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Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Zürich, Sonntag, 3. Juli 1938

Emil Raas
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3. Juli 38

Ich sende den Brief ungelesen ab.

Herr Fürsprech.

Nicht allein meinen Namen, auch einige andere Namen habe ich vergessen. So kommt man ins Vergessen. Den linken Arm im Zelt in der Binde schreibe ich Ihnen diesen Brief. Nicht Ihnen zu beweisen, daß ich aufgewacht, aber Ihnen klar zu machen, daß ich über die Dinge stehe. Die Schweizer kratzen ja so gern die Berge bis zur Höhe hinauf und prahlen dann wie hoch sie mit ihren Kratzstiefel gestiegen. Noch nie erzählte einer der Burschen oder Alpenglühnmädels, sie wären fast bei den Engeln gewesen. Ich möchte damit sagen, ich prahle keineswegs damit, ich bin aufgewacht, oben auf der Alm angelangt, [2] Im Gegenteil, der Schnee, die Kälte brachte mich zur Besinnung – die da oben des Herzens herrscht. Ich spreche in Gleichnissen. Weiß wohl – Ihnen die Verteidigung abschneidend, Herr Fürsprech, es geben andere Höhen, auch reale Höhen, die unendlich erfrischen, die unten im Tal erschlaffen. Ein Bach ist mir mehr Glück und ein Straus kleinster Blümchen süß gebunden und wehend wie die ganze Schweiz. Ich kann nicht verminiatürt vor mir sehen was in mir von Kind an schroff und erbarmungslos millionenmal höher aufsteigt. Ich muß Süße haben um zu bestehen. [3a] Sich zu photographieren wäre sicher Eitelkeit, aber ich möcht Ihnen mal die Wahrheit sagen, da ich sie nun mir sagen kann, da ich getrieben wurde von Ihnen, in meinen eigenen Guckkasten zu schauen. Ich bin von zu Hause aus gastfreundlich erzogen, aber ich übersah Ihr Kommen. Das Nützliche mit dem Höflichen verbinden – ganz nach Schweizerart. Ich habe noch nicht einmal Dr. Oprecht nach Ihrem Buch gefragt. Sie können ihn fragen. Ich habe kaum Interesse mehr für Menschen, auch für Sie nicht mehr, der mich nun 5 Jahre kennt und der nicht eine Minute froh darüber, [3b] daß er mich kennen lernte, dessen blöde Eitelkeit aber die Bekanntschaft mit der be be berühmten Dichterin weiterführen möchte. Sich als besorgter Treffkönig aufspielt wenn gerad Gelegenheit und sich aber nie ausspielt. Wir lassen eine Welt hingegen von Kartenhäusern fallen für Verlust im Spiel selbst. Sie haben doch elendige Menschen kennen gelernt, da Sie mich »Feiertagmensch« mit ihnen vergleichen. Es ist sicher ein Dilemma mich zu verlieren, um paar Mal Falschspiel. Ich bin doch immerhin Jemand. [4] Natürlich schwer für den, der mir ich meine meinem Gemüt unähnlich. Er läuft auf tausend Rubinen und richtet sich doch nicht nach der Zeit. – Sie haben noch nie wirklich gelächelt vor mir. Gequält ist Ihr Herz in meiner Gegenwart und darum wohl – da es schön albern mit allerlei Bäuerrinnen, Bernerinnen, »Damen« spielen kann – Blinde Kuh – aber nie das Ostereiersuchen und den kindischsten Reigen auf meiner Wiese sieht. Ja ich weiß, 2 × gelang es Ihnen nicht, mich von der Welt zu schaffen, fuhr ich übers Meer – zum zweiten Mal in unsere angefechtete Heilige Stadt. Sie [5] hätten erlöst aufgeatmet. – Trotzdem schrieben Sie weiter Briefe und Karten, zu sehen wo ich bin. Warum? Ich ließ doch schon Wochen nichts von mir hören; und suchte nach tröstenden Worten, manchmal fand ich sie und stellte dann Vergleiche ohne, daß ich es wollte. Ich namentlich bin schwer von der Zeit betroffen und ein Wort lieb gereicht, schmeckt mir besser und einfacher wie Kuchen oder Chokolade. Herr Fürsprech, merken Sie Sich das, ich spekuliere mit Menschen nicht. Und ich brauch das ja auch nicht. [6] Sie haben mich auch nie nach meinem Leben gefragt – selbst nach meinem Lieblingsleben im Kraal nicht. Dieser Phantasie waren Sie zu bange scheints zu folgen. Man verrenkt sich dabei nicht den Fuß, höchstens das Herz ein bischen um es zu erinnern, daß es nicht nur Rippen und Knochen geben. Es wäre eine Phantasie in unserer Correspondenz entstanden unauslöschbar, ein Geheimniß im reinen Spiegel des Gemüts. Sie aber bange den Kopf zu verlieren, dachten sich ein Schreibkamin zu erziehen in mir im [7] Edelweißrahmen. (Courths-Mahler.) Ich gestehe Ihnen ich habe einmal einen Menschen geliebt, mit schwarzen Haaren und eidechsengrünen Augen – so geliebt, daß alles in mir funkelte, schon wenn er mir nur begegnete. Ich habe ihn nie gesprochen vor Erstaunen. Lange ist das her.

Als ich Ihnen die Karte schrieb, war letzter Moment vorgestern – ich wußte mir nicht zu helfen. In der Nacht zog mein Leben wieder an mir vorbei, vieles aus meinem Leben und es war wie Abschied. Da dachte ich an meine Bücher, die mir lieb und so. Dann schrieb ich den [8] Brief nachher nach der geglückten Schneiderei und Sägerei und ich hatte doch vor niemehr zu schreiben.

Ungeheuerlich, da Sie in Verlegenheit kürzlich im Brief sagten, ich könnte nicht zwischen Ihren Zeilen lesen. Das können Sie wirklich nicht verlangen noch nach fünf Jahren, daß ich Rätsel löse. Auch würde mich keine Art Lösung mehr beglücken.

Gelähmt sind Sie nicht vor meiner Ctmetergröße – aber vor dem Spiel in mir. [9] Es sagte mal Jemand (ich weiß selbst nicht)? vor dem ewigen Quell, der kein Gehirn kennt. Ich habe mich fast 5 Jahre herumgequält, gerade ich – und Ihnen nie geklagt. Hätte auch nie von Ihnen Hilfe genommen; (unsere – Korrespondenz hätte einen Klecks bekommen) aber Sie haben doch nie die Tat getan, die der menschliche Mensch für den andern versucht zu tun. Sie sind gelähmt wo es Ihnen paßt. Ich brauch nicht versichern, daß ich nie im Leben Ihnen zur Last [10] gefallen wäre. Mir ist innere Freude mehr als Wohlstand. Das wissen Sie. Aber ich dachte so in der Nacht, wie ich 10jährig mit Schulkindern herumrannte für einen armen Mann. Er war sicher gescheitert, so imponierte er uns, so lieb war er.

Ich wage kaum von Ihrer sicherlich sehr lieben Mama zu sprechen. Aber sie guckte vielleicht doch mal in mein Herz. Ich respektiere tief die Liebe, die Sie ihr geben. Ich weiß aber auch, daß [11] sie mit Besorgniß auf Sie schaut immerdar. Und sie wohl weiß, daß ich ihretwegen Ihrer Mama wegen, verantwortlich. Jedes Kind hat seine Mama. Und die Mutter des Kindes habe ich Rede zu stehn. Aber darum bin ich nie sentimental in Dingen, die mit mir zusammenhängen. Ich kann nicht dafür wenn man nach einer Melone an meinem Zweig wirft und der Zweig den Strom aufschäumen läßt und die reißende Welle den Frevler erfaßt. Ich [12] spreche unpersönlich hier: Ich bin eben Urwald und eher das ein Kind sich wagen darf auf meine dornigen verschlungenen Wege als ein – fertiger – Mensch. Darum liebe ich Primaner, ihre draufgängerische Unerfahrenheit schützt sie vor Fall. Ich liebe keine Männer noch Frauen, darum, Herr Fürsprech.

Ich habe ehrlich gesprochen und nun wissen Sie warum die Lauheit mich vergiftete, mich mein Blut schaal machte. Ich habe alle Liebe eingebüßt. Schade!!

Der Prinz Jussuf von Theben [Mondsichel mit Stern]

Ich erinnere an den Waldspaziergang. Wie unabenteuerlich, ihn nicht, so viel davon gesprochen zu zweit zu wagen. Ihre liebe Schwester total unschuldig daran.