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Else Lasker-Schüler an Emil Raas
Ascona, Donnerstag, 6. August 1936

Emil Raas
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Postfach 49. Ascona

6. Aug. 36

Verzeih. Bleistift!

Lieber Mill

Es war sicher sehr häßlich von mir, Ihnen gerade zu schreiben (doch ohne Absicht Sie zu trüben) als ich verzweifelt war. Sie kamen von dem unendlichen Meer. Als ich den Brief in den Kasten geworfen, war er gerade geleert worden und ich konnte ihn nach 5 Min. schon nicht wieder bekommen. [2] Ich habe Ihnen erstens zu berichten der nette Dr. Gafner ist schon mindestens 10 Tage hier, bleibt bis morgen mit seinen reizenden zwei Jungen von der Untersecunda und Terzia. Sie haben beide Augen, namentlich der jüngere wie Saphire; vielleicht von Dr. Gafners Frau geerbt, die nicht hier ist. ich sah sie wenigstens nicht! Er sagte mir, er habe nur zu viel betonte er, zu tun gehabt, aber er wird Sie sicher rufen. Ich sagte, er müsse Sie holen, ihm zu helfen. So sehe mein Dank aus für alles was er für mich tat. [3] Er ist keine Spur wie ein Schweizer, auch die beiden reizenden noblen Jungens nicht. Sie müssen sie sich zeigen lassen. Der zweite – ein Dichter, der älteste ein werdender scharfdenkender feiner Anwalt oder Arzt in der Art Sauerbruch. Sie wissen ja, ich kenne Menschen. wenigstens im Dichten. Herr Nat. Gafner wird Ihnen enorm gefallen. Auch lernte ich besser Frau Nat. Grimm kennen, eine geradezu herrliche tiefe Frau mit Mut. Ich bin ganz begeistert von ihr. [4] Ich hoffe ich kann Ihnen für Ihre Treue im Briefschreiben Gutes tun; ich möchte auch, daß alle vor Ihnen mal großen Respekt haben. Warum weiß ich nicht, frage mich auch nicht des sehr bürgerlichen Wunsch’ wegen. Ich liebe ja – wenn, namentlich Kinder, keinen Respekt vor mir haben; wie mein Papa, den ich als klein Kind puffte und so allerlei, wenn er vergaß mir zu Tisch was mitzubringen. Vor meiner Mama [5] lag ich auf Knien wenn sie es nicht sah. Sie war mein Kaiser und Bonaparte und mein Himmelreich zugleich. Darum beschirmt sie mich sicher vom Himmel her.

Die unerhörten Bilder meines geliebten Jungen standen aus, riesig angestaunt.

– Das Durchmachen jedes Menschen bedeutet nichts anderes als Geschliffenwerden eingefaßt einst zu werden in Sternenzacken. –

Es geht nun wieder leichter weiter, die zwei Indianer und ihre Frauen haben mich auch [6] diesen Monat nicht verlassen. Haben unerhörte liebe Briefe geschrieben. Habe alles bezahlt und gehe Sonntag ins Kino oder nächsten Sonntag nach Locarno ins Cinema. Aber gestern war ich dort 2 Stunden. Märchen-Markt war wieder – und vor jeder Bude mußte ich mir Ehrenwort geben nichts zu kaufen. Ja es reißt mich immer fort wie mein Vater, der alles kaufen mußte, lauter Unsinn. Aber ich kaufte für 1 Frc. herrliche Blumenohrringe für unsere Kellnerin unten, da sie immer so nett zu mir ist [7] und ich brauch nichts bestellen wenn ich auf der Verranda sitze. Und aber eine unerhörte Tasche (einfach toll!) bekam ich von Frau Diesbecker aus Brisago für Jerusalem. Über d. Schulter zu tragen unterwegs. – Ich brauche erst am 1. November fort aus der Schweiz. Am 1. Sept. komme ich zurück nach Zürich, da dort Korrektur etc. vielleicht Vortrag. Herr Dr. und Frau Dr. Bagotzky waren hier. Der Erik kommt Sonntag hier an. [8] Seine Freundin ist auch hier. Sie sollen sich wieder küssen meinetwegen. Meinen Segen haben sie. So nah stehen mir beide nicht. Ich will die Liebe nicht mehr, verschmähe sie cynisch, aber ich will ein kämpfender Indianer werden, der in den Pausen zeichnet den Kraal und seine Rivermenschen. Nach Palästina hinsteuert mit zu kämpfen, verachtend die Liebe – und ihr Venezia (für die Hunde!)

Ihr blauer Jaguar [Frauenkopf im Profil mit Federschmuck]

Habe wieder 7 neue Bilder. Sie kriegen wieder eins.