Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Zürich, Samstag oder Sonntag, 1. oder 2. Juni 1935
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1. oder 2. Juni. 35.
Lieber Mill. Sie haben mir zwar noch nicht geantwortet, oder Ihren Brief nicht abgesandt, noch nicht durch die Zensur gegangen ich bin ja auch eine Schwerverbrecherin oder sonst wie gefährlich, – die Hauptsache, ich gab Ihnen das Wort nicht Gründe Ihres Schweigens je mehr zu vermuten, darum ich Sie frage, ob ich Ihnen, der diese Dinge versteht mit Verlagsanbietungen, vielmehr sie richtig beurteilen kann, ob Sie mal den Brief vom Verlag, der über meine antiquar. Bücherkauf handelt vom sehr grossen Verlag aus Berlin-Jerusalem, lesen wollen, mir raten wollen? Gern hätte ich mit Ihnen mündlich darüber gesprochen, aber nun erst nach ungefähr 2 Jahren sagen Sie ich soll doch mal wieder nach Bern kommen in die schönste Stadt – sage ich dazu. Kaum dass Sie 10 Min. hier rasteten. Ich könnt Ihnen was anbieten, und das könnte mich so ein Glas Wein etwa banquerottttt machen? Auch weiss ich oder vermute dass Sie ihren lieben Papa etwas helfen müssen. Ich half der ganzen Welt Menschen die mir sogar unsympatisch waren. Aber da fängt es ja eben an. Ich will von keinem Geschöpf der Erde was haben. Ich raube lieber bei helllichtem Tag. Eben liess ich nach langer Zeit wieder mein klein Reisespieluhr spielen einen altegyptischen Tanz zugleicher Zeit spanisch und da versuchte ich wieder einen arabischen Tanz zu tanzen wie die Frauen in Tanger. Aber ich bekam einen Herzkrampf und ich bin traurig darüber, denn den wollte ich als Joseph von Egypten tanzen, der um den Preis dem Pharao sein Land zum zweiten Mal rettet. Ich kann ihn besser tanzen wie die Frauen und Arabertänzer in Tanger, sagten die arab. Leute in Palästina. in einer Bar. Also auch das verloren! Ich krieg noch immer gar keine Luft. Nun send ich Ihnen diesen Brief morgen, Ja? Es wird ihn heute noch ein deutscher Legationsrat, den ich von Berlin aus kenne lesen. Der ist immense [2] klug. Der will auch wenn ich wieder nach Jerusalem reise mir grossartige Briefe an Menschen dort mitgeben. An seinen Freund einem Juristen unter and. der alles führen soll wegen der hebräischen Übersetzung dort in einem sehr grossen Verlag und bei den Engländern. Mein Onkel der wieder in Californien ist, schrieb dem Anwalt, es imponiere ihm dass ich mitten in der Zeit ein Buch geschrieben habe. Ich müsste mindestens noch ein Jahr hangen und bangen. Worauf ich ihm schrieb, ich schreibe das Buch sogar den Rest das Ende am Ast aufgeknüpft, wenn auch mein Herz hüpft vor Freude dass es bald fertig ist. Er will mir jetzt immer Speisen senden – – – – – – Californische Pflaumen wahrscheinlich. Der Uri in Tel-Aviv will ihn mit mir ermorden. Aber das kann ich nicht. Nun bitte zeigen Sie den Brief etwa nicht Herr Brunschwig. Ich kann noch dazu den Namen nicht ertragen. Aber wenn Sie mit Ihrem Freund Herrn Messinger dem Sohn des sehr interessanten klugen Herrn Doktor überlegen möchten, habe nichts dagegen. Er ist mir sympatisch ungesehen. Auch freute!! ich mich wie mir jemand erzählte er sei wieder gesund für ihn und für Sie, [zwei Glockenblumen] Mill, da sie ihn so gern haben. Meine liebe Frau Erna Greiner ist über Berlin nach Skandinavien gereist paar Monate. Vielleicht kommt Frau Moissi hierher zu mir meine Freundin aber Frau Greiner ihre Schwester liebe ich viel mehr. Sie war die Frau vom Dichter Leo Greiner in Berlin. Ich hatte Ihnen in meiner Einsamkeit vorgestern in der Nacht einen grossen Indianerbrief geschrieben und zerriss ihn. Wie arm, dass selbst meine Worte anstatt sie Ihnen Freude schenken bringen sie Dunkelheit sternlose Nacht: Aber Sie brauchen nicht darüber traurig denken, genug wenn einer so denkt. Bitte schreiben Sie mir wegen des Briefs genau. Die gesammelten Bücher je 12 Stück hat doch Paul Cassirer herausgegeben (noch Kriegspapier) aber die Leute müssten alle Bücher die ganzen gesammelten nehmen da wenn ich nur die hebräischen Balladen herausnehme, der Hauptwert der 12 kaputt [3] geht? Ist das gemeint? dass die Leute auch alles nehmen? Und ich würde das Exemplar zu 30 Pfennig lassen zum ersten zum zweiten zum dritten. Auch Dr. Maril der immer sehr besorgt um mich war bei S. Fischer der mein letztes Theaterstück herausgab, hat mich angefragt vorgestern wegen der antiquar. Bücher. Dem kann ich ohne Ratschlag antworten. Hab schon. Ich hab auch seit gestern wieder Geld, konnte Postsachen kaufen und ging abends noch um 11 Uhr essen. Für Kino hab ich meist, oder bezahl anderen Tag oder so. Die Hauptsache: ich seh spielen. Wenn ich mal nach Bern gekommen wäre, wäre ich dort mal ins Kino gegangen, ob Sie mit gehen oder nicht. Da bin ich rücksichtslos. Ich möchte auch dass Ihre Schwester [Blüte] dunkelblau, mitüberlegt des Briefes wegen. Ich sende ihr als ihre Klientin, da sie mich gern hat? wie Sie sagten, ein goldenes Kaffeeservice, wenn ihre Freundin sie besucht, morgen send ich. Ich muss jetzt zur Post. Dann schreib ich weiter: Jerusalem. Gestern schrieb ich über meine Eisenbahnfahrt durch die Wüste von Alexandrie aus. Die Direktoren von einem grossen Kaufhaus hier und ihre Frauen so lieb zu mir sie lassen mir 5mal abschreiben mein Manuscript. Gestern sprachen wir und auch Dr. Meng und Frau die mir die Schwanenkarte sandten, kommen bald wieder für einen Tag. Also kein Mitleiden! Sie können direkt hart aus Mitleid sein. Und dabei gar nicht nötig. Ihre Pampeia.
Gestern war unerhörter Sturm im Urwald. Die Cocosnüsse kamen uns ins Zelt geflogen, wahrhaftig wahr. Nun trank ich heute früh drei Nüsse aus, wurde ganz betrunken.
[4] [Regen] Es regnet draußen
[Blume und Gräser, darüber fliegender Vogel] Da oben bin ich – Ehrenwort.
Zerriß auch das Bild im Brief – so schade –
Chokolade, trink ich gerade –
Vom Chokoladenast die drei [drei Indianerbüsten vor Bergen, Palmen und Vollmond] sind bei mir Gast.
Die Asteken 3 Vetter von mir mit Düten Köpfen voll Frucht-Bonbons.
Anmerkungen
Quelle: The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 18).