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Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Ascona, Ende Juli 1936

Emil Raas
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Lieber Mill.

Dieser Monat war besonders schwer durchzumachen. Ich freue mich, Sie haben so schöne Tage erlebt. Das Meer ist doch unvergleichlich und ich konnte nie heraus wieder auf den Sand. In Tel-Aviv ist das Meer besonders und die Muscheln wie Neuschnee. – Die Hauptsache ist Sie haben Sich erholt. Sind die Koffer wieder da? Vielleicht stahl sie Jemand auf dem Perron. [sechs Wörter unleserlich gemacht] Pardon!

[2] Ich sitze wieder im Verbano – es regnet Gewitter – schon den ganzen Tag. Ich habe viel gezeichnet und immer wieder geübt. Die Hamburger sind leider abgereist. Aber der Erik kommt 3. Aug. Seine Freundin, ein wundervoller Mensch, ist schon hier. Es ist so elektrisch. draußen und immer bleibt mein [Herz] stehen und ich erschreck. Ich hab auch manche Sachen so gern, die ich trage oder besitze. Mein Schiffchen aus Metall das ich anstecke, meine Bernsteinkette, meine Steine, meine Glasknöpfe. Ich sehe hier wie man in Mexico [3] trägt viele carrierte Hemden für Herren und Damen. Ich finde sie so schön; blau und weißcarrierte oder ganz buntcarrierte. Eine Zahnbürste giebt es auch hier – sogar viele in allen Farben. Es sind nun viele Leute hier, aber ich hab immer Sehnsucht fortzureisen. Ich bleibe nur bis 31. August – dann beginnt auch Korrektur in Zürich von meinem Buch. Nation. Grimm ist hier. Hat Dr. Gafner Sie schon gebeten zu kommen? Dr. Grimm sagte, Sie wären ein netter Mensch. Ich kann ja die Schweizer nicht ganz verstehen. Dr. Gafner ist [4] doch der internationalste und ich glaube Sie freuen Sich. Gehen Sie ja sofort hin, ruft er Sie an. – Meine Augen sind so schlecht geworden, alle Leute klagen hier. Es soll kein Kalk im Wasser sein. Frau Dr. Bagotzky ist auch hier; ich war in Porto Ronco oben in ihrem Casa. Sie hat mich gezeichnet. Ich laß mich ja so ungern zeichnen. Immer ich – alles! Und ich denk gar nicht mehr, ich bin direkt apatisch und schwach und freudlos. Es ist doch für uns schreckliches Dasein. Heute schrieb mir ein so lieber Freund ein Chemiker aus Berlin Dr. Faitelowicz. Denken Sie er hat [5] größte Tabbakkerfindung gemacht. Eine Schweizer große Gesellschaft schon angenommen. Er schrieb, wenn er erstes Geld sieht, ladet er mich nach Paris ein. Er war einer meiner Brüder in Berlin immer, auch im Krieg. Wir wurden einmal zusammen verhaftet an einem Revolutionstag in Berlin. Seine Braut hat er verloren vor zwei Jahren ungefähr. Wohnte im Kellerraum in Paris. Hätten Sie ihn doch besucht. Hätte gern darum geschrieben. Aber ich wußte seine Adresse nicht mehr genau. So leben wir nun alle in Quarantäne oder in der Falle.

[6] Der Erik schreibt auch so traurig. Hier aber wartet Jemand die nette Frau auf ihn. Die Briefe kommen für sie in mein Postfach an. Ich denke viel an Jerusalem. Wenn man mal da war in Wahrheit mit ganzer Seele, der sehnt sich immer wieder hin. – In Belgien war ich auch, in Brüssel, in Lüttich saß ich nachts mit lauter Verbrechern im Wartezimmer. Sie kauften mir Datteln, ich kaufte ihnen Chokolade; als der Zug kam, rannte ich fort, versteckte mich im Coupé unter der Bank. [7] Ich möchte so gerne nach Spanien, es soll auch so billig sein. Für 50 Frc. sagte mir ein Anwalt schon in Zürich lebte er bei Palma in einem englischen Hôtel herrlich mit allem. Spanien ist auch meine Heimat. Mein Großvater hat dort noch Verwandte und auch in Madrid leben Verwandte mit langen spanischen Namen. Auch nach Venedig reis ich noch einmal – vielleicht verlieb ich mich mal wieder und der noch Unbekannte in mich. Nichts ist unmöglich. Ob Sie lachen oder nicht! Ich wünsche Ihnen weitere schönsten Ferien; auch daß es Ihnen sehr gut gehe. Alles Liebe und Schöne!