Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Zürich, vielleicht Januar 1935
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Lieber Mill
Sie sind mir nicht böse wenn ich Ihren Brief so seltsam finde; ich kann nur annehmen, da Sie den Inhalt des Romans mit meinem Charakter etwa identifizieren? (richtig geschrieben?) Ich glaube alle künstlerische Menschen tragen Dämonie und Gutes und Schalk in sich und hab ich auch nie Balzaks Romane gelesen, so sah ich sein Bild – ein gutes Bild und der kann nur außergewöhnlich großartig schildern. Halb Pavian, halb Erzengel, halb Kind. Wären Sie so gern Dichter? Ich liebe Reederer und Cowboys viel mehr. Für mich brauchte es nur eine Dichterin geben – wie auch einen einzigen Juden, der das Volk repräsentierte. Verzeiht my lord, aber ich muß nun von mir sprechen. Kürzlich sagte mal Jemand, (fast vorwurfsvoll) [2] ich sei der schwierigste Mensch, den er kennt. Stimmt das? Sie schrieben doch, Sie hätten Wochen Tag und Nacht gearbeitet – heute schreiben Sie – nur abends arbeiteten Sie. Werfen um was Sie Tags vorher behaupten. Ich habe doch kein Interesse daran, ob Sie wirkliche oder unwirkliche Anwaltarbeit tun; ich habe Interesse daran, daß Sie Mill sind. Daß Sie das tun was Ihnen liegt, was Ihnen Freude macht. Sie schreiben auch so manches – von der Schreibmaschine z. B. die der Indianer für eine Büffelhaut vertauscht. Hab ich je so was geschrieben? Ich glaube Sie können meine Schrift nicht lesen. Ich weiß gar nicht wie ich Sie verstehen soll. Ich bin nicht geschickt, möchte Geschicklichkeit bei Ihnen auch nicht anwenden. Ein Sturm ist auch nicht geschickt und ich passe nur nicht für Psychoanalysen und dergleichen Festlegungen. Ich bin, glaube ich, da ich wohl ernster bin [3] wie man vermutet, gewissenhaft. Nicht wie der Spießer und die Spießerin sich das vorstellen kann, aber die einfachste Indianernatur. Ich hänge am Faden – das fühle ich. Nach all den Schrecknissen, die ich durchmachte. Und ich glaube fast, ich bin kein Umgang für Sie – (wie man seriös in Familien sagt.) ich meine – ich bin direkt ungesund für Sie.? Darf ich mir erlauben zu sagen, daß ein Mensch in Wahrheit glücklich sein müßte mit dem ich spreche und schreibe. Wie Sie das auch aufnehmen – ich schreibe das! Sie aber verbittere ich durch meine Briefe etc. Ich fühle Sie verzweifeln ich reize Sie, statt frei zu sein. Ich überlegte nie, Sie stets. Ich war, tat ich auch so, immer ehrlich, Sie sehr vorsichtig. Warum? Ich werfe höchstens Lasso, aber [4] versuche nicht Fesseln anzulegen. Habe ich nicht nötig Ich liebe und jeder Punkt, jede Spekulation, mir fern. Sie aber werden erst Ruhe finden, wenn Sie einer Feldblume, es geben ja auch nette, die Hand reichen fürs Leben. Ich wünschte Ihnen wirklich nur Schönes, denn wir Indianer wünschen nie Böses. Ich spreche wirklich wie ich denke. Ich möchte wieder nach Jerusalem.
Gequält sind Ihre Briefe, und es tut mir direkt weh oft. oder es beschämt mich. Diesen Brief hätte ich schreiben müssen vor Jahren, aber ich kenne und erkenne alles nur in der Dichtung sofort – sagen alle Menschen. Es ist wahr.
Jusuf
Anmerkungen
Quelle: The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 71).