Aktualisiert: 20. April 2025
19. Mai 36
In Eile Blei!
Bitte verzeiht, daß ich Sie so oft belästige, dabei regnet es noch seit gestern. Mill! Also schon Wirkung, seitdem ich wieder Strandräuber bin. Die fehlende Hälfte schon da. Sende gleich Bild retour. So mach ich es immer jetzt bei Spießern. Und die andere Partei, der das Bild zuerst gehörte oder noch [2] gehört, werde schon gutmachen. Wenn Sie mir Brief retournieren den ich schrieb Dank Ihnen! Oder zerreißen Sie ihn. Mir ist alles schnuppe geworden. Unbegreiflicher Weise machte wieder Gedicht. Das und Klavier erscheinen jetzt. Bitte Gedicht lesen Sie nun nur zuerst – es geht an Niemanden. Ich dichtete eben – so plötzlich, da ich traurig war am Abend.
[3] Lebt wohl, lieber Mill, der Brief soll fort. Bitte sagen Sie nichts Frau Prof. Dr. Baumgartner-Tramer, da sie lieb zu mir.
»Einfach toll!«
Nun ertapp ich mich selbst, indem ich das sooft sage. Grüßen Sie Ihren Wald, [im W ein Stern] ich werd mal allein drin spazieren gehn und zu Ihrem Haus herübersehn. Haben mir ja Ihr Zimmer vor Seriösität, mir Uneßtät nicht gezeigt, darin Sie Examenarbeiten damals machten. »Bei mir Mißisippi.« Ihr Jussuf.
[4] Lieber Dr. Steinmarder habe ich mich auch revanchiert mit – herrlichen – Bild: Indianischer Tänzer in Galla und Indianerin: Weiße Milchstraße Tänzerin tanzen, Er [5] freute sich sehr!
Nur die Spießer kriegen nichts geschenkt. Ich habe doch Recht?
Ich sitz im Omnibus allein nach Locarno 7 Min. weit gehe ins Kino heimlich, da Geld.
Anmerkungen
Quelle: The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 27), S. [1] bis [3], und Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 74), S. [4] bis [5]. Druck: Else Lasker-Schüler, Werke und Briefe. Kritische Ausgabe. Im Auftrag des Franz Rosenzweig-Zentrums der Hebräischen Universität Jerusalem, der Bergischen Universität Wuppertal und des Deutschen Literaturarchivs Marbach am Neckar hg. von Andreas B. Kilcher [ab Bd. 9], Norbert Oellers, Heinz Rölleke und Itta Shedletzky. Bd. 9: Briefe. 1933–1936, bearbeitet von Karl Jürgen Skrodzki, Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2008, S. 349 f.
wieder Gedicht • Wohl das Gedicht »Die Dämmerung naht«. Else Lasker-Schüler schenkte Emil Raas eine Reinschrift mit dem Titel »Der Abend kommt ....« (Manuskript im Nachlass von Emil Raas erhalten):
»Der Abend kommt ....
Der Abend kommt – im Sterben liegt der Tag.
Sein Schatten deckt mich zu, der kühl auf einem Blatte lag,
Auf seinen roten Beeren.
Ich baute uns ein Himmelreich, dir unantastbar zu gehören,
Das aber an den Riffen deiner Herzensnacht zerbrach.
Die Vögel singen und vom Nachtigallenschlag,
Erzittert noch mein Bild am Wald im Bach.
..... Dir will ich es verehren.
Der Abend kommt – im Sterben liegt der Tag –
Und – müde rankt sich meine Seele um dein Dach.
Else Lasker-Schüler.«