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Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Zürich, Dienstag, 16. Januar 1934

Emil Raas
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Fraumünsterpost postlagernd Zürich

Lieber Begleiter.

Ich war und bin noch sehr krank. Hier überall so kalt und unhöflich im Haus: Waisenhaus. Aber ich hoffe bald in die Welt [im W ein fliegender Vogel] zu fliegen, übers Meer. Zuerst nach Alexandrien, dann Palästina. Will dort Schifffahrt ankommen so irgend eine schöne Schiffanstellung Steuer oder ähnlich, – – und lerne dann genau das Meer kennen, das ich liebe. Ich bin in Alexandrien bei Griechen dringend schon 6 × eingeladen. Die »Venus« die Frau des Griechen hat so viel von mir übersetzt. Ich soll es gut haben die vier Wochen, die ich dort bin; sie wollen mir in ihrem Auto die ganze Wüste [über dem W ein Stern] zeigen. Aber ich kann mich gar [2] mehr freuen, ich hab hier so viel in der Schweiz durchgemacht und kenne nun jedes Elend. Und weiß es giebt kein Erbarmen. Kein gutes Wort, kein liebes Wort. Pfui so gräßlich wars. Seit heute alles Äußerliche besser, viel besser. Ich brauch nicht mehr wachen und denken – wo bekomme ich morgen eine Marke her? oder die Miete oder – aber etwas hungern macht mir wenig. Eine Fee war bei mir eben eben. Auch wurde mir jede Woche versprochen, mein Schauspiel – aber nun ist nicht gut genug abgeschnitten am Theater und mein Schauspiel kostet so viel. Ich wäre ja sonst schon [3] abgereist. Ich saß immer im I. Stock an der Heizung einsamer Waisensaal und dämmerte hin. manchmal empfand ich die Genügsamkeit wie Nirvana. Alle Menschen sind so ängstlich ihr Herz zu öffnen, oder sie haben keins [am Rand neben der aufgedruckten Abbildung des Augustiner-Hofs:] frömmlich ohne [Herz] [|] oder die Thüren sind eingerostet. Ich hab nun auch gelernt meins abzuriegeln – ich mein sein Thor. Ich habe nur Sehnsucht nach der [Sonne] und dahin gehe ich ja auch zwar im Schiff fahrend. Ich bekomme das Bilet vom Wunderland gesandt.

Ich hoffe, es geht Ihnen sehr gut! Der gläserne Vogel singt manchmal, aber immer nur, wenn Sie schlafen – durch Ihren Traum. Sitzt auf einer Schlafpalme. Er pickt nur Zucker. [4] Ich hoffe Sie lassen ihn nicht darben wie so viele Menschen hier langsam vergehen, alle die, die an den Wassern zu Fuß wandern. Die Griechen schrieben, ich soll Joseph von Egypten werden, Brotverweser. Ich schicke Ihnen dann öfters eine Ähre und eine Silberblume, die zwischen dem Korn wächst. In der Schule sagten mir das die Kinder immer – und später die Dichter. – Die Dinge in Deutschland zerbrechen mich, so leiden alle. Oft schreibe ich sehr reichen Leuten, ich muß am Arm operiert werden und ich sende das Geld dann nach Berlin, wenn sie solches senden. Aber seit heute alles viel viel viel besser! Land!, aber ich bleib diesmal im Schiff sitzen. Ihre traurige Dichterin

[Kuvert:]

Herrn Emil

Raas

Bern

Balmweg 7.

Anmerkungen

Briefbogen und Kuvert des Hotels Augustiner-Hof. Poststempel: Zürich, 16. 1. 34.

Quelle: The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 4).