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Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Zürich, kurz vor dem 22. Februar 1934

Emil Raas
[1]

[1][2][3]

Sir

Ich habe die ganze schwarze Nacht gewacht, wissend meiner That. Ich sage nicht, schickt mir die letzten vier Briefe wieder, aber verbrennt sie zu meiner Ehre. Früh am Morgen ging ich am River entlang tiefer in den Urwald wo schon die Cocosnüsse reif sind und manchmal vom Baum fallen; eine fiel auf mein Schulterblatt und zerriß es. Aber ich war so erfüllt von der Gewißheit, daß doch jeder Mensch einsam in sich und unzählige Male nach Außen lebt, also auch einsam sich bewegt, daß die Verletzung meiner Schulter mir erst eben begreiflich wird. – Ich kam an den Kraal; dort saßen die Inkas meines Stamms und rauchten Tabbakstauden und blickten schweigend in den Himmel. Bis mich der Sohn des Häuptlings bemerkte und der Medizinmann, der mich beklopfte mit seinem Zauberstab. Sie waren alle gut zu mir, wie das ja immer echte Indianer zu sein pflegen. Ich mußte Thee von der Fandrawurzel trinken, mein Gehirn zu erwecken, das, »entweder«, so sagte der Medizinmann betäubt von den vielen Cocaïngiften der Medizin des Doktor Weißgesichts wäre, oder zu tief in Versunkenheit geraten sei. [Frauenkopf im Profil mit Federschmuck] Dann erzählte ich meinem Stamm, welchen Unfug ich wieder angerichtet hatte und sie schüttelten mindestens eine Stunde lang (nach Urwaldzeit) die Köpfe die großartigen verwitterten und verwetterten – und dann mußte ich schwören beim großen [2] Stab des Medizinmann, mich von allen Weißgesichtern zu trennen, die noch auf Erden sind. Und ich schwor und dieser Schwur ist mein Heimatschwur, mein Urindianerschwur und den muß man halten und wollte ich es auch nicht. Da halt ich ihn nun – wie sich die Arme halten am Körper und die Hände am Armgelenk. Und wenn ich auch eine Verbrechernatur bin, die darum so gefährlich ist, da sie lyrische Gedichte dichtet – ich war, fühle ich plötzlich –, immer stolz auf mein Verbrechertum und Raubgelüst, so halte ich diesen Eid der Eide wie ein Körper einen Tropfen Blut, der sich nicht vermischen darf mit dem anderen Blut, der nicht eintrocknen darf in den Canälen der Adern. – Und wie ich diese Wahrheit schreibe, Sir, so habe ich Euch – denkt nur nach, sogar eine betonte Wahrheit geschrieben und eine vertonte. Man könnte sie singen. Ich sende Euch den reizenden Blumentopf mit der blühenden Blutblüte morgen. Nicht etwa aus Kleinlichkeit, aber darum, daß ich Euch nicht berauben möchte dieser süßen Aussicht, die einzige wie ihr schreibt in Eurem Zimmer. Und mitnehmen übers Meer, eingeschlossen im Koffer – wie schade. [3] Wenn Ihr darüber nachdenkt, versteht Ihr das ich keine Antwort will, ja, wie weh täte es mir, wenn ich sie zurücksenden müsse. Und das geschehe. Tino von Bagdad war voll Liebe, Jussuf von Theben – versunken, die E LSch voll Glauben.

Das empfinde ich, Euch, Sir, noch sagen zu müssen. Gern hätte ich Indianer gespielt – aber Ihr gingt nicht darauf ein. Gespielt sage ich – da dieses Spiel der Ernst meines [Herz] ist

[auf der 2. Seite im Briefkopf:]

Schon beim Anblick auf dem Bogen,

Wirds mir elend ungelogen

Anmerkungen

Briefbogen des Hotels Augustiner-Hof.

Quelle: The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 4).