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[122] Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Ascona, Donnerstag, 13. August 1936

[Stadt auf einem Berg] Jerusalem

13. Aug. 36

Pardon Bleistift bitte.

Soll ich auch lieber Maschine schreiben?

Denken Sie, ich möcht wieder ein Fuhrmannwort oder Satz schreiben!

Lieber Mill

Gestern Abend gingen wir noch in die Taverna; (alles nebenan) dort tanzt Ascona. Jeder Gärtner oder tessiner Schlosser, ein feiner Signore. Wir störten gewiß mit dem Anruf? Aber das schadet ja alles nichts. Sie machen Sich sicher oft Kopfweh und warum das alles? Die schönen Wiesenblumen [im W Blumen] habe ich gebadet – nicht etwa mit Seife, aber im frischen Wasser und sie stehen nun im weiten Glas, gucken aus dem Fenster. Und wir danken Mill. Auch für den kleinen Leinwand. Bitte sorgen Sie Sich doch nicht um irgend was. Auch dürfen Sie nie glauben, ich verstehe nicht den Prozess, den Sie führen so gewissenhaft Dichterin contra Mill oder wie heißt »für« Mill (auf lateinisch). Ich weiß Sie wollen nicht ich soll verlieren? Aber ich weiß keinen Unterschied zwischen Verlieren und Gewinnen. Einmal verliert man doch und dann erst kann man verlieren oder gewinnen dann ist leider egale im Empfinden. Lauter Unsinn nicht? Und so gelehrter Quatsch. Gestern haben wir gelacht, auch tranken wir Wein, aßen Melone, die mussierte doch wahrhaftig – so süß und reif war sie. Einfach toll! Bitte machen Sie Sich doch keine Kopfschmerzen. Ich bin ja so verwegen, werde immer fertig. Daß Ihr kleiner Vetter da ist, freut mich für Sie. Vielleicht kann er mit dem ältesten Sohn von Gafners verkehren? Ich reichte ihm eine Cigarette. Da sagte der Nationalrat zu ihm: »Guck erst ob einer Deiner Lehrer etwa kommt«! Ist das nicht nett? Nun ist Nat. Dr. Farbstein hier mit Wölfli seinem kleinen 6jähr. Sohn dem kleinen Nationalrat – drollig! Es ist so heiß hier, aber dann eine Stunde, frisch, dann atmen wir wie große Fische, die ihren Mund aus dem Wasser stecken. Ja, das Meer – unübertroffen!!!!! Bald bin ich wieder im Schiff und dann guck ich wieder aus der Kajüttenluke ganz allein aufs Meer, auch in der Nacht. Ich bitte die Damen, vier sind wir in einer Kajütte, unter dem Fenster zu schlafen, da kann ich stets auf die Wellen gucken. Sie sind oft so hellgrün wie das Glas (?) der Zahnbürste. Vor Griechenland werden sie blau – ganz glühendblau und sie schmecken wie Lethe. Oft dachte ich, wäre doch Jemand, den ich besser kenne wie die Geschöpfe da bei mir dann guckten wir immer zusammen aufs Meer in alles Blau das so strömt und singt und sinkt ganz tief auf den Meergrund und sich erhebt mit tausenden Muscheln. Schön ist es auf dem Lloyd und abenteuerlich und fern und ewig von der Welt entfernt mit der man nicht fertig wird, schließlich am Rätsel zu Grunde geht. Und ich bin ja so müde, gleich schlafe ich wieder am helllichten Tag. Ich möchte nur noch herumtaumeln und schlafen wie die Geyer in Jerusalem. Sie schweben prachtvoll geradezu durch die Luft; setzen sich dann in eine Grube und schlafen. Manchmal aßen sie vorher einen Fisch von unten dem Meere mitgebracht und ich dachte, es ist doch viel – moralischer, menschlicher, ungekocht einen Fisch zu essen, – ißt man ihn schon, – als einen in der Pfanne gebackenen oder gekochten, mit Butter geschminkten und geölten. Jerusalem ist die vornehmste Stadt der Welt – Tibet mit einer roten Rose im Haar. Ich denke […] Erik sagte es wäre so die Art der Anwälte sich zu verbergen hinter einer Maske. Schrecklich umständlich, find ich; selbst Karneval gehe ich ohne Maske, oft nur eine Nase oder einen herabhängenden Mund an, ein lang Ohr. Aber der Erik liebt Sie sehr. Seine Freundin (sehr schön) ist hier. Sie sind sich am Tage 3 × böse. Dazwischen hatte er in Paris 3 Bräute weiße und schwarze Häute und er kriegt keine Ruhe. Nun baden alle im See, der ist im Wald – ein bischen weit zu gehen. Aber man kommt hin. Ich bade im kleinern See und Wald, der ist viel lieber. Man kann ihn in der Flasche mit nach Haus nehmen und den Wald in einem Blumentopf. Die vielen Spielsachen jetzt an den Bäumen. Ich schick Ihnen bald so einen kleinen Wald. Ich kann so leicht ja nichts abpflücken. Ach braucht ich doch gar nichts mehr denken was nicht schön ist. Immer muß ich denken und so sündigt die Menschheit an mir.

[auf einem Hocker sitzende, leicht nach vorn gebeugte Gestalt mit Fes, die Hände auf den Knien] Jussuf