Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Zürich, Donnerstag, 5. November 1936
Herrn Fürsprech
Emil Raas
Bern
Balmweg 7.
5. Nov. 36
Lieber Herr Fürsprech.
Es ist 6 Uhr früh und ich sitze wieder auf dem Bahnhof in Zürich. Ich bin im Ganzen gefahren so 18–20 Stunden. Gestern früh nach Mailand und gestern Abend 18 Uhr 50 zurück, da [Schiff] ich krank wurde. Um 7 Uhr wird Seehofs Pforte aufgeschlossen, ich lege mich dann hin und sammle meine Scherben. Der Krug ging gegen Mail. – lang und bang zu Wasser – bis [Scherben]
Sende ein paar Leuten hier einige Scherben.
Diese kleine Strappaze konnte ich nicht aushalten; Mail. eine kalte riesengroße Stadt ohne Liebe u. Licht.
Ich wußte Stunden gar nicht wo ich war.
Nun gehe ich Seehof. Traute mich fast nicht.
Ich fahr jetzt mit dem Tram Bollerei u. Seehof in meine liebe Kajütte.
(Da kommt ein Bekannter gerade.)
(Bin wieder froh.)
Ich war noch nie so heimatlos wie gestern.
Jedenfalls war ich da. Formalität eingehalten.
Der Duce war vorgestern III. Genua eine Herrlichkeit
Ich sah einen Turm in der Welt, da werd ich mit Somalidiener wohnen.
Ich kann selbst nicht mehr das lesen.
Denken Sie 3 Stunden lag ich in Mailand betäubt. Ein lieber Doktor brachte mich bis zur Grenze.
Anmerkungen
Poststempel: Zürich, 5. 11. 36.
Quelle: The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 30).