuer wegen, die dem Besucher die Schätze täglich bestrebt sind zu vergegenwärtigen. Mich interessierten besonders die verschiedenartigen Schabbattleuchter aus allen Judenjahrhunderten. Einer erinnerte mich an den silberschweren in meinem lieben Elternhaus auf dem Marmor unseres Buffets im gelben Saal. Im jeden fünften Jahre liess mein Papa einen neuen Teppich in unserm Saale legen, so viel und ausdauernd wurde auf der geknüpften Wolle getanzt. Die Maskenbälle fanden unter dem Prodektorat meines Vaters in jedem Winter einigemale statt. Die schönste der Frauenmasken war jedesmal meine angebetete Mama. In langen blonden Zöpfen, im spanischen Spitzenkleide, als Micaëla, bewunderten alle Gäste sie. Meine fünfzehnjährige älteste Schwester verteilte als entzückendes Blumenmädchen aus einem Korbe seltene Blumen an die Eingeladenen. Mein zweite Schwester, als Matrosin verkleidet, warb Passagiere für den Lloyd. Meine Brüder befanden sich in einem Pensionat in St. Goarshausen am Rheine. Ich lag schon frühzeitiger wie gewöhnlich in meinem Bettchen; wie meine beiden Schwestern annahmen im süßen Schlaf. Setzten vorraus, mich nicht aufzuwecken, sich ein weiteres Feld für ihre Verkleidung zu schaffen, falls sie zu ihrem Schlafraum noch mein Schlafzimmer benutzten. Eine Etage tiefer stimmte die Musikkapelle schon ihre Instrumente; es zwittscherten, die Strasse bei uns bis oben heraufmarschiert, wie im frühen Morgenwald die Vögel; zunächst streitend zuguterletzt sich einigend in allen zusammenstimmenden Tönen.

[80; 17:11 69] Am Fuss des Waldes lag unser Haus, das guckte mit mir immer in seine Bäume, aber auch auf seinen moosigen Boden, ob schon die Blaubeeren reif? An die dachte ich gerade, als meine beiden zwei reizenden Schwestern behutsam hintereinander durch die vorsichtiggeöffnete Zimmertür schoben; dass ich nur nicht aufwache! Sie mir weiter Märchen erfinden müssen. Anscheinend wurde schon getanzt. Doch ich bemerkte wohl durch den Spalt meiner Augenlider wie meine Schwestern mich noch einmal lächelnd betrachteten, dann kichernd verschwanden. Ich hörte ihre weichen Schritte noch auf den knarrenden Stufen der untersten Treppe dumpf verhallen. Ich träume immer, rügte mich die Lehrerin fast täglich in der Schule und die Folge davon wäre, ich »untenan« sässe. Meine teure schwärmerische Mama behauptete zwar, dass träumen etwas Seltenes in der Welt. Joseph von Egypten habe viel geträumt, sogar dem Pharao Träume gedeutet. Joseph und seine Brüder war meine Lieblingsgeschichte und ich mußte sie meist erzählen in der Religionsstunde. Ich sei selbst der Joseph von Egypten, meinte eine Mitschülerin und das bewog mich mein Bettchen zu verlassen, mal in den Spiegel zu sehen ..... Ohne jegliche Furcht wie an so vielen Abenden einsam in dem oberen Stockwerk. Als Jakobs Sohn begann ich mich zu verkleiden in meiner Stube Halbdunkel, nur halb guckte der Mond hinein. Und als der Maskenball sich mit dem Saal im Walzer drehte, stand ich durch die vielen Costume gehuscht im Mittelpunkt der Gäste in der weissen Spitzenhose meiner ältesten Schwester, die mir bis zum Boden reichte, in dem blauen Sammtjäckchen [80/2; 17:11 70] meiner zweiten Schwester, in deren Ärmel mir die Hände ertranken. Aber um den Leib hatte ich mir eine carrierte Schärpe gewunden – ganz egyptisch wie sie, genau so bunt und breit, Joseph als er Brotverweser geworden, getragen, und als er sich seinen Brüdern zu erkennen gab, die ihn verkauft hatten. Jeden Tag spielte ich auf dem Tritt am Fensterplatz, worauf meine Mama zu sitzen pflegte, und durch die Scheibe sicher in ein Feenreich blickte, ihr den Joseph in ähnlicher Verkleidung vor und sie allein erkannte mich unter den überraschten und gerührten Gästen, es berührte sie der unaussprechliche Zwischenfall unsäglich; sie verschwand in ihr kleines Wohnzimmerchen, das dem Saal angegrenzt, verweilte zwischen den Elfenbeinbildchen an der Wand; bei ihrer lieben Mama, meiner jungen Grossmama, der so früh gestorbenen Dichterin: Johanna Kopp und ihrem spanischen Papa in Koralle geschnitzt. Ich lachte in der Zeit über die grünangestrichene Pappnase meines Papas, die aufzuweichen begann, sich »verrammelte« durch seine gerührten Thränen über mich. Und über das kleine Schiefertafelschwämmchen, das aus seinem Tornister herunter am Faden baumelte.

Zwischen den Mumien und altem Gestein verfallener Synagogenruinen, erinnerte ich mich an meine verflossene Jugendzeit. Es hüpfte die goldgelockte Sonne im punktierten gelben Kleidchen mit ihrem Spielgefährten einen kaum merklichen Wind die Stufen der Treppe des Museums auf und nieder, kamen beide in die feierlichen Räume, bliesen tausendalten Dingen ins Gesicht und bekritzelten die graumelierten Ahnenschätze.

[82; 17:11 71] Die Frau des großen Augenarztes in Jerusalem und ich fuhren an einem Nachmittag durch Bethanien zum heiligen Garten: Gethsemane. Ich glaubte Bethanien heiße ein ganzes Land in Asien und war nicht wenig überrascht durch eine kleine Stadt mit bunten Häusern zu fahren zwischen Fels und Fels unter Himmelshöhen gelegen. Unten in der Schlucht erhebt sich das herrliche Denkmal Absaloms des Davids Sohn. Süss mit Sonne gemalt u. allerlei Farben wie die Künstler Athens ihre Bildwerke mit Farben pflegten zu schmücken. Es vermählten sich zwei Länder in dieser unvergleichlichen Plastik. Aus der grandiosen Niedrung empor, und schwinden uns auch die Sinne, stürmt unser Auto mit uns weiter eine leichträderige stählerne Antilope, bis auf den Gipfel des begnadeten Steingebeins. Schräg abwärts fliesst, ein Beet der Ruhe der fromme Garten Gethsemane. Klosterbrüder betreuen seine Blume führen den Besucher durch die Pfade. Es blühen junge Gräser und kleine gelb und blaublühende Büsche zwischen ausgehöhlte Greisenbäume auf dem gepflegten Rasenplatz. Unzählige Sterne goldene Blüten schimmern wie die Sterne am Abendhimmel an den Zweigen des Ölbaums beleuchten die Worte die der edle Jude seinem Jünger Simon Petrus an die Wand des Herzens schrieb: »Hüte meine Schafe vom Hause Israel.«

Es berührte mich jedesmal von Neuem wenn ich erwachsende Menschen Hand in Hand über die Strassen Jerusalems wandeln sehe. Meist sind es arabische und arabischjüdische Studenten in den Ferien wieder daheim. Man kann arabische und arabischjüdische Züge kaum mehr unterscheiden, sie verflochten sich mit der Zeit von gleicher Sonne beschienen und gekühlt vom Windewehen, des fürsorglichen Meeres. Es sendet Kühlung nach oben in die heilige Stadt sofort geschöpft von der Welle. [83; 17:11 74] Hingegen die jungen Judenbauern in ihren Pflanzungen setzen sich immer von Neuem grosser Gefahren aus; bestreben sich die sie nächtlich überfallenden Bergvölker zu gewinnen, Freundschaft mit den verhetzten Raubscharen anzubahnen. Wenn die Orangen reif und Brote gebacken, machen sich ein paar todesmutige der Colonisten auf den Bergweg zu den Widersachern und laden sie zum Mahle ein, in ihre reife Colonie. Es entstehen wirkliche Freundschaften unter den semitischen Stiefstämmen, unter den Judenbauern und den wildesten arabischen Nomadenvölkern. Bepackt mit Frucht des »guten Bruders« und Brot vom hebräischen Felde, kehren die schwarzbebärteten Männer beschenkt zu ihren Weibern zurück. Ja Thränen im Auge! Der Araber neigt, der elementarste gerade wie der wildeste der Juden zur Sentimentalität. Es beteiligt der Jude, ebenso fürsorglich wie weise, den arabischen Arbeiter gern mit dem Bau seiner Häuser und Anlagen der Stadt. Und vergisst eben nicht wie den arbeitsuchenden Juden, auch den arbeitsuchenden Muselmann zur Arbeit heranzuziehen, ihn gebührend zu besolden. Die Einwanderung der Juden in das Land der Länder, kommt dem arabischen fleißigen Arbeitsmann, überhaupt dem Arabervolk zu statten. Aber auch der bauende Jude enthusiasmiert sich am Baustyl des arabischen Architekten. Oft passiert man geradezu einen Hofstaat palastartiger kleiner weisser Häuser, begiebt man sich auf einen Ausflug vor die Stadt. Künstler sind diese besten der arabischen Architekten und gerade den zweien mit Talenten ausgerüsteten Architekten gelingt es seinem Bau: Lebendigkeit einzuflößen – den Stein zu beleben. Es fehlt das hohe C im Bau besitzt der Architekt nicht neben seine Begabung zum Bauen, nicht das streifende Auge des Malers. So wird der Bau, mit ihm gesehen der Schlichteste, anders: Ein Palast. [84; 17:11 76] Aus diesem Grunde entstehen auch unter der Hand Häuser wie meines Architektenfreundes in Rechavia lebendige Körper. Es gehörte zu einer meiner Lieblingsbeschäftigungen, ihm zuzuschauen, beim Aufbau von Musterhäuschen auf einer seiner Tischplatten im Atelier. Baukunst vermählt mit der Kunst des Malens hebt den Bau aus totem Gestein.

Jeden Morgen komme ich am grossen Hilfsgebäude vorbei, dem Repräsentant Recharias, Recharias erstes Haus. Auch dieser Palast in Halbbogenstyl erdacht ein steinerner Rabbi, der mit beiden seinen betreuenden Armen sein Volk umarmt, erbaute sich er ein Maestro, dem es an verschiedenen Talenten nicht mangelte. Nie ging ich weiter ins Innere der Wohncolonie ohne, wenn auch nur mit der Fussspitze versucht zu haben, das heisst eines der Räume den Keren Hájessod oder den Keren Hajemed etwas auf die Nerven gefallen zu sein. Immer kam ich, man solle den oder jenen hebräischen Dichter kommen lassen, gerade wenn es in den Hilfsräumen an Pfunde fehlte. Ich wandte mich dann an den Präsidenten der Gesellschaften an den gentlen Doktor Ruppin. Ob mirs gelang oder nicht meine Bitte durchzusetzen, es erfreute mich immer seine vornehme Geste. Ich glaube ich erzählte schon, mein Vater baute mit Vorliebe. Sein Herz wurde dann ein Baukasten. Ob da nun mal ein paar Klötze umfielen, oder wo ein Dachstein auf die Strasse plumpste, oder das oberste ganze Stockwerk den schwarzen Schiefer eines nahestehenden Hauses in Splitter zerstückelte, nahmen die Einwohner meinem spiellustigen Papa nicht übel, auch zeigte ihn nur der oder jener an, mal einen lustigen Vormittag zu erleben wenn auch im Gerichtsgebäude. [85; 17:11 78] Jedenfalls wer in den Häusern meines Vaters wohnte, wohnte auch in seinem Herzen. Dieser Gedanke – ich wollte sagen auf der frommen Wolke dieses Gedankens ruht mein Herz von Flucht aus. Diesen friedlichen Gedankenpfad vermag kein Prozessieren aus der Erbmasse zu ziehen, handelte es sich auch um ein ganzes Stadtviertel, das mein Papa erbaute. In ihm wohnten zum Teil die Armen der Stadt – unentgeltlich. Mein Papa baute zum »Segen« der Stadt der ärmsten Bevölkerung; wenn ich und meine kleinen Schulkameradinnen, trippelnde schnaubende Hündchen jede gefüllte Körbchen für die Einwohner seiner kleinen Gegend tragend meinen Vater in die Wohnungen folgten, erlebten wir Kleinen oft grosse Überraschungen. Die eine der Mieterfrauen beschuldete die zweite, sie habe ja erst vor einem Vierteljahr ein Kind in die Welt gesetzt und sie betröge meinen leichtgläubigen Herrn Schüler. Und oft rochen wir von der Küche her knusperiges Backwerk oder es roch nach einer Gans wie nach einer parfumierten in der Pfanne Fett. Aber meines Papas Nase war jedenfalls uncompliziert konnte nicht riechen, er hielt den Gänsegeruch für Eierkuchen und legte den Kindern noch einen Taler in die grüne Sparbüchse auf der Kommode, guckte noch schnell durch das glitzernde Osterei, wodurch wir Kinder ebenfalls nach der Reihe das Feenreich mal sehen durften und drückte dem Armen Weber und seiner Frau im alten Lehnsessel und den sämmtlichen Kindern die Hand der Wöchnerin Wickelkind schrie einmal aus seiner Wiege, »auch Hand geben«, nur meinem Papa fiel der Schwindel nicht auf. Eines Morgens stand in der Zeitung: Der Tyll Eulenspiegel von Elberfeld ist gestorben. Da weinte die ganze Stadt wie beim Tode meiner angebeteten Mama.

[86; 17:11 79] Wenn ich ihr rührendes Poesiealbum aufschlage und ihre Handschrift aus lauter südlichen Blumen und Blättern geformt, betrachte, weiss ich, »sie« war die Dichterin und ich nur die Sagerin ihres reinen schwärmenden Gedanken. Als ich noch nicht in die Schule ging, sassen wir beide schon, meine beste Freundin meine Mama und ich neben einander am Rosenholztisch und dichteten. Ach sie bewunderte mich, gelang mir der kleinste Vers. Und ich war so stolz und vertraute ihrem Urteil, da ich meine Dichtung in ihrem Schoos aufbaute. Auch liebte ich meine bei der Geburt meiner Mutter gestorbene Grossmama – die Dichterin: Johanna Kopp. Eines Tages kam ein Spanier aus Madrid, erzählte uns Kindern unsere Mama, und heiratete ihre Mama. Und meine Mama war nicht allein meine beste Freundin, sie war auch mein Kaiser! Ich stand vor ihrem Zimmer Wache. Vor den vielen, vielen, vielen Büchern ihrer Bibliothek! Ich zog für meine Mutter in den Krieg, ihr grosse Länder zu erobern ....

Der alte Friedhof auf dem meine teuren Eltern schlummern, und in der Nähe von ihnen, zu Häupten eine gebrochene Säule, mein jüngster Bruder ruht, ein junger Heiliger, bedeutet mir, ein gebenedeiter Ort: Jerusalem. Und heute, da ich die Stadt Gottes in der keuschen Pracht ihres ganzen Leibes und ihrer Seele erlebe, weiß ich, sie ist unter uns wo wir uns auch befinden in welchem Erdteile auch. Überall ist Jerusalem wo man sich Frieden erfüllt.

[87; 17:11 80] Auch lehrte mich der Grossrabbuni von Berlin, der Raw, als ich ihm erzählte mir seien die Engel begegnet in der Nähe des Hügels meines teuren Sohnes, dieses letzte Geheimniss müsse der also bescheerte Mensch bewahren. Nicht dass ich mich seiner Lehre widersetze, aber es drängt mich das himmlische Geschenk aus Himmelshöhen diesem Buche einzuverleiben, und wenn ich nur einen einzigen sehnsüchtigen Menschen mit der Wahrheit der Engel glückselig mache.

Jahre vergingen seit der reichen Stunde lautlose und einsame.

Die guten Kinderlein im Kinderdorf Ben Schemen werden wenn sie einmal gross sind in meinem Buch das Hebräerland zwischen den vielen Büchern ihres geliebten hebräischen Pestalozzis lesen eine Dichterin die Engel sah am Hügel ihres geliebten Kindes die Engel in zweierlei Gestalt auf zwei verschiedenen Wegen stehend und doch auf dem einen nur vor dem Hügel ihres Sohnes entrückt.

Als vor einigen Jahren von böswilliger Hand die Hyäne der Pogrom auf die ratlosen Juden im Hebräerland losgelassen wurde, und unschuldige Massen biss, war es ein Scheik im Arabervolke, der das Kinderstädtchen mit seinem Leib und mit seiner Seele schützte. Er liebte das Kindervölkchen in Ben Schemen, als wäre jedes der Kinder sein eigenes. Seitdem lieben ihn die Juden und vor allem ihn – Gott.

Wieder sitzen meine Freundin und ich auf dem kleinen Steintreppchen vor der Seitenpforte ihrer alten Wohnung in Recharia. Ganz hellgelb schien heute der Teppich der Wüste und die Sonne kam oft zu uns beiden herübergeflogen oft auf unseren Schoos noch ein junger goldgeflügelter Geyer. Es war immer eine liebreiche Stunde und ich erinnere mich gern an unsere [94 (88); 17:11 90] Rast. Als ich ihr, Lebewohl, sagte, befürchtete sie, was ein Spuk, der nun mein Blut beschattet, wir würden uns nicht wiedersehen. Dem Rechtsanwalt ihrem übersprudelnden Mann, erschien sie täglich eine begehrenswertere schöne Bibelgestalt, immer eine »neue Rahel«, der er mit seinem ganzen Herzen diente. Oft empfand ich für sie eine geschwisterliche Anhänglichkeit, da sie meine Mutter liebte und sie doch nie gesehen. Noch heute in Jerusalem, tritt man ein in ihre Stube sitzt ein Bettler oder Bettlerin an ihrem gedeckten Tisch. Mit dem elendigsten und zerrissensten und verstaubtesten teilte sie liebreich ihr Brot und darum schenkte ihr Gott den großen inneren Reichtum des Herzens. Es war schon Abend wir plauderten noch auf unseren steinernen Sitzen und summten mit der Hirtenflöte Melodie, die ein nimmermüder Hirte immer dieselbe seinen Schäfchen vorblies. Auf dem Heimweg begegnete ich die Eisheiligen, so nannte ich eine dritte mir liebe Familie in Rechavia – die sich eine Eisdiele eröffnet hatten. Mir immer – Eis warmstellten, kam ich gegangen. Die Gewerett spazierte neben ihres Adons Fahrrad her und ich musste noch mit ihnen in ihr Haus kommen die neuste arabische Platte hören ein ausgegrabenes Lied König Schlomes an Myriam. Es ist alles möglich dachte ich und folgte ihnen in ihre Behausung in das kleine Lieblingszimmer mit dem grossen Ledersopha, darauf wir uns nebeneinander niederliessen wie in einem Coupe erster Klasse. Später brachten sie mich nach Jerusalem es fielen so viele Sternenlichte über die Rechariahöhe herab über Erdterasse und Erdterasse ins Tal. Es übten auf dem Sportplatz noch munter Jungens und Mädchen und wir sahen ihnen eine Weile zu. Die Kunstreiter der Clown hatten sich die Hände grün gemalt, verteilten [95 (89); 17:11 94] Programme des noch »niedagewesenen« allen Circusleistungen überbietenden Attraktionen der Manegekunststücken. Wir versprachen ihm zur Premiere zu erscheinen und die Juden Jerusalemiter zu veranlassen statt um acht Uhr mal um zehn Uhr sich zur Ruhe zu legen. Heute war ich selbst müde und ich träumte von meinem Playd das mich warm und mit seinen grün und braun verknüpften Karros schon ein paar Jahre zudeckte. Vor meiner Türe meines Gasthaus angekommen, verabreden wir drei uns am Sonntag um neun Uhr früh zu treffen im Bureau des Hebräischen Omnibus ein paar Schritte vom Nordia entfernt, und in Tel-Aviv zusammen zu frühstücken.

Dreifach unvergesslich schön vollzog sich unser Ausflug in die bunte schauckelnde Meerstadt. Wir sogen auf der Hinfahrt den süssen Duft der Orangenhaine wie die Bienen naschend ein. In einer Schlucht sahen wir einen Bergaraber von der Felsenstadt herabsteigen auf der Schulter sein Gewehr. Er schwang sich unten am Fuss des Gesteins angelangt auf sein ungeduldig stampfendes Ross. Sie jagten wie zwei verbündete Reitkameraden über die Sandebene und noch lange konnten wir seinen weissen Mantel wehen sehen und sprühen seine goldgelben Sandalen. Wir sagten alle im Omnibus, der phantastische Vorgang, an der Felswand der Wüstengegend sich abspielend, wird nun haften an uns ein grosszügiges orientalisches Gemälde. Wir kamen nun durch Ramle am Eingang der dorfähnlichen kleinen Araberstadt, begrüssten uns eine ausserordentliche Gesellschaft herrlichster Palmen. Unser Wagen fuhr im langsameren Tempo durch die exotischen Strassen bis er wieder von Häusern und Gassen ungehemmt, durch die [96 (90); 17:11 95] asiatische Natur gleitete. Ja die Autoomnibusse gleiten direkt über die Wege leise dahin. Es ist eine Wonne zu fahren mit ihnen, auch kann man sich so recht ausruhen denn die Insassen, die von der Heiligen Stadt kommen, schweigen wie die Pflanzen in den Gärten oder wie der Sand der Wüste der ein Wort gesprochen, selbst wieder auslöscht oder verweht. Wir kommen nun durch Jaffa der grossen Stadt des Muselmannes, auch mir gefällt sie ausserordentlich und ich brenne auszusteigen, zu Fuss durch ihre schimmernden Strassen zu spazieren, einkehren in manchen Palast und die Frauen besuchen im Harem. Und meine Freunde versprechen mir, dass ich die Bauchtänzerinnen tanzen sehen soll und die Feuertänzer in den Bars, aber alles nur käme ich bald wieder zurück ins Hebräerland. Für den Tanz, ausgenommen dem Symbolischen, der meist von Tänzer und Tänzerinnen getanzt wird, die das Abc des Tanzes unkundig. Ein Verlegenheitstanz wie das Verlegenheitstableau des Futuristischen Malers. Ausnahmen finden sich sogar rühmliche, unter den symbolisierenden Turnerinnen wie bei den pinselnden Flächenanstreichern. Zum Beispiel Professor Kandinsky meines unvergesslichen Freundes des blauen Reiters Franz Marcs Freund oder Paul Gangolf der trotziggrosse Maler aus Berlin. Er besass noch nicht einmal eine Kiste darin er seine Kohlen unterbringen konnte, erzähle ich gerade meinen lieben Förders und sein kleines Atelier glich einem Schacht. Aber ein glitzernder, ja ein Diamantenschacht so strahlte seine Genügsamkeit. Zu uns Künstlern passte überhaupt das Wort des grossen Propheten, der seinen Jüngern lehrte: »Selig sind die Armen denn ihrer ist das Himmelreich.« Der Meinung waren alle Propheten und predigten es.

[97 (91); 17:11 103] Diese Strasse der Einkehr ins Trockene stört den eigentlichen Charakter Tel-Avivs. Abenteuerlich im edelsten Sinne, eine Stadt jüdischer Cowboys, eine Stadt am Rivermeere, ja zwischen heimsuchenden, heimatsuchenden, friedensuchenden doch auch goldsuchenden aber vor allem Gottsuchenden Menschen, was sollen herrschaftliche noch dazu altmodischgewordene Häuserreihen die sich sogar noch dazu zur Hauptstrasse erheben. Fort mit ihnen und ihrer süsslichen Stukatur. Ins Herbarium die Stiefmütterchen der ängstlich geklügelten Beete zwischen Trottoir und Damm. Man atmet auf erreicht man die unbeschreibliche abenteuerliche Allenbeystreet, die leicht hinab an den Ozean führt. Manchmal kommt er einem entgegen. Geträumt hab ichs einmal. Ein Beweis der Möglichkeit. Die Allenbeystreet ist das Gesicht der Stadt. Die sogenannte Hauptstreet Avenue Rotschild steht ihm schlecht. Ein Costume vielleicht aus dem vorrigen Jahrhundert stammend im Schrank der von Europa mit ihrem Neffen herübergereisten Tante. Der Amerikanische Cowboy hätte gesagt, »Bei mir Missisippi«, verehrte Tante, der Telaviver wohlerzogen, küsst der Tante die Hand und bezieht mit ihr das herrschaftliche Haus. Ich bin nämlich in die unbeschreibliche Wildoststadt verliebt, direkt verliebt, dort wohnt das wilde hebräische Indianervolk von dem ich immer in meinen Büchern träumte. Jerusalem ist ein Altar, weiss müssen alle Leidenschaften bleiben in der Heiligen Stadt. Aber in Tel-Aviv flattern meine Augen ohne zu sündigen dunkle Schmetterlinge auf manche schöngeformte Hand, taumeln um die Farbenpracht kupferner Haare und setzen sich nach Laune an den Rand der Grube eines lieblichen Kinns. Wir betrachten die Auslagen der vielen mannigfachen Schaufenster der interessanten Allenbey und verirren uns in Nebenwegen wie [98 (92); 17:11 105] im verrammelten Knäuel. Aus dieser genialen Wirrniss befreit uns Schoschana wie sich später herausstellte die Vicebürgermeisterin von Tel-Aviv. Sie weiss nicht wer ich bin, behandelt mich aber liebevoll, die ich plötzlich von meinen lieben Förders verlassen und ladet mich in eine Bar ein in der Nähe meiner Dichterfamilie bei der ich mich vor paar Wochen ausgeruht. Das Haus vergess ich nie. Schoschana heisse sie, wiederholt die gastliche Gewerett und Vicebürgermeisterin Tel-Aviv. Ich fühlte sie hatte mich in ihr trauliches Herz eingeschlossen und ich bemühte mich mich artig zu betragen. Sie habe einmal ein Bild von der Else Lasker-Schüler gesehen das mir ähnle, natürlich fügte sie hinzu, denn ich sagte ihr dass ich die Dichterin kenne, ein hübscher Mensch könne ja auch einen minderhübschen gleichen. Ich nickte und verriet ihr nach einer Weile ärgerlich, als ob ich mich an eine unangenehme Rencontre erinnerte, mag sein dass sie eine grosse Dichterin ist wir wollen sagen, Durchschnittdichterin, aber als Mensch ich sage Ihnen Gewerett, unausstehlich! Ich ass noch einen Honigkuchen, danach eine Orange und aus meiner durchsichtigen Seifenpapierserviette zauberte ich Schoschana einen Lampenschirm, so einen herrlichen rosaen Lampenschirm, dass immer nun Abendrot durch ihr Boudeoir, von dem sie mir erzählte, ferner scheine. Aber es ging ihr ein Licht auf als wir nebenan den Kunstsalon Doktor Pulvermachers gemeinschaftlich besuchten, das Fräulein an der Kasse mich begrüsste zwar angedeutet meinen Namen wieder herunterschluckte, sogar hypnotisiert sich an meinem Namen verschluckte wie an einem harten Bissen den er mir meist im Leben bei aller – Verehrung gewesen. Vielleicht sind Sie die Else Lasker-Schüler doch überlegte beim Heraustreten des aparten Salons die famose jugentliche [99 (93); 17:11 110] Vicebürgermeisterin? Die Förders kamen gerade von Visavis sie beabsichtigten schon im Autoomnibus telaviver Freunde zu besuchen. Vielleicht sind Sie Schelm die Else Lasker-Schüler doch? Schalom Schoschana, fragen Sie die Sterne!

Die Förders und ich grüssten noch einmal von Ferne die verdutzte Vicebürgermeisterin, und frühstückten endlich in einen reizenden kindlichen Cafegarten wie einmal schon in denselben mit einer niedren Mauer umgrenzten vor der alle Augenblicke ein anderer berliner Bekannte stehen blieb um sich zu überzeugen dass ich lebe. Ich war tot gesagt, diese Annonze brachten europäische aber auch asiatische Zeitungen auch in hebräischer Sprache. Und ich sah mich in erster Zeit nach dem gelüfteten Geheimniss fortwährend in den Spiegel, ob ich doch noch lebe und so vielen Collegen um Verzeihung bitten muss. Im grossen ganzen konnte ich feststellen dass viele sich die mich lebend wiedersahen, herzlich freuten. An der Mauer stand gerade so ein getreuer, der liebe hochbegabte Abraham Stenzel einer meiner liebsten Dichterfreunde, Morgen müsse er leider leider wieder nach Europa reisen, er habe eins seiner besten Dichtungen liegen lassen in der Eile der Abreise Das Fischerdorf und die ersten Seiten seiner Harzreise. Die anderen am Tisch lachten, ich konnte es ihm nachfühlen, zumal die Dichtung unser Honig ist, unsere Speise, aber auch unsere Spielsache an der wir hängen. Er rannte fort nicht den Omnibus nach Haifa zu versäumen und statt seiner stand der Sabbathey an der selben Stelle des steinernen Zauns. Nicht etwa der Sabbathey Zwi in Person oder sein hebräischer genialer Ekkard, Kastein, aber mein einstmaliger brüderlicher Freund Erwin, [100 (94); 17:11 115] der mir zum ersten Male von dem vorübergehenden falschen Messias erzählte und den ich dafür in mein Herz schloss, das er fahrlässig erschoss. In den Schaufenstern der Buchläden liegt die geniale Dichtung Kasteins in zwei schützenden Buchwänden zum Verkauf ein unbezahlbares Buch kann sich jeder erwerben für einige Silberlinge. Durch ein Buch gehalten von zwei Händen spukt über die Seiten der grosse Dichter Kastein das Gespenst messianischer Sehnsucht, als Sabathey Zwi. In Tel-Aviv vernimmt man nicht den Harfenton und längst verklungender Cymbeln frommes Klingen. Und doch befinden wir uns in der Hebräerstadt kaum ein Andersgläubiger eilt durch seine Strassen. Der Bürgermeister ist ein Jude, die Bürgermeisterin und die Vicebürgermeisterin, von der Bekanntschaft mit mir ich erzählte. Der Polizist ist ein Jude, der Soldat. London ist was Verkehr in den Vierteln Tel-Avivs betrifft ein Waisenknabe gegen diese im Vergleich mit einer anderen Industriestadt winzigen Stadt. Die jüdischen Chauffeure fahren mit ungeheuerlicher Sicherheit den Fahrgast durch die belebtesten Gegenden ans Ziel. Durch diese Stadt strömt nicht allein vom Meer her eine imponierende Autorität von Kraft. Diese Stadt treibt abwechselnd ihre Bevölkerung vorwärts und rückwärts, Flut und Ebbe wechseln das Bild Tel-Avivs. Es wetteifert mit seinem Ozean wie zwei Sportler. Wie der Strand des Gewässers bewillkommt ein jeder der Juden der Stadt ebenso wie in Jerusalem selbst den der an seine Pforte klopft. Gastfreundschaft [106 (101, 95); 17:11 128] ist von Ewigher den Juden, den Arabern wie allen orientalischen Menschen heilig. Auch in der Umgegend Tel-Aviv beschäftigen sich die lieben jüdischen Bauern und Bäuerinnen mit Feldarbeit und mühseliger Zucht der artigen Wolltiere. Die Münze wird verwendet zu immer neueren Ankauf des Palästinalandes. Selbst gönnen sich die Chaluzim nicht einen Tropfen von der Milch der geräumigen sauberen Ställe nicht den Trunk der Orange, die sie golden malen, nur das allernötigste geniessen diese asketischen heiligen Bauern und Bäuerinnen von der Ernte der roten Erde des Herrn Zebaoth. Vor Schabbattabend höre ich sie singen das rührende süsse Lied Israels durch die Strassen Jerusalems. Manche von den schönen Bäuerrinnen betrachteten im Religionsunterricht in ihrer kleinen Schulfibel das Land Palästina. Ahnten nicht einmal selbst in ihm zu wohnen und seine Erde zu beackern. Sie tragen nun ihr Haar wie die Bäuerinnen der anderen Länder in geblümten Tüchern unter dem Kinn gebunden. Die Sonne färbte manche Brünette goldblond und die schwarzhaarige goldbräunlich und ich begegnete nie so vielen blond gelockten Kindern wie hier zu Lande. Die ungarischen Juden besonders pflegen ihre blonden zwei Locken gewissenhaft zu pflegen. Es fielen mir viele jüngere Ungarn auf, die sich ihre sich lösenden Locken die rechts und links unter dem Hutdeckel im Spiegel eines dunklen Marmors wieder zurecht drehten. Der Schabbesdeckel warte geduldig auf seinem geschorenen Kopf. Nirgends ausser der zwei in Locken gedrehter Haarsträhnen ein Haar zu finden. Man beginnt über das was einen im Anblick ärgerte, sich zu freuen. Interessant zu finden ja künstlerisch eigenartig, diese Peies wie [107 (96); 17:11 132] man den einen oder anderen sie mauschelnd bezeichnet. Das Jargon hat überhaupt mit den Lauten des Judenvolkes weder mit denen aus Galizien, aus Polen noch aus anderen europäischen östlichen Ländern weilenden Juden zu tun. Jargons Grossvater war ein schlesischer Dialekt und auch der enge Kaftan des Judenvolks hängt noch im Bauernschrank ein Erbstück vom Urgrossvater. Schön klingt er für mein Ohr wenigstens nicht auch den Palistinäern nicht liebsam. Man spricht dort hebräisch und die Kinder erhalten in hebräischer Sprache den Unterricht in der Schule. Hermann Struck und Jakob Steinhardt die beiden grossen Zeichner portraitieren mit Vorliebe und tiefstem Respekt die Juden des Ostens in Kaftan und Locke. Sie sind vielleicht was tiefste Frömmigkeit betrifft die religiösesten, ihr Land die Heimat der Wunderrabiner, die hebräischen Magiere der Welt. Oft fragen mich christliche Freunde, ob sie sich nicht fremd fühlen würden in Palästina sie meinen: Ungern gesehen würden unter so vielen Juden? Dann antworte ich immer mit einem Paragraphen, der die Anständigkeit des Juden beti[telt.] Der Paragraph heisst: Der Jude, der einem Juden was zu Leide tut, bestraft das Gesetz mit der üblichen Strafe, der Jude aber der einem andersgläubigen Unrecht zufügt, bestraft das Gesetz mit zwiefacher Strafe.

Arabische Kinder spielen auf den Streets Jerusalems mit jüdischen Kindern. Viele Jerusalemiterinnen sah ich heute wieder von meinem Balcone aus hochaufgerichtet wie die egyptischen Frauen über die Wege gehen auf dem farbigen kleinen Schutzkissen [108 (97); 17:11 133] einen Krug gefüllt oder eine Schale voll Obst tragen auf dem Rücken oft ihr neugeborenes Kindlein. Manche gehen einher die einfachste Frau des Volkes in rosa oder blauer Seide, leider des öfteren auf den Rücken oder an den Seiten des Rockes den Ölfleck. Wo kommt der her? Fragt man sich. Von der Waschung denn der Araber und die arabische Frau, erzählte ich schon einmal trinken lieber die ihnen von der Stadt importierte Quelle in die Mündung ihrer Kessel auf den Dächern ihrer Wohnungen und reinigen sich ausserdem schützt das Olivenöl vorm alternden Verdorren mit dem stärkenden geschmeidigen Saft der Olive. Zweimal begegnete mir heute schon der blödsinnige arme arabische Junge auf der Jaffaroad. Sein Vater war irrsinnig gewesen und jeder schenkte seinem Sohne etwas. Er lagert sich nachts mit Vorliebe im Vorraum des Cinema Zion und man lässt ihn! Freiheit ist sein einziger Besitz, und man würde ihn die Flügel stutzen indem man ihn seines letzten Reichtum beraubt. Weichherzig ist Jerusalem gewissenhaft jedeiner dem zweiten gegenüber, handelt es sich auch nur um ein schwachsinniges Kind. Denn jedes Atom ist ja eine Welt besitzt Mond und Sterne vielleicht auch einen microscopischen Tropfen Gott. Und da sollte der ganze Mensch von tausenden Atomwelten zusammengesetzt, nicht eine sehr sehr weite weite Welt sein? Herzlich froh war ich als mir einer der allerbesten Meisterinnen der Kindergärtnerinnen begegnete, die mich beruhigte des blöden braunen Knaben wegen, der immer so viel sagen möchte und nicht reden kann, sie habe veranlasst dass ihm warme [109 (98); 17:11 136] Decken in einem trauten Winkel auf den harten Boden des Cinemas Kassenraums gelegt worden sind und ausreichende Speise bekomme, denn sie liebe alle Kinder gleich und warm ob es sich um jüdische oder um das Wohlsein arabischer handele. Und ich sollte mir einmal ihr Kinderheim ansehen und ich schrieb in mein kleines Notizbuch, Frau Ducas Kinderheim in Mikoshajim neben der Synagoge hinter den 18 weissen Rosen eine Viertelstunde mit dem Omnibus von Jerusalem zu erreichen. Besuchen Sie bald meine kleinen Schutzbefohlenen, liebe Dichterin.

Mit den arabischen schalkhaften Eselsjungen hatte ich einen Kleinkrieg begonnen. Sie behandeln ihre ihnen oft lästig gewordenen Esel wie alte Spielsachen, darauf sie schlagen oder gar treten und in die Pfühle der Strassenwege werfen. Den Tagüber tragen die lieben Tiere Steine zu den Neubauten und klagen nicht. Nun habe ich schon alles in Liebe versucht den Bengeln beigebracht, dass Allah und sein Prophet Mohamed sie strafen würde, mit der selben Zuchtrute, die sie anwenden die müden Tiere anzuspornen. »Allah ist Gott und Muhamed sein Prophet!« Wiederholt der eine der Jungens und zeigt zum Himmel. Ich schenke ihm einen Piaster in seine mir aufgehaltene Hand, auch den anderen Araberknaben und verspreche ihnen, falls sie nicht mehr die Esel misshandelten, ihnen noch einmal dasselbe zu schenken. Sie beteuren mir nie mehr ihre Tiere zu schlagen, der Achmed drückt sogar Pharao einen dicken Kuss auf sein Maul. Ich schleiche den Bengels auf Indianerwegen nach schon einbiegend in die nächste Rechariapfad, erlebte ich dieselbe Katastrophe. Aber einmal kam ein Allahpriester [110 (99); 17:11 137] des Wegs der rügte die Eselsjungen und warnte sie mit dem Verlust des Jenseits. Das nützte eine Weile, aber immer musste ich sie an den grossen Verlust erinnern.

Am anderen Morgen schon in der Frühe sollte ich meinen Omnibus besteigen der mich bis Haifa fährt. Ich ging noch einmal am Abend vorher auf die Post, brachte meiner lieben Freundin der reizenden Postbeamtin mein erstes Buch das ich gedichtet habe, mein Peter Hille Buch. Und dedizierte noch einige den liebendwürdigen Herren der Post eines meiner vielen Bücher. Sie liebten namentlich die vom Orient erzählen den ich bis dahin nur in meiner Vorstellung gesehen und erlebt hatte. Manche Palme hatte Wurzel gefasst in der roten Jerusalemerde meines Herzens und wuchs und wuchs und ich träumte unter meinen eigenen Bäumen. Der ganze Vollmond kam in meine Stube meines wundervollen Gasthauses darin ich meine Oase aufschlug. Ja meine Stube blühte wie eine Oase nach und nach mir gute Reise und baldige Wiederkehr wünschend. Ich schrieb noch Abschiedsbriefe an die Colonisten jedes Emeks. Legte das gepresste Heckenrosensträusschen zweier lieber Orangenzüchter in ein Kästchen aus Libanonholz geschnitzt. Sie warfen es mir zu in den Autowagen es fiel in meinen Schoos gerade meine Lieblingsblume.

Entwurf [3] [i]

[100; 2:157 453] Hinter dem Gitter des Raubtierkarrens heult: Haman der Hyän, der Kanon des Zirkus’. Als Kind wünschte ich mir immer so einen grünangestrichenen, abenteuerlichen Wagen; noch heute in meinen kühnsten Träumen; dazu »grüngestrichene« abenteuerliche Begleiter, mir gleich an Qualität. Das heißt, vor dem Herrn der Welten hinsinkende Goldstaubsäulen, doch gewaltig aufwirbelnd über die Köpfe der Bürger! Es pflegt zu verflachen gerade auf der Landstrasse der leere Insasse im Wagen, Natur schützt man gucke ins Autogefährt vor Verkitschung nicht! Momentan macht mir viel Freude die in netten Farben gewählte Wäsche über Leinen gehängt zu betrachten. Schon nahte des Cirkus’ begabte fleissige Zauberin und fühlt sich ob meines Lobs geschmeichelt. Sie hört auf ihren königlichen Namen. Ich möchte ihn den Lesern zugleicher Zeit nennen: »Nefretete«. Nach der Mutter Amenophis genannt und nach ihrer eignen, die eine Egypterin war.

Ich habe heute Morgen schon alle die kleinen Gassen des Jaffaroads durchstreift, und müde, sehr müde lege ich mich nieder, zu müde noch meine kleine liebe Uhr aufzuziehen. Und sollte, wie schon vorgekommen, die Sonne mich vergessen zu wecken, so würde ich vom Sonntaggeläut der Glocke im Turm der Kirchen Jerusalems aufwachen. Ich und die Architektenfamilie, die Krakauers die ich in mein Herz geschlossen, beabsichtigten, morgen am Sonntag der Christen in Tel-Aviv zu frühstücken, uns um acht Uhr im Bureau des hebräischen Omnibus, ein paar Schritte von meinem Nordia, meinem Gasthaus enfernt, zu treffen. Ja wir betranken mit herrlichen Palästinawein unseren Entschluss wiederum gemeinsam durch die Wüste zu fahren an Orangenhainen unserer [101; 2:157 454] Colonieen vorbei, vom Duft der Apfelsinenblüten zu naschen. Ach wenn man so still mit seinen Freunden zwischen den anderen Reisenden im Autobus sitzt, kommt es einem wirklich so vor, man höre wieder auf seiner Schulbank den geistlichen Lehrer erzählen – aus dem Gelobten Buch: Bibelgeschichten. Namentlich die von Joseph und seinem Vater Jakob. Aus meinen Orangenträumen jäh, weckten mich die Freunde; hatte Mühe wieder wenn auch in die verzauberte Wirklichkeit, mich aus entrückter Schulzeit zurück zu finden. Adoni und seine Gewerett zeigten auf das ferne Araberstädtchen hoch im Fels gebaut, mitten im Sandmeer der Wüste, es fascinierte mich wie sie der lebendige Gobelin. Zwischen Stein und Sand an seinem steinernen Fuss der edle ungeduldige Hengst. Ich zeichnete das unsagbar schöne Gemälde in mein schon sehr zerknittertes, winziges Notizbuch, in mein Hirn. »Da kommt der Esau!« Rufen im Chor die Insassen unseres Wagens: Die Jagdwaffe über die Schulter geschnallt, die Füsse im schillernden Eidechs eilt er von der Bergkuppel zur Ebene. Und Urwald im Auge, dachte ich .... Die Geyer flüchteten.

Nach diesem phantastischen Erlebniss nahte: Ramle das süsssäuselnde arabische Örtchen und sendet uns seine Prinzessinnen, sich wiegende Palmen entgegen. Und jetzt wieder Wüste, Sand vom Winde gewellt und geglättet. Endlich erreichen wir Jaffa, die älteste der muselmännischen Städte; sie begrüsst uns durch ihren herrlichen Morgen. Auf breiten Strassen an Tischen spielt der Araber mit dem arabischen Nachbar Würfel und raucht dazu mitten auf dem Fahrweg seine Wasserpfeife in Musse beim Brettspiel und Schach. Der Lenker unseres Wagens lässt sich erweichen, zu unterbrechen die Fahrt, indess sich das Auto in die Büsche schlägt.

Es empfing uns Reisende in der beliebtesten Gegend der beliebtesten Bar repräsentierender Nubier. Den Wänden entlang in damastnen, buschigen Hosen die Tanzbeine, schlürfen gähnende Jaffabajaderen, die jüngsten, im Kreise aus goldgesprenkelten Tässchen den Mocca. Damit er noch wecke im [102; 2:157 455] Winkel des Auges den Sandkorn. Lässig erhebt sich Zobeïde; auf unseren dringenden Wunsch tanzt sie den Dance de ventre. Es bebt ihr Leib, es kreist eine kleine wohlbeleibte Körperwelt, eine Miniaturerde nach dem Vorbild unseres Erdreichs. Denn die gereifteste der Lehrerinnen ihre Tanzmeisterin: Die Erde Selbst. Sie lehrte Zobeïde erdzubeben und wieder zu bannen die Gluten im Kreisen des Leibes. Noch glimmen ohnmächtig der Schultern aufgeworfene Hügel: »Machmëde macheiï ....« Sie schnellt den Kopf jäh zum Stich wie die Viper; wir fürchten uns.

Auf die Feuerfresser, schade, konnten wir Gäste nicht warten, ihnen beim brennenden Frühstück Gesellschaft zu leisten. Doch wir versprachen dem Nubier an einem anderen Tag teilzunehmen am Feuermahle. Von einer Fackel ein bischen zu naschen, reizte schon unsere Gaumen.

Eine und eine halbe Stunde fährt man von Jerusalem nach Tel-Aviv. Die Unterbrechung der Fahrt konnte unserem gutmütigem Fährmann schon eine Rüge kosten; nicht von schlechten Eltern! – Ja, man kann so recht schweigen im Raum des Autoomnibus, wie die lieben Pflanzen vor den Gärtlein von Rechavias Häusern. Man versteht endlich das »unausgesprochene« Wort und des Zweiten »vielsagendes« .... stummes; wie damals vor dem Turmbau zu Babel die Menschen noch auf die Stimme Gottes lauschten, mässig sprachen, das Wort nicht entehrten im leeren Wortschwall: Und sich begnügten in Zelten zu wohnen, der Erde nah und nicht bedroht aus grössenwahnsinniger Etage aus ihren Himmeln zu fallen. Aber was nützt alle Weisheit, alle wenn auch stellenweise verabreicht? Und ich glaube, ich berührte vorangegangenes Thema nur, meiner, von mir angebeteten Mutter, gedenkend, die uns Kindern – Genügsamkeit lehrte.

[103; 2:157 740] Der Sand der Wüste, vom verdoppeltem Tempo der Autobusräder aufgescheucht, verweht das auch nur geahnte Wort – oder vermittelt es der Welt? Dir ...... Ich denke viel an Dich.

Der Horizont strahlt plötzlich silberweiss. In der Gegend müsse wohl das Paradies gelegen haben? erwägt eine Mitreisende und sucht es emsig mit der Lorgnette. Sie weiss nicht, dass sie sich mitten im Paradies befindet und ich sage – tief ergriffen: »Gewerett, schauen Sie einmal gelassen, in aller Gemütsruhe über die Wüste und dann über die noch übersehbaren Sandhügel hinüber zu allen Erdteilen dieser Welt. Überall: Paradies! Allerdings sehr verfinstertes, Gewerett, im Krebsgang der Zeiten.« Ein Witzbold mischt sich in unser Duett und wiederholt gedämpft: Im Scheerenschnitt aller Zeiten. Das habe sie schon die Amme gelehrt, doch sie sehe die Dinge alle noch genau in der Welt! »Wenn Sie das sehen nennen, meine Liebe, lachte mein Freund der Architekt sich mokierend, so bleiben Sie nur weiter vergnügt im Paradiese.« Aber nach einer Weile wendet sich aberfalls zu mir die wissbegierige Dame: »Wie kam es dann eigentlich dazu, dass sich der schöne Garten Eden verdunkelte?« Die Frau des Architekten flüstert mir ins Ohr: »Sie hält Sie für eine Angestellte der Beleuchtungscentrale Palästinas.« Doch den Ernst des Themas respektierend, antworte ich auf die an mich gerichtete Frage: »An Gleichgewichtstörung dunkelte die Welt, unsere Paradieswelt; verfinsterte am Nachlassen der Liebe. Die Liebe ist die Uredle Eigenschaft Gottes!« Diese Schlussworte kamen aus einer anderen Welt und wir alle im Wagenraum sahen uns voll Erstaunen an.

Im Sohar, im ersten Buch der Kabalah steht geschrieben: Gottes Ebenbild ist verloren gegangen. Fromme Frauen in den kleinen Tempeln [104; 2:157 456] Jerusalems, die Köpfe in dunklen Tüchern gehüllt, sehe ich oft aus diesem Engelbüchlein lesen. Ihre Augen wandeln über seine Seiten und bescheinen die kleinen vergilbten Felder mit herzblutendem Mohn. Es ist die einzige wildwachsende Blume, die auch in blumenlosen Monaten aufflackt in den Urumgegenden Palästinas.

Wir sitzen, erwartungsvolle Schulkinder in unserem Autokremser und unsere neugierigen Nasenspitzen sind in Gefahr zu verkohlen an den kleinen Schmiedehöllen links und rechts der Einfahrtstrasse; die führt ins Innere Tel-Avivs. Wir sehnen uns, meine Freunde und ich, nach seinem ozeanischen hebräischen Herzen. Autosicher bringt uns der Führer des Omnibusses über bevölkerte Plätze und nimmermüden befahrenen Streets; zuletzt durch Tel-Avivs Galaavenue der Avenue Rothschild; doch ungeduldig erwarten wir ihr – endloses – Ende. Glaubt man doch zu sitzen und schwitzen, anstatt im heiteren Kremser, in einer Karosse, gezogen vom Rosse durch steifer Allure, manicurter Häuserallee im architektonischen Schleppkleid. Schon vom Fenster des Wagens aus, lähmte der repräsentierende Boulevard wieder einmal meine Nerven.

Es baut um diese Mistressavenue und ihrer Etiquette mit Vorliebe der Goldgräber, im Spleen der Laune seine Goldgräberstadt. Ohm Amerika besucht im goldenen Cylinder im Vollmond sitzend, noch heute ein Gespenst in Paraguay, his old Auntystreet, artig – der kluge Schalk.

Wir verlassen gemeinsam die geräumige Kutsche in der City der Meerstadt. Mich trifft der Pfeil eines indianischen Hebräers, des Edelhirschs. Aufflammt sein kupferrotes Haar und sein blutiges Indianerauge leuchtet blutig wie das draufgängerischste Morgenrot. Auch meine Freunde schätzen den Dichter: Uri-Zwi. Sein Dichtwerk läuft auf dem Goldgeäder grosser hebräischen Zeiten.

[105; 2:157 741] Wir betreten, begleitet von ihm und einer Schaar Judenindianern eine Gartenwirtschaft; aus Quellen fliesst Milch und Honig und Thee. Doch zunächst betrachten wir von der niederen Mauer des fruchtbaren Gartens aus, die flutende Stadt Tel-Aviv und seinen bunten Habimahturm. In seinem Stamm schnitt Meskin das Herz des Dybuk. Passanten grüssen uns mit dem Gruss des Friedens; Schalom klingt es aus unserem Munde zurück. Es reiten jüdische Cowboys im Galopp auf noch ungebändigten Pferden durch die Allenbeystreet, über die brausende »Wildoststreet« an den Strand, die jungen schnaubenden Pferde zu baden. Ein Hufbreit und sie hätten einen Verträumten mit seiner Bagage, mitten auf dem Damm rastend, zermalmt und ich bin schon froh, dass seine dichterische Ader verschont geblieben. Ich eile den grausam Erschrockenen zur Hilfe; zum zweiten Male im Leben, da ich ahnungslos, wess Kind, unseren lieben Spielgefährten und wundervollen Dichter Stenz-El Abram rette – das Leben .... Ach wir trabten oft aus unserer romanischen Oase kommend, dem Romanischen Cafehaus, noch spät in Sommernächten einfältig im Singsang, zwei erhabene Dromedare – heimwärts, müde durch die noch wache glitzernde wundervolle Stadt Berlin.

Die liebreiche Malerin vermutlich zu tief in Stenz El Abrams Jordanaugen geblickt, füllt selbst ein Glas mit schäumender Milch für ihn, das zweite für mich. Ich erhebe den Kelch und bitte ums Wort:

[106; 2:157 458] »So höret, liebe Leute diese Mordsgeschichte:«

Um eines Verses wegen,

Den zu packen hat vergessen

In seine Reisetasche zu dem Essen

Und zu den Kragen er zu legen,

Um eines Verses willen ......

Hört Ihr lieben Leute:

Es handelt sich um eines Dichters Vers!

Und nicht um leerer Worte Hüllen.

Reist Stenz El Abram nach Europa heute.

»Bravissimo Bravissimo, Liebe Dichterin!« Meine Tischgefährten applaudieren, Stenz gerührt. Wir ohrfeigen uns burschikos wie einst in Europa.

Nur Juden passieren unseren Caffegarten. Auf der andren Seite der Strasse geht der Bürgermeister, er gefällt mir. Er lächelt über unseren Frühstücksschmaus. Die Tel-Aviver erkennen die harmlosen heiteren Jerusalemiter und umgekehrt der Jerusalemiter, den von der ruhlosen Meerstadt zur Erholung nach der ruhenden Stadt gereisten erregten Tel-Aviver. Hier sind alle Menschen Juden, neue und alte vergilbte und blühende. Der Soldat, der Richter ist Jude, der Polizist und der nette Bürgermeister, der uns eben zunickte.

Eine Stadt aus Juden, gefüllt mit Juden; doch gastlich empfängt ein jeder der Juden, den Andersgläubigen.

Es betrachten mich wieder Menschen – manche stützen auf dem Mauerzaun in die Hände ihren Kopf, mich entgeistert im Profil En fasse zu beobachten. Ein Makkabaer setzt über den Stein und boxt mich vor übermäßiger Freude: Knok Out!

[107; 2:157 743] Es drang die Kunde bis ins Heilige Land, ich sei gestorben. Unter Cymbeln, Harfen und Posaunenornamenten brachten mich die Pressen allesammt zur ewigen Ruhe.

Es genügt, nach Palästina kommend, sich niederzureissen, sterben ist gar nicht notwendig, um sich neu aufzubauen. Ganz Palästina ist ein »einziger« Bauplatz; selbst vom Urmörtel und Urlehm und Resten: Materiensatz noch bedeckt. Und schon lagert in Felsenspalten neues Material zum neuen Aufbau! Vergehen und entstehen, sollte auch der Mensch mit ganzer Seele ein Jeder der ins Heilige Land einzieht. »Die Toten aber, die Lauen, sollen die Toten begraben.« Ich liebverehre Jesus den Propheten aus Nazareth wie Moses, Jeremias, Elias, Jessaya und die nach ihm auf Erden gewandelten. Unser Gott wird mir, seiner geringsten Dichterin, nicht als Indiscretion anrechnen, verrate ich das Geheimniß der Allenbeystreet. Sie war die erste der Wege, den Gott erbaute führend zum Strand. Über das sein erstes Gespielenpaar ans Meer eilte. Geklügelt corregiert mich ein Besserwisser: Die Strasse sei doch erst vor nicht allzulangen Jahren erbaut! Ausgegraben, Herr Professor, wie ganz Palästina ausgegrabene Mumie, es fehlt, ich erschrecke, noch der auszugrabene – – Kopf.

Wir schreiten alle zusammen, in einer Reihe Hand in Hand an den Strand. Gemächlich, kamelisch senkt sich die herrlichste Street aller Welten herab ins fließende Tal, verwunschen ins Meer. Unwirklich schwebt ein betender Schein über die rauschende Ewigkeit. »Gottes Geist schwebt über die Wasser ...« Viele gute Menschen wandeln durch den Sand, gläubige Hebräer, die aus allen Ländern kamen, aus Spanien meines Großvaters Heimwehland, aus Portugal, Persien, Sarmakand und Abbessinien. Ja, jüdische Chinesen umarmen wir und Königen aus dem Mohrenland reichen wir die Hand. Die vielen sanften Juden die aus Polen und Galizien pilgerten ins Heilige Land, einfältig hängt die feine Hand, die nur das Buch des Testaments [108; 2:157 745] pflegt aufzuschlagen, aufrollt die Heilige Thora, am schlichtumhüllten Arm zur Seite.

Auf wen warten »diese« Juden hier in Palästina? Sie stehen vor dem Tor der Heiligen Stadt um es zu öffnen dem Messias. Und kommen, sich zu versammeln mit den Judenvölkern einen neuen Tempel aufzubauen Adoneu. Und graben in der Meerstadt nach dem Gold der Seele und nicht nach Gold. Nach Gott! Wie Spreu zerfällt des »tüchtigen« Juden hier gegrabener Dukat. Wer rief einst ins Gelobte Land den Pionier? »Gott Selbst, Gott Adoneu!« Wohnt Er nicht überall, vom Himmel auf die Erde steigend? Jerusalem ist Seine Wohnung, die seines Pionieres hinterlassene Bauernschaar dessen Beete der Collonist und seine Colonie pflegt.

Ein greiser Goldgräber erzählte mir einmal von den Feldern Südamerikas, kindisch beglückt schlecke der Goldgräber das gefundene Goldkörnchen wie ein Kind ein Bonbon.

Es ist Zeit – Wir klettern wieder die Allenbeystreet empor. Auf seinem Balkon steht der liebe feine Dichter Salo in dessen Haus ich den Morgenschlaf hielt dessen Frau mich [109; 2:157 748] aufnahm wie eine längst erwartete Freundin. Wir müssen noch einmal mit dem Besitzer der berühmten Bar: Halloh an der Welle gelegen, umkehren, und seinen Palästinawein probieren. Eben gerade photographiert Tel-Avivs berühmtester Photograph? Ich vergaß seinen Namen, den an den Abenden sich in Liedern produzierenden Negersänger. Der liebenswürdige Architekt fragt ihn, wie Palästina ihm gefalle? Auh – meint er auh!! .... Denn er blieb sich selbst schuldig die schwierige Frage. Wie jeder im Lande. Und man sollte auf anderer Weise den Zweiten examinieren. Wie du in Europa zurückgekehrt mich gefragt: »Wie ist Palästina, liebe Dichterin?« »Anders!« Anders wie Italien wie Spanien wie Frankreich wie England Griechenland Deutschland Holland also wie alle Länder aller Erdteile der Erde und wahrscheinlich aller Sterne eingerechnet Sonne und Mond. Wenn ich auch nicht die ganze hererzählte Gesellschaft jedes einzelne der Lande bereist, so doch im Traume. Dafür hat schon die Ewigkeit gesorgt. Nach europäischen Geschmack ist Palästina vielleicht sogar hässlich. Stein immer Stein wenig Grün aber dafür guckt die Erde aus roten Augen und der Himmel blüht beständig neu in allen Nuanzen aller Farben. Uraltes Tulagraues Land in bunten Bändern geschmückt, doch keine steinerne Urgrossmama etwa in lilaner Haube strickend im Steinsessel den steinernen Strickstrumpf.

Ein tausend mal tausendjähriges Land ist Palästina der Bruder des Himmelreichs. Der Himmel erhob den Gelobten Bruder in den Melechstand; wir Juden sind Palästinas Vasallen. Hört Ihr Völker der Welt schliesst Frieden mit uns die wir nach Frieden dürsten um unsres Bruders wegen um des Himmelreiches wegen. Amen .........

Aus Jerusalems heiligen Fels brach der Schöpfer den Stein zum [110; 2:157 462] Bau der Welt.

Wir Juden beten hinter seinen Toren für den Frieden.

Meine Architektenfreunde arbeiten in ihren Ateliers. Der fleissige geniale Bauherr zeichnet mit seinem Famelus neue Häusercollonieenpläne; Gewerett malt eine verschleierte vornehme Araberin. Ich habe mich in der Zeit, den ganzen Nachmittag in den Gassen Jerusalems herumgetrieben und ruhe nun im Garten, Ben Gabriels aus. Wir kannten uns schon von Europa her und ich bewunderte so oft aus der Perspektive der Journale, seine gewandte begabte – Füllfeder. Mit dem Schriftsteller und seiner testamentarischen Gewerett sitze ich unter zauberhaften Bäumen wie ich schon einmal unter solchen Zweigen sass in Bethlehem noch vor paar Tagen. Lauter Herzchen wachsen auch hier zwischen lieben Blättern und aus einer herzgeformten Blume scheint es rosa über den kleinen Rasen. Gewerett Gabriel versucht mit ihrem Fächer, eine immerwiederkehrende goldene Mücke, den Strahl der Sonne zu verscheuchen. Mich hat sie nie gestochen. Aus dem Ziehbrunnen kommt eine grosse Wasserkröte gekrochen, mit einem – Krönchen auf dem Kopf und setzt sich zahm zu Geweretts Füssen. In Jerusalem sah ich nie einen Menschen der dem Menschen, und kein Tier, das dem Tiere was zu Leide tat. Oft kam ich dann wieder an Ben Gabriels Gartenzaun vorbei, oft trat ich heimlich durch die Pforte, nach Mücke, Kröte und dem gastlichen Schriftsteller und seinem schlanken Weibe sehen.

[111; 2:157 464] Die Künste beginnen zu prangen, die Talente regen sich in Palästina; Genie schäumt über! Das Heilige Land liefert starkes Extrakt, es gedeiht jede der Musen. Einige Tropfen vom conzentrierten Zauber, verursachen schon magisches Fühlen und verklären den Blick. Doch gilt es Verzaubertes zu verdauen, den unendlichen Zauber des Landes einzuverleiben zu vermischen mit Körper und Seele.

In Glaceehandschuhen pflegt der Ästetiker den Pinsel zu tauchen in die Farbe. Und oft von seinem Ockergelbe übermannt, schreibt über sein Gemälde an der Wand, unkundig der Kritiker, Hymnen. Vor den Ästeten hüte man das göttliche Antlitz der Kunst! Er ist der künstliche goldene Zahn zwischen den echten.

Bin nun wieder ein volles Jahr in Europa. Jerusalem und sein Land liegt lange schon hinter mir und taucht doch auf lächelnd in meiner Phantasie und belebt mich mächtig. Die Dichtung und die Malerei meine beiden ständigen Begleiterinnen beginnen in sich die Wohltat der Heiligen Stadt zu spüren ihre stärkenden Folgen. Still geht die Zeile meiner Verse auf und die Blüte ihrer Seele. Das Bild der Schrift. Gott liess mir Zeit und Weile. Die sollte auch nach Seiner Weisheit, der Mensch dem Künstler lassen, und vor allem er der Dichter der Künste sich selbst: [112; 2:157 466] der sich verantwortlich fühlt für seine Gabe. Man lasse ihm Zeit!

Kunst ist Wein. Der will gähren, sich filtrieren; und je länger und ungestörter der kostbare Most im Herzen des Künstlers ruht, desto unvergleichlicher des Kunstwerks Blume.

Nicht vom Balkon meines jerusalemitischen Gasthauses aus, zeichnete ich die Chassidimväter am Phingstmorgen zur Klagemauer pilgern; erst angelangt in Europa, in meiner Stube in Zürich. Vor seinem Fenster erheben sich schneebedeckte Berge und der See bespühlt ihre grünen Füsse. Aber in meinem Herzen ragt Palästinas erzalter Fels. Und ich höre himmlisch die lieben Collonisten aus ihrem Emek kommend, singen; Jerusalem weint vor Glück ......

Auch die übrigen Bilder meines Buchs zeichnete ich nicht an Ort und Stelle, aber vor meines Raums Fensterscheibe, im gastlichen Schweizerlande, mit meinen morgenländischen Augen.

Ich war im Bibellande, das nicht von dieser Welt.

Vernimmt man auch nicht in den Meerstädten und Flecken Palästinas das Klingen der Cymbel und späten Harfenton Jerusalems, [113; 2:157 469] so bewundert man den uralten, labyrintischen Rythmus Tel-Avivs, den bestrickend in sich verstrickenden und wieder methodisch entknotenden. In dieser ozeanischsten Stadt der Meere beweist sich wie nie das Talent der Juden zur Organisation. An Verkehr jede Hauptstadt überbietend, an Gestalt Tel-Aviv klein. Aber jedes seiner Winkel gegliedert und gestimmt, ohne die respektvolle ursprüngliche Wüstenwildniss zu verlieren. Vor dieser ehrerbietigen Leistung, vor dem ewiglichen Angesicht der Natur, beuge man sich .... Der Mensch der unmethodisch in ursprünglicher Schöpfung elementaren Wachstums schaufelt, entwürdigt Wildnatur zur Unnatur, untergräbt ihren von Gott geschaffnen Ursprung. Vom ersten Tage des Lebens an, gab das unendliche Draussen, zu Haus bei Gottvater, ein Vorbild dem Menschen die Welt zu bestellen. Alle die Meerstädte Palästinas spielen mit ihren Bewohnern und nehmen den Fremdling schließlich haschend am Strande gefangen. Spielend erbaute man gegenüber Jaffa die brausende Hebräerstadt, spielend schoss sie auf wie Hochflut nach der Gottmethode der Schöpfung; sie schritt unsichtbar der Meerstadt belehrend voran.

Auch in der Umgegend Tel-Avivs beschäftigen sich Colonisten mit dem Bau der Äcker und der Zucht der Wolltiere. In der gesammten Welt suche man anspruchslosere Landleute wie die Chaluzim, das hebräische Bauernvolk. Nicht eine der weissen Schaumperlen der Kuhställe, noch eine Beere des Rebstocks ihrer Weinberge gönnen sie sich zu geniessen. Fasten an ihrer Hände unermüdlicher Arbeit. Deren Betrag kommt dem Allgemeingut des Heiligen Landes zu Gute, dem Ankauf Palästinas zum Segen. Wieder zu kleiden neuerworbenes gebenedeites Land, die Heilige Braut – blütengeschmückt Gott heimzuführen, der Chaluzim [114; 2:157 470] inbrünstig fromme Hoffnung. Es enthält sich genügsam der jüdische Bauer und seine Bäuerin der Delikatesse des Feldes. Doch beschliessen nach getanener Arbeit mit Bücherlesen oder Schachspiel und fröhlichen, unschuldigen Bauerntänzen, begleitet von der Harmonica, die jüdischen Landarbeiter ihren Feierabend. Herr Zebaoth hat diese jungen, fleissigen Juden besonders in Sein Herz geschlossen; Er spricht zu den begüterten Brüdern, zu jedem einzelnen der Schaar: Wirb um Mein Mir teures Land, jeden Fusstritt, den du erstehst, hast du Mir – gekauft – dem Ewigen .....

Palästina als Vorhimmel des Himmels gedacht, als Grenze zwischen noch unerlöster Ewigkeit und Ewigkeit, steht im Zeichen des Raum und Zeitlosen. Beileibe nicht alle seine Einwohner erfreuen sich eines Ewigkeitsherzens. Doch die Mehrzahl unter den Juden und den Andersgläubigen. Sie tragen in sich die Seele mancher Bibelgestalten.

Freitagnachmittag ziehen unsere Chaluzim aus ihrem Emek im holden Gesang durch die Strassen Jerusalems. Ich sehe sie mit Entzücken schon von Ferne über den Jaffaroad herabschreiten – ins Tal. Keusch sind sie, die singenden Söhne und Töchter des Emeks. Palästinas Tauben, mit den Augen des spähenden Vogels. Das längst heimisch gewordene Bauernvolk des Gelobten Landes! Als Schulkinder betrachteten sie in ihren Bibelfibeln sehnsüchtig die brachliegenden heiligen Ebenen und trockneten im Traume schon ihre Sümpfe. Nun sind sie in Wahrheit die Guten Hirten und Hirtinnen Palästinas geworden. Vor dem neckenden Winde, birgt die hübsche Bäuerin ihr flatterndes Haar, wie Europas Bäuerin, in ein geblümtes Tüchlein, unterm Kinn [115; 2:157 473] sorgfältig gebunden. Die Jerusalemsonne entfärbt die Brunette heimlich beim Säen und Ernten ihres Ackers, eine Nuanze heller; die Schwarzhaarige: nussbraun. Ich begegnete noch nie in südlichsten Ländern auch, so vielen blondgelockten Kindern wie in Palästina. Ein neues Spiel der Natur: blonde et noir, deren Erfinderin wahrscheinlich die Sonne ist; wenigstens dahinter steckt. Die goldblonden Kleinen gucken aus blauen unschuldigen Augen lammselig. Viele ungarische, polnische, galizische Juden, flüchteten in das Heilige Land; Sie verstehen mit grosser Geschicklichkeit die Haarsträhnen ihrer Schläfen zu ringeln, oft nicht ohne Eitelkeit wie namentlich die jüngeren der Ostjuden. Oft fallen ihre beiden frommen Locken herab, ja, bis zur Hüfte. Der Ostjude noch im Rahmen des Vaters und Grossvaters ist stolz auf die Lockenzierde seines Hauptes, würde sie sicherlich vermissen, auch wenn es ihm religiös gestattet, sich von ihr zu trennen. Nur, der sich modernisierende Ostjude Europas, in die Hauptstadt gereiste, entfernt entschlossen die altväterliche pietätvolle Mode zunächst mit der scharfen Kante eines Steins. Im guten Glauben naiv, das Gebot nicht verletzt zu haben, das ihm untersagt, mit Metall, das ihm gewachsene Schläfenhaar zu fällen. Jeder Tracht, vermute ich, geht ein heiliges Symbol voran, man spürt seinem Ursprung selten nach. Der Träger gewöhnt sich an seiner Tracht, sie wird dem Tragenden lieb, ein Bedürfniss sogar, sie wird sein Schmuck wie hier beim Ostjuden. So manchmal bereitet mir vom Jaffator her, artig voranschreitend, ein ganz junger gallizischer Jüngling langaufgeschossen den Weg. Ich betrachte seine wohlgepflegten Paas (Payes), die der warme Wind über seine hageren Schulterkanten weht. Manchmal rastete der grossgewachsene Knabe vor dieser oder jener Fensterscheibe eines Magazins oder vor blanken wiederspiegelnden Marmorpfeilern einer Tanzbar, die halbwegs sich geöffneten zwei Locken aufs Neue zu formen. Die ausgewachsenen Ärmeln seines langen, schon grünlichschimmernden Kaftans versetzten ihn in scheinbar geringerer Verlegenheit, als die beiden widerspenstigen Locken unter seinem Schabbesdeckel. (Schabbatthut.) Aber die ramponierte Kleidung erinnerte neben der Geste seiner Nonchalence an einen verarmten Judenprinzen aus alter jüdischer Fürstenfamilie.

[116; 2:157 475] Im ältesten Gasthaus, schräg gegenüber des Cinema Zion feiert wiederum eine eingeborene Hebräerin und ihr Verlobter, Hochzeit. Es spielen, wie es in Jerusalem so Sitte, die blinden Juden der Stadt zum Hochzeitstanze auf, und feierlich drehen sich die Hochzeitspaare im geschmückten Saale um am Nachmittag selbst das kühlende Dach zu beehren mit Polka und Walzer des altväterlichen Hochzeitshotel. Blindversunken bis auf den Grund ihrer Herzen, sitzt der blinde liebe Spielmann neben lieben blinden Spielmann, spielen Hand und Mundharmonika und Flöte und Geige und Trommel. Hellseherisch schauen sie sicherlich viel intensiver und deutlicher alles wie wir mit sehenden Augen sagte ich zu meinem Nachbar, der wie ich den Tanzenden zuschaute und mit mir den Chor erblindeter Engel betrachtete. Eine Wolke schnellt plötzlich über den lilasammtnen Himmel: »Ein weisser Geyer!« Rufen die Hochzeitler »Er bringt Glück dem jungen Paar.«

Man liebt es vor allen Dingen in Jerusalem sich in hebräischer Sprache, Jude und Jude zu verständigen. In Jargon sich zu verständigen, liebt der jerusalemitische Jude nicht. Zumal die Ostjuden die aus religiösen Familien stammen, fast alle der hebräischen Sprache mächtig. In den Schulen und auf der Universität Jerusalems lehrt man auf hebräisch.

[117; 2:157 477] Die Sprache ist das Gewächs jedes Landes, aber sie vermag sich, wie ihr, sich in ihr verständigender Mensch, zu naturalisieren, umzulauten, umzupflanzen auf ihren Urboden zurück. Als Kind lasen meine Augen instinktiv die Harfenschrift unserer Sprache: Hebräisch, spielend – die Gottesworte. Und ich weiss noch sein mächtiges und tiefstes Wort wie zum ersten Mal – auszusprechen: »Schma« .... So beginnt der Hebräer andachtsvollstes Gebet. Ich betete es noch neulich im Schabbatthause des feinen Dichter Agnons. Mich fragen christliche Freunde, ob sie sich, der hebräischen Sprache unkundig, in Palästina verständigen werden und sich wohl fühlen? Die Mehrzahl der Westjuden beherrschen leider, ich dazu gerechnet, unsere alte Sprache nicht; sind auch viele fähig sie zu lesen. Es erwartet kein hebräischer Einwohner vom Andersgläubigen eine Conversation in den ungeheuren Urbibelworten der Hälfte der Juden selbst ungewohnte Klänge.

Die sich überstürzenden Silben und Laute in der Sprache des Ostjuden, beruhigen sich hier in Jerusalem. Man hetzt ihn nicht mehr, im ruhigen Ruhendem Lande, auch ihre hastigen Gebärden, die viele tiefreligiöse Worte begleiten, mässigen sich unter dem Frieden der Sonne. Sie liegt immer aufgeschlagen am Altar des Himmels und der Jerusalemiter liest knieend im lilagebundenem Buch.

Würden alle Herzen ineinander fliessen liebevoll, erhellte sich wieder die ganze Welt und ihr Geschöpf. Es keimte langsam wieder Paradies. Dieses lehrte mich Jerusalem. Oft fallen Sterne von Oben und ruhen magisch mitten in der Luft müde vom Flug. Neigen sich über den pyramidischgeformten Felsengipfel, ihn zu küssen. Dieses lehrte mich der Kosmos, der alte Astrologe aus seinem Sternenalbum.

[118; 2:157 479] Man lernt so vieles in Jerusalem; Dinge an die man nie dachte, aber die die Hauptsache zu erfahren bedeuten auf der Welt. Zwischen Gemäuer und Gemäuer, erzählt die Sage, fand man von Adoneu auf einem Streifen Nacht mit dem Licht der Liebe gezeichnet, den göttlichen Plan der Heiligen Stadt.

Zwei hervorragende Maler malten schon in Europa die feinen, weisen und unwirschen Gesichte der östlichen Juden in ihren langen Bärten. Heute leben die beiden verdienstvollen Grosskünstler: Herrmann Struck der Professor, und Jakob Steinhardt unter Palästinas Himmel. Struck auf Haifas Carmel, Steinhardt zwischen Jerusalem und Jerusalemrechavia. Heute brauchen sie beide nur hinein zu greifen ins jüdische Menschenleben.

Mit unermüdlicher Geduld malt der Maler Bild auf Bild, der Musiker gleitet mit sich fort auf den lockenden Wellen seiner Symphonieen, der Dichter spielt fangen mit seinem Vers. Von Dorin dem aussergewöhnlichen Trampeltiermaler sind wieder Bilder der edlen Wüstentiere zu sehen in den Salons: Steimatzkis. Jedes Bild bedeutet mir ein Brief aus der Wüste; aus Dorins Bildschrift versteht selbst der ungeschulte Graphologe den genialen Charakter des Zeichners zu lesen. Schwerbrausend fliesst die Dichtung jeder Kunst in das empfangende Herz. Ewigkeitssubstanz, Zeit und Raumüberwundene Materie. Dem Künstler ist vererbt ewigliche Ewigkeit. Ist er doch der Nachkomme, ja der Vorchaotischen Welt; er weiss wie es »damals« war. Er trägt nicht die Miniatur des Zifferblatts der Turmuhr um seinen Hals, in seiner Tasche die Taschenuhr, sich nach ihr zu richten; er richtet sich nach dem Zeiger des Universums; weiss darum immer was die Uhr geschlagen ..... Und sein Nachbar täte gut, sich bei ihm zu erkundigen – ob noch Zeit? In Palästinas Zion tickt die Weltenuhr; es leuchtet ihr Zifferblatt und liebreich zeigen die zwei Zeiger auf immer heiligere Stunden. Und am Mittag läutet es Frieden – jeden Tag. Niemand ruft dich dringender und vernehmbarer als die Glocke des Friedens.

[119; 2:157 480] Ich habe als Kind so oft Jerusalem gezeichnet und ein Verschen darunter gedichtet. Nach Jahren fand ich die Kinderbildchen und ihren Reim, alle zerknittert in der Schublade meines Tischchens, das mir mein Papa einmal kaufte mit Tellern, kleinen und Gläsern Messer Löffel und Gäbelchen. Unter den Tellern befand sich ein heizbares, aus das ich abwechselnd mit meinem Papa die Suppe ass. Man stellte ihm das geheizte Tellerchen in Wintermonaten vor seinem Platz und jedesmal verbrannte er sich die Zungenspitze. Kaum erinnert sich der Mensch aber seiner Produktionen aus den Kinderjahren sie dienten ihm eben meist nur zum Zeitvertreib. Malt oder musiziert oder dichtet es auch genau so innig und stark oft schon im Kinde wie im aufgewachsenen Künstler, ja vom selben Wert und im selben Masse bei ihm gar noch ursprünglicher und urkräftiger. Handelt es sich um ein von Gott mit ewiger Kunst ausgestattetes Kindlein, wie dem meinen in meinem Heiligen Buche verewigtes Kind, wie mein Wunderkind, das mit einunddreiviertel Jahren noch in seinem hohen Kinderstuhl, den Raben zeichnete. Betrachten Sie ihn und Sie begreifen mein Entzücken. Gerade das Kind noch frei von dem Allerlei des Lebens und von sich selbst nicht gehemmt, ist im Stande unbeschwert zu versinken in die Kunst ja es badet mit roten Backen und leuchtenden Augen in ihrem lebendigem Quell.

Palästina ist das Kunstwerk aller Landschaften der Weltgallerieen. Sein Anblick erschüttert den Angelangten Unser Palästina nach Gottes Kinderzeichnung Meisterbild erbaut.

[120; 2:157 482] Es übt sich gastlich der Jude den Andersgläubigen zu bewirten in seinem Haus, ihn aufzunehmen, auch zwischen ärmsten Wänden. Auf Gerechtigkeit und Gastfreundschaft reagiert das Heilige Land und seine hebräischen Stuben. Die Einwohner Palästinas, die Wahrheit die Ehre, nicht begütert, der dortige Heimatjude arm. Luxus sah ich nie auch nicht unter den wohlhabenderen Juden der Jerusalemstadt. Je, weder auf den Strassen noch im Theater und Cafehäusern. Die arabische Frau verschleiert im undurchdringbarem schwarzen kurzen Schleier verbirgt sie ihr Gesicht. Viel eleganter, vielfach nach pariser oder londoner Mode gekleidet, promeniert sie über die stillen Wege der Stadt. Vor den Schaufenstern der Confektionsläden erblickt man, hat man Glück, kurze Augenblicke schlägt sie den Schleier zurück, mit unverhülltem schönen Angesicht arabische reichere Haremsfrauen. Ihr gepflegtes goldhäutiges Gesicht entzückt mich wie ihre schmalen manicurten Hände und die feinen Füsse in feinen Lederstifeletten. Manchmal lächelten wir, nippte ich neugierig von ihrer seltenen Schönheit. Arabische Kinderlein spielen mit hebräischen Kindern zusammen in den Gässchen des Jaffaroads. Gute Kinder wie die Himmel unschuldsvoll, sie halten zusammen. Wir Menschen alle haben »einen« Himmel ein Jerusalem, warum nicht »eine« Erde?

[121; 2:157 483] Ist nicht die spielende Liebe, der Bilderwolke in ihren vielen Variationen gleich? Die einmal weissgeformt, das andere Mal lilalila oder ein schwarzes Sagentier sich über den Himmel ausstreckt, als wollte es das Reh, das viel viel hellere, packen. Müde des Spiels hüllt der Himmel sich in seinen grauen langweiligen Kragen und regnet trübe zur Erde herab. So überrascht uns Menschen genau die Trübsal, mitten im Spiel der Seligkeit. Das Glück lässt sich nämlich wie das Unglück auch nicht lange ertragen; wohl von den Engeln, aber nicht wir Menschen verstehen Freude zu bewahren im Herzen friedlich. Ach mancher Blume Leben würdest du verlängern wenn deine Hand sie friedlicher betreue. Der Stern Davids erblasst in der Kuppel des Tempels, vergänglich des Kirchturms Geläute, auf wankendem Boden die Moschee, so lange spaltet den Frieden der kampflustige Mensch wie das Holz der Bäume.

Hochaufgerichtet schreitet wie die egyptische Frau der Pharaonenzeiten die arabische mit der Hebräerin Jerusalems den Krug zu füllen an den Brunnen Jakobs. »Sie gehörten einst alle ihm«, erzählen sich die Morgenländerinnen. Die Frau aus dem semitischen Volke liebt die magischen Farben der Sonnenflecke, die das eintönige, sandfarbige Kleid Palästinas mit süssen geheimnissvollen huschenden bunten Schatten belebt. Mit Vorliebe kleiden sich, sogar am Alltag, Mutter und Kind im Volke in Rosaseiden. Ein Ölfleck im Rock oder mitten auf dem Rücken, verursacht beiden keine Kopfschmerzen. Sie pflegen ihn oft noch nicht einmal zu bemerken oder er erinnert sie an des Olivenbaum sanfte oelische Frucht. Und ihres Zeichens sollten sie sich schämen? Wie dem Juden, so dem Araber, liefert die Stadt Jerusalem die gleiche Quantität Trinkwasser, sofort in die Kessel auf ihren Dächern. Der Muselmann verwendet das frische Trinkwasser zu stillen seinen Durst; zieht es vor, sich mit dem Öle des Landes zu reinigen; zumal der geschmeidige Saft die Haut vor’m Vertrocknen schützt und sie jung erhält. Der Jude aber, badet in der ihm zuerteilten Quelle, trinkt von ihr nur ab und zu, und kocht seine Speisen in ihrem Wasser, aber sein Glas zum Mahle füllt er mit Mitz (Orangensaft).

[122; 2:157 486] Aus Schläuchen strömt heiliger, labender Regen über Palästinas Felder, nach tausendjährigem Schmachten. So viel Wasser wird sein, ausreichend ein neues Meerbett zu füllen. Meer heißt: Jam auf hebräisch. Es freuen sich die Ebenangelangten in der Heiligen Stadt über diese Botschaft und ihre Augen werden gross. Ein blödsinniger Knabe lacht breit. Ich sehe ihn so oft mit Zeitungen und Lumpen mit seiner angefüllten Beamtenmappe unterm Arm in der City der Stadt; gravitätisch den Jaffaroad herauf und heruntereilen, immer geschäftig mit wichtiger Staatsmiene. Der, welcher ihn aufzuhalten sich untersteht, erweckt seinen Grimm. Sein Vater starb vor Jahren im Irrenhaus; dem fünfzehnjährigen Sohn beraubt man nicht wie damals ihn der Freiheit Sonne Wind und Sturm. Tut er doch niemandem etwas zu leide. Unter einem Feigenbaum auf einem Schutthaufen tronend, sehe ich ihm beim dinner manchmal zu. Paar Hände voll Maisbrei, von seinem »Mammammam« gespendet, holt sich der Knabe behutsam unter seinem langem Kittel aus den Hosentaschen hervor; kein Körnchen darf ihm abhanden kommen; und vermischt die armselige Pappe mit kleingekauten Orangenschalen, und verzehrt einsamlichst sein Mahl; denn selbst die Vögel beneiden ihn nicht darum. Wenn die Besucher aus dem Cinema Zion kommen, wartet der arme Blöde, am Cinemator gelehnt, entblössten Oberkörpers, bis der letzte Zuschauer das Theater verlassen, sich im Winkel des Vorraums zur Ruhe zu legen. Man lässt ihn gewähren, er dauert Jeden in seiner greisen grauen Haut. Eine aufrichtige Jerusalemfreude der Nächstenliebe erlebte ich, als mir die jüdische Äbtissin (ich nannte die Gewerett Du Cas so), die Gründerin eines gewissenhaften lieben Kinderheims mitteilte, sie habe die arabische Genehmigung erhalten, sich des armen Kindes anzunehmen. Seitdem liegen warme Decken hinter einem der Pfeiler seiner [123; 2:157 487] Schlafstätte, die er sich energisch weigerte zu vertauschen mit dem weichsten Bett. Auch serviert man, dank der Fürsorge der gütigen Frau, des blöden armen Jungen Vogelfreiheit respektierend, ihm unter dem Schatten des Feigenbaums, täglich ein kräftiges Mahl. Ich versprach der lieben Gewerett, sie sehr bald zu besuchen und schrieb mir die Adresse ihres Kinderheims in meinen kleinen Sohar, den mir ein junger Kabbalahschüler dedizierte jüngst. Gewerett Du cas. Mikochajim. Neben der Synagoge, hinter den 18 weissen Rosen. In einer Viertelstunde, von Jerusalem aus mit dem hebräischen Omnibus zu erreichen.

Vor ein paar Tagen las ich, wie von einem Palmenblatt, auf einer der Seiten der Züricher jüdischen Presszentrale Oscar Grüns, vom Tode des ehrfürchtigen Grossrabbiners Doktor Cooks. Nun liegt der grosse wohltätige Raw begraben in Jerusalems heiliger Erde; aber auch in meines schlichten Buches Psalmodie: Das Hebräerland. Oft begleitete mich im Geiste mein geliebter Junge, lieber wäre er wohl Augenfaltern nachgejagt, die erzalte, greise Gasse empor, die zu des bescheidenen Rabbunis Synagogentempel führt. Täglich aber eilten in meiner Phantasie mein Sohn und ich, zwei unzertrennliche Brüder, die herrliche Wüstenstrasse empor, Rechavia sofort in die Arme. Hier im Asienlande hätte mein Junge die blaue Wunderblume gefunden. Nie sah ich blaublauere Augen wie hier in Mädchenantlitzen leuchten, Sterne die doch eigentlich nur aus nördlichsten Landen schauen, umfranst von langen Wimpern.

Ich weiss noch genau, wie eines Morgens mein Kindlein einmal in mein Zimmer stürmte und rief: »Nun will ich aber endlich zu den Sternen, die Zacken sehen!!« Mein Kind war selbst eine glühende Welt eine kleine Wunderwelt mein Wunderkind. Es lockten ihn zu schauen die Zacken anderer Welten.

Aus Weltstoff, Tausendatom und Herz, bereiten Mensch und Mensch immer wieder nach dem Originalbild, des von Gott geschaffenen Menschen, immer wieder den Menschen. Vielleicht trägt der Fremdling, der dir begegnet im pochenden Gefäss unter seiner Haut, einen Granat, gedunkelt aus der Zeit deiner Wiedergeburt. Wie oft vernehme ich deines Herzens Rauschen in meiner Schläfe. [124; 2:157 489] Wüßte ein Jeder wie sich das mit seinem Dasein verhält, würde ein Mensch dem anderen Menschen nicht eine seiner – Zacken auch nur verbiegen.

Es begegnen mir wieder die kecken jungen arabischen Eselstreiber; Spielsachen bedeuten ihnen, Schauckeleselchen und Hottetotte – die geduldigen lebendigen Tiere. Streicheln sie hin und wieder wohl zärtlich über die Rücken, frisieren ihr Nackenhaar um sie dann wieder einmal zu prügeln, als ob sie aus Holz gezimmert. Oft entwickelt sich Streit, zwischen denen sich drollig verteidigenden Bengels und mir. Tagsüber tragen die Arbeitstiere, Steine in Körben zu beiden Seiten ihres Körpers, hin auf die Bauplätze. Im Grunde hat jeder der mutwilligen Knaben seinen Esel lieb. Und auch der Esel hängt an seinem jungen Herrn. Aber manchmal, müde des zu fühlbaren Spiels, pflegt das geplagte Tier mit seinem Hinterhuf scharrend den sandigen Boden aufzuwühlen, seinem Peiniger Sand in die Augen zu streuen. Ein Esel, erkläre ich den Fendis auf englischer Sprache, den aufhorchenden Eselsjungens, ist so gut ein – Mensch wie wir! Sie amusieren sich – lärmend geradezu. Ich aber spreche weiter, drohe ihnen: »Allah wird Euch strafen!« Sie senken ihre feinen Köpfe, täuschen mir Thränen vor, die kleinen Comödianten, wischen sich mit den Zipfeln ihrer Kittel die vorgetäuschten reuigen Tropfen aus den Augen; bitten inbrünstig mit ihren Händen beweglichen ab, um sie bald aufzuhalten alle – mit einem Mal mir bis unter der Nase. Ich verspreche ihnen zu dem Piaster, jedem von ihnen noch einen zweiten beizulegen, wenn sie sich ernstlich zu bessern vornehmen, ihre lieben geduldigen Esel brüderlicher behandeln in Zukunft. Auf einmal stand die ganze Eselsgesellschaft auf einem sandaufgeworfenen Hügel am Rande der Strasse fanatisch wie im Gebet in ihrer Moschee, sich vorwärts und rückwärts verneigend und beteuernd: »Allah ist Gott und Muhamed sein Prophet!« Stürzte gemeinsam die paar Hand voll Anhöhe wieder herab, beinahe auf meine Füsse! Der Achmed drückte seinem weissen iaschreienden Pharao einen innigen Kuss aufs Maul. Ich aber schleiche wie ein Indianer der sehr animierten Eselskarrawane lächelnd nach wie auf Kriegspfaden. [125; 2:157 492] Siehe da, – auf der höhergelegenen Strassenterasse erlebe ich dieselbe gewissenlose Züchtigung der armen Tiere. Aber einmal – nahte ein ehrwürdiger Allahpriester im weissen Togamantel und einem Bart aus Tausendundeinernacht. Noch im vorigen Herbste unterrichtete er die kleinen erschrockenen Treiber in der Lehre des Korans. Und ihre heimlichen Püffe und Fusstritte trieben die gequälten Tiere instinktiv nicht vom Fleck. Trotz des grossen Ernstes, musste ich mir doch das Lachen verbeissen; endlich befanden sich meine scheinheiligen, mir dennoch lieben mutwilligen Eselsjungen in der Falle. Mit dem Verlust des Jenseits drohte ihnen ihr ehrwürdiger, heiliger Lehrer. Seitdem erinnerte ich sie immer wieder an die ermahnenden Worte, liefen sie Gefahr – zu sündigen. Ich habe im Grunde das arabische Volk genau so lieb, wie das unsere im Lande Palästinas; das Volk der Hebräer. Die Freundlichkeit beider Semitenvölker tut einem gut. Wo ich auch weile unter ihnen; aber auch in allen öffentlichen Gebäuden, Läden, Shops und Wirtschaften begegnet man Güte.

Jeden Morgen reicht mir die semitische Beamtin, die Tochter eines Arabers und einer Jüdin, aus dem Regal des postlagernden Schalters verheißungsvoll einen Brief oder eine Karte von – »Europa«! Manchmal eine weissgeschneite aus der Schweiz, aus Zürich oder vom Berner Mosesbrunnen, die ich immer wieder schon so lange erwartete. Ich schenkte der entzückenden Araberin mein erstes Buch: Das Sant Petron Hille Buch und schrieb ihr etwas Schönes hinein. »Der Sant Petron Hille« sage ich: »War ein Dichter und ein Prophet gewesen, ein Dichterprophet aus dem Westfalenlande.« Und kam ich ferner Postholen, wiederholte die liebe Beamtin, übend meine Worte, »Derrr Sent Petron war eine Dichter und eine Prophet, eine Dichterprophet.« Einige von meinen exotischen illustrierten Büchern, verteilte ich unter den Siddis der Post, den feinen Beamten. Verwundert erkannten sie diesen oder jenen Juden, Araber oder Egypter aus meinen Illustrationen wieder; ja selbst den Medizinmann, den Indianer an meinem Hofe in Theben im Thebenbuch und – zwar – vom Cinema: Zion oder Cinema: Eden her. Und ich traute mich gar nicht zu gestehen, die Menschen meiner Bücher, meiner Phantasie entsprungen, so mit der Zeit in die Zeit. »Ich selbst«, der Prinz Jussuf sei. [126; 2:157 494] Und in Theben gegenwärtig regiere, sich seiner Thaten und Abenteuer bisweilen unbescheiden, rühme gerne, ja sehr gerne. Der Semite ehrt, hochverehrt den Dichter aller Künste und erst – die Dichterin unaussprechlich! Wie oft ruhte ich schon unter einer Palme in diesem oder jenem meiner Bücher oder ließ mich tragen von meinen schwarzen Dienern in einer Sänfte einsam in eine Wüstenoase und Karrawanen trabten an mir vorrüber. Oft wartete ich auf einen grossen Geyer dessen Kühnheit ich mir zum Vorbild nahm. Ja ich träumte unter meinem eigenen Himmel und meinem eigenen Mond. Der im Heiligen Lande besucht mich öfters in meiner Stube, seine bessere Hälfte zu Hause gelassen.

[127; 2:157 496] Noch heute in der Nacht stand er am Horizont angelehnt in seiner runden Positur und golden poliert, und ironisierte mich von wegen meiner baldigen Heimkehr nach Europa. Ich war gerade dabei ein liebes Heckenrosensträuschen, das ich aus dem Emek kommend, zwischen zwei starken Buchdeckeln getrocknet, in mein Herbarium zu den anderen Blumen zu legen; jede der einzelnen kaum aufgeblühten Knospen, legte ich vorerst auf Silberpapier liebevoll. Vor ihrer Colonie wartend, warfen an der Hecke meiner Lieblingsblumen gelehnt, ein paar der herrlichen Bauern mir das süsse Bouquetchen in den schon fahrenden Wagen mir in den Schoos.

Tief im Herzen Jerusalems, im Friedhofgarten, schlummern die Gebeine der gestorbenen Juden neben den Erzvätern. Jerusalem die Gelobte Stadt, trägt ein steinernes Kleid, aber in ihrer Stirn den Taudiamant der Sonne, in ihr bebt der Himmel. – Wir kommen an Denkmälern an kleinen und grosssicherhebenden vorbei; es scheint verschwenderisch das glitzernde Füllhorn des Himmels über uns dunkel vor Gold.

Die alten Felsfriedhöfe der Hebräer, manche noch aus der Zeit als die Juden durch die Wüste kamen von Egypterland her nach Palästina. Zwischen Steinhöhen die fast bis in die Wolken reichen, schlummert ein Friedhof, heroisch zwischen Gott und seiner Erde Tal. Mir wurde bange vor dem Tod von spähenden Höhen bewacht. Aber sein Frieden trägt das unsichtbare Bild der Gottheit um den Hals.

In Jerusalems Umgegend beginnen sich zu weiten die Pupillen der Augen, fast schmerzhaft wie bei mir. Das Auge muss eine nie gekannte geahnte Landschaftsgestalt umfassen lernen. Dieser Umstand des gewaltsamen gewaltigen Eindringens ungewohnter übergrosser Perspektiven, verursacht vorübergehend, das Unbehagen mancher Angelangten in Palästina. Ich wurde mir darüber klar; der berühmte Augenarzt Ticho in Jerusalem meinte zwar, es handele sich um mein ganz persönliches überempfindliches um einer Dichterin besonders feines Nervensystem; [128; 2:157 499] laut seines Augenspiegels der eine normale Pupillenweite constatierte. »Schein trügt«. Sagte ich: »und noch der Schein einer elektrischen künstlichen Birne.« Seebäder verordnete der lächelnde Doktor mir; ich doch gerade, tauchte empor aus einer der Badewannen des myrtenweissen bräutlichen Luxuslloyds: Espéria. Zweimal am Tage versank ich in die kleinen Meere der netten Badewannen, in durchwärmtes blaues Meerwasser, bis ich in Alexandrien eintraf, bar aller Schlacken. Wohltuenderes giebt es wirklich nicht – und heroischeres, wie auf einem Schiff zu baden, noch dazu im – Luxuswasser. Nur – durch Schiffsboden getrennt, vom tiefgründigem Ozean. Um Meerzubaden muss ich mich nun erst bequemen, in Jerusalem in den Omnibus zu steigen, nach Tel-Aviv mich zu begeben, angelangt, in der erregten Stadt und zuletzt durch die unsterbliche Allenbeystreet an den Strand. Aber ich paussiere einige Minuten vor des gastlichen Dichters: Salos Haus: Allenbeystreet 19. Vergesse auch nicht die liebe Schwester Joschuahs Mrs. Brandstetter zu besuchen des Habimahleiters Schwester und die vielen Schauspieler und Schauspielerinnen in ihrer wundervollen Pension neben dem Meer. Zuguterletzt kehre ich noch in eine Bar ein Halloh heisst sie und trinke vor dem Untertauchen geschüttelt nach pariser Recept, einen Punsch des Philisters; mögen sie über mich kommen. In einer der kleinen Lauben die oberhalb der Düne, nebeneinander, eine grenzt an der zweiten, artig den Hungernden einladen, nehme ich Platz. Ganze Familien speisen dort auch die Tel-Aviver mit Kind und Kegel für fünf oder sechs Piaster serviert der Wirt ein schmackhaftes dinner. [129; 2:157 502] Reichen auch alle die Gerichte nicht im entferntesten an Färweroffsche Süssigkeiten in Jerusalem:

Denk ich an die Chokoladenspeise –

Sei still, mein Magen mein –

Beherrsch dich weise.

Auf den vielen bequemen Liegestühlen liegen, viele schon »gebadete« Leute, sie wollen noch dem Spiel der Wellen zuschauen. Aber ich möchte mit ihnen herumtummeln. Bat-Myriam treffe ich mitten im Ozean, die maiglockensammtne hebräische Dichterin; wir spielen Ringelrei. Ein Beduine saust über den Strand vor ihm auf ungesatteltem Schimmel, sein Söhnchen. Ich höre die Stimme eines gestreiften Badeanzugs sagen, gebeugt zu einem weiblichen Badeanzug: »Ein jüdischer Bergbeduine, Agathe, einer von unsere Leut.« Bat Myriam und ich bestreuen mit Meersalz ihn und Meerweibchen bevor ich ihm den Rat erteile, sich nicht auf des wilden Bergjuden, Pferd zu setzen!

Nach Palästina kommen Juden gepilgert in allen Arten und Farben. Asketische jüdische Mönche übers Meer gezogen, erwartungsvoll das Gelobte Land zu sehen. Auch Erzväter spätesten Greisenalters und beben vor heiliger Ungeduld. Begüterte Familien reisen ein und bescheiden sich mit den schlichtesten Darreichungen der frommen Städte. In der roten Palästinaerde einmal begraben zu werden, im Lande der Propheten und Könige, erfüllt das Gemüt aller Juden. Aber – es kommen auch Juden in das Gelobte Land, zunächst von »Ihm« zu – kosten kaufen sich – für alle Fälle – ein kleines Grundstück und kehren – mit gutem Gewissen zurück nach Europa. Auf den Berg Carmel auf seinen bemoosten Tableau, war man auch gewesen, ass delikaten Meerfisch und andere Leckerbissen bei des Farmelusarchitekten Eltern im bezaubernden Grand Hotel Haifa. Die blauweiße Landesfahne weht von einem seiner Türme ins Thal. Aber auch unser liebreicher grosser Dichter, Arnold Zweig lebt versteckt wo hinter Johannisbeerbüschen und blauen Beeren auf dem phantastischen alttestamentarischen Berge.

Es steht Palästina nichts so schlecht zu Gesicht wie Lässigkeit; es muss der Mensch sich rühren hier, heilen und trösten vor allem arbeiten [130; 2:157 503] dem neugeborenem Lande helfen aufzuwachsen; in den Himmel zu wachsen. Arbeiten und Ruhen, nach dem Vorbild der Schöpfung und ihrem Gotte. Der Glaube an Ihn, an Adoneu nimmt Gestalt an in jedem Herzen und der hingebende Mensch lebt an der Hand des Glaubens.

Wie schön ist doch das Meer in Tel-Aviv! Viel schöner und heiliger wie alle die Ozeane, an dessen Ufern man ebenfalls ausruht oder wie die Wasser, die man vom Schiff aus betrachtet. Es tanzen hier die Wellen, lauter Tempeltänzer und Tempeltänzerinnen, ihre schimmernden Schaumgewänder fächeln dich und ihr Duft weihräuchert die ganze Stadt mit kostbarem Salzaqua. Auf dem Strand Tel-Avivs erhebt sich ein Schlaraffenhügel, ein Gerüst mit allerlei Morgen und Abendspeisen, die einem fast in den Mund fliegen. Lange ergötzen wir uns wie Kinder im Sande, immer gleich umlichtet von heller Welt. Ich erzählte schon einmal, es giebt keine Dämmerung hier im ganzen Lande Palästinas nicht und suchte sie selbst ein angekränkelter Poet. Tag! Nacht! Und wieder nach Nacht folgt der Tag und bedarf der bleichen bleifarbenen Vorgängerin nicht. Und nicht das Grau der Welt verursacht im Heiligen Lande oder das Ersticken des scheidenen Tags die Schwermut.

[131; 2:157 505] Ihre Ursache und ihre Depression, suche man in der fernwirkenden, seelischen Belastung des Gesteins rings um Palästina und seiner Ausatmung altalten Odems. Mancher Neuangelangte fühlt sich zunächst von den gewaltigen Steinernen Riesen alpartig bedroht; von einer Welt verkalkter, verkrusteter Landschaften auferstandener Urzeiten. Doch immer wieder findet das biblische Volk, bereiten Boden, sich einzuwurzeln in blutgeronnener Erde.

Auch in Tel-Aviv schaffen die nimmermüden kleinen Esel, Steine auf die Bauplätze und Mörtel. Hier in der Goldgräberstadt Palästinas geht alles eine Spanne Zeit vor, alles kommt schneller und geschäftiger an den Ort wie in Jerusalem. Überall wartet ein Gerippe auf sein steinern Fleisch; Haus zu werden und erwärmt durch Bewohner und Gastfreundschaft: »Aval at Tochel aipo.« (Bleibe zum Mahl.)

In Palästina wusste ich nie – wieviel Uhr es gerade; dachte auch nicht an die einzelne Stunde, ihretwegen noch meinetwegen auf die Uhr zu blicken. Was untersteht sich eigentlich der Mensch die Zeit zu controllieren. »Dem Glücklichen schlägt keine Stunde.« Sagt ein Sprichwort. Wie glücklich also bin ich im Heiligen Lande gewesen!

Tage und Nächte verweilt der Gast bei seinen Freunden; in ihren Räumen läutet keine Wanduhr. Dem Dichter überings, schlägt nur die eine Stunde: Die seiner Geburt und seines Todes. Er ist, wie ich schon einmal gemeldet, der Zeitüberwinder, aber auch der Raumüberwinder. Des Dichters Herz ein einsamer Abenteurer, der der menschbemessenen Zeit und maasberechneter Häuslichkeit, wenn auch nach – langem ernsten Kampf, mutig und unwiderruflich den Rücken kehrt.

[132; 2:157 506] Der künstlerische Mensch lebt in zwei Welten zugleicherzeit. Ich wusste in Palästina angelangt, ich befand mich nicht mehr in der mir liebgewordenen Stiefwelt, ich kam aus ihr in diese nicht von dieser Welt Welt gereist. Was beweist mir die hirnklarste Logik gegen eine Offenbarung? Die Offenbarung ist nicht zu lernen nicht zu lehren, da sie sich nicht in einem sichtbaren Körper wie die Logik befindet und wie die Logik Möglichkeit bietet, betrachtet zu werden und zu betrachten. Darum ist der Heilige Gott unsichtbar, da er in keiner Leibesräumlichkeit Sich einfing. Sich ausbreitet und Sich (Wie Lurja sagt) zusammenzieht, Raum für die Welt zu schaffen. Es wäre also auch Gott, gebe es keine Welt!

Für das – Fach der Offenbarung giebt es keinen Lehrstuhl. Sekten zimmern öfters ein gemütliches Kanapée für ihren göttlichen Meister und formen aus schwarzweissen Käse sein Bild: wie in der Friedensstadt bei Berlin dazumal:

Verstands im Trance,

Die Hörer zu bekehren

Ganz und gar

und gar und ganz.

Und seine Engel

Bewegten sich am Bande Gängel.

Oder umgekehrt.

In Ganz Palästina giebt es so etwas nicht; Dort ist der Mensch ich spreche von Jerusalem, einfach fromm.

Aus welchen Stoffen besteht die Offenbarung? Es wurde mir offenbart: »Aus einem Bröcklein jenseitiger Erde und einem Hauch Heiligen Geist.«

In Jerusalem fragt so oft einer den anderen: Bin ich noch auf dieser Welt? Auf der Erde meint er. Und verwechselt dieses Erdreich schon mit der jenseitigen. Als Vorwelt des Himmels wählte Gott unsere Fromme Stadt Jerusalem. Er erhob die Auserlesene zur Allerheiligsten der Himmelswelt. Nach diesem Allerheiligsten Vorbild baute der weise König Salomo den ersten Tempel der Gebenedeiten Stadt.

Die holde tausendmalsteinige Stadt birgt hinter der rauhen Schale ihrer wuchtigen nackten Felsen, Amethist, Hyazinth Crysolit Blut und Milchachat. Wie freut sich Gott über Seine Menschen, die sich zufrieden bewegen in den Hängen und Gängen des ihnen geschenkten Landes. Segnet die, welche nicht zu hoch bauen, sich nicht überheben. Es schmerzt Ihn jeder Fehltritt, doch in ihrem frommen Wandeln heilt die Welt. Der Herr liebt alle Seine Menschen mit Seiner gleichen Liebe! Alle Menschen, in welchem [132 (Fortsetzung); 2:157 508] Lande und Erdteil auch; die weisshäutigen wie die gelb und dunkelhäutigen; wohnen sie doch alle in Seinem Odem. Aber nicht alle Menschen, auch selbst nicht die in Jerusalem leben in Seinem Herzen – Sein Herz ist: Jerusalem: Sein verschleiertes Zion. Den Stein der Schöpfung zu tragen, auf den Bauplatz Palästinas, verfolgt und geplagt wie der kleinste Arbeitsesel der Eselkarawanen, müht sich der Jude über die Wüstenstrasse heim in sein Urland. Immer wieder von Neuem trägt Israel von Jahrhundert zu Jahrhundert gewissenhaft Geheiligtes Mosaik über die Ozeane nach Zion; die Heilige Mumie aufzurichten zu neuem Leben. »So verhält sich das mit der Auserwählung von uns Juden!!« Aus diesem wahren Auserwählungsgrunde mögen Andersgläubige ferner uns Juden – andächtig – beneiden.

[133; 2:157 509] Der Herr küsst jeden der Monde, die am Grünblatt zwischen den Büschen reifen und feiert mit seinem Chaluzim das Erntefest. Wo der Chaluzim säet und erntet, wird immer Bibel sein; Gott lächelt aus jeder sich neurötenden Frucht; wir wollen sie mit Andacht geniessen. Gottes Lächeln bewegt die Natur. Gott belebt die ganze Welt, alle Seine Menschen, dich und mich. Unbeschienenes Erdreich fault. Euch Bauern, unter Euren Füssen gedeiht das Land, denn Gottes Lächeln tränkt seinen Boden.

Ein Stern malt mit buntem Licht Josephs Bild auf die Leinwand der gelblichen Sanderde. Gelehnt an dieser Einfalt Träumerei, ruht meine Seele vom Tag aus.

Zum Araberviertel führt abwärts, an der Seitenwand meines Gasthauses vorbei, wohl der älteste Strassenweg sofort ins Haus des Palästina Lloyds. Der liebenswürdige Direktor verständigt mich vom Fenster seines Bureaus aus, über das Herannahen einer Karrawane. Aber ich vernahm rechtzeitig die Schellen der Trampeltiere und den schon mir bekannten Schall ihrer Schritte. Und heisse willkommen den stolzen Melech auf des führenden Tieres ledernen Hügel. Ihm folgen ungefähr noch achtzig der edlen Dromedare. Es lernten die klugen Wüstentiere schon seit Menschengedenken sich ihren Reitern anzupassen, aber auch nicht eines Fussgängers Sandale zu streifen. Sie kennen die Wege und ihr Ziel gewöhnlich weit besser wie auf ihrem Buckel der summende Lenker.

Warum ich wieder nach Europa zurück reisen will? Fragt mich ebenfalls der jugendliche Direktor. Sein Primanerherz begreift es nicht! Ich sage trocken: Ich reise zurück nach Europa aus – geographischen Gründen, festzustellen – ob man überhaupt von dem Bibelstern wieder zur Erde gelangen kann?

[134; 2:157 512] Es versuchte erzähle ich, auch schon Adon Lewone der Mondmann als fernster Freund, ebenfalls meine Abreise zu verhindern; eine Welt fallen zu lassen, die nicht im Handumdrehen, aufzuheben. Aber ich beharrte auch ihm gegenüber bei meinem Entschluss.

Im Reederergebäude des charmanten Direktors befindet sich von Corridoren und Bureautüren getrennt, The Office of the Manegers: Mr. Sandman and Mr. Barkays. Wir verhandeln wegen meiner Vorträge in den Colonieen. Mit dem Blut meines Herzens unterschreibe ich neun einzelne, mich verpflichtende Vorträge zu halten den Bauern im Emek. Ja ich fühle mich fester gebunden, als je nach der Unterschrift meiner ehemaligen zwei Ehekontrakte. Und komme ich noch zum jüngsten Gericht ins verheissene Land, ich werde meine feierlichen Versprechen einlösen.

Vom Palästina Lloyd zur Rechten, führt eine Anhöhe zum grandiosen Luxushôtel: Hotel Stern Davids, zum Luxushotel Jerusalems, nach dem Vorbild eleganten Wolkenkratzerhotels in New-York errichtet. Es schmerzte mich, ein Hotel auch hier im »Heiligen« Lande nach einem heiligen Menschen benamet zu wissen. Handelte es sich noch um eine schlichte hilfsspendende Herberge, an dessen Pforte der Müde nach langer Wanderung pocht und um Einlass bittet. Es machen sich leider ganz naiv, diese Art Namentaufen an Hôtels Gaststätten und Restaurants respektlos alle Städte die ich bereiste, schuldig. Unserm gebenedeiten Lande aber, hätte ich solch eine Geschmacklosigkeit nebenbei sehr unfromme nicht zugetraut. Nicht ein Jota hätte König Salomon geändert an meinem Urteil aber Gefallen gefunden an ihm wie an meinen Heiligen Versen sein Vater David schon. Gegenüber dem Luxushotel versammeln sich in weiten Räumen, im Religionspalast die Anhänger und Anhängerinnen der Christian Science; die Mitglieder einer cultivierten Sekte, die nach tausenden und abertausenden zählt drüben in Columbia; ihre geistreiche Gründerin Mistress Eddi Baker, als Prophetin verehrt. Es genügte der Amerikanerin nicht der schlichthin gedeckte Abendmahltisch der Judenchristlichen kleinen Apostelgemeinde, und ihres Heiligen; die lady würzte mit Rosinen und Citronaten das »genügsame« Brot des heiligen, einfachen Nazareners und wechselte so das keusche Gericht mit compliziertem; zuvorkommend – die göttliche Darreichung, zu modernisieren zur literarisch delikaten.

[135; 2:157 513] Heiligen Geist mit Wissenschaft (Science) zu verbinden, führt weder ins Himmelreich noch in die Hölle. Man denke: Esprie sprühender Heiliger Geist!!! Geistreichelnder Heiliger Geist!!! Und doch verachte man und unterwerte man nicht die kühne Frau, die wenn auch hinter ihrem Lorgnon, die Liebe zum Nächsten sich bestrebte zu züchten und das schlichte gewaltige und zugleicherzeit zarteste Gebot: »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!« allerdings in Variationen ihren sie verehrenden Schaaren ans Herz legte.

Vor meiner Abreise von Berlin in die Emigration besuchte mich nach langer Zeit unser ehrerbietiger Grossrabbiner Doktor Baeck. Seine Anwesenheit beglückte mich, ein kostbares Geschenk. Und gerade an diesem regnerischen Abend, der mit mir zu trauern schien aus selbigem Grunde, aus dem mir trübsten Gefühl unentrinnbarer Einsamkeit. Die Kerze in der Krone meines Lebens, drohte zu erlöschen: Mein Glaube an Gott und an die Seele. Meine Augen weinten und trockneten wieder wie die Wolken um zu zerrinnen. Enttäuscht über meine gottverlassene Stunde, legt der Leser meines Buchs, das Hebräerland, wieder zurück auf sein Regal oder in seinen Bücherschrank zu den »anderen« Büchern, aber voll unerschütterlichen Vertrauen betrachtete mich dazumal der liebreiche, ernste Grossgeistliche und deutete im Westen auf den finstersten Wetterriesen den ich je herannahen gesehen, und sagte: ein gleicher finsterer Riese ergriff und verdüstere vorrüberziehend mein Gemüt. Er meinte meine Seele, die dem Himmelsgewölbe ähnle mit allen Monden und Sternen und Sonnen, aber auch mit ihren Unwettern! Ja er sähe meine Seele schon hinter dem Trauerschleier meiner Gottverlassenheit hindurchschauen. Wir schwiegen und ich dachte, wie schnell doch das Wort aus höheren Regionen gesprochen eine belanglose Stube zum Tempel verzaubert und den zweifelnden Menschen heimführt in seinen reichen Glauben.

[136; 2:157 515] Gott ist! Bediente Sich der Herr auch nicht der Schöpfung und Seiner Menschen, und der anderen Geschöpfe, Sich zu beweisen! Gott ist auch ohne Weltenkörper! Der Weltenkörper – im Verhältniss zu Ihm: Ein Steinchen ehemaliger Funke Glut verwandelte Er zum Stein für den Bau Seiner Welt. »Ihn« zu lieben: Da Er ist: Allerheiligste Gottesliebe! Doch eher trägt der Mensch die undurchsichtige Last der Welt auf dem Nacken hinauf und wieder hinunter den Erdenweg, als die kleine, aber klare Linse der Gotteserkenntniss im Auge. Nach dieser letzten Gottesbeute liess ich steigen meinen Falken mein Lebelang!

Gott liebt das spielende Kind, lächelnd erhört Er sein Gebet. Es drängt den Ewigen immer wieder von Neuem aufzuwachsen, im Menschen, denn es bewegt sich von Ihm abgelöst unsere Welt. Nur Jerusalem hängt noch an des Schöpfers Heiligen Traumes Schnur. »Sein« Jerusalem, das nicht von dieser Welt!

[137; 2:157 517] Ich bedaure die Seele an der sich Grauspan setzt; die nicht jung bleibt und doch nicht alt wird, aber altert; lebend tot ist. Jung bleibt der sich heiter zu Gott gerungene Mensch und ist er auch der gottälteste unter den Menschen. Denn der Herr sagt: »ICH BIN DER ICH SEIN WERDE!« Immer wieder keimt Gott.

Mir anzumassen, den Leser meines Buches belehren zu wollen, kommt mir schon darum nicht in den Sinn, da mir jedes Talent zur Pädagogin mangelt; schon verursacht mir Kopfzerbrechen – die Interpunktion meines Buches und ich glaube mich befähigter, die Kometen zwischen den Sternen auf dem grossen blauen Himmelsbogen zu setzen, wie die Kommatas zwischen den Worten meiner Dichtung.

Ich spazierte in der Sonne so golden vor mich hin über den Jaffaroad bis oben zur Collonie Rechavia; bemerkte kaum meine Begleiter zu beiden Seiten neben mir. Erst als wir uns setzten auf eine der Sprossen der Terassen unserer lieben Colonie, so recht einmal jerusalemitisch zu reden und dem lieben Gott beim Kreisen Seiner Welt zuzuschauen. Darum spielen ja auch so gerne hier besonders die kleinsten Gotteskinder: Kreisel. Es sind alle ihre kleinen Weltalls, und sie selbst jedes Kind: Ein kleiner lieber Gott. Das erzählte mir Jerusalem, als ich so einen kleinem Jungen zusah wie er seinen Kreisel tanzen liess.

Es schweigen ehrfürchtig, der alten Stadt Gottesverbrämung bewusst, der Menschen Munde bescheiden wie in keiner anderen Stadt der Welt. Und auch die Kinder Jerusalems verstehen sich leise zu freuen und innig, verhalten, den lieben Gott nicht aufzuwecken, zu jubeln. Sie spielen in den netten Vorgärtlein und auf den stillen Pfaden und bauen sich aus Sand: Kleine Sinaï.

Die Künstler Palästinas lieben es, sich zu besuchen gegenseitig, sich einzuladen zum lieben Mahle; paradiesisch mundet uns das täglichste Gericht und der klare Trank im Krug, verwandelt sich in Burgunder. Aber der reiche Nachbar ehrt auch im Gotteslande den Künstler nur dann – macht er Umstände, zu setzen den fürstlichsten Gast an hochzeitlichster Tafel.

[138; 2:157 520] Aber auch nach hier rudert der bürgerliche Krösus, – ins Gelobte Land. Die Collonisten sorgen sich nicht seinetwegen und prophezeihen richtig: »Der geht wieder wie er gekommen.« Doch wagt sich immerhin bis nach hier unter die schlichten Bürger der taktlose Prahlhans in das selbstloseste aller Länder; mit den Bildern anerkannter Maler, liebt er heimlich »die Klecksereien« bespöttelnd seine Säle zu dekorieren. Ebenso befremdet es weh, hier in Palästina, wo man den Künstler ehrt, mißehrt zu wissen – wenn auch – von einem einzigen Atmenden der Städte. Man pflege hauptsächlig den Dichter, die Dichterin, ein Land ohne Dichtertum verliert von seinem zauberischen Inhalt! Poesie strömt Duft aus, selbst ungelesen.

Der tiefe Jude horcht auf die Stimme seines Gewissens und sammelt unsichtbaren inneren Reichtum und nicht die Münze, sich anzulegen eine Sammlung von geprägtem Gold. Nach dem goldenen Licht des Glaubens, mit dem Bilde Gottes verklärt, gräbt er, verschmähend den Dukaten. Nirgendswo begegnete ich wirklicherer Anspruchslosigkeit wie in Palästinas Hauptstadt. Hüten sich die Meerstädte Palästinas, mondain zu werden. Palästina ist das Originalland aller Länder. Nach seinem Ebenbilde erschuf der Schöpfer die weiteren Lande. Der Mensch, der sich in Palästinas Heiligen Hallen versündigt, versündigt sich zwiefach: Einmal an den Menschen seinem Bruder, das andere Mal – gegen Gott dem Vater.

Es ziemt sich nicht im Gelobten Lande im Luxus zu tagen.

[139; 2:157 522] Ich beuge mich vor dem an Vornehmheit keinem Paragraphen gleichenden jerusalemitischen Paragraphen gastlichster, gewissenhaftgastlichster Moral, der den betrügerischen Wicht am Andersgläubigen, zwiefach verurteilt und Buße fordert.

Jerusalem die Heimat der sechsunddreissig Gerechten, ahnungslos schon auf Erden wandelnde gebenedeite Menschen, leben demutsvoll zwischen uns übrigen; beten für uns. Einer dieser Gerechten, heimgegangenen Gerechten: Theodor Herzl! Er spricht nun vom Himmel zum Volke Israel. Immer ersetzt ein auserlesener Mensch, den zu Gott gerufenen.

Ich raste vor einem einfachen schon zerpflückten Zaun aus Bast vor einem uralten kleinen arabischen Friedhof. Immer muss ich ihn passieren, kehre ich vom unteren Araberviertel zurück auf die höher gelegene Jaffastraße. Ich verhalte mich leise, die ehrerbietigen Grabsteine nicht zu erschrecken, die toten Leiber der Verstorbenen nicht zu stören im Schlummer. Auf dem schmalen Trottoir über dem Damm stehen zwei egyptische Bettelfrauen gelehnt an der Wand eines Priesterhauses; ihre reizenden Kindlein strecken wie sie mich gewahren, ihre dunklen Ärmchen die niedlichen Puppenhändchen bittend nach Chokoladenplätzchen aus. Als Kind musste mir meine, von mir angebetete Mama immer solche dunkelhäutigen Porzellanpüppchen kaufen. Und später dann weckte mich oft mein holder Junge noch klein, vergass ich den schwarzen noch unversehrten Däumling vor der Kälte zu schützen. Ich bin verliebt in die beiden entzückenden, noch auf dem Arme der Mütter sich wohlgeborgenen dunklen Babys und in das tätowierte Herzchen in des zweijährigen Mädchens Kinn. Aber auch in die geprägten mystischen Ornamente hinter den durchsichtigen Schleiern der Angesichte der Mütter.

Es fehlen noch einige Minuten an Vier Uhr; das Postamt ist noch geschlossen. Ich eile über den Road, mich nicht zu verspäten. Im Cafe Vienna erwarten mich Mr. Reiner und seine Mistress, im munteren Caffehaus Vienna. Es begrüsst den Eintretenden mit aller Länder Lieder. Und ich preise das interessante Caféhaus Allerländer in Jerusalem, da es bewirtet zwischen rauchverbrämten Wänden der Erdteile Menschen und man ihre Art und Weise schätzen lernt. Die hohen englischen Offiziere erwarten ihre ladies; die golden boys der schottischen Regimenter scherzen an kleinen Tischen und versuchen vom Palästinawein.

[140; 2:157 525] Man begegnet von aller Art Juden der Welt, Juden und beschaut sich gegenseitig überrascht. Schön sind die sarmakanter aus Bucharan, stolz der spanische und persische Israelite und es giebt wohl kein Volk weiter auf der ganzen Erde, das muss uns der grimmigste und blutigste Gegner lassen, das in mannigfacheren Nuanzen existiert wie das hebräische Volk, das Volk Israel. Und doch, ein einziger unbefleckter Jude genügt, das gesammtne Volk der Juden zu repräsentieren, wie ein einziger ungeläuterter unseres Volkes es zerstreut in alle Winde, es in den Staub zieht. Darum wache jeder Jude über sein Herz. Ich bin eine Hebräerin Gotteswillen und liebe Sein Volk die Juden. Ich liebe mein Volk und schäme mich nicht des geringen Satzes. Trinke ich doch des Hebräerlandes Wein und mich ärgert nicht der Rest in der Karaffe. Und der Andersgläubige, der den geringen Satz meines Blutes verhöhnt, geniesse auch nicht mich und mein Gedicht! Doch er blicke auf seines eigenen Blutes Boden.

In der Nische am Fenstersims im Cafehaus: Vienna, sitzt ein griechischer Mönch und unterhält sich leise mit einem Abbesinierpriester im langen schwarzen Gewand, und hohem schwarzen Priesterturban. Er ist ein abessinischer Raw, sagt man mir, ein jüdischer Grossgeistlicher. Decorativ den Wänden entlang, ihrer Wildniss für ein paar Stunden entsprungen, beleben eine Anzahl Bergbewohner, wetterschwarzumbärtete, die graugestrichenen Wände. Ich bin ganz in Gedanken versunken; schon eine Zeitlang winken mich einladend der englische Buchattachée und seine Mistress, mich zu ihnen an den Tisch zu setzen. Vor ein paar Tagen weilte ich in ihrem kleinen Palast im arabischen Styl gebauten, und wir spielten mit ihrem kleinen Prinzen; er lag lächelnd unter dem warmen Herzhimmel seiner jungen Mama.

In Palästina, namentlich in Jerusalem leben einträchtig die Nachkommen Isaaks und Ismaëls und die Rückkehr der Söhne Isaaks gereichte den Söhnen und Töchtern Ismaëls keineswegs zum Schaden. In diesem Sinne hören wir sich einigen, Araber und Araber. Der Araber versteht comme il faut zu bauen mit Geschmack; schmuck aufzurichten seine Häuser; alle kleine Paläste. Oft führt mich ein Auto an einer Hofgesellschaft der niedlichen Paläste, arabischer Meisterhand vorbei. Ich werde, komme ich zurück ins Heilige Land, nachholen, auch das Innere der Zauberbauten zu betrachten.

[141; 2:157 528] Ich bin eingeladen, im Habimâhtheater einen Vortrag meiner Dichtungen zu halten. Schon einen Tag vor meinem Abend reise ich in die hebräische Meerstadt, streife durch seine zwei Hauptstrassen, durch seine Gassen und stehe auf den Plätzen im ungeheuren Getriebe. Es flutet immerfort in dieser jungen sprudelnden Gottgräberstadt, auf Urahnboden aufgebaut; ebbt und flutet, tritt über! Ja, eine Stadt vom Thor erlöst. Man läuft Gefahr zu ertrinken schon im überschäumenden Verkehr! Menschen kommen und gehen wie die Wellen des Ozeans, lebhaft, aufbrausend, sich wieder verschäumend im Geringel der Gassen. Am Abend kehre ich heim in die liebreiche schöne Pension der herzlichen Schwester des Habimâhdirektors trage in meinem Halstuch die weissesten Muscheln, gesammelt am Strande in das liebe Haus und lege die urwüchsigsten kleinen Kostbarkeiten, geordnet in Form des Davidssterns auf das Tischchen vor meinem Bett.

Unter den Zuschauern erkenne ich den berühmten Oberarzt des jüdischen Krankenhauses in Berlin: Doktor Georg Mosczitz und neben ihm seine wunderschöne Ruth. Meine Lichte stehen schon angezündet auf dem weißbedeckten Vortragstisch ich beginne mit dem Vortragen meiner hebräischen Balladen:

[138 (140, 142); 2:157 332] Moses und Josua.

Als Moses im Alter Gottes war,

Nahm er der wilden Juden Josua

Und salbte ihn zum König seiner Schaar.

Da ging ein Sehnen weich durch Israel –

Denn Josuas Herz erquickte wie ein Quell.

Des Bibelvolkes Judenleib war sein Altar.

Die Mägde mochten den gekrönten Bruder gern –

Wie heiliger Dornstrauch brannte süss sein Haar;

Sein Lächeln grüsste den ersehnten Heimatstern, ......

Den Mosis altes Sterbeauge aufgehn sah,

Als seine müde Löwenseele schrie zum Herrn!

Ein Zuhörer rief aus dem Publicum ich dürfe meine hebräische Ballade: Der Versöhnungstag nicht vergessen vorzutragen.

Der Versöhnungstag.

Es wird ein grosser Stern in meinen Schoss fallen .....

Wir wollen wachen die Nacht,

In den Sprachen beten,

Die wie Harfen eingeschnitten sind.

Wir wollen uns versöhnen die Nacht –

So viel Gott strömt über .....

Kinder sind unsere Herzen,

Die möchten ruhen müdesüss.

Und unsere Lippen wollen sich küssen,

Was zagst du?

Grenzt nicht mein Herz an deins –

Immer färbt dein Blut meine Wangen rot.

Wir wollen uns versöhnen die Nacht,

Wenn wir uns herzen, sterben wir nicht.

Es wird ein grosser Stern in meinen Schoss fallen.

[139 (141, 143); 2:157 334] Abraham und Isaak.

Abraham baute in der Landschaft Eden

Sich eine Stadt aus Erde und aus Blatt

Und übte sich mit Gott zu reden.

Die Engel ruhten gern vor seiner frommen Hütte

Und Abraham erkannte jeden;

Himmlische Zeichen liessen ihre Flügelschritte.

Bis sie dann einmal bang in ihren Träumen,

Meckern hörten die gequälten Böcke,

Mit denen Isaak opfern spielte hinter Süssholzbäumen.

Und Gott ermahnte: Abraham!!

Er brach vom Kamm des Meeres Muscheln ab und Schwamm,

Hoch auf den Blöcken den Altar zu schmücken.

Und trug den einzigen Sohn gebunden auf den Rücken!

Zu werden seinem grossen Herrn gerecht –

.... Der aber liebte – seinen Knecht.

Saul.

Über Juda liegt der grosse Melech wach,

Ein steinernes Kameeltier trägt sein Dach

Die Katzen schleichen scheu um rissige Säulen.

Und ohne Leuchte sinkt die Nacht ins Grab ....

Sauls volles Auge nahm zur Scheibe ab.

Die Klageweiber treiben hoch und heulen.

Vor seinen Toren aber stehen die Cananiter!

Er zwingt den Tod, den ersten Eindring nieder!

Und schwingt mit fünfmalhunderttausend Mann die Keulen.

[141 (142, 144); 2:157 338] dann sagte ich mein Gedicht:

Jakob.

Jakob war der Büffel seiner Heerde.

Wenn er stampfte mit den Hufen,

Sprühte unter ihm die Erde.

Brüllend liess er die gescheckten Brüder.

Rannte in den Urwald an die Flüsse,

Stillte dort das Blut der Affenbisse.

Durch die müden Schmerzen in den Knöcheln

Sank er vor dem Himmel fiebernd nieder,

Und sein Ochsgesicht erschuf das – Lächeln.

danach:

Esther.

Esther ist schlank wie die Feldpalme,

Nach ihren Lippen duften die Weizenhalme

Und die Feiertage, die in Juda fallen.

Nachts ruht ihr Herz auf einem Psalme,

Die Götzen lauschen in den Hallen.

Der König lächelt ihrem Nahen entgegen –

Denn überall blickt Gott auf Esther.

Die jungen Juden dichten Lieder an die Schwester,

Die sie in Säulen ihres Vorraums prägen.

[140 (143, 145); 2:157 336] David und Jonathan

O Jonathan, ich blasse hin in deinem Schoss ....

Mein Herz fällt feierlich in dunklen Falten.

In meiner Schläfe pflege du den Mond,

Des Sternes Gold sollst du erhalten.

Du bist mein Himmel mein, du Liebgenoss.

Ich hab so säumerisch die kühle Welt

Fern immer nur im Bach geschaut ......

Doch nun, da sie aus meinem Auge fällt

Von deiner Liebe aufgetaut ......

O Jonathan, nimm du die königliche Thräne,

Sie schimmert weich und reich wie eine Braut.

O Jonathan, du Blut der süssen Feige,

Duftendes Gehang an meinem Zweige,

– Du Ring in meiner Lippe Haut.

Jakob und Esau.

Rebekkas Magd ist eine himmlische Fremde,

Aus Rosenblättern trägt die Engelin ein Hemde

Und einen Stern im Angesicht.

Und immer blickt sie auf zum Licht,

Und ihre sanften Hände lesen

Aus goldenen Linsen ein Gericht.

Jakob und Esau blühn an ihrem Wesen

Und streiten um die Süssigkeiten nicht,

Die sie in ihrem Schoss zum Mahle bricht.

Der Bruder lässt dem jüngeren die Jagd

Und all sein Erbe für den Dienst der Magd –

Um seine Schultern schlägt er wild das Dickicht.

[146; 2:157 529] Viel Heiterkeit rauschte durch den Saal, bis zu mir auf die Bühne, als ich dem Publikum meine eigene Ballade vortrug: Hing an einer Goldenen Lenzwolke .... Als die Welt noch – Kind – war. –

Nach einer Pause erzählte ich in jüdischarabischer Gewandung die sich wirklich zugetragene Gespenstergeschichte im Hause meines Urgrossvaters, der Oberpriester gewesen; in religiösen und politischen Gepflogenheiten sich betätigte in Westfalen. Zum Geisterpochen diente mir das dumpfschallende Holz der Tischplatte, geradezu täuschend alles Gespenstige noch überbietend. Aus welcher Richtung der mystische Schall, unwirklich zu ihnen herüber dringe, schien die Lauschenden hauptsächlicher zu interessieren, als die Begebenheit meines Urgrossvaters und seines Freundes selbst zu hören. Es stimmt einem beglückend im Lande seiner Väter vorzutragen eigene Dichtungen; gelobt zu werden von Mund zu Mund. Gerne wiederholte ich den Vortrag in Jerusalem der Hauptstadt mitten in Jerusalem! Mystisch wie in einer Höhle sass ich düster von Stein und Stein umgeben auf einem steinernen Vorsprung und vor mir brannten wieder die feierlichen weissen Lichte. Auf einen der Tische aber waren ausgestellt von den beiden feinen Brüdern der Kunst Zeichnungen meines teuren nun bei Gott weilenden Sohnes Paul. Ich wußte Gottes ewige Braut: Jerusalem, segne die wunderbaren Schöpfungen meines gestorbenen Sohnes. Vor mir sass er – in der ersten Reihe der Gäste, wie stets mein geliebter Junge und lauschte und lächelte wenn mir ein Vers besonders gelang zu sagen. Mein Kind ......

[147; 2:157 530] Am Tage nach meinem Vortrag, ehrte mich in der grössten hebräischen Zeitung die verständlichevolle Besprechung des bekannten Kunstkritikers [     ]. Vor allem beglückten mich die begeisterten Zeilen über die »herrlichen« Bilder meines Sohnes. In den letzten Jahren seines Lebens, zeichnete er viel viel Tragik, blühende Augen die weinten, Blinde und Waisenkinder mit Greisengesichtern. Doch hin und wieder auch holde Mädchenantlitze, aus denen es sonnenschien. Und suchte doch nur die Eine, die Blauäugige im Leben stürmisch, durch alle Herzen stürmisch. Ich musste Doktor Steimatzki viel von meinem Jungen erzählen, immer wieder von neuem. Als dann seine Bilder fertig geordnet zur Besichtigung auf einem der Tische des Salons ausgebreitet lagen, meinte ich: Wenn mein bescheidener zurückhaltener Paul noch lebte, und wisse seine Bilder hier ausgestellt, nur heimlich käme er, sie zu schauen unter dem Glas, wie es stets der Fall, hingen seine Zeichnungen in Salons. Den Raben, »der Fleisch stehlt«, zeichnete mein Kind aus der Phantasie einundeinvierteljährig auf seinem hohen Kinderstühlchen sitzend zwischen Schiebetüren. Es dienten ihm die von ihm fleissig gesammelten elektrischen Kohlen der Strassenlaternen und das Kalkstückchen auf dem Boden des Neubaus zur Wiedergabe seiner wundervollen Einfälle. Und er »schwimme« geradezu über das Papier, erzählten sich die Simplizissimuszeichner von meinem jungen Sohn. So bescheiden er über seine Produktionen zu schweigen verstand, ebenso begeistert pflegte er von meinen Versen zu reden. Ach ja wir waren nicht allein Mutter und Sohn, auch zwei Brüder. Ich konnte viel vom jüngeren lernen, namentlich: Bescheidenheit.

Gegenüber vom Kunstsalon Steimatzki, befindet sich der Kunstsalon [     ]. Es standen immer grünende Landschaften hinter den Fensterscheiben und man begann zu träumen in irgend eines Bildes stillen Wald oder man verspürte Lust, sich auf eine der Wiesen auszustrecken, wie in Europa zwischen Tausendschön, Vergißmeinnicht und feinen Gräsern.

[148; 2:157 532] Glück muss man haben – auch in der Kunst, der erlesendsten Frucht auf dem Markt der Märkte! Wer regelt den Kaufpreis? Da die Gaben der Seele doch nicht zu bewerten. Unser Honig .... nicht in Gläsern, aber hinter Glas zum Verkauf dem Liebhaber dargeboten. Komisch geradezu für mein Ohr und für mein Gefühl, beschaute der Besucher der Galerieen in den Jahren der – fetten Kühe, meine »Spielsachen«. Oft raubte ich meine eigenen bunten Zeichnungen schon am Abend, erzählte ich den Schülerinnen eines jerusalemitischen Seminars, mit Lebensgefahr, von fremder Wand und stellte sie wieder zu meinen Bilderreihen. In einer entzückenden Schulklasse trug ich entzückenden kleinen Seminaristinnen meine hebräischen Verse und Liebesgedichte vor und neben mir auf dem Tisch liegt schon das im Vorraus erhaltene Honorar: Ein Säckchen wundervoller rosigroter Muscheln vom Strand des Tiberiassees, versteinte kleine Fischflossen, die heute meine Schabbattkerze umspühlen.

Vom Heiligen Lande verzaubert, gelang mir hinter seinem Tore keine einzige Zeichnung, ich erwähnte es schon einmal nicht eine einzige Illustration. Aber auch keinen Vers zu dichten, geschweige ein Buch wie dieses zu illustrieren. Doch eine künstliche Perspektive zu schaffen, zwischen Bibelland und mir, sträubten sich höhere Mächte. Ja sie nahmen mir alles fürweg, den kleinsten Vers, den geringfügigsten Einfall, die noch kaum empfangene Idee. Gelüstete es mich den Rand einer Zeitung säumerisch nur zu bekritzeln mit Arabesken, entfiel der Stift meiner Hand. Es liegt in Gottes Ratschlag den Künstler verarmen zu lassen an Talent, sein Genie zu lähmen. Es verblutet der letzte Tautropfen seiner Inspiration und es zerbröckelt rettungslos sein schwärmerisches Material zum Aufbau neuer Schöpfungen; den gewaltigen Eindrücken des Gelobten Landes Platz zu machen seinen berauschenden Strömungen den Weg zu räumen, einzufließen ungehindert in das künstlerische Herz.

[149; 2:157 533] Aber nicht nur Landeswechsel oder die Rückkehr in die Welt aus der man gekommen, verursachen die gewünschte benötigende Perspektive zwischen dem neuerlebten Zauber einer Landschaft und dem Künstlerischen Menschen. Die Zeit selbst, geraume Zeitweile, sehnsüchtige Spanne, ermöglichen, den Zauber des Erlebens mit dem Zauber des Talents zu verbinden. Zeitausdauer verbündet! Nach längerem Verweilen im Heiligen Lande, beginnt der Dichter zu dichten seine Hymne. Aber auch nur vorübergehender Besuch in Palästina, tut dem Künstler gut. Jerusalem der stärkende Badeort für seine Muse. In seinem Zauber taucht sie nicht ohne Erfolg. Auch »diese« Bäder der Seele wirken erst nach einiger Zeit. Helle und dunkle Wolken ziehen wieder durch mein Gemüt und abends zeigt sich der Komet in meiner Schläfe. Ich schreibe dieses Buch: Das Hebräerland und zeichne seine Illustrationen fatamorganisch längst in Zürich in den Schweizerlanden wieder arriviert: »Die Chassidimpriester Phingsten zur Klagemauer schreitend«. »Die lieben Colonisten pilgernd zum Schabbatt in die Heilige Stadt und wieder heimkehrend in ihr Emek«. Die Berge von Moab, sie lagern eine Schaar Dromedarbuckel am Streif des Toten Meers.

Die blauäugige Frau des liebreichen Universitätsprofessors Hugo Bergmanns holt mich aus meinem Treibhauszimmer zur Weltausstellung nach Tel-Aviv. Müde setze ich meine Fellmütze auf meinen Kopf, schiebe sie tief in den Nacken denn heiss ist es heute. Schon um fünf Uhr in der Herrgottsfrühe, spielte ich mit der Sonne – Sonne und ich – wie Kinder unter sich: Mutter und Kind. Es gehen Extraomnibusse seit einiger Zeit durch die Wüste bis zur Ausstellung in die Meerstadt. Hals über Kopf eilten wir die Abfahrt nicht zu versäumen. Ich mache mir nicht allzuviel aus Weltausstellungen, in denen sich das Auge übersieht, zu satt sich schaut. Mein Lehrer pflegte oft zu sagen: »Zu viel Honig wird im Mund auch sauer«! Ich und mein Junge – nie besuchten Künstler seltener Galerieen und Museen wie wir beide. Die gewaltigen Maschinenräume des Ausstellungsparkes und Hallen neumodischer Kraftwagen hätten meinen Jungen ungemein gefesselt, [150; 2:157 536] verursachten mir die Säle der Wagen und rasselnden Gesänge, beinahe Angstgefühle; überdies nicht einmal in der Lage mir einen Mercedes zu leisten; davon zu fahren ins Uferlose .... Gewerett rügt mich unsanft und ungeduldig; meine Melancholie langweilt sie. Ich suche nach Streitwagen im Riesenraume. In Europa sassen wir auch einst verträglich beisammen die Pallas Athene von Prag und ich. Steil senkt sich und trotzig ihr Profil, blaustählern zielen ihre Augen auf den Feind. Pallas Athene ein stolzer Name, schon als Kind setzte die kriegerische Göttin ihn unter ihren schönen Vers. Und ich fand es [     ] so wenig ihren olympischen Sinnen, sich zu verlieben zwischen Büsten und Skulpturen eines naiven Ausstellungstempels tönernden Paris.

Auf des Mosaikes weiten Arabeskenbogen

Besinge ich die Freundin, im Paquet den Paris, leis in Kritteloden,

In klassigen Examittern nach neusten Moden.

Hjalmar Lersky der berühmte Photograph Palästinas erscheint auf der Bildfläche der Ausstellungshallen. Er photographiert die trauernde Pallas Athene, ich verweigere ihm die Aufnahme – ich verspüre keine Lust mich unglücklich in sein von mir aufgenommenes Bildniss zu – verlieben.

[151; 2:157 538] Ach wäre doch meine von mir angebetete Mama und mein Kind mit mir hier in Jerusalem! Wir würden, meinen Sohn, als ob er gerade vierjährig, in unserer Mitte nehmen und durch Jerusalem der Heiligen Stadt wandeln über die klingende Wüstenstrasse und durch ihre weltalten Gassen und einkehren in manches Haus.

Ich liebte besonders meine Geburtsstadt in den Rheinlanden im Wuppertal. An die unvergesslichen artigen Spaziergänge denkend, die meine teure Mama, Hand in Hand mit mir unternahm. Wir kamen an Wiesen und Feldern vorbei, die Ähren sangen immer so nette Volksliedchen, kleine schwärmerische Liebesliedchen aus früheren Zeiten. »Am Brunnen vor dem Tore« ..... Oder: »In einem kühlen Grunde« – oder: »Liebchen ade« ... Ich fasste mir dann ein Herz und vertraute meiner Mama, meiner Freundin meinen allerallerallerletzten Liebeskummer an! Ein Sekundaner hatte es mir angetan – überhaupt die bunten Mützen der Secunda beleuchteten meine Träume. Einmal aber wars um mich geschehen; als der Cirkus kam und mit ihm: Joy Hodgini der blondgelockte Jockey und den schwarzen Sammtaugen. »Traumbild« .... Nannten ihn die Freundinnen und ich.

Zwei Monate fast beherrbergten mich schon Jerusalems Lande, aber die ich an meiner Talente beiden »treuen« Musen glaubte, erschreckte mich doppelt ihre Treulosigkeit. Verzaubertes zu verzaubern, vermag der begabteste Künstler nicht. Kunst ist ein Zauberreich und der Künstler sein Zauberer.

Unten auf dem Platz des Jaffators wartet der Autoomnibuss nach Bethlehem. Ein elegantgekleidetes Individuum versucht mich doch vergeblich zu überreden mit ihm in eines der Privatautos »half and half« zu steigen. Jeden Tag versuche er, erzählt eine der Fahrgäste, Frauen in solch einen Wagen zu locken, seinem Täubchen daheim ein gefülltes Handtäschchen zum Gruss mitzubringen.

[152; 2:157 541] Es ist herrlich durch die weite Wüste zu fahren, am herrlichsten ganz alleine mit den schweigenden unbekannten Fahrgästen durch den Sand.

In zwanzig Minuten hatten wir Bethlehem erreicht, die holde Knospe am Zweig der ewigen goldenen Zionsblume. Wie oft glaubte ich sie gesehen zu haben im Traume; im Dunkel der Nacht Sternschnuppen in ihrem himmlischen Kelch. Aber ich und Bethlehem das liebreiche Örtchen, wir beide aus altem Judenblute, erkannten uns sogleich. Über den frommen weissgegürteten Platz der Geburtskirche wandele ich einsam und betrete den aus vereinten Kirchen vieler Christenvölker kostbaren Dom. Die Lichte vor den Altären brennen und Mönche singen.

An zwei bunten Bazaren vorbei, begebe ich mich ins Bethlehemstädtchen. Ich kaufe mir eine Kette aus Rosenholzperlen und lege sie mir nun um den Hals. Kinder bewundern sie und folgen mir in eines kleinen Seitengässchens winzige Spezerei: Um mich und um meine große Düte voll Bonbons schließen die lieben armen Bethlehemitischen Kinder einen Kreis und ich verteile unter ihnen die candierten Hagebutten und die mit Orangensaft gestreiften Zuckerkugeln geschwisterlich. Und schlecken und hüpfen über die rollenden Steinchen des Weges wie Zieglein. Klettern auf die niederen Dächer der eingesunkenen greisen Bibelhäuschen und springen um die Wette in den zertretenen Sand. Gucken aus den Luken der vielen spitzen Türme, die nicht höher wie Zuckerhüte, in den Himmel hinein und aus ihm über das süsse Bibelstädtchen: Bethlehem ..... Aufgebaut aus einer tausendjährigen Spielschachtel. Es schreiten einige vornehme Bethlehemitterinnen die breite Stadttreppe hinab, aus dem Herzen Bethlehems kommend, in blumengepressten roten Sammtjacken, der Tracht mittelalterlicher Kreuzritterfrauen ihnen zur Seite sittsam der Sohn. Von einem hohen Drahtgeflecht aufgerichtet auf ihren schwarzen aufgesteckten Flechten fällt ein [153; 2:157 543] weisser Gazeschleier über Brust und Rücken, bis zu ihren wiegenden Hüften. Doch es geben in der Stadt der Geburtskirche viele »Arme noch viele arme Kinder«. Spielen sie auch wohlgemut in Bethlehems Gassen, so lege ich sie den wohlbegüterten artigen Frauen der kleinen Jesusstadt, die armen Kindlein, ans Herz. Ließ doch Jesus sie zu sich kommen. Im Winkel der untersten Stufe der Wundertreppe sitzen drei niedliche Puppenmütterchen, ein dreijähriges, ein vierjähriges, ein fünfjähriges Kindlein und singen süss: ein längst vergessenes aramäisches Liedchen:

Abba ta Marjam

Abba min salihi –

Gad mara aleija

Assama anadir

Binassre wawa ....

Lala Marjam

Schu gabinahu

Melechim haduja.

Lala Marjam

Alkahane fisijab.

Träume, säume, Marienmädchen ....

Überall löscht der Rosenwind

Die schwarzen Sterne aus.

Wiege im Arme dein Seelchen.

Alle Kinder kommen auf Lämmern,

Zottehotte geritten,

Gottlingchen sehen .......

Und die vielen Schimmerblumen

An den Hecken –

Und den grossen Himmel da

Im kurzen Blaukleide!

Zur Geburtskirche begeben sich die bethlehemitischen Frauen, die uns eben willkommen hiessen. Wie Milchschaum fliessen ihre Schleier vom Hügel ihrer schwarzumflochtenden Köpfe herab. Der Abend ist da! Ich nehme Abschied von dem süssen Ort und den kleinen Strassenkindern Bethlehems, meinen neuen Freundinnen; ihre lieben sonnenverbrannten Fingerchen umklammern meine Arme und ihre zarten Körper hängen sich wie Trauben um den meinen.

Es war noch um Himmelsfrühe; das Goldkind das verwöhnte im Wolkenbett, verlangte nach dem lieben Gott auch ich und ich erhob mich mit der Sonne zu gleicher Zeit. Die netten adretten kleinen Söhne meines Wirtes und sein schönes Töchterchen klopfen an meine Stubentür mir mitzuteilen: »Die Colonisten sind unterwegs auf dem Marsch nach Jerusalem, es marschieren alle unsere jüdischen Bauern und Bäuerinnen auf die heilige Stadt zu, die Britten zu zwingen die weitere Einwanderung der Juden zu befürworten«! Das war ein Bericht! Hast du nicht gesehen! Ich fühlte mich, ein jüdisches Staatsoberhaupt das eine Kunde entgegennimmt. Begab mich sofort auf den Jaffaroad doch so leer erlebte ich noch nie die prachtvolle Wüstenstrasse, seit meines zweimonatlichen Aufenthalts in der Hauptstadt nicht. [154; 2:157 544] Wie ich mich überzeugte aus dem Grunde eines polizeilichen Erlasses wegen, der den Einwohnern Jerusalems streng »am selbigen Morgen zwischen 6 bis 8 Uhr« das Betreten der City untersagte. Die Mahnung hinderte mich nicht, mich über den Jaffaroad mitten in die City zu begeben. Zum wiederholten Male berichtete ich von der aufständigen Morgenfrühe und unseren tapferen Colonisten und bezwecke mit der kurzen Wiederholung der wuchtigen Episode, sie tiefer einzuschärfen in das Hirn des Lesers. Die mutigen Nachkommen unserer geheiligten Pioniere, die ihr Leben für das Aufblühen Palästinas aufs fromme Spiel setzten, im Kampf mit den wilden Bergbewohnern, rufen die Brüder und die Schwestern aller Lande Erdteile ins Gelobte Land, streiten um ihre unumschränkte Einwanderung.

Der englische Soldat ist ein Gentleman, gentle der englische Polizist; sie ehren die Liebe des Hebräers zu seiner ihm verheissenen Erde. Ich eilte nach befriedigender Verständigung der Judenbauern mit den »Britten« und freundlicher Entgegennahme der Bittschrift an ihren König, im Sturmschritt nach meiner »lieben« Colonie, enthusiasmiert nach Rechavia; ihren Bewohnern Kunde zu bringen vom glücklichen Resultat des Aufbruchs stiess zu den Dächern der Häuser, Laute aus, die ich mir abgelauscht und angeeignet von den Beduinen betreten sie auf den Rücken ihrer Kameele fanatisch grüssend die wunderbare Stadt. Aufgeschreckt von meinem Siegesgeschrei: Huhuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuu betreten die noch nächtlich gekleideten Menschen Rechavias, die Gipfel ihrer kleinen Hauspaläste, aus meinem Munde die gottesfürchtige Rebellion unserer bewunderungswerten Bauern zu vernehmen und ihren glücklichen Ausgang. Es war eine tiefe Freude in Jerusalem-Rechavia!! Seine Hebräer umarmten sich und viele küssten sich, als die Sonne angefangen zu leuchten, auf den Pfaden. Mich aber packte der ungeschlafene Schlummer der halbwegs noch säumende Morgentraum und mir war auf einmal ich erlebe alles gemalt auf einem Bilde und hörte nur noch wie singender zerrinnender Meerschaum mein Volk sich freuen; fern, fern von mir aus Bibelzeiten her, ja vor meiner Geburt. Auch Jerusalem wird wieder einmal schlummern, zerrinnen wieder sterben und wieder auferstehen nach Jahrhunderten, Jerusalem die Braut des Herrn Zebaoth.

Wie auf Lüften gebettet schwebte ich schliesslich an die Scheiben der Fenster meiner liebsten Freunde und Freundinnen vorbei; manchmal spielte ich eine durchsichtige träumerische Melodie auf die großen Gläser; und es übertönt mein Spiel, Palästinas neue Barcarole aus der Höhle meiner Eisbären, die seit kurzem so oft in die City reiten auf ihren Velos, schauen, ob ich auch nicht etwa abgereist?

[155; 2:157 548] Meine von mir angebetete Mama begünstigte ahnungslos durch ihr heimliches beifälliges Lächeln, meine kühnsten Unbesonnenheiten. Sie hätte sich sicherlich auch, wie ich mich, in den Sturm der Morgenrevolte begeben.

Ich landete im Atelier des Architekten und seines Famelus, schlafend über den Platz in den die Rambamstrasse mündet. Der Maëstro und sein Bauschüler zeichneten kleine Gartenpläne zu den Vorgärtchen ihrer Neubauten; und ich erkannte jede der Blumen auf den skizzierten Beeten. Im Nebenatelier sass die Malerin des Architekten Frau und portraitierte eine jerusalemitische Haremsfrau unverschleiert hinter einer spanischen Wand vor den Blicken der Männer geschützt. Ich bewunderte ihr goldgepflegtes Angesicht, die feinen bebenden Palmenhände und den schmalen Fuss.

Ein arabischer Briefträger bringt einen grossen Brief und überreicht ihn mir, im Begriff das liebe Haus zu verlassen, Mr. and Mrs. Krakauer. Rechavia-Jerusalem lautete die Adresse auf dem lilaumrandeten Couvert. Es enthielt eine Einladung zur nahenden Vermählungsfeier Mohameds des Sohnes des stolzesten Arabers und seiner Lieblingsgemahlin.

[156; 2:157 552] Als ich nach ein paar Tagen nach dem Aufstand unserer tapferen Bauern durch Jerusalem spazierte, drangen abermals aus dem alten bewährten Gasthaus der City, Hochzeitsfeierklänge. Ich begab mich über die knatternden Stufen wieder in das erste Stockwerk. Es walzten und freuten sich harmlos, wie schon vor Wochen, Hochzeitsgäste und die lieben rührenden Blinden spielten Geige und Harmonika. Ach sie jammerten mich und ich fürchtete angesichts der vielen frohen Gesichter, mich tiefer in ihr Schicksal zu verlieren. Wieder wie neulich sassen auf einer Erhöhung nebeneinander verwandtschaftlich, Mutter und Schwiegermutter, neben dem ebengetrauten jungem Brautpaar noch frisch mit Segen bekränzt. Den Müttern zur Seite die Väter, Vater und Schwiegervater und in ihrer Obhut die Gefeierte: Grosstante! Im eigenen aufbewahrtem Brautkleid von dazumal geschmückt, lila das junge Paar beleuchtend. Es tanzt die jüngste Ehefrau mit ihren Freundinnen. Auch mir gewährt sie einen Polka und ich lege ihr mein Armband um den Arm zur Hochzeitsgabe mit meinem Namen eingraviert: Else Lasker-Schüler. Ich habe ihn nicht mehr abzulesen nötig, nachdem ich ihn immer wieder unter meinen Dichtungen schrieb, vielleicht manch einem Leser ins Herz.

Von meinem Nordia aus, überschaue ich zwischen Jerusalembäumen den grossen Park der russischen Kathedrale. An ihren Rasenflächen vorbei führt der Weg durch den Säulengang in das jerusalemitische Gerichtsgebäude. Heute strömen die Geweretts und die Töchter der Stadt zum sensationellen Prozess ihres berühmten hebräischen Dichters: Uri Zwi; des vergötterten Wildfangs der Tel-Aviver Jugend. An der Tafel las ich unter anderen Prozessen, Uri Zwi Grünberg contra Herodes ben Herodes. (Herodes Sohn des Herodes). Ich ahne es handele sich um eine – Salome.

[157; 2:157 553] Es bedrängten zur heutigen Gerichtsversammlung die Töchter Palästinas die Gänge des jerusalemitischen Gerichts, ja unzählige Mädchenarme umklammern die Gelände seines Treppenhauses; ihre pochenden Herzen warten ungeduldig auf den Ausgang des interessanten Prozesses mit Schmerzen. Des Dichters Mutter in Lemberg liebt ihren kupferrothaarigen Indianersprössling; ein Blick ein sanfter vorwurfsvoller des milden Vaters aber, des Wunderrabbiners von Lemberg, genügt, so erzählt uns Uri der Dichter, ihn vor Unbesonnenheiten zu bewahren. Mit feierlicher Amtsmiene gewichtig bringt Botschaft von der Freisprechung des Angeklagten der Amtsdiener. Ich denke mir aber mein Teil – sah ich ihn doch selbst einen Abend verwegen mit der Verschleierten am Strande Tel-Avivs hinter einer – Sandwolke verschwinden.

Im Kassenraum des Cinematheaters Eden des zweitgrößten Kinos Jerusalems, lösen sich viele viele Jerusalemiter schon für die Abendvorstellung Billetts zum südamerikanischen Film: The great white bigg horse Eagle. Er handele von einem in den Indianerstand erhobenen Europäer. Ich kenne ihn, den Edgar von Schmidt Pauli.

[158; 2:157 555] Auf dem Jaffaroad begegne ich noch spät die fröhliche Mädchenschaar vom Gerichtsgebäude, in ihrer Mitte den freigesprochenen Dichter. Er verspricht mir, mich am anderen Tage zu meiner Freundin Rahel nach Rechavia zu begleiten. Von Kokoschka gemalt, schaut der geniale Advokat auf seine, aus dem Testament entsprungene Frau mit dem biblischen Schmelz im Auge. Der Lieblingssohn pflanzte auf seines Vaters Hügel einen Fliederbaum, den Baum, den er so liebte in der üppigen Lilapracht.

Ich suche nach Jemand, der heute mit mir nach Tel-Aviv an den Ozean fährt. Mir eine Stelle hilft auszusuchen, wo ich ab und zu wohnen – – – möchte. Ganz nah am Meer, dass die Wellen zu mir ins Zimmer kommen könnten, mich besuchen, mir Muscheln zu bringen zum Spielen. Das Meer ist mein einziger Spielgefährte, denn wie das Meer ist mein Herz. Aufbäumend, mit den Stürmen im Kampf, und wieder so weich voll Sehnsucht schwelgend und schwellend – denkt es an dich. Ach ich besitze wohl ganz alleine auf der Welt so ein Meerherz oder auch möglich du, lieber Leser, dem ich mein Herz schildere?

Eine Viertelstunde von Tel-Aviv entfernt, verkauft in Rechowott in seiner Papeterie ein Dichter ehemaliger Dr. Juris: Schreibmappen, Briefpapier und allerlei Tinten in allerlei Farben und Federhalter und Bleistifte; unter ihnen einen selbsterfundenen nichtabbrechenden. Friedrich Andreas Meyer! Vieles hat sich in seinem Leben geändert, seitdem wir seine philosophischen Verse im Meistersaal Berlins vernahmen. Zunächst sein Metierwechsel von der Jurisprudenz zur Papeterie. »Doch«, vertraute er mir an, danke er jeden Morgen seinem Geschick für diesen Wechsel der Dinge auf Knieen. [159; 2:157 556] Die in seinem letzten Scheidungsprozess in Jamben verteidigte Klientin zog es vor, sich so schnell wie möglich mit ihrem Manne wieder zu versöhnen: die Schultze geborene Schultze zum zweitenmale verehlichte Schulze, und beide Teile verließen fluchtähnlich den entgültigen Termin, unter einem Regenschirm wieder in die bedrohte Häuslichkeit zu eilen. Wir reimten zusammen auf die Melodie als ich noch Prinz war von Arkadien

Als ich noch Advokat am Landgericht in Schlesien

Haha ha ha ha hahaha!

Um mich von früh bis spat zu dösigen

Haha ha ha ha hahaha!

Bin drum die längste Zeit gewesien

In Schlesien haha ha ha ha haha!

In Schlesien, Schlesien, Schlesien, Schlesien!

Und mit Wellenbegleitung wiederholten wir noch mal Haha ha ha ha haha! Wir beschlossen unseren lieben temperamentvollen gemeinsamen Freund Henrik ben Landau den tiefgelehrten Jessayajünger und seine hochverehrte Mutter in Rustad Rut Haowim, eine Wasserhalbestunde von Tel-Aviv schauckelnd zu erreichen zu besuchen. Im kleinen Seeboot der hervorragendste aller Photographen Hjalmar Lersky photographiert gerade die Strandebene. Die lieben Schiffsgäste bemerken meine unbezwingbare Müdigkeit und bereiten mir ein liebes Lager unten im schmalen Schiffsraum. Es ist nicht so leicht und unbeschwerlich in Palästina gut sein mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft, mit den stärksten Elementen, mit denen man Gott liebt oder lieben sollte. Anstrengend ist der Aufenthalt im Heiligen Lande, für den, der seine Liebe erringen will, oder für eine Dichterin die das Heilige Land in einen Psalm legen möchte.

Mühsam bahnte ich mir durch mein Buch Das Hebräerland zwischen Stein und Stein einen geebneten Weg, du gehst ihn mühelos mein Leser, der mir auferlegt, den ich zurücklegte, oft schluchzend und keuchend, wie anfänglich im Gelobten Lande selbst. [160; 2:157 559] Und es darf den Leser meiner Psalmodie nicht allzusehr überraschen, da ich auf den Palästinastraßen meiner Jerusalem Dichtung raste, wie oft während eines frommen Ganges ich mich zuweilen an irdische Dinge lehne, vom namenlosen Sagen abschweife, vor einem Schaufenster raste oder mich in ein Cafehaus begebe, ganz – menschlich eine Limonade trinke, mit einem guten Freund. Man kann natürlich nicht fechten im Universum [     ]. Man muss den Tempel seines Themas wieder zu erreichen wissen, verlässt man ihn für eine Weile!

Palästina ist die älteste Mumie, das uralte königliche Gemeingut der Menschheit, sie aber auszugraben, sie zu erwecken zum neuen Leben, ist von Gott: Der Hebräer auserlesen. Jerusalem ist kein Asyl, aber ein – Einiger Einziger Tempel. Nach diesem Original errichte man die weiteren Häuser Gottes. Wie beim Schreiben meiner Zeilen und Schreiten über meines Buches Zeilen, so habe ich anfänglich gelitten im Lande hinter dem Tor Jerusalems, hinter den Gesteinen Palästinas. Zwischen der Welt und dem Himmel liegt unser Heiliges Land. Eines Morgends neigte sich meine geliebte Mutter über mich; ich war schon wach; sie lächelte genau so erwärmend, wie sie lächelte, als ich noch ein Kind. Nach diesem Lächeln habe ich mich immer gesehnt .... Und seitdem ich es in Jerusalem wieder erleben durfte, begann ich eine niegekannte Freude und ein tiefes Verständniss zum Heiligen Lande zu empfinden, zu unserm lieben Heiligem Lande! Es passte urplötzlich hinein in meiner kleinen dunkeln Pupill; ja wie ein Edelstein zwischen seiner Fassung; und erschaue seitdem alle Dinge durch Jerusalem! Meine Füsse tanzen über die Scharlachteppiche der roten Erde, ich welchem Lande ich auch sein werde, es sprechen die Gipfel der höchsten Steine mit mir und beugen sich über mich lächelnd wie meine Mutter, überall auf dieser Welt und immerdar.

Schon ganz früher bewegte ich mich ähnlich neben der hohen Gestalt meines jüngsten der drei Brüder, sein fünfjährig Schwesterlein an seiner Seite, über verzauberte Wege; allerdings damals ein niedliches Käferchen, ich neben ihm über moosbelegte Waldpfade. Immer waren wir beide verwunschen. Mein Bruder kannte alle Bäume und Sträucher [160 (Fortsetzung); 2:157 565] des Waldes mit ihren Namen. Am liebsten pflückte er mit mir die Buchäckern von den Büschen, die mir so gut schmeckten. Mein himmelblonder Bruder war ein Heiliger, der Himmel sein blauer Dom. Er sei der wahre Judenchrist: Der heilige Stephanus ... Sagten einige Christen. Und zu meinen zwei älteren Schwestern sagte der Religionslehrer in der Schule: »Euer Bruder war reinen Herzens, und wird Gott schauen.« Ach ich war so begierig. »Der wer reinen Herzens ist, wird Gott schauen!« Faßt dieser Spruch auch nur acht Worte, so reicht er doch mit dem Maaße Gottes gemessen, bis ins Jenseits, wehend eine Fahne in blauweisser Farbe. Fanden wir im Forst ein ruhendes Plätzchen hob mich mein Bruder auf die Bank neben sich und wir reihten uns Kaiserketten aus Vogelbeeren und schauten auf und zählten wenn der Kuckuk schlug. Gerade so alt war ich jedes Mal! Und zuallerletzt verriet mir mein Bruder wie der kleine friedliche Waldfleck heisse: »Jerusalem«! Und der sei extra hierher in der Wald gewandert, mich zu sehen! Ach er konnte so liebreich erzählen und ich hing an seinen Lippen, ein klein Herzchen. Kam unterwegs zum [161; 2:157 566] Abendwalde mit uns über unseren Köpfen den Himmel entlang ein Komet, legte mein lieber frommer Bruder, die Heimat des Tausendundeinjährigen Sterns besser beurteilen zu können, die feine Hand prüfend über seine Augen. Bald meinte er dann, der Wunderstern sei aus Palästina gekommen. Mein Bruder log nie, das wusste mit mir meine liebe Mama. Jeden Morgen stieg er in den Himmel wenn wir alle noch schliefen und betete für uns, überhaupt für alle Menschen und für alle Geschöpfe auf Gottes Welt; er betete beim lieben Gott, im unermesslichen Gewölbe, auch ein Gebet für mich, ich sein jüngstes Schwesterchen einmal Jerusalem schauen möge von Angesicht zu Angesicht. Dort reichen alle Menschen in ruhenden Einbänden ihr Gebet nach Seinem ewigen Willen, Ihm. Überall hängt noch ein Fetzen Jerusalem, oft dort, wo man nicht Paradies erwartet. Denn Gott bescheert auch ein verwüstetes Land, verlorensten Menschen. Überall, giebt man Obacht, rollt ein Steinchen vorsinthflutlicher Pyramide Jerusalems über deinen Pfad, du stolperst ahnungslos darüber. Jeder Friedhofgarten ist ein Herz ruhend vom Herzen des Gelobten Landes, fern von Friedenraubenden Lärm. Jerusalem ist die ruhende Stadt, Gott der Ewige ist ein Ruhender Gott, Sein gestorbener Mensch Sein in Ihm ruhendes Geschöpf, eine in die Heilige Urwelle mündende Seele. Aber wie sollen heimkehren die Seelen erloschene schon im Erdenleben? Es sind die Toten von denen der Nazarener sagte, »Lass die Toten die Toten begraben.« Es sind die Lauen die geklügelten Herzens einhergehen, die Wohlwollenden die mit geizigen Ratschlägen Gute Taten noch ungetan entkräftigen. Es sind die die auf hohen Rossen sitzen und kaltblütig den Bruder überreiten. Ja es sind die Dumpfen die zu lässig, wach zu werden aber auch zu gescheidt, nicht wach werden wollen, da der Erwachte verpflichtet dem Nebenmenschen und Gotteswelt. Der Mensch der in Palästina auch nur den Gedanken hegt, sich zu bereichern am Gold – – – im Vorhimmel des Himmels, sich zu sättigen mit dem Wert der Münze, macht sich auch nur dem Gedanken [162; 2:157 567] nachhangend, zum Dieb an Gottes Eigentum. Gott entgeht nicht die geringste Eigennutzigkeit! Er ist der Wache! Der Uradelige! Wachsein schließt die Liebe zum Zweiten in sich. Wachsein heisst: Adelig sein.

Im Garten der Universität von Jerusalem säume ich auf einer der Gartenbänke wie heute schon den ganzen Vormittag und es kommt mir gar nicht in den Sinn, das wundervolle Universitätsgebäude selbst zu betreten. Von einem Abhang des schönen blumenreichen Gartens, blicke ich herab auf ein Amphitheater. Es fesselt mich grenzenlos. Ich spiele aus der Ferne auf seiner Bühne: Joseph und seine Brüder. Trage meine Füsse in hohen egyptischen Schuhen, in fürstlichen schwarzundgoldvereintem Leder. Meine Brüder umgeben meinen Tron wie die Hecke, hinter der ich spielte in Canaan mit meinem kleinen Bruder Benjamin. Mich rührt diese weiche Erinnerung und ich gebe mich meinen Brüdern zu erkennen. Immer ertappe ich mich in derselben biblischen Rolle, in der Rolle Josephs; noch kaum als ich reden konnte, spielte ich sie. Ich brenne darauf, meine Lieblingsgeschichte hier auf dieser steinernen Bühne in der Ursprache uraltem Hebräisch zu verkörpern, sie auferstehen zu lassen mit all den Söhnen unseres Erzvaters Jakobs. Ich begebe mich ohne das Innere der Universität zu besichtigen, heimwärts vom Ölberg – säumend in die City zurück; vermochte nicht die lebendige Culisse des Himmels zu vertauschen mit dem weissesten Plafond. Auf dem Ölberg wie phantastisch besuchen der Juden Söhne und Töchter die Hochschule!

Es ist wieder mal ein anderer Tag, ein noch hellerer wie der gestrige. Die Cirkusleute, mit denen ich Freundschaft schloss, spielen schon lange Cirkus. Bei Tage trifft man sie vor ihrem Cirkuszelt auf dem Cirkusplatz, Karten spielend. Die buntgemalten Kartenkönige und Königinnen, alle die gekrönten Häupter fallen geräuschvoll auf den Deckel einer Kiste, die ihnen als Tisch dient. [163; 2:157 568] Ich liebe den Cirkus und begeistere mich an seiner abenteuerlichen Reiterei und seinen Bravourstücken. Das heisst – überzeugte ich mich vorerst, kein Elephant, nicht das niedliche Zwergpferdchen sich vor Schlägen fürchten musste je; keiner der klugen Spitze und Pudel, ists ihm missglückt, Haue erwartet. Auch hier im Cirkus füllen gemeinsam Juden und Araber den Zuschauerraum. In der Reihe, auf dem Platz vor mir, nah der Manege, nehmen Haremsfrauen und ihr Gebieter Platz. Mir zur rechten und zur linken, ein Bergbeduine in Gala und seine in strahlenden Seiden gekleidete Bergbeduinin. Sie klatschen mit mir stürmisch in die Hände, gelingt es Miss Nelly durch den brennenden Reif ohne Feuer zu fangen, zu springen! Der Tanz der edlen Schimmel ergreift den wildhebräischen und arabischen Semiten zu Thränen. Wir alle, die wir da – wie erwartungsvolle Kinder sitzen auf den Bretterbänken und zuschauen mit fiebernden Wangen und sprühenden Augen den gallopierenden Pferden und den Artisten des Cirkus, wachsen zusammen in der kindlichen Freude einträchtig – wie wir alle einmal wieder in himmlischen Höhen leben werden vereint. Gottes heiliges Heer über uns: Ein Heer der Liebe! Sein Himmel uneinnehmbar.

Mein Vater hegte schon eine so grosse Liebe für den Cirkus; ich habe diese Vorliebe geerbt. Kam Renz ins Wuppertal, sassen an unserm reichgedeckten Tisch, immer Gäste aus dem Cirkus, furchtbar nette Cirkusleute! Der dumme Aujust, er war täglicher Gast unseres Hauses; unter seiner Serviette legte mein Papa stets ein ihn erschreckendes knallendes Knallbonbon.

[164; 2:157 582] Von oberster bis unterster Terasse Rechavias mache ich Reclame für den Cirkus aus Syrien.

Eingeladen von der Habimâh zur Première seines herrlichen Dramas: Das blutende Lamm, erwarten wir Freunde mit Schmerzen unseren wundervollen Dichter: Emil Bernhard schon seit Tagen im Heiligen Lande. Ich schämte mich meiner unbändigen Freude nicht, als wir uns endlich begegneten, ich ihm als – Cirkusagentin – in der unsterblichen Collonie. Bernhards Schauspiele und alle seine übrigen Dichtungen tragen ewiges Licht in der Schläfe. Wir begleiten ihn durch die lieben Pfade Rechavias, seine Schwester Lotta, die beschäftigte angesehene Architektin und ich. Immer trug er in Berlin, der grosse liebste Priesterdichter, eine Absolution für mich in seiner Manteltasche – im Fall einer Mobilmachung. Ja immer sprach er – im Gedanken, mit Gott, hatte ich gesündigt, oder glaubte gesündigt zu haben.

Mein Architektenpaar versprach mir eben zum ungezählten Mal, falls ich mit meiner Wiederkehr ins Heilige Land nicht allzu lange warten liess, sie beide mit Kind und ihrem jungen architektonischen Freund, mich abholen werden am Hafen in Haifa, mit mir eine Stunde Wegs nach Tiberias zu fahren [165; 2:157 572] in das Bad der früheren Könige und ihren Königinnen die sich unter den fünfundzwanzig heilenden Quellen die aussuchten von deren Wassern sie Heilung erhofften. In einer Viertelstunde von Tiberias aus, erreichten wir in Gedanken schon Nazareth; dort warten viele Dichter meiner. Und wollen uns begleiten nach Karpanaum und an die gebenedeiten Hügel der heiligen Propheten. Wo der schöne »falsche« Messias begraben, der Sabathey Zwi? erkundigte ich mich so oft vergebens. Sein Leben schilderte der Dichter Kastein unaussprechlich buntgespenstig genial.

»Ich komme zurück!« Versicherte ich meinen Freunden: »Bin selbst ein Geyer – ist es Euch entgangen das Vogelhafte in mir, beim Schweifen meiner Blicke? Und meiner Schulter ruhloser Flügelschlag?« Ich entschuldige mich zwar kaum gesagt, in einem Atem noch wegen der pathetischen, grössenwahnsinnigen Worte. Es beschämte mich schon früher die Feststellung, ich bunte Augen habe beim Dichten, »zwei« Augenlider wie der Vogel; das innere gewissermaßen, die Nüanzen nur durchschimmern zu lassen, wie durch Gaze, mein Auge zu bedecken pflege, in der Inspiration. Des Geyers Spähauge schimmert in allen Regenbogenfarben über den Ozean. Ein Geyer war es der vor Jahren eines frühen Morgends durch das geöffnete Fenster meines Raumes flog mich holen wollte in das Heilige Land.

Entwurf [4] [j]

[126 (122, 114, 103, 91, 101); 17:12 14] Jerusalem ist der erste Friedhofgarten in seinem Herzen schlummern die Erzväter. Jerusalem birgt in seinem Schrein die Gottesidee der Schöpfung. Jerusalem die gelobte Stadt trägt ein steinernes Kleid, aber den Demant der Sonne in der Stirn. Jerusalem ist aus Urerde und trägt einen Kranz von Olivenblüten um seine Stirn. Jerusalem ist eine ewigjunge Burg, eine sich erhebende starke Strasse der Wüste. Jerusalem ist klein an Gestalt und doch tausendmal grösser wie alle übrigen Städte der Welt. Es dunkeln seine Sterne vor Gold und aus der Dunkelheit seiner Nächte pflücken sich die Dichter schimmernde Träume. Auf einem Ausflug kamen wir an einer mit jüdischen Denkmälern und Denksteinen bewachsenen Felsschlucht vorbei an einen alten Friedhof den monumentalsten, den ich je gesehen, nur mir vorzustellen vermochte. Ja mir wurde bange vor dem Tod. Nur die Seelen der so heroisch Begrabenen wissen wessen Leib dort bestattet ruht in Frieden von steinernen spähenden Höhen ringsum bewacht.

In Jerusalems Umgegend weiten sich die Pupillen der Augen fast schmerzhaft zu fühlen. Das Auge muss eine bisher niegekannte und geahnte Landschaftsgestalt umfassen. Dieser Umstand des gewaltigen Eindringens der übergrossen Perspektiven verursacht das Unbehagen der Angelangten nach Palästina. Der berühmte Augenarzt Adon Ticho meinte zwar es handele sich um überempfindsame Nerven einer Dichterin, constatierte durch den Augenspiegel eine normale Pupillenweite im Schatten und im Licht im Schein der elektrischen Birne, aber der elektrische Schein trügt auch oft.

[127 (123, 115, 104, 92, 102); 17:12 15] Ich reise jetzt öfters nach Tel-Aviv und bade im Ozean. Wohl tut es einem nachdem man in einer der kleinen Bars am oberen Strande sein Mahl verspeist, sich in einem der vielen Liegestühle am warmen Strande auszuruhen sich umschmeicheln zu lassen von den Winden des grossen Gewässers. Das Mittelländische Meer finde ich sieht ganz anders aus in Tel-Aviv angelangt. Viel viel exotischer wie vom Schiff. Über dem Sand saust auf seinem Araberpferd von Jaffa her ein Araber geritten vor ihm ein Knäblein im Sattel. Keiner von uns kennt den fremden Reitersmann lassen uns aber nicht stören, atmen weiter den schmackhaften Salzgeruch des Ozeanwassers ein. Der Strand machts dem Badenden in Tel-Aviv zu leicht er wird ihnen zum kleinen Schlaraffenland. Auf eines grossen Gerüstes Anrichte fliegen einem die besten Speisen in den Mund und ich gehe barfuss durch den weissen Sand. Man braucht keine Angst vor dem Nahen der Dämmerung zu haben, es giebt wie ich schon erzählte, keine im ganzen Lande. Und würde ein Unzufriedener dem es eben was Licht anbetrifft zu geht, sie auch bis zur äussersten Grenze suchen. Also ich wiederhole: Tag Nacht und umgekehrt. Die Melancholie aus dem »grauen Grunde« findet im Lande Palästina keinen Boden und im Herzen des Menschen keinen Raum. Das Grau der Welt verursacht hier nicht die Schwermut des künstlerischen und der wenigen anderen Mitbürger. Doch ich will mit der Feststellung nicht behaupten es gebe keinen von schwermütiger Stimmung Befallenen in Heiligen Lande und seinen Städten gebenedeiten. Gerade das Gegenteil, doch aus anderem Grunde der mit dem Trübwerden des Tagesende nichts zu tun hat und nicht von ihm abhängt.

[128 (116, 105, 93, 103); 17:12 17] Die Wirkung der gewaltigen Steingebirge einer Welt verkalkter Welten und verkrusteter Geschehnisse treiben von trauernder Palästinaangst den Neuankömmling. Es umspannen steinerne Geyerkrallen, ein Gürtel scharfen Gesteins das Land des Testaments und doch raubte man es so oft dem Volk dem dieses Land von Anbeginn versprochen.

Aber nach dieser jäh ihn erfassenden Epoche fasst er Wurzeln wie die Palmen und Cypressen in der Roten Gartenerde des Landes und saugt wie ein Neugeborener die Erinnerung und das wahre Verständniss palästinäischer Jahrtausende ein.

Kleine Araberjungen und ihre Freunde die kleinen jüdischarabischen Arbeitersöhne laden unermüdlich Steine in die Körbe zu beiden Seiten der Arbeitsesel; schleppen müssen die armen Tiere auch hier in der Stadt Tel-Aviv bauen helfen. Das heisst die Backsteine auf die Bauplätze bringen. Überall steht ein Gerüst ohne sein Steinfleisch, aber wartet darauf. Ich bin wie noch nie müde. Ich ging einfach in ein Haus in der Allenbeystreet und stieg die Treppe empor und klopfte. Eine Gewerett öffnete und ich fragte sie, kann ich mich ein wenig ausruhen? Sie lächelte und führte mich in ihre schönste Stube und ich schlief ein in ihrem schönsten Sessel. Als ich die Augen öffnete, blickte ich in die lieben Gesichter von einem Spiegel in den [129 (117, 106, 94, 104); 17:12 19] Anderen von zwei kleinere Zauberspiegel in zwei grössere. Ob ich ausgeruht? Erkundigte sich meine Umgebung, und der aufgeschossene Dichter sei ihr Adon sagte Gewerett und Amiel und Aviva ihrer beiden Kinder. Und ich prahlte mit meinem Spürsinn gerade angepocht zu haben eine Dichterin ich bei einem Dichter und seiner Familie. Wir umarmten und küssten uns und immer wenn ich nach der Meerstadt kam, mein erster Gang noch bevor ich selbst das Meer aufsuchte, galt dem Dichter Salo Allenbeystreet Nummer 19. Von ihrem Balcon aus übersieht man in seiner ganzen Rauschepracht den Ozean er dampft in alle Allenbeystreetstuben. So im Elementaren lebend, vergessen wirkliche Menschen, die welche noch nicht verlernt Menschen zu sein, Zeit und Raum. Tage und Nächte bleibt man Gast und handelte es sich auch nur um eine Orange an der man sich erfrischen sollte, aufgenommen als Mitglied einer Familie. Ich sah nie nach der Uhr. Dem Dichter ausserdem schlägt nur eine Stunde vom Turm des Universums. Was zählen da einige Stunden im liebevollen Gespräche in einer Stube sitzend im ewiggroßen Raum der Welt. Mir ist heute klar, warum mein Vater nie die Uhr lernen konnte selbst ein Element der Zeit. Wie schaal und kühl erlebte man in frühster Jugend manch einen Lenz, ihm folgten gährende und glühende Sommertage nach längst vergessenem Juli sparsamen Blühens in späteren Jahren.

Der Künstler ist der Zeitüberwinder und Raumüberwinder. Beiden die nach Menschen bemessene Zeit und nach dem Maas berechneten Raum geht er hochmütig aus dem Wege. Der künstlerische Mensch lebt in zwei Welten in der irdischen und in der jenseitigen Himmelswelt von der sich immer wieder neu, aus [130 (118, 107, 95, 105); 17:12 21] mahnend irdisch vergänglicher Welt zeitliche und räumliche abstösst. In Palästina besonders in Jerusalem fragt man sich oft, bin ich eigentlich noch in »dieser« Welt? Ich meine auf der Erde. Es muss wohl geographisch wie man es gelehrt bekommt, nicht ganz stimmen. Jedenfalls ist Palästina wenn auch noch eine weltliche Stadt, doch als Vorstadt der Himmelswelt gedacht. Der Vorraum zum Allerheiligsten. Mit dem Gedanken baute sicherlich König Salomon den ersten Tempel. So oft stiess ich durch die Posaune der Frühe wie freut sich der Herr über die welche sich zufrieden bewegen in den Gängen und Hängen Jerusalems sich nicht überheben nicht zu hoch bauen. Er küsst jeden der Monde die zwischen Grünblatt an den Zweigen der Büsche reifen und feiert mit den Chaluzim den Morgen. Wo die weilen und säen und pflanzen, wird immer Bibel sein. So beteuert Gott in jeder neusichrötenden Frucht. »Sein« Lächeln bewegt die Welt.

Ergreifende Landschaften eingerahmt an den Wänden hängen in den Kunstsalons Jerusalems und Tel-Avivs. Motive vieler Colonieen und ihre jungen Bauern und Bäuerrinnen erstklassiger Maler. Das kleine Fräulein weiss die Colonie jedes Bildes zu nennen. Und im Bilde hatte ich nun auch die besucht und reich kehrte ich nach Jerusalem heim. Ein Stern ein sehr begabter malte hoch am Himmel eine Landschaft, die reichte fast bis zur Erde. In dieser Einfalt des phantastischen Gedankens ruhte meine Seele vom Tag aus.

[133 (119, 108, 131, 96, 106); 17:12 25] Rechter Hand zur Seite meines Gasthauses Nordia führt abwärts eine senkrechte Gasse bis in den Shop des Palestine Lloyd im selben geräumigen Hause eine Treppe höher zu den Bureaux. Doktor Turnowsky bemerkte ich schon beim Herabsteigen des kleinen Steges, auch wie er mich aufmerksam machte auf das Herannahen einer Trampeltierkarrawane die rechter Hand hoch vom Berge kam. Er der Oberprimaner aller Reedereien, Dr. Turnowsky kenne ich schon von Europa her immer ein lustig Abenteuer im Augenwinkel. Trotz oder gerade seiner bekannten Tüchtigkeit hegte er den chevaleresken Wunsch mir der Dichterin so vieler anerkannter Dichtungen »mit Ehrenpreisen gekrönt!« das Schiffsbillet zu dedizieren »leider das Rückreisebillet«. Er werde mit der Direktion reden. »Warum wollen Sie überhaupt nach Europa zurück?« »Aus einigen Gründen, die will ich Ihnen gerne anvertrauen, oder dann wenn ich mal wieder komme und abreise.« Meine Gründe zu unterbreiten war hier nicht der richtige Ort, immer wo wir uns auch begegneten verwandelte sich der Raum in dem wir uns befanden, in ein Klassenzimmer darin noch Streiche versteckt der ausgelassensten Schüler. In den Korridoren des Lloyds, befindet sich das Office der Mister B. Barkays and Sandmanns dort verhandelten wir wegen meiner Vorträge in den Colonieen. Ich versprach sie nachzuholen sowie ich wieder komme in unsere Heimat ins Hebräerland. Vom Lloydhaus die breite Strasse empor sieht man schon entgegenkommen das nach New-Yorker Muster gebaute wolkenkratzerische Grand-Hotel das luxuriöse Hotel David. Es erregt in mir keinen Neid. Wie schon gemeldet liebe ich mein Nordia und meinen Treibhausraum. [139 (135, 120, 109, 132, 97, 107); 17:12 37] Auch passt es sich nicht recht für mich in der Heiligen Stadt gerade für mich eine Dichterin nicht, im Luxus zu tagen und zu nächten. Aber wiederum auch nicht für die – – verehrenden Leser und Leserinnen meiner Bücher, sollten sie den Entschluß fassen in das Hebräerland zu reisen. Aber darum wäre ich doch gerne öfters über – ein Auto wenigstens – gestolpert. Schon zum ersten Mal im Heiligen Lande weilend, nach Tiberias träumend, angelehnten Rückens, gefahren, von dort nach Nazareth. Und den alten frommen Tempel in Karpanaum besucht. Und die Hügel der vielen Heiligen und des mächtigen frommen weisen Arztes Maimonides. Aber ich werde es bald nachholen und von diesen Palästinäsischen [     ]. Es rührt mich die Aufmerksamkeiten und Freigebigkeiten der eingeborenen und der ohne Hab und Gut ausgewanderten Juden die wie damals durchs rote Meer von Egypten flüchtend ihr Brot ungesäuert mitnahmen, und brüderlich untereinander teilen. Von jeher überwand der tiefe Jude gerade der Versuchung des Geldes überstehend. Ein Prüfstein das Geld. Der tiefe Jude horcht auf die Stimme seines Gewissens. Doch fehlt sie ihm ist sein Herz taubstumm, verwandelt er sich, stammt er aus alter Familie, selbst in eine alte Münze, sich vor aller Armut verschliessend. Raffkes giebt es auch hier im Judenvolke, Leute! Nicht Menschen, innerlich an Sternen arm, an Gott. Das Blinken des Talers ersetzt ihnen den Reichtum des Lichts. In Palästina begegnet man grosser Anspruchlosigkeit und Zufriedenheit und Reichtum der Seele.

Palästina ist das Originalland aller Länder. Nach dem Schöpfer-Ebengebild sind vom Schöpfer alle die weiteren Länder erdacht. Wer in Palästina sündigt, versündigt sich zwiefach. Und nach diesem reinen zugleicher Zeit logischem Begriff hat man seinen vornehmen Paragraphen geschaffen: Wer in Palästina unter den Juden einen Juden betrügt macht sich strafbar, aber der Jude, der einen anders gläubigen betrügt [140 (136, 121, 110, 133, 98, 108); 17:12 46] hat sich zwiefach vergangen und straffällig gemacht. Der Jude der in Palästina nach vergänglichem Reichtum trachtet ist nicht gottwohlgefällig.

In Jerusalem entsprangen und münden die »sechsunddreissig Gerechten«, die immer zwischen uns Menschen auf Erden wandeln und im Fall ableben wieder ersetzt von Gottes Hand. Wir beugen uns vor der grossen gütigen engelhaften Gestalt Herzls des nun toten schlichten Melechs.

Denselben Weg, den ich hinwanderte zum Lloyd, schlage ich ein zurück in meine liebe Treibhausstube. Raste am Zaun des kleinen graumelierten arabischen Friedhofgärtchen betrachtete die schon halbverfallenen, verwitterten Denkgesteine bis zwei niedliche Araberkindlein aufschreckten von gegenüber des Gässleins, die mich schon ganz genau kennen, nach mir und der Chokolade rufen. Auf dem Arme ihrer Mutter sitzen sie dunkle Puppen, die ich mir als Kind so gern kaufte. Zwei Bettlerinnen leicht verschleiert; wäre ich eine Egypthologin, ich wäre im Stande ihre ihnen eingeätzten Hieroglyphen auf Stirn und Wange zu entziffern. Und dem einen süssesten Kindlein verraten, wer im Herzchen seines Kinns wohne. Um vier Uhr traf ich meine Freunde im Cafe Vienna zur Musik. Es spielen begabte Musikanten englische und schottische Lieder und ab und zu asiatische spanisch gefärbt. Vienna ist das Cafehaus der englischen Soldaten und schottischen und immer heiter und gefüllt wie seine gute Tasse Cafe und sein vorzügliches Glas Tee. Man trifft dort alle Juden aller Länder, deutsche, französische englische, italienische, persische, syrische, Juden aus Sarmakant, aber auch alle Religionen fremder Länder. Manchmal sitzt ein einsamer Mönch an einem der kleinsten Tische und freut sich [141 (137, 122, 111, 134, 99, 109); 17:12 38] an der Gabe der lieben Musik. Ich konnte nie fortkommen, sass ich einmal in dem interessanten internationalen Raum oft mit dem englischen gentlen Buchattaché Mr. Reiner und seiner mädchenhaften Mistress zwischen roten Fez’s der Egypter und eingeborenen palästinesischen Arabern. Oft vernahm ich aus ihrem eigenen Munde, dass die Rückkehr der Juden nach Palästina den Arabern nicht zum Schaden gereichte. Mancher Arabische Arbeiter, zum Bauen der Häuser jüdischer Colonieen herangezogen, sein gutes Auskommen habe; seiner Familie zum Segen. Den Juden liegt es am Herzen die Finanzen seines Stiefbruders zu ordnen aus Liebe zum Nebenmenschen und aus angeborener Weisheit. Vor der Stadt Jerusalem leben einträchtig die Nachkommen Isaaks und Ismaels, die wilden Semiten. Ich glaube wahrheitsgetreuer zu berichten, wenn ich sage: nicht die verwilderten Semiten aber die noch, wie ich mich selbst überzeugte, naturhaftesten Semiten. Es sind die schlechtesten nicht. Ich mochte diese Verwandten und schämte mich meiner Brüder nicht, eine grosse Überraschung. Nach einer Weile fühlte ich mich auch befreit von jedem Widergefühl ihrer saloppen Äusserlichkeit. Genau wie der Gärtner seinen Ekel vor Wurm und Schnecke und schlammige Erde an der Wurzel der Pflanze, pflanzt er sie um auf ein anderes Beet, überwindet, sie liebreich zwischen seinen Händen nimmt, so betrachte ich den mit den Zeiten vergessenen Urwaldsemiten nicht von der Cultur beleckt. Sie stehen mit Leib und Gemüte noch in der Erde [141/2 (138, 123, 112, 135, 100, 110); 17:12 47] zwischen Ameise, Erdextrakt und Raupe, tropisch den Elementen hingegeben. Aus diesem naturwissenschaftlichen Buche lernt man nur in Palästina zwischen seinen vergilbten verstaubten Blättern erlebt man noch naturtreu von Wanderung zur Wanderung vorübergehend in Zelten rastend die semitischen Stiefbrüderbeduinen. In einem vergessenen Winkel des Hauptzeltes entdecke ich einen seltenen Gürtel aus Muschel, Koralle und Perlmutt, zieh ihn hervor wie eine Copra. Wer weiss wer ihn versteckt; ebenso die Schellengehänge für die Knöchel der Füsse. Aus der Zeit der egyptischen Judenheit aus der Zeit des Pharaos. Ich legte den Gürtel um meinen Leib und die Armketten um meine Arme und trug der erstaunten Gemeinschaft urwäldlicher Hebräer und Ismaeliten meine Ballade des Joseph und seine Brüder vor, er verkauft wurde von ihnen an die fremden Kaufleute.

Die Palmenblätter spielten müde mit den Palmen noch

So dunkel war es schon um Mittag in der Wüste.

Und Joseph sah den Engel nicht, der ihn vom Himmel grüsste

Und weinte, da er für des Vaters Liebe büsste .....

Und suchte nach dem Kokos seines schattigen Herzens doch.

Der bunte Brüderschwarm zog wieder nach Gottosten

Und er bereute seine schwere Untat schon –

Und auf den heissen Sandweg fiel der schnöde Silberlohn.

Die fremden Männer aber ketteten des Jakobs Sohn

Bis ihm die Häute drohten von dem Eisen zu verrosten.

[143 (131, 120, 101, 111); 17:12 49] So oft sprach Jakob inbrünstig mit seinem Herrn

Sie trugen gleiche Bärte Schaum von einer Eselin gemolken .....

Und Joseph glaubte jedesmal – sein Vater blicke aus den Wolken

Und eilte über heilige Bergeshöhen ihm nachzufolgen,

Bis er dann hinsank trostlos unter einen Stern.

Egypten glänzte feierlich in goldenen Mantelfarben

Da die Ernte auf den Salbtag fiel.

Die kleine Karrawane – endlich nahte sie dem Ziel.

Sie brachten Joseph in das Haus des Pothiphars am Nil.

– – – – – – – An seinem Traume hingen aller Deutung Garben.

Die ganze Nacht wiegten mich die monotonen und doch melodischen Lieder der Bar neben meinem Gasthaus in meinem Bett wie in einer Wiege und ich träumte mit offenen Augen von den erwachsenen nicht von Menschenhänden gepflegten Geschöpfen Spinnweb und Moos setzt sich an ihr erdfarben Kleid und Fliegen geraten ungestört in die Netze. Keinem Juden keinem Araber nicht einmal einem Altertümer fällt es ein aus ihnen etwa Parke zu construiren, die Hand der – – – – Cultur anzulegen. Ihre Verwilderung hat eben etwas Urberauschendes an sich starker Satz vornehmen tausendjahre im Gewölbe gelegenen Weins. Mich beglückte geradezu das einstimmige Händeklatschen, ihre wilden Beifallausrufe. Ihre Felle drängten sie mir auf zur Gegengabe zu nehmen ich musste mir auch manchen Kuss und manche geölte Umarmung gefallen lassen. Der Araber und der jüdische Beduine pflegen sich zu ölen glaubte bisher dass nur der sesshafte Palästinäer Araber und Judenaraber sich mit dem Saft der Olive wasche das zugedachte [147 (144, 132, 121, 102, 112); 17:12 50] Trinkwasser kostbaren zugemessenen Trunk für den Durst aufsparen. Ihr Tadel zumal ich eigens meinen Joseph in hebräischer Sprache übersetzt auswendig gelernt hatte, hätte mich ins Herz getroffen.

Nach diesem aussergewöhnlichen Vortrag sprach ich wieder vor gezähmten Menschen Jerusalems anzunehmen vor den cultiviertesten der ewigen Stadt. Die beiden künstlerischen Brüder Steimatzki, Besitzer des ersten Kunstsalons in Jerusalem hatten mich feierlichst eingeladen zu einem Vortrag in ihren Räumen. Auf einem der Ausstellungstische lagen sorgsam ausgebreitet Zeichnungen meines geliebten Sohnes Paul (Paul Lasker-Schüler) in den letzten Jahren seines Lebens gezeichnete; viel Tragik aber auch Heiterkeit dieser Welt Greise mit Kindergesichten und Kinder durch deren geöffneten Augen starr der Tod blickte. Aber auch mannigfache Bilder der Liebe malte mein teurer Zeichner, holde Mädchengesichte aus denen es sonnenscheint. Und viel Liebe in Übermass Liebe ... denn er suchte durch alle Herzen stürmisch »die Eine«! Die ehrliche Begeisterung der beiden Brüder Steymatzki über die Produktionen meines nun im Himmel weilenden Kindes, tat mir wohl. Immer wieder traten wir vor dem Ausstellungstischaltar und der feine Kunstkenner erklärte manchen Beschauer die seelischen aber auch die technischen Feinheiten der Zeichnungen und schon reproduzierten Arbeiten in so vielen angesehenen Journalen europäischer Hauptstädte. Ich sagte dann manchmal zu Doktor Steimatzki, mein bescheidener zurückhaltener Junge wird hoffentlich nicht herabblicken, in der Zeit wir sein Können loben. Er würde es [148 (145, 133, 122, 103, 113); 17:12 51] nicht dulden. Ich fühlte seine Bilder nun gesegnet. Als ich dann am Abend vor meinem steinernen Künstlertisch sass und Perlen der brennenden weinenden Kerze auf meine Hände fielen, kamen grösste Engel mit den kleinsten an der Hand und betrachteten sicherlich meines Jungen Bilderreihen. Auch die er als zweijähriges Kind gezeichnet noch von Schiebtüren festgehalten in seinem hohen Stühlchen sass – und Raben zeichnete, die von seiner Speise mit ihm aßen ..... Wunderkinder sind grosse, oft die fertigsten Künstler, da sie am Ende der Laufbahn beginnen. Unter den Grossstadtlaternen die herumliegenden elektrischen Kohlen auch kleine Kalkstückchen die er auf den Böden der Neubauten fand, dienten ihm zum Lieblingsmaterial seiner Bilder. Er schwimme geradezu über das Papier der Blocks verbreitete sich das Urteil vieler Maler und namentlich einiger Simplicissimuszeichner in München der Kunststadt Bayerns. Immer mehr wollte Doktor Steymatzki von meinem geliebten Sohne hören, seine Schönheit hatte er schon preisen hören, dass er noch dazu der liebste schlichteste Junge gewesen, setzte ich dazu. Die feine zartatmende Gemeinde vor mir Lesende zerfloss vor meinen Augen fast zu Schaum geklärt sich wieder zusammenfügend wie vor einer Auferstehung. Es geschah nur einmal da ich an die Kraft meiner Gedichte glaubte. Gott mag mir verzeihen. Es blitzte fürchterlich eine blitzende Hand die in den Raum drang sich auf meinem Tisch legte feuriggespenstig und mich nicht erschlug, aber auch kein geschriebenes Menetekel als Antwort hinterliess. Ich weiss nur eines, der Dichter jeder Muse ist ein Betrüger der nicht an die Kraft seines Verses glaubt.

[149 (146, 134, 123, 104, 114); 17:12 53] Gegenüber vom Kunstsalon Steimatzki befindet sich der Kunstsalon eines ehemaligen berliner Kunsthändlers. Auch vor diesem Schaufenster und in den innern Räumen bewundere ich am intensivsten die schönen Plastiken. »Mein Salon, dein Salon« pflegen manche der ausstellenden Maler und Bildhauer zu sagen. Es teilen sich die Künstler der bildenden Künste im – – Hazardspiel, denn – »Glück muss man haben vor allen Dingen!« Glück zu verkaufen die Reproduktion ist sie nicht geradezu wie die Bilder meines Sohnes mir ans Herz gewachsen. Eine Operation macht der Schaffende so hoch sich ihm auch Gelegenheit bietet, sein Tableau zu verkaufen, immer durch, oft eine schwere. Er verliert vorübergehend den Verstand, wie ich einmal, heute noch keine Heilung verspüre. Soll ich erzählen? Werde ich nicht verraten werden wenn ich den Lesern meines Hebräerlands anvertraue dass ich meist nachdem ich eines meiner Buchillustrationen veräussert habe, das in fremden Besitz übergegangene Attraktion mir ein hilfloses anspruchloses schwarzes Lamm, oft bei helllichten Tage ein weisser Jaguar raube es zu bringen wieder zurück zu seiner Heerde.

Zum vierten Mal sprach ich meine Verse in einem Mädchenseminar von jerusalemitischen reizenden Bachfischen. Angehende Studentinnen, falls sie nicht von einem Delphin vor ihrem Studium geschnappt werden. Mein Honorar bestand aus einem durchsichtigen Säckchen voll von rosigen Muscheln vom Tiberiassee, lauter versteinter Flossen. Nun umspühlen sie meine Schabbattkerze am Abend [151 (147, 135, 124, 105, 115); 17:12 74] vor dem Ruhetag allwöchentlich.

Komme ich zurück ins Gelobte Land, eile ich vorerst ins Emek der Edlen. Ihnen den tapferen Bauern und Bäuerinnen meine Bibellieder vorzutragen. Denn der Dichter soll mit dem König gehen. Ich will die Söhne und Töchter des letzten grossen toten Melechs preisen die Emekkinder Theodor Herzls seine junge Nachkommenschaft. Seine Sehnsucht nach der verlorenen Urerde, färbte sie rot. Er wusch den Schatten der Vergängniss von ihrem staubfälligen Pfad. Sein Glaube an Gott und an das Land des Herrn ebnet den Juden den steinigen Weg.

Ich versuche wiederum, aber ohne Erfolg am Tisch in meiner Nordiastube zu dichten dann mit einem bunten Stift meine am Tage gesammelten Eindrücke zu verewigen. Aber immer schleiche ich mich davon, mindestens auf meinen Balkon sehe die bunte Welt aus der nähsten Vogelperspektive und fange an zu singen, sollte eigentlich eine flatternde Wolke nicht schalmeien über die alte Bibelgegend darin ich im Mittelpunkt residiere, kein Vöglein würde solch eine Kateridee begreifen können. Ich weiss ich weiss, die Musen der zeitlich gesegneten Enkel haben mich nicht verlassen spielen nur mit mir Blindekuh. Und seh doch alles – aber verzaubert. Und Zauber zaubern ist keinem Menschen dem allerberühmtesten geschwindesten Zauberer nicht verliehen. Wie soll ich ein Gedicht zaubern zwischen verzauberten Sinnen, ein Bild aus verzauberten Bildern? Ich befinde mich im Zauber Jahrtausender. [150 (148, 136, 125, 106, 116); 17:12 75] Aber schon Verzaubertes noch zu verzaubern gelingt mir nicht. Es musste erst wieder eine Perspektive entstehen, zwischen der verzauberten Bibelwelt und mir. Ich bin also in das Land meiner Nebenbuhlerschaft gekommen – mir wars schon recht; arm soll man kommen ins Heilige Land, geplündert, die letzte süsse Mandel fällt sie ab vom Zweig, so will es Gott dass man Seinem Worte folgen kann.

Die ehrwürdigen, ehrfürchtigen Chassidimpriester, die ich am Phingstmorgen zur Klagemauer schreiten sehen durfte, zeichnete ich wie alle meine Illustrationen des Hebräerlands in Zürich im Schweizerlande und blickte auf die Berge von Moab mit der Aussicht auf die Alpen. Das mächtige Heiligenbild der Rabbuniväter mir in Fleisch und Blut übergegangen, ich würde sehr weinen verschwände es einmal wie ein Kind weinen würde über sein zerbrochenes Spielzeug, so ich über mein heiliges Spielerisches Bild.

Hugo Bergmanns Frau holt mich manchmal aus meinem Bau. Wie jedesmal zufällig trifft sie mich auch heute sehr müde. Sie macht mir Vorwürfe und ich sei ein Siebenschläfer dabei sitz ich die erste am Schabbatt hinter den Gittern der Synagoge, manchmal die erste am Tisch des Schabbatts bin ich eingeladen mitzufeiern und freu mich schon auf den Mohn des Schabbattbrodes und den süssen Palästinawein darin ich die Kante tauche. Ich ziere mich gar nicht am Tisch Gottes wäre das wirklich komisch.

[152 (149, 137, 126, 107, 117); 17:12 59] Unten warte der Omnibuss nach Bethlehem; Gewerett Else Bergmann meint unten am Jaffator. Sie liess mir noch nicht mal Zeit mir eins meiner schmucken Tücher um den Hals zu binden. Wenn ich mich heute mal enthalten würde vor den Bazaren der Strasse nicht zu verweilen, kommen wir noch zeitig zum sechs Uhr Omnibus. Ich versprach. Ein Mann im stolzen Fez nie sah ich einen steiferen höheren Bau, versuchte uns mit allen Kniffen zu überreden ein Privatauto mit ihm half and half, zu besteigen. Die Geburtskirche sei geschlossen wenn wir nicht einwilligten mit ihm das schnellerbeförderndere Gefährt zu teilen. Aber die Professorin sass schon am Fenster des allgemeinen Autos und wir hörten einen Mitreisenden erzählen dass dieser in Kaftan und Fez verkleideter Europäer braun überbrannt, allabendlich versucht Frauen in ein Auto zu locken unentgeltlich Bethlehem zu erreichen und oft noch seiner wartenden Taube galant ein zartes Täschchen pflege mitzubringen. Herrlich durch die Wüste zu fahren über den ewigen Sand zwischen den fremdartigen bunten Menschen sitzend. In zwanzig Minuten hatten wir Bethlehem erreicht wie eine Knospe kam das kleine Städtlein mir vor am Selbigen Zweig der stillen Zionblume. Ich hatte mir wirklich Bethlehem genau so vorgestellt den umsungenen kleinen Bibelort. Wir schritten leise über den viereckigen weiten von [153 (150, 138, 127, 108, 118); 17:12 60] einer weissen Mauer umgürteten Platz; aus dem bulgarischen Abteil der Geburtskirche sangen einige Mönche, wie wir uns später überzeugten denn die Geburtskirche besteht aus vielen Kirchen und es war die dritte Kirche die wir zwischen selbigen Mutterwänden umschlossenen frommen Gewölben betraten. Eine Gemeinde von Kirchen in selber Räumlichkeit unter einem Dach. Vor jeder Gemeinde Altar beugt sich ein Volk und betet. Den Abendstern sah man schon hinter einer milchigen Wolke warten als wir die Geburtskirche verliessen. Wir sahen keinen Menschen mehr auf den herrlichen Platzhof aber vor den zwei grossen Bazaren standen Frauen zu denen wir uns begaben uns wie die sich Rosenholzketten zu kaufen. Dann bogen wir in ein so kleines Gässchen ein wie ich bisher noch keins erlebt habe in der ganzen Welt. Immer von den armen Kindern Bethlehems begleitet. Jedes der Kinder schleckte an einem Bonbon, an einem gelben oder grünen oder gestreiften die wir Geweretts ihnen gekauft haben. Auf einmal standen wir vor einer breiten Freitreppe im Mittelpunkt der bezaubernden Stadt auf der untersten Stufe sass ein kleines Mädchen mit ihrem Puppenkind auf dem Schoss das noch nicht reden könne. Aber die kleine Mutter sang ein Liedchen im Uraltem hebräisch gab uns ein jüdischer Bettler zu verstehn. Es stamme noch aus der Zeit der ersten Judenchristen:

[154 (151, 139, 128, 109, 119); 17:12 64] Abba ta Marjam

Abba min slihi.

Gad mara aleija

Assama anadir –

Binassre wa wa!

Lala Marjam

Schu gabinahu

Melechim haduja.

Lahu Marjam

Alkahane fi sijab.

Träume, säume, Myriammädchen ....

Überall löscht der Rosenwind

Die schwarzen Sterne aus.

Wiege im Arme dein Seelchen.

Alle Kinder kommen auf Lämmern

Zottehotte geritten

Gottlingchen sehen –

Und die vielen Schimmerblumen

An den Hecken –

Und den grossen Himmel da

Im kurzen Blaukleide.

Einige bethlehemische Frauen kamen von den obersten Stufen der Stadttreppe geschritten in der üblichen bethlehemischen Kreuzritterinnen Tracht arabische Christinnen in purpurroten blumengepressten weiten Sammtjacken. Von dem hohen Drahtgestell auf ihren Kopf fällt ein weisser Gazeschleier über ihren Rücken zartfliessender Milchschaum. Die fremden Bethlehemitterinnen grüssen uns beide Frauen und ihre kleinen Söhne mussten uns die Hand küssen. Vornehme orientalische Ritterinnen aus dem Blute Juda aus der Stadt des hebräischen Wunderkindes. Es liess aufgewachsen einst die armen Kindlein zu sich kommen. Aber auch hier hungern noch die armen Kinder der Armen. Sie sind die kleinen lieben unvergesslichen Geschöpfchen des holden Städtleins Bethlehem.

Es war noch in der Frühe, noch nie seit meinem Dasein in Jerusalem war das Goldkind so früh aufgestanden aus seinem hellen Wolkenbettchen. Ich hörte die drei adretten Kinder meines Wirts durch meinen Corridor conferieren, am welchen Fenster der vielen Fenster des grossen Corridors es käme auch der kleinere Corridor [155 (152, 140, 129, 110, 120); 17:12 66] in Betracht, sie am besten den Streik der Juden beobachten könnten. Ich war heute im Nu angezogen und die drei hübschen Kinder die zwei artigen Knaben und ihr reizendes Schwesterlein im weissen Spitzenkleidchen gaben mir genauen Bescheid. Die Jaffa-Road habe ich nie so menschenleer in den zwei Monaten seit meiner Ankunft in Jerusalem und so ausgestorben erlebt wie an diesem Morgen. Ob eines polizeilichen Erlass wegen? Aber ich war doch auf der Street, bald sogar im Mittelpunkt der City angelangt. Natürlich stolperte ich wieder über einem lockeren Pflasterstein. Dass der gerade, wo doch immer gebaut wird ringsum nicht benötigt wird, eingepflanzt neben den Nachbarsteinen mitten auf dem Damm. Ich humpelte zunächst weiter und setzte mich auf einen Stuhl an Europa gelehnt, ich meine an die Wand des Cafehauses Europa gelehnt. Auch habe ich nie den Besitzer des einen Stuhls gefunden; einmal stand er dort das andere Mal am Cafe Vienna auf dem Trotoir. Auch am Cinema Zion traf ich ihn schon und ein Beduinenmädchen nahm ihn mit in den Cassenraum, denn der Biletverkauf war gross und die alte Beduinenmama sass schon lange genug auf der harten Steintreppe und einmal klopfte sie auf den rechten Halbmond einmal auf den linken eingeschlafenen. Ich kam mir vor, ein einziger Gast in der Proszeniumsloge der Streik konnte beginnen. Da kam ein Sheik, sicher war er einer in seinem silbernen Turban und fragte in seiner Muttersprache, ob ich etwas rücken möchte? Ich verstand [156 (153, 141, 130, 111, 121); 17:12 69] vor einer Sonnenfinsterniss, da alle Häuser und ihre Gärten schweigen und die Rose ihren Kopf zur Seite neigt. Dem Landschaftbilde glich die Stadt. Eine Wolke zog auf am Horizont Schwärme drohender Menschen, finsterer noch wie der Wetterwolke trotzige Stirn. Ein europäischer Jude gerade im Heiligen Lande angekommen, fragt mich, was los ist? Neben ihm ein kleiner Araber trägt seine Reisetasche beflissen. Als ich dem Arrivierten antworte, unsere tapferen Judenbauern der Colonieen revolutionieren, zuckt er müde mit den Achseln und überlässt uns den Kampf. Aber mein fürstlicher Nachbar deutet mit seiner Hand auf einen Trupp herannahender britischer Soldaten, die Anführer beherrscht ihnen voran auf ihren Rossen, jeder ein Lord. Ein zweiter Trupp von Schotten in ihren grünrotgelbcarrierten Beinkleidern, die avanzierten in kurzen in selbigen Farben carrierten kurzen Röcken folgen den Engländern auf dem Fusse. Der Araber und ich schoben unsere Loge näher an den Rücken des Hauses, der englischen Armee keinen Grund zur Rüge zu geben. Ihm wurde überhaupt aber auch mir etwas unheimlich zu Mute. Hauptsächlich vor dem Aufbruch gekränkter Menschen Giesbäche reinstes selbstlosestes Material ergoss sich von den verdunkelten Anhöhen in die City Jerusalems. Wir beide sassen wie zwei Kaiser aufmerksam den Vorgang prüfend auf unserer Erhöhung zwei semitische Melechs ein arabischer ein hebräischer und atmeten auf als sich die Feldherrn der beiden Heere zu einigen schienen. Die Juden forderten von der englischen Oberherrschaft weitere unumschränkte Einreise in das ihnen zugedachte Land Palästina. Das zu befürworten versprach den tapferen Judenbauern die sich mit ihnen einigenden Führer der kleinen Regimenter. [157 (154, 142, 131, 112, 122); 17:12 71] Auf den Gipfeln der beiden Streets Jaffaroads und Benyehudastreet sahen wir beide die Aufständigen verschwinden wie wirbelnde Colosse. Die Britten und Schotten zogen wieder zurück in die untere Stadt. So kämpften zwei Hochculturen, fürwahr ein ritterlicher Kampf ohne Blutvergiessen und scharfverletzendem Wort. Davon bringt heute Kunde eine Dichterin, die einen Thron teilte mit einem Sheik während des Aufstands mitten in der Gelobten Stadt. Es war im Jahre 1934 am 24. Mai.

Noch monumentaler wie das Herabstürzen der tapferen vornehmgesinnten Kolonisten von der Höhe ins Tal, wirkte auf mich und meinen Tronnachbarn das wieder jähe Hinauftreiben heiligster Ebbe über die beiden Strassenwege zur Höhe. Wir der Beduine und ich reichten uns die Hände, ehrerbietig. Er schnürte den Silbergürtel fester um sein Gewand. Es kam ein reicher Araber mit seinem ganzen Harem an uns die wir uns schon getrennt hatten, vorbei dem schloss sich der Sheik erfreut an legte noch einmal seine Hand mich aus der Ferne grüssend auf die Stirn und auf sein Herz; nie sah ich ihn wieder. Ich hörte dann später es war den Einwohnern Jerusalems untersagt, sich auf die Strassen der inneren Stadt zu begeben. Und ich fragte mich für wen sahen die Polizeibeamten mich an und wer war der dazu berechtigte Araber in [158 (155, 143, 132, 113, 123); 17:12 76] kaiserlichen Kleid? Nun drangen Stimmen aus den beiden Cafehäusern Europe und Vienna, in allen Sprachen discutierten die Leute hinter den Mullgardinen der Fenster manche sich ereifernd, wahrscheinlich über das Resultat des Aufstandes der stummer verlief und fast unwirklich als ob ich alles auf einem revolutionären Tableau betrachtet. Ich lief zu Fuss nach Recharia enthusiasmiert der Collonisten gedenkend und ich weiss noch wie ich aufs Dach meiner geliebten Architektenfamilie stieg von dort aus die wilden Stämme aller Erdteile imitierte und einen Siegesruf ausstieg. Huuuuuuuuuuuuuu. Und alle meine lieben Freunde Recharias kamen auf das Dach gestiegen die Caros die Förders der Brenner und seine muntere Frau und am Abend feierten wir im Atelier Krakauers wir tranken unaufhörlich vom süssen Palästinawein auf das Wohlergehen der Bauern im Emek. Ich bin direkt verliebt in die Krakauers in die Malerin in den Architekten in seinen Famelus in Trud ihrem Töchterchen aber auch in ihr lieb Haus und dem Vorgärtchen in den Platz daran ihre Behausung liegt, in dem Himmelsfetzen, der über den Platz mir zuweht steh ich vor ihm an der Hecke der netten Rechariaconditorei gelehnt. Aber auch in die feinen Bilder die beide der Architekt und seine Gewerett kohlzeichnen und malen. Seine Bäume und Waldstumpfe im Mantel einer schwarzen stürmischen Nacht vertragen sich mit den zarten Portraits und verschleierten Araberinnenantlitzen – vorbildlich. Ich kann nicht zu Tische bleiben, Mr. Reiner und his wife [159 (156, 144, 133, 114, 124); 17:12 79] kann ich nicht warten lassen. Mrs Reiner, noch in der Selekta, ich meine so jung gentlich wie eine Schulgängerin, bekommt bald ein baby. Ich hatte schon so lange kein ganz kleines Kind gesehen ebenabgepflückt ein kleiner rosa Storchschnabel vom Hang der Mama, ganz nah an ihrem Bach. Es kam uns nicht weder beim dinner in dem wunderbaren exotischen Essraum mit dem Blumenboden aus Mosaik, noch am Nachmittage auch am Abend nicht auf die Veranda gebracht in den Garten. Schon legten sich ein paar Sterne auf den arabischen schmalen Pallast schlafen. Ich hatte schon ein besticktes Sandalenpaar in einem Spielladen für das erwartete Kindlein gekauft.

Als ich am anderen Tag durch Jerusalem streifte drang wieder Hochzeitsmusik aus dem altesten Hotel auf dem Zionsplatz oben auf den Jaffaroad spielten die Blinden der Heiligen Stadt zum Tanze auf. Es sind die allerschönsten arabischen Judensöhne, könnten sie selbst den Schatz ihrer Antlitze eine Augenweide doch sehen. So dachte ich oben im Eingang des Hochzeitssaal kaum durch die geöffneten Saaltüren geschritten. Aber der der die blinden Musikanten betrachtet, weiss dass göttliches Licht ihnen das innig menschliche Auge ersetzt. Oben am Ende des festlichen Raumes sitzt unter einem rührend schlichten Mullbaldachin Braut und Bräutigam neben ihr der Vater neben dem Bräutigam die Mutter der Braut im silbergrauen weitem Kleid. Neben der Mutter sitzt der Schwiegervater der gerade getrauten kleinen Frau seines Sohnes [160 (157, 145, 134, 115); 17:12 80] und wieder neben dem Vater der glückstrahlenden Braut Frau Schwiegermutter in ihrer schwarzen Fransenbesetzten Seidenjacke aus den Achtziger Jahren als sie selbst eine Braut gewesen und ihrem robusten Aussehen und energischen zu urteilen den Bräutigam heimführte. Sie ist ihr scheints ich sprech von der schwarzen Seidenjacke zu eng geworden mit den Jahren und über ihre wallenden Busen wellen sich hellblaue Gazevullans. Ich wende mich zur jungen niedlichen Frau gratuliere ihr herzlich zum Ehebund und lege ihr ein paar weisse Blumen auf den Schoss in der Mitte des Bouquets blüht eine liebliche rosa Knospe und färbt das kleine Sträusschen morgenrötlich. Der Bräutigam reicht mir seine Hand hin im weissen Handschuh dankend und feierlichst. Ich engagiere die Braut zum Walzer ich führe sie mit einer Sorgfalt in die Mitte des langgestreckten Saals und hebe sie fast ein Fusshoch beim Tanze über dem Erdboden und ihre Schleppe trage ich in meinem Arm so vorsichtig und liebevoll wie in meiner allerersten Kinderzeit ich meine Puppe beim Spazierengehn im Arme getragen die mit den langen schwarzen Zöpfen das Haar opferte meine angebetete Mama für der Puppe Evas Haupt. Die junge Frau trug ebenfalls ihr schönes gewelltes schwarzes Haar in Flechten geflochten, die fielen reizend über ihre schmalen Schultern auf den weissen Caschmir. Auch schlug sie die Augenlider manchmal auf wie das auch Eva konnte, bog sie ihr Gesicht im Tanz zur Seite hielt ich ihren Kopf etwas zurück in den Nacken. Als ich sie dann wieder auf ihren Tron unter dem Mullhimmel brachte, machte sie einen zierlichen Knicks und dann tanzte sie mit all ihren Freundinnen hintereinander. Nur mit einem Manne oder es wäre ihr Bruder gar ihr Vater, ist der Braut am Tage ihrer Hochzeit untersagt [161 (158, 146, 135, 116); 17:12 81] zu walzen. Ihm gehört sie ganz allein. Unter den geladenen Gästen befinden sich viele die sich selbst wie ich mich eingeladen, aber wer kommt geladen oder uneingeladen, ist willkommen. Ein Glas Mitz reicht mir ein Dämchen auf einem Tablett und wir stossen auf das Glück des jungen Paares an. Auch ein durchsichtiges Beutelchen mit Bonbons erhält jeder Hochzeitsgast. Es ist die schönste Hochzeit die ich je mitmache noch dazu so im Vorbeigehen ungeladen umständlich erst auf gedruckten Umschlägen im Couvert. Aber gelockt von Harmonikaschwermütigen Klängen und Dudelsack und Flötentönen zum Fest. Am Abend begaben sich die Gäste hinter dem Brautpaar über die schmalen Treppenstufen aufs Dach. Dort begann der eigentliche Tanz. Die Schwiegermütter plazierten sich auf die niedere Mauer die ringsum mit Kissen belegt, und ich hörte sie nur immer im arabischjüdischen Jargon über den Hausstand ihrer Kinder reden und sich überlegen. In der Küche fehle noch ein ansehnliches Kanapee wie einst bei ihnen im jungen Hausstand in Polen dazumal ihre Eltern ihnen erzählten. Seit zwei Generationen in Palästina ansässig wissen die Enkel gar nicht mal mehr oder von Hörensagen, in welchem Erdteil das Geburtsland ihrer Grosseltern gelegen. Sich immer wieder an das Weh der Pogrome erinnernd, verzichteten Kinder und ihre Kindeskinder auf die trauervollen Erzählungen der Grosseltern und der Hinterbliebenen Herz blieb verschont von den düsteren Schattenbildern der einst verfolgten Ahnen. Arm sind die von Osten Europas sich assimilierten Juden vorbildlich einfach in ihren Ansprüchen, aber voll Heiterkeit und frommer Laune. Ihre Feiertage heiter gedeckt und enden im schlichten Spaziergang Arm in Arm liebe junge Jüdinnen in Kleidern [162 (159, 147, 136, 117); 17:12 82] ich möchte sagen in Kleidern aus grossen Puppenlappen. Ein Lilafeierkleid gelbseiden eingefasst. Oder ein feierlich schwarzes Kleid mit einer rosa Borde, oder ein rotes Taillenkleid mit einer Silberschnur um die Taille. So gekleidet trifft man die lieben Mädchen mitten in der Stadt Jerusalems plaudernd auf dem Zionplatz am Schabbattende. Alle hebräischen Läden die sich grosser Sauberkeit erfreuen, stehen zum Einkauf wieder für den anderen Tag geöffnet den Sonntag der gesammten Bevölkerung. Noch weile ich oben auf dem hochzeitlichem Dach zwischen entzückenden Guirlanden nach mancher Feige schnappen die Kinder und pflücken sich heimlich so eine lachende kleine Orange ab vom Zweige aus dem Laub; die Blumen sagen und das Laub ja nichts wieder. Immer wieder betrachte ich das schönste und besttanzende Paar zwischen weniger guten tanzenden Frauen und ihren Partnern. Der Polka ist zu Ende die lieben blinden Musikanten erfrischen sich. Mein schönes bewundertes Paar drehen lächelnd sich noch zwei silberne an beiden Enden buntummalte Kreisel die noch nachzittern vom sich drehenden Tanz. Bis sich eine Anzahl Freunde und Freundinnen um beide schaaren und sie zum Stehenbleiben nötigen. Vielleicht verursachten, zu beendigen ihre Liebesouverture. Sie hatten sich erst heute kennen gelernt die Hutmacherin ihn der junge Schneidermeister sie die schönste jüdische Jungfrau in Palästina City. Und es wunderte keinen und keine der Hochzeitsgäste, erweckte bei einzelnen jungen jüdischen Dämchen nur etwas – vielleicht – Neid, als der bezauberte junge Schneider sein Centimetermaas aus der Rocktasche nahm verstohlen und [163 (160, 148, 137, 118); 17:12 83] seiner Fee Maas zu einem neuen Costume nahm. Schmuck sollte es werden.

Mein Freund der grosse hebräische Dichter Uri Zwi Grünberg nebenbei hebräischer Oberst im Heere Erez Jsrael nebenbei ein Wildling sondergleichen, nichtsdestoweniger der einzige Sohn des wundervollen Wunderrabbiners in Lemberg, und einer Mama die seinetwegen auf die Welt gekommen in die Welt zu setzen, den hebräischen Dichter Uri Zwi. Einer Liebe auf den ersten Blick folgte ein zweiter Blick mit Kurzschluss. Doch um unpersönlich zu berichten einen der interessantesten Vorträge hielt er in Berlin vor Jahren über etliche seiner dichtenden Collegen nicht alleine der Länder Europas ja aller Erdteile. Er hat alles gelesen schon als Kind in der Bibliothek seines von ihm geliebten bewunderten Vaters, der nie ein strafendes Wort zu ihm gesprochen habe im Leben, ihn nur mit der Traurigkeit seiner Augen über eine Unart, ihn bestraft habe, die ihm oft weher getan und gebessert habe, wie eine kräftige Ohrfeige. Uri ist schön nach Indianersart kupfern sein Teint ein paar Nuanzen heller wie sein züngelndes Haupthaar seiner Augen Bluten. In Tel-Aviv begegneten wir uns vor vierzehn Tagen ungefähr nahe am Strand wieder er mir ein Makkabäer im Geyerfederschmuck ich ihm als Abigail der Tochter Sauls. Übrings taufte man mich mit diesem Namen in Palästina. Abigail. Das b pflegt man weich wie ein w auszusprechen Awigail.

[164 (161, 149, 138, 119); 17:12 84] Von meinem Nordiahotel eben über den Damm, dann durch den breiten Toreingang hindurch, der in einen grossen Park führt, noch vor der griechischkatholischen Kirche, führen einige Stufen ins Gerichtsgebäude. Juden und arabische hohe Beamte eilen durch die Gänge an die vielen Terminräume vorbei aber auch viele Zeugen und ihre Freunde sitzen auf ihre Zeugenaussage wartend auf den Bänken der Corridore. Die Richter befleissigen sich grosser Gerechtigkeit, höre ich so oft erzählen der jüdische wie der arabische; oft fällt sogar ein befreiendes Wort auf die Wagschale des Angeklagten und wird schmackhaft dem Richter gereicht. Wie oft verursacht Heiterkeit die Freisprechung. Verurteilte schuldig nach dem Gesetz bemüht man sich dennoch mit Verirrten zu identifizieren, und wem das Licht ausgeht, sagte mal ein Prophet (in meinem Traum), strauchelt. Wie sollte er auch anders. In einer Hochzeitshymne löste sich der Termin Uri Zwis auf des berühmten hebräischen Dichters. Selbst sein ehrfürchtiger Papa hätte sich eines Lächelns nicht erwehren können, als er endlich zu uns wartenden, alle Myriams und Sulamiths und Ruths ich rechne mich nicht zu der Concurenz, auf Flügeln des Gesanges geflogen kam ein Minnesänger und sofort zwei Namensschwestern der Frau des Boas mutwillig in die Arme sank.

Mir fiel das Bild des hochgeschätzten munteren Advokaten ein Rechtsanwalt Hugo Caros ausgezeichnetes Bild von Hermann Struck gezeichnet; es hängt an der Wand im schlichten Zimmer seiner so heissgeliebten Frau, er nannte sie ihrer Bibelaugen Schmelz wegen: Rahel, tauschte jedoch ihren Namen in Lea um kam er und sein Weib, seine Braut Schwester und Freundin schien ihm bitter gelaunt. Auch seine Prozesse [165 (162, 150, 139, 120); 17:12 85] endigten in Jubelhymnen und seine Klienten feierten noch bis in die Nacht ihre Freisprechung. Er erstickte als Soldat im Weltkrieg. Auf seinem Hügel pflanzte sein Lieblingssohn seines Vaters Lieblingsbaum, daran der Flieder üppiglila wächst.

Immer suche ich irgend eine oder einen Badelustigen der im Ozean in Tel-Aviv baden möchte, mit mir ein bischen in die Goldgräberstadt fährt. Es bringt so leicht niemand jemand aus der wohltuenden Ruhe Jerusalems fort, auch stehen auf jedem Dach in Wasserkesseln, die ihm von der Stadt geliefert kleine Ozeane, mag er das Nass zum Waschen, Trinken, Kochen oder Baden benutzen, ist der städtischen Verwaltung gleich. Zur Verwässerung reicht es, ein Gutes, nicht. Auch möchte ich nicht Palästina verlassen, ohne in Jaffa ausgestiegen zu sein und seine Bauchtänzerinnen und seine Eunuchen tanzen gesehen zu haben. Im Lande selbst ihren Erdtanz zu sehen, wünschte ich mir stets ebenso die Schwertertänze und Feuertänze entlassener Eunuchen. In meinen exotischen Büchern zwischen den weissen Seitenvorhängen tanze ich selbst, oft heimlich in den Gärten meiner Paläste. Diese herrlichen Luftschlösser immerhin angelehnt an des deutschen Landes Rücken, das ich verlassen musste, lösten sich in Äther auf, ein unersetzlicher Verlust im Baubouquet der Welt. Kein Kommerzienrat noch einer der Lords denkt daran mich zu entschädigen und handelte es sich auch nur um ein Kartenhaus. Man fürchtet selbstverständlich Falschspieler könnten sich meinen Besitz zum Asyl aussuchen.

[166 (163, 151, 140, 121); 17:12 86] Meine geliebten Krakauers haben mir versprochen wenn ich eines Tages zurückkehren werde, da ich in letzter Zeit immer von der Abreise nach Europa gesprochen, sie mich abholen werden in Haifa, am Strande Tag und Nacht auf den Lloyd, der mich bringen würde wieder in das Land der Verheissung, warteten. Sie mich selbst in der Verkleidung meines Lieblingsvogels des Meergeyers erkennen würden. Als ich noch unter den lieben Freunden sass, gab ich zur Antwort, ich komme bald zurück! Warum ich Jerusalem und sie verlassen will? Da erzählte ich ihnen, meiner Eltern meines junggestorbenen frommen Bruders wegen, meines teuren Kindes wegen. Aber ihre heiligen Seelen seien doch bei Gott. Auch die meiner von dieser Welt erlösten Spielgefährten. Sein Reich breitet über alle Welten sich. Mit dem Verstand wohl für mich zu fassen, aber mein Gemüt lernte nie zu denken. Aber ich vertraue mich seiner ursprünglichen Wege an. Möchte es nie urbar gemacht werden, etwa zum Park. Aber auch den lebenden Freunden näher zu sein, jedweden Glaubens treibe mich mein indianisches Hebräertum. Noch im gelobten Lande, Sehnsucht nach dem gelobten Lande, verspürte ich grenzenlos. Nicht selten kam es vor, dass ich gerade diese mir lieben Architektenfreunde sagen hörte, als ob wir schon Abschied genommen hätten, wenn Sie wiederkommen, zeigen wir Ihnen Tiberias. Eine Stunde von Haifa entfernt und Nazareth, und den alten Tempel von Karpanaum und wir werden die Gräber der Heiligen besuchen, das Grab des Maimonides des grossen Arztes und Heiligen Dichters in Israel. Ich sehnte mich immer [160 (167, 164, 152, 141, 122); 2:157 761] nach Tiberias in seinen vielen brausenden Quellen zu baden. Verdurstet sind meine gehetzten Glieder und scheu hintreten zu dem Wasser werden meine Füsse, wundes Wild. Ja von dort nach Nazareth pilgern wir zusammen, sagte ich zu meinen Freunden. Immer stellte ich mir den Ort von kleinen Engeln getragen vor. Die Blumen der Unschuld, weisser noch wie die Urflamme, die Pilger über den Pfad streuen. Die kleine Trud nickte und meinte, es könne sein. Als ich vor einem Jahr nach Europa zurückreiste, brachte mich von Jerusalem in fünf Stunden der hebräische Omnibus durch die Wüste nach Haifa. Verbrachte die Nacht im Hause des Malers Struck am Fuss des Carmels. Um genau zu berichten, etwa so ungefähr 70 Meter hoch an der Wade des einzig grünenden Berges in Palästina. Die schöne Villa des bekannten grossen Zeichners und Radierers von Königinnen der Nächte betreut, beherbergt mich die Nacht in seinem Heiligtum dem Atelier des vorübergehend fernweilenden Künstlers. Und ich begegnete nur seinen Bildern, die am Morgen nach meinem Schlummer mit mir sprachen. Der Carmel ist der einziggrüne Berg in Palästina. Auf ihm wachsen verträglich die Bäume aller Erdteile und verständigen sich. Denn ihr Ineinanderrauschen wird stets zu einem Konzert. Ich sehe die liebe Fichte wieder und alle die fleissigen Nadelbäume und alle die blühenden Spiel und Nippsachen an den Eichel und Kastanienbäumen und die Linde und die Birke. Auch Sträucher und Büsche, die bei uns in Europa im Garten artig wuchsen. Beinahe hätte ich so ein Stiefmütterchen geküsst, das – ich hab so was noch nie gesehen – auf dem Carmel doch an einem Busch mit allerlei verschiedenfarbenen Stiefmütterchen wuchs. Und die Beeren erkannte ich alle wieder, die Erdbeere die Himbeere die Brombeere [161 (168, 165, 153, 142, 123); 2:157 762] die Blaubeere, die Preiselbeere und auf den Baumästen alle die knallroten Vogelbeeren, gerade kam ein schwarzer Vogel mit leuchtenden Korallen unter der Stirn die endlich Futter gefunden. Und dass man sich Johannisbrot wirklich von Bäumen pflücken konnte hätte ich mir in der kühnsten Schulzeit nicht träumen können. Nach dem Frühstück stieg ich einsam den Carmel hinab wieder ins Tal. Die Stadt Haifa war schon lange wach, ja schon in hellsten leichtesten Stoffen angezogen, manche Kinder gingen nackt durch die Strassen unschuldig junge goldfarbene Rehlein und von dem Wollkleid befreite Lämmer. Ein schwarzes war unter ihnen, ein abessinisches jüdisches Mädchen um das sich die anderen Kinder liebevoll bemühten. In Haifa ist es viel viel heisser wie in Jerusalem aber auch wie in Tel-Aviv aber genau wie die heilige Stadt terassenförmig gebaut. Fast so geräuschvoll und draufgängerisch aufundniedersteigend gleicht Haifa in ihrem Temperament Tel-Aviv. Unten auf dem Plateau vor dem Strand des Hafens erinnerte mich der internationale aber exotische Betrieb an das Wildwest im unvergesslichen spannenden Buch: Onkel Toms Hütte. Mich packte unheimlich die Massa-Atmosphäre. Eigentlich verursachen sie Europäer abenteuerliche Gestalten, musculös breitschultrig die Hände in den Hosentaschen; neben ihnen unmotivierte Frauen, Helfershelferinnen in gefärbten Locken von schwefelgelber Farbe. Wer die sind weiss höchstens der Policeman, auch was sein Gewerbe. Doch nicht alleine frage mich was haben die hier zu tun? Nun weiss ich es mir Stoff zu meinem Buch das Hebräerland zu liefern. Ihre Anwesenheit im Lande färbt die Athmosphäre ein geringes dunkler, abenteuerlicher, [169 (166, 154, 143, 124); 17:12 87] verbotener, sie gehören vor allen Dingen zur Decoration des Hafens. Dafür berauscht unschuldiger und reiner das Innere der grossartigen Hafenstadt das keusche grüne Carmelherz.

Noch bin ich nicht abgereist, im Gegenteil auf dem Wege wieder nach unserer Wunderstadt Jerusalemme wie der Italiener neben mir im Autowagen sie in seiner Sprache auszusprechen pflegt. Eigentlich hatte ich vorgenommen sofort bei Tel-Aviv noch einmal zwei meiner lieben europäischen Freunde zu besuchen. In Rechovod den Andreas in Rustad Rut Haowim den Hendrik den fanatischen Jünger des Propheten Jessaya. Früher beschäftigte sich mein lieber Spielgefährte und Dichter Andreas mit der Chemie der Jurisprudenz. Alles zerrann ihm nämlich ineinander, die Anlagen die Verteidigungen unter seinen zerstreuten Händen hätte ich beinah gesagt versalzten ihm doch die Freude an seinem Beruf. Dann kam er nach Berlin gereist seine Jura mal zu vergessen. Wir führten ihn durch allerhand Lustbarkeiten zuletzt auf Maskenbälle sogar schon als lustige Witwe, die sich nicht erst bei ihm scheiden lassen brauchte, also rücksichtsvoll taten wir seine Freunde alles unseren liebsten Andreas seinen Beruf vergessen zu lassen. So halfen wir uns gegenseitig eben wie zwei unzertrennliche treue Freunde und Dichtercollegen. Immer wieder war es eine andere Familie Cohen, die mir eine Zeichnung eventuell, betonte Andreas, abkaufen wolle. Schliesslich empfingen die Berliner im grossen elfenbeinfarbnen Couvert eine Einladung zu seinem Vortragsabend im Meistersaal in der Grossbeerenstrasse nahe der Spree. Der gab seiner Existenz, da doch immer wieder Klienten kamen und gingen den entgültigen Rest. Ungern kehrte er mit seinem geliebten Weibe nach Görlitz heim; unterwegs reifte in ihm der Entschluss [170 (167, 155, 144, 125); 17:12 88] nach Palästina mit Familie auszuwandern. Wir treffen uns am Strande in einer der netten Bars; wir sehen beide constatieren wir in dem Spiegelglas über uns ganz unverändert aus, da wir noch zusammen studierten oder vielmehr nicht studierten. Dass er geschieden schon zwei Jahre wisse ich wohl mir waren sogar Einzelheiten bekannt, antworte ich ihm, er mit geschiedener Frau Nebenmann und gemeinschaftlichen Kindern das Weite gesucht habe. Solche Grossherzigkeit ihm ähnlich sehe. Rechovod ist in zwanzig Minuten von Tel-Aviv zu erreichen, und ich soll doch mal herüber kommen seine Papeterie besichtigen. Er zog sein Contobuch aus seiner Westentasche das Geschäftsbuch, auch einen modernen in Landesfarben lackierten Bleistift »recht was zum Illustrieren« .... und zum Ausradieren. Bis dahin war mir noch nicht ein Bleistift in ein Gummi endend vorgekommen. Ich wollte ihn bezahlen, noch dazu sein Papierhaus immer bedroht umzufallen wie ein Papierkorb am Strande, aber noble meinte er müsse die Welt zu Grunde gehen. Wir setzten uns auf eine Düne und blätterten in seinem Geschäftsfoliant. Zwischen Aufträgen und zusammen gezogenen Zahlen, Privatnotizen. Ein paar Manschettenknöpfe – 5 Piaster und 5 Mils. Ein Paar Strandschuhe 2 Shilling etliche Piaster schulde ehemaliger Justizrat Rosenberger Schuhwaarengeschäft vis a vis der Hallo Bar, Allenbeystreet. Eine Tasse Cafe 2 Stück Aprikosentorte mit Schlagsahne = 3 Piaster. Unter den täglichen Ausgaben lese ich notiert ein Rendez-vous mit seiner geschiedenen Frau. Ich erlaube mir die vorwitzige Frage was er und seine geschiedene Frau zusammen in den wiedergefundenen Stunden unterhielten? unter dem geheimnissvollem [162 (171, 168, 156, 145, 126); 2:157 763] Olivenbaum. Der stand mit seinen wartenden Zweigen rührend fast und einsam zwischen all den nüchternen Notizen seines schon sehr abgenutzten auch in seiner Tönung ergrauten Contofibel. Sie beklagt sich doch bei mir, »er« – der Tassillo mein Nachfolger schlafe zu lang am Morgen und gerade in der Frühe benötigen die Bienen des Imkers. Früher war er Sänger nun summt er den Bienen was vor. Vertraut mir Andreas, nicht ohne Bitterkeit. So lange er nicht der Troubadur der Königin, tröstete ich dann zufällig später seine Frau, zufällig zwischen dem Laub des üppigen Olivenbaums hervortretend, so lange besteht für Sie keine Gefahr.

Nach ein paar Tagen besuchte mich Henrik Landau mein anderer Freund. Wenn er nach Berlin kam aus Wiesbaden gereist, begegnete er mir zuerst auf dem Perron oder in der Nähe des Anhalter Bahnhofs. Mit Vorliebe suche ich seit Kind Bahnhöfe auf, wohne auch gern in der Nähe abgehender Züge. »Sie sind schon darum immer im Zuge«, erklärt mir Adon Henrik und wir setzen uns in eine Conditorei. Er bestellt mir Grüsse seiner Mama aus Hustad Rut Haowim nur eine Welle ungefähr von Tel-Aviv entfernt gelegen und ein friedlicher Ort. Die verehrte Mutter zog mit ihrem Sohn in die asiatische Welt. Henrik Landau zählt zu den dichtenden Jüngern des Propheten Jessayas, heilige Meere strömen aus seinen Augen erzählt er von ihm. Wir begegnen am Abend der reizenden hebräischen Dichterin Bat Myriam eingehüllt in ihrer Maiglockenhaut. Lerski habe sie photographiert, und es fehle sicher etwas an ihr. Ein Dutzend mal habe er sie photographiert und seitdem fühle sie sie habe an Ausdruck verloren. Sie zeigt uns [163 (172, 169, 157, 146, 127); 2:157 764] die Bilder, die sie sorgfältig in einem Couvert in ihrer Ledertasche verschlossen bewahrte. Das nahm uns kein Wunder mehr, die Auslese der Blüten ihres lieblichen Angesichts sonnten sich weiter auf den unvergleichlich herrlichen Conterfeis. Unheimlich .... Und mir fielen die Völker ein, die sich darum nicht malen und photographieren lassen, ja in der Gefahr verewigt zu werden, ihr Gesicht bedecken – nicht einen seiner Züge einzubüssen. Oft verharre ich wie gebannt seitdem vor Photographieen in Schaukästen Palästinas und nun hier in den Städten der schönen Schweiz. Und immer lese ich den Namen des magischen Künstlers Lersky.

Ich bringe meinem Herzen ein Opfer, indem ich meiner Dichtkunst einen Backenstreich versetze, da ich, mit einem unangespitzten Griffel aus Schiefer auf dem Bauplatz des Universums gefunden, persönlich menschliches in meine Erzählung über unser Bibelland zufüge. Euch Freunde und Freundschaften erwähne, nur für mich wichtig aber dieser Umstand beweist die Sehnsucht nach wirklich Umfassbarem in diesem unwirklichen umfassbarem Lande – noch in der Schilderung. Ich lehne mich sozusagen ab und zu an die Vertrautheit meiner Freunde an, nicht umzusinken noch zwischen den Zeilen meiner Arbeit. Eine Arbeit ist mein Buch das Hebräerland, eine Arbeit, die ich vollbringen soll. Wie ich mich durch den Fels Palästinas beissen musste, so schaufele ich Stein und Stein vom ersten Tage da ich begann dieses Buch zu schreiben vom trotzigen Pfad meiner Dichtkunst säubere sie von aller Unebenheit. Tief in erster Iniziale Erde [164 (173, 170, 158, 147, 128); 2:157 765] erwachte die biblische Mumie. Ob es mir gelang sie geistig auszugraben, darüber werde ich mein Lebelang ferner nachdenken. Jerusalem die biblische wieder zum Leben erweckte Mumie ist kein Asyl, aber ein Tempel, der Tempel der Welt. Es sich in Jerusalem gemütlich zu machen wäre eine Geschmacklosigkeit sondergleichen. Der grosse Dichterprophet Petron Hille schrieb einmal einem Bourgeois ins Buch des Hauses darin wir uns nach einem Mahle verewigten: Gott ist nicht gemütlich, Gott ist Gemüt. Auch fand ich Verse religiöse in griechischer Sprache von meinem jüngsten Bruder gedichtet, aus Pietät und Indiscretion liess ich sie in der herrlichen Sprache unangetastet unübersetzt. Vor einigen Tagen erfuhr ich erst den Inhalt durch einen Zufall eines Gedichtes an seine jüngste Schwester, an mich die ich so oft mit ihm durch den Wald streifte, ein klein Käferchen noch neben seiner hohen Gestalt trippelte, er mir die Namen der Bäume und Sträucher nannte und immer wieder mich erinnerte, zu den Armen gut zu sein, vor allen Dingen Gott treu zu bleiben und ihm zu dienen. Bis wir in Jerusalem anlangten auf einem moosbewachsenen Fleck im Forst und er mich neben sich auf einen Baumstumpf hob. Wir gaben diesem kleinen Waldplatz den Namen der gelobten Stadt da hier angelangt, mein Bruder so schön erzählen konnte aus der Bibel. Wir einmal erblickten einen Cometen mit einer Sternenschleppe und der wie mein Bruder mir sagte, aus Jerusalem gekommen sei. Mein Bruder log nie; er war sehr fromm der Himmel sein blauer Dom jeden Morgen wenn wir alle noch schliefen stieg er hinauf in den

[...] [k]

[167 (176, 173, 161, 150, 131); 2:157 766] vollem Bewusstsein. Unter der rauhen Schale des Gesteins leuchteten Geschmeide, Grysolith, Milch und Blutachad, der Zwillingshalbedelstein. Amethist und Hyazinth ..

Nun ist wieder ein anderer Tag, und eine helle heitere Wolke geht auf und ab an meinem Herzen. Ja manchmal sieht man es gar nicht mehr aber ich höre es pochen noch ebenso laut. Denn heute wollen wir Freunde in den Cirkus gehen und uns vor ihm zwischen Jerusalem und Recharia treffen. Ich kam sehr früh, noch sass die Cirkusgesellschaft vor dem grossen Zelt der Manege wieder discutierend beisammen. Viele Syrier unter ihnen ja die besten der Reiter kamen von der Grenze Palästinas. Der ständige Cirkus ist das stehende Abenteuer jeder Stadt abenteurisch gesinnt liebe ich den Cirkus selbst in Jerusalem. Kann ich mich auch mit jeder Attraktion nicht identifizieren, zum Beispiel der Gedanke, eines der reitenden Kinder oder das sich ergebende Tier habe die Peitsche kennen gelernt, so ergreift mich doch jedesmal wieder der strahlende Auftakt, die rührende Musik die mit Miss Ella durch die Reifen springt, das elegante Reiten der Frau des Direktors zuguterletzt die Elephanten und Zebras und Kameele und Giraffen die sich ausser in ihrer Wildniss sich hier mal, sogar ohne Bange vor dem noch wilderen Bruder austoben können wenn auch mit Methode. Auch hier erscheinen Ehemänner im Fez mit ihren Haremdamen tief verschleiert. Die Wickelkinder auf dem Schoos der grossen Nachfrage nach Plätzen wegen. Denn im Cinema pflegen, im Cinema Zion wie auch im Cinema Eden die Mütter ihre Kinder [168 (177, 174, 162, 151, 132); 2:157 767] neben sich auf den Stuhl im Steckkissen zu legen. Niemand von den neu hereintretenden Gästen würde es ums Herz bringen falls auch sein Billet die Nummer des bewohnten Platzes trägt den Sitz zu beanspruchen das schlummernde Kindlein zu stören in der Verlegung seines Schlummers die liebe Mutter zu incommodieren. Eine Cultur der Liebe und Eintracht musste ich immer wieder feststellen und auch die Freigebigkeit, namentlich des Beduinenbesuchers loben. Er knabbert gerne die gebrannten Sonnenkerne von seinem am Schubkarren erstandenen Sträuchlein, aber erst dann wenn sich sein Nachbar oder seine Nachbarin bedient hat. Ja seine Düte Bonbons wandelt von Hand zu Hand, oft kehrt sie leer vom äussersten Ende der Reihe zu ihm heim. Es lässt sich noch einmal so gut und schön zusehen dem Spiel auf der Filmseide knuspert man und der Nachbar mit ihm der ganze Chor der Zuschauerreihe an einen schmackhaften Sonnenkern oder schleckt am Bonbon im Munde. Es geben ausserdem nirgends aufmerksamere Zuschauer wie die Menschen Juden Araber Beduinen und dazu alle Bergvölker gezählt wie in Jerusalem. Selbst im Riesencinema Alexandriens erlebte ich nicht solch eine kindliche Freude solche kaum erwartende Unruhe handelt es sich um eine Liebesgeschichte wie in unserer lieben Stadt. Nie verband sich mit mir in der Erwartung kommender Indianer je in anderen Ländern sich Menschen freudiger wie hier zu Lande. In drei oft vier Sprachen begleitet zur Verständigung an den Pfeilern ein kurzer Text. Und die Musik ertönt aus einem Grammophon selbst zur Oper der Mikkymäuse. Es verlieben sich des öfteren gerade der wilde Araber und [169 (178, 175, 163, 152, 133); 2:157 768] der noch wilde arabische Jude aus ihren Zelten kommen sie aus ihrem Kraal, in einen der Menschenschatten auf der Filmbühne und überschüttet den Star mit Liebesrufen. Die Cinematheater sind breit und luftig gebaut namentlich das Cinema Zion und auf seine Säuberung wird geachtet, salopper das Cinema Eden das grosse Volkskino, manchen Ölfleck holt sich ein Kleid. Der Araber im Volk wäscht sich eben mit dem Öl der Olivenfrucht. Was der Europäer für einen Fleck im Stoff durch dessen Öl bezeichnet, ist dem noch nicht von der Cultur beleckten Araber eine angenehme Erinnerung an eine grünliche wohltuende stärkende Waschung oder eines Olivengenusses. Aber ich wollte noch sagen, stammt diese Äusserung auch nicht von mir, auch hier ist das Kino das Paradies der Leute. Wir sitzen alle wieder so erwartungsvoll beisammen wie in einer Aula in der Schulzeit in einer idealen Aula und schauen zu.

Ich weiss ganz genau komm ich heim nach Palästina, werde ich lächelnd in die heilige Stadt einziehen und nicht – ich wage es kaum zu beichten – fluchend. Ach ich war so erschöpft von allen Krücken verlassen und alles so steinig um mich und keine weiche bewillkommende Hand. Fluchen habe ich eigentlich von meinem Papa gelernt, aber dass ich mich in Jerusalem gerade versündigen sollte, lag nie in seiner Absicht. Gott hatte ihn dennoch gern, da er noch von Seinem aufbewahrten Erschaffungsmaterial Erde war. Ganz urwüchsig noch vom Eis angefroren, noch von der Sonne angebrannt. Wir Kinder trösteten uns damit, dass er ausnahmsweise fluchen dürfe. Aber am Abend schon bereute mein Papa die grosse Sünde: und gab den westfälischen Bauern schuld, die ihn ihren [170 (179, 178, 164, 153, 134); 2:157 769] Schulkameraden aufzusuchen pflegten kamen sie nach Elberfeld ins Wuppertal in die Rheinlande. »Zum Donnerkiel, das ist das letzte Mal«! Er meinte seinen entgültigen Fluch.

Dem Kinde seines Vaters aber wollte Gott den Fluch nicht so ohne weiteres verzeihen, ich machte mir sehr grosse Gewissensbisse, bis meine angebetete Mama mir eines Morgens erschien sich über mein Kissen beugte und lächelte. Ich hatte mir immer gewünscht, sie möge mich einmal wieder anlächeln so innig wie sie das tat, als ich noch das jüngste ihrer Kinder neben ihr sass bei Tische und sie mir zu der Torte auf meinem Tellerchen noch eine zweite verzuckerte Kirsche zu der ersten der feinen Marzipantorte legte, so ganz heimlich und nur wir zwei wussten davon. Nur meine Wundermutter konnte so lächeln ...... und ich wusste nun hatte mir auch Gott verziehen.

Ich rannte schon um sechs Uhr zu meinen Freunden nach Recharia denn so schnell wie mein Herz fuhr vor Freude, kann mich doch, sagte ich mir, kein Omnibuss weder der hebräische noch der arabische befördern. Ich rief wie die Bergbeduinen, die ihre Sprache mit den wilden Vögeln gemeinsam lernen, hoch von der obersten Terasse der Colonie alle meine lieben Menschen von ihren Lagern. Auch die stolze ehrwürdige Mama meines verehrten Freundes dem liebsten gütigsten Priester und grossen Dichter Emil Bernard begleitet von ihren schönen Töchtern und der bekannten Baumeisterin Lotte mal sehen den Menschen, dessen jubelnde Stimme das Recharia erzittern lassen konnte. Und ich erfuhr dass die Habimah Emil Bernards frommes herrliches Schauspiel im Begriff zu inscenieren.

[171 (180, 179, 165, 154, 135); 2:157 770] Die Wüstenkolonie schlug ihren weichen Morgenschleier leise zurück. Die Rosen und die Georginen die Astern und Malven waren dabei in ihrem Gartenraum ihr schwarzes Nachtgewand wieder mit ihrem bunten Kleide zu wechseln. Nicht Fahrlässigkeit nicht trübe Laune aber Jubel hatte sie geweckt aus ihrem Traum und die Blumen waren mir gar nicht im Geringsten gram. In den schmalen Verbindungspfaden von Street zu Street blühen die Hecken in allen Nuanzen.

Durch die unvergesslichen Strassen Recharias wandern zum letzten Male meine Freundin des Advokaten Rahel und ich. Betreten die Häuser meiner lieben Freunde zusammen, ich will Lebewohl sagen. Vergesse nicht die ehrwürdige stolze Mutter meines herrlichen Freundes des grossen Dichters Emil Bernhard und seine schönen Schwestern die jüngste grosse Baumeisterin aufzusuchen und beglückwünsche sie zum Erfolg des lebendigen Lammes. Das lebendige Lamm wird gerade aufgeführt im Habimahtheater in Tel-Aviv mit begeistertem Applaus. Schon in Rom erlebte die wundervolle Dichtung ihre Erstaufführung.

Immer trägt Emil Bernard eine kleine Absolution für mich für eine etwaige Sünde in der Tasche wie früher mein geistlicher Lehrer eine Strafarbeit. Und ich weine denke ich daran wie gut er stets alles was ich verbrochen beurteilte ist er doch ein Dichter wie ich und in derselben Dichterwelt zur Welt gekommen. Sassen wir beisammen, ob alleine oder mit Freunden, etwas hob sich die Erde zu einem kleinen Sinai oder Libanon, manchmal gabs uns zu denken, wie das wohl möglich in der nüchternen Welt. Auch zwischen dem priesterlichen Dichter und seiner schlanken Frau feierte ich oft den Schabbatt. Es sangen alle drei Kinder [172 (181, 180, 166, 155, 136); 2:157 771] er singt mit seinen drei Kindern rührend zu Gott im Gefühl so klein und jung wie diese sich in keiner Hinsicht überhebend. Die Wachteln bauten am Abend vor dem Ruhetag am Fenster der Feiertagstube ihr Nest. Für mich öffneten sich in des Dichters Priesterhause die Pforten Jerusalems. Ich bin froh in Jerusalem gewesen zu sein. Ich bin nie hochmütig gewesen, aber ich beginne mich fast, passe ich nicht auf mich auf, über die zu erheben, die nicht dort gewesen sind. Viele kommen ja heim und prahlen mit ihrer Überseereise als kämen sie aus einer Badereise vom anderen Ende der Welt. Manchmal bleib ich mitten in Zürich stehen, mal in den schwarzen Marmorpfeilern eines Luxusladens mich betrachtend, damit ichs mir selbst wiederhole Angesicht vor Angesicht: Ich bin in Palästina gewesen. Auch vertraue ich es oft den Passanten an die vor den Auslagen der Fenster stehen bleiben. Ich bin in Jerusalem gewesen im Herzen der Bibel. Manchmal kommen Schulkinder denen ich es wohl längst erzählte, die flüstern sich zu: Die ist in Jerusalem gewesen. Aber noch immer halte ich die Augen halbgeschlossen namentlich unterwegs in der Landschaft am See und in seinen Alleeen. In Palästina beganns da ich fürchtete die weiten Umgebungen nicht fassen zu können ohne dass sich meine Pupillen erweiterten. Wie schon gesagt litt ich unter dem gewaltsamen Erweitern des Augenkreises und nun da ich mich gewöhnt an die wie durch die Lupe gesehene Vergrösserung aller Felsen und Täler und Schluchten, empfand ich die europäische Dimension im Vergleich der Asiatischen wieder schmerzhaftes Zusammenziehen meines Sehraums. Mir war ein Puppen Zwergstädtchen des Gullivers läge wo in dem Winkel meiner Augen [173 (182, 181, 167, 156, 137); 2:157 772] und schwankte hin und her. Am liebsten wäre ich mit geschlossenen Augen durch die schöne Schweizerstadt gewandelt. Erst nach Wochen erlebten meine Augen ihr Gleichgewicht gegenüber der europäischen Welt, aller Welten denn Jerusalem und mit im [     ] Palästinas ist nicht von dieser Welt.

Als ich vom Berge Carmel wieder durch Haifas Strassen wandelte halbtrunken vom Mussieren seiner heissen Luft, und wieder zum Meere hin steuerte, sassen in einem der offenen Cafelauben gegenüber des weiten Hafens meine geliebten Architekten, mit ihrem Architekteleven und der Trud. Sie bestiegen mit mir ein Auto und ich müsse bevor ich abreise nicht nur den Fussknöchel des Carmel gesehen haben, auch sein ewiges Antlitz. Immer um den Carmel fuhr unser Wagen und auch an persischen Gärten vorbei. In engen damastnen Beinkleidern und herrlichem Turban spazierte der Besitzer durch die bunten Felder wie zwischen verschiedenem gesäeten Brot. Genau wie um ein grünes Knäuel wickelte sich unsere liebe Abschiedsfahrt immer rund um den einzigen grünenden von Bäumen und Kräutern bewachsenen Fels. Auf dem Gipfel lagen Erholungssuchende in dem schönstgebautesten Hotel Palästinas in ihren liebreichen Stühlen ausgestreckt ein interessanter Reigen verschiedenster fremder Menschen. Nach dem dinner gingen wir in einer Reihe Hand in Hand durch die grüne Pracht des frommen Berges an Bächen kamen wir vorbei und die kleinsten Blumen tranken und reichten ihre Kelche Schmetterlingen in prachtvollen Flügeln. Wir kamen an einen kleinen Palast aus Kupfer geschmiedet vorbei in seiner Nähe sagte man uns wohne seit kurzem der Dichter und Mensch Arnold Zweig. Wir riefen alle aus einem Mund nach ihm – bis man uns verriet er sei [174 (183, 182, 168, 157, 138); 2:157 773] in Tel-Aviv mag er es wo in einer der Wildoststrassen unseren Ruf vernommen haben. Fragen konnte ich den lieben so begabten Dichter unseres Volkes nicht mehr. Die Schiffssirene hörte man schon hoch auf dem Carmel. Unten am Strand stand meine Arche. Mein Lloyd Jerusalem. Wir bestiegen den uns gebrachten Wagen wieder aber sehr traurig ein Jeder von uns fünf die wir Abschied nehmen mussten. Bis zum Schiff ist es keinem Begleitenden erlaubt den Abfahrenden zu begleiten so legte ich den letzten Weg zur Schiffsleiter alleine zurück stieg empor wie über die Stufen einer Himmelsleiter, denn Abschiednehmende sterben in den Augenblicken des Abschiedes. Ein riesengrosser Geyer sah ich zum Strande hinsteuern, so gewaltig dass der Kapitän des Lloyds Jerusalem an Bord geholt wurde und er sich mit einem Fernrohr den Raubvogel betrachtete. Es riss sich unser Schiff vom Strand steuerte der offenen See zu. Als die Passagiere ihre Kabinen aufsuchten, stand ich noch auf Deck den zu winzigen Punkten gewordenen lieben Freunden zuwinkend.

Das Hebräerland

Anmerkungen

[a] Handschriftlich überarbeitete und ergänzte Typoskripte (gelegentlich handschriftlich »ß« statt maschinenschriftlich »ss«), teilweise mehrfach paginiert, im Nachlass Else Lasker-Schülers: The National Library of Israel, Jerusalem, Else Lasker-Schüler Archive (Arc. Ms. Var. 501, 2:157 und 17:10–12). Bei dem Konvolut 2:157 handelt es sich um den ursprünglichen Bestand des Nachlassarchivs, in den fünfziger Jahren wahrscheinlich von Werner Kraft und Manfred Sturmann geordnet. Die Konvolute 17:10–12 wurden 1995 in Zürich entdeckt und – von Mitarbeitern der Zentralbibliothek Zürich geordnet – Anfang 1996 dem Nachlassarchiv übergeben: Die Konvolute befanden sich in einem Koffer, den Else Lasker-Schüler bei Emmie und Emil Oprecht untergestellt hatte. Die bei den Hinweisen auf die Konvolute zugesetzten Seitenangaben – »2:157 761« in den Texten, »2:157 (S. 761–762)« in den Anmerkungen – beziehen sich auf die Digitalisierung der Typoskripte durch die National Library of Israel und dienen der Orientierung innerhalb der Konvolute: Bei der Ordnung der Typoskripte wurden ›ähnliche‹ Seiten in den fortlaufenden Text eingeordnet, die sich nicht oder nur schwer einem bestimmten Entwurf zuordnen lassen. – Druckvorlage für die Buchausgabe von Das Hebräerland: Konvolut 2:157 (S. 4–409).

[b] Entspricht S. 9–122 der Buchausgabe von Das Hebräerland: Konvolut 2:157 (S. 594), paginiert S. 1; Konvolut 17:12 (S. 89–90), paginiert S. 2–3; Konvolut 2:157 (S. 595–739), paginiert S. 4–124; Konvolut 17:11 (S. 139–166), paginiert S. 125–154.

[c] S. 14 mit dem Gedicht »Mein Volk« als Manuskript eingelegt.

[d] Die Blätter mit den Seiten 65–68 liegen im Konvolut 2:44 (S. 91–121). Dieses enthält vornehmlich Satzvorlagen für das Buch Konzert.

[e] Das Blatt mit der Seite 137 nicht auffindbar.

[f] Das Blatt mit der Seite 152 nicht auffindbar.

[g] Entspricht S. 9–122 der Buchausgabe von Das Hebräerland: Konvolut 2:157 (S. 4–22, 26–32, 40–42, 62, 108), paginiert S. 1–10, 12–15, 19–20, 30, 50; Konvolut 2:157 (S. 603, 649, 673, 691), paginiert S. 11, 47, 59, 76; Konvolut 17:11 (S. 1–10, 5–21, 23–38, 39–43, 44–54, 55–66, 67–137), paginiert S. 16–18, 21–29, 31–49, 51–54, 56–66, 68–76, 78–110.

[h] Das Gedicht »Mein Volk« ist durchstrichen: Daneben und darüber ist zweimal der Gedichttitel »Das Lied an Gott« notiert.

[i] Entspricht S. 94–165 der Buchausgabe von Das Hebräerland: Konvolut 2:157 (S. 453–582), paginiert S. 100–102, 104, 106, 110–141, 146–165; Konvolut 2:157 (S. 740–748), paginiert S. 103, 105, 107–109; Konvolut 2:157 (S. 332–338), paginiert S. 138–141.

[j] Entspricht S. 122–168 der Buchausgabe von Das Hebräerland: Konvolut 17:12 (S. 14–86), paginiert S. 126–166; Konvolut 2:157 (S. 761–762), paginiert S. 160–161; Konvolut 17:12 (S. 87–88), paginiert S. 169–170; Konvolut 2:157 (S. 763–773), paginiert S. 162–174.

[k] Die Blätter mit den Seiten 165 und 166 nicht auffindbar.