Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Jerusalem, Dienstag und Mittwoch, 29. und 30. August 1939
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Hôtel Vienna Jerusalem
29. Aug. 39
Lieber Mill.
Vielen Dank für lieben Brief. Ich kann nicht verstehen, warum, nachdem ich 6 Jahre in der [2] Schweiz lebte, ich kein Visum bekommen soll? Ob ich denunziert bin? Es werden so viele Leute denunziert. Unsere Wirtin (unter uns) hatte die Frechheit die Töchter von Jakob Wassermann zu denunzieren; sie erzählte es selbst der Julia Wassermann und mir auf der Treppe. Die beiden Mädchen haben sich gerade nicht gut benommen und die Julia falsch und unaufrichtig, aber die Wirtsfrau noch schlimmer. Ich hatte Herrn Bundesrat schon gebeten (nach Bern adressiert, ein Wort für mich einzulegen. [3] ich will ihm noch einmal schreiben an s. direkte Adresse. Ich schreibe auch einem sehr sehr netten Schweizer Dichter: Carl Seelig. Er schreibt für Neue Z. Z. Zürich und Baseler Nationalzeitung; und mir wirklich gut gesinnt. Er wird mit Neue Z. Z. Zürich Dr. Korrodi sprechen. [4] Ich glaube, daß man hier, sind die Herren vom Kongress wieder hier, mit mir Vereinbarung schließt. Ich sprach doch bei Schocken in dem herrlichen Bibliothekhaus mit Riesenerfolg. Herr Schocken hat hier die Zeitung: Har-Arez habe schon eine Arbeit geliefert, schon übersetzt in Hebritt und gedruckt. Der I. Redakteur, Adon Sweet, liebt meine Dichtungen enorm. Versprach mir für Okt. genaue Sache. 5 Beiträge monatlich etwa. 10 Pfund sind 200 Frc. wenn nicht 240 Frc. Ich kann dann leben. Und das muß doch die Behörden beruhigen, wenn ich Ihnen Abschrift oder Original Contrakt sende? [5] Bitte warten Sie noch paar Tage – da ich doch momentan nicht reisen kann der Situation wegen. Käm doch Frieden! Ich schreibe auch morgen an Silvain Guggenheim, Engemattstr. 20. der mir die letzten Jahre so half mit paar Herren. ob es gut ist, Sie schreiben ihm – weiß nicht! Er hat auch die Caution gestellt für Hierher. Ich bin nicht gesünder noch kränker wie in Zürich. [6] am Abend nur traurig wie immer. Ausgerechnet geh ich mit der Dämmerung unter jedesmal. Um 7 Uhr nun schon dunkel. Hier eine andere Welt. Nun zu gefährlich momentan hierher zu kommen. Man weiß nie, ob man wieder heimkommt. Aber doch alles Schicksal. Talpioth, Jerusalem wie in der Bibel noch. Sie wären sprachlos. Asien sehr schwer lange auszuhalten – wie schwerer Wein und ich komm ja immer wieder. Carl Seelig. Mühlebachstr. 17. Zürich. Wenn Sie ihm schreiben, das wäre das beste. Bitte senden Sie ihm Ihre Brochure, die ich so schön finde. Er liebte eine Jüdin – aber ihm nichts davon schreiben. Sie starb. Er liebt Juden. Er ist aus der großen Sportfamilie aus Luzern. Er wird raten können. – Sowie die Situation sich geändert, es sieht stark so aus, als ob Reinecke Fuchs den Kleineren in die Falle lockte.
Es giebt keinen Krieg – bin überzeugt, wir alle! – Nun dank ich Ihnen nochmals [7] für alles. Ich mach Ihnen immer so viel Scherereien. Ich war so schlaff von der Hitze, konnte nicht schreiben. Ist ja auch egale. Alles alles anders hier – ungeheuerliche Mumie ist Jerusalem, Gottes Stadt. Verstorbenes Land, an vielen Stellen aufersteht es.
Mein Buch will Sweet übersetzen lassen ins Hebritt. Um 8 gehen wir alle meist zu Bett, hier Sitte. Bei Tag kann man sich kaum wach halten. Aber nun kühler. Ich war vor paar Tagen: Tel-Aviv. Dort konnte man kaum denken vor Hitze, aber doch unerhört. Das Meer mitten in der Stadt. Ich wohne auch mitten in der Stadt Jerusalem. Immer kommen Könige: Kameele, Dromedare durch den Jaffaroad und Esel mit Arabern und Juden. Ihr dennoch – armer Jussuf.
[8] Heute früh der 30. Aug. 39
Die Banken hier liefern das Geld nicht sofort aus. aber in 14 Tagen. Nun eine Aufregung unter den Sparenden. Die Simcha im Gasthof tut mir direkt leid. Vor 5 Tagen noch eine Gemächlichkeit der Leute hier [9] ich durfte kaum von Gefahr zu den Leuten reden. Seit 7 Jahren warne ich – schon in Ascona. Aber seit gestern: Aufatmen. »Er« kommt noch hierher, sich mit den Juden auszusöhnen –? –
[10] Ich habe Ihnen ja immer gesagt, wie die Menschen sind – lau. Schon vor 2000 Jahren. Ich wollte Jemand oder habe ihn gerettet vor 1 ½ Monaten im Keren, – allerdings er weiß heute noch nicht, daß es so wahr) machte mir Vorwürfe der Störung. Im großen Ganzen besteht der Plan, mich zu sichern. Aber das ist auch das Einzige, das [11] noch etwas Freude schafft in mir. Denn 7 Jahre, letztes Jahr auch in Berlin – bin ich den Bettlern gleich – früher bewegten die sich noch auf grünen Landstraßen, jetzt auf dröhnenden Straßen. – Ich habe aber etwas getan, Ihnen würds Freude machen. Nur der große westf. Rheinische Rabbiner hier: Dr Kurt Wilhelm, man nennt ihn: Pastor Wilhelm – weiß es. Er lobte mich so, ich bekomme Ehrenplatz: Versöhnungstag. Ich bin öfters Gott – böse, aber dann erkenn ich Ihn wieder, da er traurig wie ein Mensch.
Hier Halb-Engländer sind nett zu mir in Talpioth. Ich habe bestellt: Film und sie lassen mein Buch (Theaterbuch) Arthur Aronymus u. s. Väter übersetzen für London
Ich habe Renée und mir echt jerusalemitisch Armbänder gekauft.
[8] Carl Seelig kennt Dr. Korrodi u. Dr. Tobler. und reizenden Dr. Arneth
Anmerkungen
Drei Briefbogen mit Foto, beschriftet: 1) »HAIFA חיפה«. 2) »JERUSALEM. Building of Jewish Agency and National Funds ירושלם, בניני המוסדות הציוניים המרכזים«; Notiz von Else Lasker-Schüler: »dort bin ich oft – 1. Haus: Rehavia.« 3) »Harvest in the Emek קציר בעמק«.
Quelle: The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 58).