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[12] Else Lasker-Schüler an Emil Raas

Zürich, Montag, 12. Februar 1934 (1)

Aktualisiert: 23. April 2025

* * *

Emil Raas
[1]

[1][2][3][4][Kuvert]

12. II 34

noch auf der Post

Lieber Dichter.

Ihr Brief ist wirklich eine Dichtung; so ohne Spießerei und Bürgerlichkeit, – aber groß Mißverständniß denn Jussuf will nie in Wirklichkeit ein Herz einnehmen! Parole d’honneur. Ich schreibe Ihnen sofort, da ich weiß, Sie machen sich Herzzerbrechen darüber, wie ich Ihres Briefes Inhalt auffassen werde. Genau wie er lieb geschrieben ist. Nur überschätzen Sie den Wert meiner Dichtung und Stimme des Vortrags wie so viele Menschen es taten und vielleicht noch tun und tun werden. Ich will ja in Palästina die Heerden hüten und mit ihnen weiden auf den Wiesen wo menschenhohe Gräser wachsen und man sich zwischen den Stengeln und Rauschen verstecken kann. In Egypten, wo ich Kornverweser werden soll – durchaus! werde ich in Brokat und [2] Seide gehen müssen, da hilft nichts und ich werde einen ganzen Hof voll Schmeichlern und Getreuen haben. Wie Joseph damals, den ich von Kind an liebte. Im Lexicon sind oft falsche Angaben. ich bin nicht 45 aber 1000 u. 1 Jahr dem Märchen überschritten längst den Rubikon. Damals in Berlin kündete zunächst Fred Hildenbrandt an, ich habe Geburtstag; – eine famose Erfindung – da er hoffte, daß ich endlich meine plagenden Schulden bezahlen könne. Aber immer noch zu wenig. Da kündete er an, es war ein Irrtum, man müsse eine Dichterin entschädigen – die weder Zeit noch Raum an sich hängen habe wie der erdgebundene Bürger. (Er hatte mich und meine Verse besonders gern. [3] So wurde ich wie ein Papier, ein Curs – der steigt und fällt. Aber das sollte gewiß so sein. Leid tut es nur mir bei meiner Ehre, wenn Sie mich falsch verstanden haben. Man sollte sich nie in Wolken hüllen, da verliert man die Aussicht und eine Absicht wird dem Wolkenverhüllten leicht unterschoben.

Darf ich ehrlich weiter sprechen? In Berlin (damals) wenn wir so alle im Romanischen Cafe – (Chicago) saßen, im kleinen Raum der zwei Räume, ein Gymnasium (ein kl. Dorf) ausmachten, liebten wir uns alle sterblich in Grauen der Geschehnisse. Das heißt von Tisch zu Tisch. Wir warfen uns Küsse zu und lächelten. [4] Und waren alle egale alt und jung. Nur eine kleine aufgegangene Frau drängte sich zwischen uns, die glaubte mit Scheinen uns zu kaufen und erniedrigen, sich einzukaufen in Elysium der großen Aula. Sie waren für mich das Gymnasium hier in dieses kalte Land verlegt mit den Bergculissen aus Stein ohne Seele. – Ich schrieb Ihnen ohne auch nur an Liebestatsachen zu denken. Ich bin ja froh nicht gefesselt zu sein und in Ihrer Stelle – hätte ich gelogen. Sehen Sie man leiht doch oft Jemand einen Frank; ich bin doch darum wenn ich mir einen Frank leihe kein Schuldner. Im Gegenteil, (wie heißt es doch: Seid umarmt Millionen der Welt. –

Noch eine Karte kam: Man habe in Deutschland mein Vermögen beschlagnahmt? Ich habe keins. Dann kam noch ein Brief von [3] Freunden aus Tel Aviv. Sie haben einen noch von mir lebenden Onkel, Onkel Karl Heinrich Schüler der in Freuden über meine Erzählung Aronymus – mir sein Californisches Vermögen (enorm) vermacht hat. Notar unterschrieben. Ich werde mir Lämmerheerden kaufen Ich gehe gleich zu Herrn Dr. Steinmarder hier, der antworten soll, da ich keine Ahnung habe.

3. Nachrichten – die welche von Ihnen kam, schmerzte mich, da Sie mich mißverstanden

Lieber Gruß

Prinz Jussuf

[1] Nun ist der Onkel nach Abbessinien gereist – Weltreise mit seinem Diener. Ich treff ihn in Cairo. Ich saß früher auf seinen Knieen

So les ich eben wieder. Ich geh jetzt zu Dr. Steinmarder

Ich mach mir ja aus Geld nix – aber ich werde Dr. Steinm. fragen

[Kuvert:]

Herrn

Emil Raas

Bern

Balmweg 7

Anmerkungen

Poststempel: Zürich, 12. 2. 34.

Quelle: The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 5). Druck: Else Lasker-Schüler, Werke und Briefe. Kritische Ausgabe. Im Auftrag des Franz Rosenzweig-Zentrums der Hebräischen Universität Jerusalem, der Bergischen Universität Wuppertal und des Deutschen Literaturarchivs Marbach am Neckar hg. von Andreas B. Kilcher [ab Bd. 9], Norbert Oellers, Heinz Rölleke und Itta Shedletzky. Bd. 9: Briefe. 1933–1936, bearbeitet von Karl Jürgen Skrodzki, Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2008, S. 91 f.

in Palästina• Vgl. zu [Brief 6] (»nach Alexandr.«). – Kornverweser • Vgl. 1. Mose (Genesis) 41,46–57. – Wie Joseph damals […] liebte. • Vgl. zu [Brief 7] (»In der Schule […] die Kinder immer«). – 1000 u. 1 Jahr • Anspielung auf die arabische Märchen-, Novellen-, Fabel- und Anekdotensammlung »Tausendundeine Nacht«. Scheherezade, die Hauptfigur, erkauft sich in 1001 Nächten durch Erzählungen ihr Leben. – Rubikon • Julius Cäsar hatte im Jahr 49 v. Chr. den Fluss Rubikon überschritten, um seine Stellung gegen Pompejus zu behaupten, und damit einen Bürgerkrieg heraufbeschworen. Die Wendung »den Rubikon überschreiten« ist sprichwörtlich geworden für die Bezeichnung einer folgenschweren Entscheidung. – Fred Hildenbrandt • Im »Berliner Tageblatt« vom 15. Januar 1926 (Jg. 55, Nr. 24 [Morgen-Ausgabe]) war ein redaktioneller Beitrag mit dem Titel »Geburtstage« erschienen. Darin heißt es: »Den fünfzigsten Geburtstag feiern: […] am 11. Februar Else Lasker-Schüler.« Einen Tag später veröffentlichte Else Lasker-Schüler im »Berliner Tageblatt« ihr Scherzgedicht »Geboren 1883 am 1. Mai« (Jg. 55, Nr. 27 [Abend-Ausgabe] vom 16. Januar 1926; Else Lasker-Schüler, Werke und Briefe […]. Bd. 1.1: Gedichte, bearbeitet von Karl Jürgen Skrodzki unter Mitarbeit von Norbert Oellers, Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 1996, S. 239). Am 11. Februar erschien dann von Fred Hildenbrandt im »Berliner Tageblatt« (Ausgabe für Berlin) (Jg. 55, Nr. 70 [Morgen-Ausgabe]) der Beitrag »Liebe Else Lasker-Schüler!«. Hildenbrandt schreibt: »So viel ich weiß, haben Sie diesen und jenen in den Redaktionen der Berliner Zeitungen ehrlich erschrocken und mit Ihrer aufrichtigen und himmlischen Bescheidenheit gebeten, zu Ihrem fünfzigsten Geburtstag heute zu schweigen. So viel ich annehme, hat dieser und jener Ihnen mit frömmstem Augenaufschlag jenes Stillschweigen versprochen. So viel ich vermute, wird heute weder dieser noch jener sein Versprechen halten, und somit wären Sie wieder einmal, Sie ungeschickte, untüchtige, unpraktische, prachtvolle und verehrungswürdige Frau die betrogene. Aber sehen Sie, dieser Betrug an Ihnen mußte sein, war unumgänglich und notwendig, es ging nicht an, zu schweigen, und der oder jener, der Ihnen sein Versprechen gehalten hätte, wäre gewesen ein Kavalier bei der falschesten Gelegenheit.« Mit Abweichungen im Wortlaut (»gestern« statt »heute«) erschien der Text in der überregionalen Ausgabe des »Berliner Tageblatts« einen Tag später am 12. Februar (Jg. 55, Nr. 72 [Morgen-Ausgabe]). – Seid umarmt Millionen der Welt. • Der neunte Vers von Friedrich Schillers Gedicht »An die Freude« lautet: »Seid umschlungen, Millionen!« – Onkel • Nach Mitteilung von Edda Lindner an Margarete Kupper hat es einen solchen Onkel nicht gegeben. Vgl. Wo ist unser buntes Theben. Briefe von Else Lasker-Schüler. Bd. 2, hg. von Margarete Kupper, München: Kösel, 1969, S. 367. – meine Erzählung Aronymus»Arthur Aronymus. Die Geschichte meines Vaters« von 1932.