Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Zürich, Sonntag, 15. November 1936
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15. Nov. 36
Lieber Mill.
Hab ich Geld genug wie heute, trink ich morgens im Selekt im Café mir zur Seite; aber dann muß ich gerade heute wieder ins Seehof. Ich fragte dort vorher, ob Brief für mich. Erfuhr dann, Sonntags kommt der Briefträger nicht. Ich klingelte eben an aus Übermut. Ich geb mir überhaupt nicht stets Rechenschaft, warum ich dies oder jenes tue. Genug daß ich es tue. Man nimmt sich sonst die Blume der Handlungen. Ich bin eben so. Sie sagten mir doch auch, wie Sie damals schrieben, als Sie Fürsprech wurden. Ich weiß Sie fanden es nett, daß ich telegraphierte. Nun wissen es viele Menschen, aber jeder allein. [2] Wahrscheinlich halten sie ihr Wort. Eine Comödie für sich; der Polterabend meines Schauspiels. Daß so großes Entzücken – über mein Stück hat mich so gefreut gestern früh am Telephon. Frau Direktor klingelte an – überaus freudig. Mirs zu sagen und ich war ganz am Beben, die Rippen gingen wieder auseinander. Abends kam ein feiner Redakteur ins Café Selekt mit Frau, sie waren so froh. Er sagte, er schrieb die Kritik des Theater nie, aber mein Schauspiel bespricht er. Dann bekam ich eben einen Brief –: Den schick ich Ihnen auch. Heute nur den merkwürdigen höchst gefährlichen Brief – alle meinen Lockspitzel – der bei Dr. Oprecht im Laden abgegeben wurde für mich.
Wir wollen noch nichts sagen, vielleicht doch ein Entschuldiger? –?
Ich kenne weder Salomonski u. mit der Liga denkt er, die erkundigt sich doch nicht.
Als ich eben in Zürich war, bespitzelte mich auch ein Geschöpf namens Schmidt
Bin gespannt um 2 Uhr im Pfauen was die Schauspieler sagen.
Sie sagen alle ein Lockspitzel, der wissen will ob ich Näheres von Moskau weiß.
[3] Die Handschrift criminel. Ich schreib natürlich nicht wieder. Zeig ihn aber dem Criminalbeamten, der auch dichtet und der mich und ich die Familie besuche manchmal. Im Fall – ers gelesen – also weiß. Bei mir: Missisippi!!! [Kopf im Profil mit Federschmuck] Wenn ich nur Ruhe fände. Ich glaub ich muß wirklich mal zu den Indianern reisen, die können mit mir sprechen. Die fünf Tage liegend in der Kajütte, waren die glücklichsten, die ich seit 3 ½ Jahren erlebte. Ich war ganz allein den Tag, Niemand wußte es – einmal kam Frau Dr. Kanarsch am letzten Tag, da sies erfahren. Ich habe liebe Menschen um mich und bin doch allein. Aber ganz nett so, sie verscheuchen meine Schwermut in der Dämmerung. Aber ich sprech von mir, wage es angesichts der Schrecknisse in der Welt. Wie wird alles werden? [4] Überlegen Sie das mit Ihrem verehrten Papa in den Freitagmorgenstunden? Ich wüßte eine überaus gute Sache, aber alle zu phlegmatisch. – An Ettingers schrieb ich, sie müssten kommen sie sind zu reizend! Bitte schreiben Sie wenn Dr. Gafner Ihnen schreibt. Und bitte klingeln Sie doch Frau Prof. Bagotzki an, erzählen Sie ihr im Vertrauen von der Schauspielannahme. Und Frau Dr. Baumgarten-Tramer. Wenn Sie wollen. Oscar Grün sagte mir, Herr Prediger Messinger habe ihm geschrieben, es habe ihm mein Palästinadicht. sehr gefallen. Schön ist an Herrn Dr. M. daß er nicht geklügelt unerklärliche Geschehnisse verneint. Das freute mich damals in Bern. Gerade kommt ein Mövenschwarm am Fenster vorbei. Oft fliegen sie ganz niedrig über die Erde. Eine wartet immer morgens nahe der Post auf dem Eisenzaun auf mich. – Lieber Mill, was quälen Sie Sich, Sie sollen auch nicht in 14 – 3 Wochen kommen. Nach Buchdruck und Theater reise ich wieder nach Egypten und Asien. Diesmal wirds anders dort, ich meine leicht für mich. Ich glaube Stenz wird eingeladen nach hier oder Ascona.
Verhandelte gestern doch noch lange am Teleph mit einer Familie hier. Bald bin ich Räuber.
Bitte verzeihen Sie meinen nüchternen Brief und seine Arglosigkeit – also wirklich war, Mill.
Ich wollte schönes: Indianertum.
[1] Ich bleib doch. Radio spielt so schön. Ich bin noch so schön allein. Nachher sprech ich Teo Otto den Decorationsmaler vom Theater. Er ist Westfale und kennt die Tierhecken und Hexengäseke und konnts nicht erwarten. Gestern traf ich Gretler großen Schausp. sagte nur: »Guten Tag Herr Nachtwächter.«
Anmerkungen
Quelle: The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 32).