Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Zürich, Donnerstag, 23. Mai 1935
23. Mai 35
Lieber Mill. Auf einer Bank unterm großen Lindenbaum
Eine Taube kommt gerade
[Taube] 11 Uhr am Morgen.
[Taube] noch eine flog fort.
Vor mir wachsen fortwährend auf einer Wiese, [das W als Herz, mit drei Blüten verziert] gelbe Blumen, Gänseblümchen (sie nicht immer) und lilarote und viel Kräuter im Gras
Ich habe nicht geschrieben, da ich nicht weiß, warum Sie die Briefe, die vielen (?) an mich nicht abschicken? Da
Nun ist es 4 Uhr, ich wurde gestört, habe diesen Brief mit nach Hause – – – – – – Genommen und schreibe nun weiter auf der Maschine, – an Mill. Ich konnte nicht eher für die herrlichen Honigblumen danken. Lauter Bienen in allen Farben. Sie tranken immer schön das Wasser und ich glaub sie freuten sich in meinem Zimmer. Und ich hab fortwährend gearbeitet immerzu. Denn hatte ich wieder grosse Sorgen. Habe die Nacht hindurch gemalt und wirklich die vier Bilder heute früh verkauft und nun habe ich die Miete bezahlt und die Schulden. Und die Chefverkäuferin hat sicher noch für mich geschwindelt denn es schien mir viel mehr.
Und ein Redakteur vom Schweizer Spiegel kam geflogen setzte sich nieder und sagte sie hätten die schönen Gedichte all lesen und ich sollt ihnen schreiben so viel ich könnt. Und an der Zürcher Zeitung wollen sie jetzt mehr haben und alles noch was läuft und sich anstrengt. Und die jüdische Presse hatt doch über meinen Lehrer meinen Essay zum 80 Geburtstag das heisst, wir zeichneten Münder und Nasen und Augen mal zusammen von Modellen. Denken Sie der Sohn der Mich 5 mal bat zu schreiben, hat mir, wahrscheinlich da ich von seiner Grossmutter dichtete sie sei eine Medizinfrau gewesen etc. und ich seinen Zwillingsbruder erwähnte, mir geradezu unverschämten Brief zum Dank geschrieben. Nun kommen fortwährend Karten mit Abbitten da die Bekannten, den Essay schön finden Aber ich schreib gar nit mehr wieder. Mein neues Buch geht weiter jetzt konnte 8 Tage nicht daran arbeiten, aber gestern wieder 20 Seiten Maschine geschrieben und mein Arm doch viel besser. Die Wunde ja ganz geheilt und ich trag die Lappen nur fest um den Arm da er dann besser Halt hat. Nun fahr ich doch vielleicht zum Wiegenfest des Simson Goldbergs nach Basel. Schon um mich zu revanchieren beide kriegen sie erst eine Backfeife. Ich habe auch noch eine grössere Arbeit fortgesandt. Ich werde Ihnen schreiben so wie sie erscheint. Ich geb mir so Mühe. Manchmal spuck ich mich selbst an. So leb ich nun und möchte gar nichts tun. Ich möchte in den Sonnenschein. Ich käm gern ja mal nach Bern, aber Sie vermuten dann ich komm Ihretwegen und ich komm aber wegen der Plätze und dem Mosesbrunnen.
Ich weiss ja alles und Sie brauchen keine Angst haben. Ich bin wirklich im Grunde ein Junge und kenne keine weiblichen Schlichen, da Sie das aber immer vermuten und glauben, bin ich scheu. nicht bescheiden. Ich halt mich sogar objektiv gesagt – für den grossartigsten Menschen direkt Phänomen. Ich bin gar nicht so bescheiden. Es sieht so aus da ich immer fühle alles ist Täuschung. Ich bin auch krank in der Seele falls überhaupt die Seele krank sein kann Ich soll so schreien in den Nächten, dass kein Mensch das aushält. Vorsichtig wohn ich auch hier ganz am End und links liegt der Raum der Besen und Eimer. Die haben sich auch schon beklagt. Ich träume seit Kind den so gefährlichen Traum die Ärzte nennen ihn, Eta Traumatikum (glaub so) und da werd ich verfolgt von wilden Tieren und manchmal blut ich in der Früh – Ehrenwort) da ich mich selbst im Traum verwunde. Aber ich bin viel besser geworden und immer in warmen Ländern werd ich gesund. Nun bitte glauben Sie nicht, ich würde Sie verhunzen lassen im Schoss einer Frau da sind Sie mir zu gut. Ich bin jetzt so innerlich verarmt, und so beschmäht und immer seelisch gestossen hin und her ich kenn mein Bild nicht mehr ich weiss nicht wie mein Gegenüber mich anschaut oder für was er mich hält oder wie ich eckelhaft ausseh. Wirklich so ist es. Sie brauchen nicht immer Ihre Jahre betonen. Immer tun Sie das. Ich weiss alles. Und ich habe nie vor, Sie zu rügen (ein affektiertes Wort?) wegen even Feldblumen im 18. Jahr, aber meist sind auch die am Alter gebunden kamen schon mit 40 auf die Welt. Ich suchte ein Leben vergebens eine 20jährige Freundin. Ich habe keinen egoistischen Gedanken gehabt, Mill, ich finde nur Ihre himmelblauen Vergissmeinnichtaugen schön und verinnerlicht. und Sie sind auch noch dazu oft ein entzückendes Scheusal. Sagte auch, wie Sie nach einer Viertelstunde fortgingen, nun wirds dunkel. Mehr sagt ich nicht. Wenn ich einen Menschen liebte, ich würde kaum seine Hand berühren können.
Ich hatte das Gefühl es würde Sie freuen – Hier der Dr. Wyhler ein Anwalt, mit dem Dr, Rosenbaum zusammen der bekannte Anwalt, der könnte Ihnen sicher viel Auskunft geben. event für Sie? Er ist gar kein Spiesser. Nun kommt gleich die Frau Greiner die Schwester von meiner Freundin in Berlin Maria Moissi Nun reist sie ab nach Skandinavien für paar Monate und das tut mir so leid denn sie ist gut und mütterlich was zu mir. Und grosse Regisseurin. Sie war Schauspielerin und die Frau vom Dichter Leo Greiner. Sie weiss nichts von Ihnen. So weit gehts nicht. Hatte Ihnen Emil Bernhard der unendlich lieber Mensch damals erzählt? Mein Onkel hat mir doch alles vermacht in Amerika. unerhört viel. Mir und seinem Hauptneger. Unerhörte Dollars aber er kann sich gar nicht denken, dass ich gerade jetzt haben müsste, jedenfalls wärs schön. Alles unterschrieben. Er war in Tel-Aviv, da sah er Uri mein Buch lesen das von seinem Vater und seinen 23 Geschwistern handelt. und vom Gutshaus meines Grossvaters seines Vaters. Und meinen Namen las er. Und dann sass er den ganzen Nachmittag neben Uri und dem anderen Dichter im Cafe und las und las und weinte. Mein Papa hatte ihm mal all die enormen Schulden bezahlt und wenn er bei uns ganz früher war dann spielte er immer mit mir und ich musste immer neben ihm sitzen, so drollig soll ich gewesen sein. Nun liessen ihn die Dichter nicht in Ruh und da spielte die Angelegenheit mit den Notarsache schon fast ein Jahr. Ich würde mir dann ein Teater bauen und einen Palast Theben und einen bunten Springbrunnen. Genau wie wir einen im Garten hatten. Mein Onkel ist nun nachdem er durch die Welt gereist ist wieder in Kalifornien. Dort besitzt er noch Besitzungen und Pflanzungen und lauter Neger. Er soll dann immer von mir über mich gefragt alle haben. Und zwei Gedichte hat er auswendig gelernt – er geht an einem Stock und hat einen weissen Napoleonbart erzählten die Dichter mir. Und nur die albernen Prinzipien gefallen mir nicht. Nun hat hier ein Anwalt mit Jemand verhandelt aber der leiht mir Indianer nichts darauf denn er sagte ähnlich, ich könnte ja eher verrecken. Aber bald ist mein Buch fertig und dann bekomme ich sehr viel vorher und dann geh ich wieder ein bischen nach dem Judenland. Also Toledo könnte und Barcelona eine kleinste Stiefschwester von Jerusalem sein. Auch kauf ich ein Cinema. Das schönste auf der Welt. Der Anwalt, beide sagen, es wär nicht gut jemand wisse es – darum unter uns ich weiss Sie freuen sich mit mir. Zwar ich kann darum nicht froh sein nie hat Geld auf mich Eindruck gemacht. Aber ich geh dann nur immer die Strassen auf und ab, tu nichts mehr und kauf mir lauter Kitsch und Dummheiten. Und dann schlafe ich mal erst 24 Stunden oder 36 Stunden und immer muss Jemand von den Wachenden aufpassen wie ich schlafe. Nun hab ich Ihnen geschrieben und die Briefe die ich schrieb hinter meinen Rücken, sind verloren gegangen. In Wehmut und Aufrichtigkeit und Schmerz und Freude
Ihre Pampeia
Alles Liebe! Ich werde nie mehr unhöfliche oder böse Briefe schreiben!
[Blumen]
So wuchsen sie heut früh auf der Wiese
[Kuvert:]
Herrn Rechtsanwalt
Emil Raas.
Bern
Balmweg 7
Anmerkungen
Poststempel: Zürich, 23. 5. 35.