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Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Ascona, Samstag, 21. September 1935

Emil Raas
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21. IX 35

Lieber Mill.

Morgen ist Sonntag, da sollen Sie etwas an mich denken, darum schreib ich schon wieder. Ich habe schon 2 Sendungen, einmal 30 einmal (heute) 20 Seiten an den Verlag gesandt; er schreibt mir sofort, daß er bekommen. Schon 50 Seiten also fort, Gott sei Dank. 30 + 20 50 Seiten Nun folgen Montag, hoffe ich 30 corrigierte Schreibmaschinen-Seiten, das macht dann 80 Seiten – ungefähr erst die Hälfte. [2] Ich glaub es ist schön und ich guckte was dabei in das Buch Gottes und 2 wunderschöne [nach dem r ein Davidstern als Trennungsstrich] Sätze schrieb ich wenigstens. – Nun ist immer wieder Dämmerung, schon um 5 Uhr hier. Morgens schön warm, abends Sterne über dem ganzen Himmel, bunte. Sie schreiben von Nadelstichen. Wer pfeilte sie auf Mill? Daß ich meine kriegerichsten Indianer benachrichtigen kann. Ich war doch nicht gemeint? Sehr gefällt es mir nicht hier – man ist so aus der Welt genommen und arm dazu. In Zürich [3] waren noch Menschen mit denen man sich unterhalten konnte von Berlin etc. Das interessiert mich sehr, aber wir erfahren oder können doch nur bis kaum unter der Schaale vordringen. Ich bin sehr unruhig – wissend wie so viele mir liebe Menschen kämpfen. Ich werde selbstredend das Geld, die Prozente (für mein Buch) teilen, damit ich auch beruhigt bin mal 6 Monate. Hier viele Millionäre, aber denken an sich. Die Menschen sind viel viel viel schlechter wie wir sie uns denken können, denn unser Gehirn ist besternt und sieht nicht schwarz genug. – [4] Warum [das W als Herz] glauben Sie, Sie müssen nur von mir sprechen. Im Gegenteil, sie wecken mich auf. Ich habe mich längst vergessen, ja – verspielt vielleicht. Das Plakat selbstredend behalten Sie. So wie alles fortgesandt, sende ich Buch gemalt zum Angucken. Erik H. läßt grüßen. Er schwärmt für Sie geradezu. Sie wären ein Gentleman und besonders. Er arbeitet jetzt auch an einer Übersetzung. Er wohnt auf dem Berg, ich unten im Thal. [5] Heute abends gehe ich zu Bachrachs – zur Tänzerin Lotte Baras Eltern – dort wohnt Lotte und ihr Doktor auch in einem Paradiesgarten. So traurig machte mich eben ein Schriftsteller Léon Hirsch aus Berlin, seine Jacke tatsächlich ausgefranst. Heute um 7 Uhr teleph. ich mal mit der Direktorenfamilie, ob die gehäuften Bücher – »Meine Gesammelten Gedichte« als ein Buch mit schönem Titelbild: Verlag Kurt Wolff schon angekommen 700. Ein Kaufhaus will sie kaufen zu 50 ctm Stück. [6a] Was wollen Sie für mich tun? Ich glaub das kann Niemand. Mir Frohsinn einsetzen wo keine Erde und Sonne mehr ist. Aber ich will nicht klagen; morgen kann wieder alles schöner sein. Haben Sie noch Kopfweh? Sie dürfen keine Schlafpulver nehmen, die verursachen später große Benommenheiten. Sie müssen viel in der Luft sitzen – in Ihrem netten Garten oder bei geöffnetem Fenster. Ich schlaf immer bei ganz geöffnetem Fenster – noch im Sommer – im Winter [im W fallender Schnee] wenn es schneit, bei ¼ geöffnetem Fenster. [6b] Ich möchte verkleidet nach Berlin. Könnte ich dort sein, wär ich dort. Wie wird alles werden? Mir fehlt der letzte Mut.

Hier sind schon Indianer, aber alle voll Melancholie – die armen. Prof. Glaser aus Berlin, Museum sah sich vorgestern meine Bilder für das Palästinabuch an – hat paar Leuten geschrieben. – Sehr lieb nicht wahr? Lieber Mill, bitte schreiben Sie nur nicht, wenn dadurch Ihre Arbeit zu einem Examen gestört wird. Ich versteh das. Ich werde schreiben. Wenn Sie dann überstanden [7] schreiben Sie wieder. Ich verstehe das jetzt – mehr wie je. Ich war damals so verlassen und freute mich, wenn Jemand auf der Straße mal begegnete, vor allem, Sie mir schrieben. Aber ich bin gefaßter geworden, da ich doch so allein im Herzen bin. Ich schneide mir jetzt in meine Handrinde – einen Moment – Ihre

Pampa.