Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Ascona, Donnerstag, 26. März 1936
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26. III 36
Lieber Mill.
Bitte kaufen Sie sofort das Pariser Tageblatt von Mardi 24. März – Lügen um David Frankfurter. Es ist doch notwendig, daß wir uns um ihn kümmern. Ich kenne Kurt Hiller – sehr mutig!! Ich möchte D. Fr. Blumen senden? Kann ihm das schaden. Müßten meine armen Freunde und Freundinnen, kommt es heraus – büßen dafür? Bitte sofort Antwort! Soll ich dem Direktor in Chur [2] die Blumen und einen Brief senden? Tät ich es nicht, verrät den – Herrn vielleicht. Ich weiß also nicht wie!! Bitte meine Position nicht zu berücksichtigen! Nun schrieben Sie mir doch, er war einsam und tat die That, ohne Wissen seiner Freunde und Bekannten. Wäre es gut den Brief, (da ja noch nicht einmal Ihr richtiger Vorname darin steht, ich streiche Straße etc. aus und Persönliches,) Anwalt Loria zu senden? Die Lorias stammen alle von Lurja ab, von der Herrlichkeit eines Propheten in Italien (Venedig) er konnte sich unsichtbar machen! Denken Sie!! So schrieb Vita und alle seine Jünger. Ich frage Sie nun, ob ich Brief senden darf? Ich bin außer mir über alles!! [3] Hier die Kaffern (Millionäre und Millionärinnen) haben kein Herz. Der Nachwuchs könnte nicht genug erben; damit der auch ja zum Auswuchs wird. Ich mache so was nicht mit! Wer war bei D. Fr.? Sein Gesicht total rein, ohne Fehl – fast melancholisch. Lieber Mill, reisen Sie hin. Soll ich mitkommen? Nicht um mit Ihnen zu reisen! Ich wäre sonst schon in Bern bei einer der Professorenfamilien, die mich verstehen, mir Freund sind – wenn Sie nicht in Bern wohnten. [4] Jedenfalls grüßen Sie ihn von mir, ich bewunderte ihn, gerade weil er glaubte an die Hilfe der Menschheit, ich meine, an den Chor, der mit einstimmte. Bitte antworten Sie sofort!! Ich hatte hintereinander Grippen. Bei Tag lag ich, abends: Kneipe, dort ist es warm an der Heizung. Ich glaub, ich darf hier noch bleiben im Spinat. Zu viel, zu viel Grün und geputzt. Nur manche Stellen überaus.
Ich glaube in diesen Tagen schon, da ich bis Donnerstag also bis morgen senden (habe gesandt) [5] mußte, kommt Pariser Tageblatt die ersten 5 Seiten meines Palästinabuchs.
Ich bin wieder thebenatischer Indianergrenadier. Mein Herz – Stein – vielleicht an Seiten wo gemeißelt. Ich will niemehr lieben, aber verabscheuen die Menschheit die mir fremde, die Sie ja auch nicht mögen? Zwischen Bäckersleuten, kleinen Spießer Herzlosen Leuten schlaf ich Thür an Thür und wache auf [6] im Klapper der Geschirrs. Burgunder und Weißbier gemischt, geht eben nicht! Das heißt der wirkliche Arbeiter ist oft ein Fürst, wie ehem. Freunde von mir. Ich hoffe Sie freuen Sich über die neugekleideten blauen Glocken und Tausendschön, Storchschnabel und Beerenkräuter im Walde, auch wenn meine Worte keine schimmernden Kleider mehr tragen nach all den Wunden, Verhöhnungen und Vereinsamkeiten. Meine Lichte sind abgebrannt.
Meine Hochachtung stets und thebetanische Freundschaft Jussuf.
Ich habe Geld: 75 Frc. Agnon. – Talpioth vorgestern
1. Bild wieder Bern 100 Frc. Radio sicher 80 Frc. und Vortrag hier bald. Kein Mitleid!!
Verzeiht bitte die schlechten Bogen.
[1b] Ich hätte doch D. Fr. zurückgehalten hätte ich es geahnt.
Anmerkungen
Quelle: The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 25).