Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Ascona, Montag, 8. Juni 1936
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8. VI 36
Lieber Mill.
Ich sandte gestern oder vorgestern das Bild, mir gelungenes. Mußte viel arbeiten die letzten Wochen. Dr. Kanasch und Frau, die ich so liebe, aus Zürich sind bis Dienstag (wahrscheinlich hier. [2] Die mir immer Linsensuppe sandten. Wunderliebe Menschen und wir haben Spaß zusammen.
Ich bin in derselben Zeit, da Sie mit Ihrem Freund durch den Regen marschierten, auch mit einem Jagdhund, den ich verwahrte Leuten einen Tag und eine Nacht, spazieren gegangen. [3] Er wollte durchaus nach draußen in der Nacht und es regnete nicht Bindfaden, aber Giesbäche. Ach es war so schön und ich trank wie nie von dem Sternenwasser und auch der liebe Hektor, so heißt der Hund und nun will er gar nicht von meiner Seite, begegnet er mir mit seinem Herrn. [4] Es sind so viel Leute hier und wollen nun dafür sorgen, daß mein Theaterstück aufgeführt wird, ja sie machen direkt großen Aufwand. – – Ich bin gern unter vielen Menschen oder ganz allein wo, unter vielen Menschen fühlt man sein Ich und steigt ins Jenseits. [5] Ich mag selbst nicht sprechen inmitten vieler Menschen – oder ich laß sie ertrinken –, aber unsere Kneipe ist nett. Gesellschaften sind meist fade und voller Phrase. Nur Maskenfeste liebe ich sehr, dann steckt man mal in anderer Haut. – Mein Brief hatte viele Gesichter. Ja das fand ich selbst instinktiv. [6] ich war, im Grunde, im Meeresgrunde gar nicht froh, aber die obere Schicht meines Wassers, das floß gerade über Korallenbüsche. Ich bin immer so alleine, niemand kann mich erlösen mehr. Ich bin beruhigt, Sie erholen Sich nun immer mehr. Sie müssen sehr gepflegt werden, ich meine immer besorgt werden. [7a] Auch, daß die Augen blau bleiben. Ich werde gleich abgeholt von Dr. Kanasch. Er ist philos. Mathematiker, aber gar nicht bestrampelt und rechnerisch und seine Ruth herrlich! Wir haben so Spaß zusammen. Bald mal ich Ihnen noch ein Bild.
Ihre dankbare Dichterin Else Lasker-Schüler
[7b] [Frauenkopf im Profil mit Fes]
Anmerkungen
Quelle: The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 28).