www.kj-skrodzki.de

Copyright © 2003–2024 by Karl Jürgen Skrodzki, Lohmar

Dr. Karl Jürgen Skrodzki, Am alten Sägewerk 5a, 53797 Lohmar, Deutschland

Tel.: +49 2241 942981

E-Mail: web (bei) kj-skrodzki.de

Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Zürich, Mittwoch, 12. Januar 1938

Emil Raas
[1]

[1][2][3][4][5][6][7][8][9][10][Kuvert]

12. I. 38

Lieber Mill

Ich war heute früh vis-à vis Selekt Pfefferminzthee getrunken; mal andere Luft geatmet, zwischen lieben Menschen vorher Post ganz nah. Ich danke Ihnen für Ihre Karte. Ich mußte mich wieder hinlegen der Schwäche und des [Herz]ens wegen, sonst kann die Grippe sich nicht legen, sagten in der Bar Selekt, die lieben Menschen im [2] Effekt; sie haben mir so nett gedeckt. Nun lieg ich wieder auf dem Bodem (III. Etage.)

Und übe mich: Gymnastikodem.

Der stärkt das Herz und seine Zellen,

Vielleicht auch noch paar andere Stellen.

Mein [Herz] war, schwör eck opp Gewissen,

Genau so wie ein Nadelkissen.

[Stecknadel mit Nadelkopf]

»Du kennst mein Herz noch lange nicht« heißt es im lyrischen Gedicht. Und ich will es nicht kennen lernen; – Vorhang fällt. [3] (Mir würd das Herz weh tun wieder.)

Lieber Mill, ich danke Ihnen für Ihren langen ehrlichen Brief. Wie soll ich aber urteilen und weiß nicht warum Sie gelähmt sind? Haben Sie noch viel Kopfweh? Als ich nach Palästina kam vor 5 Mon. da sagte meine Freundin, die ehrlich ist, die mir geschwisterlich ist, ich sei so gelähmt und so verändert. Aber ich erholte mich dann und ich schrieb ja nicht, – ein neu Leben zu beginnen. Sie weiß Ihren Namen nicht! [4] Können Sie nicht mal 2 Mon ans Meer [fliegender Vogel] oder in die Berge? Sich vielleicht – zur Ausrede) eine Arbeit mitnehmen? Tun Sie es doch!!! Es muß gehen. Ich hab an Brisago (Tessin) gedacht – beinah Grenze von Italien: Locarno, Ascona Ronco Brisago mit dem Autoomnibus. Dort viele Quellen, sehr merkwürdige Gärten und Berge. Palmen, Citronengärten und Zedern. Das wäre auch besser für Ihre Schwester; Paris liegt in einer spitzen Manschette [5] heute noch und ihre Schwester liebt den Alpenstraus noch frisch mit Thau bedeckt – vermutlich. – Aber Sie folgen mir doch nicht. Ich kann mir ja auch nicht einbilden, Ihnen helfen zu können. Ich sei so spröde, sagten immer die Schulkinder schon. Sagt man nein – erregt das nein in Ihnen – ja. – Sagt man ja, erregt das Ja in Ihnen nein. Ich hab noch nie im Leben einen eigensinnigeren Bengel gesehen [6] wie Sie damals vor etwa 4 ½ Jahren mit Herrn [Tierkopf] Viehhändler Brunschwig in mein Zimmer traten, und ich – artig sagte, »bitte setzen Sie Sich doch.« Ihre Antwort: »Ich will nicht!!« – »Reizend« dacht ich.

Als wir den Spaziergang in den Bergen machten in Ihrem Gemüt, da hätt ich so gern mal durch den [Mond mit Gesicht] geguckt, aber er hing so hoch und ich konnt ihn nicht herunterholen. Und ich war zu bang es Ihnen zu sagen. [7] Eben pfeift es unter meinem Fenster. Dr. Chamisso Pinsky fährt heute ½ 10 Uhr wieder London. Er und ich waren immer befreundet. Er will mit Stenzel einen Abend arrangieren in London. Prof. Bithell hat von mir Gedichte lange schon übersetzt. Dann: Mein Aronymus für ihn wird jetzt in New-Jorker Zeitungen geschrieben. Große Aussichten!! Lindtberg sehr dahinter. Dann: Ich bin ohne Sorgen – äußere für mich, ich komme schön aus. [8] Endlich nach 5 Jahren Räuberei! Was sagen Sie? Und lieb schickt man mirs. Ich esse noch von Ihren Äpfeln und Nüssen. Man ißt wirklich: Wald. Und Datteln. In einer Dattel legte gerade ein Würmchen: Eier. Ich habe sie vorsichtig wieder zu gemacht und einen netten Platz für sie gesucht, auf der Erde eines Blumentopfs hier im Hôtel. draußen zu kalt. Nun scheint die Sonne so warm und tanzt auf [9] meinem Bogen: Polka. Lieber Mill, wie könnten Sie froh werden? Warum sagen Sie es mir nicht – oder führen Sie mich an der Leine umher? Warum brennen nicht die Lichtchen ganz hell auf und was verzweifelt Sie? Äußerliche Dinge? Wenn ich das wüßte!! Sie haben es doch schon so weit gebracht, sehen Sie unter Sich die Leute. Ich weiß ganz genau, Sie erreichen das allerhöchste. Ich hab mich nie geirrt.

Ihre Dichterin.

[10] Ich glaube Wehrmacht alles schon in Händen. Ich sprech zu gern von Politik, aber mündlich. Ich möchte Ihnen Brief zeigen aus Berlin von einem Generalehepaar. Er war mit Hindenburg im Zelt im Krieg.

Wolfgg Heider das Pathenwiegekind von dem großen Beamten in Bern ist in Berlin. (nachgucken!) Kommt wieder, will mich und Sie durchaus vorstellen der famosen Familie

[Kuvert:]

Herrn

Fürsprech Emil

Raas

Bern

Balmweg 7

Anmerkungen

Poststempel: Zürich, 13. 1. 38.

Quelle: The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 44).