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Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Zürich, Dienstag, 6. Februar 1934

Emil Raas
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6. II 34

Hoher Gerichtshof

[Gruppe skizzierter Büsten, in der Mitte Büste mit Beffchen und Hut, auf dem Hut:] Paragr

Staatsanw.) Erheben Sie Sich und schwören Sie wider bess. Wissen und Unwissen die Wahrheit zu sagen

[große schwörende Hand mit Ring am Zeigefinger, daneben kleiner gesenkter Frauenkopf] Angeklagte schwört

Staatsanw. vorher Bestraft?

Angeklagte: 3 ×

Staatsanw: Einmal wegen Raubmord, das andere Mal wegen Erpressung [2] Das dritte Mal wegen Landstreicherei.

Angeklagte: (Verbeugt sich)

Staatsanwalt: Dieses Mal wegen unerbitterlicher Verleumdung angeklagt – eines höchst ehrbaren Mitbürgers unserer Schweiz – wohnhaft in Bern mit Namen:

Angeklagte: Erlauben Sie, Herr Staatsanwalt? –

Staatsanwalt: Schweigen Sie!!

Angeklagte schweigt unter der großen Schuld der Anklage.

Staatsanwalt. (Liest bedächtig mit wohltuender Stimme die Anklage gegen die Angeklagte.) Am Sonntag 4. II. 1934 erhielt der Kläger: Antonio R. einen ebenso schnöden wie erpresserisches Schreiben der Angeklagten – [3] und fühlt sich in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des liter. Vereins aufs Schärfste angegriffen und geschmäht. Was sagen Sie dazu Angeklagte?

Angeklagte (eine 3 × vorbestrafte Halb-Idiotin): Es lag nicht in meiner Absicht den Kläger zu beleidigen. Und bitte den Kläger um Entschuldigung falls mein Brief wider besser. Wissen, ihn beleidigt haben sollte.

Staatsanwalt. Sehr bequem, 3 × vorbestrafte Angeklagte, aber erzählen Sie uns doch, Näheres und Entferntes über diesen Fall aller Fälle.

Angeklagte: (kleinlaut) Ich habe gelogen .....

[4] (Entsetzen im Zuhörerraum)

Pfuirufe

(Angeklagte tief ergriffen findet ihr Taschentuch nicht, oder – will es nicht finden, da es aus Grobleinen gewebt ist.)

Staatsanw.) Ruhe im Zuhörerraum!! – Was veranlaßte die Angeklagte zur Lüge.

Angeklagte. Das wollte ich Sie, Herr Staatsanwalt untertänigst fragen.

Staatsanw.) Also Sie wagten es einem ehrbaren Mitbürger unseres unfehlbaren Schweizer Volkes, einem Mann in Bern Antonio R. diese Verleumdung in den Mund zu legen, Sie Gewissenlose!!! –

[5] Angeklagte: Das kam so: »Zwei Seelen leben, Ach! – in meiner Brust. Die eine schob die Untat auf die andere – aber nun sind beide wieder einig.

Staatsanw. (schmettert) Sie stehen hier vor Gericht, Angeklagte und nicht auf dem Parquet Ihrer Luftschlösser und ich bitte mir den größten Ernst aus, Angeklagte! (Es donnert!)

Angeklagte. Es geschah ja gerade das schwere Verbrechen aus einem Ernst aller Tiefen aus einem Zustand aller Gebrochenheiten und Einsamkeiten. Nun lassen Sie mich nach Hause gehen, Herr Staatsanwalt; vielleicht teleph. es auch lange schon unten im Hospiz der [6] Hyänen mit den Taubenaugen – denn mein Schiff kann jeden Moment kommen.

[Schiff mit rauchendem Schornstein]

Staatsanwalt: Sind Sie verrückt Angeklagte – Schiff? Schiff?

Angeklagte. Ich soll in Egypten die Ähre wiederholen – ich soll Birnenbrotverweser werden wie Jussuf von Egypten es wurde. Und was noch alles.

Staaatsanw. Dieser! Mensch gehört ins Irrenhaus, aber nicht vor dem AnklageTron. Apropos, Wie lange kennen Sie den geschätzten Kläger schon?

[7] Angeklagte: Seit ich denken kann. Er war mir heilig, ich dachte an ihn Tag und Nacht.

Staatsanw. Wie lange waren Sie Angeklagte, (unbegreiflicher Irrtum des Klägers) mit demselben befreundet?

Angeklagte: Ich war nie mit ihm befreundet.

Staatsanwalt: Sie wagen wieder eine Lüge zu behaupten.

Angeklagte (total verwirrt) – Meer – (sie meint mehr) denn sie hört das Meer rufen!

Tuuh ... tuuh .... tuuh das ist das Nebelhorn ....

(Staatsanwalt und Geschworene beugen sich lauschend nach vorn) – erheben sich – beraten – erklären das Urteil nach Wohlgenuß der Gänsebraten: Geistig minderwertig – mildernde Umstände

Einzelhaft: 4 Monate

1 Tag im Kindergarten

Ich lese das morgen 7. II. 9 ½ abends hier im Radiohaus zwischen Orgelkonzerten ähnliches (Ehrenwort.)

[8] Jussuf von Egypten fährt am 3 März von Triest nach Alexandrien

Verzeiht hatte keinen Bogen mehr