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Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Ascona, Dienstag oder Mittwoch, 3. oder 4. September 1935

Emil Raas
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Mill.

Schon einige Tage, bevor ich vorhatte, Ihnen einen Brief mitzugeben, wollte Erik H. nach Bern, seiner Braut (bitte unter Discretion) noch mal Lebewohl sagen, ihr durch seine Reise bezeugen, wie gut er ihr ist. Ich riet ihm auch nicht ab, noch dazu in der kaltherzigen Zeit. Bevor er abreiste in der Nacht, träumte ich schmerzlich von Ihnen (nichts Beunruhigendes) und ich schrieb den Brief, legte die Zeitung ein – zur Ausrede. gebe ich zu. Ist wohl zu begreifen, nach Ihrer Weise, wie Sie zu mir waren – und ein Brief von Ihnen vermochte die Schmach, die Sie mir mit Worten und Bildkarten antaten, nicht zu vernichten in meinem Herzen. Ob ich noch eins hab?) Ich weiß gar nicht, warum Sie mir damals das Bilet sandten zu kommen, da Sie all Ihren Hohn am zweiten Tage auf mein Herz schütteten: Bitter gewordene Süßigkeit! und ich tatsächlich immer hilfloser wurde. Daß Sie in – Venedig – gerade mit Ihrem Freunde gewesen, hat mich wirklich – gefreut, aber gewundert, da Sie mir in Zürich nichts darüber erzählten. Daß Sie Sich [2] ein Statist fühlten im laternenbeleuchteten Garten, bezweifele ich. Denn Sie wissen wer Sie sind und sind geradezu entzückt von sich; mir macht selbst ein entzückender Bengel nichts vor. Aber es geben Statisten, die plötzlich eine Heldenrolle spielen unvermutet, Sie spielten solche Heldenrolle und trafen mein Herz mit einem Beil; nicht mit einem vergifteten Pfeil. Das hätte ich Ihnen weniger übel genommen. – Niemals wäre es mir eingefallen, Sie vom Tanzboden abzuhalten; auch nicht eine Minute. Im Gegenteil nach Ihrer Arbeit ist Tanzen gesund und macht froh. Sie verlangen aber zu viel von der Freude! Sie hält nie bis zum Morgen an wie das Mussiren des Champagners im Bierglase nicht. Aber auch warum immerzu Freude, hat man Arbeit! Was meinten Sie mit dem Schrei, den: Sie erstickten wie im Kissen. Wollten Sie mir Böses sagen, da Sie mich [3] umhergetriebenen wunden Menschen (unbeschreiblich) so fühle ich, hassen. Liebe und Haß liegen am selben Wasser – einmal ertrinken beide auf Nimmerwiedersehn. Ich weiß schon warum Sie mich hassen und bin unschuldig. Ich weiß darum, warum Sie mich hassen, da Sie mir zugleicherzeit verhalfen zu gestehen ich hasste Sie auch oft. aber mich machte alles traurig. Ich kannte Sie am Abend nach und nach nicht wieder, so verändert Ihr Gesicht und leer und Ihr Herz voll Zorn gegen mich. und mit sich selbst im Streit. Warum das alles? Sie, der so glücklich sein könnte, ohne Pein lebt und ohne Besorgniß. Seien Sie doch froh. Sind Sie böse darüber, daß ich dichte? Es ist doch einerlei, wer die armen Blumen und Silberblätter in den Brunnen wirft. Oder lobte ich Ihr Gedicht nicht ausführlich? Ich bin tief [4] verlegen und bange wenn mir ein Mensch, von seiner Seele blau geschrieben etwas vorliest. Ich bin gar keine Kritikerin – im Grunde. Und ließ nur das Dahinschwebende, die Wolke ihres Gedichts über mich, nicht an Lob und Tadel denkend, geschehen. Ich glaube es war sehr schön im Ton und im Wort und es trug Flügel. Ich sagte etwas aus Verlegenheit – sicher eine Fahrlässigkeit? Ich lese doch nie oder selten etwas und habe keine Erfahrung und möchte selbst nur so dahin leben. Erik H. sagte mir, er habe Ihnen gesagt, mir ging es nicht gut. Er war entzückt von Ihnen. (Nicht zu fassen.) Ich habe heute viel bekommen und – auch am 10. Sept. einen Vortrag im Teatro Materna in Ascona. Schon sind die Plakate gedruckt; werden bald oder morgen schon überall aufgehängt. [5] Ich kann Ihnen nur sagen, ich hatte mich so auf Bern gefreut, aber ich habe auch eingesehn, daß Träume, Schäume sind.

[Frauenkopf im Profil mit Federschmuck] Pampa