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Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Zürich, Mittwoch, 7. Februar 1934

Emil Raas
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7. II. 34

Lieber Begleiter über den Hânukâhplatz in Genf.

Ich schrieb gestern so schnell; heute – mit Nachdenken. Es ist die Zeit hier, die langen Monaten zwischen den seelenlosen Menschen (fast alle) hier wie ein Erblassen gewesen. Im Hospiz hier, für mich – eine Aufgabe gewesen, namentlich in der ersten Zeit, da der Wahltag noch nicht vorbei – in Zügen, nicht in großen Zügen, durch die Straßen – gemächlich wanderte. [2] Es geht mir mater. gut, da Hilfe von Jerusalem etc. Berlin kam und am 3. März fahre ich von Triest nach Egypten, ich glaube – hoffe, zu lieben Menschen, die namentlich eine Vorliebe zu meinen egypt. Bildern haben. Ich wollte nun sachlich schreiben; vergesse immer wieder – denn mein Gehirn schlummert immer etwas traurig – so manchmal wie Nirwâhna (richtig geschrieben?) – manchmal. Ich bin mir schon ganz egale. – Ich log. Nun werden Sie mir selbstredend niemehr glauben. Und dabei bin ich wahrer wie alle die Mitbürger. Aber das würde zu lange dauern, das zu erklären. Ich wollte, bevor ich abreise nämlich von Ihnen etwas erzwingen oder hören. Darum log ich und [3] bitte ich Sie um Entschuldigung. Ich wäre leichter übers Meer gefahren, heller. Unser Spaziergang unsere Briefe, unser Leben die Monate, geschah ja 2 Meter über den Boden der Welt. Dachte ich. Darun waren Sie nur und ich. Warum unterwerten Sie Sich stets? Warum? Sie werden einmal in Ihrer künstlerischen Ruhe der größte Anwalt. Aus Verlegenheit gab ich nie darauf Antwort. Als ob Sie immer Pfeffer auf Ihr Gesicht und auf Ihre lieben Hände streuten. Im Leben habe ich selbst freundschaftlich nie einen Menschen fesseln wollen. Glauben Sie bitte das eine Mal noch mir. (Immer die Punkte mit dem Füllfederhalter. Verzeiht!!) Ich bin selbst ja so verlaufen, ich möchte nicht – verkommen – sagen, daß ich so froh war, daß Sie noch weiter vor Tagen ferner von mir im Schnee gewandert und fortgewandelt waren. Ich möchte, daß Sie Sich immer freuen, immer Freude haben. [4] Ich, die ich meist in Vorstellungen lebe, wollte nur etwas hören, gerade von Ihnen – in Wort incarniert. Ein Talisman für mich – ein Lichtchen am Baum. Ich wäre unter ihm geschaukelt wie unter tannengrün und grünen Maiwellen nach Egypten – wo ich alles sehen werde, was ich gedichtet. Darum schrieb ich solch eine Verleumdung und bitte um meine Verurteilung. Zwischen unerklärlicher Versunkenheit und gefaßtester Gleichmut verlief mein Leben – und weiter aber, das glauben Sie jetzt nicht – zwischen Gewissenhaftigkeit. Bitte, das müssen Sie mir zur Ehre glauben; ich dachte sogar oft, noch freier müssen Sie werden. Denn ich kenne Sie, auch vor meinem – hellblauen Glasfenster aus – genau. [5] Ich forderte Sie mit dem Brief – ganz instinktiv – zum Kampf auf. Ist es so? Ich weiß auch wie herbe Sie sind und ganz verhalten. Das ist eben Ihre große herrliche Stärke, die Kraft des Makkabaers die vielleicht unbewußt Wellen zu mir sprach – daß Sie Ihre Tiger zähmend am Zügel halten. Ich lass’ unverhofft immer meine Welt [im W ein Stern] fallen von der kaum Jemand ahnt, die ich vorher der schönen spielerischen Sterne wegen [mondrundes Gesicht mit Stern an der Schläfe] verwahrte im Etui. Jetzt weine ich nun, denn all die buntgoldenen Glassteine, die ich wieder zusammensetzen wollte, sind kaput. Nun sitze ich zerborsten vor einem Scherbenhaufen. Alles das steht eigentlich, kühler gesagt, im Gerichtsbrief von gestern.

Tino von Bagdad