Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Zürich, Freitag, 24. Mai 1935
Erst: 6 Uhr früh
Lieber Mill. Ich konnte gar nicht schlafen, da ich solch eine Taktlosigkeit getan – aber ohne schuldig zu sein. Ich nehme extra so einen Bogen, darauf ich auch Worte schrieb mit der Maschine – (als Beweis, daß ich oft so einen Satz aufschreibe zu event. Gedicht, und mitten drin zum Telephon gerufen, abbreche und aufbreche. Und der andere Bogen, da versucht ich die Schreibmaschine, ob sie etwa kaput sei? – die mir aus den Händen fiel. Nun stand auf dem Bogen an den lieben Mill so ungefähr, ich möchte dich küssen, aber ich kann nicht küssen – oder nicht genau so. ich hatte den Satz auch mal geschrieben auf dem Bogen wie oben gesagt, wahrscheinlich Gedichtanfang. Bitte entschuldigt solch einen Satz von mir – den ich – ja ich weiß nicht wieso ich auf dem Bogen schrieb. Ich kann mich gar nicht entschuldigen. Daß ich wieder froh bin, das schrieb ich wirklich und das ist wahr. Ich wollte auch noch schreiben, daß große Freude immer ewig ist und nichts kann sie vergiften. Und dann wollte ich schreiben, daß die Jungen und Mädchen sicher entzückt sein werden, wenn gerade Ihr ihnen vom Heiligen Land oder von was – erzählt? Ich würde auch gerne zuhören. (Die Vögel singen schon.)
Ich bin nur immer so unruhig wie der River am Waldweg oft.
[auf einem Hocker sitzende, leicht vorgebeugte Indianerin, darüber Vollmond, links hinter ihr Zelte, rechts Bäume] Der Süssholzbaum
Im Urwald vor den Zelten saß ich die ganze Nacht und schwärmte
Da mein ich nun, Ihr werdet mich nicht für unzart oder gar geschmacklos halten – und manchmal gut an mich denken und ich lege mich auf Eure Hände oft
Pampeia
[Blüte]
Anmerkungen
Auf den beiden Briefbogen maschinenschriftlich: 1) »ich wollte dirs nur sagen aber ich weiss« und eine Zeile willkürlich angeschlagener Buchstaben. 2) »24. Mai. 35. | Ich bin wieder«.